Kreatives Schreiben und Life Skills

Text: Peter Holzwarth

«Wenn du deine Rolle in der Welt besser verstehen willst, dann schreib. Versuche deine Seele ins Schreiben zu legen, auch wenn niemand es liest, oder, was schlimmer ist, jemand es liest, obwohl du es nicht wolltest. Der einfache Akt des Schreibens hilft uns, Gedanken zu ordnen und klar zu sehen, was uns umgibt. Ein Stück Papier und ein Kugelschreiber können Wunder bewirken – Schmerzen heilen, Träume in Erfüllung gehen lassen, verlorene Hoffnung wiederbringen.
Im Wort liegt Kraft.»

(Paolo Coelho 2007, S. 52)

«Ohne zu schreiben, kann man nicht denken; jedenfalls nicht in anspruchsvoller, anschlussfähiger Weise.»

(Niklas Luhmann 1992, S. 53)

«Schreiben heißt: sich selber lesen.»

(Max Frisch [1950] 1985, S. 19)

Der folgende Beitrag zeigt verschiedene Möglichkeiten auf, kreatives Schreiben mit der Entwicklung von Lebenskompetenzen zu verbinden.

Das Konzept Life Skills wurde von der World Health Organisation (WHO) eingeführt. Life Skills werden folgendermassen definiert:

«Life skills are abilities for adaptive behaviour that enable individuals to deal effectively with the demands and challenges of everyday life» (World Health Organisation 1997, S. 1).

Es werden zehn zentrale Skills definiert: Decision-making (Fertigkeit, Entscheidungen zu treffen), Problem-solving (Problemlösefertigkeit), Creative thinking (kreatives Denken), Critical thinking (kritisches Denken), Effective communication (Kommunikationsfertigkeit), Interpersonal relationship skills (Beziehungsfähigkeit), Self-awareness (Selbstwahrnehmung), Empathy (Empathie/Einfühlungsvermögen), Coping with emotions (Gefühlsbewältigung) und Coping with stress (Fähigkeit zur Stressbewältigung).

Über kreative Schreibprozesse können Life Skills angeeignet und weiterentwickelt werden. Im Folgenden ein paar Beispielszenarien:

  • Ein Teenager wird sich seiner ambivalenten Gefühle bewusst, indem er ihnen in Form eines kleinen Gedichts ästhetische Gestalt verleiht. (Self-awareness, Coping with emotions, Coping with stress)
  • Eine junge Lehrerin hat sich angewöhnt, jeden Tag drei Dinge aufzuschreiben, die gut gelaufen sind bzw. die ihr Freude bereitet haben (vgl. Beitrag «Ehemalige Tutorin Antonia Rakita im inside 2/2022» im SchreibBLOGzentrum). (Coping with stress, Coping with emotions)
  • Eine Schülerin schreibt einen kurzen Text aus der Perspektive einer Figur in einem Spielfilm. (Empathy)
  • Ein Heranwachsender verfasst einen Liebesbrief an sich selbst, in dem er all das würdigt und zum Ausdruck bringt, was er an sich mag. (Self-awareness)
  • Eine Schülerin lernt das Prinzip der Wiederholung von Textstellen kennen und empfindet Selbstwirksamkeit in Bezug auf das entstandene eigene Gedicht.
  • Eine Weiterbildungsteilnehmerin entdeckt eine spannende ästhetische Interaktion zwischen einem selbstgemachten Foto und einem selbstgeschriebenen Text.

Lernprozesse können auf mehreren Ebenen stattfinden:

  • Sich selbst besser kennen lernen (Selbstreflexion, Inneres Erleben durch Schreiben nach Aussen bringen und es dann mit Abstand betrachten können (Veräusserung und Resubjektivierung))
  • Phänomene der Welt besser deuten können (sich über Schreibprozesse einem Gegenstand annähern und schreibend verstehen)
  • Literarische Aspekte kennen lernen (z. B. das ästhetische Prinzip der Wiederholung, das Prinzip der kreativen Aneignung von Vorlagen im Sinne eines Remakes)
  • Stolz empfinden in Bezug auf das eigene Produkt (Selbstwirksamkeit, den Mut haben, den eigenen Text einem Publikum zu präsentieren, Anerkennung von anderen bekommen, sich selbst wertschätzen können)
  • Über Kritik und Feedback lernen und sich weiterentwickeln (z. B. Kritik und Feedback von anderen können helfen, den eigenen Text aus einer neuen Perspektive zu sehen (z. B. andere Lesarten), sich der eigenen Leserlenkungspotenziale bewusst zu werden und den eigenen Text noch besser zu machen)
  • Zusammenhänge von Denken, Fühlen und Schreiben ausloten (vgl. Eingangszitat von Niklas Luhmann oben)

Im Folgenden werden ausgewählte Projektideen aus dem Buch «Life Skills mit Medien» (Holzwarth 2022) vorgestellt:

Fotogedicht «Vergnügungen»

Ein Remake zum Gedicht «Vergnügungen» von Bertolt Brecht wird produziert und mit einem Foto kombiniert (Leis 2019, S. 130 u. 131; Holzwarth & Maurer 2014).

Brecht zählt in seinem sprachlich sehr einfachen Gedicht alltägliche Dinge auf, die Vergnügen bereiten können, wie z. B. der erste Blick aus dem Fenster am Morgen oder das Wiederfinden eines alten Buchs. Das Verfassen eines Remakes hilft den Schreibenden, sich ihrer «Alltagsschätze» bewusst zu werden: Man braucht nicht auf das große Glück zu warten, weil der Alltag bereits sehr viele kleine Reichtümer enthält. Man muss sie nur entdecken und bewusst machen.

«VERGNÜGUNGEN

Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen
Das wiedergefundene Buch
Begeisterte Gesichter
Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten
Die Zeitung
Der Hund
Die Dialektik
Duschen, Schwimmen
Alte Musik
Bequeme Schuhe
Begreifen
Neue Musik
Schreiben, Pflanzen
Reisen
Singen
Freundlich sein»

(Bertold Brecht, Suhrkamp Verlag 1990, S. 1022)
Abbildung 1: «Vergnügung» (Schulprojekt)

Fotogedicht «Rondell»

«Poesie macht einem die schwierigen Zeiten erträglicher.
Und Poesie macht die schönen Seiten noch schöner und strahlender.»

Heinz Rhyn, Pädagogische Hochschule Zürich, «PH Goes Poetry», 23.9.2021 (Übertragen aus dem Berndeutschen)

Die Gedichtform «Rondell» lebt von bestimmten Wiederholungen. Die Zeilen 1, 4 und 7 sind identisch und Zeile 2 ist gleich wie Zeile 8.

Ein Gedicht kann 8 Zeilen lang sein oder mehrere Strophen von 8 Zeilen hintereinander haben. Die folgende Darstellung visualisiert die Wiederholungsstruktur des «Rondells»:

Abbildung 2: Struktur «Rondell»

Was mein Leben reicher macht

«Beim Schwimmen im kühlen Badsee untertauchen und das eigene Herz schlagen hören.
Anita Chasiotis, Osnabrück»

(Lechner 2012, S. 63)

«Was mein Leben reicher macht» ist der Titel eines Buches, in dem Beiträge von Lesenden aus einer Kolumne der Zeit zusammengetragen wurden (Lechner 2012). In Anlehnung an diese Serie werden die Teilnehmenden gebeten aufzuschreiben, was ihr Leben reicher macht und den Text mit einem Bild zu kombinieren. Es muss sich dabei nicht um eine exakte Visualisierung des Geschriebenen handeln. Auch abstrakte Bilder können eine Rolle spielen. Weitere Projektideen zum kreativen Schreiben, sowie Ideen für Fotografie, Videoproduktion und Medienreflexion sind in Holzwarth 2022 zu finden.

INFOBOX

Schreibmodule
Unter dem Motto «Dem eigenen Schreiben auf der Spur» bieten Prof. Dr. Daniel Ammann, Erik Altorfer und Dr. Martina Meienberg zwei Module zum literarischen Schreiben an, die separat oder kombiniert gebucht werden können.

Das erste Modul «Biografisches Schreiben – das Leben erzählen» bietet Anfänger:innen wie Fortgeschrittenen Gelegenheit, sich im Schreiben mit Erlebnissen, Erinnerungen und persönlichen Lebenserfahrungen zu beschäftigen, um daraus eigene Prosatexte und Geschichten entstehen zu lassen.

Das zweite Modul «Literarisches Schreiben – Wege zum eigenen Schreibprojekt» widmet sich dem fiktionalen Schreiben und vermittelt Methoden des realistischen und fantastischen Erzählens.

In beiden Modulen erhalten Sie in Präsenzveranstaltungen und individuellen Coachings Anregungen und Impulse zum literarischen Schreiben und lernen Techniken der kreativen Textarbeit kennen.
Beide Module sind für den CAS Beraten im Bildungsbereich anrechenbar und sind mit je 1 ECTS dotiert.
Das erste Modul startet am 26. April 2023. Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung!

Workshop
Workshop des Schreibzentrums zum Thema:
Kreatives Schreiben leicht gemacht: Das motivierende Prinzip «Remake»,
Peter Holzwarth, Mi. 3. Mai 2023, 17.30–19 Uhr

Zum Autor

Peter Holzwarth ist Dozent für Medienpädagogik an der PH Zürich. Er leitet das Fachteam Medienpädagogik, arbeitet im Schreibzentrum und im Digital Learning (DLE). Ausserdem ist er Berater bei der Stelle für Personalfragen (SteP). 

