Text: Maik Philipp, Alex Rickert, Yves Furer und Daniel Ammann
Positionspapier zum wissenschaftlichen Schreiben in Zeiten von künstlicher Intelligenz
Dieses Positionspapier des Schreibzentrums der PHZH setzt sich mit zentralen Herausforderungen auseinander, die sich für Hochschulen in Zeiten von künstlicher Intelligenz (KI) im Kontext des Lernens und des Verfassens schriftlicher Arbeiten ergeben.
Wie an anderen Hochschulen nutzen auch Studierende der PHZH generative KI für das Schreiben ihrer Texte. Studien aus Deutschland (Helm u. Hesse 2024), Schweden (Stöhr, Ou u. Malmström 2024), Australien (Kelly, Sullivan u. Strampel 2023) oder den USA (Dang u. Wang 2024) belegen die intensive KI-Nutzung von Studierenden. Die deutsche Studie zeigt, dass zumindest ein Teil der Studierenden KI auf eine Weise einsetzt, die problematisch erscheint – etwa zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit.
Diese Entwicklung zwingt Hochschulen, sich Fragen zur Funktion und zum Stellenwert des Schreibens zu stellen, sei es für das Lernen, das Verfassen von Leistungsnachweisen oder in Prüfungen. Das Schreibzentrum äussert sich dazu aus epistemologischer und lernbezogener Perspektive. Die Fähigkeit, im Umgang mit Texten analytisch und kritisch zu denken, gewinnt in komplexer werdenden Wissensgesellschaften zusehends an Bedeutung. Künstliche Intelligenz nimmt mündigen Personen diese Aufgabe nicht ab, sondern fordert diese ein und heraus. Das Schreibzentrum positioniert sich mit zwei Thesen zur Nutzung von KI für das Schreiben an der Hochschule, um die Notwendigkeit des reflektierten Einsatzes zu betonen. Die erste These bezieht sich auf die Systemebene der Wissenschaft, die zweite betrifft die Personenebene und die Einsatzgebiete generativer KI. Die Thesen werden exemplarisch von Vignetten flankiert.

