Digitalisierung in der Erwachsenenbildung – Aufwertung und Herausforderung!

Beitrag Erik Haberzeth

Die Hochwelle von Aufmerksamkeit für das Thema Digitalisierung hält ungebrochen an und hat schon seit Längerem, ausgehend von der Industrie, alle anderen Branchen erfasst – natürlich auch die Bildung. In einer ersten Phase wurde das Thema überaus aufgeregt diskutiert – obschon eigentlich kaum jemand so genau wusste, worüber geredet wird und worum es geht. Jetzt geht es auch darum, das Thema Digitalisierung für die Erwachsenenbildung und ihre Institutionen zu erschliessen. Das geht oft nicht ohne anstrengende Detailarbeit. Ebenso braucht es entsprechende Studien und Projekte, um die Auswirkungen und Gestaltungsmöglichkeiten zu diskutieren.

Digitalisierung Erwachsenenbildung
In den Nachrichtensendungen des Schweizer Fernsehens sind Kameramänner und – frauen bereits durch Roboter ersetzt worden.

Unterschiedliche Betrachtungsebenen der Digitalisierung

Um das Thema Digitalisierung für die Erwachsenenbildung zu erschliessen, ist es notwendig, das Thema nicht zu eng zu betrachten. Immer noch wird Digitalisierung primär auf der Ebene des unmittelbaren Lehr-Lerngeschehens samt dazugehöriger Unterrichtsmedien diskutiert. Es geht um einzelne Tools, Erklärvideos oder die Frage nach BYOD. So wichtig diese Ebene ist, betrifft der digitale Wandel die Erwachsenenbildung doch in weitaus vielfältigerer Weise. So lassen sich im Verhältnis von Digitalisierung und Erwachsenenbildung unterschiedliche Betrachtungsebenen ausmachen (vgl. Haberzeth/Sgier 2019):

  1. Inhaltsebene
  2. Lehr-Lern-Ebene
  3. Organisationsebene
  4. Systemebene
  5. Ebene der Professionalität

Notwendig ist, diese verschiedenen Ebenen und damit verbundene Perspektiven in die Diskussion einzubeziehen, um einem Gesamtbild des professionellen erwachsenenbildnerischen Handelns unter den Bedingungen der Digitalisierung näher zu kommen.

Der Nutzen digitaler Technologien wird in der Bildung wenig reflektiert

Viel diskutiert ist das Unterrichten mit digitalen Technologien. Es geht um die Nutzung «digitaler Werkzeuge». Darin spiegelt sich ein instrumentelles Bedürfnis nach sicherer Handhabung neuer Tools und digital gestützter Methoden wider. Wenig reflektiert hingegen wird der tatsächliche Nutzen digitaler Technologien in einer didaktisch begründeten Bildungsarbeit.

Erwachsene lernen aber nicht nur mittels digitaler Technologien, sondern auch über digitale Technologien, über ihre Anwendung und ihre Wirkungen. Digitalisierung wird also auch zum Lerngegenstand selbst. An die Erwachsenenbildung als Teil des Bildungssystems wurden schon immer die unterschiedlichsten gesellschaftlich Bedürfnisse herangetragen, seit einiger Zeit vor allem die Digitalisierung. Der Stellenwert der Erwachsenenbildung hat sich dadurch noch einmal erhöht – zumindest programmatisch. Das gesamte Bildungssystem soll auf lebenslanges Lernen ausgerichtet werden. Die Erwachsenenbildung ist nun gefordert, die technologischen Umbrüche als Thema aufzunehmen und in Angebote umzusetzen. Auch hier geht es aber bislang oft mehr um einen instrumentellen Umgang denn eine kritisch-konstruktive Reflexion der Thematik.

Kaum beachtet: Digitalisierung in der Programmplanung und auf Systemebene

Weniger im Blickfeld steht die Organisationsebene der Weiterbildungsanbieter selbst. Es geht dabei um die Frage, welche Bedeutung die Digitalisierung für die internen Prozesse des Bildungsmanagements und der Programm- und Angebotsplanung hat (vgl. Meister 2008). Erstaunlicherweise gibt es zu dieser Frage wenig Erkenntnisse und damit auch zur Weiterbildung, die ein Teil der Arbeitswelt ist, die sich durch das digitale Systeme wandelt. Dabei ist offensichtlich, dass der Computer, das Internet, Datenbanken und sonstige digitale Anwendungen die Verwaltung (Online-Anmeldung, Kursmanagementsysteme, Intranet etc.), das Marketing (Internetauftritt, Social Media etc.) und die Angebotsplanung (Online-Einheiten, Digitalisierung als Thema von Kursangeboten, Selbstlernbereiche etc.) massiv verändern.

