Wissenschaftliches Schreiben – KI als Ghost, Partner oder Tutor

Text: Alex Rickert

Es gibt inzwischen empirische Evidenz dafür, dass Studierende und Schüler:innen mit KI zwar qualitativ bessere Texte schreiben, dadurch aber weniger Lernen in Bezug auf den Gegenstand im Vergleich zum Schreiben ohne KI (Ju 2023; Süße u. Kobert 2023). Es fragt sich daher, inwiefern der Einsatz von KI beim Schreiben zum Zweck des Lernens sinnvoll ist. Auf welche Weise sollen generative Bots beim Schreiben von Texten zum Einsatz kommen, damit sie den Schreibprozess unterstützen und gleichzeitig das Lernen durch Schreiben fördern? Dieser Frage geht der vorliegende Beitrag nach.

KI fürs Fachlernen nutzen – aber wie?

Ausgehend von einer Heuristik nach Steinhoff (2023) wird von drei Rollen ausgegangen, die eine generative KI beim Schreiben als zusätzlicher «Aktant» nebst der schreibenden Person spielen kann. Diese Rollen sind: Ghostwriter, Writing Partner und Writing Tutor.

  • Als Ghostwriter nimmt ein Large Language Model (LLM) einer Person das Schreiben ab. Eine Person formuliert einen Prompt oder eine interaktive Sequenz von Prompts, die den Schreibauftrag enthält. Der Output der KI wird übernommen und die Person beansprucht die Autorschaft dennoch für sich. Schreibkompetenz reduziert sich auf Prompting-Kompetenz.
  • Als Writing Partner schreibt die KI zusammen mit der Person, die das LLM bewusst und zielorientiert beim Schreiben miteinbezieht, sei es stellenweise, z.B. nur beim Überarbeiten, oder während allen Phasen des Schreibens. Die KI hat die Rolle einer Ko-Autorin. Im Vergleich zur Ghostwriter-Praktik interagiert der Mensch hier dynamisch und bringt sich selbst als Autor ein. Analog zu Ghostwring-Praktiken besteh die Gefahr, Fehlinformationen zu erhalten. Um ein LLM als Writing Partner zu nutzen, bedarf es hoher Lese- und Schreibkompetenzen. Die Person muss in der Lage sein, die Schreibaktivitäten metakognitiv zu steuern und entscheiden können, welche Art von KI-Einbezug zu welchem Zeitpunkt sinnvoll ist.
  • In der Rolle als Writing Tutor unterstütz ein KI-Bot eine Person beim Schreiben, indem er der schreibenden Person als «Quasi-Lehrperson» gegenübertritt. Die Person nimmt das LLM interagierend als Lerner:in in Anspruch.
Welche Rolle nimmt die KI bei der Unterstützung beim Schreiben ein? (Quelle: Adobe Stock)

Implikationen für das wissenschaftliche Schreiben mit KI: ein Diskussionsvorschlag

Im Folgenden werden die KI-Rollen anhand von Beispielen hinsichtlich ihres Potenzials fürs Lernen durch das Schreiben beurteilt. Hierbei wird auf prototypischen Phasen des Schreibprozesses – Planen, Formulieren, Überarbeiten – eingegangen. Die Beurteilung erfolgt anhand einer Ampel-Logik, wobei rot eine kritisch anzusehende, orange und grün eingefärbte KI-Praktiken legitime, aber im Falle des Writing Partners mit Vorsicht einzusetzende Rollen darstellen. Die Begründung zu den Urteilen folgt danach.

