Vom KI-Fastfood zum sinnhaften Einsatz

Folgen Sie der PH Zürich auf Social Media

Text: Charlotte Axelsson

Vor Kurzem wurde ich gefragt, ob ich Angst vor den rasanten technologischen Entwicklungen habe. Meine Antwort lautete: ein klares Jein. Die Technologie selbst macht mir keine Angst – im Gegenteil, sie fasziniert mich. Ich werde zum Homo Ludens, mein Spieltrieb kennt kaum Grenzen. Was mir Sorgen bereitet, ist der Mensch, der diese Technologien nutzt, steuert oder weiterentwickelt – oft ohne sich der Verantwortung für deren Auswirkungen bewusst zu sein. Diese Sorge hat mich dazu gebracht, intensiver über Ethik in der Bildung nachzudenken, zum Beispiel am PHZH Barcamp «Assessment im Wandel – KI-basierte Ansätze für Beurteilung und Feedback» oder als Co-Herausgeberin der neuen Open-Access-Publikation «Ich, Wir & Digitalität, Ethik in der Lehre». Für mich ist klar: Eine ethisch fundierte Lehre ist der Schlüssel für einen sinnhaften Einsatz von Technologie. Ganz im Sinne des Buchtitels: «ICH steht für die persönliche Reflexion, WIR für das Miteinander und DIGITALITÄT beschreibt den kulturellen Wandel, der durch technologische Innovationen entsteht», lässt sich dieser Dreiklang auch im Dagstuhl-Dreieck (Figur 1) als technologische, gesellschaftliche, kulturelle und anwenderbezogene Perspektive beschreiben. Solche Modelle ermöglichen es auch, die eigene Lehre zu überprüfen und fehlende Perspektiven zu integrieren.

Figur 1: Dagstuhl Dreieck in «Ich, Wir & Digitalität, Ethik in der Lehre»

Bildung vermittelt nicht nur Wissen, das ist ebenfalls klar und wurde zum Beispiel durch Peter Holzwarth in «Sind Menschen die besseren Roboter? Ethische Fragen zur Digitalisierung» beschrieben, sondern auch die grundlegenden Werte einer Gesellschaft – ein essenzielles Element für deren Zusammenhalt und Funktionieren. Doch wie verändert der technologische Fortschritt unsere Zusammenarbeitsformen und das Beurteilen von Leistungen? Warum ist es besonders wichtig, im digitalen Zeitalter über Ethik zu sprechen? Im Folgenden habe ich zwei wichtige Gründe zusammengetragen, die die Wichtigkeit einer tiefgründigen Auseinandersetzung für uns Menschen unterstreichen sollen. Folgend gebe ich Einblicke in die Diskussion des Barcamps mit der Anwenderperspektive «Ethik und gesellschaftlichen Implikationen von KI im Assessment von Leistungen».

Erster Grund ist omnipräsentes Wissen: Technologien wie die Suchmaschine von Google oder Wikipedia machen Wissen allgegenwärtig und leicht zugänglich. Generative Technologien – etwa ChatGPT von OpenAI – ermöglichen es zudem, Wissen neu zu kombinieren und zu generieren. So stellt der technologische Wandel traditionelle Konzepte von Wissen und dessen Bewertung infrage und verlangt nach neuen Ansätzen. Wie überprüfen wir Leistungen, wenn man auf einen Klick ganze Hausarbeiten von einer Maschine generieren lassen kann?

Zweiter Grund sind intransparente Machtstrukturen: Unternehmen wie Google, Microsoft oder OpenAI kontrollieren zentrale Plattformen und Technologien und verfolgen in erster Linie ihre wirtschaftlichen Interessen. Dadurch entstehen gefährliche Abhängigkeiten, die Bildungseinrichtungen, Gesellschaften und sogar Staaten in ihrer Autonomie einschränken. Ein zentrales Problem ist die Intransparenz der Algorithmen: Sie steuern, welche Informationen priorisiert oder generiert werden, und beeinflussen dadurch, was wir sehen, lesen und lernen. Dies schafft eine neue Wissenshierarchie. Damit wird Wissen nicht mehr neutral verteilt, sondern von wenigen Akteuren gelenkt. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, braucht es unabhängige Alternativen und eine breite gesellschaftliche Debatte. Gerade Pädagogische Hochschulen müssen eine Vorreiterrolle übernehmen, indem sie kritische Medienkompetenz fördern und sich aktiv mit diesen ethischen Fragen auseinandersetzen.

Ethik in der Lehre – Diskussionen aus dem Barcamp 

Die Herausforderungen werden besonders deutlich, wenn man diese beiden Gründe auf konkrete Bereiche im Bildungswesen anwendet. Beim Barcamp «Assessment im Wandel – KI-basierte Ansätze für Beurteilung und Feedback» haben wir uns in einem Track mit «Ethik und gesellschaftlichen Implikationen von KI im Assessment von Leistungen» beschäftigt.

Die Diskussionen zeigten schnell, dass Bildung und vor allem Prüfungen nicht nur der Vermittlung und dem Abfragen von Wissen dienen, sondern auch kulturelle, soziale und persönliche Entwicklung umfassen. In der Diskussion haben wir uns um zwei Statements gedreht: Mensch, sei du selbst der Wandel – Technologie sollte sinnstiftend eingesetzt werden – nicht allein aus Effizienzgründen. Oder mit Play, Qualität fördern! rufen die Teilnehmenden das spielerische Konzept «Slow AI» auf, welches auf Reflexion, Neugierde und Entschleunigen setzt und eine Art Gegenbewegung zu Fastfood (KI-)Wissen darstellt.

Des Weiteren wurde die Frage, ob KI in der Lage ist, Sinn oder individuelle Werte in die Beurteilung einfliessen zu lassen, kontrovers diskutiert. Transdisziplinäres Lernen und alternative Beurteilungskulturen – weg von starren Konzepten von «richtig» und «falsch» hin zu mehr Kreativität – könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen. Hier ist Austauschen und Voneinander-Lernen gefragt. Und über eines sind sich alle einig gewesen: Traditionelle Prüfungen, die lediglich Wissen abfragen, waren noch nie und sind einfach nicht mehr haltbar.

Barcamp 2024

Fazit und Ausblick 

Zum Schluss gibt die Disziplin Ethik in der Regel wenig Antworten – Ethik bietet Denkräume. Diese «Safe Spaces» müssen wir im Bildungswesen schaffen, in denen wir erforschen, entwickeln und vermitteln können – basierend auf Werten wie Menschlichkeit, Sinnhaftigkeit und Verantwortung. Denn nur, wenn wir Technologie bewusst und reflektiert einsetzen, können wir sicherstellen, dass der Wandel menschenwürdig ist. 

Das Thema werden wir weiterdiskutieren und laden an dieser Stelle zum nächsten Barcamp «Assessment und KI: Gemeinsam praktische Formate erkunden» am 20. November 2025 ein. Wer bis dahin nicht warten kann, empfehle ich unser kleines Büchlein, darin findet man weitere Fragen und praktische Anwenderbeispiele für den eigenen Unterricht.

INFOBOX

BARCAMP «ASSESSMENT UND KI: GEMEINSAM PRAKTISCHE FORMATE ERKUNDEN»,
20. NOVEMBER 2025 AUF SCHLOSS AU

Interessieren Sie sich für diese Tagung? Gerne können Sie in diesem Formular Ihren Namen und Mailadresse hinterlassen, dann informieren wir Sie, sobald Programm und Anmeldemöglichkeit aufgeschaltet sind.

KURS (PHZH-INTERN)
Ethische Fragen zur KI: Praxisnahe Ansätze für den Unterricht
Dienstag, 8. April, 12.15–13 Uhr, Campus PH Zürich

LITERATUR
Blume, Dana & Axelsson, Charlotte. 2024: Ich, wir & Digitalität, Ethik in der Lehre.

Zur Autorin

Wie nutze ich KI für das Schreiben an der Hochschule?

Folgen Sie der PH Zürich auf Social Media

Text: Maik Philipp, Alex Rickert, Yves Furer und Daniel Ammann

Positionspapier zum wissenschaftlichen Schreiben in Zeiten von künstlicher Intelligenz

Dieses Positionspapier des Schreibzentrums der PHZH setzt sich mit zentralen Herausforderungen auseinander, die sich für Hochschulen in Zeiten von künstlicher Intelligenz (KI) im Kontext des Lernens und des Verfassens schriftlicher Arbeiten ergeben.

Wie an anderen Hochschulen nutzen auch Studierende der PHZH generative KI für das Schreiben ihrer Texte. Studien aus Deutschland (Helm u. Hesse 2024), Schweden (Stöhr, Ou u. Malmström 2024), Australien (Kelly, Sullivan u. Strampel 2023) oder den USA (Dang u. Wang 2024) belegen die intensive KI-Nutzung von Studierenden. Die deutsche Studie zeigt, dass zumindest ein Teil der Studierenden KI auf eine Weise einsetzt, die problematisch erscheint – etwa zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit.

Diese Entwicklung zwingt Hochschulen, sich Fragen zur Funktion und zum Stellenwert des Schreibens zu stellen, sei es für das Lernen, das Verfassen von Leistungsnachweisen oder in Prüfungen. Das Schreibzentrum äussert sich dazu aus epistemologischer und lernbezogener Perspektive. Die Fähigkeit, im Umgang mit Texten analytisch und kritisch zu denken, gewinnt in komplexer werdenden Wissensgesellschaften zusehends an Bedeutung. Künstliche Intelligenz nimmt mündigen Personen diese Aufgabe nicht ab, sondern fordert diese ein und heraus. Das Schreibzentrum positioniert sich mit zwei Thesen zur Nutzung von KI für das Schreiben an der Hochschule, um die Notwendigkeit des reflektierten Einsatzes zu betonen. Die erste These bezieht sich auf die Systemebene der Wissenschaft, die zweite betrifft die Personenebene und die Einsatzgebiete generativer KI. Die Thesen werden exemplarisch von Vignetten flankiert.

Ist die Zukunft des Schreibens eine Kollaboration zwischen einem Menschen und künstlicher Intelligenz? (Foto: Adobe Stock)

These 1: KI ist keine verlässliche Wissensquelle, weil sie keine Expertise hat. Wissen wird von Expert:innen hergestellt und über epistemisch vertrauenswürdige Quellen verbreitet. Wissensproduktion folgt anerkannten und transparenten Regeln – es ist unklar, ob KI das tut.

Vignetten:

  • Student A übernimmt eine automatisch generierte Definition aus ChatGPT, die plausibel klingt, und sucht via Elicit eine Quelle, die dazu passt.
  • Student B sucht nach unterschiedlichen Definitionen in der Fachliteratur, die er mit Hilfe von KI-Recherchetools gefunden hat, vergleicht die Definitionen miteinander und entscheidet sich unter Angabe von Gründen für eine Variante.

In Wissensgesellschaften sind wir darauf angewiesen, dass Erkenntnisse jedweder Art auf nachvollziehbare Weise entstanden sind. Die Komplexität der Wissensherstellung bringt ein hohes Mass an Expertise und Spezialisierung mit sich. Darauf baut die Wissenschaft, indem sie erkennbare Expertise in einem Fachgebiet als Indikator dafür nutzt, dass sich andere Mitglieder der Gesellschaft auf die Aussagen verlassen können (Chinn, Barzilai u. Duncan 2021).

  • Darum beschreiben Wissenschaftler:innen ihre Methoden genau und belegen, auf welche Quellen sie sich stützen.
  • Darum gibt es Qualitätssicherungsmechanismen, indem etwa Beiträge in Fachzeitschriften von anderen Expert:innen begutachtet werden.
  • Darum lassen sich wissenschaftliche Quellen zumindest annäherungsweise daran erkennen, dass sie von fachlich qualifizierten Personen für ihre Fachcommunitys verfasst werden, um darin ihre Erkenntnisse zu verbreiten.
  • Darum ist es keineswegs trivial, auf welche Quellen sich Studierende stützen. Eine angemessene Quellenkritik und -auswahl wird zusehends wichtiger.

Funktionsweise und Datengrundlage generativer Large-Language-Models bleiben teils Betriebsgeheimnis, deshalb lässt sich kaum nachvollziehen, welche Quellen den KI-Outputs zugrunde liegen und wie die Aussagen zustande kommen. Stil und Textoberfläche der Outputs dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich darin inhaltlich Falsches, Fragwürdiges, Verkürztes, Tendenziöses verbirgt.