Digitalisierung Erwachsenenbildung
Welche Bedeutung hat die Digitalisierung für die internen Prozesse des Bildungsmanagements und der Programm- und Angebotsplanung?

Ebenfalls kaum betrachtet wurde bislang, wie sich der digitale Wandel auf die Strukturen der Weiterbildung auswirkt. Es stellen sich zum Beispiel Fragen nach neuen Akteuren in der Weiterbildung sowie neuen und veränderten Kooperationen. Grotlüschen (2018) legt eine erste vertiefte Analyse zu möglichen Disruptionen im Weiterbildungsmarkt durch den Eintritt von Unternehmen der Digitalwirtschaft vor. Gezeigt wird, wie es diesen Unternehmen gelingt, durch die Nutzung verschiedener Datenbestände wie Lebenslaufdaten, Daten zu Interessengebieten und beruflichen Positionen sowie aus Stellenausschreibungen sehr gezielt Weiterbildungswerbung zu schalten und Angebote zu platzieren. Die Autorin vermutet, dass diese Entwicklungen vor allem für die kommerziellen Weiterbildungsanbieter relevant sind und eventuell sogar eine wirtschaftliche Bedrohung darstellen. Ein disruptives Potenzial dieser neuen Geschäftsmodelle und Marketingstrategien scheint jedenfalls gegeben.

Weiterführende Lektüre

Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass die Erwachsenen- und Weiterbildung als Bildungsbereich im Zuge der Diskussion um die Digitalisierung weiter in ihrer Bedeutung aufgewertet, aber auch erheblich herausgefordert wird. Was das im Detail und in aller Komplexität auf den unterschiedlichen Ebenen bedeuten kann, beleuchtet eine aktuelle Publikation der Abteilung für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Verband für Weiterbildung SVEB unter dem Titel «Digitalisierung und Lernen» (Haberzeth/Sgier 2019).

INFOBOX

Auf der Website «Erwachsenenbildung» finden sich zahlreiche Informationen zur lebenslangen und lebensbreiten Bildung Erwachsener.

Kurse und Module der PH Zürich:
Wie Erwachsene lernen – ein Lektürekurs
E-Didaktik
Webinar: E-Assessment in der Hochschule
Kompetenzorientierter Unterricht mit e-Portfolio
Überfachliche Kompetenzen mit digitalen Tools fördern

In der Rubrik «Caspars Toolbox» des Lifelong-Learning-Blogs stellt Caspar Noetzli Apps und digitales Werkzeug vor.

Zum Autor

Erik Haberzeth Digitalisierung

Erik Haberzeth ist Leiter der Professur für Höhere Berufsbildung und Weiterbildung in der Abteilung für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich und forscht in mehreren Projekten zum Thema Digitalisierung.

Redaktion: Martina Meienberg

Disrupt your ideas about Hochschule(n)*

Beitrag von Ulrike Hanke

Wie würde sich ein Bildungssystem auf Hochschulstufe heute entwickeln, wenn es kein tradiertes gäbe? Angestossen durch das Buch «Disrupt yourself» von Christoph Keese, einen Artikel «Disrupt HR» von Christian Böhler und auch durch viele interessante Persönlichkeiten, denen ich in den sozialen Medien folge, beschäftige ich mich derzeit mit dieser Frage. Auch wenn ich unsicher bin, wage ich es, meine Ideen hierzu mit Ihnen zu teilen. Ein Disclaimer vorab: Meine Überlegungen, die ich hier zur Diskussion stelle, möchte ich nicht als richtig oder unumstösslich verstanden sehen. Sie sind eine Diskussionsgrundlage.

Hochschule neu denken
Gäbe es einen Treffpunkt wie den Lichthof der Universität Zürich auch in einem neu entstandenen Bildungssystem?

Gewohntes wird nicht über Bord geworfen

Unser derzeitiges Bildungssystem ist gewachsen und trägt offensichtlich starke Züge vergangener Zeiten mit anderen Voraussetzungen. Für viele scheint klar, dass dieses System in diversen Punkten nicht mehr zeitgemäss ist. Aber wie es mit gewachsenen Dingen immer ist: Sie werden selten komplett verworfen, sondern immer nur schrittweise und mit viel Mühe an neue Gegebenheiten angepasst. Denn Menschen fällt es schwer, gewachsene Dinge ganz über Bord zu werfen und sich von ihnen vollständig zu lösen.

