ICT-Lernkultur: Tipps zur Umsetzung des pädagogischen ICT-Konzepts

Informatik ist mehr als einfach ein neues Schulfach. Informatik ist in verschiedener Hinsicht sehr speziell und zwingt zu einem radikalen Umdenken. Stolpersteine sind garantiert.

Der folgende Text ist keine wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern der Versuch, anhand einiger typischer Beispiele aus dem ICT-Support zur Verständigung zwischen Schulleitungsmitgliedern, Lehrpersonen und den Personen im IT-Support beizutragen.

«Der Lehrer ist immer genervt, wenn er am Computer ist.»
Die Aussage stammt von einer Gruppe Schülerinnen und Schüler. Nicht das, was die Lehrperson im Unterricht sagt, sondern was sie vorlebt, bleibt bei den Schülerinnen und Schülern in Erinnerung. Die Lehrpersonen dienen als Rollenmodell, wie man mit der ICT-Infrastruktur umgeht. Niemand erwartet, dass die Lehrpersonen im Umgang mit dem Computer alles wissen. Im Gegenteil: Die Lehrpersonen sollen dazu stehen, wenn sie eine Problemstellung nicht selber lösen können. Es gibt verschiedene Arten der Reaktion: Die Lehrperson hat die nötige Kompetenz erarbeitet, um ein paar «erste Hilfe»-Schritte selber ausführen zu können und falls nötig eine Fehlermeldung zu erstellen. Oder: Sie bricht die Übung unaufgeregt ab und klärt die Lösung nach dem Unterricht mit dem Support. Eventuell kann auch ein Schüler oder eine Schülerin das Problem lösen oder hat eine Idee für eine kreative, unerwartete Lösung.
Tipp: Fehlerkultur entwickeln und leben. Kaum in einem schulischen Bereich wird so deutlich, dass die Lehrperson nicht alles wissen kann. Sie darf und soll dazu stehen, wenn sie etwas nicht weiss.
ICT-Lernkultur: Die Lehrperson hat kein Informationsmonopol. Im Gegenteil: Die Rolle der Lehrperson besteht darin, souverän Lösungswege und Problemlösestrategien aufzuzeigen oder vorzuzeigen, wie man Hilfe holen kann.

«Mit diesen Computern kann man nicht arbeiten!»
Und dabei hat es so schön angefangen: Neue ICT-Infrastruktur und neue Cloud-Lösung sowie auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte ICT-Unterstützungsangebote wurden durch die Schule zur Verfügung gestellt. Und doch wird die neue ICT-Infrastruktur kaum genutzt. Was ist geschehen?

Mehrere Personen berichteten sich gegenseitig von technischen Problemen: Ein Login funktioniert nicht (das Passwort wurde vergessen), eine Datei lässt sich nicht öffnen (es wurde versucht die Datei mit einem unpassenden Programm zu öffnen) und jemand vermutet, dass Daten verschwinden (es wurde lokal gespeichert und anschliessend am falschen Computer gesucht). Aber statt Hilfe zu holen und die Probleme beheben zu lassen, haben sich die Lehrpersonen gegenseitig hochgeschaukelt. Aus zwei drei kleinen Mücken wird ein Elefant und plötzlich regt sich Widerstand.
Tipp: Niederschwellige Angebote wie Fragestunde oder «Lernpartner» anbieten. Widerstände entstehen meist aus Ängsten. Manchen Lehrpersonen fällt es sehr schwer, Hilfe zu holen. Umso wichtiger ist, dass alle im Team eingebunden sind und allenfalls ICT-Projekte gemeinsam angegangen werden.
ICT-Lernkultur: Alle helfen mit die ICT-Infrastruktur optimal zu nutzen. Schulpflegemitglieder, Schulleitung, Klassen- und Fachlehrpersonen, Heilpädagoginnen und nicht zuletzt die Schülerinnen und Schüler unterstützen einander und tauschen ihr Wissen aus.

