Lernen – unsere Sache

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Beitrag von Dagmar Bach, Dozentin und Coach im Bereich Weiterbildung Berufsfachschulen

 


Lernfähig, aber unbelehrbar

Es leuchtet ein: Lernen ist auf jeden Fall meine Sache.
Lernen kann niemand anders für mich, ich durchlebe es mit seinen Höhen und Tiefen immer selbst. Der Erwachsenenbildner Horst Siebert hat dies so gefasst: «Erwachsene: lernfähig aber unbelehrbar».

Diese Aussage gilt eigentlich für Menschen in jedem Alter: Wir sind lernfähig und nur wir selbst können lernen. Wir entscheiden uns zu lernen, wir können geeignete Bedingungen dafür suchen oder schaffen. Natürlich ist es kein Zufall, dass dies im Umfeld der Erwachsenenbildung so deutlich formuliert wurde. Denn Erwachsene – selbstbewusste Lernende, sich ihrer Rechte als (zahlende) Kunden sicher – werden meist auch in ihrem Lernen ernster genommen als Kinder, Jugendliche und Studierende.

Bild Lernbegleitung
Lernen ist meine Sache. Kann mir jemand dabei helfen?

Als Lehrer, als Dozentin, Erwachsenenbildner, als Coach ist Lernen ebenfalls meine Sache. Im Vordergrund steht hier allerdings das Lernen von anderen. Dies aber ist wiederum deren Sache.

Lehren und Lernen

Damit sind wir im Kern des Themas: Dort, wo in der (Berufsfach-)Schule Lernen gar nicht, nicht im verlangten Ausmass oder nicht im vorgesehenen Tempo stattfindet. Hier setzt das Buch «Lernen ist meine Sache» an (Link zur Buchvernissage). Im Fokus stehen Jugendliche, die eine zweijährige berufliche Grundbildung nach Schweizer Recht absolvieren.

Und auch hier: was für diese Lernenden mit ihren oft belasteten Lebensumständen und Lernbiographien gilt, das gilt für alle. Es zeigt sich zwar bei denen deutlicher, die über weniger Ressourcen in sich selbst und in ihrem Umfeld verfügen. Aber die Frage, wie Lernen möglich wird, ist für alle Lernenden vom Kindergarten bis zur Hochschule relevant: Heute durchläuft gemäss Jürg Jegge nur noch eine Minderheit von 40% der Schülerinnen und Schüler unsere Schulen, ohne Fördermassnahmen irgendwelcher Art zu beanspruchen.

«Das habe ich ihnen doch schon vor zwei Monaten erklärt!»

Der Fokus der Didaktik hat sich in den letzten 30 Jahren vom Lehren auf das Lernen verschoben. Und doch wird besonders auf der Sekundarstufe 2 und an Hochschulen immer noch primär auf Stoffvermittlung gesetzt.

Buchcover «Lernen ist meine Sache»
Das Buch «Lernen ist meine Sache» ist soeben erschienen.

Es bleibt also ein heisses Thema, dass das Vermittelte nicht das Gelernte, dass gelehrt nicht gelernt ist. Lehrende aller Schulstufen haben sich wohl schon beim Seufzer ertappt: «Das hatte ich Ihnen doch vor zwei Monaten schon erklärt!»

Was soll ich als Lehrperson tun, wenn die Lernenden nicht mehr wissen, «was ich vor zwei Monaten erklärt habe»?

Wir geben in unserem Buch grob gesagt zwei Antworten darauf, die sich nur vordergründig widersprechen:

  1. Lehrpersonen sind nicht schuld, wenn Lernen nicht stattfindet.
    Die Grundbedingungen an sich sind lernfeindlich, denn Bildungsinstitutionen dienen zwei widersprüchlichen Zielen, einerseits dem Lernen, andererseits der Selektion und der Verteilung sozialer Chancen. Schulen bieten die bekannten – für das Lernen ungeeigneten – Rahmenbedingungen: Noten; Prüfungen, die oft nicht messen, was sie zu messen vorgeben; Lernziele, die eigentlich Lehrziele sind und die sich Lernende selten zu eigen machen können. Die Aufzählung ist nicht vollständig.
  2. Lehrpersonen können Lernende mit einer Reihe von tiefgreifenden und anspruchsvollen Massnahmen unterstützen.
    Diese verlangen, dass Lehrpersonen ihre inhaltlichen und didaktischen Freiräume ausnützen. Das bedeutet, dass sie Lernen verhandeln, methodisch in Coaching und Lerncoaching versiert sind und wohlwollende pädagogische Beziehungen pflegen.