Der Kompetenzreichtum, aus dem wir schöpfen

Beitrag von Simone Heller-Andrist und Christa Scherrer

Wie kann ich als PH-Mitarbeitende in meiner täglichen Arbeit Bezüge zum Berufsfeld herstellen, welches mit der Aufgabe, die ich gerade bearbeite, korrespondiert? Und auf welche anderen Bezüge greife ich zusätzlich zurück? Ein Beispiel zur Illustration: Als Anglistin, die als Fachdidaktikerin tätig ist, wähle ich für meine Lehre auf Tertiärstufe aus einer grossen Fülle von Themen aus meinem Fachbereich aus. Meine Auswahl schneide ich auf mein Publikum, dessen Vorwissen, Lernfortschritt und den Fokus des jeweiligen Moduls zu. Für die Lehre orientiere ich mich an institutionellen Rahmenvorgaben wie Curriculum und Lehrplänen, bin im Austausch mit meinen Fachkolleg:innen, bediene ich mich hochschuldidaktischer Methoden in der Vermittlung und arbeite ich Beispiele aus der Schul- oder Forschungspraxis auf. Mein Netz an Bezügen ist dabei beträchtlich, und mit der Dynamik der Gesellschaft, der Schule, meiner Institution, meiner Fachwissenschaft, und nicht zuletzt von mir selbst entwickle ich dieses Netz laufend weiter. Neue Erkenntnisse aus der Schulpraxis lassen mich eine neue Wahl von Themen im Fachbereich treffen. Ich bilde mich weiter, experimentiere, entwickle ein neues Lehrverständnis, passe meine eigenen Philosophien an. Und vieles davon geschieht implizit, ohne dass ich es selbst aktiv sichtbar mache.

Bezüge sichtbar machen

Es war eine Aufgabe des Projekts Doppeltes Kompetenzprofil an Pädagogischen Hochschulen aus dem Nachwuchsförderprogramm P11 von swissuniversities, die Vielfalt an Kompetenzen ausgehend vom sogenannten doppelten Kompetenzprofil zu fassen. Letzteres orientiert sich gleichzeitig an der Berufspraxis und der Wissenschaftspraxis und entwickelt so das Verständnis für die Anforderungen an das wissenschaftliche Personal an Pädagogischen Hochschulen (PH) und seine Profile weiter. Die aktuelle Ausgabe der Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung ist eigens dem doppelten Kompetenzprofil gewidmet. In ihrem Beitrag zum Thema stellen Scherrer et al. den Bezug zum Schulfeld im Rahmen eines Kompetenzprofils des wissenschaftlichen Personals an PHs dar. Sie schaffen damit eine Grundlage, um die Kompetenzen der Mitarbeitenden individualisiert und aufgabenbezogen fassbar zu machen. So liesse sich beispielsweise die eingangs am Beispiel der Anglistin beschriebene Kompetenzvielfalt, aus der ihre Performanz gespiesen wird, aufgeteilt auf Kompetenzbereiche erfassen. Und so wird die Vielfalt an Kompetenzen sichtbar, aus der PH-Mitarbeitende in ihrer täglichen Arbeit schöpfen.

Kompetenzbereiche in gegenseitiger Abstimmung

Die drei Bereiche der berufsfeldbezogenen, der disziplinären und der institutionell-organisationalen Kompetenzen bestimmen sich gegenseitig mit (vgl. Abb. 1). Der Beitrag «Die Bedeutung des Berufsfeldbezugs in den Aufgaben und für die Laufbahn an Pädagogischen Hochschulen», der von Erika Stäubles Modell der «Fachlichkeit in drei Ausprägungen» ausgeht, macht dies deutlich. Zur Illustration zwei Beispiele: Gestaltet die Anglistin ein neues Modul, wird sie die Themensetzungen nicht nur ausgehend vom Modulschwerpunkt im Gesamtzusammenhang der Ausbildungsstruktur (organisationale Kompetenz), sondern auch ausgehend von berufsfeldbezogenen Erkenntnissen (berufsfeldbezogene Kompetenzen) vornehmen. Ein Dozent in Liedbegleitung, der den Pilotstudiengang «Den Berufsfeldbezug stärken!» besucht hatte, berichtete von seiner Erkenntnis, dass er seinen Studierenden künftig zur Komplexitätsreduktion in ihren Unterrichtsvorhaben rät. Nebst der Liedbegleitung benötigen sie insbesondere auch Kapazitäten für die Klassenführung.

Kompetenzprofil des wissenschaftlichen Personals (Scherrer, Heller-Andrist, Suter & Fischer, 2020)

Bestandesaufnahme starker Berufsfeldbezüge

Die Vielfalt der berufsfeldbezogenen Kompetenzen zeigt sich exemplarisch in der Publikation Mittendrin ist vielerorts. Wissenschaftsjournalist Urs Hafner zeigt in 22 Porträts von Dozierenden aus 13 PHs, mit welchen Methoden und in welchen Konstellationen ihr Berufsfeldbezug in Lehre, Unterricht, Führung, Entwicklung, Organisation und weiteren Tätigkeiten zum Tragen kommt und wie er sich ins Gesamtprofil der Porträtierten einpasst. So wird etwa deutlich, dass das Wissen um die Arbeit der Lehrpersonen mit Lehrmitteln für die Entwicklung letzterer an der PH essenziell ist. Einige der Porträtierten haben den Studiengang «Den Berufsfeldbezug stärken!» absolviert, um vertiefte Innensichten des Schulfelds zu gewinnen. Eine Dozentin nutzte ihre dort gewonnenen Erkenntnisse, um das Weiterbildungsangebot für Lehrpersonen an Berufsfachschulen nach den aktuellen Bedürfnissen in Schulfeld und PH auszurichten. Eine Führungsperson befasst sich eingehend mit den Anforderungen des Berufsfelds, um die Möglichkeiten für Laufbahnen an PHs zeitgemäss zu gestalten, zu erweitern und neue Qualifikationsmöglichkeiten zu etablieren.

Podiumsdiskussion an der Vernissage von Mittendrin ist vielerorts vom 25. März 2021: v.l.: Tabea Steiner («L’oeil extérieur»), Heinz Rhyn (Vorwort) und Herausgeber und Autor Jürg Arpagaus.

CAS-Studiengang zur Stärkung des Berufsfeldbezugs

Im CAS-Studiengang «Den Berufsfeldbezug stärken!» laufen die Fäden des Kompetenzreichtums von PH-Mitarbeitenden zusammen: Er ermöglicht es dem wissenschaftlichen Personal an PHs, ihren Berufsfeldbezug aufgabenspezifisch aufzubauen, zu erweitern oder zu aktualisieren. Der Studiengang wird in Kooperation von neun PHs (PH Zug, PH Zürich, PH Luzern, Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik, PH Fachhochschule Nordwestschweiz, PH Schwyz, PH St. Gallen, PH Thurgau, PH Graubünden) angeboten. Eine Begleitgruppe zum Studiengang mit Mandatierten aller beteiligten Hochschulen setzt sich zum Ziel, den Diskurs zur Laufbahnrelevanz des Angebots weiterzuführen und an der eigenen Institution zu vertreten. Die PH Zürich hat das Zertifikat des Studiengangs bereits als äquivalenten Nachweis über den Schulfeldbezug seines wissenschaftlichen Personals gemäss Hochschulordnung der PHZH (§24.2) anerkannt.

INFOBOX
Der CAS «Den Berufsfeldbezug stärken!» startet im September 2021, alle Informationen dazu finden Sie auf unserer Webseite. Im kurzen Informationsfilm erhalten Sie erste Einblicke in den Studiengang. Oder melden Sie sich zur Online-Informationsveranstaltung am 8. Juni 2021, 17–18 Uhr, an, um alle Details rund um den CAS zu erfahren und Ihre Fragen an die Studiengangsleitung zu richten.

Weitere Informationen zur Publikation Mittendrin ist vielerorts finden sich auf der Website des hep-Verlags.
Video-Teaser

Zu den Autorinnen

Simone Heller-Andrist und Christa Scherrer waren 2019/3 bis 2021/4 zusammen Co-Projektleiterinnen des Projekts «Doppeltes Kompetenzprofil der PH – institutionelle und individuelle Anforderungen an den Berufsfeldbezug» und sie sind zusammen mit Jürg Arpagaus und Susanne Amft Mitherausgeberinnen des Buchs «Mittendrin ist vielerorts».

Simone Heller

Simone Heller-Andrist arbeitet am ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich als Projektleiterin für Entwicklungs- und Weiterbildungsangebote im Hochschulbereich. Sie leitet den CAS Hochschuldidaktik «Winterstart» und den im Herbst 2021 startenden CAS «Den Berufsfeldbezug stärken!».

Christa Scherrer ist Erziehungswissenschaftlerin und Primarlehrerin mit besonderem Interesse bezüglich dem Verhältnis zwischen Menschen, Organisationen und deren Entwicklungen. Sie ist  Dozentin und Mentorin an der PH Zug, Evaluatorin des ifes.

Von Schreibblockaden und Ratgebern

Beitrag von Yves Furer

Wer schreibt, blockiert früher oder später. Sobald man mehr als nur einen Einkaufszettel schreibt, steigen mit zunehmender Textlänge und -komplexität die Chancen darauf, beim Schreiben eine oder mehrere unfreiwillige Pausen einzulegen. Gerade bei Studierenden können Schreibblockaden zu einem hohen Leidensdruck führen, da sie bei kleinen Arbeiten oft fixe Termine einhalten müssen. Verzögerungen bei grösseren Arbeiten verlängern die Studiendauer oder gefährden sogar den Studienabschluss. Entsprechend erscheinen jedes Jahr mehrere Ratgeber (z.B. Esselborn-Krumbiegel, 2021), die sich entweder ganz dem Thema Schreibblockade widmen oder zumindest ein Kapitel dafür reservieren. Die darin enthaltenen Tipps basieren häufig darauf, die Vorgehensweisen von erfolgreichen Schriftsteller:innen nachzunahmen, was grundsätzlich sinnvoll erscheint. Da professionell Schreibende nicht von Schreibblockaden verschont bleiben, verfügen sie offensichtlich über Strategien, um Schreibblockaden zu überwinden. Ansonsten wären sie gezwungen, ihren Beruf zu wechseln. Doch inwiefern lässt sich das Verhalten von Expert:innen (professionell Schreibende) auf die Probleme von Noviz:innen (Studierende) übertragen? Ein Vergleich zweier Schreiber soll dabei helfen, die Frage zu beantworten.

