China: Einmal sehen ist besser als hundertmal hören

Christine Bieri BuschorBeitrag von Christine Bieri, Professorin und Forschungszentrumsleiterin an der PH Zürich, Erfahrung als Expat in Guangzhou, und

Barbara Nafzger

von Barbara Nafzger, Bereichsleiterin und Koordinatorin International Office an der PH Zürich. Sie studierte Sinologie, Kunstgeschichte Ostasiens und Sport.


百闻不如一见 – «Einmal sehen ist besser als hundertmal hören»

Chinesisches Sprichwort

Die Zahl von chinesischen Studierenden in der Schweiz und Europa nimmt stark zu. Ebenso jene von Studierenden aus der Schweiz und Europa, die einen Studienaufenthalt in China machen. Deshalb ist es aktuell besonders wertvoll, dieses grosse Land besser kennen zu lernen (vgl. auch die vom ZHE angebotene Studienreise nach China).

Wir Europäerinnen und Europäer gehen in der Regel davon aus, dass Chinesinnen und Chinesen viel von uns lernen können und wollen. Umgekehrt gibt es (aber) auch sehr Vieles, was wir von und über China lernen können: Der Einblick in die fremde Kultur ermöglicht zahlreiche Lernerfahrungen. So sind wir zunächst Analphabetinnen und Analphabeten, wie bereits der obige Titel zeigt.

Von den Luxusgütern zur Luftverschmutzung

China: Ming-Vase als Sinnbild für Luxusprodukte
Sinnbild für frühere chinesische Luxus­produkte: Vase aus der Ming-Dynastie

Sehen und selbst erleben helfen, stereotype Vorstellungen abzubauen. Und solche gibt es bezüglich China viele. Noch im 19. Jahrhundert waren diese durchaus positiv, denn Berührungen mit China gab es kaum. Deshalb liess sich vieles in das grosse, ferne Land hineinprojizieren. Die positiven Assoziationen bezogen sich auf Luxusgüter wie Seide, Porzellan und Tee. Aber auch auf den Staat, der von den Gebildetsten im Lande – den Mandarinen – regiert wurde.

Heute sind die stereotypen Vorstellungen eher negativ gefärbt: Chinesinnen und Chinesen leben im Smog, treten in Massen auf (auch bei uns) und produzieren Billigprodukte. Sie liegen im Streit mit Nachbarländern, kaufen westliche Firmen und Häfen auf etc.

China – Schweiz: Austausch in Handel und Bildung

Das grosse Land hat weltweit aber auch den höchsten Anteil Studierender, die für kürzere oder längere Zeit im Ausland studieren. Auch in der Schweiz sind immer häufiger chinesische Studierende anzutreffen. Gemäss den Zahlen der Schweizer Botschaft in Peking studierten im Studienjahr 2013/2014 insgesamt 1335 chinesische Studierende an einer Schweizer Hochschule. Der Anteil Schweizer Studierender an chinesischen Universitäten belief sich im gleichen Jahr auf 764. Dank Stipendien des chinesischen Bildungsministeriums dürfte er in Zukunft deutlich ansteigen. Auch der Schweizerische Nationalfonds fördert den gegenseitigen Austausch von Studierenden. Wie kommt es zu diesem hohen Interesse an Austauschprogrammen im Hochschulkontext?

Der intensivierte Austausch ist zum Teil durch die verstärkten Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und China erklärbar: Vor allem seit der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens am 1. Juli 2014 ist China zu einem der wichtigsten Handelspartner der Schweiz geworden. Die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern haben aber eine längere Tradition. Nach dem Niedergang der Qing-Dynastie (1644 – 1911) unterzeichnete die Schweiz bereits 1918 einen Freundschaftsvertrag mit China. Und als erstes westliches Land 1950 anerkannte die Schweiz die Volksrepublik China.

Schulhaus in China
Spielende Kinder vor dem Guangdong Museum in Guangzhou (Foto: Barbara Nafzger):

Grosse Bedeutung der studentischen Mobilität

Wie kommt es zum starken Interesse Chinas an der Studierendenmobilität? Auch hier lohnt sich ein kurzer Blick in die Geschichte. Austauschbeziehungen mit dem Ziel, den Wissenstransfer voranzutreiben, gab es bereits nach dem Zerfall der Qing-Dynastie 1911. Bekanntes Beipsiel ist der Bau von Eisenbahnen durch westliche Ingenieure. Aber auch in anderen Bereichen wurde Wissen ausgetauscht. So unternahm etwa der amerikanische Pädagoge John Dewey  um 1920 eine Vortragsreise nach China.
Anfangs des 20. Jahrhunderts und nach der Öffnung des Landes in den 1980er Jahren begannen dann chinesische Studierende in den Westen zu reisen. Nach ihrem Studienaufenthalt liessen sie ihr neues Wissen einfliessen und trugen wesentlich zum Aufbau des Landes bei.