«Pädagogische Beziehungen zwischen Anerkennung, Verletzung und Ambivalenz» sind auch Thema an der FiB-Erfa-Tagung 2017 mit der bekannten Erziehungswissenschaftlerin Annedore Prengel.

Vortrag von Annedore Prengel
Annedore Prengel zur inklusiven Verbesserung von Lernleistungen

Lernen ermöglichen: Zusammenfassende Statements

  • Der Förderbereich darf keine Reparaturwerkstatt bleiben, die stigmatisiert und wenig wirksam ist. Alle Lernenden sollen gleichermassen gefördert werden.
  • Schule entspricht nicht dem Konzept «Mann» – also geraten männliche Jugendliche in eine Doublebind-Situation: entweder sind sie eine gute Schülerin oder ein «Mann».
  • Lernfähigkeit ist nicht vermittelbar, sie kann aber im Unterricht durch Handeln erworben und verbessert werden.
  • Lernen muss mit den Lernenden verhandelt werden. Das betrifft die Stoffauswahl und die Lernmethoden. Lehrziele müssen im Unterricht zu persönlichen Lernzielen umgearbeitet werden.
  • Coaching auf der Grundlage eines humanistischen Menschenbildes und mit professioneller Methodik unterstützt die Lernenden dabei, ihre berufliche, ihre private und ihre Lern-Situation zu erkunden und zu gestalten. Dieses Coaching kann in ein Lerncoaching münden.
  • Lehrpersonen können Minderleistung beziehungsweise gelernter Dummheit begegnen, indem sie Lernende – nach einem Aushandlungsprozess – eng begleiten. Nur mit Training lassen sich Automatismen erzeugen, die das langsame menschliche Denken entlasten. Konkret: Wenn Berufslernende nicht fliessend lesen können, ist es unsinnig von ihnen zu verlangen, dass sie Fachtexte verstehen. Ausdauernd (lesen) zu üben schaffen sie aber nur, wenn sie das selbst wollen und sich dabei fordernd begleiten lassen.
  • Ebenso wichtig ist es, dass Lehrpersonen Gelegenheiten bieten, um Gelerntes in unbekannten Zusammenhängen anzuwenden. Damit wird Tiefenwissen erzeugt, das nicht mehr vergessen geht. Dies alles bedingt, dass Lehrpersonen den sogenannten Stoff drastisch reduzieren sowie genaue Minimal- und Erweiterungsziele definieren.
Die Vernissage zum Buch «Lernen ist meine Sache» findet am 24.11.2016 im Rahmen eines Weiterbildungsapéros des Bereiches Weiterbildung für Berufsfachschulen statt. Wir freuen uns, wenn Sie vorbeischauen!

Literaturangabe: Dagmar Bach, Joseph Eigenmann, Jürg Meier, Georges Kübler (2016). Lernen ist meine Sache. Schule als Ort des Lernens - vier Variationen. Bern: Hep-Verlag.

Können Sie scheitern?

Porträt Geri Thomann

Beitrag von Geri Thomann, Leiter ZHE und Leiter Abteilung Weiterbildung + Beratung a.i.

 


«Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.» Samuel Beckett (1906-1989)

Ich erinnere mich gut an eine der ersten Übungslektionen in der Ausbildung zum Volksschullehrer. Für diese hatte ich zuhanden der Ausbildungverantwortlichen eine Verlaufsplanung mit den Spalten «Lehrerinterventionen» und «erwartetes Schülerverhalten» skizziert. Im Unterricht musste ich dann mit Schrecken erfahren, dass das erwartete Verhalten nicht eintraf und ich gelegentlich nicht einmal zu meinen geplanten Interventionen kam.

Das Scheitern der Realisierung von Plänen

Pädagogische Konzepte, Managementratgeber und didaktische Drehbücher gehen gerne von Widerspruchsfreiheit und Reibungslosigkeit menschlicher Interaktionen aus. Die alltägliche Wirklichkeit ist jedoch vielschichtig und mehrdeutig, verschiedene Menschen haben unterschiedliche Perspektiven. So ist die Realisierung von Geplantem offensichtlich immer wieder zum Scheitern verurteilt.