These 2: KI soll das Lernen durch Schreiben unterstützen und nicht verhindern. Schreiben ist nachweislich ein effektives Instrument für das Lernen. Dafür sollte es auch genutzt werden.

Vignetten:

  • Studentin A füttert Claude.ai mit Fragestellung, Theorie- und Ergebnisteil ihrer Bachelorarbeit und lässt den Diskussionsteil von der KI generieren.
  • Studentin B formuliert ihren Diskussionsteil selbst, indem sie die Ergebnisse auf die Fragestellung bezieht und diese mit Modellen und Studien aus dem Theorieteil abgleicht und einordnet.

KI-Tools sind auf Schnelligkeit und Aufgabenerledigung ausgerichtet. Das macht sie attraktiv. Deshalb ist wichtig, dass diese Systeme reflektiert und eigenverantwortlich genutzt werden. Dies bedeutet: Die Tools kommen dort sinnvoll zum Einsatz, wo sie das Lernen durch Schreiben unterstützen und es nicht verhindern – etwa bei der Quellenrecherche, der Datenstrukturierung, beim Generieren inhaltlicher Impulse und Ideen, für Feedback oder bei der stilistischen und orthografischen Überarbeitung. Lese- und schreibbezogenen Aktivitäten, die auf das Denken höherer Ordnung – das Anwenden, Analysieren, kritische Evaluieren und Kreieren (List u. Sun 2023; Philipp in Druck; Philipp 2022) – abzielen, sollten jedoch nicht an eine KI delegiert werden. Solche Schreibpraktiken sind kognitiv herausfordernd, aber für die Entwicklung von Fachexpertise unverzichtbar. Die Fähigkeiten zum Denken höherer Ordnung durch Lesen und Schreiben entwickeln sich in der kleinschrittigen Auseinandersetzung mit Texten. Sie führen dazu, dass tief, flexibel und kritisch über Gegenstände eines Fachs nachgedacht wird. Aufgrund ihres transformierenden Anforderungscharakters erfordern sie Genauigkeit in Analyse und Evaluation und deshalb Langsamkeit (Chen 2019).

Auch bei Arbeiten mit KI, die auf fremden Texten basieren, zum Beispiel beim automatischen Zusammenfassen, ist es notwendig, Output, Prompt und Ursprungstexte miteinander zu vergleichen. Denn häufig gilt es, unterschiedliche Texte aus mehreren Quellen im eigenen Text zu integrieren. Integrieren bedeutet, die verschiedenen Aussagen sinnvoll aufeinander zu beziehen und deren Perspektiven zu erkennen und zu kombinieren. Diese Mehrperspektivität und die qualitativen Unterschiede von Aussagen zu erfassen und nachzuvollziehen, zeichnet den Wissensaufbau und die gedankliche Eigenleistung beim Lernen und bei Prüfungen aus (Kuhn 2020). Dafür braucht es die Fähigkeit, Bezüge zwischen Themen aktiv herzustellen, insbesondere wenn Autor:innen nicht das gleiche Vokabular verwenden. Solche Verstehensleistungen verlangen ein genaues Lesen (Britt u. Rouet 2012). Dies gilt auch und insbesondere für die Nutzung KI-generierter Textangebote: Geben die Chatbots angemessen wieder, was in den verwendeten Quellen steht – und passt der Prompt überhaupt zu den Texten? Darum wird es in der Regel nötig sein, genau zu lesen und den Output anzupassen. Anders gesagt: Die Zeit, die man beim Schreiben spart, ist gut im Lesen und Überarbeiten reinvestiert.

INFOBOX

Das Angebot der PH Zürich zum Schreiben und Schreiben mit KI umfasst Weiterbildungen, Dienstleistungen und Beratungen.

MEHR ZU WISSENSCHAFTLICHEM SCHREIBEN UND SCHREIBEN MIT KI
Das Schreibzentrum der PH Zürich bietet Unterstützung beim wissenschaftlichen Schreiben und Schreiben mit KI sowie spezifische weitere Informationen zu Schreiben mit KI.

MODULE
Schreiben begleiten und beurteilen, ab 17. März, Campus PH Zürich
Wissenschaftliches Schreiben, ab 23. September, Campus PH Zürich

SCHREIBBERATUNG
Mittels Schreibberatungen für Personen und Teams hilft das Schreibzentrum der PH Zürich, Schreibkompetenzen weiterzuentwickeln und Texte zu optimieren.

LITERATUR
- Philipp, Maik. 2025 Digitales Lesen fördern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
- Philipp, Maik. 2025. Lesen digital: Komponenten und Prozesse einer sich wandelnden Kompetenz. Weinheim: Beltz Juventa.

Zu den Autoren

Alex Rickert ist Leiter des Schreibzentrums der PH Zürich und ist als Dozent in Weiterbildungsgefässen aktiv. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Textlinguistik, Schreibberatung und -didaktik.

Maik Philipp ist Professor für Deutschdidaktik an der PH Zürich. Seine Schwerpunkte sind Lese- und Schreibförderung mit Fokus auf Evidenzbasierung.

Wie «bildet» man eigentlich Erwachsene? 

Folgen Sie der PH Zürich auf Social Media

Text von Nils Bernhardsson-Laros und Markus Weil

Erwachsenenbildung findet in vielfältigen Kontexten statt – von Hochschulen bis hin zu informellen Settings in Alltagssituationen. Eine zentrale Eigenheit besteht darin, Erwachsene in Lernsituationen als mündige Individuen zu betrachten, sie aber dennoch direkt oder indirekt pädagogisch anzuleiten. Didaktische Ansätze auf Augenhöhe und machtfreie Wissensvermittlung bieten Lösungen, können das Spannungsfeld aber nicht völlig aufheben.

Gemeinschaftliches Lernen in der Erwachsenenbildung

Dilemma von Selbst- und Fremdsteuerung

Ganz unabhängig davon, in welchen Kontexten Erwachsene «gebildet» werden, geht dies immer mit einem konstitutiven Dilemma einher, das historische Hintergründe hat. Bereits in den 1920er Jahren, mit der Transformation von der Volks- zur Erwachsenenbildung und der Entstehung der sogenannten «neuen Richtung», wurde der traditionelle Ansatz einer erziehenden Belehrung infrage gestellt. Stattdessen orientierte man sich an machtfreien Bildungsformaten, in denen gemeinschaftliches Lernen im Vordergrund stand. Seitdem führt die Erwachsenen- und Weiterbildung ein Dilemma mit sich: Erwachsene werden einerseits als autonome, bereits erzogene Individuen betrachtet, während sie andererseits im Bildungsprozess doch pädagogisch adressiert werden müssen. Dieser dichotome Zusammenhang von Erziehung und Bildung mag – je nachdem in welchen Kontexten Erwachsene gebildet werden sollen, ob in formalen Unterrichtssituationen, in Gruppenanlässen oder in gestalteten Lernumgebungen – mal mehr und mal weniger zum Tragen kommen. Zumindest im Hintergrund bleibt er jedoch immer bestehen und kann nicht aufgelöst werden. Eine gewisse Pädagogisierung ist unvermeidbar und gleichzeitig auch erwünscht.

Vertrauen und Vertragsprinzip

Auch in Kontexten in denen eine (vermeintlich) machtfreie Wissensvermittlung propagiert wird, kommen Lehrende nicht umhin, wenn auch in einem geringen Masse, paternalistisch zu handeln, indem sie stellvertretende Deutungen für die Bildung der Lebenspraxis ihrer Lernenden vornehmen. Selbst wenn man sich dabei am Vertragsprinzip orientiert und sich als Bildungsdienstleister:in versteht, die/der manifeste Bildungsbedürfnisse der Lernenden erfüllt, kann und soll offen mit der notwendigen Pädagogisierung der Lernenden umgegangen werden. Auch in vertraglich konnotierten Bildungskontexten begeben sich die Teilnehmenden in die Hände der jeweiligen lehrenden Person, der sie zunächst mit einem Vertrauensvorschuss begegnen müssen. Der offene und reflektierte Umgang mit dieser paternalistischen Dimension ist eine Herausforderung, die eine langfristige, berufsbiographische Reflexion erfordert.

Formelle und informelle Settings

Gerade in der Erwachsenenbildung, wo sehr viele informelle und selbstgesteuerte Elemente zum Tragen kommen, wird die Rolle der Lehrenden häufig unterschätzt – auch in vermeintlich vertraglich definierten Bildungssettings.

Es lässt sich differenzieren, ob es sich um ein informelles, selbst initiiertes Lernsetting handelt oder um ein formelles, strukturiertes. Informelles Lernen, wie beispielsweise beim Austausch mit Kolleg:innen, wird oftmals selbst initiiert und weniger stark mit einem Machtgefälle in Verbindung gebracht. Je nach Verhalten der auskunftgebenden Person, kann aber auch hier eine Pädagogisierung Einzug halten. Gestaltete Lernumgebungen laden zum Selbstlernen ein, hier wird die Steuerung auf die Lernumgebung übertragen, wenn zum Beispiel bestimmte Informationen zur Verfügung gestellt werden und andere nicht. In dieser Reihe sind formalere Settings am stärksten mit dem Dilemma «Wie bildet man eigentlich Erwachsene?» konfrontiert. Lehrende können jedoch durch didaktische Gestaltung auf Augenhöhe und durch die bewusste Schaffung machtfreier Lernumgebungen gegensteuern. Auch das Angebot von Lernumgebungen, die Erwachsene selbst erkunden und gestalten können, bietet eine Möglichkeit, diesem Dilemma entgegenzutreten und das Lernen auf eine machtfreie, partizipative Grundlage zu stellen. Diese Grundlagen werden auch auf anderen Bildungsstufen thematisiert, neu hinzu kommt hier, dass die Zielgruppe mündige Erwachsene sind, die in der Regel viele berufliche und Lebenserfahrungen mitbringen welche im pädagogischen Setting zu berücksichtigen sind.

Fazit: Reflektieren und Weiterentwickeln

Die Reflexion dieses Spannungsfeldes zeigt, dass die Erwachsenenbildung in Bezug auf Macht, Verantwortung und Autonomie immer wieder neu ausbalanciert werden muss. Um mit der Dichotomie zwischen fremdbestimmter Erziehung und machtfreier Bildung umzugehen, hat sich in der Erwachsenen- und Weiterbildung ein Ansatz etabliert, der auf sogenannten «Erzogenen-Idealen» basiert. Dabei wird z.B. von hochgradig gebildeten, wissenden oder zur biografischen Selbstreflexion fähigen Menschen ausgegangen, woraufhin sich die Zielgruppe der Bildungsangebote als solche adressieren lässt, die diesen Idealen (noch) nicht entspricht. Für die Erwachsenenbildung bedeutet dies, dass ein zentrales Ziel darin besteht, dass Lehrende und Bildungseinrichtungen einen normativen Standpunkt entwickeln und diesen kontinuierlich in Bezug auf das berufliche Handeln sowie die Teilnehmenden ihrer Veranstaltungen reflektieren und weiterentwickeln. Das ist insbesondere relevant für die ständige Anpassung der eigenen Bildungsansprüche an die Bedarfe und Erwartungen der Lernenden. 

Die Erwachsenenbildung stellt Reflexionsinstrumente bereit, mit denen das eigene pädagogische Handeln hinterfragt und überprüft werden kann. Sie ergänzt den Erwerb professioneller Kompetenzen, wie sie in Weiterbildungen, der beruflichen Grundbildung oder Höheren Berufsbildung (z. B. Fachausweis) vermittelt werden, durch akademische Professionalisierungsstrategien.

INFOBOX

Wenn Sie Interesse an Fragen zur Praxis der Erwachsenenbildung haben oder diese als Reflexionsinstanz nutzen möchten, um Ihr eigenes pädagogisches Handeln weiterzuentwickeln, bietet die PH Zürich vielfältige Weiterbildungsangebote sowie Möglichkeiten zum Austausch und zur Vernetzung.

AUSTAUSCHGRUPPE«EB@PHZH»
Die informelle Austauschgruppe EB@PHZH trifft sich mindestens zweimal pro Jahr am Campus PH Zürich oder online. Informationen zur Gruppe und weiteren Veranstaltungen zum Thema finden sich auf der Seite Netzwerk Erwachsenenbildung.