PLANENFORMULIERENÜBERARBEITEN
Ghostwriter

– Skizze oder Inhaltsverzeichnis für einen Text generieren (strukturell und inhaltlich) und übernehmen
    – Text ausformulieren lassen auf Basis von Prompts
    – Zusammenfassungen generieren
    – Fazit formulieren
– Text inhaltlich, strukturell, stilistisch und/oder formal revidieren lassen.
Writing Partner

– eigene Ideen weiterentwickeln
– Strukturvorschläge zu definierten Inhalten generieren
– Brainstorming mit integraler Plausibilitäts- und Wahrheitsprüfung
– Hypothesen formulieren aufgrund zuvor festgelegter Variablen
– Reformulieren der Fragestellung
– einen selbst geschriebenen Abschnitt kürzen
– Formulierungs-alternativen generieren
– Text inhaltlich, strukturell, stilistisch und/oder formal revidieren lassen, dabei Überarbeitungen hervorheben lassen und die Eignung der Revisionen selbst überprüfen
Writing Tutor

– Geplante Textstruktur auf Schlüssigkeit prüfen lassen
– Feedback zur Passung der geplanten Inhalte zu einer Fragestellung evaluieren lassen
– Tipps zum Vorgehen bei der Textplanung oder zur Recherche einholen
– Textsortenspezifische Formulierungshilfen erfragen
– Tipps zum Vorgehen beim Formulieren einholen
– Verschiedene Stile aufzeigen
– Rückmeldungen zur Lesefreundlichkeit, Satzlänge und zur Wortwahl einholen
– Feedback zu aufgabenbezogenen Passung von Inhalt, Struktur, Stil und/oder Korrektheit generieren und begründen lassen
– Tipps für die Schlussredaktion einholen
– Überarbeitungsvorschläge priorisieren lassen

The good, the bad and the buddy

Zur Beurteilung der Frage, welche Rolle der KI-Anwendung in welcher Phase des Schreibens lernförderlich und legitim ist, muss zunächst geklärt werden, was epistemisches Schreiben ist oder anders gefragt: Unter welchen Bedingungen ist Schreiben förderlich für das Fachlernen?

Dieser Frage liegt eine Vielzahl von weitverzweigten Theorien und empirische Arbeiten zugrunde, die hier nur sehr verkürzt und unvollständig erläutert werden. Der Nachweis, dass (Fach-)Lernen durch Schreiben erfolgt, wurde vielfach postuliert, theoretisch modelliert sowie empirisch nachgewiesen (z. B. Meta-Analysen von van Dijk et al. 2022; Graham et al. 2020; Bangert-Drowns et al. 2004). Es existieren mehrere Modelle, die die Funktionsweise des Lernens durch Schreiben beschreiben. Das verbreitete Modell von Galbraith und Baaijen (2018) geht davon aus, dass inhaltliche Konzepte als mental verknüpfte semantische Einheiten im Langzeitgedächtnis gespeichert sind. Beim Schreiben greift die schreibende Person auf dieses Repertoire zurück. Um ihr Schreibziel zu erreichen, aktiviert sie die gespeicherten Verknüpfungen in Syntheseprozessen, überprüft diese und fügt gegebenenfalls weitere Ideen aus bereits gespeicherten semantischen Einheiten oder externen neue Quellen hinzu. Im Prozess dieser Wissensaktivierung und -transformation findet Lernen statt.

Aus dieser Perspektive werden die drei KI-Rollen wie folgt eingeschätzt:

  • Ghostwriter: Keine oder minimale Notwendigkeit der Informationstransformation eigener Wissensbestände sowie kognitiver Syntheseprozesse in Bezug auf den Lerngegenstand. KI-Anwendung ersetzt den Lernprozess oder kürzt ihn ab. Prompting-Kompetenzen ersetzen Schreibkompetenzen.
  • Writing Partner: Wissensaktivierung und -transformation ist erforderlich. Die KI-Rolle unterstützt den Lernprozess, sofern die Sinnhaftigkeit und der Zeitpunkt der KI- Anwendung metakognitiv bewusst gesteuert sind sowie die Bereitschaft und die Fähigkeit vorhanden sind, Informationen des Outputs in eigene Wissensbestände zu integrieren und damit eigenes Wissen zu transformieren.
  • Writing Tutor: Wissensaktivierung und -transformation ist erforderlich. Eigene Textproduktion steht im Mittelpunkt. Unterstützung beim (strategischen) Vorgehen durch Instruktionen und Feedback der KI. Die KI-Rolle unterstützt den Lernprozess.

