Heute keine Mittagspause! – Wie Medien Stress beeinflussen können

Beitrag von Peter Holzwarth

Häufig ist es mehrmals pro Tag fünf vor zwölf.

Teamsitzung am Mittag um 12 Uhr dann können die meisten. Danach ein Kurs, Mails beantworten in der Nacht. Die Überarbeitung des Konzepts ist fürs Wochenende geplant. Sport fällt aus, Ausschlafen liegt nicht drin. Das Resultat: jede Menge Stress. Und das, obschon der hohe Stresslevel in Industrieländern schon lange beklagt wird und die Ursachen keine Unbekannten sind. Stress erleben wir sowohl im Arbeitskontext als auch im privaten Bereich (Flexibilisierung, Beschleunigung, Zeitdruck, Mehrfachbelastung, Konkurrenzdruck, ungeklärte Sinnfragen). Krankmachender Stress ist zu einem zentralen, volkswirtschaftlich relevanten Problem geworden. Auch die moderne Medienkommunikation trägt ihren Teil dazu bei. Welche medialen Faktoren beeinflussen den Stress bei der Arbeit und in der Freizeit? Und wie lässt sich das eigene Medienhandeln gestalten, damit weniger belastender Stress entsteht?

Die Arbeit ist überall mit dabei

Es ist wichtig, das Phänomen Stress (vgl. Fachteam Gesundheitswissenschaften 2018, PH Zürich) umfassend in den Blick zu nehmen – nicht nur auf der individuellen Ebene, sondern auch im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen. Im Folgenden stehen die gesellschaftlichen Entwicklungen im Zusammenhang mit Medien im Fokus. Die Rolle, die Medien im Zusammenhang mit Stress spielen, sollte man sehr ernst nehmen, auch wenn einige aktuellere Publikation auf einen Diskurs verweisen, der von Dramatisierung und Sensationslust gekennzeichnet ist, z. B. «Digitale Depression» (Diefenbach & Ullrich 2016), «Digitaler Burnout» (Markowetz 2015) und «Digitale Demenz» (Spitzer 2015).

In ihrem Buch «ON-OFF. Risks and Rewards of the Anytime-Anywhere Internet» zitiert Genner eine Stressstudie aus Deutschland, in der bei den Stressquellen Informationsüberflutung und andauerndes Verbundensein an zweiter Stelle genannt werden, direkt nach Zeitdruck (Genner 2017, 94).

Stress im Alltag
Unterwegs auf Bahnhöfen zur Rushhour – die Arbeit reist selbstverständlich auf dem Handy oder dem PC mit.

Durch mobile Geräte und mobiles Internet können die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit nicht mehr so klar aufrechterhalten werden wie früher. Vorteile können darin bestehen, dass von zu Hause aus, im Zug oder in Cafés gearbeitet werden kann. Der Nachteil ist, dass eine für Regenrationsprozesse wichtige Abgrenzung nicht mehr so leicht erreicht wird. Im schlimmsten Fall beschäftigt einen die Arbeit auch am Feierabend, an Wochenenden und in den Ferien. Im wahrsten Sinne des Wortes trägt so manch eine/r die Arbeit jederzeit in Form eines mobilen Geräts mit sich in der Tasche herum.

Viele Arbeiten werden nicht zu Ende geführt

Während der Arbeit wird die Tätigkeit sehr oft durch Emails und sonstige Benachrichtigungen unterbrochen (vgl. Kullmann 2015): Arbeitnehmer fangen im Schnitt alle elf Minuten etwas Neues an, viele Arbeitsvorgänge werden nicht zu Ende geführt, weil sie von Mails, Anrufen oder Kollegen unterbrochen werden (vgl. Blog-Beitrag «Mehr Konzentration bitte!»). Kullmann drückt es so aus: «Über 50 Prozent eines Arbeitstages: wieder nur herumgewurschtelt. (…) «Mind-Wandering», wandernder Geist, nennen Psychologen das Phänomen: wenn man gedanklich nicht bei dem ist, was man gerade macht. Und es scheint, als sei der wandernde Geist kein besonders glücklicher» (Kullmann 2015, 105).

Stress durch engen Fahrplan
Im eigenen Fahrplan kommt es oft zu Verspätungen und viele angefangene Arbeiten werden nicht zu Ende geführt.