Zwei blockierte Schreiber

Ein prominentes Beispiel für einen «blockierten» Schriftsteller ist George R. R. Martin, Autor der Weltbesteller Fantasy-Serie «Das Lied von Eis und Feuer», welche als Vorlage für die noch bekanntere TV-Adaption «Games of Thrones» diente. In der Serie sind bis jetzt fünf Bände erschienen, was in der englischen Ausgabe ca. 1,7 Millionen Wörter entspricht. Doch seit fast zehn Jahren warten weltweit Millionen von Fans auf die Veröffentlichung der letzten beiden Bände. Nun ist es keineswegs so, dass Herr Martin gar nicht mehr schreibt. Seit 2011 hat er acht Bücher veröffentlicht, die teilweise mehrere hundert Seiten umfassen. Eine Vorstellung davon, wie es mit der Geschichte weitergeht, muss er auch haben. Schliesslich wurde die letzte Staffel von «Games of Thrones» im vergangenen Jahr ausgestrahlt. Wie in den vorausgegangen TV-Produktionen basierte die Story dabei auf seinen Ideen. Trotz allem kommt George Martin selbst mit der Fortsetzung «Das Lied von Eis und Feuer» nicht weiter. Er ist blockiert.

Vergleichen wir nun George R. R. Martin mit einem anderen Schreiber, der ebenfalls Mühe damit bekundet, momentan einen bestimmten Text zu verfassen. Der andere Schreiber ist ein fiktiver Erstsemester Student, nennen wir ihn Jan. Er muss zum ersten Mal einen wissenschaftlichen Text schreiben, wobei Schreiben eigentlich noch nie zu seinen bevorzugten Aktivitäten gehörte. Aus dem Auftrag, den Jan erhalten hat, geht für ihn nicht schlüssig hervor, was genau er schreiben soll und welchen Kriterien sein Text eigentlich genügen muss. Über das Thema seines Textes weiss er zudem (noch) nicht allzu viel. Jan sitzt vor seinem Computer, möchte schreiben, doch er schafft es nicht wirklich einen Text zu produzieren. Auch er fühlt sich blockiert.

Mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten

Vergleicht man nun die beiden Schreiber, so fällt auf, dass sie nur etwas gemeinsam haben: ihre aktuelle Unfähigkeit zu schreiben. Demgegenüber unterscheiden sie sich mit grosser Wahrscheinlichkeit in einer ganzen Reihe von Merkmalen, die kennzeichnend sind für Expertise im Bereich Schreiben (Kellogg, 2018):

  • Vorgehen: Wie automatisiert und elaboriert ist ihr jeweiliges Vorgehen beim Planen von Texten?
  • Zielvorstellung: Wie klar ist ihre Vorstellung davon, was ihr Text erreichen soll und wer ihr Publikum ist?
  • Sprachliche Fähigkeiten: Wie vertraut sind sie mit den sprachlichen und formalen Anforderungen, die an ihre Texte gestellt werden?
  • Wissen: Wie viel wissen sie über ihr Thema?
  • Stützstrategien: Welche hilfreichen Routinen (Zeitplan, Rituale, Umgebung etc.) haben sie aufgebaut?
  • Selbstregulation: Wie gehen sie mit emotionalen und motivationalen Krisen beim Schreiben um?

Jedes dieser Merkmale trägt das Potential in sich, zu einer Schreibblockade zu führen. Wem nicht klar ist, was er eigentlich schreiben soll, er also kein Schreibziel hat, wird ziemlich sicher Schwierigkeiten haben, Texte zu produzieren. Genauso wird eine Schreiberin, die noch (zu) wenig über das Thema ihres Textes weiss, kaum in der Lage sein zu schreiben, weil es ihr dafür schlicht an Inhalt mangelt.

Schreibblockaden überwinden

Besagte Ratgeber zum wissenschaftlichen Schreiben adressieren diese Probleme, indem sie eine Reihe von Ratschlägen und Tipps präsentieren, die dabei helfen sollen, Schreibblockaden zu überwinden. Diese reichen von fünf Minuten freies Schreiben über jemandem sein Thema mündlich zu erläutern bis hin zum Erstellen eines Mindmaps. Zweifelslos erleben einige Studierende diese Tipps als hilfreich. Schreibende, denen beispielsweise das Formulieren einer bestimmten Passage schwerfällt, die aber eigentlich wissen, was sie inhaltlich schreiben wollen, profitieren unter Umständen von einer Sequenz freiem Schreiben. Wenn bewusst verschiedene Formulierungsvarianten hergestellt werden, ohne den Anspruch zu haben, gleich auf Anhieb die richtige zu finden, kann ihr Schreiben dadurch flüssiger werden.

Bei anderen Problemen hingegen stellt sich die Frage, ob ihnen Tipps unter dem Label Schreibblockade tatsächlich gerecht werden. Das Konzept der Schreibblockade geht davon aus, dass jemand grundsätzlich in der Lage ist, eine bestimmte Handlung beim Schrieben eines Textes auszuführen. Eine Schreibblockade verhindert also, dass ich etwas tue, was ich eigentlich kann. Bei professionellen Autor:innen lassen sich Schreibblockaden wohl tatsächlich so beschreiben. Wenn jedoch ein Student wie Jan nicht weiss, wie er verschiedene Quellen in seinem eigenen Text verarbeiten soll, kann eigentlich nicht von einer Blockade die Rede sein. Es handelt sich eher um ein Defizit in Bezug auf sein Planungswissen, wobei sich dieser Mangel kaum mit einem Tipp beheben lässt.

Fazit

Anders als bei Schriftsteller:innen, die unter einer Schreibblockade leiden, kann bei Studierenden nicht automatische davon ausgegangen werden, dass sie über alle erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, um ihre Schreibaufgabe zu bewältigen. Es wäre wohl hilfreich, den Begriff der Schreibblockade enger zu fassen, um zwischen bereits erworbenen und noch nicht beherrschten Aspekten des Schreibens zu unterscheiden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Studierende fälschlicherweise davon ausgehen, dass sie in puncto Schreiben an der Hochschule eigentlich gar nichts mehr zu lernen brauchen. Doch wer schreiben lernt, kommt nicht darum herum, sich neues Wissen und Fähigkeiten anzueignen. Nur wenige Studierende dürften in der Lage sein, sich wissenschaftliches Schreiben als komplexe Tätigkeit autodidaktisch durch die Lektüre von Ratgebern anzueignen. Vielmehr ist die Aufgabe der Lehre einer Hochschule, den Studierenden diese Fähigkeit und das damit einhergehende Wissen zu vermitteln.

INFOBOX

Von 17.-18. Juni. 2021 findet die dieS-Tagung virtuell in Zürich statt. Sie richtet sich schwerpunktmässig an Early-Stage-Researchers. Mehr dazu findet sich hier.

Zum Autor

Yves Furer ist Dozent für Deutschdidaktik und Mitarbeiter des  Schreibzentrums der PH Zürich. Er berät Studierende und Mitarbeitende im Bereich Literalität und leitet Weiterbildungen und Projekte zum Thema Literalität in der Volksschule. Ausserdem ist er QUIMS-Experte im Schwerpunkt «Beurteilen und Fördern, mit Fokus auf Sprache». Aktuell arbeitet er an einer Promotion zum Thema «Kognitive Prozesse bei der Textbeurteilung». 

Weiterbildung und die Arbeitswelt von 2030

Beitrag von Dagmar Engfer

Wie antwortet die Weiterbildung auf die Herausforderungen der Arbeitswelt von 2030? Welche Kompetenzen sind gefragt? Die Entwicklungen weisen darauf hin, dass soziale, transdisziplinäre und interkulturelle Kompetenzen zunehmend bedeutsam sind. Studien und Trendforschungen zeigen ausserdem, dass die Kompetenz, wo und wie man sich detailliertes Wissen aneignet, wichtiger wird (vgl.  «The Future of Skills: Employment in 2030» und «Zukunft der Arbeitswelt 2030»). Die britische Studie benennt die geforderten Kompetenzen wie folgt:

  • Active learning: Learning strategies-selecting and using training/instructional methods and procedures appropriate for the situation when learning or teaching new things.
  • Learning strategies: Understanding the implications of new information for both current and future problem-solving and decision-making.

Gefragt sind massgeschneiderte Angebote

Die Erfahrungen in der Weiterbildung des Zentrums für Hochschuldidaktik und -entwicklung (ZHE) in den letzten Jahren bestätigen den Trend: Teilnehmende denken kurzfristiger und sind ziel- und nutzenorientiert unterwegs. Der individuell richtige Zeitpunkt und der direkte Bezug zur eigenen Berufspraxis sind zentrale Merkmale. Abgewogen wird vor der definitiven Teilnahme, wie weit individuelle Ziele mit einem Kurs oder Lehrgang erreicht werden können, wie z.B. das Zertifikat zur Hochschuldidaktik (CAS Hochschuldidaktik). Teilnehmende wollen Weiterbildungen besuchen, die ihre Vorleistungen möglichst umfassend anrechnen. Um die Entscheidung zu finden, suchen sie gerne das Beratungsangebot des ZHE auf, das sich an Dozierende und wissenschaftliche Mitarbeitende an Fachhochschulen richtet. Das individuelle Gespräch hilft, eigene Ziele, Nutzen und Aufwand abzuwiegen.

Beratung wird in der Lehre wichtiger

Teilnehmende der Weiterbildungsangebote des ZHE sind vorwiegend an Hochschulen tätig. Als Dozierende in der Lehre haben sie neben den Aufgaben der Vermittlung und Beurteilung zunehmend auch eine Beratungsfunktion. Beratungskompetenz bzw. Coaching wird somit ein Bestandteil der Lehre. Darauf wird im Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung Band 2 vertiefter eingegangen.

Beratungskompetenz wird in der Weiterbildung wichtiger.
Beratungskompetenz wird in der Weiterbildung wichtiger.

Blended Coaching verbindet Beratung und Weiterbildung

Weiterbildungen und Beratungen zielen darauf ab, praxisnah und kontextbezogen zu sein. Sie orientieren sich an professionellen Handlungsfeldern und setzen vorhandenes Wissen der Teilnehmenden ein. Um diese verbindenden Elemente gewinnbringend zu nutzen, ist das Blended-Coaching-Konzept ein möglicher Ansatz. «Blended» bezeichnet in diesem Zusammenhang im ursprünglichen Sinn des Wortes vermischt bzw. verbunden, wie dies bekannt ist für Blended Tea oder Blended Whiskey. Das Blended-Coaching-Konzept ist eine Antwort auf die Frage, wie Kursleitende Beratung in die Weiterbildung integrieren und den neuen Ansprüchen an Weiterbildungen begegnen können.