Fazit: Augen auf beim Prompten! 

Die drei KI-Rollen lassen sich nicht immer klar voneinander abgrenzen. Vor allem die Übergängen zwischen der Partner- und der Tutoren-Rolle sind fliessend. Die Heuristik zu diesen KI-Rollen, die in der obigen Tabelle beispielhaft Mensch-Maschine-Interaktionen in verschiedenen Phasen des Schreibprozesses aufführt, verstehen sich als Diskussionsbeitrag, um den sinnvollen und legitimen KI-Einsatz zu planen und zu reflektieren. Das hier angelegte Ampelsystem ist nicht apodiktisch zu verstehen. Auch die Ghostwriter-Rolle kann beim Schreiben unter Umständen lernförderlich sein. Etwa dann, wenn der Output als musterhaftes Beispiel einer Textsorte oder einer Formulierung studiert und dessen Merkmale analysiert werden. Solche Analysen können dabei helfen, Wissen über Textsorten aufzubauen.

Ein absolut zentraler Aspekt bei allen Formen der KI-Anwendung in Wissenskontexten ist der zweifelhafte epistemische Status der KI-Ausgaben. LLMs garantieren aufgrund ihrer Funktionsweise keine verlässlichen Outputs können keine Verantwortung für die Richtigkeit von Informationen übernehmen. Aus diesem Grund sprechen wissenschaftliche Publikationsinstanzen – z.B. Nature – den LLMs eine Autorschaft ab. Jede KI-Ausgabe muss deshalb minutiös daraufhin überprüft werden, ob sie wahr, vollständig, verzerrt und für das eigene Vorhaben relevant und valide ist. Dabei gilt: Je höher das Ausmass an Delegation von Schreibaufgaben an die KI ist, desto höher ist die Notwendigkeit, Informationen zu prüfen. Die KI-Anwendung Ghostwriter macht die Prüfung des Outputs unausweichlich, auch für die Writing-Partner-Rolle ist sie notwendig und für die Writing-Tutor-Anwendung mindestens empfohlen. Diese Prüfverfahren setzen digitale Lesekompetenzen voraus, die als «epistemisch wachsames Lesen» (Philipp 2021; 2023) bezeichnet werden. Verkürzt gesagt, versteht man darunter Fähigkeitenbündel, um die Plausibilität von Aussagen, die Vertrauenswürdigkeit von Quellen, die Kohärenz von Aussagen oder die Entstehung und Interpretation von Daten zu evaluieren. Es sind in erster Linie diese Fähigkeiten, die für das Lernen durch Schreiben mit KI geschult werden müssen und dies mit Vorteil zusammen mit einem Menschen in der Rolle eines Reading Tutors.

INFOBOX

Das Schreibzentrum der PH Zürich bietet Module zum Schreiben an, in denen KI-Aspekte thematisiert werden:

Schreiben begleiten und beurteilen (Start: 17. März 2025)
Wissenschaftliches Schreiben (Start: 23. September 2025)


Auch für literarische Zugänge zum Schreiben finden Sie beim Schreibzentrum Angebote – z.B. das Modul Biografisches Schreiben (Start: 30. April 2025).


Einzelpersonen, Teams und Organisationen bietet das Schreibzentrum Weiterbildungen und Schreibberatungen in Form von Coachings, Kursen oder Workshops an. Kontaktieren Sie uns! schreibzentrum@phzh.ch

Zum Autor

Alex Rickert ist Leiter des Schreibzentrums und ist als Dozent in Weiterbildungsgefässen aktiv. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Textlinguistik, Schreibberatung und -didaktik.