Auch wenn ich mich an wegweisende Situationen in meinem Berufsleben erinnere – sei es als langjähriger Lehrer von Sonderklassenschüler/innen, als Dozent, Berater oder als Führungsperson – galt es immer wieder, Widersprüchlichkeiten auszuhalten. Der adäquate Umgang mit Störungen oder mit Unvorhersehbarkeiten ist deshalb im Bildungsbereich zentral. Die «Kunst» der situativen Programmabweichung ist somit als alltäglich notwendige Kompetenz unabdingbar. So frage ich mich heute, ob didaktische Vorbereitungsmodelle wie das eingangs beschriebene eher Sicherheit bieten oder vielmehr Improvisation verhindern.

Verlaufsplanung Unterricht
Verhindern Unterrichtsplanungen die Improvisation?

Professionalisierung durch bewältigte Hürden

Hürden und zu meisternde Situationen sind manchmal im Moment des Geschehens alles andere als angenehm – vor allem, wenn sie nicht erfolgreich bewältigt werden. Rückblickend und mit Distanz reflektiert wurden solche Erlebnisse aber für mich nicht selten zu einem veritablen «begleitenden Kompass». Werden Scheitererfahrungen zu bedeutsamen Wegweisern in der beruflichen Professionalisierung, könnte man sie als «produktives Scheitern» bezeichnen. Andere unbewältigte Situationen wiederum hinterlassen eher ein dumpfes Gefühl, versperren sich auch im Nachgang einer Erklärung und Einordnung.

  • Ersteres entspricht dem Hoffnungsprogramm der Professionalisierung: Bewältigte Schwierigkeiten dienen durch ihre Analyse immer wieder neu dem Aufbau und der Erweiterung der eigenen Kompetenzen. Die Analyse und Reflexion von Misserfolgen geht in diesem Fall über eine reine Routinebildung hinaus.
  • Das «dumpfe Zweite» liesse sich hoffnungsvoll als «noch nicht verarbeitet» bezeichnen. Pessimistischer könnte man auch von eigenem Versagen oder eben Scheitern sprechen, das zu akzeptieren sei. Die nachträgliche Verarbeitung könnte hier dazu dienen, aus dem früheren Scheitern etwas Nützliches und Gutes zu machen. Dies mit dem Ziel, dass wir wieder ruhig und zuversichtlich in die Zukunft sehen können.

Beide Prozesse können als Lernen bezeichnet werden. Im zweiten Fall bleibt allerdings die Frage: Wird hier wirklich etwas bewältigt? Oder handelt es sich um eine – an der Oberfläche – entlastende konstruktivistische Neuinterpretation von unwiderruflichem Scheitern?

Scheitern - Verzweiflung
Scheitern kann starke Gefühle auslösen

(Hinweis: Eine Ausstellung des Vögele Kulturzentrums widmete sich kürzlich diesen Fragen unter dem Motto: «Ein Knacks im Leben. Wir scheitern… und wie weiter?»)

Widersprüchlichkeit als Regel

Meine Erfahrung als Ausbildner und Dozent lehrte mich, dass die oben erwähnte «Kunst» des situativen Umgangs mit Überraschungen nur bedingt durch Ausbildung (Simulationen, critical incidents) schulbar und auch nur bedingt durch simple Erfahrung lernbar ist:

  • Auch Novizen können durchaus ausgeprägte Fähigkeiten im Umgang mit Mehrdeutigkeit und Unplanbarem vorweisen. Ich staune gelegentlich, wie souverän junge unerfahrene Unterrichtende komplexe Situationen meistern können.
  • Im Gegenzug staune ich auch darüber, dass manche erfahrene Berufsleute immer noch ständig unter der Angst des Scheiterns leiden.

Dieser scheinbare Widerspruch ist erklärbar durch eine Paradoxie: Einerseits wird wie beschrieben kritiklos davon ausgegangen, dass unser Alltag frei von Widersprüchen ist. Andererseits werden die erläuterten Strategien im Umgang mit Überraschungen unausgesprochen vorausgesetzt. Dies entzieht sie einer bewussten Reflexion und erschwert ihren gezielten Ausbau.

Ist die Kunst des situativen Umganges schulbar?

Meine These lautet, dass Widersprüchlichkeit alltäglich und somit die Regel ist. Reibungslosigkeit ist hingegen die Ausnahme.  Komplexität ist somit kein ungewollter Nebeneffekt einer geordneten oder zu ordnenden Welt, sondern die typische Form unserer Lebenswelt.