TAGUNG
Gestaltung und Entwicklung von Lernräumen in der Erwachsenenbildung: Physische und virtuelle Dimensionen
Kooperation SVEB–PH Zürich
Donnerstag, 30. Januar 2025, 13–17.45 Uhr, Campus PH Zürich

MODULE
Angebotsentwicklung, ab 13. Januar 2025, Campus PH Zürich
Diversity Now: Diversitäten jonglieren, ab 27. Februar 2025, Campus PH Zürich
Aufgaben des Bildungsmanagements, ab 19. März 2025, Campus PH Zürich

LEHRGANG
CAS Unterricht gestalten mit digitalen Medien
ab 28. Januar 2025, Campus PH Zürich

LITERATUR
Bernhardsson-Laros, N. (2024): Spannungen zwischen Theorie und Praxis in der Erwachsenen- und Weiterbildung. Relationierungen im Rahmen einen habitualisierten ethischen Reflexivität

Zu den Autoren

Nils Bernhardsson-Laros ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Schulentwicklung an der PH Zürich.  

Überlegungen zu KI-generiertem Feedback

Folgen Sie der PH Zürich auf Social Media

Text: Jacqueline Egli

«Bitte lesen Sie sich die kommentierte Arbeit in Ruhe durch. Überlegen Sie, ob Sie die Korrekturen nachvollziehen können und ob das schriftliche Feedback für Sie verständlich ist. Bei Unklarheiten wenden Sie sich bitte an mich. Überarbeiten Sie den Text und vertiefen Sie das Thema. Reichen Sie Ihre Arbeit in zwei Wochen erneut ein.»

Diese Situation kennen wohl alle Lehrpersonen: abends oder über das Wochenende viele Texte lesen und Rückmeldungen dazu verfassen. Das braucht Zeit, Geduld und Ausdauer. Besonders, wenn die Weiterentwicklung erneut gelesen und gefeedbackt wird. Wer würde sich da nicht über einen Zauberspruch freuen, der diese Arbeit automatisch erledigt. (Generative) künstliche Intelligenz (KI) kann vieles, aber kann sie auch das? – Ja und Nein.

Lernförderliches Feedback

Das Angebot, Texte oder Projekte bereits während der Erstellung zu sichten und zu besprechen, legt den Fokus auf den Prozess (siehe den Blogbeitrag Über das Potenzial von Online-Feedback von Mònica Feixas und Franziska Zellweger) oder die Handlung und nicht (nur) auf das Endprodukt. Dies ist wichtig, denn Feedback greift u.a. dann, wenn es von der feedbackerhaltenden Person reflektiert und gleich weiterverarbeitet wird. Tobias Zimmermann nennt in seinem Buch Leistungsbeurteilung an Hochschulen lernförderlich gestalten explizit zwei verschiedene Arten von Unterstützung: adaptive (durch Erklärung und Beispiele) und behelfsmässige (durch Erhalten der richtigen Antwort). Lernförderlich ist nur ersteres, da es durch Hilfestellung unterstützt. Dies unterstreicht die aktuelle Studie von Hamsa Bastani «Generative AI can harm learning»: Laut dieser wurden zwar Übungen generell mit Unterstützungen von KI-Bots besser gelöst, aber das Lernen unterstützt haben nur die KI-Tutorsysteme, die – aufgrund der Einstellungen – keine Lösung, sondern lediglich Hinweise auf weitere (Reflexions-)Schritte gaben.

KI-generierte Rückmeldungen

Mehrere KI-Anwendungen bieten neuerdings an, Korrekturen und Feedback zu übernehmen (z.B. ChatGPT, DeepL und Language Tool) Aber wie gut, differenziert und lernförderlich sind diese KI-generierten Rückmeldungen?

Intuitiv werden viele sagen, dass die Rückmeldung eines Menschen wertvoller ist als die einer KI. Denn beim Feedback spielt die Beziehungsebene eine wichtige Rolle, wie u.a. Tobias Zimmermann in seinem Blogbeitrag deutlich macht, und diese ist an Menschen gebunden.

Quelle: Adobe Stock

Studien (Dai et al. 2023 oder Escalante et al. 2023) haben nun beschrieben, dass auch maschinelles Feedback – bei gut erstellten Prompts – lernförderlich sein kann und dass sich bei den Studierenden keine eindeutige Präferenz zeigt, von wem sie die Rückmeldung erhalten möchten. Escalante stellt in seiner Studie «no difference in learning outcomes», also keinen Unterschied bezüglich Lernergebnis zwischen maschinellem und menschlichem Feedback fest. Es stellt sich die Frage, ob die Studierenden sich bewusst sind, dass die KI eine Maschine ist oder ob sie dies manchmal vergessen und die KI als empathisch und verständnisvoll sehen, also vermenschlichen.

Gemäss dieser Studien ist das Feedback der KI positiver (Fokus auf Gelungenes), während das der Lehrperson negativer gepolt ist (Fokus auf Verbesserungswürdiges). Dies ist nicht falsch, denn aus Fehlern lernt man. In der Schule ist es aber auch wichtig, bereits Gelungenes hervorzuheben und daran Weiterentwicklungsmöglichkeiten zu knüpfen (also Stärken zu stärken). Möglicherweise kann KI das Feedback der Lehrperson sinnvoll ergänzen.

Rückmeldungen von GPT wurden von den Studierenden signifikant besser verstanden (Dai et al. 2023). KI generiertes Feedback begann meist mit einer kurzen Zusammenfassung der Arbeit des Lernenden und einem Überblick über die Bewertung, gefolgt von weiteren Ausführungen. Die bessere Verständlichkeit könnte daraus resultieren, dass GPT länger und in vollständigen Sätzen kommentiert, wohingegen Rückmeldungen aus menschlicher Hand eher aus unvollständigen Sätzen, bzw. Satzfragmenten bestehen. Die Verständlichkeit bleibt dabei oft auf der Strecke.

Erfahrungsgemäss tendiert KI-Feedback zur Oberflächlichkeit. Die KI erkennt Details und Besonderheiten von Inhalten oft nicht, insbesondere wenn diese regional differieren, da diese Informationen in ihren Trainingseinheiten wohl nicht vorkamen. ChatGPT liefert daher eher allgemein gehaltenes Feedback. Zudem kann die KI etwas als «gut» rückmelden, auch wenn es inhaltlich falsch ist. Daher ist es wichtig, in der Klasse Falschinformationen und Halluzinationen zu thematisieren.

Mit den Worten von Beat Döbeli in seinem Blogbeitrag: «Konkret: Das Feedback eines GMLS ist derzeit vermutlich schlechter als das einer guten Lehrperson. Das Feedback eines GMLS ist jedoch rascher und öfter verfügbar als das einer Lehrperson.»

Es kann für Lernende auch ein Sicherheitsanker sein, wenn sie eine erste Rückmeldung von einer anonymen und wertungsfreien Instanz erhalten und darauf basierend erste Überarbeitungen vornehmen können, bevor eine Lehrperson (oder Peers) einen Blick darauf werfen.

Lerneffekt?

Wenn es um Rückmeldungen zu Grammatik oder Orthografie geht, kann die KI diese meist problemlos erkennen und korrigieren. Allerdings gibt z.B. ChatGPT keine Erklärungen zu den Optimierungen. Bleiben diese aus, verpufft der Lernerfolg, resp. er muss sich mühsam erarbeitet werden, indem der Ursprungstext mit dem generierten Output verglichen wird, Unterschiede herausgestrichen und verstanden werden. Natürlich kann die KI auch aufgefordert werden, diese Aufgaben zu übernehmen und eine Tabelle mit den häufigsten Fehlern zu erstellen, allenfalls sogar mit einer Erklärung dazu. Aber Hand aufs Herz: wie viele Lernende nehmen diesen Aufwand wohl auf sich, wenn die Lösung direkt erfragt werden kann?

Es ist daher unabdingbar, sowohl das Thema «Lernen» als auch das Thema «Feedback» auf der Meta-Ebene mit den Klassen zu besprechen. Einerseits sollten die Jugendlichen lernen, dass Skill-Skipping (sich also die Lösung geben lassen anstatt sich die Kenntnisse selbst zu erarbeiten) zwar einfach, aber nicht lernförderlich ist. Andererseits sollten sie auch befähigt werden, Feedback zu verstehen und für sich zielführend einzusetzen. Und für diese Diskussion braucht es Menschen mit Empathie, Menschenkenntnis und einem Augenzwinkern.

INFOBOX

Am 20. Mai 2025 findet der halbtägige Kurs (Digitales) Feedback – Lernprozesse sichtbar machen statt.

Im Rahmen des CAS Unterricht gestalten mit digitalen Medien besteht die Möglichkeit, das Modul Lernförderliches Feedback: digital, multimedial oder mit KI zu besuchen. Das Modul ist auch einzeln buchbar.

Zur Autorin

Jacqueline Egli ist Dozentin am Zentrum für Berufs- und Erwachsenenbildung an der PH Zürich. Ihre Themengebiete sind unter anderem die Schul- und Unterrichtsentwicklung mit dem Schwerpunkt auf den digitalen Wandel und Changemanagement und Organisationsentwicklung für Bildungsinstitutionen.

Wissenschaftliches Schreiben – KI als Ghost, Partner oder Tutor

Folgen Sie der PH Zürich auf Social Media

Text: Alex Rickert

Es gibt inzwischen empirische Evidenz dafür, dass Studierende und Schüler:innen mit KI zwar qualitativ bessere Texte schreiben, dadurch aber weniger Lernen in Bezug auf den Gegenstand im Vergleich zum Schreiben ohne KI (Ju 2023; Süße u. Kobert 2023). Es fragt sich daher, inwiefern der Einsatz von KI beim Schreiben zum Zweck des Lernens sinnvoll ist. Auf welche Weise sollen generative Bots beim Schreiben von Texten zum Einsatz kommen, damit sie den Schreibprozess unterstützen und gleichzeitig das Lernen durch Schreiben fördern? Dieser Frage geht der vorliegende Beitrag nach.

KI fürs Fachlernen nutzen – aber wie?

Ausgehend von einer Heuristik nach Steinhoff (2023) wird von drei Rollen ausgegangen, die eine generative KI beim Schreiben als zusätzlicher «Aktant» nebst der schreibenden Person spielen kann. Diese Rollen sind: Ghostwriter, Writing Partner und Writing Tutor.

  • Als Ghostwriter nimmt ein Large Language Model (LLM) einer Person das Schreiben ab. Eine Person formuliert einen Prompt oder eine interaktive Sequenz von Prompts, die den Schreibauftrag enthält. Der Output der KI wird übernommen und die Person beansprucht die Autorschaft dennoch für sich. Schreibkompetenz reduziert sich auf Prompting-Kompetenz.
  • Als Writing Partner schreibt die KI zusammen mit der Person, die das LLM bewusst und zielorientiert beim Schreiben miteinbezieht, sei es stellenweise, z.B. nur beim Überarbeiten, oder während allen Phasen des Schreibens. Die KI hat die Rolle einer Ko-Autorin. Im Vergleich zur Ghostwriter-Praktik interagiert der Mensch hier dynamisch und bringt sich selbst als Autor ein. Analog zu Ghostwring-Praktiken besteh die Gefahr, Fehlinformationen zu erhalten. Um ein LLM als Writing Partner zu nutzen, bedarf es hoher Lese- und Schreibkompetenzen. Die Person muss in der Lage sein, die Schreibaktivitäten metakognitiv zu steuern und entscheiden können, welche Art von KI-Einbezug zu welchem Zeitpunkt sinnvoll ist.
  • In der Rolle als Writing Tutor unterstütz ein KI-Bot eine Person beim Schreiben, indem er der schreibenden Person als «Quasi-Lehrperson» gegenübertritt. Die Person nimmt das LLM interagierend als Lerner:in in Anspruch.
Welche Rolle nimmt die KI bei der Unterstützung beim Schreiben ein? (Quelle: Adobe Stock)

Implikationen für das wissenschaftliche Schreiben mit KI: ein Diskussionsvorschlag

Im Folgenden werden die KI-Rollen anhand von Beispielen hinsichtlich ihres Potenzials fürs Lernen durch das Schreiben beurteilt. Hierbei wird auf prototypischen Phasen des Schreibprozesses – Planen, Formulieren, Überarbeiten – eingegangen. Die Beurteilung erfolgt anhand einer Ampel-Logik, wobei rot eine kritisch anzusehende, orange und grün eingefärbte KI-Praktiken legitime, aber im Falle des Writing Partners mit Vorsicht einzusetzende Rollen darstellen. Die Begründung zu den Urteilen folgt danach.