«Wenn die anderen Tablets haben, müssen wir auch welche haben.»
ICT-Infrastruktur kann leicht zu einem Statussymbol werden. Häufig steht die Anschaffung von Hard- und Software im Vordergrund und das pädagogisch-didaktische Setting verschwindet aus dem Fokus. Um neue ICT-Infrastruktur im Unterricht gewinnbringend einsetzen zu können, braucht es eine gute Einarbeitung und vor allem Unterrichtsideen, die genau auf die vorhandene Infrastruktur abgestimmt sind.
Tipp: Vorsicht bei Anschaffungswünschen zu denen keine konkreten Unterrichtsszenarien genannt werden. Neue Geräte und Software in Betrieb zu nehmen ist ein nicht zu unterschätzender Aufwand. Nur wer konkrete Ziele vor Augen hat und sich den Einsatz im Unterricht genau vorstellen kann, wird die Geräte auch regelmässig einsetzen.
ICT-Lernkultur: Entweder die Einarbeitung in die neue ICT-Infrastruktur anhand von konkreten Unterrichtsideen gemeinsam im Team mit viel Elan anpacken. Oder: Die Haltung pflegen: «Lasst uns das beste machen aus dem, was wir haben!» Der pädagogische ICT-Support kann in jedem Fall wertvolle Unterstützung bieten.

«Wir haben keine Schulung gehabt.»
Wenn es keine Schulung gibt, kann es auch nicht verlangt werden – so die vorherrschende Meinung bei nicht wenigen Lehrpersonen. Die Digitalisierung geht jedoch so schnell voran, dass es unmöglich wird, für alles und jedes eine Schulung anzubieten. Eine «digitale Kluft» zwischen jenen Lehrpersonen, die sich interessiert und neugierig mit neuen Technologien auseinandersetzen und den anderen, die auf die Schulung warten, bahnt sich an.
Tipp: Niederschwellige Angebote zum Austausch im Team. In jedem Lehrerteam ist sehr viel Know-How vorhanden. Meist wird das Wissen aber nicht geteilt, sei es, weil die einen sich nicht trauen zu fragen, oder weil diejenigen, die etwas wissen sich nicht aufdrängen wollen. Ganz ohne Strukturen findet kaum ein Austausch statt. Wird jedoch z.B. an einem Mittag im Monat ein «Compi-Kafi» zu einem Thema ausgeschrieben, so kann der Prozess des Wissensaustausches etwas angekurbelt werden. Wichtig ist aber, dass das keine Schulungen sind, bei denen die Lehrpersonen passiv konsumieren, sondern ein gegenseitiges Geben und Nehmen stattfindet.
ICT-Lernkultur: Die Verantwortung für die persönlichen ICT-Kenntnisse trägt jede und jeder selber. Neugier, Interesse, Freude am Ausprobieren, Eigeninitiative, innovative Projektideen, unkonventionelle Herangehensweisen und Mut zu Neuem sollen unterstützt werden.

«Die Schülerinnen und Schüler können das sowieso schon.»
Schülerinnen und Schüler sind oft sehr talentiert im Präsentieren ihrer Computerfertigkeiten. Lehrpersonen sollen sich durch das gut inszenierte Halbwissen jedoch nicht blenden lassen. Wenn ein Schüler eine Animation in der Präsentationssoftware erstellen kann, heisst das nicht, dass er auch ein Bild einfügen und in der Grösse skalieren kann. Abgesehen davon, dass die Schülerinnen und Schüler sich der Wirkung der Präsentation und der Rechte an den Bildern oft nicht bewusst sind.
Tipp 1: Den Unterrichtsstoff unbeirrt durchziehen. Wenn die Schülerinnen und Schüler die Inhalte tatsächlich schon kennen, sind sie halt schneller mit den Aufgaben fertig und können ihr Wissen noch vertiefen.
Tipp 2: Echte Überflieger (ja, die gibt es gelegentlich auch) können sich im ICT-Support nützlich machen. Als «Compi-Kid» können sie Verantwortung übernehmen für die Schülergeräte im Schulzimmer, sicherstellen, dass alle Computer am Netz angeschlossen sind, anderen Kindern beim Aufräumen ihrer Dateien helfen oder neue Programme erproben.
ICT-Lernkultur: Das Wissen der Schülerinnen und Schülern kann und soll gewinnbringend im Unterricht eingesetzt werden.