Wenn nun die Kompetenz im Umgang mit Unvorhersehbarem kaum schulbar ist, dürfte das ganze Aus- und Weiterbildungskonzepte in Frage stellen.  Auch die aus- und weiterbildenden Institutionen sind davon betroffen. Sie rühmen sich nicht selten gerade damit, die adäquaten Hilfsmittel gegen Hilflosigkeit anbieten zu können. So versprechen die Kompetenzprofile etlicher Weiterbildungslehrgänge souveräne Beherrschung komplexer Phänomene.

Dies entspricht einem häufig postulierten Bedarf: Gerade Teilnehmende in Führungs- oder Didaktikkursen formulieren meiner Erfahrung nach häufig das Bedürfnis, im Rahmen der Weiterbildung Mittel und Instrumente der Kontrolle über schwierige und komplexe Situationen ihrer Praxis zu erhalten.

Interview Geri Thomann: Führung und Scheitern
Geri Thomann über Führung und Scheitern (im Gespräch mit Johannes Breitschaft)

Das Bedürfnis nach einfach handhabbaren Hilfsmitteln ist verständlich und legitim. Denn Scheitererfahrungen sind mit starken Emotionen verbunden, was die Analysefähigkeit einschränkt und einfache Rezepte attraktiv scheinen lässt. Leider erschwert just die instrumentell ausgerichtete Problembearbeitung die Entwicklung der Fähigkeit zur diagnostischen Analyse von komplexen Situationen. Das schnelle Einordnen in Schemata und Modelle verhindert in diesem Fall die differenzierte Diagnose.

Erzählen als Bewältigung und Professionalisierung

Das Scheitern selbst lässt sich schlecht präventiv «simulieren». Dies liegt darin begründet, dass meist die Furcht vor dem Ernstfall der Auslöser einer solchen Simulation ist. Ein allfälliges Versprechen von Beherrschung würde deshalb zu einer Paradoxie führen. Denn Scheitern zeichnet sich dadurch aus, dass wir nachträglich feststellen müssen, dass wir nicht fähig waren, einen Misserfolg zu prognostizieren, „vorzufühlen“ und damit in den Griff zu kriegen.

Mehr Erfolg verspricht das reflexive Erzählen und Austauschen von Scheitergeschichten. Die Diskussion und Analyse von Schwierigkeiten, Pannen, Fehlern und Misserfolgen gibt den schwierigen Erfahrungen eine «Stimme» und lässt Muster erkennen (vgl. dazu die Fallberichte und Reflexionen im Buch Failure Management. Ursachen und Folgen des Scheiterns, hrsg. von Sebastian Kunert).

Solche Reflexion erfolgt meist kasuistisch, also entlang von Fällen, von Praxisgeschichten, Ereignissen, Analogien und Metaphern. Sowohl in Ausbildungs- als auch in Weiterbildungsveranstaltungen ist sie erst durch vertrauensbildende Massnahmen möglich. Das Mittel des Erzählens von selbst erlebten Geschichten bildet die Mehrdeutigkeit der Realität am Besten ab. Es erweitert den «Möglichkeitssinn» und macht Erzählende und Zuhörende zu produktiven, reflexiven Miterlebenden und Interpreten von Geschehenem.

Gestaltung von Reflexionsarbeit

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Infoblatt kollegiale Beratung

Distanz zur eigenen Tätigkeit, Selbstwahrnehmung, Selbstkritik als produktives Zweifeln sowie Motivation und Lust an erweiternder professioneller Veränderung sind unabdingbare Voraussetzungen für den Erfolg solcher Reflexionsarbeit.

Es gibt im Bildungsalltag viele Möglichkeiten des Erzählens, sei es assoziativ und spontan oder in strukturierten Gefässen wie der kollegialen Praxisberatung. Dieses Format setzen wir am ZHE in verschiedenen Kontexten der Weiterbildung und Beratung regelmässig und mit guten Erfahrungen ein. Es eignet sich auch gut, um eigene Scheitererlebnisse mit Distanz zu analysieren und dadurch besser einordnen zu können.

Geri Thomann leitet das ZHE und a.i. auch die Abteilung Weiterbildung + Beratung der PH Zürich. Als Inhaber einer ZFH-Professur forscht und publiziert er regelmässig über Aspekte von Führung und Scheitern.
 