Blended-Coaching-Konzept in der Weiterbildung
Symbolisch zeigt sich das Blended-Coaching-Konzept auch in der Natur, z.B. in Korsika.

Ziel des Konzepts ist, mittels unterschiedlicher Methoden und Formate ein integratives Zusammenspiel zwischen Weiterbildung und Beratung zu erreichen: Blended Coaching vermittelt einerseits Beratungswissen, andererseits werden Weiterbildungen mit Beratungsmethoden erweitert.

Methoden des Blended Coaching in der Weiterbildung

Die folgende Auswahl zeigt Vorgehensweisen und Angebotsformate des Blended Coachings, die während der letzten fünf Jahre am ZHE zum Einsatz gekommen sind:

  • Beratungswissen wird explizit als Inhalt vermittelt, z.B. im Wahlmodul «Grundlagen der Beratung».
  • Innerhalb von ausgewählten Modulen, die Bestandteile eines Lehrgangs sind, werden Beratungssequenzen eingeflochten, wodurch Beratung praxisnah erlebbar wird. So werden zum Beispiel mit der Methode der «kollegialen Beratung» Anliegen in Form von Fallbeispielen aus dem professionellen Kontext der Teilnehmenden bearbeitet (vgl. Brunner 2011 in: Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung Band 2).
  • Des Weiteren erproben und analysieren Teilnehmende in Rollenspielen Handlungsalternativen. Geeignet erscheinen für Beratungsanteile Themen wie z.B. Gruppendynamik sowie Leiten und Begleiten von Gruppen.
  • Supervisionen werden während der Dauer eines Lehrgangs mit kleineren Gruppen (ca. 8 Personen) zwischen den Modulen durchgeführt. Auch hier wird, wie auch bei den oben beschriebenen Fallbearbeitungen, innerhalb von Modulen die Methode der «kollegialen Beratung» angewendet. Die Supervisionssequenzen dienen dazu, unterschiedliche Vorgehensweisen für die Fallbearbeitung vorzustellen und durchzuführen. Zudem besteht auf Wunsch der Teilnehmenden die Möglichkeit, Inputsequenzen zu einzelnen Themen einzubauen.
  • Einzelberatungen ausserhalb der Module ermöglichen, eigenen Fragestellungen detaillierter nachzugehen.

Fazit

Teilnehmende von Weiterbildungen erhalten mit Blended Coaching einen Einblick in unterschiedliche Beratungsansätze und -methoden. So können sie ihre Beratungskompetenz gezielt steigern. In den Angeboten des ZHE wird mit Blended Coaching der Austausch methodisch strukturiert und moderiert. Dabei werden unterschiedliche Methoden der Beratung angewendet.

Für einen vertieften Blick ins Konzept des Blended Coaching sei auf folgenden Artikel verwiesen: «Blended Coaching – Ein Konzept zur Verbindung von Weiterbildung und Beratung» (Engfer 2017, in: Hrsg. Zimmermann, Thomann & De Rin).

Zur Autorin

Dagmar Engfer leitet das Beratungsangebot am ZHE und ist dort als Dozentin tätig. Zudem ist sie Beraterin und Teamentwicklerin in eigener Praxis.

 

Redaktion: Martina Meienberg

 

Die Praxis wartet nicht auf Theorien

Beitrag von Geri Thomann

Theorien, Forschung oder Wissenschaft sind keine geschützten Begriffe. Man kann vieles so nennen, das sich damit legitimieren oder sogar aufwerten lässt. Inwiefern sind diese Begriffe bzw. Konzepte davon für die Praxis nützlich? Geri Thomann ist der Frage nachgegangen.

Theorien sind Brillen für die Praxis

Theorien zeichnen sich durch Abstraktion, Generalisierung und Konsistenz in ihrer Logik aus. Sie schaffen ein verstehendes und erklärendes Bild einer Teil-Realität. Keine Theorie entspricht jeder Praxis, weil Praxis in sich sehr unterschiedlich ist. Auch Theorien sind sehr unterschiedlich und vielfältig. Sie bieten gewissermassen verschiedene Brillen, mit denen die Praxis betrachtet werden kann. Theorien machen jedoch nie den individuellen Fall sichtbar. Mit Theorien und theoretischen Modellen lässt sich Praxis also nur teilweise erklären.

Theorien sind Brillen, die helfen, die Praxis sichtbar zu machen.

Theorien sind Bestandteil von Wissenschaft. Wissenschaft oder Wissenschaftlichkeit wird häufig von Handwerk unterschieden und zeichnet sich durch Praxisferne aus. Wenn praktisch mit nützlich gleichgesetzt wird, ist Wissenschaft unmittelbar unnütz.

Keine Theorie kann auf Praxis verzichten

Wissenschaft bzw. wissenschaftliche Arbeiten dokumentieren Forschungsresultate systematisch. Forschung ist die methodische Suche nach neuen Erkenntnissen. Forschungsvorhaben leiten sich nicht selten aus der Not der Praxis ab. Forschung kann nie zu einem Ende kommen. Kein Ergebnis ist vor der nächsten Frage sicher. In dieser Unsicherheit liegt der Reiz der Forschung. Die Praxis kann diesen nur bedingt teilen, da sie im Alltag immer auch Sicherheiten produzieren oder Unsicherheiten absorbieren muss.

Theorien werden durch Erfahrung ausgewertet und konkretisiert. Es gibt keine Theorie, die auf Erfahrung verzichten kann, Weiterbildungsangebote werden dabei häufig als Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis bezeichnet. Was Praxis ist, wissen die Praktiker je einzeln konkret, wissen die Weiterbildungsanbieter punktuell oder generalisiert. Viele Praktiker haben einen Bezug zu Wissenschaft oder ein Interesse an Forschung. Weiterbildnerinnen und Weiterbildner hingegen sind angehalten, ihre Inhalte kontinuierlich wissenschaftsgestützt zu aktualisieren.

Der so genannte Praxisbezug in Weiterbildungen ist nie generalisierbar – die meisten Weiterbildungserkenntnisse müssen der individuellen Alltagssituation angepasst werden. Bei diesem Transfer ist immer mit Verlusten zu rechnen. Die Ausnahme ist, wenn die Teilnehmenden innerhalb der Weiterbildung an Problemstellungen aus ihrer eigenen Praxis arbeiten.

Brücken zwischen Weiterbildung und Wissenschaft

Eine Brücke zwischen Weiterbildung und Wissenschaft ist nicht überall erforderlich. Oft genügt ein einfacher Transfer von weiterem oder anderem Praxiswissen, beispielsweise durch eine Anregung von Peers in einer Weiterbildung. Der Weiterbildung käme hier eher eine moderierende Rolle zu. Oder die Weiterbildung geschieht sozusagen direkt in der Praxis «on the job». So wäre der Brückenweg minim, die Spannung zwischen den Polen Wissenschaft und Praxis vor Ort produktiv nutzbar.

Eine tragende Brücke zwischen Weiterbildung und Wissenschaft kann entstehen, wenn Teilnehmende gemeinsam Praxisphänomene mit Hilfe von theoretisch und empirisch fundierten Instrumenten analysieren. Dabei wird die Distanz zur eigenen Praxisumgebung und der Austausch mit interessierten Peers aus anderen Praxisumgebungen genutzt. Die Teilnehmenden kommen dadurch ihren Praxismustern auf die Spur und sind in der Lage, Routinen zu legitimieren. Für Problemsituationen in der Praxis überprüfen sie wissenschaftlich gestützte Lösungsstrategien und versuchen diese anzuwenden. Das Erkennen, Definieren und Lösen von Problemen repräsentiert ein methodisch-didaktisches Verfahren und gleichzeitig einen Forschungsprozess.

Theorien müssen in der Praxis bestehen können
Theoretische Modelle müssen in der Praxis bestehen können – nur so gelingt der Brückenschlag.

Ein Angebot in der Weiterbildung ist dann wissenschaftsgestützt, wenn es auf Forschungsergebnissen basiert und diese vermitteln möchte. Eine Theoriebasierung ist wesentlich weiter gefasst als eine Forschungsbasierung. Ich gehe davon aus, dass alle Weiterbildungsangebote mindestens teilweise theoriebasiert sind. Auch hier soll der primäre Gewinn in der Verbesserung des Arbeitswissens in der Praxis liegen.

Die Praxis wartet nicht auf die Forschung. Forschungsresultate müssen so aufbereitet sein, dass sie für Praktiker verstehbar sind; theoretische Modelle müssen den Praxistest bestehen, wofür nicht zuletzt die Praktiker verantwortlich sind. Die Resultate von Praxistests sollten wieder an die Anbieter von Weiterbildungen zurückgespiesen werden, damit sie bei ihren Angeboten inhaltliche oder methodische Modifikationen vornehmen können.

Ingenieure sind bessere Brückenbauer als Designer

Als wichtigstes Ziel von Weiterbildung wird immer wieder der Anspruch eines gelingenden Theorie-Praxis-Transfers betont. Eine solche Bewegung ist nie einseitig, der Anspruch kann aber trotzdem nur in der Praxis eingelöst werden – und dieser Anspruch bzw. das Gelingen dieses Anspruchs ist meines Wissens schlecht untersucht. Das Transferproblem bleibt, auch wenn eine Weiterbildung sich wissenschaftlich legitimieren kann. Wenn Verwendungswissen und Transfer intendiert sind, dürften am Ende der Weiterbildung nicht nur  Zufriedenheitsevaluationen gemacht werden, sondern Transferevaluationen oder so genannte tracer’s studies, welche die längerfristige Wirksamkeit von Weiterbildungsmassnahmen unter divergierenden Bedingungen der Praxis untersuchen.

Bestimmt gibt es da noch mehr Brücken, kleine und grosse, stabile und schwankende. Brücken halten übrigens nach einschlägigen Aussagen eher, wenn sie federführend durch Ingenieure und weniger durch Designer geplant werden.

Zum Autor

Porträt Geri ThomannGeri Thomann ist Leiter der Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich. Als Inhaber einer ZFH-Professur forscht und publiziert er regelmässig über Aspekte der Hochschulentwicklung und Führungsfragen.