Dr. Bettina Waldvogel (Dipl. Informatik-Ing. ETH) arbeitet als PH-Dozentin, Lehrerin und im IT-Support einer Primarschule

Projektwoche «Elektrobo» – Robotik, programmieren, experimentieren in der Schule Bronschhofen

Der Lehrplan 21 stellt die Lehrerinnen und Lehrer auch im Bereich Informatik vor neue Herausforderungen. Plötzlich sind Roboter wie Thymios, Ozobots oder Bee-Bots ein Thema. Aber auch das Anwenden von Mini-Computern wie Calliope oder das Programmieren mit Scratch oder Lightbot im Unterricht muss erlernt sein.

Im Kanton St. Gallen gibt es für diese Themen in der 5. und 6. Primarklasse mit «Medien und Informatik» ein neues Schulfach, aber bereits in den unteren Klassen, beginnend im Zyklus 1, gilt es in diesem Bereich Kompetenzen aufzubauen.

Doch wie soll man Lehrpersonen dafür fit machen, die eigentlich keine grosse Affinität zu diesen digitalen Themen haben? Wie werden die Berührungsängste abgebaut? Unsere Schule hat sich dafür entschlossen, in die Offensive zu gehen. Wir organisierten eine Sonderwoche zum Thema «Roboter, programmieren, experimentieren» für alle knapp 350 Kinder unserer Schule. Dazu ist es nicht nötig, dass man «Informatikcracks» im Team hat – wir hatten die jedenfalls nicht. Was hingegen hilft, ist ein unkompliziertes Team mit der Offenheit, sich unverkrampft auf etwas Neues einzulassen.

Bereits bei der ersten schulinternen Weiterbildung, die uns mit den Möglichkeiten der auf dem Markt vertrauten Produkten bekannt machte, liessen sich auch skeptische Lehrpersonen begeistern. Beim Programmieren löst man Probleme, für die es anfänglich noch keine klare Lösung gibt – und zwar sehr spielerisch. Dies bereitete den Lehrpersonen aller Stufen grosse Freude. In Stufenteams einigte man sich über Inhalte, die in der Sonderwoche vermittelt werden sollten. Erfreut und erstaunt waren wir, wie viel Support wir für diese Woche von ausserhalb erhalten konnten. Da waren einerseits die Pädagogischen Hochschulen, die gerne Hand boten, aber auch verschiedene Stiftungen, die solche Unterrichtsaktivitäten unterstützen. Beispielsweise konnte günstig zusätzliche Hardware gemietet werden. Auch eine kostenlose Exkursion ins Verkehrshaus zur i-factory war möglich.

In Bronschhofen hat es Tradition, dass Projektwochen auch eine wichtige soziale Komponente haben. Schülerinnen und Schüler sollen sich untereinander besser kennenlernen, das Erleben und das handelnde Lernen sind zentral. Es zeigte sich, dass sich das gewählte Sonderwochenthema ausgezeichnet dafür eignete. Ausprobieren, experimentieren, das Arbeiten in Gruppen, das Erleben, dass genaues Arbeiten manchmal unabdingbar ist – die Schülerinnen und Schüler waren an allen Tagen mit innerem Feuer dabei. Sie lernten extrem schnell, die Stimmung in der Schule war ausgezeichnet. Besonders erfreulich war, dass auch Kinder, die ansonsten eher durch anspruchsvolles Verhalten auffallen, sich für die Thematik interessierten und intrinsisch motiviert mitarbeiteten. Die Unterrichtszeiten wurden freiwillig überzogen.

Angereichert wurde die Woche durch musische und kreative, thematisch abgestimmte Inhalte. Ein eigens getexteter Sonderwochensong wurde jeweils gemeinsam zum Tageseinstieg gesungen. Es gab Workshops zum Basteln und Gestalten von Mal- sowie Putzrobotern. Auch allerhand technische Experimente wurden durchgeführt.

Am Schluss der Woche konnte ohne viel Aufwand eine Werkschau für die Eltern und andere Interessierte organisiert werden. Die Kinder zeigten stolz das Erlernte und verblüfften ihre Angehörigen mit den neu erworbenen Kompetenzen.

