Der folgende Beitrag, ursprünglich veröffentlicht am 14. September 2021, wurde 2021 von allen im selben Jahr publizierten Beiträgen des Lifelong Learning Blogs am meisten aufgerufen. Gerne präsentieren wir Ihnen daher den «Best of 2021» hier noch einmal:

Lernen bleibt nicht lernen

Beitrag von Dominic Hassler und Monique Honegger

Die Digitalisierung und Automatisierung prägen unser Zusammenleben, unsere Arbeitswelt sowie unsere Schulwelt. Dies verändert auch, wo und wie Lehrende auf den Lernprozess einwirken. Dies zeigen drei Beispiele und die Analyse von Lerndimensionen. Ein Katalog hilft Lehrenden zu entscheiden, ob und wie sie digitales Lernen veranstalten können.

Eine Studentin (23) teilt ihr Dokument, in dem sie ihre Seminararbeit verfasst, via Social Media. Alle mit dem Link können die entstehende Arbeit lesen und kommentieren, aber nicht bearbeiten. Was heute mitunter als Betrugsversuch verstanden wird, mag in einigen Jahren vermutlich als Good Practice gelten. Dieses Beispiel illustriert, wie die Digitalisierung unser Arbeiten und Lernen verändert.

Aber wie gehen wir Lehrpersonen und Dozierenden konkret im Unterricht mit Digitalisierung und Digitalität um? Manche Bildungsexpert:innen argumentieren, dass Lernen Lernen bleibt. Parallel dazu lassen sich neue Formen von Lehren und Lernen beobachten: Die sind anders als vor 20 Jahren, aber nicht unbedingt digital.

Drei Beispiele

Beispiel 1 – Dokumentieren

Eine Lernende (18) hält einige Arbeitsschritte mit Ihrem Smartphone auf Video fest (im Beispiel wie ein Teig bearbeitet wird), anstatt sie mit Stift und Papier zu notieren. Zu klären ist: Wo wird dieses Video abgespeichert? Wie kann es später in der eigenen Datenablage wieder gefunden werden?

Bildquelle: Adobe Stock

Beispiel 2 – Text verfassen

Eine Studentin (23) teilt ihr Dokument, via Cloud in den sozialen Medien.

Beispiel 3 – Problem lösen

Ein Lernender (20 Jahre) zieht in eine WG und will in seinem Zimmer eine Lampe montieren. Er hat dies noch nie getan. Höchstwahrscheinlich wird er nun

  • ein Video auf Youtube suchen,
  • via seine Lieblingssuchmaschine recherchieren,
  • seine Eltern oder Bekannten bitten, ihm bei der Montage zu helfen, oder
  • sich im Baumarkt beraten lassen.

Der Lernende leiht kein Buch aus der Bibliothek aus. Dies ist ihm zu umständlich, ein Buch ist möglicherweise veraltet oder bildet andere Kabel ab. Bewährte Methoden des Lehrens und Lernens bleiben (andere um Rat fragen). Aber die möglichen Lernwege haben sich erweitert.

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist kabel_q-1024x611.jpg
Bildquelle: Dominic Hassler

Digitalisierung und Digitalität beeinflussen das Lehren auf drei Dimensionen

Die Kultur von Bildung und Lernen verändert sich (Dimension A)

Träges Faktenwissen nimmt an Bedeutung ab, die Relevanz von anderen Kompetenzen nimmt zu; seien dies 21st Century Skills wie 4K (Kreativität, Kritisches Denken, Kommunikation und Kooperation) oder der Umgang mit Unsicherheit, agil und flexibel auf neue Situationen zu reagieren.

Wir finden 4K auch in der Ausbildung von Berufsfachschullehrpersonen der PHZH, die im Studienmodell 4K stattfindet oder an der aktuellen Reform der kaufmännischen Grundbildung

Bildquelle: WEF

Die fachlichen und überfachlichen Kompetenzen verändern sich (Dimension B)

Auf fachlicher Ebene müssen etwa Zeichner lernen, mit einem CAD Programm umzugehen, Mediamatikerinnen lernen InDesign und Photoshop und Kaufleute vertiefen sich in Büroapplikationen wie Excel, Word und Outlook.

Auf überfachlicher Ebene sind die zentralen Kompetenzen beispielsweise – abhängig von Kontext und Branche – Inhalte zu präsentieren, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, sich empathisch in Mitmenschen einzufühlen.

Es werden neue (digitale) Werkzeuge eingesetzt (Dimension C)

Werkzeuge sind oftmals neue Technologien, Tools oder Formate (Bring Your Own Device Geräte (Laptops), ePortfolios, Cloud, QR Codes, kleine Tools wie Padlet und grosse Tools wie Moodle). Nicht definieren lässt sich, was als «neu» gelten soll, und was schon zum alten Eisen gehört. Beisplelsweise Video ist kein neues Medium. Aber mit Sicherheit lassen sich 2021 mit der aktuellen Video-Technik manche Inhalte und Kompetenzen effektiver vermitteln als vor 30 Jahren.

Die neue Lernkultur erfahren Lehrpersonen wiederkehrend etwa alle 10 Jahre, wenn z.B. eine neue Bildungsreform das Prüfungswesen ändert. Fachliche- und überfachlichen Kompetenzen betreffen Lehrende bei der Planung des nächsten Semesters. Konkret lassen sich überfachlichen Kompetenzen stärker fokussieren, indem eine schriftliche Prüfung durch einen projektartigen Auftrag ersetzt oder ergänzt wird. In diesem Projektauftrag wird (evtl. kooperativ) ein Lernprodukt erstellt, das die erlernten fachlichen Kompetenzen sichtbar macht. Das (digitale) Werkzeug wählen Lehrende erst bei der Planung der nächsten Lektion zusammen mit der Methode. Hierbei gilt es zu klären: Eröffne ich Lernenden einen Inhalt als PDF, Video, Papier oder OneNote-Notiz? Nutze ich ein Classroom-Response-System wie Menti-Meter oder Kahoot? Sammle ich Resultate einer Gruppenaktivität auf einer physischen oder einer digitalen Pinnwand? Wie machen Lernende Notizen?

Orientierung – ein Katalog

  • Guter Unterricht ist oft technisch unspektakulär (d.h. es ist irrelevant ob digital oder analog gearbeitet oder gelernt wird).
  • Technische Probleme sind zwar mühsam, gleichzeitig sind sie authentische, praxisnahe Lerngelegenheiten.
  • Ein Mehrwert ergibt sich aus den didaktischen Überlegungen hinter dem Lernsetting und nicht aus einem Tool oder einer Methode. (vgl. Kerres 2018a oder Kerres 2018b).
  • Durch Digitalität lassen sich gewisse Aufgaben effizienter erledigen: Feedback von Lernenden digital einholen (automatische Auswertung spart 60’)
  • Unterricht vom Ende her planen ist effektiv.
  • Lehrende müssen nicht sämtliche Möglichkeiten des Digitalen nutzen.
  • Die blinden Flecken Lernender sehen Lehrende «besser» als adaptive Lernsysteme ohne persönliches Lehrerfeedback.

Bestehende Lehr- und Lernformen werden nicht überflüssig, sie werden durch Digitalisierung und Digitalität neu vernetzt (vgl. Krommer). Obschon Lernen nicht ganz Lernen bleibt, bleibt die Aufgabe von Lehrenden dieselbe: das Gestalten des Unterrichts und der Lernerlebnisse.

INFOBOX

Der CAS Unterricht gestalten mit digitalen Medien richtet sich an Lehrpersonen der Sekundarstufe II. Sie haben Erfahrungen mit digitalen Lehr- und Lernformen gesammelt und gestalten den digitalen Wandel in Ihrem Unterricht und an ihrer Institution mit? Dann sind Sie hier richtig.

Der CAS fokussiert Lernen, Lehren und Arbeiten in einer von digitaler Technik geprägten Gesellschaft. Als Teilnehmende gestalten und diskutieren Sie didaktisch erfolgreiche, digital gestützte, aber auch analoge Unterrichtssequenzen.

Zum Autorenteam

Monique Honegger ist Senior Teacher und ZFH-Professorin an der PH Zürich. Beratend, forschend, weiterbildend und bildend.

Dominic Hassler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der PH Zürich und leitet den Themenbereich «Digitales Lernen» im Zentrum Berufs- und Erwachsenenbildung.

Der folgende Beitrag, ursprünglich veröffentlicht am 21. April 2020, wurde 2020 von allen im selben Jahr publizierten Beiträgen des Lifelong Learning Blogs am meisten aufgerufen. Gerne präsentieren wir Ihnen daher den «Best of 2020» hier noch einmal:

A good turn: das Konzept Flipped Classroom

Beitrag von Maik Philipp

Wäre es nicht schön, könnte man die Lernzeit in der (hoch)schulischen Bildung höchst (inter)aktiv nutzen? Das kann gelingen, wenn Lernende vorbereitet in die Veranstaltung kommen. Das setzt wiederum voraus, dass Lehrende ihnen zuvor (digital) eine Wissensgrundlage zur Verfügung stellen. Der «Flipped Classroom» scheint das zu ermöglichen. Zeit, dieses Konzept auf den empirischen Prüfstand zu stellen.

Flipped Classroom
Wer den Hörsaal betritt, hat sich bereits mit dem Stoff auseinandergesetzt
– so jedenfalls sieht es das Konzept des Flipped Classroom vor.

Was ist der «Flipped Classroom»?

Das Konzept des Flipped Classroom als Form des Blended Learnings erfährt momentan ein starkes Interesse in Praxis und Forschung. Wie der Name es schon andeutet, dreht das Konzept das Lernen gleichsam um, was sich in einer aktuellen und breit angelegten Definition niederschlägt: Beim Flipped Classroom

  • werden die meisten Lehraktivitäten zur Informationsübertragung aus der lokalen Lernumgebung entfernt,
  • wird die dadurch zeitlich entlastete Unterrichtszeit in der Präsenzphase für aktive und soziale Lernaktivitäten genutzt und
  • werden die Lernenden dazu verpflichtet, vor bzw. nach den örtlich durchgeführten Lektionen spezifische Aktivitäten zu absolvieren (z. B. voraufgezeichnete Vorlesungen oder andere Videos anzusehen), um so den vollen Nutzen aus dem Flipped-Classroom-Konzept zu ziehen.