Am ZHE bietet Geri Thomann den Kurs «Grundlagen der Beratung» an. Dieser richtet sich primär an Lehrende an Hochschulen sowie der Erwachsenenbildung, ist aber auch für Lehrpersonen der Sekundarstufe II interessant.

Redaktion: Martina Meienberg

Weiterbildung wirksam gestalten

Beitrag von Tobias Zimmermann, Mònica Feixas & Franziska Zellweger

 

Samuel sucht den nächsten Karriereschritt. Er ist ausgebildeter Maschinenbauingenieur und arbeitet seit vier Jahren in einem Hightech-Textilunternehmen. Sein Ziel ist, künftig mehr Verantwortung zu übernehmen. Mit seiner Vorgesetzten Anna hat er deshalb vereinbart, an einer Weiterbildung zum Thema Projektmanagement teilzunehmen. Die Firma übernimmt dabei einen Teil der Weiterbildungskosten.

Der Fall von Samuel ist insofern repräsentativ, als berufsbegleitende Weiterbildungen oft mit dem Ziel einer beruflichen Weiterentwicklung besucht werden. Auch dass der Arbeitgeber die Weiterbildung von Mitarbeitenden unterstützt, ist verbreitet. Ob sowohl Samuel als auch seine Firma von der Weiterbildung profitieren können, ist damit allerdings noch nicht sicher gestellt. Wir betrachten deshalb zwei mögliche Fortsetzungen der Geschichte.

Wenn kein Transfer erfolgen kann

Fortsetzung, Variante 1

Im Rahmen des Programms lernt Samuel neue Softwaretools und einige interessante Methoden zur Optimierung der Abläufe in seinem Unternehmen kennen. Er schlägt deshalb Peter, dem Leiter eines Projekts, an dem Samuel beteiligt ist, eine neue Methode zur Kostenkontrolle vor. Peter zeigt zwar Interesse, findet aber, dass derzeit nicht der beste Zeitpunkt für Veränderungen sei. Samuel ist frustriert über diese Antwort und hofft bald ein eigenes Projekt leiten zu können. Und nach vier Jahren ist es vielleicht an der Zeit, den Arbeitsplatz zu wechseln.

Was läuft hier schief? In dieser Variante der Geschichte gibt es deutliche Schwierigkeiten bei der Übertragung des erworbenen Lernens. So ist zu fragen:

  • Welche Kompetenzen in Projektmanagement kann Samuel von der Weiterbildung in die Arbeitstätigkeit transferieren, wenn er erst in unbestimmter Zukunft die Möglichkeit erhält, sie anzuwenden?
  • Wie kann Samuel die Motivation zur Anwendung neuer Kompetenzen aufrecht erhalten, wenn seine Arbeitskollegen wenig Interesse an seinen neuen Kenntnissen zeigen?
  • Welche Rolle spielt die Vorgesetzte über die Zustimmung zur Teilnahme an einer Weiterbildung hinaus?

Die Bedeutung des Arbeitsumfelds für den Transfer

Die Fragen zeigen: Es genügt nicht, dass Samuel sich weiterentwickeln will und die Vorgesetzte zustimmt. Es reicht auch nicht, dass er tatsächlich in der Weiterbildung neue Kompetenzen erwirbt und diese anwenden möchte. Vielmehr spielen auch organisationale Faktoren eine erhebliche Rolle. So lange Samuel keine Gelegenheit dazu erhält, kann er die neu erworbenen Kenntnisse für die Firma nicht nutzbar machen. Das kann sowohl für ihn selbst als auch für seine Vorgesetzte frustrierend sein.

Neben der didaktischen Gestaltung von Weiterbildungen und individuellen Voraussetzungen der Teilnehmenden sind also auch Voraussetzungen auf Seiten der Organisation wichtig. Sie beeinflussen wesentlich, inwiefern neu erworbenes Wissen und Können am Arbeitsplatz angewendet und vertieft werden kann (siehe Grafik).

Faktoren, die den Transfer beeinflussen
Grafik von Mònica Feixas und Franziska Zellweger

Der Transfer gelingt

Samuels Geschichte kann aber auch anders verlaufen als oben geschildert. Zum Beispiel so:

Fortsetzung, Variante 2

Die Leiterin von Samuels Weiterbildung bespricht mit ihm zu Beginn der Weiterbildung, welches seine Ziele sind und welche Chancen und Risiken damit verbunden sind. Sie ermuntert ihn zudem, dies auch mit seiner Vorgesetzten zu besprechen. Samuel beherzigt das und bespricht mit Anna und Peter seine Ziele und Erwartungen. Die drei einigen sich darauf, dass Samuel künftig regelmässig in Sitzungen des Projektteams seine neusten Erkenntnisse aus der Weiterbildung präsentiert.
Zudem erhält Samuel im Rahmen der Weiterbildung Gelegenheit, betreut von Kursleitenden an einem herausfordernden Problem seiner aktuellen Arbeit zu arbeiten. Es gelingt ihm, das Projektteam mit einer neuartigen Lösung zu unterstützen.

Wieso gelingt in dieser Variante der Geschichte der Transfer am Arbeitsplatz so viel besser? Die entscheidenden Einflüsse sind auf zwei Ebenen auszumachen:

  • Die Weiterbildung strebt gezielt an, dass die Teilnehmenden ihre neu erworbenen Kompetenzen in ihrer Berufspraxis anwenden und vertiefen können. Ein persönliches Gespräch zur Standortbestimmung der Teilnehmenden oder didaktische Designs, die auf den Transfer zielen, sind zwei von diversen Möglichkeiten, den Transfer zu erhöhen.
  • Die wichtigsten Bezugspersonen in der Firma, die Chefin Anna und Projektleiter Peter, sind sowohl interessiert an Peters Weiterentwicklung als auch an aktuellem Wissen im Bereich des Projektmanagements. Entscheidend dürfte das frühzeitig erfolgte Gespräch über Samuels Ziele gewesen sein: Damit konnten alle Beteiligten sich gegenseitig ihre Erwartungen transparent machen und sich über ein konkretes Vorgehen verständigen.

Den Transfer begünstigen

Transfer - Lerntransfer - Weiterbildung an Hochschulen. Über Kurse und Lehrgänge hinaus.
Lerntransfer: zentrales Thema im neuen Band “Weiterbildung an Hochschulen”

Lerntransfer ist komplex und wissenschaftlich nicht leicht zu fassen. Dennoch ist er letztlich das Ziel jeder berufsbegleitenden Weiterbildung. Wir empfehlen daher, den Transfer bewusst zu planen. Damit eine Weiterbildung möglichst viel Lerntransfer in die Arbeitstätigkeit begünstigt, sind (mindestens) die folgenden Faktoren zu berücksichtigen:

  1. Die Voraussetzungen für einen positiven Lerntransfer identifizieren. Dabei sind die organisatorischen Faktoren (Ziele, Betriebsklima, Ver­änderungsbereitschaft, etc.) zu untersuchen und mit den individu­ellen Faktoren der Teilnehmenden (Motivation, Kapazität, etc.) und dem
    Design der Weiterbildung abzugleichen.
  2. Strategien zur Stärkung des Transferdesigns festlegen.
  3. Eine Kombination der oben genannten Strategien umsetzen. Dabei sollten die Teilnehmenden, die Weiterbildungsdozierenden und die Vorgesetzten im Rahmen eines Transferplans einbezogen werden.
  4. Den Transferplan wiederholt daraufhin betrachten, ob er zusätzliche positive Veränderungen seitens des Individuums und der Organisation auslösen kann.

Damit sei gleichzeitig auch festgehalten, dass Lernprozesse nicht im Detail geplant und vorausgesehen werden kann und dass es auch Themen und Ziele gibt, die ausschliesslich der individuellen Entwicklung dienen.

Fazit

Weiterbildungen haben häufig die unmittelbaren positiven Auswirkungen auf die einzelnen Teilnehmenden im Blick. Die längerfristigen Auswirkungen auf die Teilnehmenden, aber auch auf ihre Arbeitskollegen und das berufliche Umfeld finden dagegen oft weniger Beachtung. Damit Weiterbildungen auch für die Arbeitgeber und das Arbeitsumfeld der Teilnehmenden positive Auswirkungen haben, muss aber die organisationale Ebene bewusst einbezogen werden: Das Zusammenwirken von Weiterbildungs- und Arbeitskontext ist entscheidend für einen umfassenden Erfolg von Weiterbildungen. Dabei gibt es verschiedene Formen, diese Schnittstelle zu gestalten. So ist neben der bekannten Unterscheidung von Weiterbildung on the job und off the job insbesondere auch das Konzept einer Weiterbildung near the job interessant.

Dieser Text ist die Kurzfassung eines Kapitels in unserem neuen Band Weiterbildung an Hochschulen. Über Kurse und Lehrgänge hinaus (Hrsg. Tobias Zimmermann, Geri Thomann & Denise Da Rin).

Eine Rezension des Buches ist in der Zeitschrift «Die Hochschullehre» erschienen.

Weitere Blogbeiträge zu Themen des Buches:
>> Demenz oder Doping? Social Media in der Weiterbildung
>> Wettbewerb: Weiterbildung an Hochschulen 

Zu den Autor/-innen

tz_Porträt_swTobias Zimmermann ist Dozent am ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich.

 

Porträt Mònica Feixas

Mònica Feixas ist Professorin an der Universitat Autònoma Barcelona (UAB) und Lehrbeauftragte am ZHE.

 

fz_Porträt_swFranziska Zellweger Moser leitet das ZHE. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich der Hochschuldidaktik, Hochschul- und Curriculumsentwicklung.

 

Portfolio schreiben: Probleme und Lösungsansätze

Beitrag von Alex Rickert und Yves Furer

Praktische Erfahrungen und Theorie schreibend verbinden

Viele Studiengänge an Fachhochschulen sehen nebst akademischen Ausbildungsteilen auch berufsbezogene Praktika vor – etwa in Schulen, Spitälern oder in Unternehmen. Die dort gemachten Erfahrungen sollen die Studierenden schriftlich verarbeiten und auf die theoretischen Inhalte des Studiums beziehen. Studierende an Fachhochschulen müssen also nicht nur wissenschaftlich, sondern auch reflexiv schreiben lernen. Hierfür eignet sich das Schreiben eines Portfolios. Unter einem Portfolio verstehen wir einen Text, in dem Studierende praktische Erfahrungen mit theoretischen Inhalten verbinden. Das Ziel solcher Texte ist, dass sich Studierende professionell weiterentwickeln und sowohl theoretisch fundiert als auch reflektiert über Probleme aus ihrer späteren Berufspraxis nachdenken. Doch das Schreiben eines solchen Textes ist alles andere als trivial und will gelernt sein.