These 1: KI ist keine verlässliche Wissensquelle, weil sie keine Expertise hat. Wissen wird von Expert:innen hergestellt und über epistemisch vertrauenswürdige Quellen verbreitet. Wissensproduktion folgt anerkannten und transparenten Regeln – es ist unklar, ob KI das tut.
Vignetten:
- Student A übernimmt eine automatisch generierte Definition aus ChatGPT, die plausibel klingt, und sucht via Elicit eine Quelle, die dazu passt.
- Student B sucht nach unterschiedlichen Definitionen in der Fachliteratur, die er mit Hilfe von KI-Recherchetools gefunden hat, vergleicht die Definitionen miteinander und entscheidet sich unter Angabe von Gründen für eine Variante.
In Wissensgesellschaften sind wir darauf angewiesen, dass Erkenntnisse jedweder Art auf nachvollziehbare Weise entstanden sind. Die Komplexität der Wissensherstellung bringt ein hohes Mass an Expertise und Spezialisierung mit sich. Darauf baut die Wissenschaft, indem sie erkennbare Expertise in einem Fachgebiet als Indikator dafür nutzt, dass sich andere Mitglieder der Gesellschaft auf die Aussagen verlassen können (Chinn, Barzilai u. Duncan 2021).
- Darum beschreiben Wissenschaftler:innen ihre Methoden genau und belegen, auf welche Quellen sie sich stützen.
- Darum gibt es Qualitätssicherungsmechanismen, indem etwa Beiträge in Fachzeitschriften von anderen Expert:innen begutachtet werden.
- Darum lassen sich wissenschaftliche Quellen zumindest annäherungsweise daran erkennen, dass sie von fachlich qualifizierten Personen für ihre Fachcommunitys verfasst werden, um darin ihre Erkenntnisse zu verbreiten.
- Darum ist es keineswegs trivial, auf welche Quellen sich Studierende stützen. Eine angemessene Quellenkritik und -auswahl wird zusehends wichtiger.
Funktionsweise und Datengrundlage generativer Large-Language-Models bleiben teils Betriebsgeheimnis, deshalb lässt sich kaum nachvollziehen, welche Quellen den KI-Outputs zugrunde liegen und wie die Aussagen zustande kommen. Stil und Textoberfläche der Outputs dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich darin inhaltlich Falsches, Fragwürdiges, Verkürztes, Tendenziöses verbirgt.
These 2: KI soll das Lernen durch Schreiben unterstützen und nicht verhindern. Schreiben ist nachweislich ein effektives Instrument für das Lernen. Dafür sollte es auch genutzt werden.
Vignetten:
- Studentin A füttert Claude.ai mit Fragestellung, Theorie- und Ergebnisteil ihrer Bachelorarbeit und lässt den Diskussionsteil von der KI generieren.
- Studentin B formuliert ihren Diskussionsteil selbst, indem sie die Ergebnisse auf die Fragestellung bezieht und diese mit Modellen und Studien aus dem Theorieteil abgleicht und einordnet.
KI-Tools sind auf Schnelligkeit und Aufgabenerledigung ausgerichtet. Das macht sie attraktiv. Deshalb ist wichtig, dass diese Systeme reflektiert und eigenverantwortlich genutzt werden. Dies bedeutet: Die Tools kommen dort sinnvoll zum Einsatz, wo sie das Lernen durch Schreiben unterstützen und es nicht verhindern – etwa bei der Quellenrecherche, der Datenstrukturierung, beim Generieren inhaltlicher Impulse und Ideen, für Feedback oder bei der stilistischen und orthografischen Überarbeitung. Lese- und schreibbezogenen Aktivitäten, die auf das Denken höherer Ordnung – das Anwenden, Analysieren, kritische Evaluieren und Kreieren (List u. Sun 2023; Philipp in Druck; Philipp 2022) – abzielen, sollten jedoch nicht an eine KI delegiert werden. Solche Schreibpraktiken sind kognitiv herausfordernd, aber für die Entwicklung von Fachexpertise unverzichtbar. Die Fähigkeiten zum Denken höherer Ordnung durch Lesen und Schreiben entwickeln sich in der kleinschrittigen Auseinandersetzung mit Texten. Sie führen dazu, dass tief, flexibel und kritisch über Gegenstände eines Fachs nachgedacht wird. Aufgrund ihres transformierenden Anforderungscharakters erfordern sie Genauigkeit in Analyse und Evaluation und deshalb Langsamkeit (Chen 2019).
Auch bei Arbeiten mit KI, die auf fremden Texten basieren, zum Beispiel beim automatischen Zusammenfassen, ist es notwendig, Output, Prompt und Ursprungstexte miteinander zu vergleichen. Denn häufig gilt es, unterschiedliche Texte aus mehreren Quellen im eigenen Text zu integrieren. Integrieren bedeutet, die verschiedenen Aussagen sinnvoll aufeinander zu beziehen und deren Perspektiven zu erkennen und zu kombinieren. Diese Mehrperspektivität und die qualitativen Unterschiede von Aussagen zu erfassen und nachzuvollziehen, zeichnet den Wissensaufbau und die gedankliche Eigenleistung beim Lernen und bei Prüfungen aus (Kuhn 2020). Dafür braucht es die Fähigkeit, Bezüge zwischen Themen aktiv herzustellen, insbesondere wenn Autor:innen nicht das gleiche Vokabular verwenden. Solche Verstehensleistungen verlangen ein genaues Lesen (Britt u. Rouet 2012). Dies gilt auch und insbesondere für die Nutzung KI-generierter Textangebote: Geben die Chatbots angemessen wieder, was in den verwendeten Quellen steht – und passt der Prompt überhaupt zu den Texten? Darum wird es in der Regel nötig sein, genau zu lesen und den Output anzupassen. Anders gesagt: Die Zeit, die man beim Schreiben spart, ist gut im Lesen und Überarbeiten reinvestiert.
INFOBOX
Das Angebot der PH Zürich zum Schreiben und Schreiben mit KI umfasst Weiterbildungen, Dienstleistungen und Beratungen.
MEHR ZU WISSENSCHAFTLICHEM SCHREIBEN UND SCHREIBEN MIT KI
Das Schreibzentrum der PH Zürich bietet Unterstützung beim wissenschaftlichen Schreiben und Schreiben mit KI sowie spezifische weitere Informationen zu Schreiben mit KI.
MODULE
Schreiben begleiten und beurteilen, ab 17. März, Campus PH Zürich
Wissenschaftliches Schreiben, ab 23. September, Campus PH Zürich
SCHREIBBERATUNG
Mittels Schreibberatungen für Personen und Teams hilft das Schreibzentrum der PH Zürich, Schreibkompetenzen weiterzuentwickeln und Texte zu optimieren.
LITERATUR
- Philipp, Maik. 2025 Digitales Lesen fördern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
- Philipp, Maik. 2025. Lesen digital: Komponenten und Prozesse einer sich wandelnden Kompetenz. Weinheim: Beltz Juventa.
Zu den Autoren

Alex Rickert ist Leiter des Schreibzentrums der PH Zürich und ist als Dozent in Weiterbildungsgefässen aktiv. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Textlinguistik, Schreibberatung und -didaktik.

Maik Philipp ist Professor für Deutschdidaktik an der PH Zürich. Seine Schwerpunkte sind Lese- und Schreibförderung mit Fokus auf Evidenzbasierung.