PLANENFORMULIERENÜBERARBEITEN
Ghostwriter

– Skizze oder Inhaltsverzeichnis für einen Text generieren (strukturell und inhaltlich) und übernehmen
    – Text ausformulieren lassen auf Basis von Prompts
    – Zusammenfassungen generieren
    – Fazit formulieren
– Text inhaltlich, strukturell, stilistisch und/oder formal revidieren lassen.
Writing Partner

– eigene Ideen weiterentwickeln
– Strukturvorschläge zu definierten Inhalten generieren
– Brainstorming mit integraler Plausibilitäts- und Wahrheitsprüfung
– Hypothesen formulieren aufgrund zuvor festgelegter Variablen
– Reformulieren der Fragestellung
– einen selbst geschriebenen Abschnitt kürzen
– Formulierungs-alternativen generieren
– Text inhaltlich, strukturell, stilistisch und/oder formal revidieren lassen, dabei Überarbeitungen hervorheben lassen und die Eignung der Revisionen selbst überprüfen
Writing Tutor

– Geplante Textstruktur auf Schlüssigkeit prüfen lassen
– Feedback zur Passung der geplanten Inhalte zu einer Fragestellung evaluieren lassen
– Tipps zum Vorgehen bei der Textplanung oder zur Recherche einholen
– Textsortenspezifische Formulierungshilfen erfragen
– Tipps zum Vorgehen beim Formulieren einholen
– Verschiedene Stile aufzeigen
– Rückmeldungen zur Lesefreundlichkeit, Satzlänge und zur Wortwahl einholen
– Feedback zu aufgabenbezogenen Passung von Inhalt, Struktur, Stil und/oder Korrektheit generieren und begründen lassen
– Tipps für die Schlussredaktion einholen
– Überarbeitungsvorschläge priorisieren lassen

The good, the bad and the buddy

Zur Beurteilung der Frage, welche Rolle der KI-Anwendung in welcher Phase des Schreibens lernförderlich und legitim ist, muss zunächst geklärt werden, was epistemisches Schreiben ist oder anders gefragt: Unter welchen Bedingungen ist Schreiben förderlich für das Fachlernen?

Dieser Frage liegt eine Vielzahl von weitverzweigten Theorien und empirische Arbeiten zugrunde, die hier nur sehr verkürzt und unvollständig erläutert werden. Der Nachweis, dass (Fach-)Lernen durch Schreiben erfolgt, wurde vielfach postuliert, theoretisch modelliert sowie empirisch nachgewiesen (z. B. Meta-Analysen von van Dijk et al. 2022; Graham et al. 2020; Bangert-Drowns et al. 2004). Es existieren mehrere Modelle, die die Funktionsweise des Lernens durch Schreiben beschreiben. Das verbreitete Modell von Galbraith und Baaijen (2018) geht davon aus, dass inhaltliche Konzepte als mental verknüpfte semantische Einheiten im Langzeitgedächtnis gespeichert sind. Beim Schreiben greift die schreibende Person auf dieses Repertoire zurück. Um ihr Schreibziel zu erreichen, aktiviert sie die gespeicherten Verknüpfungen in Syntheseprozessen, überprüft diese und fügt gegebenenfalls weitere Ideen aus bereits gespeicherten semantischen Einheiten oder externen neue Quellen hinzu. Im Prozess dieser Wissensaktivierung und -transformation findet Lernen statt.

Aus dieser Perspektive werden die drei KI-Rollen wie folgt eingeschätzt:

  • Ghostwriter: Keine oder minimale Notwendigkeit der Informationstransformation eigener Wissensbestände sowie kognitiver Syntheseprozesse in Bezug auf den Lerngegenstand. KI-Anwendung ersetzt den Lernprozess oder kürzt ihn ab. Prompting-Kompetenzen ersetzen Schreibkompetenzen.
  • Writing Partner: Wissensaktivierung und -transformation ist erforderlich. Die KI-Rolle unterstützt den Lernprozess, sofern die Sinnhaftigkeit und der Zeitpunkt der KI- Anwendung metakognitiv bewusst gesteuert sind sowie die Bereitschaft und die Fähigkeit vorhanden sind, Informationen des Outputs in eigene Wissensbestände zu integrieren und damit eigenes Wissen zu transformieren.
  • Writing Tutor: Wissensaktivierung und -transformation ist erforderlich. Eigene Textproduktion steht im Mittelpunkt. Unterstützung beim (strategischen) Vorgehen durch Instruktionen und Feedback der KI. Die KI-Rolle unterstützt den Lernprozess.

Fazit: Augen auf beim Prompten! 

Die drei KI-Rollen lassen sich nicht immer klar voneinander abgrenzen. Vor allem die Übergängen zwischen der Partner- und der Tutoren-Rolle sind fliessend. Die Heuristik zu diesen KI-Rollen, die in der obigen Tabelle beispielhaft Mensch-Maschine-Interaktionen in verschiedenen Phasen des Schreibprozesses aufführt, verstehen sich als Diskussionsbeitrag, um den sinnvollen und legitimen KI-Einsatz zu planen und zu reflektieren. Das hier angelegte Ampelsystem ist nicht apodiktisch zu verstehen. Auch die Ghostwriter-Rolle kann beim Schreiben unter Umständen lernförderlich sein. Etwa dann, wenn der Output als musterhaftes Beispiel einer Textsorte oder einer Formulierung studiert und dessen Merkmale analysiert werden. Solche Analysen können dabei helfen, Wissen über Textsorten aufzubauen.

Ein absolut zentraler Aspekt bei allen Formen der KI-Anwendung in Wissenskontexten ist der zweifelhafte epistemische Status der KI-Ausgaben. LLMs garantieren aufgrund ihrer Funktionsweise keine verlässlichen Outputs können keine Verantwortung für die Richtigkeit von Informationen übernehmen. Aus diesem Grund sprechen wissenschaftliche Publikationsinstanzen – z.B. Nature – den LLMs eine Autorschaft ab. Jede KI-Ausgabe muss deshalb minutiös daraufhin überprüft werden, ob sie wahr, vollständig, verzerrt und für das eigene Vorhaben relevant und valide ist. Dabei gilt: Je höher das Ausmass an Delegation von Schreibaufgaben an die KI ist, desto höher ist die Notwendigkeit, Informationen zu prüfen. Die KI-Anwendung Ghostwriter macht die Prüfung des Outputs unausweichlich, auch für die Writing-Partner-Rolle ist sie notwendig und für die Writing-Tutor-Anwendung mindestens empfohlen. Diese Prüfverfahren setzen digitale Lesekompetenzen voraus, die als «epistemisch wachsames Lesen» (Philipp 2021; 2023) bezeichnet werden. Verkürzt gesagt, versteht man darunter Fähigkeitenbündel, um die Plausibilität von Aussagen, die Vertrauenswürdigkeit von Quellen, die Kohärenz von Aussagen oder die Entstehung und Interpretation von Daten zu evaluieren. Es sind in erster Linie diese Fähigkeiten, die für das Lernen durch Schreiben mit KI geschult werden müssen und dies mit Vorteil zusammen mit einem Menschen in der Rolle eines Reading Tutors.

INFOBOX

Das Schreibzentrum der PH Zürich bietet Module zum Schreiben an, in denen KI-Aspekte thematisiert werden:

Schreiben begleiten und beurteilen (Start: 17. März 2025)
Wissenschaftliches Schreiben (Start: 23. September 2025)


Auch für literarische Zugänge zum Schreiben finden Sie beim Schreibzentrum Angebote – z.B. das Modul Biografisches Schreiben (Start: 30. April 2025).


Einzelpersonen, Teams und Organisationen bietet das Schreibzentrum Weiterbildungen und Schreibberatungen in Form von Coachings, Kursen oder Workshops an. Kontaktieren Sie uns! schreibzentrum@phzh.ch

Zum Autor

Alex Rickert ist Leiter des Schreibzentrums und ist als Dozent in Weiterbildungsgefässen aktiv. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Textlinguistik, Schreibberatung und -didaktik.

Effiziente Beurteilung: Wertvoll für Dozierende und Studierende

Folgen Sie der PH Zürich auf Social Media

Text: Tobias Zimmermann

Die Nervosität der Studierenden grenzte an Panik. Dem Professor war das nicht recht, denn mit seinem Hinweis, wie schwierig die Schlussprüfung zu seiner Vorlesung ausfallen werde, hatte er sie motivieren wollen – nicht verunsichern. So überlegte er sich, wie er sie wieder etwas beruhigen könnte und bot ihnen für die Prüfung eine Art Joker an. Dieser funktionierte ähnlich wie der Telefonjoker bei «Wer wird Millionär»: Bei der Multiple-Choice-Frage, bei der sie am unsichersten über die richtige Antwort waren, konnten die Studierenden den Namen einer Kommilitonin notieren. Wenn diese in ihrer Prüfung die richtige Antwort gab, kriegten die Joker-Verwender die Antwort ebenfalls als richtig bewertet.

Kleine Massnahme, grosse Wirkung

Bei der Auswertung der Prüfung stellte der Professor zu seiner Überraschung fest, dass der Durchschnitt der Prüfungsresultate gegenüber den Vorjahren markant angestiegen war. Und es lag nicht am Effekt des Jokers, der ja das Resultat um maximal eine richtige Antwort pro Studentin steigern konnte. Vielmehr ging die Leistungssteigerung weit darüber hinaus und zeigte sich auch in den Folgejahren.

Beim Professor handelte es sich um den bekannten Psychologen und Sachbuchautor Adam Grant, der nun natürlich wissen wollte, weshalb diese kleine Massnahme eine so grosse Wirkung hatte (die obige Episode schildert er in seinem lesenswerten Buch «Hidden Potential» ). Dabei fand er heraus: Um den Joker optimal zu nutzen, mussten die Studierenden wissen, wo die Stärken ihrer Kolleginnen und Kollegen liegen. Um das herauszufinden, begannen sie, vermehrt gemeinsam zu studieren, statt allein zu pauken. Nur so konnten sie sich das kollektive Wissen der Gruppe zunutze machen. Dadurch kamen zwei Effekte zum Tragen, welche das Lernen der Studierenden intensivierten und vertieften:

  • Intensivierung: Die Studierenden verbrachten mehr Zeit mit den zu lernenden Inhalten, weil sie neben dem «normalen» Lernen auch noch herausfinden mussten, wer sich womit besonders gut auskennt. Dies erhöhte die Time on Task, die ein zentraler Einflussfaktor für den Lernerfolg ist.
  • Vertiefung: Mindestens ein Teil der Leistungssteigerung dürfte auch dadurch entstanden sein, dass die Studierenden einander beim gemeinsamen Lernen wesentliche Aspekte gegenseitig erklärt haben. So kam der Teaching-Effekt zum Tragen: Jemandem etwas zu erklären, ist zugleich eine der wirksamsten Lernhandlungen. Als Lehrende kennen wir das aus eigener Erfahrung: Man lernt selten mehr über ein Thema, als wenn man dazu unterrichten muss.

Das Erlebnis von Adam Grant zeigt, wie Massnahmen im Umgang mit Leistungsbeurteilung, die Lehrenden nur wenig Aufwand bereiten, grosse Effekte erzielen können. Sie ist für mich symbolisch dafür, dass wir im Umgang mit Beurteilungssituationen durch umsichtiges Vorgehen ohne nennenswerten Mehraufwand mehr Lernen bewirken können – in Grants Fall durch Anreize für zusätzliches Peer Learning.

Teaching-Effekt: Sich gegenseitig Dinge zu erklären, ist besonders lernwirksam.

In diesem Zusammenhang möchte ich nachfolgend zwei Massnahmen exemplarisch herausgreifen: Das Formulieren von Feedback auf möglichst motivierende Weise und das Verwenden von mehrphasigen Leistungsnachweisen. Die beiden Massnahmen hängen insofern zusammen, als sie beide dazu beitragen, dass erteiltes Feedback tatsächlich für weiteres Lernen genutzt wird.