Auch heute ist Bildung stark verknüpft mit der nationalen Identitätsbildung und Entwicklung des Landes. So ist seit einiger Zeit eine massive  Bildungsexpansion im Gange. Der systematische Austausch im Hochschulwesen gehört dabei zu den bedeutendsten strategischen Zielen der nächsten Jahre. Schon länger gibt es zahlreiche Programme zur Förderung von Eliteuniversitäten. Heute erhalten aber auch andere Hochschulen und Fachhochschulen finanzielle Mittel, um mit Hochschulen aus anderen Ländern zu kooperieren.

Bild Interview mit Barbara Nafzger zur Chinareise

China ist in der Folge mit dem höchsten Anteil Austausch­studierender in Europa zu einem wichtigen Player der globalen Hochschulpolitik geworden und sucht aktiv nach Partnerhochschulen. Der Bedarf an Austauschbeziehungen wird in den nächsten Jahren auch im Bereich der Fachhochschulen und Berufsbildung anwachsen. Dies besonders in den Bereichen Technik und Gesundheit, da der Ausbau im Bereich der anwendungsorientierten Hochschulen ein nationales strategisches Ziel darstellt.

Chinesische Mittelschicht: Druck auf Hochschulen

Doch es gibt noch weitere Hintergründe für das grosse Interesse an internationalem Austausch: Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs sehen sich die chinesischen Hochschulen mit den hohen Qualitätsansprüchen einer aufstrebenden Mittelschicht konfrontiert. Die Eltern haben hohe Erwartungen an die Bildung. Dazu gehören auch attraktive Austauschprogramme, etwa um Englisch zu lernen. Und wer besser Englisch kann, hat deutlich bessere Chancen in einem harten Wettbewerb um gute Jobs. Denn viele Abgänger/innen von weniger prestigeträchtigen (häufig ländlichen) Universitäten finden keine adäquate Arbeit. Stattdessen verrichten sie eine Arbeit mit relativ geringen Anforderungen.

Chinesische Universitäten und andere Bildungsinstitutionen suchen also aktiv nach Partnerschaften zwecks Double-Degree-Programmen oder nach Austauschmöglichkeiten, um ihre Attraktivität zu erhöhen. Dazu gehören etwa Programme mit Fokus auf Sprach- und interkulturellen Kompetenzen.

Tea House in Shanghai
Tradition und Moderne: Tea House und Wolkenkratzer in Shanghai (Foto: Barbara Nafzger)

China: Sehen statt hören!

Wie eingangs gesagt, können auch wir Europäer enorm vom Austausch mit China profitieren:

  • Das Eintauchen in eine andere Lehr- und Lernkultur unterstützt zunächst einmal das Hinterfragen der eigenen Praxis.
  • Der Einfluss Chinas auf das Weltgeschehen nimmt ebenso zu wie die Handelsbeziehungen mit Ostasien.
  • Mit den wirtschaftlichen und politischen wachsen auch die kulturellen Berührungspunkte.

Um einen Einblick in ein Land mit einer faszinierenden Geschichte, einer dynamischen Gegenwart und einer ungewissen Zukunft zu erhalten gilt: Einmal erleben ist besser als hundertmal davon zu hören (oder zu lesen). Deshalb besuchen wir China regelmässig – das nächste Mal als Leiterinnen einer vom ZHE angebotenen Studienreise.

Christine Bieri Buschor und Barbara Nafzger leiten die ZHE-Studienreise nach China. Sie führt vom 3.9. –14.9.2017 in drei global bedeutende Wirtschaftsmetropolen mit einer spannenden Geschichte: Hong Kong, Guangzhou und Shanghai.
Besuche von chinesischen Hochschulen sowie Gespräche mit Vertretenden von Firmen, swissnex, Journalisten/-innen und Studierenden ermöglichen, den chinesischen Wirtschafts- und Bildungsraum kennen zu lernen und dadurch das eigene Bild über China und seine Bevölkerung neu zu definieren.

Am 5. Dezember, 18:00 findet an der PH Zürich im Raum LAB-E-018 eine Informationsveranstaltung zur Chinareise mit den beiden Leiterinnen statt.

Scannen mit dem Smartphone – Caspars Toolbox

Caspar-Noetzli-sw

Beitrag von Caspar Noetzli, Dozent und Berater beim Digital Learning Center der PH Zürich.