Das selbstentdeckende Lernen im Bereich der Informatik ermöglichte auf spielerische Weise den Zugang zur digitalen Welt. Dies zog Mädchen und Jungs, Kindergärtler und 6. Klässler, Lehrerinnen und Lehrer gleichermassen in ihren Bann.

Hanspeter Helbling, Schulleiter Schule Bronschhofen

«Auf den Spuren guter Schulen» – eine Studienreise nach Wiesbaden

Wann haben Sie sich das letzte Mal gefragt, was eine gute Schule ist? Und wann sind Sie das letzte Mal dieser Frage nachgegangen?

Vom 15. bis zum 19. Mai machte sich eine Gruppe aus Schulleitenden, einem Behördenmitglied und PH-Mitarbeitenden auf den Weg nach Wiesbaden, um Spuren guter Schule zu finden. Die gefundenen Erkenntnisse sind so vielfältig, spezifisch und individuell wie die Blicke der Suchenden. Besucht haben wir die Helene-Lange-Schule (1995 Versuchsschule des Landes Hessen, 2007 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet), die Hermann-Ehlers-Schule (Gesamtschule) und die Diesterwegschule (Grundschule).

In allen drei Schulen entdeckten wir Elemente, die uns erstaunten, begeisterten oder uns zum Nachdenken brachten.

In allen drei Schulen wurden wir sehr herzlich empfangen, trafen auf engagierte Lehrpersonen, die sich mit ihrer Schule identifizierten, aber auch auf unsere Eindrücke neugierig waren und gerne ein Feedback aufnahmen.

In allen drei Schulen führten uns Schülerinnen und Schüler durch «ihr» Schulhaus und erzählten, was sie mit einzelnen Räumen verbanden und diskutierten lebhaft mit Schulleitenden und Lehrpersonen.

Auf der Detailsuche erlebten wir eine Zehntklässerin, die mit solcher Prägnanz, Überzeugung und Fachkenntnis eine Rede über die Massentierhaltung hielt, dass ich mit Sicherheit immer beim Fleischkauf daran denken muss. Wie selbstverständlich sitzen in einem anderen Klassenzimmer zwei behinderte Kinder und nehmen ihren Fähigkeiten entsprechend am Unterricht teil. Wir lernten, dass die Schülerinnen und Schüler jeden Tag nach einem selbst erarbeiteten Plan ihr Klassenzimmer putzen, so dass ein Teil des «ersparten» Geldes der Schule für Projekte zugutekommt. In einer Lego-AG werden in feinster Kleinarbeit ganze Städte geplant und gebaut. Jeder, der in der Pause alleine ist, kann sich auf ein rotes Traurigkeitsbänklein setzen und sofort findet sich jemand, der sich dazu setzt und mitspielt (erfolgreich ausprobiert). In altersgemischten Klassen beginnen die Erstklässer ihren Unterricht, im Laufe der zweiten Stunde kommen die Kindergartenkinder dazu und beginnen wie selbstverständlich ihre Aufgaben ohne dass der Unterricht gestört wird. Äusserst strukturierte und in liebevoller Kleinstarbeit selbst hergestellte Materialien helfen, den Unterricht individuell zu gestalten.

Dass wir bei bester Stimmung nach einem Spaziergang durch Weinberge noch ein Weingut besuchten und bei Sherry&Port neben köstlichen Tapas die edelsten Portweine teilten, soll nur am Rande erwähnt werden…

Können wir unsere Ausgangsfrage beantworten? Die Antwort bleibt hypothetisch. Spuren haben wir mit Sicherheit gefunden und wir werden uns weiter auf die Suche begeben. Nächstes Jahr im April in München … die Ausschreibung folgt!

Heike Beuschlein, Dozentin, PH Zürich

Fokus starke Lernbeziehungen: Schulversuch gescheitert?

Mit der Veröffentlichung der Resultate der Evaluation ist der Schulversuch ‘Fokus starke Lernbeziehungen’ unter Druck geraten. Nun könnten die Kritikerinnen und Kritiker des Versuchs loslegen und die Messer schleifen: «Wir haben es ja schon immer gesagt und geschrieben!»