Motivierendes Feedback: Die Wirkung von Rückmeldungen optimieren

Oft investieren Lehrende viel in das Geben von (häufig schriftlichem) Feedback, während es ungewiss bleibt, ob die Studierenden dieses tatsächlich für ihr weiteres Lernen berücksichtigen. Das ist für die Lehrenden nicht effizient. Eine aufwandsneutrale Massnahme, um die Wirkung von Feedback zu erhöhen, besteht in der motivationsförderlichen Gestaltung. Das gilt übrigens auch für Peer Feedback oder Rückmeldungen im Arbeitskontext. Dafür sind drei Elemente zentral:

  1. Hohe Erwartungen haben und sie auch kommunizieren: Die Erwartungen der Lehrenden haben einen erheblichen Einfluss auf die Leistung der Studierenden. Der sogenannte Pygmalion-Effekt (berühmteste Studie: Rosenthal und Jacobson 1968) besagt, dass Studierende desto bessere Leistungen erbringen, je mehr Lehrende ihnen zutrauen. Um den Lernfortschritt zu maximieren, ist es daher entscheidend, dass Feedback hohe Erwartungen kommuniziert – inhaltlich fokussiert auf jeweils zwei bis drei zentrale Aspekte.  Wichtig ist, dass diese Erwartungen mit der Zuversicht verbunden sind, dass die Studierenden sie erfüllen können.
  2. Entwicklungsorientierung: Feedback sollte so gestaltet sein, dass es den Studierenden hilft, ihre eigenen Lernprozesse als etwas zu verstehen, das sie steuern können. Dabei geht es um die Förderung einer Wachstumsorientierung («Growth Mindset»), wie sie von Carol Dweck beschrieben wird. Lob für Anstrengung motiviert Studierende, sich kontinuierlich zu verbessern. (Lob für Talent, Begabung oder Intelligenz hingegen führt dazu, dass Studierende einfachere Aufgaben aussuchen, um ihre Begabung zu beweisen, und sich dadurch weniger weiterentwickeln.)
  3. Beziehungsebene stärken: Feedback ist am wirksamsten, wenn es in einem positiven, wertschätzenden Ton gegeben wird. Dies stärkt die Beziehungsebene zwischen Lehrenden und Studierenden und motiviert letztere, das Feedback konstruktiv zu nutzen. Humor und Freundlichkeit können hier ebenfalls eine Rolle spielen, um eine offene und unterstützende Lernatmosphäre zu schaffen.
Im Buch «Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten» finden sich zahlreiche Hinweise für die effiziente und lernwirksame Gestaltung von Leistungsnachweisen.

Eine wirkungsvolle Möglichkeit, diese drei Aspekte zu kombinieren, sind so genannte Rückmeldungsvideos. Mehr über das Gestalten und die Wirkung von Rückmeldungsvideos erfahren Sie im Buch «Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten»  (Kap. 8.5.3).

Screenshot eines Rückmeldungsvideos (Bild von Tobias Zimmermann)

Mehrphasige Leistungsnachweise: Mehr als Benotung

Ein weiterer effektiver Ansatz zur Verbesserung des Lernprozesses und zur Steigerung der Effizienz von Leistungsrückmeldungen ist der Einsatz von mehrphasigen Leistungsnachweisen. Hier kommen die oben beschriebenen Vorteile von motivationsförderlichen Rückmeldungen ebenfalls gut zur Geltung.

Mehrphasige Leistungsnachweise kombinieren formative und summative Beurteilungen (siehe Grafik). So folgt zuerst mindestens eine Phase, nach der ausschliesslich eine formative Leistungsrückmeldung erfolgt, also ein Feedback, das nur verbal Stärken und Schwächen der bisherigen Lernhandlungen oder des bisher erarbeiteten Lernprodukts rückmeldet. Wichtig ist, dass es auch Hinweise für das weitere Lernen gibt: Welche nächsten Schritte wären besonders wertvoll? Was sollte ggf. nochmals überarbeitet werden? Nach dieser formativen Rückmeldung arbeiten die Studierenden weiter und erhalten  entweder nochmals eine formative Rückmeldung oder eine abschliessende Bewertung (Prädikat oder Note).

Grafik: Mehrphasige Leistungsnachweise (Abbildung von Tobias Zimmermann)

Dieses Vorgehen hat zwei wesentliche Stärken:

  • Erhöhung der Lernwirksamkeit: Durch das kontinuierliche Feedback in den verschiedenen Phasen des Leistungsnachweises können Studierende ihre Lernprozesse besser steuern und reflektieren. Formative Beurteilungen geben ihnen die Möglichkeit, Feedback zu verarbeiten und anzuwenden, bevor eine abschliessende summative Bewertung erfolgt.
  • Fördern hochwertiger Endprodukte: Die Struktur mehrphasiger Leistungsnachweise ermutigt Studierende, qualitativ hochwertige Arbeiten abzuliefern. Da sie wissen, dass eine abschliessende summative Beurteilung erfolgt, nehmen sie das formative Feedback ernster und nutzen es gezielt zur Verbesserung ihrer Leistungen.

Zu beachten ist das Risiko von Rollenkonflikten: Bei mehrphasigen Leistungsnachweisen ist es wichtig, zwischen der fördernden Rolle und der bewertenden Rolle zu unterscheiden. Lehrende sollten bei der abschliessenden Bewertung darauf achten, nicht nur zu bewerten, ob Studierende ihre vorangehenden formativen Rückmeldungen «brav» befolgt haben. Denn Studierende können auch unabhängig von erhaltenem Feedback lernen, und manchmal finden sie sogar bessere Wege, als sie ihnen in den Rückmeldungen vorgeschlagen wurden.

Wirksameres Lernen durch effiziente Beurteilung

Als Lehrende können wir mit einfachen Massnahmen sowohl die Effizienz von Beurteilungen steigern als auch die Lernmotivation und den Lernerfolg der Studierenden. Letzteres nützt nicht nur den Studierenden, sondern reduziert indirekt auch das Auftreten von Komplikationen wie hohen Durchfallquoten, Dropouts oder Protesten gegen unfaire Beurteilungen.

Die motivationsförderliche Gestaltung von Feedback und mehrphasige Leistungsnachweise sind nur zwei von vielen einfachen Massnahmen, mit denen wir Beurteilungsanlässe wirksamer gestalten können – für Lehrende und Lernende. Eine weitere Möglichkeit besteht z.B. in einer intensiven Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden über die Kriterien der Leistungsbeurteilung (siehe Blogbeitrag «Woran mache ich meine Beurteilung fest?»).

INFOBOX

Zahlreiche weitere Anregungen finden sich im folgenden Buch, das sowohl als gedrucktes Buch käuflich als auch kostenlos im Open Access heruntergeladen werden kann:

Zimmermann, Tobias (2024). Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten. Prüfen, Beurteilen und Rückmelden von Lernleistungen. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich. ISBN 978-3-8474-3045-2

Angebote der PH Zürich

- Buchvernissage «Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten». Dienstag, 22. Oktober 2024, 16–17 Uhr, Schloss Au (im Anschluss an die Veranstaltung «Barcamp Assessment»)

- Barcamp Assessment, KI-basierte Ansätze für Beurteilung und Feedback (Kurztagung). Dienstag, 22. Oktober 2024, 8.30–15.30 Uhr, Schloss Au.

Zum Autor

Tobias Zimmermann ist Leiter des Zentrums für Hochschuldidaktik und -entwicklung (ZHE) an der PH Zürich.

Warum in die Ferne schweifen? Bildungsreisen früher – und heute

Folgen Sie der PH Zürich auf Social Media

Text: Simone Heller-Andrist und Anne Bosche

Eine kleine Reise ist genug, um uns die Welt zu erneuern.

Marcel Proust
2019 organisierte die PH Zürich eine Studienreise nach Japan.

Neulich erzählte mir eine Kollegin von ihrer Reise nach Kuba: wie eindrücklich die Gastfreundschaft, wie widersprüchlich die Lebensarten, wie hindernd die Ideologie für den Alltag. Und: Ihre Familie habe die Reise mit Urlaub verwechselt: Da habe es viele Diskussionen gegeben. Reise und Urlaub: was unterscheidet die beiden Aktivitäten?

Man könnte darauf antworten, dass sie sich in ihren Zieldimensionen unterscheiden: Auf der Reise erfahren wir explorativ etwas Anderes, uns Neues. Sind neugierig auf die Vergleiche, wollen überrascht und herausgefordert sein, in den Austausch mit den Menschen und ihren Geschichten an anderen Orten kommen. Es geht um Einlassung in für uns neue Kontexte. Die Reise hat somit den transformativen Charakter, den Proust ihr zuschreibt.

Urlaub wiederum könnte zum Ziel haben, Distanz zum eigenen Kontext zu gewinnen. «Abzuschalten», sich «auszuklinken» – in dieser Entkoppelung in erster Linie Regeneration zu erfahren. Erholung, Genuss, Entspannung assoziieren wir mit dem Begriff.

Hierfür werden Heterotopien in der Ferne konzipiert. Mit Heterotopie bezeichnet Michel Foucault inszenierte Utopien an realen Orten, die alle gewohnten kulturellen Realitäten unserer eigenen Gesellschaft zugleich repräsentieren, infrage stellen und damit untergraben (Foucault 1986, S. 24). Zum Zweck, in der Distanz das Gewohnte nicht missen zu müssen, gibt es «Urlaubskolonien». Wir verbringen in der Ferne eine hürdefreie Zeit und suchen nicht die Herausforderungen, die uns oder unseren Blick auf die Welt verändern könnten. Gemäss Foucault birgt die Künstlichkeit der Heterotopie für aufmerksame Betrachter aber ebenfalls das Potenzial, das Gewohnte zu hinterfragen. So werden die Ziele Erkenntnisgewinn und Erholung oft vereint: In der Ferne suchen wir sowohl unbekannte Kulturgüter als den Genuss lokaler Kulinarik in einem langsameren Takt. Der transformative Charakter der Reise und das «in sich Ruhen» des Urlaubs werden kombiniert. Je geschützter der Rahmen allerdings, so würde man meinen, desto weniger Transformationspotenzial ist vorhanden. Um uns zu verändern, müssen wir uns aussetzen, wenn auch nur gedanklich. Ein Blick in die Geschichte des Reisens und des Urlaubs zeigt eine komplexe Verflechtung der zwei vermeintlich getrennten Prinzipien Erkenntnis und Vergnügen.

Religion, Ruhm und Ehre, Repräsentation und Exotik: Eine Geschichte der Bildungsreise

Die Kombination von Erkenntnissuche und Erholung (unter Seinesgleichen) ist das Produkt einer langen Kulturgeschichte des Reisens, allerdings oft nur privilegierten Mitgliedern – vorerst Männern – privilegierter Gesellschaften vorbehalten. Der Charakter der Bildungsreise ändert sich mit den Zeichen der Zeiten.

Aus der ritterlichen mittelalterlichen Reisetradition, die der religiösen Bildung, der Frömmigkeit durch Besuche von religiösen Stätten im «heiligen Land» bis in die Zeit des Humanismus dienten und Pilgerfahrt, Abenteuer und Erziehung kombinierten, entstand im 16. Jahrhundert die Reiseaktivität zur Erlangung von vera nobilitas – «wahrem Stand». Während die Reisen der Gelehrsamkeit (nobilitas erudita) in ritterlicher Tradition dienten, waren sie nun zusätzlich als soziale Erfahrung konzipiert. Es ging darum, die leblosen Relikte vergangener Zeiten mit den Berichten zeitgenössischer Gelehrten zu verbinden (Freller 2007, S. 10). Die Pilgerreise selbst wurde während der Entwicklung der neuen Bildungsreise als eigene Form weitergeführt.

Im 18. Jahrhundert, der Zeit des Ancien Régime, war die «Kavaliersreise» gleichzeitig Erziehungs- und Erfahrungsreise entlang gesetzter Zentren des Abendlands (Ausgangspunkt London, weisse Stadt Paris, ewige Stadt Rom, Kunst in Florenz, Rückreise über Deutschland, Handelshäfen in Amsterdam, etc.) und der Gesellschaft (europäische Herzogshöfe) als auch Portal zum Eintritt in die «berufliche Welt des Adels». Die jungen Adligen traten die mehrere Jahre dauernde Reise etwa im Alter von 20 Jahren an. Das Absolvieren der «Grand Tour» in Begleitung eines reiseerfahrenen Mentors machte einen jungen Aristokraten zum Mann von Welt, zu einem «honnête homme» (Freller 2007, S. 7). Für die Position als Mentor, der Erzieher, Reiseführer, Vaterfigur und Berater zugleich war, war oft ein Universitätsabschluss als Qualifikation Voraussetzung. Die Studienziele der Tour fokussierten auf Zivil- und Militärwissenschaften, davon insbesondere die «Kavaliersfächer» Rechtswissenschaften, Geschichte (inklusive Genealogie), Mathematik (v.a. auch Geometrie), Architektur (auch Festungswesen) und Geographie.