Das wirkt überzeugend, weil die Lernenden eine aktivere Rolle einnehmen können und die wertvolle Zeit des Lehrens und Lernens von der Vermittlung von Fakten zunächst entlastet zu sein scheint. Ausserdem werden motivationale Grundbedürfnisse mutmasslich befriedigt und günstigere Rahmenbedingungen in puncto kognitiver Belastung geschaffen. Zudem besteht prinzipiell die Möglichkeit einer besser auf die Lernenden zugeschnittenen Darbietung der Inhalte durch Adaptionen und Differenzierung.

Das sagen aktuelle Metaanalysen aus

Ein so hoffnungsfroh stimmendes Konzept wirft natürlich die Frage auf, ob es seinen Mehrwert empirisch entfaltet. Dieser Frage gehen inzwischen diverse Studien weltweit nach. Diese wurden inzwischen auch metaanalytisch für das Lernen in Hochschulen ausgewertet, z. B. von Lo et al. (2017), Chen et al. (2018), Cheng et al. (2019), Låg & Sæle (2019), van Alten et al (2019) und Strelan et al. (2020). Die empirische Essenz dieser Metaanalysen – im Sinne statistisch signifikanter Effekte mitsamt Effektstärkenangaben (ES) – wird im Folgenden anhand verschiedener Leitfragen dargestellt.

a) Hat das Konzept Flipped Classroom einen leistungssteigernden Effekt bei kognitiven Massen?

Ja. Hier sind sich die Metaanalysen einig, wenn auch nicht unbedingt in der Höhe der Effekte, die sich teils um das Doppelte unterscheidet (ES = 0.19 (Cheng et al., 2019), ES = 0.30 (Lo et al., 2017), ES = 0.35 (Låg & Sæle, 2019), ES = 0.36 (van Alten et al., 2019), ES = 0.48 (bezogen nur auf Studierende; Strelan et al., 2020)). Die Befunde verweisen darauf, dass sich der Flipped Classroom in Testleistungen im Vergleich zu traditionellen Formen der hochschulischen Wissensvermittlung in Tests, Noten und Prüfungen auszahlt.

b) Profitieren Lernende aus bestimmten Leistungsdomänen stärker als andere?

Ja. Die Metaanalysen haben je nach zugrundeliegender Datenbasis und nach Kodierschema die Primärstudien etwas anders kodiert. Allgemein scheinen aber Lernende in Geistes- und Sozialwissenschaften besonders vom Flipped Classroom zu profitieren (Cheng et al., 2019; Låg & Sæle, 2019; van Alten et al., 2019; Strelan et al., 2020). Andere Fächergruppen zeigten allerdings auch Leitungszuwächse, diese waren im Vergleich freilich nicht ganz so stark.

Flipped Classroom
Flipped Classroom scheint sich in den Geistes- und Sozialwissenschaften besonders zu bewähren.

c) Verbessert der Flipped Classroom die Motivation?

Das ist derzeit eher unklar. Eine von zwei Metaanalysen (van Alten et al., 2019) hat auf breiterer empirischer Basis geprüft, ob Personen in Flipped Classrooms zufriedener mit dieser Lernumgebung waren als Kontrollgruppenmitglieder in traditionellen Lernumgebungen. Hier gab es einen nicht-signifikanten Nulleffekt (ES = 0.05). Eine andere (Låg & Sæle, 2019) fand nur einen geringen positiven Effekt (ES = 0.16), bei dem jedoch anzunehmen ist, dass es hier eine Überschätzung aufgrund eines Publikationsbias gibt.

d) Welche Merkmale des Flipped Classrooms sind empirisch lernförderlich?

Hier haben insbesondere grosse Metaanalysen geprüft, ob es einzelne Merkmale in den einzelnen Primärstudien gab, die sich auf breiterer Basis positiv oder negativ niederschlugen. Dies wurde für Leistungsdaten in mehreren Metaanalysen tatsächlich beobachtet, allerdings nicht für viele Merkmale:

  • Formative Lernerfolgskontrollen sind hilfreich: In gleich zwei Metaanalysen erwies es sich als günstig, wenn Quiz-Bestandteile vorhanden waren, also die Studierenden zu den Inhalten der ausgelagerten Lernaktivitäten Fragen beantworteten (ES = 0.19 (van Alten et al., 2019) bzw. 0.57 (Lo et al., 2017)).
  • Die Zeit mit Lernen in Face-to-Face-Situationen sollte nicht zulasten der Flipped-Classroom-Anteile gekürzt werden. Es hat sich als lernunwirksamer erwiesen, wenn die Lernzeit mit ausgelagertem Flipped Classroom länger war als jene mit Anwesenheit in der Hochschule (ES = -0.26; van Alten et al., 2019). Dies spricht für einen ausgeglichenen Einsatz von beiden Bestandteilen des Blended Learnings.
  • Es ist lernwirksamer, das Konzept Flipped Classroom als einen hochschuldidaktischen Bestandteil unter mehreren einzusetzen. Dies ergibt sich daraus, dass sich in einer der Metaanalysen, einer der grössten bislang durchgeführten (Strelan et al., 2020), dann höhere Effekte einstellten, wenn nur ein Teil der Inhalte bzw. des Kurses über Flipped Classroom realisiert wurde (ES = 0.77 ggü. ES = 0.42 bei vollständiger Behandlung von Inhalten im Flipped-Classroom-Format).

Fazit: Auf dem Weg zum bedacht eingesetzten Flipped Classroom

Das Konzept Flipped Classroom scheint im Lichte vieler Studien ein hochschuldidaktisch sinnvolles Werkzeug zu sein, um kognitive Leistungen zu steigern. Allerdings scheint es hierbei günstiger zu sein, nicht alleinig darauf zu vertrauen, sondern ausgewählte Inhalte – und diese nicht zulasten von Face-to-Face-Lernsituationen innerhalb der Präsenzphase – zu vermitteln. Auch die niederschwellige formative Erfassung des Lernerfolgs zu den ausgelagerten Lernsituationen als Bestandteil der Face-to-Face-Settings scheint ein Merkmal des günstigen Nutzens dieser Form des Blended Learnings zu sein.

Natürlich ist diese Form des Lehrens kein Selbstgänger, sondern didaktisch und logistisch anspruchsvoll. Es ist daher besonders verdienstvoll, dass in einer sehr lesenswerten Metaanalyse von Lo et al. (2017, S. 62–66) zehn Prinzipien zum Einsatz des Flipped Classrooms nicht nur aus den empirischen Erträgen, sondern auch aus den Umsetzungsschwierigkeiten extrahiert wurden. Diese Prinzipien beziehen sich auf den grundsätzlichen Übergang (Prinzipien 1 und 2), die Gestaltung der Nicht-Präsenzphase (Prinzipien 3 bis 5) und schliesslich die Präsenzphase selbst (Prinzipien 6 bis 10).

  1. Schaffen Sie einen günstigen Übergang zum Flipped Classroom für die Lernenden. Diese sind nicht mit dem Konzept vertraut und benötigen eine Einführung.
  2. Schaffen Sie einen günstigen Übergang zum Flipped Classroom für die Lehrenden. Die Einarbeitung und Umstellung von Lehrenden auf dieses Konzept brauchen Zeit und Ressourcen.
  3. Erwägen Sie die Einführung von Einführungsmaterialien und die Bereitstellung von Online-Unterstützung in Videovorträgen. Nicht alles verstehen Lernende sofort, weshalb eine flankierende Hilfestellung durch Chats Verständnisschwierigkeiten unmittelbar beseitigen kann. Ausserdem kann es sich lohnen, komplexere Inhalte nicht in Videos, sondern in der Face-to-Face-Situation zu behandeln.
  4. Ermöglichen Sie effektives Multimedia-Lernen mithilfe von der Lehrperson erstellter Kurzvideos. Die Videos sollten nicht zu lang sein und den lernförderlichen Gestaltungsprinzipien des multimedialen Lernens folgen.
  5. Verwenden Sie Online-Übungen mit computerbasiertem Feedback, um die Vorbereitung der Lernenden zu motivieren. Um die Aneignung des Lernstoffs vorgängig zu unterstützen, empfiehlt sich der Einsatz von Feedbackmechanismen bereits in der Phase der ausgelagerten Vermittlung von Inhalten. Auch die Verwendung solcher Lernerfolgskontrollen für die finalen Noten kann erfolgen.
  6. Adaptieren Sie die Lektionsinhalte in der Präsenzphase in Bezug auf die Lernleistungen der Lernenden ausserhalb der Präsenzphase. Die Fehlanwendungen und Fragen der Lernenden, die ausserhalb der Präsenzphase erkennbar waren (z. B. im Chat oder bei Feedbackmechanismen), bieten die Möglichkeit der Konfektionierung.
  7. Aktivieren Sie die Lehrenden mithilfe einer strukturierten formativen Bewertung, z. B. eines Quiz‘ zu Beginn der Präsenzphase. Dies ermöglicht die Vorwissensnutzung, was generell als lernförderlich gilt.
  8. Fordern Sie die Lernenden auf, verschiedene Aufgaben und reale Probleme zu lösen. In solchen Anwendungen des Wissens können Motivation und Interaktion gefördert werden, zudem können sich auch kognitive Konflikte und metakognitive Prüfungen des eigenen Verständnisses ergeben.
  9. Erfüllen Sie die Bedürfnisse der Lernenden durch Feedback und differenziertere Inhalte und Vermittlungsformen. Die eingesparte Zeit durch die Auslagerung ermöglicht eine intensivere Interaktion und passgenauere Erläuterung.
  10. Fördern Sie kooperatives Lernen durch Lernaktivitäten in kleinen Gruppen. Nicht nur auf die lehrende Person kommt es an, auch die Gruppe der Lernenden kann in geeigneten Formen kooperativ lernen.
INFOBOX

Lesetipp: Die Handreichung «Lehre gestalten an der PH Zürich» liefert Anregungen und Ideen, wie Mischformen von Online- und Präsenzlehre sowie von synchronen und asynchronen Lehr-Lern-Formaten gestaltet werden können. In dieses Kontinuum wird auch der Ansatz des Flipped Classroom eingeordnet.

Zum Autor

Maik Philipp ist Professor für Deutschdidaktik an der PH Zürich. Seine Schwerpunkte sind Lese- und Schreibförderung mit Fokus auf Evidenzbasierung. Neuere Publikationen: «Multiple Dokumente verstehen» (2019), «Lesekompetenz bei multiplen Texten» (2018), «Lesestrategien» (2015) und «Grundlagen der effektiven Schreibdidaktik» (2018).