Effiziente Beurteilung: Wertvoll für Dozierende und Studierende

Text: Tobias Zimmermann

Die Nervosität der Studierenden grenzte an Panik. Dem Professor war das nicht recht, denn mit seinem Hinweis, wie schwierig die Schlussprüfung zu seiner Vorlesung ausfallen werde, hatte er sie motivieren wollen – nicht verunsichern. So überlegte er sich, wie er sie wieder etwas beruhigen könnte und bot ihnen für die Prüfung eine Art Joker an. Dieser funktionierte ähnlich wie der Telefonjoker bei «Wer wird Millionär»: Bei der Multiple-Choice-Frage, bei der sie am unsichersten über die richtige Antwort waren, konnten die Studierenden den Namen einer Kommilitonin notieren. Wenn diese in ihrer Prüfung die richtige Antwort gab, kriegten die Joker-Verwender die Antwort ebenfalls als richtig bewertet.

Kleine Massnahme, grosse Wirkung

Bei der Auswertung der Prüfung stellte der Professor zu seiner Überraschung fest, dass der Durchschnitt der Prüfungsresultate gegenüber den Vorjahren markant angestiegen war. Und es lag nicht am Effekt des Jokers, der ja das Resultat um maximal eine richtige Antwort pro Studentin steigern konnte. Vielmehr ging die Leistungssteigerung weit darüber hinaus und zeigte sich auch in den Folgejahren.

Beim Professor handelte es sich um den bekannten Psychologen und Sachbuchautor Adam Grant, der nun natürlich wissen wollte, weshalb diese kleine Massnahme eine so grosse Wirkung hatte (die obige Episode schildert er in seinem lesenswerten Buch «Hidden Potential» ). Dabei fand er heraus: Um den Joker optimal zu nutzen, mussten die Studierenden wissen, wo die Stärken ihrer Kolleginnen und Kollegen liegen. Um das herauszufinden, begannen sie, vermehrt gemeinsam zu studieren, statt allein zu pauken. Nur so konnten sie sich das kollektive Wissen der Gruppe zunutze machen. Dadurch kamen zwei Effekte zum Tragen, welche das Lernen der Studierenden intensivierten und vertieften:

  • Intensivierung: Die Studierenden verbrachten mehr Zeit mit den zu lernenden Inhalten, weil sie neben dem «normalen» Lernen auch noch herausfinden mussten, wer sich womit besonders gut auskennt. Dies erhöhte die Time on Task, die ein zentraler Einflussfaktor für den Lernerfolg ist.
  • Vertiefung: Mindestens ein Teil der Leistungssteigerung dürfte auch dadurch entstanden sein, dass die Studierenden einander beim gemeinsamen Lernen wesentliche Aspekte gegenseitig erklärt haben. So kam der Teaching-Effekt zum Tragen: Jemandem etwas zu erklären, ist zugleich eine der wirksamsten Lernhandlungen. Als Lehrende kennen wir das aus eigener Erfahrung: Man lernt selten mehr über ein Thema, als wenn man dazu unterrichten muss.

Das Erlebnis von Adam Grant zeigt, wie Massnahmen im Umgang mit Leistungsbeurteilung, die Lehrenden nur wenig Aufwand bereiten, grosse Effekte erzielen können. Sie ist für mich symbolisch dafür, dass wir im Umgang mit Beurteilungssituationen durch umsichtiges Vorgehen ohne nennenswerten Mehraufwand mehr Lernen bewirken können – in Grants Fall durch Anreize für zusätzliches Peer Learning.

Teaching-Effekt: Sich gegenseitig Dinge zu erklären, ist besonders lernwirksam.

In diesem Zusammenhang möchte ich nachfolgend zwei Massnahmen exemplarisch herausgreifen: Das Formulieren von Feedback auf möglichst motivierende Weise und das Verwenden von mehrphasigen Leistungsnachweisen. Die beiden Massnahmen hängen insofern zusammen, als sie beide dazu beitragen, dass erteiltes Feedback tatsächlich für weiteres Lernen genutzt wird.