Lesetipps:
- Weshalb die Pädagogik nicht auf Scheitern eingestellt ist (Artikel in PH Akzente 2013/2)
- Produktiv scheitern (Geri Thomanns Dissertation, 2008)
- Failure Management (Hrsg. Sebastian Kunert, 2015)

Am ZHE bietet Geri Thomann den Kurs «Grundlagen der Beratung» an. Dieser richtet sich primär an Lehrende an Hochschulen sowie der Erwachsenenbildung, ist aber auch für Lehrpersonen der Sekundarstufe II interessant.

IWB: Motivation tanken und neue Ziele setzen

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Beitrag von René Schneebeli, Dozent im Zentrum Berufs- und Erwachsenenbildung der PH Zürich.


«Sag mal, kannst du eigentlich auch etwas anderes als Führen?» Der Satz kam unverhofft aus der Runde der IWB-Seminarteilnehmenden und löste wohl deshalb bei Reto mehr Betroffenheit aus, als allen lieb war. Reto hat viele Jahre als Vorgesetzter, Projektleiter und Geschäftsführer gearbeitet. In der Rolle als Lehrperson kam ihm deshalb das herkömmliche Bild des lehrerzentrierten Lernens entgegen.

Seit aber die Kompetenzorientierung und vor allem das selbstorganisierte Lernen an seiner Schule Einzug gehalten haben, ist Reto gefordert. Nicht nur führen soll er, sondern auch begleiten und coachen. Das genaue Beobachten, die Reflexion von Ergebnissen und das Verhalten gegenüber den Lernenden rücken in den Vordergrund.

Feedback auf Augenhöhe

Was Schulleitung und sein Berufsstand seit Längerem forderten, und was Reto kognitiv gut einordnen konnte, kam an diesem Seminartag durch die Provokation seines Kollegen auch emotional bei ihm an. Der Spruch hätte ebenso gut im Lehrerzimmer oder in der Familie fallen können. Aber erst durch die bewusste Auseinandersetzung mit seinen Handlungsroutinen und Wahrnehmungsschemata in einem strukturierten Prozess, erst durch das Feedback auf Augenhöhe schlug, eine neue Erkenntnis durch.

Retos Widerwillen, sich einer weiteren Mode der Pädagogik beugen zu müssen, wandelte sich in ein persönliches Bedürfnis. Dieses wurde zum Ausgangspunkt seines Projekts – so verwarf er seine anfängliche Idee, die theoretischen Hintergründe von Führung aufzuarbeiten. Jetzt wollte er sich auf ein fremdes Land, eine fremde Kultur und eine fremde Sprache einlassen. In der reflektierten Auseinandersetzung mit dem Unbekannten sollte das gestärkt werden, was dem neuen Rollenverständnis geschuldet ist.

IWB-Teilnehmende berichten
IWB-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer berichten von ihren Projekten

Selbstreflexion – Chance zum Setzen neuer Ziele

Bei Reto lässt sich nachvollziehen, dass in der beruflichen Entwicklung die persönlichen und fachlichen Entwicklungsprozesse miteinander verwoben sind. Insbesondere bei Berufserfahrenen, die über ein trägeres Selbstbild verfügen, braucht es oft mehr Aufwand und eine höhere Reaktionsenergie um Betroffenheit und letztendlich Lernprozesse auslösen zu können.
Um solche Entwicklungsprozesse zu initiieren, braucht es Raum, Zeit, Zuwendung und Distanz zum Berufsalltag. Was sich wie der Luxus unserer Tage anhört, ist aber eigentlich ein effektives Mittel zum langfristigen Erhalt der Arbeitsproduktivität.

Die Intensivweiterbildung (IWB) des Kantons Zürich für Berufsfachschullehrpersonen (BFSL) ist ein solches Angebot. Sie ermöglicht langjährigen Lehrpersonen eine zehnwöchige Freistellung von der Unterrichtstätigkeit. Dabei ist der Name des Angebots Programm: Zielsetzung ist gemäss dem Regierungsratsbeschluss des Kantons Zürich von 1986 die vertiefte fachliche, methodische und persönliche Weiterbildung. Die IWB positioniert sich nach heutiger Lesart als überfachliches Angebot und wird als berufsbiographische Zäsur verstanden, die der Standortbestimmung, der Reflexion und der Weiterentwicklung der Lehrpersonen dienen soll.