Bildungsreisen in der Schweiz um 1800

Aber auch im Bereich der Pädagogik waren Bildungsreisen durchaus üblich. Die Schweiz und insbesondere Zürich waren um 1800 ein Zentrum des europäischen Gelehrtennetzwerks (Grube 2017, S. 16). Es war in privilegierten Kreisen üblich, eine Bildungsreise anzutreten, um verschiedene Arten der Erziehung und Bildung kennenzulernen. Darüber hinaus blieb man über Briefkorrespondenzen in regem Austausch und debattierte über zentrale Themen der Aufklärung. Dabei galt nicht das Gebot der harmonischen Verständigung. Vielmehr erzählt die immense Schriftenproduktion von Konflikten – etwa den Zusammenhang von Schulbildung und gesellschaftlicher Sittlichkeit.

So reisten um 1800 etwa zahlreiche Pädagogen nach Yverdon. Dort hatte der berühmte Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) ein Erziehungsinstitut, in dem er sein Erziehungskonzept erprobte, das bis heute unter der Kurzformel «Kopf, Herz und Hand» bekannt ist. Damit gemeint ist eine ganzheitliche Herausbildung von Einsicht, Liebe und Berufskraft. Nur auf diese Weise – so Pestalozzis Überzeugung – können Menschen Vollendung und Sittlichkeit erreichen.

Zu den Bildungsreisenden gehörten unter anderem auch Peter Friedrich Theodor Kawerau (1789-1844) und Johann Wilhelm Mathias Henning (1783-1868) zwei deutsche Pädagogen, die sich an Pestalozzis Institut weiterbilden liessen und so zur Verbreitung seiner innovativen Ideen beitrugen. Sie diskutierten in Briefwechseln rege über dessen Ideen und reflektierten neue Erkenntnisse in Tagebüchern. Diese Dokumente geben uns Einblick in die Gedankenwelt der Gelehrten um 1800 – in Positionierungen, Argumentationen und Konfliktlinien. Und sie lassen uns durch die Reiseberichte Anteil an ihrem Leben haben. Für das vorindustrielle Europa zeugen die Berichte von einer erstaunlichen Mobilität.

Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen
Kinderzeichnung aus der Schweiz, entstanden zwischen 1940 und 1980. Signatur: NLS_521_049
(Sinnbild für die Bildungsreise)

Bildungsreise, Urlaub und Pläsier

Mit der Verbesserung der einheimischen Universitäten, Akademien und Erziehungsinstituten wie dem oben vorgestellten Institut von Pestalozzi ging ein Wandel des Bildungsideals einher – und die Bildungsreisetätigkeit in der ausgedehnten und vorstrukturierten Form kam gegen Ende des 18. Jahrhunderts zum Erliegen. Die Bildungsreise wandelte sich in eine stärker individualisierte Form des Reisens. Ab dem viktorianischen Zeitalter Englands, also im 19. bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts, begab sich die junge adlige Person zum geniesserischen Erleben in die Fremde. Vorbildfunktion hat der englische Adel mit bevorzugter Destination Italien, dem europäischen Ort der klassischen Antike. So rückt «Pläsier» in den Vordergrund: Das Bestaunen historischer Monumente, lokaler Folklore aber auch «Shopping» in Modemetropolen. Moderne touristische Elemente kommen ins Spiel.

Die Bildungsreise war in den vergangenen Jahrhunderten also Privileg der besonderen Art, vor allem zu Beginn nur für Männer «von Rang». Zahlreiche Merkmale der traditionellen Bildungsreise des 18. Jh. lassen sich aber auch in der heutigen Bildungsreise wiedererkennen. Das Format der «Auszeit» und des «Pläsiers», des Urlaubs, entwickelte sich aus den Traditionen des frühen 19. Jahrhunderts und wurde im Verlauf der Zeit auch weniger privilegierten Mitgliedern der Gesellschaft ermöglicht (ob gewerkschaftlich, gesundheitlich oder ökonomisch motiviert est disputandum).

Gesetzliche zwei Wochen Ferien pro Jahr gibt es für Schweizer:innen übrigens erst seit 1966, mindestens vier Wochen seit dem 1. Juli 1984. Die erste Ferienregelung der Schweiz stammt aus dem Jahr 1879 – Ferien für Beamte aus Gründen des Sauerstoffmangels. Arbeiter, die draussen arbeiteten, litten gemäss Argumentation nicht daran. Vorreiterin für individuelle Ferienregelungen für ihr akademisches Personal ist die ETH: Seit 1854 gibt es Regelungen für Erholung und individuelle Weiterbildung. Das Wort «Urlaub» selbst stammt aber von den Sitten des Adels ab: Den Hof eines Adligen konnte man nicht einfach so verlassen, man musste um «Urloup» (Erlaub) bitten, im Alt- oder Mittelhochdeutschen etwa gleichbedeutend mit «Erlaubnis», «Freistellung vom Dienst».

Reisen als transformativer Akt

Auch wenn auf der Reise die Reisenden die einzige Konstante sind, kommen sie als andere zurück. Jede Reise, ob Bildungsreise oder Urlaub, hat potenziell transformativen Charakter. Die bewusste Wahrnehmung eines Anderen, anderer Möglichkeiten im Umgang mit der Welt, der Bildung, des Alltags und der Vergleich des Vertrauten mit dem Neuen, ein Abwägen des Sinns im Anderen und das Potenzial, Sinnvolles zu übernehmen, machen die Transformation aus.

Reisen ist also ein reflektierter Perspektivenwechsel in Bewegung, die Reise der performative Akt der Neugier (vgl. auch Prahl und Steinecke, S. 135). Wir begeben uns aus bekannten in unbekannte Kontexte. So bekommen wir als reflektierte Menschen die Möglichkeit, uns selbst in neuen Kontexten zu erleben: Das Heideggersche «Ins Jetzt Geworfen-Sein» ergänzt sich ums «Ins Sich-Geworfen-Sein»: Wir sind gezwungen, unsere bestehenden Grenzen zu erfahren und wenn nötig zu verschieben. In diesen Verschiebungen, die der neue Kontext uns abverlangt, entsteht das Potenzial persönlicher Veränderung.

Auf gesellschaftlicher Ebene gleichen Reisen grossen Kalibrierungen: provisorische Integrationen in der Fremde basieren auf einer Oszillation zwischen Anpassung und Distanzierung. Wir befinden uns in konstanter Vergleichsarbeit – machen Unterschiede und Gemeinsamkeiten aus und bewerten sie. Mit jeder Bildungsreise tut sich die Möglichkeit eines solchen Selbst- und Vergleichsversuchs auf.

INFOBOX

Angebot der PH Zürich
Die nächste Möglichkeit potenzieller Transformation durch Bildungsreise ist die Studienreise nach Japan im September 2025. Die Reise ist bereits ausgebucht, es wird aber eine Warteliste geführt.

Für 2027 ist eine erneute Studienreise nach Japan geplant. Interessierte dürfen sich gerne bei Mònica Feixas melden: monica.feixas@phzh.ch.

Aufruf: Das Zentrum Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich möchte weitere Bildungsreisen durchführen. Wir nehmen gerne Anregungen wie Reiseziele, Themen für Bildungsreisen, etc. dazu entgegen (via Kommentarfunktion oder per Mail an Simone Heller-Andrist: simone.heller@phzh.ch).

Sammlung Pestalozzianum
In der Sammlung des Pestalozzianums sind zahlreiche Zeitzeugen zu finden:
- Pestalozzis Vermächtnis – Zeitreisen Pestalozzianum
- Von Cholera zu Corona – Zeitreisen Pestalozzianum
- Die Briefe und Tagebücher: Willkommen – Stiftung Pestalozzianum

Mögliche Bilder aus dem Pestalozzianum – darunter auch das oben integrierte
- Schulreise bspw.: Auf der Schulreise – Stiftung Pestalozzianum

Zu den Autorinnen

Simone Heller-Andrist arbeitet am ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich als Studiengangsleiterin, Dozentin und Beraterin. Sie leitet den CAS Hochschuldidaktik Winterstart sowie den CAS Berufsfeldbezug stärken.

Anne Bosche ist Prorektorin Ausbildung an der PH Schaffhausen. Bis Mitte 2024 war sie Geschäftsführerin der Stiftung Pestalozzianum und Projektleiterin «Sammlungen Pestalozzianum»  an der PH Zürich.

Teamlernen stärken

Folgen Sie der PH Zürich auf Social Media

Text: Nina-Cathrin Strauss

In Expertenorganisationen wie Hochschulen und Schulen ist die fachliche Entwicklung der Einzelnen wichtig, um kompetent zu sein und die Anforderungen der jeweiligen Aufgaben zu erfüllen. Zugleich ist das Miteinander ein wichtiges Fundament, um – wenn notwendig – zusammenzuarbeiten. Solche kooperativen Settings in Teams sind in (Hoch-)Schulen eher Regel, statt Ausnahme, wenn man die Strukturen betrachtet. Doch WIE sich die Bearbeitung von Aufgaben in Teams gestaltet und inwiefern hier individuelle Kompetenzen auch als Ressourcen für die Kolleg:innen und das Team genutzt werden oder wie gemeinsam Kompetenzen entwickelt werden, ist eine andere Frage. Nachfolgend werden zwei Faktoren aufgegriffen, die sich als wesentlich für das Teamlernen zeigen: die Aufgaben und die psychologische Sicherheit in (Hochschul)teams.

Aufgaben als Ausgangspunkt

Gemeinsame Aufgaben sind Gelegenheit für Teamlernen. Dabei ist entscheidend, inwiefern Aufgaben die Kompetenzen von verschiedenen Mitgliedern brauchen.

Wenn eine Aufgabe so angelegt ist, dass die Ziele von Teammitglied A und die Ziele von Teammitglied B beide besser erreicht sind, wenn sie kooperieren, dann spricht man von positiv interdependenten Aufgaben im Sinne eines «Better Together». Das Gegenteil wäre negative Interdependenz, also Konkurrenz in Hinblick auf die Ziele der Teammitglieder, die mit der Aufgabe verbunden sind. Ausserdem gibt es den Fall, dass beide Teammitglieder ihre Ziele unabhängig voneinander erreichen im Rahmen von Aufgaben ohne Interdependenz. Teamlernen braucht hingegen Aufgaben, die komplex genug sind und das Teilen von Wissen und Erfahrungen und die kokonstruktive Zusammenarbeit ermöglichen und einfordern (Hertel u. Hüffmeier 2019).

Teamlernen: «Better Together»

Aufgaben in Hochschulen – autonom oder miteinander?

Wenn in der Aus- und Weiterbildung Kurse und Module autonom von Fachpersonen vorbereitet und durchgeführt werden, müssen sich Gelegenheiten für das Lernen miteinander erst ergeben oder gesucht werden, wie folgendes Beispiel zeigt:

«Wir betreuen zusammen Masterarbeiten. Sie [forschungsmethodisch] eher Quali, ich Quanti [ausgerichtet]. Gut! Lernen wir voneinander, wir machen ein Projekt. Und ich finde, das ist so das Schöne und Wichtige. Wenn wir eine gemeinsame geteilte Aufgabe haben und ein Ziel und dann beide über eine gewisse Motivation verfügen, dann passiert das wie von / nicht von selbst, sondern das ist im Auftrag eigentlich wie gratis als Abfallprodukt dabei (lachen).»

Ausschnitt Gruppeninterview mit Hochschulmitarbeitenden

Doch auch die Aufgabe «Modulleitung» kann so angelegt sein, dass unterschiedliche Expertise gebraucht wird, um das Ziel gemeinsam im Sinne eines «Better Together!» zu erreichen.

Bei der Verteilung von Aufgaben liegen in der Waagschale jedoch oft die Effizienz mit Blick auf Anforderungen und Ressourcen einerseits gegenüber der Entwicklung einzelner und dem Lernen als Team andererseits – bzw. das Erledigen einer Aufgabe gegenüber der Kompetenzentwicklung, um Aufgaben auch in Zukunft erfolgreicher zu bewältigen.

  • Wann erleben Sie in ihrem Arbeitsalltag ein «Better Together»?
  • Welche Aufgaben müssen effizient erledigt werden, welche ermöglichen das Lernen im Team?
  • Wie können Sie als Führungsperson oder Teammitglied «echte» Gelegenheiten im Sinne positiv interdependenter Aufgaben für Teamlernen schaffen?

