Beitrag von René Schneebeli, Dozent im Zentrum Berufs- und Erwachsenenbildung der PH Zürich.
«Sag mal, kannst du eigentlich auch etwas anderes als Führen?» Der Satz kam unverhofft aus der Runde der IWB-Seminarteilnehmenden und löste wohl deshalb bei Reto mehr Betroffenheit aus, als allen lieb war. Reto hat viele Jahre als Vorgesetzter, Projektleiter und Geschäftsführer gearbeitet. In der Rolle als Lehrperson kam ihm deshalb das herkömmliche Bild des lehrerzentrierten Lernens entgegen.
Seit aber die Kompetenzorientierung und vor allem das selbstorganisierte Lernen an seiner Schule Einzug gehalten haben, ist Reto gefordert. Nicht nur führen soll er, sondern auch begleiten und coachen. Das genaue Beobachten, die Reflexion von Ergebnissen und das Verhalten gegenüber den Lernenden rücken in den Vordergrund.
Feedback auf Augenhöhe
Was Schulleitung und sein Berufsstand seit Längerem forderten, und was Reto kognitiv gut einordnen konnte, kam an diesem Seminartag durch die Provokation seines Kollegen auch emotional bei ihm an. Der Spruch hätte ebenso gut im Lehrerzimmer oder in der Familie fallen können. Aber erst durch die bewusste Auseinandersetzung mit seinen Handlungsroutinen und Wahrnehmungsschemata in einem strukturierten Prozess, erst durch das Feedback auf Augenhöhe schlug, eine neue Erkenntnis durch.
Retos Widerwillen, sich einer weiteren Mode der Pädagogik beugen zu müssen, wandelte sich in ein persönliches Bedürfnis. Dieses wurde zum Ausgangspunkt seines Projekts – so verwarf er seine anfängliche Idee, die theoretischen Hintergründe von Führung aufzuarbeiten. Jetzt wollte er sich auf ein fremdes Land, eine fremde Kultur und eine fremde Sprache einlassen. In der reflektierten Auseinandersetzung mit dem Unbekannten sollte das gestärkt werden, was dem neuen Rollenverständnis geschuldet ist.
Selbstreflexion – Chance zum Setzen neuer Ziele
Bei Reto lässt sich nachvollziehen, dass in der beruflichen Entwicklung die persönlichen und fachlichen Entwicklungsprozesse miteinander verwoben sind. Insbesondere bei Berufserfahrenen, die über ein trägeres Selbstbild verfügen, braucht es oft mehr Aufwand und eine höhere Reaktionsenergie um Betroffenheit und letztendlich Lernprozesse auslösen zu können.
Um solche Entwicklungsprozesse zu initiieren, braucht es Raum, Zeit, Zuwendung und Distanz zum Berufsalltag. Was sich wie der Luxus unserer Tage anhört, ist aber eigentlich ein effektives Mittel zum langfristigen Erhalt der Arbeitsproduktivität.
Die Intensivweiterbildung (IWB) des Kantons Zürich für Berufsfachschullehrpersonen (BFSL) ist ein solches Angebot. Sie ermöglicht langjährigen Lehrpersonen eine zehnwöchige Freistellung von der Unterrichtstätigkeit. Dabei ist der Name des Angebots Programm: Zielsetzung ist gemäss dem Regierungsratsbeschluss des Kantons Zürich von 1986 die vertiefte fachliche, methodische und persönliche Weiterbildung. Die IWB positioniert sich nach heutiger Lesart als überfachliches Angebot und wird als berufsbiographische Zäsur verstanden, die der Standortbestimmung, der Reflexion und der Weiterentwicklung der Lehrpersonen dienen soll.
Gelockerte Teilnahmebedingungen noch wenig bekannt
Die Rahmenbedingungen des Angebots haben sich seit seiner Einführung stark gelockert. Der kursorische Anteil der IWB sank stetig und die individuellen Freiheiten in der Ausgestaltung nahmen kontinuierlich zu. Heute beträgt der Umfang des notabene freiwilligen Begleitprogramms der PHZH noch sieben Tage der insgesamt 10 Schulwochen der IWB.