Portfolio schreiben
Portfolio schreiben will gelernt sein.

Was sind die drei grössten Probleme beim Schreiben des Portfolios und wie können sie gelöst werden? Das Schreibzentrum der PH Zürich entwickelte einen freiwilligen Kurs für das Schreiben von Portfolios. Der Kurs begegnet drei Problemen mit schreibdidaktischen Methoden:

Problem #1: Das Portfolio stellt keine einheitliche Textsorte dar

Jeder Teil des Portfolios erfüllt eine andere Funktion, was das Kombinieren von verschiedenen Textsorten zur Folge hat. Die Studierenden sollen eine Praxiserfahrung schildern und daraus eine Problemstellung entwickeln. Der theoretisch orientierte Teil soll hingegen eine wissenschaftliche Argumentation enthalten und im reflektierenden Teil soll diese Argumentation auf die spätere Berufspraxis bezogen werden. Da diese «vermischte» Textsorte vielen Studierenden Schwierigkeiten bereitet, bietet sich folgende didaktische Massnahme an:

Ansatz: Vermitteln von Textstrukturwissen
Die Textstruktur des Portfolios wird transparent gemacht. Es wird besprochen, welche kommunikative Funktion wissenschaftliche Argumentationen, Reflexionen und andere Textteile haben und wie diese Teile miteinander verbunden sind. Mit Hilfe dieses Förderelements sollen die Probleme bei der Verknüpfung von einzelnen Textteilen angegangen werden.

Problem #2: Im Erfahrungsteil des Portfolios werden Erlebnisse aus dem Praktikum oft bloss nacherzählt, ohne dass eine Problemstellung fokussiert würde

Es fehlt häufig eine Analyse der Problematik, die in einer präzisen Fragestellung mündet. Daraus resultiert ein wenig differenzierter Blick auf Ursachen und Implikationen der Problemstellung. Ohne Fokus aus dem Erfahrungsteil sind die Studierenden jedoch nicht in der Lage, im Theorieteil eine eigene gedankliche Struktur zu entwickeln. Ein Graphic Organizer und explizite Strategievermittlung können da Unterstützung bieten.

Ansatz a: Einsatz von Graphic Organizer
Eine exemplarisch angeleitete Analyse einer Praxissituation hilft, eine präzise Fragestellung zu formulieren. Darauf aufbauend wird ein Graphic Organizer für den ganzen Portfoliotext erstellt, um die Relationen zwischen den Textteilen zu visualisieren. Dieser Graphic Organizer fungiert als Provisorium bzw. Zwischentext und bildet dadurch ein wichtiges Bindeglied der Lese- und Schreibprozesse und  hilft dabei, Texte zu strukturieren bzw. einen Schreibplan zu erstellen.

Ansatz b: Vermittlung von Lese- und Schreibstrategien
Beim Schreiben von Portfolioeinträgen benötigt man strukturierende mentale Aktivitäten, um sowohl lese- als auch schreibbezogene Ziele zu erreichen. Hierfür bietet sich die Vermittlung von Lese- und Schreibstrategien an. Beispielsweise wird das Lesen und Strukturieren der Literatur durch ein Kodiersystem unterstützt, das mit Farben arbeitet.

Problem #3: Theoretische Inhalte werden in einer additiven Struktur präsentiert

Zitate reihen sich an Zitate, so dass der Theorieteil zu einer Zusammenfassung verkommt. Viele Studierende fügen solange theoretische Themen aneinander, bis die geforderte Seitenzahl erreicht ist. Folgende Massnahme kann gegen dieses Problem in den Blick genommen werden:

Ansatz: Studieren von exemplarischen Textmodellen
Dieses Förderelement soll Studierende für gelungene Textprodukte sensibilisieren. Dafür werden prototypisch ge- und misslungene Texte (in diesem Fall: Portfoliotexte) analysiert und miteinander verglichen. Dieses Vorgehen kann helfen, das Problem der additiv und unverbunden wiedergegebenen Theorieteile sowie der mangelnden Informationsverknüpfung zu lösen. Zudem dient es der Entwicklung einer Fragestellung.

Ganz abgesehen von diesen Fördermassnahmen erscheint uns zentral, dass bei Dozierenden ein Bewusstsein dafür entsteht, wie komplex das Schreiben eines Portfolios ist. Sowohl wissenschaftliche als auch reflexive und berichtende Schreibhandlungen sind gefordert. Indem Dozierende Studierenden schreibdidaktische Strategien explizit vermitteln, fördern sie solche Kompetenzen.

Alex Rickert und Yves Furer beraten im Schreibzentrum der PH Zürich Dozierende und wissenschaftliche Mitarbeitende beim effizienten Anweisen, Begleiten und Beurteilen von studentischem Schreiben. 

Literaturhinweise:

Mehr zu Schreiben und Reflektieren finden Sie im Band 5 unserer Reihe «Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung»:
- Hermann, Thomas & Furer,Yves (2015): «Dokumentieren – Lernen –  Bewältigen: Funktionen und sprachliche Realisationen schriftlicher Reflexion.»
- Wyss, Corinne & Ammann, Daniel (2015): «Rundum reflektieren: Von der praktischen Erfahrung zum planvollen Handeln.»

Mehr zu wissenschaftlichem Schreiben von Studierenden:
- Rickert, Alex (2017): «Themenorganisation in Seminararbeiten: Eine Analyse mit schreibdidaktischen Empfehlungen.» In: Doing Applied Linguistics: Enabling Transdisciplinary Communication. Festschrift Urs Willi, hrsg. v. Daniel Perrin und Ulla Kleinberger, 1-15 (Zusatzbeitrag). Berlin: de Gruyter.

Zu den Autoren

Alex Rickert ist Dozent an der PH Zürich und Leiter des Schreibzentrums.

 

Yves Furer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Schreibzentrum.

 

Redaktion: ZBU

Digitalisierte Arbeit: Von Initiative + Unplanbarem

Erik HaberzethErik Haberzeth ist Inhaber der Professur für Höhere Berufsbildung und Weiterbildung am ZHE der PH Zürich und forscht zum Thema Digitalisierung der Arbeit.

 

Wieder einmal wird intensiv über die Stellung des Menschen gegenüber der Maschine und in Automatisierungsprozessen diskutiert. Die Kernfrage ist: Kommt es zu einer Dequalifizierung durch digitale Technik oder gar zu einem Ersatz menschlicher Arbeit? Oder bleibt menschliches Arbeitsvermögen doch unersetzlich? Kann sinn- und identitätsstiftende, also letztlich «gute Arbeit» erhalten oder gar ausgebaut werden?

Menschliches Arbeitsvermögen und digitalisierte Arbeit

Dieser Problemkomplex ist natürlich alles andere als neu. Bereits das Cover der «Spiegel»-Ausgabe vom 1. April 1964 zeigt einen alles könnenden, vielarmigen, mit Augen, Ohren und Hirn ausgestatteten Roboter, der den kleinen und hilflosen Menschen mit seinem Fuss wegkickt (siehe Hessler, 2014). Allen damaligen und seither immer wiederkehrenden Befürchtungen zum Trotz ist uns aber die Arbeit bis heute nicht ausgegangen.

Industrieroboter
Digitalisierte Arbeit in der Automobilindustrie: Fast wie auf dem berühmten Spiegel-Cover?

Es stimmt zwar, dass sich der Schweizer Arbeitsmarkt aktuell in einer guten Ausgangslage befindet und von der Digitalisierung vermutlich profitieren wird (vgl. Mitteilung Bundesrat vom 08.11.2017). Zur Wahrheit gehört aber auch: Dem einzelnen Beschäftigten, der seinen Arbeitsplatz durch Automatisierung verliert oder dessen Beruf nicht mehr benötigt wird, ist es ein schwacher Trost, wenn die Beschäftigungslage im Allgemeinen stabil ist. Und ein Selbstläufer ist eine positive Entwicklung sicherlich nicht: Gerade eine gute Job-Qualität muss aktiv gestaltet werden. Dabei spielt Weiterbildung eine zentrale Rolle. Ihre Rolle diskutieren wir auch an der Tagung «Digitalisierung und Weiterbildung» am 25. Januar 2018 an der PH Zürich.

Schweigendes Wissen

Mit dieser Perspektive forschen wir im Kooperationsprojekt  «Kompetenz 4.0» der Universität Hamburg und der PH Zürich. Die Besonderheit: Wir gehen in die Betriebe und unterhalten uns direkt mit den «normalen» Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, also mit denjenigen, die letztlich mit den digitalen Anwendungen umgehen müssen. Tatsächlich spielt die Sichtweise der Beschäftigten in der Diskussion um digitalisierte Arbeit bislang kaum eine Rolle. Meistens werden lediglich Unternehmens- oder Branchenvertreter um ihre Einschätzung gebeten, wie sich Arbeit wandelt und welche Kompetenzen wichtig werden; so gut wie nie aber die Beschäftigten selbst. Und das ist fatal, denn letztlich sind sie die Experten und Expertinnen ihrer Arbeit: Sie wissen aus einer Innensicht heraus, was es braucht, damit Arbeitsprozesse tatsächlich effizient laufen. Viele funktionierende Arbeitsprozesse beruhen nämlich auf dem «schweigenden Wissen» der Beschäftigten, das vom Standpunkt des externen Beobachters nicht einfach erkannt werden kann. Dazu gehören auch genuin menschliche Wissens- und Handlungsqualitäten wie Kreativität, Intuition und Initiative.