Motivierendes Feedback: Die Wirkung von Rückmeldungen optimieren

Oft investieren Lehrende viel in das Geben von (häufig schriftlichem) Feedback, während es ungewiss bleibt, ob die Studierenden dieses tatsächlich für ihr weiteres Lernen berücksichtigen. Das ist für die Lehrenden nicht effizient. Eine aufwandsneutrale Massnahme, um die Wirkung von Feedback zu erhöhen, besteht in der motivationsförderlichen Gestaltung. Das gilt übrigens auch für Peer Feedback oder Rückmeldungen im Arbeitskontext. Dafür sind drei Elemente zentral:

  1. Hohe Erwartungen haben und sie auch kommunizieren: Die Erwartungen der Lehrenden haben einen erheblichen Einfluss auf die Leistung der Studierenden. Der sogenannte Pygmalion-Effekt (berühmteste Studie: Rosenthal und Jacobson 1968) besagt, dass Studierende desto bessere Leistungen erbringen, je mehr Lehrende ihnen zutrauen. Um den Lernfortschritt zu maximieren, ist es daher entscheidend, dass Feedback hohe Erwartungen kommuniziert – inhaltlich fokussiert auf jeweils zwei bis drei zentrale Aspekte.  Wichtig ist, dass diese Erwartungen mit der Zuversicht verbunden sind, dass die Studierenden sie erfüllen können.
  2. Entwicklungsorientierung: Feedback sollte so gestaltet sein, dass es den Studierenden hilft, ihre eigenen Lernprozesse als etwas zu verstehen, das sie steuern können. Dabei geht es um die Förderung einer Wachstumsorientierung («Growth Mindset»), wie sie von Carol Dweck beschrieben wird. Lob für Anstrengung motiviert Studierende, sich kontinuierlich zu verbessern. (Lob für Talent, Begabung oder Intelligenz hingegen führt dazu, dass Studierende einfachere Aufgaben aussuchen, um ihre Begabung zu beweisen, und sich dadurch weniger weiterentwickeln.)
  3. Beziehungsebene stärken: Feedback ist am wirksamsten, wenn es in einem positiven, wertschätzenden Ton gegeben wird. Dies stärkt die Beziehungsebene zwischen Lehrenden und Studierenden und motiviert letztere, das Feedback konstruktiv zu nutzen. Humor und Freundlichkeit können hier ebenfalls eine Rolle spielen, um eine offene und unterstützende Lernatmosphäre zu schaffen.
Im Buch «Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten» finden sich zahlreiche Hinweise für die effiziente und lernwirksame Gestaltung von Leistungsnachweisen.

Eine wirkungsvolle Möglichkeit, diese drei Aspekte zu kombinieren, sind so genannte Rückmeldungsvideos. Mehr über das Gestalten und die Wirkung von Rückmeldungsvideos erfahren Sie im Buch «Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten»  (Kap. 8.5.3).

Screenshot eines Rückmeldungsvideos (Bild von Tobias Zimmermann)

Mehrphasige Leistungsnachweise: Mehr als Benotung

Ein weiterer effektiver Ansatz zur Verbesserung des Lernprozesses und zur Steigerung der Effizienz von Leistungsrückmeldungen ist der Einsatz von mehrphasigen Leistungsnachweisen. Hier kommen die oben beschriebenen Vorteile von motivationsförderlichen Rückmeldungen ebenfalls gut zur Geltung.