 


Logo Caspar's Toolbox

Hinweis der Redaktion:
Dieser Beitrag ist der

erste in der Serie
«Caspars Toolbox».
Hier stellt Caspar Noetzli
zweimal jährlich eine
bewährte 
App oder ein
digitales
 Werkzeug vor,
das sich 
im Unterrichts-
alltag
 sinnvoll einsetzen
lässt.

Dokumente scannen mit dem Smartphone

Mit der App «Scanbot» stelle ich ein Tool vor, das zum persönlichen und kollektiven Wissensmanagement eingesetzt werden kann:

Die Bildqualität der Kameras in den heutigen Smartphones ist so gut, dass sie sich auch als Scanner für Dokumente einsetzen lassen. Scanner-Apps bieten deshalb Möglichkeiten, Fotos von Texten auf nützliche Weise weiterzuverarbeiten. Funktionen sind zum Beispiel:

Im folgenden Screencast zeige ich exemplarisch die Funktionsweise der App «Scanbot» auf (läuft auf Android und iOS). Ich freue mich auf Ihre Rückmeldungen und Erfahrungsberichte hier im Blog.

Link: Mobiles Scannen mit der App «Scanbot»
Screencast: Mobiles Scannen mit der App Scanbot

Links

Scanbot im Apple-Store
Scanbot in Google Play

Caspar Noetzli leitet für das ZHE zusammen mit Peter Suter den Kurs E-Didaktik. Dieser richtet sich primär an Lehrende an Hochschulen sowie der Erwachsenenbildung, ist aber auch für Lehrpersonen der Sekundarstufe 2 interessant.

Lernen – unsere Sache

Dagm-Bach-sw

Beitrag von Dagmar Bach, Dozentin und Coach im Bereich Weiterbildung Berufsfachschulen

 


Lernfähig, aber unbelehrbar

Es leuchtet ein: Lernen ist auf jeden Fall meine Sache.
Lernen kann niemand anders für mich, ich durchlebe es mit seinen Höhen und Tiefen immer selbst. Der Erwachsenenbildner Horst Siebert hat dies so gefasst: «Erwachsene: lernfähig aber unbelehrbar».

Diese Aussage gilt eigentlich für Menschen in jedem Alter: Wir sind lernfähig und nur wir selbst können lernen. Wir entscheiden uns zu lernen, wir können geeignete Bedingungen dafür suchen oder schaffen. Natürlich ist es kein Zufall, dass dies im Umfeld der Erwachsenenbildung so deutlich formuliert wurde. Denn Erwachsene – selbstbewusste Lernende, sich ihrer Rechte als (zahlende) Kunden sicher – werden meist auch in ihrem Lernen ernster genommen als Kinder, Jugendliche und Studierende.

Bild Lernbegleitung
Lernen ist meine Sache. Kann mir jemand dabei helfen?

Als Lehrer, als Dozentin, Erwachsenenbildner, als Coach ist Lernen ebenfalls meine Sache. Im Vordergrund steht hier allerdings das Lernen von anderen. Dies aber ist wiederum deren Sache.

Lehren und Lernen

Damit sind wir im Kern des Themas: Dort, wo in der (Berufsfach-)Schule Lernen gar nicht, nicht im verlangten Ausmass oder nicht im vorgesehenen Tempo stattfindet. Hier setzt das Buch «Lernen ist meine Sache» an (Link zur Buchvernissage). Im Fokus stehen Jugendliche, die eine zweijährige berufliche Grundbildung nach Schweizer Recht absolvieren.

Und auch hier: was für diese Lernenden mit ihren oft belasteten Lebensumständen und Lernbiographien gilt, das gilt für alle. Es zeigt sich zwar bei denen deutlicher, die über weniger Ressourcen in sich selbst und in ihrem Umfeld verfügen. Aber die Frage, wie Lernen möglich wird, ist für alle Lernenden vom Kindergarten bis zur Hochschule relevant: Heute durchläuft gemäss Jürg Jegge nur noch eine Minderheit von 40% der Schülerinnen und Schüler unsere Schulen, ohne Fördermassnahmen irgendwelcher Art zu beanspruchen.

«Das habe ich ihnen doch schon vor zwei Monaten erklärt!»

Der Fokus der Didaktik hat sich in den letzten 30 Jahren vom Lehren auf das Lernen verschoben. Und doch wird besonders auf der Sekundarstufe 2 und an Hochschulen immer noch primär auf Stoffvermittlung gesetzt.

Buchcover «Lernen ist meine Sache»
Das Buch «Lernen ist meine Sache» ist soeben erschienen.