Lasst uns darüber sprechen! Das Potenzial von Online-Feedback

Beitrag von Mònica Feixas und Franziska Zellweger

«Bestande» ist eine kostenlose App, die «den Studierenden den Studienalltag an der Universität und der ETH Zürich erleichtern» soll. Sie wird seit 2016 von einem ehemaligen Wirtschaftsinformatikstudenten unabhängig von den Hochschulen betrieben. Im Zentrum der App steht die Möglichkeit, die eigenen Noten und den Stundenplan zu verwalten. Mittlerweile hat «Bestande» verschiedene Zusatzfunktionen wie zum Beispiel quantitativ aufbereitete Informationen zur Schwierigkeit eines Moduls, den Notendurchschnitt sowie auch studentische Bewertungen der Qualität von Modulen. In einem Chat informieren Studierende sich gegenseitig über die Komplexität einer Prüfung, die Art der Fragen oder die Anlehnung der Prüfungsinhalte an den Kursinhalt.

Klingt praktisch? Zumindest aus Studierendensicht. Dozierende verfolgen solche studentischen Initiativen meist mit Ambivalenz. Müssen sich Dozierende auf diese Weise bewerten lassen ohne direkte Möglichkeit nachzufragen oder sich erklären zu können? Aber stellen sich für Studierende nicht ähnliche Fragen, wenn sie Feedback zur Qualität eines Leistungsnachweises zu Semesterende erhalten?

Gehaltvolles Feedback ist weit mehr als nur eine Note, Detailkommentare auf eine schriftliche Arbeit oder eine mündliche Rückmeldung auf eine Präsentation. Nach Carless & Boud (2018) ist Feedback ein Prozess, «bei dem die Lernenden Informationen über ihre Leistung erhalten und die sie nutzen, um die Qualität ihrer Arbeit oder ihrer Lernstrategien zu verbessern». Die Fokussierung auf die Übermittlung unidirektionaler schriftlicher Kommentare in der Feedback-Praxis ist typisch für das, was Carless (2015) als «altes Paradigma» bezeichnet; viele fordern einen Wechsel zu einem «neuen Paradigma», bei dem das Engagement der Studierenden mit dem Feedback und die Wirkungen des Feedbacks auf das Lernen im Vordergrund stehen. So lange Studierende nicht auf Feedback im Sinne eines Feedforward reagieren und es nutzen, gibt es keine Weiterentwicklung (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Altes und neues Feedback-Paradigma (in Anlehnung an Carless & Boud, 2018)

Aus der Perspektive des kognitiven Paradigmas liegt der Schwerpunkt von Feedback auf der Qualität der Botschaft und auf dem, was Lehrende tun, während beim neuen soziokonstruktivistischen Ansatz der Schwerpunkt auf dem Prozess der Verarbeitung des Feedbacks liegt oder darauf, was Lernende mit dem erhaltenen Feedback machen. Wir verstehen das neue Paradigma als eine Erweiterung des alten. Die Qualität der Botschaft ist immer noch wichtig, aber sie allein macht noch keinen sinnstiftenden Feedbackprozess aus. Um das Engagement mit Feedback zu stärken, ist es von grosser Bedeutung, sich auf die drei Ebenen «Aufgabe», «Prozess» und «Selbstregulation», die in den folgenden Schlüsselfragen zusammengefasst sind, zu fokussieren (Hattie und Timperley 2007; Nicol 2010):

  1. Wo will die/der Lernende hin? (Ziele, Feed up)
    • Feedback liefert den Studierenden qualitativ hochwertige Informationen über ihr Lernen.
    • Feedback hilft zu klären, was eine gute Leistung ist (Ziele, Kriterien, erwartete Standards).
    • Feedback fördert eine angemessene Selbsteinschätzung (Reflexion) beim Lernen.
  1. Wo steht die/der Studierende? (aktueller Stand, Feed back)
    • Feedback unterstützt den Dialog über das Lernen zwischen Dozierenden und Studierenden sowie zwischen Studierenden untereinander.
    • Feedback fördert positive motivationale Überzeugungen und das Selbstwertgefühl der Studierenden.
  1. Wohin als nächstes? (Schliessen der Lücke, Feed forward)
    • Feedback bietet Möglichkeiten, die Lücke zwischen aktueller und gewünschter Leistung zu schliessen.
    • Feedback ermöglicht Dozierenden, Informationen zu erhalten, die sie für die Gestaltung des Unterrichts nutzen können.

Die Fähigkeit, sich aktiv mit Feedback auseinanderzusetzen, ist eine Schlüsselkompetenz. Viele Studierende sind dafür nicht ausreichend gerüstet. Eine interessante Ressource ist das «Developing Engagement with Feedback Toolkit (DEFT)» (Winstone & Nash, 2016) zur Stärkung von Studierenden im Umgang mit Feedback.

An dieser Stelle verweisen wir auch auf den in diesem Blog erschienenen Beitrag von Georgeta Ion zum neuen Feedbackparadigma mit Fokus auf den Aspekt der Selbstregulation.

Im Kern aller dieser Ideen steht die Stärkung der aktiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Lernen. Welches Potenzial haben dabei neue Technologien?

Wie können digitale Technologien das Engagement mit Feedback unterstützen?

Nicht erst seit der Covid-Pandemie wurden zahlreiche Erfahrungen gesammelt, wie digitale Möglichkeiten wirksame Lernprozesse unterstützen könnten (OECD 2015). Um den Stand der Forschung zum Engagement von Studierenden mit Feedback in technologiegestützten Lernumgebungen zu untersuchen, hat die Erstautorin eine Literaturanalyse über den Zeitraum von 2010-2021 durchgeführt. Folgende Frage stand dabei im Fokus:

Engagieren sich die Studierenden stärker mit Feedback, wenn die Aufbereitung und Kommunikation mit neuen Technologien unterstützt wird?

Im Review-Prozess wurden Artikel aus verschiedenen Datenbanken und aus über 20 Zeitschriften in englischer, spanischer und deutscher Sprache zusammengetragen. Berücksichtigt wurden Publikationen, die von Expert:innen (Peer Review) begutachtet wurden und über die PH Zürich (Schweizer Hochschulkatalog) zugänglich sind. Dabei wurden die folgenden Schlüsselwörter verwendet: Feedback, Engagement, digital/online, Hochschulbildung, Pandemie, COVID-19, Lernumgebungen, Faktoren.

Die Ergebnisse der Literaturstudie weisen auf verschiede Aspekte hin, die für das Verständnis der digitalen Technologien zur Stärkung der Auseinandersetzung mit Feedback relevant sind (Feixas, M., Zellweger, F. & Ion, Students’ engagement with feedback in digital learning environments: a literature review of pre- and Corona studies, Geneva, 6-10.09.2021).

Qualität des Feedbacks

Der Review bestätigte, dass die Qualität der Botschaft zentral bleibt und sprachliche Elemente wie Terminologie, Sprache und Betonung sehr wichtig sind. Dozierende sollten sicherstellen, dass Kommentare verständlich, selektiv, spezifisch, kontextbezogen, nicht wertend sind und zeitnah kommuniziert werden (Nicol 2010). Studierende bevorzugen online Feedback gegenüber handschriftlichen Rückmeldungen, da die Zugänglichkeit, Lesbarkeit und Aktualität besser gegeben ist, wenn auch die handschriftliche Form als persönlicher wahrgenommen wird (Chang et al. 2013).

Aktualität von Feedback

Es hat sich gezeigt, dass online Feedback nützlicher ist, wenn es zum richtigen Zeitpunkt innerhalb eines Lernzyklus erfolgt: wenn es direkt umgesetzt und genutzt werden kann, um das Verständnis, das Lernen und das zukünftige Verhalten zu verbessern (Hepplestone et al. 2011). Ein lernförderlicher Dialog kann eher stattfinden, wenn Studierende noch voll in die Lernaufgabe eingebunden sind. Feedback ausschliesslich am Ende des Semesters oder in Form einer Note zeigt hingegen wenig Wirkung. Rechtzeitiges und individuelles Feedback steigert die positive Einstellung zum Lernen, fördert den Aufbau von Vertrauen und anerkennt die Leistungen der Studierenden.

Online-Quiz in Form von Selbsttests ermöglichen ein unmittelbares Feedback. Förster et al. (2018) fanden heraus, dass sich die Teilnahme an Quiz positiv auf die Abschlussnote auswirkte: Studierende mit schlechten Leistungen profitierten stärker von der Quizteilnahme als Studierende mit guten Leistungen. Ergänzend bieten webbasierte Antwortsysteme (z. B. Poll Everywhere, Mentimeter oder «Clicker») ebenfalls Raum für direktes Feedback (Ludvigsen et al. 2015), da die Reaktion auf eine Information sofort erfolgt. Nach Hunsu et al. (2016) haben diese aber wenig Einfluss auf die kognitiven Prozesse.

Engagement mit audio-visuellen Feedbackformaten

Mit der fortschreitenden Entwicklung der Technologie etablieren sich neben schriftlichen auch audio-visuelle Feedbackformate. Audio-visuelle Instrumente (z. B. Audio-, Video- oder Screencast-Technologie) führen zu einer grösseren Anzahl von Kommentaren im Vergleich zu schriftlichem Feedback (Thomas et al. 2017). Die Studierenden erwähnten auch, dass das Feedback leichter zu verstehen sei. Es sei umfangreicher und informativer, die wichtigsten Punkte seien besser hervorgehoben (Mahoney et al. 2019). Video-Feedback hat im Vergleich zu schriftlichem oder Audio-Feedback das Potenzial, die vertiefte Auseinandersetzung (z.B. durch mehrfache Betrachtung) und die soziale Interaktion (z.B. Studierende tauschen sich über das Videofeedback aus) zu fördern (Crook et al. 2012).

Triangulation von Feedback Quellen

Digitale Technologien erleichtern die Integration von Feedback von Peers, den Dozierenden, externen Expert:innen, der Technologie selbst (z.B. durch ein Online-Tool zur Selbsteinschätzung) oder dem Vergleich der eigenen Leistung mit jener von anderen (inneres Feedback). Die Wirkung von Feedback wird nicht durch ein einzelnes Ereignis erzielt, sondern durch die Synthese mehrerer Feedbackprozesse. Damit Studierende Feedback annehmen können, ist es förderlich, wenn sie die Gemeinsamkeiten und Tendenzen des Feedbacks erkennen, wenn das Feedback aus verschiedenen Quellen kommt, wenn es sich auf verschiedene Elemente ihrer Arbeit bezieht und wenn sie es bei verschiedenen Gelegenheiten erhalten (Kabilan & Kahn 2012).