Psychologische Sicherheit als Schlüsselfaktor

Es sind nicht nur die Gelegenheiten für Teamlernen, sondern auch die Rahmenbedingungen, die eine Rolle spielen. Hier ist ein essenzielles Fundament die psychologische Sicherheit. Es ist ein Gefühl des Vertrauens innerhalb des Teams und eine positive Fehlerkultur, in der Teammitglieder sich offen äußern können, Risiken eingehen, Fragen stellen, um Unterstützung bitten und Fehler zugeben, ohne negative Konsequenzen wie Bestrafung oder Demütigung zu befürchten, wie Expertin Amy C. Edmonson hier erläutert. Auch in unseren Befragungen zeigt sich, wie wichtig psychologische Sicherheit für teambasiertes Lernen ist:

«Also am meisten lerne ich von Fehlern. Und ich erzähle auch immer sehr gerne in meinem Team und auch anderen alle Fehler, die ich gemacht habe. Weil ich denke, das ist immer so eine gute Gelegenheit für andere, nicht den gleichen Weg zu gehen, sondern mal vielleicht was anderes auszuprobieren. Und ja, also ich denke, diese Freiheit im Team dann auch die Sachen zu erzählen, wo es nicht geklappt hat, oder? Wenn ich, weiß nicht, versuche vielleicht mich an ein neues Thema anzunähern und ich finde keinen Zugang. Oder, ob ich bei einer Auswertung einen Fehler gemacht habe. […] Und auch wenn ich das Problem trotzdem vorher gelöst habe, erzähle ich das in meinem Team, denn andere könnten genau den gleichen Fehler auch machen.»

Ausschnitt Gruppeninterview mit Hochschulmitarbeitenden

Es geht also weniger um die oft gewünschte und geforderte Wertschätzung, um die Harmonie zu stärken. Psychologische Sicherheit meint eine Arbeitsumgebung, in der Teams durch das Thematisieren von Fehlern oder Scheitern innovativer, kreativer und nachweislich effektiver werden (Edmondson 2021).

Psychologische Sicherheit entwickeln

So eine Teamkultur entsteht nicht von jetzt auf gleich, sondern muss wachsen. Es gibt verschiedene Übungen und Impulse für die Weiterentwicklung psychologischer Sicherheit, wie z.B. in dieser Handreichung von Kolleg:innen der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften und der Berner Fachhochschule.

Die Rolle von Führungspersonen ist wichtig für Teamlernen.

Führungspersonen wie Teamleitungen oder Vorgesetzte sind eine wichtige Ressource, wie Prof. Dr. Mieke Koeslag hier auch in einem Webinar der PH Zürich erläutert hat.

Sie können Anreize schaffen für Teamlernen, in dem sie Aufgaben schaffen und Aufträge vergeben, die Teamlernen ermöglichen. Edmondson (2021) unterscheidet drei Bereiche:

  • Führungspersonen schaffen Voraussetzungen für eine offene Diskussion über Fehler:
    Zum Beispiel zeigen sie dem Team auf, dass Fehler nicht auf Inkompetenzen einzelner zurückzuführen sind, sondern in der Komplexität des Systems liegen.
  • Führungspersonen laden ein zur Teilnahme:
    Zum Beispiel fragen sie aktiv nach und zeigen Neugier und Interesse, ohne die Schuldfrage in den Fokus zu rücken: «Ist diese Woche alles so abgelaufen, wie ihr es euch für eure Studierenden – Schüler:innen, Weiterbildungsteilnehmenden, Kund:innen – gewünscht habt?». Dies ist eine Einladung, um über Ziele nachzudenken und auszutauschen.
  • Führungspersonen reagieren produktiv:
    Zum Beispiel antworten sie respektvoll und wertschätzend denen, die Fehler oder ihr Scheitern teilen, und eröffnen weitere Wege, um Lösungen zu suchen.

Wenngleich Amy C. Edmondson hier Leitungspersonen anspricht, wird doch deutlich, dass psychologische Sicherheit auch stark durch die Mitwirkung der Teammitglieder geprägt ist und die Entwicklung so einer Teamkultur eine gemeinsame Verantwortung ist.

  • Wie sicher fühlen sie sich als Teammitglied, Erfahrungen mit Fehlern oder Grenzen aus ihrem Arbeitsalltag mit dem Team zu teilen? Was denken Sie, wie geht es ihren Kolleg:innen damit?
  • Wie reagieren Sie auf Erfahrungsberichte von anderen, die von Scheitern handeln?
  • Wie sicher sind sie in ihrem Team, Risiken einzugehen?
  • Was müsste passieren, dass sie und ihre Teammitglieder sich sicherer fühlen? Was können Sie und andere in ihrem Team dazu beitragen?
INFOBOX

Projekt «Teams als Lernorte» der PH Zürich
Im Projekt «Teams als Lernorte» geht ein Team der PH Zürich in Kooperation mit Kolleg:innen der Hochschule Luzern und der Fachhochschule Nordwestschweiz dem Phänomen Teamlernen in Hochschulteams nach. Verschiedene Daten werden genutzt, um mehr darüber zu erfahren, wie Teammitglieder voneinander und miteinander lernen. Daraus werden Massnahmen für den Hochschulkontext abgeleitet.

Podcast
Zuletzt erschienen ist die Folge «Schul- und Hochschulteams als Lernorte» der Podcast-Reihe «Resonanzraum Bildung».

In Erarbeitung ist zudem eine Handreichung zur Entwicklung von Teamlernen.

Zur Autorin

Nina-Cathrin Strauss ist Mitarbeiterin im Projekt «Teams als Lernorte» und Dozentin im Zentrum Management und Leadership der PH Zürich. Sie befasst sich mit Führung in Bildungsorganisationen und der Professionalisierung von Führungspersonen und ist u.a. Studiengangsleiterin im DAS Schulleitung und Themenverantwortliche für Teacher Leadership.

Wer ist meine Zielgruppe?

Folgen Sie der PH Zürich auf Social Media

Text: Stefanie Dernbach-Stolz

Zielgruppenorientierung: ein (zu hinterfragendes) Konzept für die Programm- und Angebotsplanung in der Weiterbildung

Schreibt ein Weiterbildungsanbieter einen Kurs mit dem Titel «Pilates in der Schwangerschaft» aus, dann ist klar eingegrenzt, an welche Zielgruppe das Angebot adressiert ist. Bei «Deutsch für Migrant:innen» oder «Make-up/Schminken für die reife Frau» ist weit weniger klar, an welche potentiellen Teilnehmenden sich die Angebote richten. Sogleich stellen sich Fragen: Ab wann ist man eine reife Frau? Oder: An welche Migrant:innen richtet sich der Kurs genau? Reichen doch Migrationserfahrungen von Flucht bis hin zu wohlsituierten Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Karriere migrieren. Dennoch wird wie selbstverständlich von Bildungsarbeit mit Älteren, Migrantinnen, Studierenden, etc. gesprochen (Bremer 2010), obwohl eine differenzierte Perspektive auf die Zielgruppen notwendig wäre.

Was bedeutet Zielgruppenorientierung?

Doch was genau versteht man unter Zielgruppenorientierung und wie grenzt sich diese von den ebenfalls häufig verwendeten Begriffen der Teilnehmenden- oder Adressatenorientierung ab? Ein Blick in die Literatur zeigt, dass sowohl in der Theorie als auch in der Praxis die Begriffe unterschiedlich definiert und teils synonym verwendet werden (v. Hippel 2019). Ein praktikables Verständnis unterscheidet wie folgt zwischen den Begrifflichkeiten:

  • Adressatinnen und Adressaten sind die Personen, die generell durch Erwachsenenbildung erreicht werden sollen.
  • Unter der Zielgruppe versteht man die Adressat:innen, die sich durch gleiche soziodemographische bzw. -strukturelle Merkmale (bspw. Alter, Lebensphase oder berufliche Situation) zusammenfassen lassen.
  • Die Teilnehmenden sind die Personen, die eine Weiterbildung besuchen.
    (Faulstich & Zeuner 1999, v. Hippel 2019)

Das Konzept der Zielgruppenorientierung ist nicht neu, denn bereits seit den 1960er Jahren wurde sich sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis der Erwachsenenbildung verstärkt damit auseinandergesetzt. Bis heute bildet es ein essenzielles Element der Programm- und Angebotsplanung. Die Idee dahinter ist, dass durch die Bildung von Gruppen, wie Ältere, Frauen, Arbeitslose, Migrant: innen, Arbeiter:innen, Eltern, etc. den Bildungsbedürfnissen der Weiterbildungsteilnehmenden besser entsprochen werden kann. Den nach soziodemographischen und soziostrukturellen Merkmalen gebildeten Zielgruppen werden aufgrund ihrer Lebenssituation bestimmte Bedürfnisse und auch Benachteiligungen zugeschrieben, aus denen ein spezifischer Bildungsbedarf definiert wird (Bremer 2010). Die Bildung von Zielgruppen ermöglicht es Weiterbildungsanbietern möglichst passgenaue und bedarfsorientierte Bildungsangebote zu planen.

Quelle: Flickr

Wie die oben aufgeführten Beispiele von Kurstiteln bereits verdeutlichen, können Zielgruppenzuschreibungen den potenziellen Teilnehmenden bzw. deren Bildungsbedürfnissen nur zum Teil gerecht werden. Auch darum, weil diese Zuschreibungen auf äusseren Merkmalen beruhen, von denen nicht auf die innere Haltung und Bildungsaffinitäten der Individuen geschlossen werden kann (Bremer 2010). Dementsprechend können Weiterbildungsanbieter nicht von einer fest definierten Zielgruppe ausgehen, zumal sich die Lebensverhältnisse und auch Bildungsbedürfnisse immer weiter ausdifferenzieren und individualisieren. So lässt sich die Zielgruppe «Ältere» nur schon oberflächlich betrachtet bspw. in Senior:innen mit/ohne Hochschulabschluss oder mit/ohne körperliche Beeinträchtigungen unterteilen, womit unterschiedliche Weiterbildungsbedürfnisse einhergehen.

Milieuorientierte Planung von Weiterbildungsangeboten

Eine differenziertere Betrachtung der Zielgruppen ermöglicht der Ansatz der sozialen Milieus, der weniger sozialdemografische Faktoren berücksichtigt, sondern auf das Alltagshandeln und -einstellungen der Individuen fokussiert. Unter Milieus werden Gruppen von Menschen in vergleichbarer sozialer Lage, Lebensführung und Alltagspraxen verstanden. Sie teilen ähnliche Wertehaltungen, Vorlieben und Einstellungen zur Gesellschaft, Arbeit, etc. (Barth et al. 2018).

Die verschiedenen Milieus, Bremer (2021) unterscheidet bspw. nach oberen, respektablen und unterprivilegierten Milieus, haben mit Blick auf die Teilnahme an Weiterbildung unterschiedliche Motivationen, Bildungspraxen und Zugänge zu Bildung, wie die folgende Tabelle in vereinfachter Form aufzeigt:

Grundmuster der BildungsmotivationBildungspraxis und Zugang zu Bildung
Obere MilieusSelbstverwirklichung und IdentitätSelbstsicher und aktiv suchend
Respektable MilieusNützlichkeit und AnerkennungPragmatische Horizonterweiterung
Teilnahme über soziale Netzwerke
Unterprivilegierte MilieusNotwendigkeit und MithaltenBildung als Bürde Unsicherheit «aufsuchende Bildungsarbeit»
(Quelle: Bremer 2021, verkürzte Darstellung)

Die Motivation zur Teilnahme an, die Erwartungen an und die Zugänge zu Weiterbildung unterscheiden sich je nach Milieuzugehörigkeit. So ergänzt der Ansatz der sozialen Milieus das Konzept der Zielgruppenorientierung durch eine wertvolle Perspektive. Innerhalb einer Zielgruppe wie bspw. den Migrant:innen erfordert es auf das jeweilige Milieu bezogene spezifische Strategien der Ausgestaltung, Ansprache und Bewerbung, die bei der Planung eines Angebotes mit berücksichtigt werden müssen. Möchte man bspw. einen Sprach- oder Bewerbungskurs für eher bildungsungewohnte Migrant:innen anbieten, braucht es einen sehr niederschwelligen Zugang, um die Teilnahme an Weiterbildung zu ermöglichen. Konzepte wie Lernstuben oder die «aufsuchende Bildungsarbeit» bieten eine solche Möglichkeit.