Deshalb möchte ich mit meinem Gedankenexperiment auf der «grünen Wiese» beginnen.

Ein Gedankenexperiment

Ich gehe dabei von folgenden Rahmenbedingungen aus:

  • Es gibt kein Bildungssystem auf Hochschulstufe.
  • Es gibt keine Institutionen wie Hochschulen und Universitäten, die Lehre anbieten, Prüfungen abnehmen und Zertifikate verteilen.
  • Folglich sind auch Zugänge zu Positionen und Berufen nicht geregelt.

Auch unter diesen Voraussetzungen müssten junge Menschen Wege und Möglichkeiten finden, ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenleben zu leisten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie müssten also Tätigkeiten nachgehen, bei denen sie Geld verdienen. Wie würden sie Zugang zu diesen Tätigkeiten erhalten?

Ich gehe bei meinem Gedankenexperiment davon aus, dass – wie heute schon –

  • Informationen und Informationsquellen überall und für alle leicht zugänglich sind,
  • die Welt sich rasch verändert,
  • die Halbwertszeit von Wissen sehr kurz ist.

Menschen müssen sich folglich ständig weiterentwickeln, um in komplexen Situationen handlungsfähig zu bleiben.

Um in der dieser Welt einen (Arbeits-)Platz zu finden, müssen junge Menschen zu Expertinnen und Experten in einem Feld werden und müssen diesen Expert*innen-Status nachweisen. Die Aufgaben, vor der die jungen Menschen stehen, sind also folgende:

  1. Wissen im eigenen Feld erwerben
  2. Erfahrungen sammeln
  3. Expert*innen-Status nachweisen

Wie liessen sich diese Aufgaben ohne bestehendes Hochschulsystem leisten?

Aufgabe 1 : Wissen erwerben – wie geht das unter diesen Voraussetzungen?

Auf den ersten Blick scheint es unter diesen Voraussetzungen für junge Menschen leicht, neues Wissen zu bekommen: Das Internet ist voller Informationen. Doch welchen können sie trauen? Wie finden sie die «richtigen» Informationen?

Hier sehe ich einen ersten Bedarf: Die jungen Menschen werden Unterstützung darin suchen, wie sie möglichst schnell und effizient zu den richtigen Informationen kommen.

Und wie finden sie diese Unterstützung?

Vermutlich werden sie sich in der heutigen vernetzten Welt, mit vermeintlichen Expert*innen in ihrem Feld vernetzen, ihnen in den sozialen Medien etc. folgen. Auch Institutionen, die vermeintlich verlässliche Informationen zur Verfügung stellen, werden sie nutzen.

Aufgabe 2: Erfahrungen sammeln – wie geht das unter diesen Voraussetzungen?

Um Erfahrungen zu sammeln, um in einem Feld wirklich kompetent zu werden, müssen junge Menschen Expert*innen über die Schulter schauen, selbst unter Anleitung handeln und Feedback bekommen.

Es wird also einen Bedarf an praktischer Anleitung und individueller Unterstützung in Praxissituationen geben.

Die jungen Menschen müssen sich also Expert*innen suchen, die sie dabei unterstützen, erste Schritte in der Praxis zu gehen.

Aufgabe 3: Expert*innen-Status nachweisen – wie geht das unter diesen Voraussetzungen?

Um ihren eigenen Status als Expertin oder Experte nachzuweisen, werden jungen Menschen in die Öffentlichkeit gehen und eigene Arbeitsproben veröffentlichen, ihr Können darstellen müssen.

Es wird deshalb einen Bedarf an (virtuellen) «Orten» geben, wo junge Menschen sich und ihre Arbeit präsentieren können, wo sie von potenziellen Arbeit- oder Auftraggeber*innen wahrgenommen werden. Damit jedoch potenzielle Arbeit- oder Auftraggeber auch von der Qualität der Arbeitsproben überzeugt werden können, benötigen alle Menschen Unterstützung aus einer Community/einem Expert*innen-Netzwerk, die bzw. das sich selbst Qualitätskriterien setzt, diese veröffentlicht und auf deren Einhaltung achtet.

Vermutlich werden sich also in verschiedenen Feldern Communities und Netzwerke etablieren, die nach aussen glaubhaft vertreten, dass ihre Mitglieder Qualität gewährleisten.