E-Portfolios können Studierende in diesem Prozess unterstützen und ermöglichen es, personalisiertes Feedback auf der Grundlage von unterschiedlichen Bewertungsmomenten aufzubereiten (Schaaf et al. 2017). Auch Learning Analytics können Dozierende und Studierende im Lernprozess unterstützen, indem sie Daten über das Engagement der Studierenden bei Lernaktivitäten, ihre Bemühungen und ihre Leistungen sammeln (Sedrakyan et al. 2020). Aber da Algorithmen und Analytik das Potenzial haben, die Grundlogik von Bildung zu verändern, ist diese Entwicklung mit kritischem Blick zu verfolgen (Knox, Williamson & Bayne 2020).

Fazit: Online Feedback hat Potenzial

Feedback ist eine starke Kraft im Unterricht und es gibt Möglichkeiten sowie digitale Mittel um das Engagement der Studierenden mit Feedback weiter zu stärken. Die Technologie kann das Feedback verbessern – sie kann es effektiver, ansprechender, zeitnaher, dialogischer gestalten. Dies wird jedoch nicht automatisch geschehen. Selbst bei technologiegestütztem Feedback sollte der Schwerpunkt nicht darauf liegen, wie Lehrkräfte Videofeedback produzieren und vermitteln, sondern darauf, wie die Lernenden mit dem Feedback umgehen und wie sie ihre Fähigkeiten zum Umgang mit Feedback weiterentwickeln. Denn wir haben festgestellt, dass viele Anwendungen der Technologie kaum mehr tun, als alte Paradigmen der Feedbackvermittlung zu wiederholen, wenn auch über ein anderes Medium.

Um das Beispiel «Bestande» aufzugreifen, so wäre es für die Entwicklung einer sinnstiftenden Feedbackkultur wünschenswert, über das Feedback einen Dialog aufzubauen.  Wenn mehr über den Lehr-Lernprozess und künftige Strategien nachgedacht wird, also über die Ziele (feed up), die Botschaft, was funktioniert hat (feed back) und insbesondere auch, wie es weitergehen könnte (feed forward), dann wird Feedback der Studierenden auch in der Hochschullehre bedeutsam. Neben studentischen Initiativen sind dabei vor allem die Hochschulen selbst in der Pflicht. Ein guter Ansatzpunkt bietet das inzwischen breit eingesetzte Teaching Analysis Poll Verfahren, das den Dialog über die Unterrichtsqualität unterstützt.

INFOBOX

Am 2. Juni 2022 bietet das ZHE einen Kurs zum Thema an, gerne dürfen Sie sich anmelden: Feedback als Lernweg

Zudem möchten wir gerne auf die TAP (Teaching Analysis Poll)-Methode aufmerksam machen. Dies ist eine Methode, um die studentische Perspektive als Zwischenfeedback für Dozierende in die Lehre einzubringen. Das Verfahren wird an der PH Zürich aktuell breit erprobt. Dabei bauen wir auf die Erfahrungen, die unsere Kollegin Petra Weiss an der Universität Bielefeld sammeln konnte. Kontakt: petra.weiss@phzh.ch

Zu den Autorinnen

Franziska Zellweger ist Professorin für Hochschuldidaktik am Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich

«Student Engagement» als Perspektive für die Studiengangsentwicklung

Februar 2020, eine leere Agenda, ein lausiger Winter am Bielersee. Zu Beginn meines halbjährigen Weiterbildungssemesters, das ich an einer kleinen Westschweizer Pädagogischen Hochschule verbringen wollte, habe ich mich in die Literatur zur Gestaltung der Studieneingangsphase von Bachelorstudiengängen vergraben. Wie könnte diese ausgestaltet werden, um der wachsenden Diversität der Studierenden zu begegnen? Dabei stiess ich auf das im deutschsprachigen Raum noch wenig diskutierte Konzept des Student Engagements.

Student Engagement – Ursprünge der Diskussion

Die Prämisse, dass das Engagement der Studierenden ein wesentlicher Prädiktor für Studienerfolg darstellt, ist Grundlage für einen umfangreichen Diskurs im US-amerikanischen Raum vor dem Hintergrund hoher Drop-out-Quoten. Student Engagement als Konzept hat nicht nur in der Forschung, sondern auch im Qualitätsmanagement hohe Aufmerksamkeit erzeugt durch die von George Kuh und seinen Mitarbeitenden ins Leben gerufene National Survey of Student Engagement. Student Engagement wird dabei definiert als «the energy and effort that students employ within their learning community, observable via any number of behavioral, cognitive or affective indicators across a continuum» (Bond et al., 2020, S. 317). Es wird als Rahmenkonstrukt verstanden für eine Reihe von Ideen, die auf Forschung über Lernerfahrungen und deren Einfluss auf das studentische Lernen beruhen.  Ausgehend davon setzte unter dem Stichwort High Impact Practices auch eine hochschuldidaktische Diskussion ein, die Praktiken ins Zentrum stellte, die empirisch nachweisbar einen hohen Einfluss aufs Lernen haben. Dazu gehören beispielsweise Seminare im ersten Studienjahr, die eine kleine Gruppe von Studierenden in einen regelmässigen Kontakt mit einer/einem Dozierenden bringen: «The highest-quality first-year experiences place a strong emphasis on critical inquiry, frequent writing, information literacy, collaborative learning, and other skills that develop students’ intellectual and practical competencies» (Kuh, 2008, S. 34ff.).

Eine sozio-kulturelle Perspektive

Ein persönliches Schlüsselerlebnis war noch im Februar 2020 die Lektüre von Ella Kahus Rahmenmodell (vgl. Abbildung 1). Ein halbes Jahr später konnte ich sie gewinnen für den Auftakt einer Webinartriologie.

Diese Arbeiten rund um die standardisierte Messung von Student Engagement wurden von Ella Kahu aus einer sozio-kulturellen Perspektive kritisiert, da diese stark das effektive Tun der Studierenden ins Zentrum stellen, das emotionale Erleben aber wenig Beachtung erfährt. Wie sie in ihrem Webinar ausführte, nimmt sie in ihrer Arbeit mit nicht-traditionellen Studierenden in Neuseeland einen sozio-kulturellen Blick ein und entwickelt das in Abbildung 1 dargestellte Rahmenmodell. Sie versteht studentisches Engagement als eine gemeinsame Verantwortung der Lernenden und der Institution. Als wichtige moderierende Konstrukte, die das Engagement der Studierenden beeinflussen, diskutiert sie die Selbstwirksamkeit, das emotionale Erleben, das Gefühl von Zugehörigkeit sowie das Wohlbefinden der Studierenden.

Abbildung 1. Rahmenmodell nach Kahu & Nelson, 2018, vgl. Video Ella Kahu ab Minute 15:00

Mein Weiterbildungssemester, aber auch meine Forschungsfragen nahmen nach vier Wochen mit dem Lockdown im März 2020 eine überraschende Wendung. Wäre es nicht wichtig zu untersuchen, wie es um das studentische Engagement auf Distanz steht?

Die Rolle von Educational Technology

Wer sich mit der Rolle von Educational Technology und studentischem Engagement auseinandersetzt, stösst früher oder später auf die systematischen Literatur Reviews von Melissa Bond. Besonders spannend ist die laufend weiterentwickelte Sammlung von Arbeiten zur Pandemie.

In einem weiteren Webinar zeigte Melissa eindrücklich auf, wie sich in der Literatur die Bedeutung gewisser Engagement Indikatoren in Flipped Learning (vgl. Abbildung 2 linke Spalte) im Vergleich zu Untersuchungen zur Pandemie (rechte Spalte) darstellt, auch wenn natürlich ein direkter Vergleich nur unter Vorbehalten möglich ist.

Abbildung 2. Top Engagement und Disengagement Indikatoren im Vergleich zweier Studien (vgl. Video Melissa Bond ab Minute 51:00)

In der Betrachtung der Engagementfaktoren fällt in der Flipped Learning Studie die hohe Bedeutung der Interaktion im Vergleich zur Pandemie auf. Im Bereich der Disengagement Faktoren ist denn auch die soziale Isolation als grosse Herausforderung während der Pandemie bemerkenswert. Darüber hinaus variiert die Häufigkeit, in welcher über Disengagement in der Literatur berichtet wird, kaum. Frustration und Verwirrung sind dabei zentrale Faktoren, die ein Engagement erschweren.

Die Ergebnisse aus unserer eigenen Forschung in der Schweizer Lehrerinnen- und Lehrerbildung im Frühlingssemester 2020, aber insbesondere auch in der Untersuchung der Erstsemesterstudierenden im Winter 20/21 zeigen in eine ähnliche Richtung. Die zugewandte und verlässliche Kommunikation der Dozierenden, der aktivierende Charakter der Lernumgebung sowie Feedback und Assessment stehen in einem deutlichen Zusammenhang mit dem Engagement. Besonders relevant scheint vor allem aber ein vertieftes Verständnis der emotionalen Dimension. Die Selbstwirksamkeit, lernbezogene Emotionen, Belastung und das Zugehörigkeitsgefühl sind Ansatzpunkte zum Verständnis des sehr heterogenen Erlebens in dieser aussergewöhnlichen Studienzeit.

Perspektiven für die Studiengangsentwicklung – Ein Zwischenfazit

In der Bewältigung der Pandemie ist vor allem die Frage im Fokus, welcher Umfang und welche Qualität Präsenzlehre künftig einnehmen soll und inwiefern Phasen des Wissenserwerbs virtualisiert werden könnten. Verhandelt wird eher die äussere Form denn die Frage, welcher Rahmen die sehr unterschiedlichen Studierenden in ihrem Engagement unterstützt. Aus meiner Sicht sollten vielmehr folgende Fragen ins Zentrum gerückt werden:

  • Wie steht es um das aktive Lernen im Sinne eines kognitiven Engagements? Was brauchen Studierende, um sich vertiefter auf Lernprozesse einzulassen? Welche Lernstrategien? Wieviel Freiraum und wie viel Struktur? Welche Form des sozialen Austauschs? Wie sind aktivierende Aufgaben zu gestalten?
  • Welche Lernkultur unterstützt das emotionale Engagement und die soziale Integration? Inwiefern müsste die Rolle der Peers stärker in den Fokus gerückt werden?

Solche Fragen können nicht ein für alle Mal unabhängig des Kontexts eines spezifischen Studiengangs geklärt werden. Anknüpfend an Kahu stehen Studierende und die Institution in einer gemeinsamen Verantwortung. Die Diskussion um studentisches Engagement ist denn auch eng verbunden mit jener der studentischen Partizipation. Im dritten Webinar plädiert Peter Felten für einen ressourcenorientierten Blick auf die Studierenden (Make higher education ready for students not students for higher education) und einen «partnerschaftlichen» Rahmen, in welchem sich Studierende engagieren können. High Impact Practices sind nicht nur wirksam, weil sie kognitiv anregend sind, sondern weil sie Studierende emotional anders in die Hochschule integrieren.