Es bleibt also ein heisses Thema, dass das Vermittelte nicht das Gelernte, dass gelehrt nicht gelernt ist. Lehrende aller Schulstufen haben sich wohl schon beim Seufzer ertappt: «Das hatte ich Ihnen doch vor zwei Monaten schon erklärt!»

Was soll ich als Lehrperson tun, wenn die Lernenden nicht mehr wissen, «was ich vor zwei Monaten erklärt habe»?

Wir geben in unserem Buch grob gesagt zwei Antworten darauf, die sich nur vordergründig widersprechen:

  1. Lehrpersonen sind nicht schuld, wenn Lernen nicht stattfindet.
    Die Grundbedingungen an sich sind lernfeindlich, denn Bildungsinstitutionen dienen zwei widersprüchlichen Zielen, einerseits dem Lernen, andererseits der Selektion und der Verteilung sozialer Chancen. Schulen bieten die bekannten – für das Lernen ungeeigneten – Rahmenbedingungen: Noten; Prüfungen, die oft nicht messen, was sie zu messen vorgeben; Lernziele, die eigentlich Lehrziele sind und die sich Lernende selten zu eigen machen können. Die Aufzählung ist nicht vollständig.
  2. Lehrpersonen können Lernende mit einer Reihe von tiefgreifenden und anspruchsvollen Massnahmen unterstützen.
    Diese verlangen, dass Lehrpersonen ihre inhaltlichen und didaktischen Freiräume ausnützen. Das bedeutet, dass sie Lernen verhandeln, methodisch in Coaching und Lerncoaching versiert sind und wohlwollende pädagogische Beziehungen pflegen.

«Pädagogische Beziehungen zwischen Anerkennung, Verletzung und Ambivalenz» sind auch Thema an der FiB-Erfa-Tagung 2017 mit der bekannten Erziehungswissenschaftlerin Annedore Prengel.

Vortrag von Annedore Prengel
Annedore Prengel zur inklusiven Verbesserung von Lernleistungen

Lernen ermöglichen: Zusammenfassende Statements

  • Der Förderbereich darf keine Reparaturwerkstatt bleiben, die stigmatisiert und wenig wirksam ist. Alle Lernenden sollen gleichermassen gefördert werden.
  • Schule entspricht nicht dem Konzept «Mann» – also geraten männliche Jugendliche in eine Doublebind-Situation: entweder sind sie eine gute Schülerin oder ein «Mann».
  • Lernfähigkeit ist nicht vermittelbar, sie kann aber im Unterricht durch Handeln erworben und verbessert werden.
  • Lernen muss mit den Lernenden verhandelt werden. Das betrifft die Stoffauswahl und die Lernmethoden. Lehrziele müssen im Unterricht zu persönlichen Lernzielen umgearbeitet werden.
  • Coaching auf der Grundlage eines humanistischen Menschenbildes und mit professioneller Methodik unterstützt die Lernenden dabei, ihre berufliche, ihre private und ihre Lern-Situation zu erkunden und zu gestalten. Dieses Coaching kann in ein Lerncoaching münden.
  • Lehrpersonen können Minderleistung beziehungsweise gelernter Dummheit begegnen, indem sie Lernende – nach einem Aushandlungsprozess – eng begleiten. Nur mit Training lassen sich Automatismen erzeugen, die das langsame menschliche Denken entlasten. Konkret: Wenn Berufslernende nicht fliessend lesen können, ist es unsinnig von ihnen zu verlangen, dass sie Fachtexte verstehen. Ausdauernd (lesen) zu üben schaffen sie aber nur, wenn sie das selbst wollen und sich dabei fordernd begleiten lassen.
  • Ebenso wichtig ist es, dass Lehrpersonen Gelegenheiten bieten, um Gelerntes in unbekannten Zusammenhängen anzuwenden. Damit wird Tiefenwissen erzeugt, das nicht mehr vergessen geht. Dies alles bedingt, dass Lehrpersonen den sogenannten Stoff drastisch reduzieren sowie genaue Minimal- und Erweiterungsziele definieren.
Die Vernissage zum Buch «Lernen ist meine Sache» findet am 24.11.2016 im Rahmen eines Weiterbildungsapéros des Bereiches Weiterbildung für Berufsfachschulen statt. Wir freuen uns, wenn Sie vorbeischauen!

Literaturangabe: Dagmar Bach, Joseph Eigenmann, Jürg Meier, Georges Kübler (2016). Lernen ist meine Sache. Schule als Ort des Lernens - vier Variationen. Bern: Hep-Verlag.
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