Bewältigung von Unplanbarem

Unsere Daten aus Logistik und Detailhandel zeigen: Ein solches menschliches Arbeitsvermögen ist unersetzlich bei der Bewältigung von Unwägbarkeiten und Unplanbarem (schon Böhle, 2005). Eigentlich müssten die technischen Systeme so gut wie alles regeln – tun sie aber nicht. Im Detailhandel beispielsweise gibt es automatische Bestellsysteme, die auf der Grundlage der Abverkaufszahlen Waren ordern. Das System ist aber nicht dazu in der Lage, Diebstahl, Defekte oder ein falsches Einscannen von Kunden zu erfassen. Zudem kann es «unberechenbare» Faktoren wie Wetter (z.B. Grillwetter!), Warenqualität oder Trends nicht hinreichend abbilden. Die Beschäftigten müssen korrigierend eingreifen. Es zeigen sich auch nicht-intendierte Effekte der Technik: So sind zum Beispiel Kunden an Selbstbedienungsgeräten ratlos oder es gibt technische Ausfälle (die Kasse blockiert, das Selbstbedienungsgerät friert ein, das WLAN fällt aus).

Digitalisierte Arbeit: Unplanbares im Detailhandel
Von technischen Ausfällen bis zum Grillwetter: Trotz digitalen Fortschritten gilt es Unplanbares flexibel und intuitiv zu bewältigen.

Entscheidend ist nun: Solche Unwägbarkeiten sind keine Ausnahme, sondern vielmehr die Regel und fester Bestandteil des Arbeitsalltags. Sie verursachen erhebliche Probleme in den alltäglichen Arbeitsabläufen und werden von den Beschäftigten immer wieder aufgefangen. Die Fachkräfte setzen dabei Gespür und Intuition, Kreativität, Entscheidungsflexibilität und Improvisationsfähigkeit ein. Dieses Vermögen basiert auf ausgeprägter Erfahrung und – das ist wesentlich – auf Arbeitsidentifikation: Die Beschäftigten identifizieren sich prinzipiell mit ihrer Arbeit und wollen «am Ende des Tages» gute Arbeit leisten. Deshalb ergreifen sie Initiative, bringen sich mit ihren Fähigkeiten, ihrem Gespür, ihrer Motivation ein und sorgen so für reibungslose Abläufe. Das ist auch für digitalisierte Arbeit zentral.

Fazit: Weiterbildung personalorientiert denken

Für die Arbeitsgestaltung und Weiterbildung heisst das: Es sind humane Arbeitsbedingungen notwendig, die sich u.a. durch Handlungsspielräume und Aufgabenvielfalt auszeichnen. Wird menschliche Subjektivität unterbunden, kann sich auch keine Initiative mehr entfalten. Die Weiterbildung darf folglich nicht zu einer anforderungszentrierten Anpassungsqualifizierung verkommen, bei der isolierte XY-Fähigkeiten – abgeleitet aus der Technikentwicklung – geschult werden. Natürlich ist nichts gegen die Schulung spezifischer Fähigkeiten und Kenntnisse zu sagen, wenn es gleichzeitig auch um Kompetenz geht. Es gilt Kompetenz als ein «ganzheitliches» Potenzial der Problembewältigung zu fördern, wie es in unserer Studie deutlich wird: Kreativität, Initiative und Intuition auf der Basis von Erfahrung und Identifikation.

Wenn dies die Perspektive der Weiterbildung ist, müssen von Anfang an Beschäftigte eingebunden werden. Dies beginnt bereits bei der Bedarfsanalyse von technischen Entwicklungen wie auch von Weiterbildung: Es geht darum, die Beschäftigten als Expertinnen und Experten ihrer eigenen Arbeit zu begreifen und ihre Erfahrungen von funktionierender und guter Arbeit aufzunehmen. Die Beteiligung muss aber weiterreichen bis zur Gestaltung von Arbeitssituationen und Arbeitsplätzen: Was brauchen die Beschäftigten, um ihr Potenzial einbringen zu können? Es kommt darauf an, den Vorrang der Technik aufzugeben und den Beschäftigten nicht nur eine «Lückenbüsserfunktion» zuzuweisen, nämlich dann einzugreifen, wenn Unplanbares auftaucht, sondern stattdessen einen «Kompetenzentwicklungspfad» einzuschlagen.

Haben Sie Interesse daran, Fragen von Digitalisierung, Weiterbildung und der Gestaltung von digitalem Lehren und Lernen weiterzudenken und zu diskutieren? Das können Sie an der Tagung «Digitalisierung und Weiterbildung» am 25. Januar 2018 an der PH Zürich. 

Erik Haberzeth bloggte bereits zum Thema «Weiterbildung 4.0: Was ist Trend, was ist Hype?».

Redaktion: ZBU

Kompetenzentwicklung in Beruf + Schule

Porträt Andreas SägesserBeitrag von Andreas Sägesser, Dozent für Fachdidaktik in der Ausbildung Berufsfachschulen/Sekundarstufe II an der PH Zürich und selbständiger Berater für die Förderung von Kompetenzentwicklungen an Schulen und in Firmen.


Fortsetzung zum Beitrag Selbstorganisiert lernen mit ePortfolio

Ein ePortfolio kann als Werkzeug für das eigene Lernen beschrieben werden. Es hilft sich zu motivieren und zu organisieren, macht Lernprozesse sichtbar, verknüpft Ressourcen und lässt andere am Lernen teilhaben – es unterstützt das selbstorganisierte Lernen. In einem ersten Blogbeitrag zum ePortfolio habe ich an einem praktischen Beispiel gezeigt, wie ich mit meinem ePortfolio Kompetenzen, Ressourcen und Lernprozesse sammle, dokumentiere und verknüpfe. Ein ePortfolio lässt sich aber nicht nur für das persönliche Lernen einsetzen, es ist auch in der beruflichen Entwicklung und für das schulische Lernen wertvoll und vielseitig einsetzbar. Welche Rolle Kompetenzen spielen und wie ePortfolios im Beruf und an Schulen und Hochschulen eingesetzt werden, macht dieser Beitrag deutlich.

e-Portfolio unterstützt die berufliche Entwicklung

Die Personalentwicklung in Unternehmen richtet sich heute vermehrt nach Kompetenzen aus. Diese Entwicklung beruht auf der Erkenntnis, dass fachliches Wissen an Bedeutung verliert. Erfolgreiche Unternehmen beschäftigen sich deshalb mit der Frage, wie eigenverantwortliche Mitarbeitende im Netzwerk ihr volles Potential ausschöpfen und Innovation vorantreiben können. Dafür braucht es primär überfachliche Kompetenzen, welche sich im Dialog mit sich selbst und anderen entwickeln lassen. Das ePortfolio eignet sich perfekt dafür, eher theoretische Wissensressourcen (zum Beispiel aus externen Weiterbildungen) mit den praktischen Ressourcen und Erfahrungen im Berufsalltag zu vernetzen (siehe Bild) und so überfachliche Kompetenzen zu fördern.

ePortfolio vernetzt
Mit dem ePortfolio können Arbeits- und Lebensbereiche vernetzt werden.

Das ePortfolio kann so als Basis für förderorientierte Gespräche mit Vorgesetzten dienen. Bei diesen Gesprächen wird beispielsweise gemeinsam vereinbart, welche Kompetenzen als Entwicklungsziele für die nächste Zeit ins ePortfolio integriert und dort aktiv bearbeitet werden. Dabei ist es mir ein Anliegen, dass wir den Bereich Kompetenzen möglichst «breit» denken. Auch für Führungspersonen kann es wertvoll sein, ihre Führungskompetenzen im ePortfolio bewusst weiterzuentwickeln. Ein mögliches Ziel könnte lauten:

Ich kann im Mitarbeitendengespräch weniger als 20% Gesprächszeit in Anspruch nehmen. Ansonsten höre ich aktiv zu!

Die Entwicklung solcher Kompetenzen ist allerdings eine grosse Herausforderung: Sie sind fest in der Person verankert. So sind wir «gefährdet», dass vor allem unter Druck alte Muster wieder zum Vorschein kommen. Mit dem ePortfolio haben wir die Chance, diese Muster im Notizbuch Prozesse zu erkennen und aktiv anzugehen.

ePortfolio an Schulen und Hochschulen nutzen

An Schulen und Hochschulen werden in den Lehrplänen vermehrt Kompetenzen formuliert (Grundbildung, Lehrplan21; Berufsbildung, Handlungskompetenzorientierung). An diesen Vorgaben der Bildungspläne orientieren sich die Lern- und Entwicklungsprozesse der Lernenden. Solche Kompetenzziele lassen sich mittels ePortfolio im Unterricht integrieren, wie ich an einem Beispiel zeige:

Wir orientieren uns in den Studiengängen der Sekun­dar­stufe II/Be­rufs­bildung an Kompetenzen, die 10 Handlungsfeldern zugeordnet sind. Diese Kompetenzen lassen sich als zentraler Bestandteil ins ePortfolio integrieren. Dieser Bereich steht den Studierenden ab Studienstart zur Verfügung (siehe Bild).

Vorlagen Kompetenz ePortfolio
Bildungsziele lassen sich im Bereich Kompetenzen integrieren und bearbeiten.

Die Studierenden können sich daran orientieren und sogleich mit der Bearbeitung ihres Kompetenzprofils beginnen. Sie sammeln Ressourcen und verknüpfen diese mit den entsprechenden Kompetenzen – in formalen Lernsettings oder ausserhalb davon. Erfahrungen aus der beruflichen Praxis dokumentieren und reflektieren sie beispielsweise im Bereich Prozesse. Und die ePortfolios werden schliesslich im Lerntandem oder in Lerngruppen geteilt. Somit wird kooperatives und kollaboratives Lernen und Entwickeln unabhängig von Ort und Zeit ermöglicht und gefördert.

Als Dozierende mit ePortfolios unterstützen und lernen

Als Dozent lade ich die Studierenden ein, ihre ePortfolios zudem mit mir zu teilen. Die Notizbücher Kompetenzen, Ressourcen und Prozesse staple ich pro Student/in. Es ist mir dabei sehr wichtig, dass die Studierenden mich einladen und nicht umgekehrt. Studierende können somit ihre ePortfolios vollständig selber verwalten und bestimmen, welche Teile, zu welchem Zeitpunkt und mit wem geteilt werden. Dieser Grundsatz hat sich auch in Unternehmen (z.B. bei TBF) bewährt, die ihre Mitarbeitenden bei der Entwicklung des individuellen ePortfolios unterstützen.