Während ich an diesem Text arbeite, herrscht draussen graues Oktoberwetter (2021). Die Studierenden sind mehrheitlich zurück am Campus. Ist somit alles wieder beim Alten? In der Auseinandersetzung mit dem Konzept des Student Engagements ist für mich deutlich geworden, dass wir aus institutioneller Perspektive noch viel bewusster an einem Rahmen arbeiten sollten, der das Engagement vielfältiger Studierender unterstützt. Vor Ort oder virtuell ist dabei eine nachgelagerte Frage. Engagieren wir uns doch gemeinsam für ein vertieftes Verständnis über Bedingungen, Wirkungen und Ansatzpunkte zur Stärkung studentischen Engagements. Wo setzen Sie an?

WEITERFÜHRENDE LITERATUR

Bond, M., & Bedenlier, S. (2019). Facilitating Student Engagement through Educational Technology: Towards a Conceptual Framework. Journal of Interactive Media in Education, 2019(1), 1-14.

Kahu, E. R., & Nelson, K. (2018). Student engagement in the educational interface: understanding the mechanisms of student success. Higher Education Research & Development, 37(1), 58-71.

Bovill, C., Cook-Sather, A., Felten, P., Millard, L., & Moore-Cherry, N. (2016). Addressing potential challenges in co-creating learning and teaching: overcoming resistance, navigating institutional norms and ensuring inclusivity in student–staff partnerships. Higher Education, 71(2), 195-208.

Zur Autorin

Franziska Zellweger ist Professorin für Hochschuldidaktik am Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich

Vom Emergency Remote Teaching zur Hochschulbildung für die Zukunft: Wirkungen der Pandemie auf die Digitalisierung von Studium und Lehre

Beitrag von Barbara Getto

Die Rolle digitaler Medien hat im Kontext von Studium und Lehre an Hochschulen in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Gleichwohl konnte bislang nicht von einer flächendeckenden Durchdringung digitaler Medien in der Hochschullehre gesprochen werden. Im Frühjahr des Jahres 2020 katapultierte uns die Covid-19-Pandemie in eine bislang unbekannte Situation, die uns seitdem in nahezu allen gesellschaftlichen, beruflichen und privaten Bereichen vor enorme Herausforderungen stellt.

An den Hochschulen musste die Lehre aufgrund von Kontaktbeschränkungen schlagartig auf Fernlehre umgestellt werden. Bringen die pandemischen Bedingungen nun also auch die Digitalisierung voran? Brauchen Hochschulen künftig keine Strategien für die Digitalisierung mehr, weil jetzt ohnehin alles auf Online Lehre umgestellt ist? Oder sind die Zeiten für Veränderungsprozesse wohlmöglich gar nicht so vorteilhaft? Um hier zu einer Einschätzung zu gelangen, lohnt sich ein Blick zurück auf die Erfahrungen mit der Förderung des E-Learning an Hochschulen:

Von E-Learning-Projekten zur Digitalisierung von Studium und Lehre 

Über viele Jahre wurde die Entwicklung und Implementierung digitaler Lehre an Hochschulen über einzelne Projektmassnahmen vorangetrieben. E-Learning wurde hauptsächlich von einzelnen engagierten Lehrenden vorangetrieben, die Potenziale digitaler Medien experimentell in ihren Lehrveranstaltungen einsetzten. Diese bottom-up-Ansätze wurden in der weiteren Entwicklung als Ausgangspunkt für die Dissemination digitaler Lehrangebote an Hochschulen gesehen. Man hoffte, dass diese Projekte eine gewisse Strahlkraft entwickeln würden, die zu einer weiteren Verbreitung führen würde. Eine breite Entfaltung blieb jedoch häufig aus. Allerdings haben die verschiedenen Programme zur Förderung von E-Learning an Hochschulen sichtbar gemacht, wie digitale Lehre sinnvoll aussehen kann. Sie haben aber eben auch aufgezeigt, dass sich diese Konzepte und Initiativen keineswegs von selbst in einer Organisation verankern.

Der Fokus richtete sich daher immer mehr auf die organisationalen Elemente einer Verstetigung und Verbreiterung digitaler Lehre. Zunehmend setzte sich die Erkenntnis durch, dass Projekte als Einzelmassnahmen nicht hinreichend zur Hochschulentwicklung beitragen, wenn sie nicht in eine übergreifende Strategie eingebunden sind, die fest verankert ist, mit den Zielen der Einrichtung. Seit einigen Jahren wird Hochschulen daher empfohlen, die Digitalisierung im Kontext von Studium und Lehre strategisch zu betreiben.

Bildquelle: PHZH

Die Rolle von Strategien der Digitalisierung von Studium und Lehre

Um Lehre im digitalen Zeitalter nachhaltig zu entwickeln, soll bei der Entwicklung von Strategien der Digitalisierung nicht die Digitalisierung als Selbstzweck im Vordergrund stehen. Vielmehr wird Hochschulen angeraten ihre strategische Zielsetzung im Kontext der Digitalisierung entlang der Hochschulentwicklung zu betreiben und damit ihr Profil zu schärfen (Getto & Kerres, 2017).

Um erfolgreich zu sein, müssen für die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie Massnahmen entwickelt werden, die die Teilhabe und Mitwirkung entscheidender Schlüsselpersonen und Akteursgruppen fördern. Wenn allein die Leitungsebene ein Konzept entwickelt, besteht die Gefahr, dass die Akzeptanz bei wesentlichen Stakeholdern (z.B. Hochschullehrenden) nicht gegeben ist. Bottom-up lässt sich aber, aufgrund der Divergenz von Interessen und Prioritäten der Akteure, schlecht eine gemeinsame strategische Ausrichtung definieren. Mit der Strategie formuliert die Hochschule also Ziele sowie entsprechende Leitlinien und Handlungsroutinen für das Erreichen der Ziele und definiert Kriterien für das Bewältigen von Entscheidungssituationen.

Brauchen wir noch Digitalisierungsstrategien in Zeiten der Pandemie?

Zu beobachten war, dass im April 2020 schlagartig ortsunabhängiges Lehren und Lernen mit digitaler Technik gefordert – und weitgehend umgesetzt wurde. Aufgrund der Dringlichkeit der äusseren Umstände, gab es kaum Zeit für strategisch-konzeptionelle Überlegungen. Schon in der ersten Woche des “Lockdowns” vermeldeten Hochschulen, dass sie ihren Betrieb vollständig auf digitale Lehre umstellen und die Lehre an ihrer Hochschule gesichert sei. Für Insider kam dieser Schritt überraschend. Worauf E-Learning Spezialist:innen in jahrelangen Bemühungen mehr oder weniger erfolgreich hingearbeitet haben, war nun plötzlich möglich. Viele Dozierende haben sich mit Engagement in neue Tools eingearbeitet und ihre Hochschullehre den neuen Umständen angepasst. Infrastrukturen wurden weiter ausgebaut (Getto & Zellweger 2021).

Aus Perspektive der Organisationsentwicklung sind die Zeiten des Lockdowns allerdings denkbar ungeeignet für komplexe Veränderungsprozesse und die Gestaltung des organisationalen Wandels. Denn dieser benötigt eine Kommunikation der Akteure, die durch Vertrauen und Zuversicht gekennzeichnet sein sollte. In Zeiten der häuslichen Isolation und Abgeschiedenheit, mit der Videokonferenz als dünnem Faden, der Kommunikation herstellen kann, ist aber gerade die Vertrauensbildung zwischen den Beteiligten eher erschwert (Kerres, 2020). In dieser besonderen Situation steht eher im Fokus, die wichtigsten Abläufe und Angebote “am Laufen zu halten”. Organisationsentwicklung in Hochschulen hingegen ist nur bedingt gut gestaltbar.

Während der Pandemie waren Lehrende zunächst einmal auf sich selbst gestellt. Zumeist fehlte die Chance, ein überlegtes mediendidaktisches Konzept zu entwickeln, dies mit Kolleg:innen in einem angemessenen Rahmen zu besprechen und mit deren Initiativen abzugleichen und sich ggfs. externe Beratung in der Planung und Entwicklung einzuholen. Nüchtern gesagt, während der Distanz-Semester wurden Akteur:innen durch externe Gegebenheiten zu einem bestimmten Verhalten “gezwungen”, es gab wenig Alternativen, als auf den Modus digitalen “Emergency Remote Teaching” auszuweichen. 

Ebenso hatten die Hochschulen kaum eine Chance, Richtungen zu definieren, und in eine kollegial abgestimmten Digitalstrategie zu giessen, die mit abgestimmten Massnahmen einhergehen. Dies spricht eher weniger dafür, dass die Corona-Erfahrung von sich aus eine grundlegende Veränderung der individuellen Einstellungen mit sich bringt. Sehr wohl aber kann vermutet werden, dass mehr Akteur:innen im System Hochschule deutlich geworden ist, dass an der Digitalisierung wesentlich engagierter gearbeitet werden sollte, nicht nur für Zeiten der Pandemie, sondern als ein Charakteristikum der weiteren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung für die Hochschulbildung in einer Kultur der Digitalität.

INFOBOX

Am 25. Nov. 2021 findet ein Anlass statt, zum Thema "Digitale Hochschule Post-Corona – Was ist zu tun?" mit Daniel Baumann und Renato Soldenhoff. Im Zentrum des Anlass steht die Frage welche Schritte erforderlich sind, um die Erfahrungen, Erkenntnisse und neuen Kompetenzen aus den vergangenen Monaten zu nutzen und die Digitalisierung von Studium und Lehre weiter zu entwickeln.