Ich halte dies jedoch für falsch. Fehler machen und ebenso Scheitern sind wesentliche Elemente von Lernen und Entwicklung. Schulentwicklung ist immer eine Suchbewegung und lebt von Menschen, die etwas wagen, die sich getrauen, neue Wege zu gehen. Und es braucht kritische Stimmen, welche auf wunde und blinde Stellen weisen, Diskussion anregen und schauen, ob die gesetzten Ziele auch erreicht werden. In diesem Dialog findet Lernen und Entwicklung statt.

Ich hoffe, dass die Evaluationsresultate des Schulversuches diesen Dialog fördern. Würde der Versuch einfach abgebrochen, würden motivierte Schulleitungen und Lehrpersonen der Projektschulen zurückbleiben, die sich in den letzten Jahren intensiv für die Entwicklung ihrer Schule engagiert haben. Führt man den Versuch einfach weiter, verhindert man Lernen. Es braucht den Dialog und das gemeinsame Lernen. Die Entflechtung und Rollenklarheit von Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Praxis müssen aus meiner Sicht dringend Teil dieses Dialogs sein.

Nach meinem Verständnis von Schulentwicklung gibt die Politik die Ziele vor und die Schulleitungen haben die Aufgabe, diese Ziele zusammen mit den Lehrpersonen an ihren konkreten Schulen zu verfolgen und zu erreichen. Die Verwaltung und Wissenschaft haben die Aufgabe, die Schulen in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Konkret könnte dies heissen, dass die Politik definiert, dass sie inklusive Schulen wünscht, in denen alle Schülerinnen und Schüler gut lernen können und die Schulen gleichzeitig eine möglichst einfache, zweckmässige Schulorganisationen pflegen können. Die Schulleitungen haben dann den Auftrag, dies an ihren Schulen umzusetzen. Dazu brauchen die Schulen Freiheiten, welche ihnen von der Verwaltung gewährt werden müssen.

Ich hoffe, dass sich der Schulversuch – der dann kein Versuch, sondern ‘normale’ Schulentwicklung ist – in diese Richtung entwickelt.

Niels Anderegg, Zentrumsleiter Management und Leadership, PH Zürich

5 Fragen an Simone Kramer, Schulleiterin Primarschule Ossingen

Urs Tschamper, Schulleiter der Primarschule Bubikon interviewt Simone Kramer, Schulleiterin der Primarschule Ossingen und gibt so den Stafetten-Stab weiter.

Was bedeutet für dich Schulführung?

Mein Ziel ist, neben der alltäglichen Arbeit als Schulleiterin, eine gute Schule zu entwickeln.

Meine gute Schule ist ein für acht Jahre bestimmter Lebensort für Schülerinnen und Schüler – dieser soll entsprechend gestaltet und gelebt werden. Ein Kind soll in der Schulgemeinschaft wachsen und seine Persönlichkeit entwickeln können. Guter Unterricht ist für mich, wenn offene und selbstgesteuerte Angebote durch die Schülerinnen und Schüler gut und intensiv genutzt werden können und der Ertrag für sie das Maximum aus Angebot und Nutzung bringt.

Als Führungsperson unterstütze ich die Lehrpersonen bei der Förderung eines individualisierenden und selbstentdeckenden Unterrichts und achte dabei auf ihre Ressourcen und Potentiale. Ich verfolge Erneuerungen in der Pädagogik und lasse diese wenn möglich und sinnvoll im Schulalltag einfliessen.

Du bist jetzt im 9. Jahr als Schulleiterin. Wo und wie hat sich die Rolle der Schulleitung in dieser Zeit entwickelt?

Die Rolle der Schulleitung hat sich enorm entwickelt, alles ist professioneller geworden. Die Qualität unserer Arbeit ist gestiegen, unter anderem Dank den Bemühungen des SL-Verbandes, des VSA und der PH, welche den Informationsfluss gestärkt und den Austausch unter den Schulleitungen gefördert haben.

Einen grossen Knackpunkt sehe ich immer noch bei der Schulpflege. Die operative und strategische Trennung wird für mich bis heute zu wenig eingehalten. Eine Professionalisierung wäre auch hier anzustreben, ist aber mit dem aktuellen Milizsystem schwierig umsetzbar.

