Beitrag von Monique Honegger und Kai Felkendorff
Können beim Begleiten von Masterarbeiten Probleme durch Vorgaben behoben werden? Was ist von solchen Versuchen zu halten? Kontradiktorisch werden Positionen von Dozierenden und Expert*innen sowie Positionen von Schreibdidaktik- sowie Hochschuldidaktik-Expert*innen gezeigt. Dabei stehen folgende Fragen im Fokus:
- Was und wie viel können und sollen wir uns als Expert*innen, als Dozierende sagen lassen, wenn wir Studierende beim Verfassen von Masterarbeiten begleiten?
- Wie erreichen Hochschuldidaktiker*innen und Schreibdidaktik-Expert*innen begleitende Dozierende, um das Begleiten von Masterarbeiten zu optimieren?
Leitfäden und Vorgaben helfen beim Begleiten von Masterarbeiten bedingt
Nicht nur Dozierende, die zum ersten Mal Abschlussarbeiten oder Masterarbeiten begleiten, fühlen sich oft alleine gelassen und gefordert. Obschon zahlreiche Leitfäden und Tipps für Studierende dazu existieren, wie Masterarbeiten verfasst werden sollen, findet sich wenig greifbare Literatur mit Tipps für Dozierende. (Ein beliebter Titel ist Buff-Keller u. Jörissen 2015.)
Im Gegensatz zu Prüfungsreglementen wirken Leitfäden an Hochschulen nicht auf der Reglementsebene. Sie skizzieren Prozess und Produkt, sind weitgehend als Hilfestellungen gemeint. Im Studienalltag hingegen erleben Studierende und Dozierende diese immer wieder als Reglementierungen und handhaben sie entsprechend. In Beratungen von Dozierenden zeigt sich uns Schreibdidaktiker*innen, dass Dozierende diese Leitfäden für Bachelorarbeiten oder einen anderen Leistungsnachweis optimieren möchten. Die Leitfäden sollen zum einen kürzer und straffer werden, zum anderen die Begleitung und Beurteilung optimieren.
Die klassischen Knackpunkte von Leitfäden sind oftmals folgende:
- Leitfäden vermischen vorschreibende Angaben mit solchen, die als unverbindliche Tipps gemeint sind.
- Es finden sich mitunter aus Sicht der wissenschaftlichen Schreibforschung veraltete Auffassungen über Schreib- und Denk-Prozesse.
- Und speziell im Hinblick auf unterschiedliche Disziplinen: „Zuerst planen Sie den Aufbau Ihrer Arbeit, dann formulieren Sie Kapitel für Kapitel durch.“ D.h. der lineare Schreibprozess wird häufig als normaler und anzustrebender Weg dargestellt. Ebenso beinhalten Leitfäden mancherorts die Zitiervorgaben der entsprechenden Institution – dies in umfangreicher Form. Diese Gewichtung riskiert, Denk- oder Schreibprozess-Probleme, sogenannte komplexe hermeneutische Verfahren und Prozesse oftmals an der Zitieroberfläche/Textoberfläche zu inszenieren.
Gegen schreibdidaktischen Imperialismus
Aus Sicht vieler Begleitpersonen von Masterarbeiten riskieren Leitfäden nicht nur, de facto legalistisch zu wirken, obschon sie empfehlend gemeint sein sollen. Nein, es ist viel schlimmer: Manche Leitfäden eignen sich aus dieser Perspektive dazu, das fachlich-forschende Arbeitsbündnis zwischen Studierenden und Dozierenden empfindlich zu stören, durch schreibdidaktischen Imperialismus. Die Begleitung von Masterarbeiten ist aus Sicht dieser Kolleg*innen eben nicht primär – und schon gar nicht ausschliesslich – als Begleitung eines Schreibprozesses beschreib- und optimierbar, sondern zunächst, und vor allem, als Begleitung eines Forschungsprozesses, der auch schriftlich dokumentiert wird. Aus der ebenso richtigen wie banalen Annahme, dass das Schreiben irgendwie überall drin steckt, macht ein schreibdidaktischer Imperialismus, so die Kritik, aus allem ein Schreibbegleitungsproblem. Dessen Lösung wird dann folgerichtig in einer Klärung des schreibdidaktischen Selbstverständnisses der Dozierenden verortet: dem Abschliessen von Schreibfortschrittsprojektverträgen und dergleichen mehr.
Von einem leitfadenkritischen Standpunkt aus scheint ferner die Annahme etwas naiv, dass durch Kontraktualisierung und kleinschrittige Standardisierung Herausforderungen wie das Anwalt-Richter-Dilemma – Betreuende sind zugleich auch Beurteilende von Masterarbeiten – irgendwie in den Griff zu bekommen seien.
Widersprüche fördern Fortschritt und ermuntern zum Weiterdenken
Leitfäden mit reglementarischen Vorgaben sind nicht das Gleiche wie Leitfäden, die den Prozess der Arbeit und des Begleitens darstellen und hierzu Empfehlungen abgeben. Generell empfiehlt es sich, folgende nicht zu beantwortende, aber zu reflektierende Spannungsfelder im Auge zu haben.Unterschiedliche Ansprüche und Rollenverständnisse bei Masterarbeiten: Newcomer als Dozierende etwa haben andere Anliegen als arrivierte Dozierende mit grossem Forschungs- oder Dienstleistungsauftrag und entsprechendem Erfahrungsschatz.
- Leitfäden haben Grenzen: Leitfäden oder Sammlungen von Tipps zu Betreuungsprozessen bilden eine vermeintliche Linearität im Forschungs-/Denk- und Schreibprozess ab, darum funktionieren sie nur begrenzt.
- Experten-Novizen-Beziehung vs. andere: Was machen Hochschuldidaktik, organisationale Steuerungsstellen sowie Schreibdidaktik mit dem fürs hochschulische Lernen zentralen Moment des Experten-Novizen-Verhältnisses? Wie gehen sie mit dem Spannungsfeld Begleiten-Beraten-Beurteilen und dem etablierten Experten-Novizen-Verhältnis um? Wie grenzen sich Hochschuldidaktik und Schreibdidaktik deutlich ab von Forschungsprojektmanagement oder –expertise? Wo gibt es Synergien, die zu nutzen sind?
- Dozierende sind nicht Dozierende: Braucht es eine Typologie von Dozierenden (Forscher*innen und Praktiker*innen/Vielschreibende-Wenigschreibende/…/…) an Hochschulen, um gezielt epistemologisches Wissen der Dozierenden zu Schreib-Denk-Lernprozessen bei Masterarbeiten zu optimieren?
- Hochschuldidaktik und Schreiben-Schlüsselkompetenz-Studium-Fraktion wirken mitunter imperialistisch: Um der Hochschuldidaktik und der Schreibdidaktik eine latente Übergriffswirkung zu ersparen, muss das Spannungsfeld zwischen imperialistischer Wirkung, nötiger Hilfestellung und Anregung zu reflektierendem, hochschuldidaktischem Diskurs im Auge behalten werden.
Monique Honegger ist Senior Teacher und ZFH-Professorin an der PH Zürich. Beratend, forschend, weiterbildend und bildend (Gründerin des Schreibzentrums der PH Zürich, Hochschuldidaktik, Diversity_Gender, Deutschdidaktik).
Kai Felkendorff ist Dozent für Bildung und Erziehung an der Abteilung Sekundarstufe I der PH Zürich mit den Schwerpunkten «Gesellschaft und Bildung» sowie «Inklusive Bildung» und Co-Betreuer von Masterarbeiten.