Zur Autorin

Barbara Getto ist Professorin für Medienbildung in der Abteilung Hochschulentwicklung und Erwachsenenbildung und Mitglied im Zentrum Bildung und Digitaler Wandel. Weitere Informationen finden Sie hier

Vom Hellraumprojektor zum Streaming im Unterricht

Beitrag von Arlette Haase

Digitalisierung, Digitalität, digitale Transformation – Schlagwörter, die uns seit Jahren begleiten, manche mehr, manche weniger, aber sie betreffen praktisch jeden. Die zunehmende Digitalisierung ist auch im Bildungsbereich, besonders seit Beginn der Pandemie, sehr stark spürbar. Während ich zu Beginn meiner Laufbahn als Lehrperson (und ich zähle mich zur jüngeren Generation) nur einen Hellraumprojektor und einen Fernseher mit Videorekorder zur Verfügung hatte, sassen am Ende meiner Tätigkeit als Berufsschullehrerin und zu Beginn meiner Funktion als Dozentin an der PHZH die Lernenden mit dem eigenen Notebook im Unterricht, WLAN überall im Schulhaus war selbstverständlich und Filme wurden gestreamt. Die Lehrbücher waren nur noch digital verfügbar, die Arbeitsblätter auf Moodle abgelegt, die Dateien der Lernenden wurden auf Onedrive gespeichert. Während die meisten Lehrpersonen noch für einen Unterricht ohne digitale Medien ausgebildet wurden, findet sich heute praktisch kein Klassenzimmer mehr ohne Smartphones und Notebooks. Jugendliche verfügen meistens über mehrere digitale Geräte, so dass sich durch die Veränderung hin zu einem «one to many» zusätzliche Chancen und Herausforderungen für Lehrpersonen und den Unterricht ergeben.

Eine weit verbreitete Annahme besteht darin, dass Unterricht mit digitalen Medien vor allem darin besteht, dass statt auf Papier nun im Word geschrieben wird und bewährte Unterrichtsmethoden durch digitale Tools ersetzt werden. Arbeitsblätter werden den Lernenden digital zur Verfügung gestellt, die diese dann in ihrem virtuellen Ordner speichern. Doch solche Szenarien greifen zu kurz und schöpfen die Möglichkeiten bei weitem nicht aus. Es geht nicht darum, eine vielfach bewährte Methode im Unterricht einfach durch ein digitales Tool zu ersetzen, statt der Wandtafel nehmen wir jetzt halt die digitale Pinnwand oder ein Arbeitsblatt stellen wir nun als pdf anstatt als ausgedruckte Kopie zur Verfügung. Vielmehr geht es darum herauszufinden, welche neuen Möglichkeiten sich durch die digitalen Medien für unseren Unterricht ergeben. Wie lassen sich Lernziele mit digitalen Medien effizienter, aber vor allem auch effektiver erreichen? Wie können wir beispielsweise die unendliche Informationsflut und -vielfalt des Internets kritisch und gewinnbringend nutzen? Welche Rolle spielen Social Media beim Lernen und wie können soziale Netzwerke genutzt werden, um ein persönliches Lernnetzwerk zu bilden? Wie gestalten wir die Zusammenarbeit im digitalen Raum? Wie können Gamification-Elemente spielerisch in unseren Unterricht einfliessen? Wie verändern sich unsere Unterrichtsziele und unsere Rolle als Lehrperson, wenn Lernende ihre Informationen auch aus dem Internet holen können? Und welche Kompetenzen benötigen unsere Lernenden und wir als Lehrpersonen, damit uns dies gelingt?

Der neue CAS Lehren und Lernen digital der PH Zürich für Lehrpersonen der Sekundarstufe II möchte hier eine Brücke schlagen und aufzeigen, welche neuen Möglichkeiten digitale Medien im Unterricht bieten können. Die Bandbreite der Themen reicht dabei von E-Didaktik für den Präsenzunterricht wie auch für Blended-Learning-Szenarien über digitales Prüfen bis hin zu Wikipedia und Social Media sowie Games / Gamification im Unterricht. Aber auch Themen wie digitale Kompetenzen und Kultur der Digitalität finden im neuen CAS Platz. Die Teilnehmenden, sowohl Berufsschul – als auch Gymnasiallehrpersonen, stellen sich aus einem breiten Modulangebot ein Weiterbildungsprogramm zusammen, das auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Das bereits bestehende Modul «Pädagogischer ICT-Support light für Berufsfachschulen» (PICTS light BFS) wird in den neuen CAS integriert und richtet sich insbesondere an Lehrpersonen, die eine Themenführerschaft an ihrer Schule übernehmen möchten. Weitere Informationen zum neuen CAS Lehren und Lernen digital sowie das Anmeldeformular werden im Frühling 2021 auf der Homepage des Zentrums für Berufs- und Erwachsenenbildung der PH Zürich aufgeschaltet.

INFOBOX

Der Lehrgang «CAS Lehren und Lernen digital» startet im August 2021. Jedes Modul kann auch einzeln gebucht werden. Am 22. April 2021 findet ein Informationsanlass dazu statt.

Zur Autorin

Arlette Haase ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Themenbereich «Digitales Lernen» des Zentrums Berufs- und Erwachsenenbildung der PH Zürich.

Lernende drehen Erklärvideos

Beitrag von Dominic Hassler

Mediendidaktik, kooperatives Lernen und fachliche Inhalte unter einen Hut bringen

Erklär- und Lernvideos sind bei Dozierenden, Lehrpersonen und Lernenden en vogue. Sie helfen Lernenden, sich Wissen im eigenen Lerntempo anzugeignen. Eingesetzt werden sie in Flipped Classroom oder Blended Learning Settings. Vorliegender Beitrag skizziert eine Methode, in der Lernende oder Studierende solche Erklärvideos herstellen, um ihr Wissen zu vertiefen. Diese Methode ist –  im Sinne des Paradigmenwechsels vom Lehren zum Lernen – auch als Alternative zu Vorträgen oder schriftlichen Leistungsnachweisen einsetzbar.

Vom Legen zum Filmen

Dieser Beitrag fokussiert sich auf das Format Legetechnik, obschon zahlreiche Formate für Erklärvideos geeignet sind. Was ist Legetechnik? Hier wird von oben herab gefilmt, wie zwei Hände Grafiken, Objekte oder Charaktere bewegen; parallel dazu spricht eine Erzählstimme. Es empfehlt sich, Legetechnik-Videos in Gruppen von drei bis vier Lernenden zu erstellen.

Beispielbild Legetechnik

Spielformen von Low-Tech bis High-Tech 

Lernende erstellen in den überbetrieblichen Kursen der Bankenlehre (CYP) ein Erklärvideo zu einem selbstgewählten Thema in nur 80 Minuten. Wie das funktioniert, hält das Schweizer Fernsehen in einer sehenswerten Reportage fest.

Beachten Sie, wie dieses technisch einfache Beispiel dank pragmatischer Aufgabenstellung in einem Durchgang aufgenommen wird: weder digitale Nachbearbeitung noch Zusammenschneiden sind nötig. Sogar Soundeffekte haben die Lernenden mit einem zweiten Handy eingebaut. Zudem ist erkennbar, dass sich die Legetechnik eignet, wenn der fachliche Gegenstand durch eine Erzählung veranschaulicht wird (etwa die Haftpflichtversicherung bei einem Autounfall).

Wird das Video im Nachhinein digital bearbeitet, eröffnen sich neue Möglichkeiten. Lernende können das Video mit Musik unterlegen, einzelne Standbilder einfügen oder aneinanderreihen, um einen Stop-Motion-Effekt zu erzeugen (vlg.  dieses nachbearbeitete Erklärvideo von Mittelschülerinnen über die DNA-Translation).

Der Technisierungsgrad der Aufgabe erleichtert es Lehrenden, auf die individuellen Fähigkeiten der Anwesenden einzugehen. Stärkere Gruppen eignen sich selbstständig anhand von Software-Tutorials an, wie sie Videos digital bearbeiten können. Schwächere Gruppen dagegen konzentrieren sich darauf, die Inhalte zu erarbeiten und visualisieren.

Digital zeichnen: Vom Prinzip ähnlich, aber technisch aufwändiger sind digital gezeichnete und animierte Videos (www.videoscribe.co, www.powtoon.com) sowie Stop-Motion Videos. Alternativ können Bilder bzw. Zeichnungen in PowerPoint animiert und besprochen werden (dazu ein Erklärvideo von mir). 

Screencast: An der Hochschule für Technik Stuttgart erstellen Studierende Lösungsvideos zu Mathematikaufgaben. Die Dozierenden schildern ihr Vorgehen dabei in diesem Webinar.

Wie die Lehrenden begleiten, ist entscheidend  

Je weniger die Lernenden über Arbeits- und Lernstrategien verfügen, desto stärker sollte die Gruppenarbeit und der Lernprozess begleitet werden. Das Erstellen eines Erklärvideos ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Lehrperson unterstützt Lernende, fokussiert bei der Arbeit zu bleiben, indem sie die Aufgabe in mehrere Teilschritte mit Deadlines gliedert.  

Storyboard: Nach dem Erarbeiten der Inhalte erstellen die Lernenden ein Storyboard oder ein Drehbuch. Dies besteht z. B. aus einigen A5 Karten, welche die Szene skizzieren und einige Sätze enthalten. Jede Gruppe lässt das Drehbuch von der Lehrperson absegnen, bevor sie in die nächste Phase geht. Dies verhindert, dass eine Gruppe in eine ungünstige Richtung arbeitet oder zentrale Aspekte ausser Acht lässt. Es empfiehlt sich, eine frühe Deadline zu setzen, damit die Gruppen ausreichend Zeit haben, das Zwischen-Feedback der Lehrperson umzusetzen.

Requisiten: Im Anschluss werden die Requisiten – zum Beispiel selbst angefertigte Zeichnungen – erstellt. Es können auch Grafiken aus dem Internet ausgedruckt und ausgeschnitten werden.

Sprechtext: Der Sprechtext muss nicht immer ausformuliert und aufgeschrieben sein, obgleich dies die Qualität der Erzählstimme erhöht.

Nach dem Erstellen der Requisiten und des Sprechertexts kann die Lehrperson je eine weitere Rückmeldung geben und den Lernprozess steuern.

Aufnahme des Videos: Häufig müssen Lernende das Video mehrmals aufnehmen, bis es im Kasten ist. Das mag sie frustrieren, eröffnet jedoch eine wertvolle Lerngelegenheit. Einerseits festigt sich der Inhalt durch die Repetition, andererseits können sie ihre eigene Sprechstimme hören, reflektieren und justieren.

Prägnante Aufgabenstellung: Dazu gehören Hinweise zur Dauer des Videos (Empfehlung: maximal 5 Minuten), zu nötigen Informationen auf dem Titelbild sowie zum Abgabeformat des Videos. Zudem muss erwähnt sein, ob alle involvierten Lernenden zu hören sein sollen.

Erworbene Kompetenzen  

Abhängig von der Aufgabenstellung können Lernende diese Kompetenzen erwerben:

  • innerhalb der vorgegebenen Zeit Arbeitsweise und Inhalte priorisieren
  • sich als Gruppe auf eine Vorgehensweise einigen
  • fachlichen Inhalt, den das Erklärvideo behandelt
  • Inhalte recherchieren, filtern und zusammenfassen
  • Inhalte visualisieren
  • Storytelling
  • reflektieren und steuern der eigenen Sprechstimme
  • berücksichtigen von Urheberrechten und Datenschutz
  • ggf. mit einer Videobearbeitungssoftware umgehen

Mitdenken erbeten: Evaluation und Benotung sinnvoll? 