Gelockerte Teilnahmebedingungen noch wenig bekannt

Die Rahmenbedingungen des Angebots haben sich seit seiner Einführung stark gelockert. Der kursorische Anteil der IWB sank stetig und die individuellen Freiheiten in der Ausgestaltung nahmen kontinuierlich zu. Heute beträgt der Umfang des notabene freiwilligen Begleitprogramms der PHZH noch sieben Tage der insgesamt 10 Schulwochen der IWB.
So sind die eher bescheidenen IWB-Teilnehmendenzahlen nicht leicht zu erklären. Das war der Grund für eine Studie, die im Frühjahr 2015 der Frage nachging, welches die Gründe für die Nicht-Teilnahme an der IWB sind. Die Online-Befragung bei allen BFSL des Kantons Zürich (n=2’226) hatte einen Rücklauf von 13.1% (n=291).

>>Link zum Abstract der Masterarbeit «Keine Zeit für Auszeit» von René Schneebeli

IWB – attraktiv und doch (noch) nicht von vielen Lehrpersonen besucht

Im Ergebnis zeigte sich zunächst, dass die Zahl der jährlichen Teilnehmenden seit 1987 zwar stark schwankte, aber im langjährigen Schnitt vergleichbar bleibt.
Der Hauptgrund für die Nicht-Teilnahme sind vor allem die Zulassungskriterien, die nur gerade 14.8% (n=43) der Umfrageteilnehmenden erfüllten. Es wird gefordert, dass man 12 unbefristete Dienstjahre beim Kanton vorweisen kann, noch nicht 58 Jahre alt ist und noch keine IWB absolviert hat. Mit diesen Kriterien ist niemand so richtig zufrieden. Sie laufen sich teilweise zuwider und werden modernen Lehrerbiographien nicht mehr gerecht.

Von den 43 Personen, die von den Zulassungskriterien nicht aussortiert wurden, wusste ein Drittel nicht, dass sie zu den Anspruchsberechtigten gehörten. Das wiederum weist auf ganz andere Probleme hin. Geradezu paradox war, dass viele Lehrpersonen keine Zeit hatten für eine Auszeit. Über ein Drittel gab familiäre Gründe an und über die Hälfte hatte andere Beweggründe. Dahinter verbergen sich z.B. Anstellungen an Zweitschulen, Selbstständigkeit oder die Anstellung in einem Betrieb.

Ob die IWB «aufgespart» wird oder ob sie sich schlicht als unvereinbar mit anderen Verpflichtungen erweist, lässt sich abschliessend nicht sagen. Aus der Sicht der Anspruchsberechtigten würde die Schule ihrer Teilnahme an der IWB, trotz Spardruck, jedenfalls nicht im Weg stehen. Auch dem Begleitprogramm der PHZH attestierten fast alle Anspruchsberechtigten einen Mehrwert. Darin spiegelt sich das Verständnis der IWB nicht nur als Massnahme zur Entlastung vom Berufsalltag, sondern auch als Möglichkeit zur aktiven Auseinandersetzung mit der eigenen Berufsbiographie und der persönlichen und fachlichen Weiterbildung.

Distanz zu den eigenen Wahrnehmungsmustern entwickeln

Reto entwickelte seine Idee im dreitägigen Modul Standortbestimmung, mit dem die IWB beginnt. Auch das Seminarhotel in der fernen Ostschweiz erleichterte es ihm, Distanz zur Schule und zum Schulalltag zu gewinnen. Vielleicht fiel ihm die Überprüfung der Tauglichkeit seiner Verhaltensmuster auch leichter, weil er die Möglichkeit zum Austausch mit Lehrpersonen in berufsbiographisch vergleichbaren Situationen hatte. Jedenfalls gefiel es ihm dort. Beim Abschied meinte er dann auch, das Hotel sei toll geführt…

Die IWB ist ein begleiteter Weiterbildungsurlaub, der sich an Ihren individuellen Lernbedürfnissen ausrichtet und gleichzeitig
dem Leistungsauftrag der Schule verpflichtet ist. Sie können Abstand vom Schulalltag gewinnen und sich zehn Schulwochen lang in selbstgewählte Projekte und Weiterbildungen vertiefen.
>>mehr über die IWB und das Begleitprogramm der PHZH
Neu kann die dreitägige Standortbestimmung auch von Lehrpersonen besucht werden, die keine IWB absolvieren, sich aber mit ihrer persönlichen und beruflichen Situation auseinandersetzen wollen.
>> René Schneebeli gibt Ihnen gerne näher Auskunft.
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