Nach 9 Jahren als Schulleiterin in einer ländlichen Gemeinde wechselst du im Sommer 2018 in die Stadt Zürich und baust dort die völlig neue Tagesschule Pfingstweid auf. Du beginnst mit dem Aufbau des Schulteams sozusagen «auf der grünen Wiese». Welche Herausforderungen siehst du auf dich zukommen?

Die momentan grösste Herausforderung scheint mir die „freie“ Zeit. Ich muss meine erhaltene Jahresarbeitszeit so sinnvoll wie möglich einsetzen. Ich kenne momentan nur mein nächstes Ziel: am 19.8.2019 werde ich meine Schülerinnen und Schüler, deren Eltern, meine Lehrerschaft und das Betreuungsteam begrüssen. Das gesamte Schulteam muss bis dann rekrutiert werden. Ebenso wenig wie das Team, steht zum jetzigen Zeitpunkt das Schulhaus, geschweige denn mein Büro. Aber meine Traumschule habe ich bereits im Kopf… J

In deiner Masterarbeit «Gute Lehrer aus Schülerperspektive» gehst du der Frage nach, was eine gute Lehrperson auszeichnet. Was zeichnet denn eine gute Lehrperson aus?

Was aus Sicht der Wissenschaft, bzw. aus der Erwachsenenperspektive eine gute Lehrperson auszeichnet, kann man in dutzenden Büchern und hunderten mehr oder weniger seriösen Zeitungsartikeln nachlesen.

Doch die direkt Betroffenen – manchmal auch die Leidtragenden – sind die Schülerinnen und Schüler. Von ihnen wissen wir noch wenig. Darum gehe ich der Frage nach der «guten Lehrperson» aus Sicht von Primarschüler/innen empirisch nach.

Wie gedenkst du, die Erkenntnisse aus deiner MAS-Arbeit an deiner neuen Stelle gewinnbringend umzusetzen?

Hätte ich darauf schon eine genaue Antwort, müsste ich meine MAS-Arbeit nicht angehen! 🙂

Was ich jetzt schon weiss ist, wie ich eine gute Schule mit gutem Unterricht anstreben kann.

von Urs Tschamper, Schulleiter Primarschule Bubikon

Denken bei 300 km/h

Der TGV zischt wie ein Pfeil durch die flache Landschaft zwischen Amsterdam und Paris. Mit 300 km/h zieht die Landschaft an mir vorbei. In mir drin ist genau das Gegenteil. Ich bin am Schreiben eines Buchbeitrages und erfahre wieder einmal, das Denken und Schreiben langsame Prozesse sind. Ich meinte den Text in meinem Kopf zu haben und ihn nur noch aufschreiben zu müssen. Weit gefehlt! Beim Schreiben zeigen sich Unschärfe in der Argumentation und Brüche in den Zusammenhängen. Das ist der Grund, warum mir das Schreiben so wichtig ist, auch wenn es anstrengend und manchmal mühsam ist. Gerade jetzt wo der Abgabetermin bedrohlich nahe rückt und der Text sich einfach sperrt würde ich gerne einfach wie der TGV rasen. Aber unterschiedliche Dinge brauchen unterschiedlich Zeit.

Ich glaube, ein Rezept erfolgreicher Schulführung ist, sich bewusst die Zeit einzuteilen und sich für unterschiedliche Dinge unterschiedlich Zeit zu nehmen. Eigentlich warten 100 Mails auf eine Antwort und in meiner To do-Liste leuchten einige Punkte dunkelrot. Diese müssen warten – denn jetzt ist Zeit zum Denken und schreiben. Vielleicht heute Abend oder morgen ist dann ihre Zeit gekommen und der Text muss ruhen. In meiner Zeit als Schulleiter musste ich lernen immer ein Ding nach dem anderen zu machen und nicht alles gleichzeitig. Die hat übrigens auch dazu geführt, dass ich wieder «Herr meiner Agenda» wurde. Ich bestimme, wann ich was mache und was ich auf der Seite lasse.