Das Ergebnis dieser Methode kann evaluiert und benotet werden. Damit lässt sich ein Vortrag oder eine schriftliche Arbeit ersetzen. Setzt man diese Methode zum ersten Mal ein, kann die Benotung eine Herausforderung sein. Als Starthilfe können Sie dieses Bewertungsraster verwenden. Wählen Sie drei bis fünf der Kriterien aus und gewichten Sie diese nach Ihren Bedürfnissen.

Diskutieren Sie mit uns in der Kommentarspalte darüber, inwiefern welche Kriterien (nicht) sinnvoll sind, welche Sie verwenden würden und welche Ihnen fehlen.

INFOBOX
Haben Sie generell Interesse an Videos in der Lehre? Gerne verweisen wir Sie auf folgende Angebote:

- Video als FeedbackmethodeWie man Feedback persönlicher gestaltet und dabei Zeit spart
- Inhalte und Kompetenzen mit Erklärvideos vermitteln – Lernförderliche Videos erstellen und didaktisch sinnvoll in den Unterricht einbetten

Zum Autor

Dominic Hassler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der PH Zürich und leitet den Themenbereich «Digitales Lernen» im Zentrum Berufs- und Erwachsenenbildung.

Sind Menschen die besseren Roboter? Ethische Fragen zur Digitalisierung

Beitrag von Peter Holzwarth

Digitalisierung Ethik
Mensch versus Maschine

Werden früher oder später auch Lehrpersonen durch smarte Roboter ersetzt? Welche Auswirkungen könnte es z. B. haben, wenn man nach dem Tod einer geliebten Person einen Roboter-Klon aktivieren kann? In diesem Beitrag werden ethische Fragen in Bezug auf Medienbildung und Digitalisierung diskutiert. Diese Aspekte müssten in der Ausbildung und Weiterbildung von Lehrpersonen sowie pädagogischen Fachkräften stärker berücksichtigt werden, will man den Anspruch einlösen, junge Menschen für die Mitgestaltung der «digitalen» Zukunft zu befähigen (Der Praxisteil einer früheren Version des Beitrags ist hier zu finden.).

Ethische Defizite im Digitalisierungsdiskurs

Die Auseinandersetzung mit Werten und ethischen Fragen hat aus mehreren Gründen an Bedeutung gewonnen: Durch Globalisierungs-, Individualisierungs- und Fragmentierungsprozesse (vgl. u. a. Beck 1986) werden gemeinsam geteilte gesellschaftliche Werte in Frage gestellt. Hans Küng (2003) hat mit dem «Projekt Weltethos» den Versuch unternommen, gemeinsam geteilte Werte über alle kulturellen Kontexte und Religionen hinweg sichtbar zu machen.

Die Pluralisierung und Individualisierung von Lebensentwürfen und Werthaltungen stellt eine grosse Chance für Freiheit und Selbstbestimmung dar – sie bedeutet aber auch ein individuelles und gesellschaftliches Risiko (Beck 1986). Wertevermittlung im Familienkontext ist in vielen Bereichen unsicherer geworden: Mehrfachbelastungen, Stress, Zeitmangel, Trennungen, erhöhte Erziehungsanforderungen und Mangel an ökonomischem und kulturellem Kapital (Bourdieu 1982) spielen dabei eine Rolle. Selten werden in der Ausbildung und im Arbeitsalltag von pädagogischen Fachkräften Räume für die Reflexion eigener Werte und Anliegen geboten. Als möglicher Kontext der Wertediskussion bieten sich medienpädagogische Aktivitäten an. Verschiedene Beispiele werden im Folgenden besprochen.

Werteorientierte Medienpädagogik

Medienpädagogische Projekte, bei denen die Thematisierung von Werten im Fokus steht, können auf verschiedenen Ebenen stattfinden:

a) Individuelle Werte explorieren

Medienpädagogische Projekte können die Teilnehmenden dazu einladen, ihre eigenen Werte zum Thema zu machen bzw. sich der eigenen Werte bewusst zu werden: Was ist mir wichtig? Was sind meine Werte? Was sind meine Stärken?

Ein Beispiel für ein werteorientiertes Medienprojekt ist «My Selfie – My Skills».  Es leitet die Teilnehmenden dazu an, ihr Selfie-Foto mit ihren geschriebenen oder gezeichneten Skills bzw. Kompetenzen darzustellen (Holzwarth 2019).

b) Gesellschaftliche Werte inhaltlich zum Ausdruck bringen

In Medienproduktionen können Werte auch im Sinne von Gesellschaftskritik zum Ausdruck kommen, z. B. Kritik an Schönheitsidealen, Kritik an Umweltzerstörung, Kritik an Ausgrenzung und Fremdenhass.

«Adbusting» ist ein Konzept, bei dem Werbebotschaften aufgegriffen und auf visueller oder sprachlicher Ebene im Sinne von Kritik oder Parodie umgestaltet werden (vgl. Holzwarth 2007). Folgende Aspekte in Werbungen können aufgegriffen werden: ungesunde Produkte, unökologische Produkte, Schlankheitsnormen, Sexismus, Rassismus, Entlarvung zweifelhafter Werbeversprechen, Entlarvung von Photoshop-Schönheitsidealen, zweifelhafte Arbeitsbedingungen bei der Herstellung von Produkten.

c) Wertefragen beim Produzieren

Auch bei Diskussionen bzgl. des Produktionsprozesses können ethische Fragen angestossen werden:

  • Quellen benennen und Respekt zeigen gegenüber Fremdmaterial, das in eine Produktion eingebaut wird
  • Objektivität bei der Berichterstattung im Zusammenhang mit journalistischen Medienformaten (z. B. keine Fake News verbreiten, Quellen überprüfen)
  • Keine Blossstellung von Personen, die bei einer Produktion mitgemacht haben (z. B. Menschen bei Umfragefilmen nicht lächerlich machen)
  • Transparenz in Bezug auf Publikationspläne gegenüber Menschen, die bei einer Strassenumfrage mitmachen
Digitalisierung
Ist diese Art von Digitalisierung wünschenswert? Hier ist ethische Reflexion gefordert.

Ethische Fragen und Digitalisierung

Um sich mit ethischen Fragen im Zusammenhang mit Digitalisierung auseinanderzusetzen, kann eine Lernaktivität für Studierende und Weiterbildungsteilnehmende auch mit einer kreativen Schreibaufgabe verknüpft werden: Die Teilnehmenden beziehen sich dabei auf vorhandene gesellschaftliche Probleme und entwerfen narrativ ein Negativszenario für das Jahr 2030 (Beispielgeschichte als PDF zum Download). Dieses Konzept wurde 2018 mit Studierenden der Pädagogischen Hochschule Zürich erprobt. Sie besuchten die Veranstaltung «Medien und Informatik», in der sie unter anderem auch das Programmieren mit Scratch und das Arbeiten mit Roboterlernumgebungen kennenlernen konnten. Auch am Fachgruppentag der PH Zürich 2019 konnten Erfahrungen gesammelt werden.

Neben der Auseinandersetzung mit ethischen Fragen (Fragenkatalog zu Medienethik als PDF zum Download) bestand das Hauptziel der Lernaktivität darin, den Bogen zwischen eigener Robotikerfahrung und gesellschaftlichen Entwicklungen zu spannen.

Auch Erfahrungen mit Spielfilmen und Romanen zu Digitalisierungs- und Robotikthemen konnten aufgegriffen werden.

Folgende Lernziele sind mit der Aktivität verbunden:

  • medien- und digitalisierungskritisches Bewusstsein entwickeln;
  • eigene Erfahrungen mit Robotern (z. B. Staubsaugerroboter, Spielroboter) mit einer gesellschaftlichen Perspektive verbinden;
  • ethische Fragen (s. unten) kennen und sich selbst positionieren können;
  • Werteerhellung (Büsch und Schreiber 2016, 62): sich der eigenen Werte bewusst werden;
  • ein Bewusstsein für die «historische Gemachtheit» von Technik (durch den Menschen) entwickeln;
  • Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen erkennen bzw. übernehmen;
  • eigene Mitverantwortung an digitalen Entwicklungen bewusst machen (heute werden die Weichen für morgen gestellt);
  • Bewusstsein für Technikfolgenabschätzung entwickeln;
  • Geschichten schreiben lernen;
  • das literarische bzw. filmische Genre der Dystopie kennen lernen;
  • eigene Medienerfahrungen (z. B. Spielfilm «Blade Runner», Serie «Real Humans», Romane «Quality Land» und «Maschinen wie ich») reflektieren und literarisch-produktiv verarbeiten können.

Fazit

In vielen gesellschaftlichen Kontexten stellt sich die Frage, welche Art von digitaler Zukunft wünschenswert ist. Zum einen erfordern neue digitale Phänomene ethische Reflexion und Aufarbeitung, zum anderen ist ethische Reflexionskompetenz entscheidend, um digitale Wandlungsprozesse gestalten zu können und bestimmte negative Szenarien zu verhindern. Daher ist es wichtig, Wertefragen stärker in Ausbildung und Weiterbildung zu integrieren. Die Medienpädagogik mit ihrer medienkritischen Denk- und Handlungstradition (vgl. Baacke 1997) kann hier einen wertvollen Beitrag leisten. Die ersten Erfahrungen mit dem Schreibauftrag «Digitales Negativszenario der Zukunft» im Rahmen einer Lehrveranstaltung bzw. einer Weiterbildung von Dozierenden waren vielversprechend. Sie haben gezeigt, dass eine intensive Auseinandersetzung mit ethischen Problemdimensionen und medialen Beispielen Zeit erfordert. Für zukünftige Durchführungen könnte es daher empfehlenswert sein, eine Selbstlernphase einzubauen, in der Studierende oder Weiterbildungsteilnehmende sich eigenständig mit ethischen Themenfeldern und medialen Texten (z. B. Blade Runner) beschäftigen, auch eine Eingrenzung bzw. Vorauswahl der ethischen Fragen könnte helfen.

INFOBOX

In seinem Kurs Kreatives Schreiben leicht gemacht: Das motivierende Prinzip «Remake» vermittelt Peter Holzwarth den Teilnehmenden das Prinzip «Remake», für das eigene Schreiben und für die Vermittlungskontexte Schule und Erwachsenenbildung.