INFOBOX

CAS Weiterbildungsdesign
Die Planung von Weiterbildungsangeboten wird immer anspruchsvoller. Die Ansprüche der Zielgruppen wandeln sich und die Bildungsbedürfnisse der Teilnehmenden werden immer heterogener. Die damit verbundenen, veränderten Lehr- und Lernkonzepte fordern eine diversifiziertere Programm- und Angebotsplanung.
Der CAS Weiterbildungsdesign befähigt Sie dazu, als Fachspezialist:in für Weiterbildungsdesign zeitgemässe und wirksame Bildungsprogramme in der Weiterbildung zu konzipieren. Behandelt werden sowohl grundlegende Anforderungen als auch innovative Tendenzen in der Programmplanung und Konzeptentwicklung. Ein eigenes, von Expert:innen begleitetes Bildungsprojekt ermöglicht es Ihnen zudem, neue Entwicklungen in Ihrem Kontext zu erproben und umzusetzen.
Der Lehrgang startet am 25. September 2024, gerne dürfen Sie sich bis 25. August anmelden. Hier geht es zur Anmeldung.

Infoveranstaltungen zum CAS Weiterbildungsdesign
- Dienstag, 16. Juli 2024, 17–18 Uhr, online
- Mittwoch, 21. August 2024, 17–18 Uhr, online

Einzeln buchbare Module
Oder interessieren Sie sich für spezifische Fragen zur Planung von Weiterbildungsangeboten? Die folgenden Module aus dem CAS Weiterbildungsdesign sind auch einzeln buchbar, vielleicht sind sie von Interesse für Sie:

- Weiterbildungsbeteiligung und Lernen Erwachsener – Förderliche Bedingungen und Barrieren: 23.10.–5.12.2024
- Angebotsentwicklung – Didaktische Gestaltung von Bildungsangeboten: 13.1.–14.3.2025

Zur Autorin

Stefanie Dernbach-Stolz ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Berufs- und Erwachsenenbildung der PH Zürich. Sie ist Co-Leiterin des CAS Weiterbildungsdesign.

Gezielte Hochschuldidaktik für MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik)

Folgen Sie der PH Zürich auf Social Media

Text: Mònica Feixas und Wolfgang Bührer

Kürzlich bei einem Gespräch teilte eine neu berufene Hochschuldozentin für Informatik eine häufige, doch besorgniserregende Erfahrung: «Meine Erstsemester lernen einfach nicht!» Als hochmotivierte, mit Fachwissen aus der Industrie bestens ausgerüstete Dozentin steckte sie viel Zeit in die Vorbereitung ihrer Lehrveranstaltungen. Bei der Überprüfung der Lernergebnisse ihrer Studierenden zeigte sich jedoch ein wenig erfolgreiches Bild. Was könnten die Ursachen für die beschriebenen Lernprobleme der Studierenden sein? Und wie liessen sich Lernmotivation und Lernerfolg der Studierenden steigern?

In einem anderen Fall stand ein Geografie-Dozent vor der Aufgabe, Engineering-Studierenden im Rahmen von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) die Ursachen der aktuellen Klimakrise zu vermitteln. Angesichts der Kombination von inhaltlicher Komplexität und gesellschaftlicher Kontroversen zum Umgang mit Klimafragen fühlte er sich didaktisch herausgefordert: Wie sollte er wissenschaftlich fundierte Informationen vermitteln und zugleich Raum für kritische Diskussionen lassen?

Dies sind zwei Beispiele weit verbreiteter Herausforderungen von Dozierenden im Bereich der MINT-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), bei denen die Komplexität der Lehrinhalte sowie das Bewusstsein für den Lernprozess und den Hintergrund der Studierenden spezifische Lehrstrategien erfordert.

Weshalb eine MINT-orientierte Hochschuldidaktik?

MINT-Fächer unterscheiden sich von anderen Studienbereichen grundsätzlich durch methodische Herangehensweisen, die stark auf Experimentieren, direkten Beobachtungen, kritischer Beweisführung, quantitativer Analyse und empirischen Belegen basieren. Dies erfordert ein solides Verständnis abstrakter und komplexer Konzepte, die z.B. technisch nutzbar gemacht werden sollen. Das spiegelt sich in den Lehr- und Lernaktivitäten wieder: MINT-Fächer greifen in der Regel auf Laborarbeiten, mathematische Problemlösungen und technologische Anwendungen zurück.

Drei Personen beim Lösen einer Technikaufgabe
MINT-Fächer greifen oft auf direkte Beobachtung als Methode zurück.

Deshalb muss die spezifische Didaktik für MINT-Disziplinen über traditionelle Lehrmethoden hinausgehen. Sie benötigt Ansätze, die nicht nur die Fähigkeit der Studierenden fördern, theoretisches Wissen in praktischen Kontexten anzuwenden, sondern auch spezifische methodische Herausforderungen dieser Fächer adressieren. Beispielsweise bieten Laborunterricht und der Flipped Classroom-Ansatz den Studierenden wertvolle praktische Erfahrungen und vertieftes Verständnis. Der Einsatz von Simulationen, Modellierungen und moderner Technologie ist ebenfalls essenziell, um komplexe Systeme zu visualisieren und empirisch zu untersuchen.

Ein besonders wirkungsvoller Ansatz ist das Challenge-based Learning (CBL). CBL fordert Studierende heraus, reale und bedeutungsvolle Probleme zu identifizieren und zu lösen. Dies fördert nicht nur ihre Problemlösungsfähigkeiten und Kreativität, sondern auch ihre Fähigkeit, interdisziplinär zu arbeiten und theoretisches Wissen in konkrete Anwendungen zu überführen. Dabei entwickeln sie auch wichtige Kompetenzen wie Teamarbeit, Kommunikation und kritisches Denken. Die beiden eingangs geschilderten Dozierenden können von solchen spezifischen MINT-didaktischen Ansätzen profitieren.

Präkonzepte und Binnendifferenzierung

Zu den meisten in der Welt beobachtbaren Phänomenen haben Studierende bereits mehr oder weniger korrekte Erklärungen, so genannte Präkonzepte. Im Gespräch mit der eingangs erwähnten Informatikdozentin, deren Erstsemestrige nicht wie von ihr erwartet lernten, zeigte sich: Bisher hatte sie die Präkonzepte ihrer Studierenden, also ihre vorwissenschaftlichen Erklärungen der unterrichteten Konzepte, kaum berücksichtigt. Diese Präkonzepte im Lehrgeschehen aufzunehmen und adäquat strategisch zu bearbeiten, erhöht die Chance auf erfolgreiche Konzeptwechsel (Duit, 1995). So könnte die Dozentin das tatsächlich vorliegende Vorwissen und existierende Präkonzepte konkret erheben und dann mit Hilfe von Konfrontations-, Umdeutungs-, oder Anknüpfungsstrategien bearbeiten, was ebenfalls mit überschaubarem Aufwand zu mehr Lernerfolg führen würde  (vgl. Hopf et al. 2022).

Im Gespräch mit der Informatikdozentin identifizierten wir weitere Punkte, die im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten für eine erste Optimierung ihrer Veranstaltungen Potential boten, den Lernerfolg zu steigern. Zunächst erkannten wir, dass die Kohärenz in ihrer Lehrveranstaltung erhöht werden könnte. Dazu ist das «constructive alignment» (Biggs und Tang (2011) hilfreich, also die gegenseitige Abstimmung von Lernzielen, Lehrmethoden und Leistungsnachweisen.

Im Informatik- oder Mathematikunterricht ist es beispielsweise ineffizient, Zeit mit Problemen zu verbringen, die die Studierenden bereits verstanden haben. Stattdessen sollten sie spezifische Schwierigkeiten identifizieren und die relevanten Konzepte oder Prinzipien benennen. Zudem sollten die Studierenden ihren Programmier- oder Problemlöseprozess klar artikulieren. Weiterhin könnte man der Heterogenität ihrer Studierendenschaft mit an das jeweilige Vorbildungslevel angepassten binnendifferenzierten Aufgaben gut begegnen.

Denk- und Entscheidungsprozesse bewusst machen

Herausforderungen wie die Klimakrise lassen sich als hochkomplexe Probleme verstehen (Cross und Congreve 2022 sprechen von «super-wicked problems»). Die Lehrherausforderungen hängen mit der fachlichen und ethischen Komplexität sowie der moralischen Kontroversität zusammen. Im Umgang mit dieser hohen Komplexität wenden Dozierende gelegentlich einen instrumentalen Lehransatz an, vermitteln also Expertenwissen und/oder versuchen, nachhaltiges Verhalten zu fördern. Für solche gesellschaftlich dringlichen und kontroversen Themen ohne eindeutige Lösung gibt es allerdings keine einfachen Vermittlungsstrategien. Deshalb ist ein instrumentales, auf einzelne Aspekte gerichtetes Vorgehen oft weniger lernwirksam als ein transformativer Ansatz. Ein solcher befähigt Studierende, als kreative und kritische Denker:innen zu agieren, die in der Lage sind, auf die vielschichtigen Herausforderungen unserer Zeit innovativ und reflektiert zu reagieren.

Bild von Studierenden im BNE-Unterricht
Studierende im BNE-Unterricht

Der in der Einleitung geschilderte Geographie-Dozent kann deshalb von Ansätzen wie der Fallarbeit oder dem Challenge-based Learning profitieren. Diese Methoden zielen darauf ab, alternative Handlungswege zu erwägen sowie Denk- und Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen. Auf diese Weise befähigen sie zur Bearbeitung hochkomplexer Probleme. Fachdidaktische Fallarbeit und «Challenge» bedeuten im Kern, über grosse Erzählungen und kleine Geschichten nachzudenken (Pettig und Ohl 2023). Sie sind Unterrichtsalternativen, die Handlungsroutinen durch Verlangsamung und Erkundung aufbrechen.

Diese Ansätze ermöglichen, implizite Denk- und Entscheidungsprozesse bewusst zu machen. Somit werden sie für Anpassungen verfügbar. So wird ein Raum für Resonanz und Dialog eröffnet und die Zusammenarbeit gefördert. Auf diese Weise können grosse Ideen identifiziert, durchdachte Fragen gestellt und Herausforderungen erkannt und gelöst werden. Das Ziel der fachdidaktischen Fallarbeit ist somit die Entwicklung einer «reflexiven Haltung», wie es Schmidt und Wittek (2021) nennen.

Neues Angebot: Hochschuldidaktisches Zertifikat mit MINT-Fokus

Um die MINT-spezifischen Bildungsherausforderungen besser zu adressieren, bieten wir einen neuen CAS-Lehrgang «Hochschuldidaktik MINT» an. Neben Strategien und Methoden zielt dieser Lehrgang darauf ab, MINT-Dozierenden ein profundes Verständnis für die spezifischen Elemente des Designs von Lehr- und Lernprozessen zu vermitteln.

Mit einer Teilnahme an unserem CAS gewinnen die oben genannten Kolleg:innen aus Informatik und Geografie nicht nur tiefgreifende Einblicke in didaktische Fragestellungen. Sie erhalten auch die Gelegenheit, durch wissenschaftsbasierte Methoden ihr Verständnis von Lehren und Lernen individuell und nachhaltig zu erweitern. So können sie ihre didaktischen Fähigkeiten weiterentwickeln und noch lernwirksamer unterrichten.


INFOBOX

Online-Informationsveranstaltungen zum CAS Hochschuldidaktik MINT

Informieren Sie sich über den CAS Hochschuldidaktik MINT und kommen Sie mit den Lehrgangsleitenden Mònica Feixas und Wolfgang Bührer ins Gespräch:

- Infoveranstaltung 1 (12–13 Uhr): 27.6.2024
- Infoveranstaltung 2 (12–13 Uhr): 16.9.2024

Weitere Details und Anmeldeinformationen finden Sie auf unserer Webseite und in unserer Broschüre.

Die folgenden Module aus dem CAS Hochschuldidaktik MINT können auch einzeln gebucht werden:
- Lernziele und Methoden in MINT-Fächern
- Leiten und Begleiten (mit einem Fokus auf MINT-Fächern)
- Assessment, Feedback und Evaluation in MINT-Fächern

Zu den Autor:innen

Mònica Feixas

Mònica Feixas ist Dozentin am Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich und Co-Leiterin des CAS Hochschuldidaktik MINT. Ihre Spezialisierungen liegen im Bereich der Lehrevaluation und in der Förderung des Scholarship of Teaching and Learning (SoTL).

Wolfgang Bührer

Wolfgang Bührer bildet seit 2013 an der Abteilung Sek I der PH Zürich angehende Lehrpersonen in Physik und Physikdidaktik aus und ist Co-Leiter des CAS Hochschuldidaktik MINT.

LINKEDIN
Share
INSTAGRAM