Die Möglichkeiten des ePortfolios sind für mich als Dozenten einzigartig: Ich kann Lernaktivitäten in den ePortfolios beobachten und optimal unterstützen. Über das ePortfolio gewinne ich rasch den Überblick und sehe, wo eine förderorientierte Rückmeldung hilfreich sein kann – vielleicht gelingt es mir dann sogar, die eine oder andere Ressource in den Prozessen der Studierenden zu vernetzen. Ich schätze es sehr, dass ich als Dozent dabei  immer «mitlernen» darf. Plötzlich entdecke ich für mich unbekannte Ressourcen in ePortfolios von Studierenden, welche mir selbst eine Weiterentwicklung möglich machen oder eine neue Lösung aufzeigen. Somit werde ich als Dozent ebenfalls Teil des lernenden Systems (siehe dazu auch das Personal Learning Network). Ähnlich verstehe ich meine Rolle auch in Unternehmen – vielleicht passt da die Bezeichnung Facilitator.

Mehr zu ePortfolios und wie sie genutzt werden können, gibt es im ersten Teil dieses Blogbeitrages zu lesen: Selbstorganisiert lernen mit ePortfolio.

Andreas Sägesser hat an der PH Zürich die Veranstaltungsreihe SOL Live ins Leben gerufen, wo es um den Austausch zum Selbstorganisierten Lernen geht. Dabei ist das ePortfolio ein zentrales Werkzeug.

Lesetipps: 
Interview mit Andreas Sägesser: Die Chancen von ePortfolios nutzen. 
Miller & Volk (2013): E-Portfolio an der Schnittstelle von Studium und Beruf. 

Videotipp: Kurzvideo mit Andreas Sägesser über ePortfolios

Redaktion: ZBU

Selbstorganisiert lernen mit ePortfolio

Porträt Andreas SägesserBeitrag von Andreas Sägesser, Dozent für Fachdidaktik in der Ausbildung Berufsfachschulen/Sekundarstufe II an der PH Zürich und selbständiger Berater für die Förderung von Kompetenzentwicklungen an Schulen und in Firmen.


Das persönliche Lernen und die persönliche Entwicklung gewinnen in Unternehmen wie in Schulen an Bedeutung – Schlagworte sind Personalentwicklung oder Kompetenzentwicklung. Das global vernetzte Wissen und Können steigert sich exponentiell – es entsteht immer schneller mehr davon (Erpenbeck 2010). Wir können also nicht davon ausgehen, dass einmal entwickelte Kompetenzen für die Gestaltung unseres Lebens «ausreichen». Gefordert ist ein lebenslanges Lernen sowie die Fähigkeit und Bereitschaft, sich stetig weiterzuentwickeln.

Als eine mögliche Lösung dieser Herausforderung erklärt Arnold «die sich selbst schärfenden Werkzeuge». Das sind Werkzeuge, welche durch ihren Einsatz immer wieder aufs Neue geschliffen werden. Ich möchte hier zeigen, dass das ePortfolio ein solches Werkzeug fürs Lernen sein kann. Es hilft, sich selbst zu motivieren und zu organisieren, Lern- und Entwicklungsprozesse können aktiv gestaltet und eben das eigene Kompetenzprofil kontinuierlich «geschliffen» werden. Wie das aussehen könnte und wozu es eingesetzt wird, mache ich an einem persönlichen Beispiel deutlich.

ePortfolio für ein Klavierstück

Ich sitze im Auto und höre aus dem Radio wunderbare Klaviermusik. Rasch finde ich heraus, dass es sich beim Stück um «River flows in you» von Yiruma handelt.

Ich spiele selber Klavier und möchte «The River flows in you» unbedingt lernen. Um meinen Lern- bzw. Kompetenzentwicklungsprozess aktiv zu unterstützen, nutze ich seit einigen Jahren mein persönliches ePortfolio – das tue ich auch in diesem Fall. Nachfolgend zeige ich, wie ich vorgegangen bin.

Ziel definieren

Ich überlege mir, wie ich mein Ziel beschreiben könnte und schreibe dann in eine Notiz im ePortfolio: Ich kann «River flows in you» vor einem kleinen Publikum auf dem Klavier auswendig spielen.

Dieser Eintrag befindet sich in meiner Struktur auf der Ebene der Kompetenzen – ein wichtiger Bestandteil meines ePortfolios. Eine Kompetenz formuliere ich immer mit «ich kann …» und beschreibe anschliessend möglichst genau, was ich können möchte. Häufig ist es hilfreich, die Situation, in der die Kompetenz «gezeigt» werden soll, in die Beschreibung zu integrieren (siehe Beispiel).

Ressourcen sammeln

In meinem Lernprozess trage ich unter Ressourcen Hilfsmittel ein, die mir helfen, die Kompetenz zu entwickeln. So finde ich zum Beispiel die Musiknoten von «River flows in you», die ich als eine erste Ressource ablege (siehe Abbildung). Weiter entdecke auf Youtube ein Video wie Yiruma seine Komposition performt – ein weiteres Hilfsmittel für meinen Lernprozess.

Screenshot Ressourcen im ePortfolio
Die Noten zu «River flows in you» befinden sich nun als Ressource im ePortfolio

Zudem finde ich heraus, dass Yiruma das Stück in A-Dur spielt. Ich suche die A-Dur Tonleiter, lege sie in meinem ePortfolio ab und verknüpfe sie mit den Musiknoten. Auch der Kontakt zu meinem Klavierlehrer ist bei den Ressourcen eingetragen. Offene Fragen diskutiere ich jeweils direkt mit ihm. Ressourcen können sehr vielfältig sein und umfassen beispielsweise spannende theoretische Modelle und Erkenntnisse, praktische Erfahrungen von Kolleginnen und Kollegen, Artikel aus dem Web oder aus Zeitschriften, passende Abschnitte aus der Literatur oder Zusammenfassungen und Visualisierungen aus Vorträgen.

Lernprozesse dokumentieren

Meine Lern- und Entwicklungsprozesse dokumentiere und reflektiere ich kontinuierlich im Bereich Prozesse. Ich notiere zum Beispiel, wenn ich wieder einmal Probleme mit dem Fingersatz der A-Dur Tonleiter habe. Ein solches Lerntagebuch ermöglicht es mir, das eigene Lernen und die Veränderungen immer besser zu verstehen. Es hat sich als sehr wertvoll erwiesen. Meine Lernstrategien verändere ich so auch bewusst, indem ich zum Beispiel mit einem unbekannten Weg experimentiere und den eigenen Fortschritt beobachte. Durch die Dokumentation der Lernprozesse (siehe Beispiel) kann ich meine Lernstrategien dem aktuellen Kontext anpassen und flexibel reagieren.

Lernerfolg festhalten

Und irgendwann nach ein paar Wochen kann ich «The River flows in you» auswendig spielen und auch ein kleines Publikum bringt mich nicht aus der Fassung. Meinen Lernerfolg dokumentiere ich, indem ich das Audio in die Ressourcen integriere und mit der entsprechenden Kompetenz verknüpfe. Dieser Eintrag ist somit der Beleg oder der Indikator meines Fortschritts. Der Fortschritt wird sicht- und erkennbar – eine Selbstwirksamkeitserfahrung, die sich sehr positiv auf die eigene Motivation auswirkt.

Beispiel Prozess ePortfolio

 

Praktische Umsetzung und Verknüpfung des ePortfolios

Das ePortfolio, bestehend aus den Ebenen Kompetenzen, Ressourcen und Prozessen, kann unabhängig von Ort und Zeit mit verschiedensten Devices entwickelt und gepflegt werden. Dafür verwende ich den Web-Dienst Evernote.  Er ermöglicht das Sammeln von Notizen, Dokumenten und anderen Dateien. Die gesammelten Kompetenzen, Ressourcen und Prozesse können so kontinuierlich verdichtet und überarbeitet werden; durch die Verknüpfung entsteht ein wertvolles Netzwerk.

Evernote als Device fürs ePortfolio
Durch Dienste und Apps wie Evernote können Notizen gesammelt und verwaltet werden.

An «The River flows in you» wird offensichtlich, dass das ePortfolio nicht nur aus einem Dienst besteht. Meine Lern- und Entwicklungsprozesse im ePortfolio kopple ich mit weiteren geeigneten Diensten, zum Beispiel zur Visualisierung oder zur Präsentation. Ich verknüpfe in den Ressourcen das Video von Yiruma auf Youtube oder erfasse es direkt im ePortfolio. Den Kontakt zum Klavierlehrer verbinde ich via Social Media und die Quelle der Klaviernoten halte ich ebenfalls in den Ressourcen fest. Durch diese Verknüpfung von Diensten entsteht eine Personal Learning Environment (PLE).

ePortfolios kooperativ nutzen

Innerhalb meiner PLE teile ich verschiedenste Bereiche (Notizbücher) oder kopple Ressourcen (zum Beispiel Dokumente als GoogleDocs) mit interessierten Kolleginnen und Kollegen. Dort arbeiten, lernen und entwickeln wir kooperativ und kollaborativ. Wir tauschen uns aus und lassen uns gegenseitig an unseren Erkenntnissen und reflektierten Erfahrungen teilhaben. Aus mehreren PLE’s entsteht somit ein Personal Learning Network (PLN).

Das ePortfolio ist für verschiedenste Bereiche des persönlichen Lernens ein nützliches Werkzeug. Netzwerke mit anderen Kollegen oder auch Studierenden eröffnen Möglichkeiten persönliches und gemeinsames Lernen zu fördern.

Wie ePortfolios in der beruflichen Entwicklung, Schule und Hochschule eingesetzt und begleitet werden können, lesen Sie in der Fortsetzung zu diesem Blogbeitrag: Kompetenzentwicklung in Schule + Beruf.

Andreas Sägesser hat an der PH Zürich die Veranstaltungsreihe SOL Live ins Leben gerufen, wo es um den Austausch zum Selbstorganisierten Lernen geht, wobei das ePortfolio als hilfreiches Werkzeug eine Rolle spielt.

Videotipp: Kurzvideo mit Andreas Sägesser über ePortfolios

Redaktion: ZBU

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