So sind die eher bescheidenen IWB-Teilnehmendenzahlen nicht leicht zu erklären. Das war der Grund für eine Studie, die im Frühjahr 2015 der Frage nachging, welches die Gründe für die Nicht-Teilnahme an der IWB sind. Die Online-Befragung bei allen BFSL des Kantons Zürich (n=2’226) hatte einen Rücklauf von 13.1% (n=291).
>>Link zum Abstract der Masterarbeit «Keine Zeit für Auszeit» von René Schneebeli
IWB – attraktiv und doch (noch) nicht von vielen Lehrpersonen besucht
Im Ergebnis zeigte sich zunächst, dass die Zahl der jährlichen Teilnehmenden seit 1987 zwar stark schwankte, aber im langjährigen Schnitt vergleichbar bleibt.
Der Hauptgrund für die Nicht-Teilnahme sind vor allem die Zulassungskriterien, die nur gerade 14.8% (n=43) der Umfrageteilnehmenden erfüllten. Es wird gefordert, dass man 12 unbefristete Dienstjahre beim Kanton vorweisen kann, noch nicht 58 Jahre alt ist und noch keine IWB absolviert hat. Mit diesen Kriterien ist niemand so richtig zufrieden. Sie laufen sich teilweise zuwider und werden modernen Lehrerbiographien nicht mehr gerecht.
Von den 43 Personen, die von den Zulassungskriterien nicht aussortiert wurden, wusste ein Drittel nicht, dass sie zu den Anspruchsberechtigten gehörten. Das wiederum weist auf ganz andere Probleme hin. Geradezu paradox war, dass viele Lehrpersonen keine Zeit hatten für eine Auszeit. Über ein Drittel gab familiäre Gründe an und über die Hälfte hatte andere Beweggründe. Dahinter verbergen sich z.B. Anstellungen an Zweitschulen, Selbstständigkeit oder die Anstellung in einem Betrieb.
Ob die IWB «aufgespart» wird oder ob sie sich schlicht als unvereinbar mit anderen Verpflichtungen erweist, lässt sich abschliessend nicht sagen. Aus der Sicht der Anspruchsberechtigten würde die Schule ihrer Teilnahme an der IWB, trotz Spardruck, jedenfalls nicht im Weg stehen. Auch dem Begleitprogramm der PHZH attestierten fast alle Anspruchsberechtigten einen Mehrwert. Darin spiegelt sich das Verständnis der IWB nicht nur als Massnahme zur Entlastung vom Berufsalltag, sondern auch als Möglichkeit zur aktiven Auseinandersetzung mit der eigenen Berufsbiographie und der persönlichen und fachlichen Weiterbildung.
Distanz zu den eigenen Wahrnehmungsmustern entwickeln
Reto entwickelte seine Idee im dreitägigen Modul Standortbestimmung, mit dem die IWB beginnt. Auch das Seminarhotel in der fernen Ostschweiz erleichterte es ihm, Distanz zur Schule und zum Schulalltag zu gewinnen. Vielleicht fiel ihm die Überprüfung der Tauglichkeit seiner Verhaltensmuster auch leichter, weil er die Möglichkeit zum Austausch mit Lehrpersonen in berufsbiographisch vergleichbaren Situationen hatte. Jedenfalls gefiel es ihm dort. Beim Abschied meinte er dann auch, das Hotel sei toll geführt…
Die IWB ist ein begleiteter Weiterbildungsurlaub, der sich an Ihren individuellen Lernbedürfnissen ausrichtet und gleichzeitig dem Leistungsauftrag der Schule verpflichtet ist. Sie können Abstand vom Schulalltag gewinnen und sich zehn Schulwochen lang in selbstgewählte Projekte und Weiterbildungen vertiefen. >>mehr über die IWB und das Begleitprogramm der PHZH Neu kann die dreitägige Standortbestimmung auch von Lehrpersonen besucht werden, die keine IWB absolvieren, sich aber mit ihrer persönlichen und beruflichen Situation auseinandersetzen wollen. >> René Schneebeli gibt Ihnen gerne näher Auskunft.
Ein Gedanke zu „IWB: Motivation tanken und neue Ziele setzen“