Eine weitere Ursache für Stress können medial kommunizierte Schönheitsideale und sexuelle Normen darstellen: «Porno-Stress» war der Name einer Fachtagung, die an der PH Zürich durchgeführt wurde. Es ging unter anderem um die Frage, wie Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit dem Druck umgehen, der durch Schönheitsnormen, stereotype Rollenbilder und normativ wahrgenommene sexuelle Aktivitäten in Pornofilmen entstehen kann. Hier stellen sich sowohl gesundheitsbezogene als auch ethische Fragen.

Auch in der Freizeit laufen viele Medienaktivitäten parallel zu anderen Handlungen im Hintergrund, z. B. Handynutzung während des Essens, Handynutzung während eines Gesprächs mit anderen Menschen, Handynutzung während des Fernsehens («Second Screen»). Ein potenzielles Problem bzw. ein Auslöser für Stress in der Freizeit können auch häufige soziale Vergleiche auf Social Media sein («FOMO – Fear of missing out»).

In diesem Kontext kann der Begriff «Glücksstress», den der Philosoph Wilhelm Schmid geprägt hat, eingeordnet werden (Schmid 2012, 64). Durch das Betrachten von Bildern anderer auf Social Media, die selektiv nur die schönsten Freizeit- und Urlaubsmomente zeigen, kann ein negatives Gefühl entstehen. Betrachterinnen und Betrachter, die sich im Vergleich als weniger glücklich wahrnehmen, können sich motiviert fühlen, mehr für ihr Glück tun zu müssen, was Druck und Stress erzeugen kann.

Ein kritisch-humorvoller Instagram-Beitrag bringt es folgendermassen zum Ausdruck: «Instagram: everyone is on vacation and having sex without you» (freeart.humaity, 6.5.2019).

Hinweise zum Umgang mit Stress

Der Umgang mit Stress und Belastung – nicht nur im Zusammenhang mit Medien – ist sehr individuell. Entsprechend gibt es auch nicht die eine hilfreiche Strategie. Im Folgenden sind deshalb einfach ein paar Ideen und Anregungen skizziert, die als Inspiration bzw. als eine Art Checkliste genutzt werden können.

  • Nein-Sagen üben und kultivieren
  • Nicht an alle zu erledigenden Dinge auf einmal denken
  • «Count your daily blessings»: Jeden Tag drei bis fünf Dinge notieren, die einem Freude gemacht haben oder die gelungen sind (zur Vermeidung der Fokussierung auf das Negative und Nicht-Gelungene)
  • Täglich eine Lichtdosis nehmen (Spaziergang im Licht – auch bei Wolken)
  • Positive Körpererfahrungen pflegen (Sauna, Massage, Wellness, Spaziergänge, Berührungen, Sexualität, Wannenbad etc.)
  • Urlaub bewusst gestalten (vgl. Steiner 2005), z. B. Urlaub ohne Besichtigungsdruck; Urlaub, bei dem man nicht immer neue Unterkünfte suchen muss
  • To-do-Liste führen, damit noch zu erledigende Dinge fixiert sind und einem nicht mehr durch den Kopf gehen
  • Soziale Kontakte pflegen (z. B. Mittagessen mit Arbeitskollegen statt Sandwich vor dem Computer)
  • Bewusste Abgrenzung gegenüber Störungen ermöglichen (z. B. phasenweise zu Hause arbeiten, Kopfhörer tragen, Absprachen treffen in Bezug auf Gespräche im Büro)
  • Dysfunktionale Gedanken / Glaubenssätze reflektieren und ersetzen (statt «Ich muss immer perfekt sein.» – «Ich darf auch mal Pause machen.»)
  • Erreichbarkeit bei der Arbeit besprechen und dosieren (Genner & Süess 2014; Holzwarth 2018)
  • Notizbuch neben das Bett legen (Gedanken, die einem am Einschlafen hindern, können fixiert werden.)
  • Medien effektiv zur Arbeitsorganisation nutzen (z. B. Ablagesystem, Skype, Doodle, Google Docs)
  • «E-Mail-Öffnungszeiten» praktizieren (nur zu bestimmten, definierten Zeiten E-Mails bearbeiten, um nicht immer andere Arbeit zu unterbrechen (Eggler 2016)
  • Kosten und Nutzen von Social-Media-Präsenz abwägen
  • Durch effizientes Telefonat unnötige E-Mail-Kette vermeiden
  • Betreffzeile im E-Mail für zentrale Informationen nutzen
  • Alleinsein ohne Ablenkung durch Geräte bewusst kultivieren (Turkle 2011), z. B. um das produktive Schweifen der Gedanken zu ermöglichen
INFOBOX

Spezifisch für Hochschuldozierende und Lehrpersonen der Sekundarstufe 2 empfehlen wir den Kurs Selbstmanagement für Lehrende an Berufs- und Hochschulen. Kursleiterin Anita Graf hat in unserem Blog auch schon zum Thema Selbstmanagement geschrieben.