Mehrphasige Leistungsnachweise kombinieren formative und summative Beurteilungen (siehe Grafik). So folgt zuerst mindestens eine Phase, nach der ausschliesslich eine formative Leistungsrückmeldung erfolgt, also ein Feedback, das nur verbal Stärken und Schwächen der bisherigen Lernhandlungen oder des bisher erarbeiteten Lernprodukts rückmeldet. Wichtig ist, dass es auch Hinweise für das weitere Lernen gibt: Welche nächsten Schritte wären besonders wertvoll? Was sollte ggf. nochmals überarbeitet werden? Nach dieser formativen Rückmeldung arbeiten die Studierenden weiter und erhalten  entweder nochmals eine formative Rückmeldung oder eine abschliessende Bewertung (Prädikat oder Note).

Grafik: Mehrphasige Leistungsnachweise (Abbildung von Tobias Zimmermann)

Dieses Vorgehen hat zwei wesentliche Stärken:

  • Erhöhung der Lernwirksamkeit: Durch das kontinuierliche Feedback in den verschiedenen Phasen des Leistungsnachweises können Studierende ihre Lernprozesse besser steuern und reflektieren. Formative Beurteilungen geben ihnen die Möglichkeit, Feedback zu verarbeiten und anzuwenden, bevor eine abschliessende summative Bewertung erfolgt.
  • Fördern hochwertiger Endprodukte: Die Struktur mehrphasiger Leistungsnachweise ermutigt Studierende, qualitativ hochwertige Arbeiten abzuliefern. Da sie wissen, dass eine abschliessende summative Beurteilung erfolgt, nehmen sie das formative Feedback ernster und nutzen es gezielt zur Verbesserung ihrer Leistungen.

Zu beachten ist das Risiko von Rollenkonflikten: Bei mehrphasigen Leistungsnachweisen ist es wichtig, zwischen der fördernden Rolle und der bewertenden Rolle zu unterscheiden. Lehrende sollten bei der abschliessenden Bewertung darauf achten, nicht nur zu bewerten, ob Studierende ihre vorangehenden formativen Rückmeldungen «brav» befolgt haben. Denn Studierende können auch unabhängig von erhaltenem Feedback lernen, und manchmal finden sie sogar bessere Wege, als sie ihnen in den Rückmeldungen vorgeschlagen wurden.

Wirksameres Lernen durch effiziente Beurteilung

Als Lehrende können wir mit einfachen Massnahmen sowohl die Effizienz von Beurteilungen steigern als auch die Lernmotivation und den Lernerfolg der Studierenden. Letzteres nützt nicht nur den Studierenden, sondern reduziert indirekt auch das Auftreten von Komplikationen wie hohen Durchfallquoten, Dropouts oder Protesten gegen unfaire Beurteilungen.

Die motivationsförderliche Gestaltung von Feedback und mehrphasige Leistungsnachweise sind nur zwei von vielen einfachen Massnahmen, mit denen wir Beurteilungsanlässe wirksamer gestalten können – für Lehrende und Lernende. Eine weitere Möglichkeit besteht z.B. in einer intensiven Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden über die Kriterien der Leistungsbeurteilung (siehe Blogbeitrag «Woran mache ich meine Beurteilung fest?»).

INFOBOX

Zahlreiche weitere Anregungen finden sich im folgenden Buch, das sowohl als gedrucktes Buch käuflich als auch kostenlos im Open Access heruntergeladen werden kann:

Zimmermann, Tobias (2024). Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten. Prüfen, Beurteilen und Rückmelden von Lernleistungen. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich. ISBN 978-3-8474-3045-2

Angebote der PH Zürich

- Buchvernissage «Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten». Dienstag, 22. Oktober 2024, 16–17 Uhr, Schloss Au (im Anschluss an die Veranstaltung «Barcamp Assessment»)

- Barcamp Assessment, KI-basierte Ansätze für Beurteilung und Feedback (Kurztagung). Dienstag, 22. Oktober 2024, 8.30–15.30 Uhr, Schloss Au.

Zum Autor

Tobias Zimmermann ist Leiter des Zentrums für Hochschuldidaktik und -entwicklung (ZHE) an der PH Zürich.

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