Hochschule Studierende
Junge Menschen müssten in einem neuen Bildungssystem Möglichkeiten finden, etwas zum gesellschaftlichen Zusammenleben beizutragen.

Wo besteht also ein Bedarf?

Aus den obigen Annahmen und Überlegungen ergibt sich ein Bedarf an

  • verlässlichen Informationen,
  • persönlicher Unterstützung beim Sammeln von Erfahrungen, und
  • Communities, die den Status von Expert*innen bescheinigen.

Bildungsinstitutionen der Zukunft

Ausgehend von diesen Überlegungen, nehme ich an, dass Plattformen und Portale entstehen würden, die gegen ein Entgelt, vermutlich über eine Mitgliedschaft, Informationen verschiedener Felder systematisch und verlässlich, sowie ständig aktualisiert zur Verfügung stellen. Dies deckt den Bedarf, dass Informationen jederzeit und überall schnell abrufbar, verlässlich und aktuell sein sollen.

Des Weiteren wird es Unternehmen und Expert*innen geben, die jungen Menschen Einblicke in konkrete Praxisfelder geben und ihnen Personen an die Seite stellen, die sie beim ersten Agieren in der Praxis unterstützen. Stellt sich hier die Frage, die ich derzeit überhaupt nicht beantworten kann, wie dies finanziert wird. Werden gar die Menschen, die diese Unterstützung und diese Einblicke in die Praxis möchten, selbst bezahlen müssen? Oder übernehmen Unternehmen diese Aufgabe, um sich ihren eigenen Nachwuchs zu sichern?

Und als drittens werden sich aus meiner Sicht Communities/Netzwerke etablieren (diese gibt es mehr oder weniger stark institutionalisiert bereits heute), die in ihrer Funktion mittelalterlichen Zünften ähneln und deren Mitglieder sich gegenseitig die Qualität ihrer Arbeit bescheinigen.

Ausblick: Und die Hochschuldidaktik?

Auch die Hochschuldidaktik muss sich anpassen. Gerade in diesem Bereich ist der Bedarf an verlässlichen Informationen gross. Es werden Netzwerke aufgebaut, deren Mitglieder voneinander profitieren und sich gegenseitig ihre Qualität garantieren. Ohne komplett disruptiv zu sein, gibt es bereits Schritte in diese Richtung.

  • Ein Blog wie dieser des ZHE der PH Zürich möchte verlässliche Informationen bieten (weitere Hochschuldidaktik-Blogs betreiben z.B. die Universität Kiel, die PH Luzern oder Personen wie Gabi Reinmann oder Martin Lehner).
  • Auch die Seite www.hochschuldidaktik-online.de, deren Verantwortliche die Autorin dieses Beitrags ist, hat den Anspruch, gebündelt verlässliche Informationen rund um die Hochschullehre zur Verfügung zu stellen. Dort gibt es auch einen Newsletter und einen Blog.
  • Ein weiteres Portal für Hochschuldidaktik betreiben die TU Darmstadt und e-teaching.org.
  • Zu erwähnen sind natürlich auch klassische Communities wie z.B. DGHD (Deutsche Gesellschaft für Hochschuldidkaktik) im deutschsprachigen Raum, EARLI SIG 04 (Higher Education im europäischen Raum) oder ICED.

Communities von Menschen mit einem Interesse an der Hochschullehre und Hochschuldidaktik gibt es ebenfalls bereits, z.B:

Ein spannendes Beispiel ist der Mitgliederbereich von Connie Malamed, die Unterstützung im Bereich des Lehrens und Lernens (Instructional Design) bietet.

Expertinnen und Experten der Hochschuldidaktik tauschen sich ausserdem über Twitter aus und sind auch über LinkedIn vielfach vernetzt.

Diese Beispiele dienen mir als erste Evidenzen dafür, dass die Entwicklung tatsächlich in diese Richtung gehen könnte. Sehen wir mal, wie schnell. Und nun bin ich gespannt auf Ihre Reaktionen.

*Dieser Beitrag repräsentiert die persönliche Meinung der Autorin.

Zur Autorin

Ulrike Hanke ist Dozentin und Beraterin für Hochschuldidaktik und als Kurs- und Modulleiterin für das ZHE tätig. Weitere Informationen zu Ulrike Hankes Tätigkeit finden Sie hier: www.hanke-teachertraining.de

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