Zum Autor

Peter Holzwarth

Peter Holzwarth ist Dozent für Medienpädagogik an der PH Zürich. Er leitet das Fachteam Medienpädagogik, arbeitet im Digital Learning (DLE) und in der Abteilung Internationale Bildungsentwicklung (IB). Ausserdem ist er Berater bei der Stelle für Personalfragen (SteP). 

Redaktion: Martina Meienberg

Lehrpersonen sind schwer zu führen – Ein Problemaufriss

Beitrag von Hans-Peter Karrer und Geri Thomann

Der Umgang mit Lehrpersonen und Dozierenden ist generell schwierig. So lautet eine gängige Klage. Denn Lehrer und Dozentinnen sind Könige und Königinnen: Kaum schliessen sie die Tür ihres Unterrichtsraums, handeln sie autonom, nur ihren eigenen Werten und den jeweiligen Lernenden verpflichtet. Auch vernimmt man: Teamarbeit ist bei Lehrpersonen und Dozierenden unbeliebt, Weisungen von oben befolgen sie nur ungern. Sie interpretieren sie nach eigenem Gutdünken oder ignorieren sie einfach. Sie reagieren aber äusserst empfindlich, wenn sie nicht bei allen Entscheiden explizit einbezogen werden, heisst es. Kurz: Führungsaufgaben in Schulen jeglicher Stufe gelten als anspruchsvolle Tätigkeit.

Führung von Lehrpersonen ist anspruchsvoll.
Lehrpersonen und Dozierende sind freiheitsliebend und handeln gerne autonom.

Schulen und Hochschulen sind Expertenorganisationen

Das oben skizzierte Bild mag überzeichnet sein. Es ist einseitig genährt durch viele Beratungsgespräche mit Führungsverantwortlichen an Schulen, die in einem geschützten Rahmen Problemsituationen schildern. In der Literatur gelten Führungsrollen an Schulen zwar ebenfalls als komplexe Aufgabe, der Fokus verschiebt sich dabei aber weg von den «schwierigen» Lehrpersonen und Dozierenden hin zu einer anderen Betrachtungsweise: Schulen sind Expertenorganisationen. Expertenorganisationen zeichnen sich durch Mitarbeitende aus, die hoch qualifizierte Spezialisten und Spezialistinnen sind und in ihrem Fachbereich möglichst autonom arbeiten wollen. Sie verfügen folglich über eine gewisse  Durchsetzungsfähigkeit. Auch ihr Beharrungsvermögen ist nicht zu unterschätzen.  Nur mit überzeugenden Argumenten lassen sie sich in eine bestimmte Richtung bewegen. Widerstand gegen Entscheidungen von aussen ist Programm. Experten und Expertinnen sehen sich eher ihrer jeweiligen Profession verpflichtet als ihrer Organisation.  Karriere und Laufbahnen werden tendenziell in Bezug auf ihre Profession definiert. Das macht Experten und Expertinnen weniger abhängig von ihrer Institution.

Expertise ist wichtiger als Leitung

Inhaltliche Fachexpertise verfügt traditionsgemäss über einen höheren Status als Führungs- oder Managementexpertise, sie repräsentiert sozusagen das «Kapital der Organisation». Führungsentscheidungen werden bei Experten deshalb ambivalent bis skeptisch wahrgenommen. Partizipation an Entscheidungen gehört zur organisationalen Kultur in Expertenorganisationen. Gleichzeitig ist nicht selten latent eine subtile fachliche Konkurrenz allgegenwärtig.

Die Anforderungen an eine zunehmende Spezialisierung auf Seiten der Experten lassen häufig Organisationsstrukturen entstehen, welche nach fachlichen Profilen aufgebaut sind. Dies führt wiederum zu einem wachsenden Integrationsbedarf auf der gesamten Organisationsebene. Die Verknüpfungen, die notwendig sind, damit eine Organisation funktioniert, sind äusserst anspruchsvoll.

Schliesslich sollten sich auch staatliche Expertenorganisationen zunehmend kostenbewusst oder sogar unternehmerisch verhalten. Andererseits wirkt aber auch das Spannungsfeld zwischen dem staatlichen Geldgeber (meist in der Form einer Verwaltungsstruktur) und der strategischen und operativen Führung. Die Führung ist an bürokratische Vorgaben und Prozesse gebunden und damit in der Umsetzung von kostenbewussten Handeln sehr eingeschränkt Das unternehmerische Handeln wird durch bürokratische Vorgaben unterlaufen.