Die Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung befasst sich auf verschiedenen Ebenen mit dem Thema Digitalisierung. Es werden diverse Veranstaltungen angeboten, die sich mit dem Thema befassen, z.B. der Kurs Flipped Classroom - vom Konzept bis zur Umsetzung im eigenen Unterricht des ZHE, die Veranstaltungen für Berufsfachschullehrpersonen in der Rubrik Digitales Lernen oder die Veranstaltungen für Erwachsenenbildende in der Rubrik Digitalisierung.

Zum Autor

Peter Holzwarth

Peter Holzwarth ist Dozent für Medienpädagogik an der PH Zürich. Er leitet das Fachteam Medienpädagogik, arbeitet im Schreibzentrum, im Digital Learning (DLE) und in der Abteilung Internationale Bildungsentwicklung (IB). Ausserdem ist er Berater bei der Stelle für Personalfragen (SteP). 

Redaktion: Martina Meienberg

Lange Links kurz gemacht

Beitrag von Caspar Noetzli

Logo Caspar's Toolbox

 In der Serie «Caspars Toolbox» stellt Caspar Noetzli einmal jährlich eine bewährte App oder ein digitales Werkzeug vor, das sich im Unterrichtsalltag sinnvoll einsetzen lässt – diesmal den URL-Shortener.

 

Mit einem sogenannten URL-Shortener – auf Deutsch etwa «Internetadressen-Verkürzer» – lassen sich lange Links zu Dokumenten und Webseiten verkürzen. Kurze Internetadressen sehen schöner aus, lassen sich schneller merken und einfacher kopieren. Das tönt erstmal banal – doch sie haben noch weitere praktische Merkmale und Anwendungsmöglichkeiten:

  • In einem Buch oder einer Broschüre können optisch ansprechende und aussagekräftige Verweise zu weiterführenden Materialien abgedruckt werden. Das Ziel dieser Links lässt sich jederzeit anpassen, so dass die gedruckten Links über Jahre richtig funktionieren und nicht veralten.
  • Im Verwaltungsbereich des URL-Shorteners sehen Sie, wie oft Ihr Link effektiv angeklickt wurde.
  • Den Kurzlink zu einer wiederkehrenden Tagung können Sie über Jahre beibehalten und einfach jeweils die aktuelle Tagungswebsite hinterlegen.

In diesem Screencast zeige ich Ihnen, wie ein URL-Shortener funktioniert und wie Sie selber Kurz-URLs erstellen und bearbeiten können. Ein Hinweis, welchen Typ von URL-Shortener Sie besser nicht benutzen sollen, rundet das Erklärvideo ab:

Links kürzen

Verschiedene Hochschulen stellen Ihren Mitarbeitenden, und teilweise auch den Studierenden, URL-Shortener zur Verfügung:

  • Angehörige der Pädagogischen Hochschule Zürich nutzen tiny.phzh.ch, um Internetadressen zu kürzen und QR-Codes zu erstellen.
  • Auch an der ETH Zürich steht ein URL-Shortener unter diesem Link zur Verfügung.
  • An der Universität Zürich findet man ihn unter tiny.uzh.ch/t.

Gibt es auch an Ihrer Hochschule einen URL-Shortener? Falls ja, fügen Sie die Adresse dazu – hoffentlich eine kurze –  bitte ins unten stehende Kommentarfeld ein. Falls nein, fragen Sie bei Ihren Informatikdiensten nach und verweisen Sie dabei vielleicht auf diesen Artikel.

Wie immer freue ich mich über Kommentare, Fragen und vor allem über eigene Erfahrungsberichte. Bitte benutzen Sie dazu die Kommentarfunktion direkt unterhalb dieses Blog-Beitrags.

INFOBOX

In der Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung werden verschiedene Digital-Learning-Veranstaltungen angeboten, z.B. der Kurs E-Didaktik des ZHE, die Veranstaltungen für Berufsfachschullehrpersonen in der Rubrik Digitales Lernen oder die Veranstaltungen für Erwachsenenbildende in der Rubrik Digitalisierung.

Zudem bietet das Zentrum Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich Webinare zum Distanzlernen an.

Zum Autor

Caspar-Noetzli-sw

Caspar Noetzli ist Dozent und Berater im Digital Learning Center der PH Zürich.

Die Corona-Krise zwingt zu mehr Offenheit in der Lehre

Beitrag von Nina Bach

Die allermeisten Lehrenden konzipieren ihre Lehrveranstaltungen gerade neu – da Social Distancing auf unbestimmte Zeit nötig sein wird. Abgesehen von den Veränderungen hinsichtlich der Tools und Lehr-Lern-Aktivitäten braucht es auch eine neue Art, an Arbeitsaufträge heranzugehen. Denn was früher angemessen war, kann in der aktuellen Corona-Situation aus unterschiedlichen Gründen problematisch sein.

Corona-Krise
In Krisenzeiten braucht es in der Lehre viel Offenheit und neue Herangehensweisen.

Arbeitsaufträge: normalerweise «take it or leave it»

Im «normalen» Lehrbetrieb gehen Lehrende meiner Erfahrung nach recht sachlich mit Erwartungen an Studierende um. Im Syllabus wird formuliert, was erforderlich ist, um ECTS-Punkte zu erreichen. In der Lehrveranstaltung werden Arbeitsaufträge aufgegeben, mit der Erwartung, dass die Mehrzahl der Studierenden diese ausführt, ohne sich zu beschweren. «Widerstand» taucht normalerweise höchstens in Form von Demotivation auf: Manche Studierende beteiligen sich z. B. einfach nicht. Das können Lehrende entweder als Anlass nutzen, um ihre Lehre motivierender zu gestalten, oder sie halten diesen Widerstand einfach aus. Bei dieser Art von Widerstand gibt es für Lehrende normalerweise keinen dringenden Handlungsbedarf.

In der Corona-Krise ist ein anderer Umgang nötig

In der neuen, digitalen Lehrsituation im Schatten der Corona-Krise ist ein solcher Umgang mit Widerstand aus mehreren Gründen nicht möglich:

1. Es ist schwieriger, sich in einer digitalen Lernumgebung zurechtzufinden; Studierende könnten sich schnell im Stich gelassen fühlen oder manche Aufträge aus technischen Gründen nicht ausführen können. Darauf müssen Lehrende reagieren.

2. Online gibt es mehr Ablenkungen; Studierende schalten unter Umständen schneller ab. Vielleicht wird das Lehrvideo nicht zu Ende geschaut, vielleicht wird bei der Gruppenarbeit im Chat kurz durch Instagram gescrollt. Lehrende müssen hier aktiver gegenarbeiten.

3. Aktuell erleben viele Studierende hinsichtlich ihrer finanziellen und gesundheitlichen Versorgung, ggf. auch in der Familie, eine zusätzliche Belastung. Selbst Studierende, die von der Corona-Krise an sich kaum betroffen sind, spüren die kollektive Verunsicherung und die Sorgen in der Bevölkerung: Die Corona-Krise geht an niemandem spurlos vorbei. Es ist deshalb gut möglich, dass manche Studierende weniger leistungsfähig sind (auch kurzfristig, unerwartet, aufgrund einer persönlichen Krise) oder generell andere Bedürfnisse haben als im normalen Lehrbetrieb.

Webinar
Die Umstellung ins Distanzlernen muss diverse Ebenen und Aspekte adressieren.


«Take your pick»: So gelingt eine offenere Herangehensweise

In Lehrveranstaltungen während der Corona-Krise sollten Lehrende Arbeitsaufträge – kleine wie auch grosse – aus meiner Sicht also etwas offener formulieren. Dazu gehören unterschiedliche Aspekte:

  • Arbeitsaufträge als Einladungen formulieren – mit Konsequenzen. Lehrende laden Studierende ein, sich zu beteiligen und sagen ihnen, was passieren könnte, wenn sie es nicht tun. Sie sagen aber auch, welche Vorteile es für die Studierenden hat, wenn sie sich beteiligen.
  • Da die Studierenden nicht physisch anwesend sind, fällt es schwer, die Reaktion auf Arbeitsaufträge einzuschätzen. Deshalb werden sie um ein Feedback gebeten, damit die Lehrenden wissen, ob die Aufträge verständlich und technisch machbar sind und ein angemessenes Niveau haben. Auf diese Weise können Aufträge ggf. angepasst werden.
  • Studierende erhalten die Möglichkeit sehr autonom zu arbeiten, indem Lehrende ihnen erlauben, das Thema, die Methode, die technische Umsetzung oder Ähnliches frei zu gestalten.
  • Nach Möglichkeit bekommen die Studierenden einen Alternativauftrag: Das ist motivierend und erhöht die Inklusivität der Lehrveranstaltung. Beispiele dafür könnten sein:
    • Ein alternatives Medium zur Wissensvermittlung: Man kann ein Video anschauen oder einen Text lesen.
    • Eine Alternative zur Teilnahme am Webinar: Wer nicht teilnehmen kann, arbeitet die Materialien bzw. die Aufnahme zeitnah durch und schreibt ein Lerntagebuch.
    • Eine alternative Möglichkeit, die Note zu verbessern: Mit dem Schreiben einer Reflexion, eines Lerntagebuchs oder der Beteiligung im Forum können Bonuspunkte erlangt werden.
    • Eine alternative Sozialform: Wer Einzelarbeit vorzieht, kann allein arbeiten.

Fazit: Dank offeneren Arbeitsaufträgen gelingt es, gemeinsam die aktuellen Herausforderungen zu meistern

Wenn Lehre in der Krise erfolgreich sein soll, braucht es ein Umdenken, ein offeneres und flexibleres Herangehen an Arbeitsaufträge – dies soll den Studierenden entsprechend kommuniziert werden. So sind sie motiviert, alle Herausforderungen (z. B. auch technische) gemeinsam mit den Lehrenden zu bewältigen. Auch die Inklusivität der Lehre wird so erhöht.

INFOBOX

Das Zentrum Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich bietet kostenlose Webinare und weitere Materialien zur Gestaltung von Lehre mittels Aufgaben an.

Zudem finden sich auf der Seite «Lernen zu Hause» der PH Zürich viele Links, Tools, Tipps und Materialien zu Distance Learning auf verschiedensten Schulstufen.

Zur Autorin

Nina BachNina Bach ist Lehrbeauftragte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und arbeitet als Dozentin in der Hochschul- und Bibliotheksdidaktik. Sie schreibt Blog-Artikel rund um gute Lehre (nicht nur) im digitalen Bereich.

Folgen über E-Mail
Folgen über Twitter
Visit Us
Follow Me