Lehrpersonen führen
Wer Lehrpersonen und Dozierende führt, befindet sich oft auf einem schmalen Pfad.

Führung und Expertise – ein Spannungsfeld

Das Spannungsfeld zwischen Management und Expertise kann nicht aufgelöst werden. Es kann lediglich ein Umgang gefunden werden, der für die Institution und seine Ziele förderlich ist. Für die Führungspersonen – aber auch für die Experten und Expertinnen – können sich dabei unter anderem folgende Fragen stellen:

  • Inwiefern müssen Führungskräfte in Bildungsorganisationen zu ihrer Legitimation über einen so genannten Berufsfeldbezug verfügen? Wie führt man Experten ohne eigene Expertise im selben Fachbereich?
  • Wie hoch ist der Status der Führung in Expertenorganisationen? Wie viel inhaltliche Erfahrung oder aktuelles Fachwissen brauchen Führungskräfte, um als Leitung akzeptiert zu werden?
  • Können Managementkompetenzen Fachkompetenzen ersetzen, kompensieren oder ergänzen? Wie steht es mit der Führungskompetenz als Expertise?
  • Stimmt die Hypothese der (latenten) Konkurrenz zwischen Führungspersonen und Expertinnen/Experten? Was heisst das für das Führungshandeln?
  • Wie ist die Sicht der Geführten «im Sandwich» zwischen Expertise und Management? Handelt es sich dabei um ein Dilemma oder lediglich um ein Spanungsfeld?
  • Wie lässt sich autonomes Handeln von Experten steuern? Wie reagieren Expertinnen und Experten darauf?

Eine Tagung zum Weiterdenken – anders als gewohnt

Die Abteilung für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung und das Zentrum für Management und Leadership MAL der PH Zürich gehen seit einigen Jahren mit einer etwas unkonventionellen Tagungsreihe diesen Fragen nach. Sie lädt erfahrene Führungsverantwortliche von Bildungsorganisationen jedes Jahr im Spätherbst auf die Halbinsel Au zu einer so genannten Kaminfeuertagung ein. Dort wird die Thematik nicht nur unter den Bildungsorganisationen diskutiert, sondern in einem Quervergleich mit Organisationen im Gesundheitswesen. Führungspersonen aus Betrieben im Gesundheitswesen werden ebenfalls an der Tagung teilnehmen und sich den selben Fragen stellen. Der Vergleich von Kultur und Konzepten in diesen teilweise analogen, teilweise unterschiedlichen Expertenorganisationen erlaubt dabei einen interessanten Perspektivenwechsel. Weitere Informationen zu dieser Tagung können der folgenden Box entnommen werden.

INFOBOX
Das Kaminfeuergespräch zum Thema «Bildung und Gesundheit im Vergleich: Führen in Expertenorganisationen» fand am 5. November 2019 im Tagungszentrum Schloss Au statt. Im Zentrum standen Erzählungen von Persönlichkeiten über prägende Erlebnisse in ihrer Führungstätigkeit. Ein ausführlicher Bericht über die Kurztagung 2019 finden Sie hier.
Das nächste Kaminfeuergespräch findet am 1. Dezember 2020 statt. Wir würden uns freuen, Sie dabei begrüssen zu dürfen!

Haben Sie generell Interesse an Führungsthemen? Gerne verweisen wir Sie auf folgende Angebote:

Hochschulen: CAS Führen in Projekten und Studiengängen an Hochschulen

Volksschulen: Blog Schulführung

Zum Autorenteam

Hans-Peter Karrer Hans-Peter Karrerist Mitarbeiter von Denkbar (Denkfabrik, Bildungs- und Beratungs-unternehmen und Bar). Er leitet Projekte im Mandatsverhältnis, berät Veränderungsprozesse in Organisationen, begleitet Führungspersonen und macht Teamentwicklung. 

Porträt Geri ThomannGeri Thomann ist Leiter der Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich. Als Inhaber einer ZFH-Professur forscht und publiziert er regelmässig über Aspekte der Hochschulentwicklung und Führungsfragen.

Am ZHE bietet Geri Thomann den Kurs «Grundlagen der Beratung» an. Dieser richtet sich primär an Lehrende an Hochschulen sowie der Erwachsenenbildung, ist aber auch für Lehrpersonen der Sekundarstufe II interessant.

Redaktion: Martina Meienberg

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