Wenn nun einige denken, dass ich dies nun doch sehr ‘schön male’, dann muss ich zum Teil leider zustimmen. Auch mir passiert es immer wieder, dass ich im Meer des Unerledigten und des Dringenden untergehe und wie ein steuerloses Schiff im Sturm treibe. Hier helfen mir kleine Tricks. Zum Glück reklamiert meine Assistentin, die Herrin meiner Agenda, ab und an, dass sie keine Termine mehr finden kann und droht, dass sie ganze Tage für sich einfach reserviert. Oder ich nehme statt das Flugzeug den Zug und habe so einen ganzen Tag Zeit um zu Lesen und zu Schreiben. Ich kenne Schulleitende, die ganz ähnliche Tricks anwenden. So geht beispielsweise eine Schulleiterin zusammen mit ihrer Co-Leiterin konsequent die letzten drei Arbeitstage jedes Monates in ihr Ferienhaus. Die drei Tage nutzen sie um zu denken und ihre Schule weiterzuentwickeln. Aber auch um sich selber Sorge zu tragen und die Zusammenarbeit zu stärken. «Diese drei Tage sind uns heilig», meinte die Schulleiterin im Interview und fügte dann mit einem Schmunzeln dazu «leider müssen wir sie manchmal auf zwei Tage verkürzen». Da das Ferienhaus jedoch nicht in der Nähe ist, lohnt sich die Anreise für zwei Tage kaum. Auch das ein kleiner Trick.

PS: Wer auch einmal denkend mit dem TGV nach Amsterdam reisen will: Wir fahren mit der Studienreise Schulführung und -entwicklung International und dem CAS Pädagogische Schulführung auch im nächsten Jahr wieder nach Amsterdam. Auch das ein Trick, sich Zeitfenster zum denken herauszunehmen.

Niels Anderegg, Zentrumsleiter Management und Leadership, PHZH

Wann ist ein Laie ein Laie?

Die Frage wurde in der Pause während einem Kommunikationstraining für Schulpflegemitglieder von einer Teilnehmerin gestellt. Ausgangspunkt für die Frage war eine Diskussion über die Rolle von Schulpflegerinnen und Schulpfleger bei der Mitarbeitendenbeurteilung. «Wir können ja nie so professionell beurteilen wie eine Schulleitung», meinte eine Teilnehmerin. Wie viele andere musste ich auch nicken und wusste innerlich doch, dass mit der Argumentation etwas nicht stimmt. Die Frage hat mich nicht mehr losgelassen und zum Nachdenken angeregt.

Wenn Schulpflegerinnen und Schulpfleger Laien sind und mit professionellen Schulleitungen verglichen werden, dann haben sie verloren und man kann die Schulpflegen abschaffen. Für die Schulen wäre dies aus meiner Sicht jedoch ein Verlust. Und das hat damit zu tun, dass Schulpflegen in meinem Verständnis keine Laien sind. Sie wären dann Laien, wenn sie, wie vor der Einführung von Schulleitungen, die operative Führung innehaben. Sie wären dann unausgebildete Schulleiterinnen und Schulleiter oder eben: Laien. Die Schulpflegen haben heute jedoch eine andere Aufgabe: Sie sind Vertreterinnen und Vertreter der Bevölkerung und sorgen als strategische (oder politische) Führung dafür, dass das Dorf die Schule hat, welche die Bevölkerung will. Sie sind gewissermassen das ‘Volk’ der Volksschule.

Schulpflegende und Schulleitende agieren nach meinem Verständnis in unterschiedlichen Rollen, Perspektiven und Aufgabenfelder in der Schulführung. Die Frage, ob Schulpflegende Laien sind, stellt sich nicht im Vergleich zu den Schulleitenden, sondern im Vergleich zu den Anforderungen an eine politische Führung. Zum Beispiel in der Frage, wie sie schwierige Gespräche kommunikativ führen können. Für mich geht es nicht um die Frage, ob Schulpflegende Laien sind, sondern wie professionell sie als Schulpflegende agieren. Und professionell agierende Schulpflegen sind ein wesentliches Element für Schulqualität.

Aus diesem Grund verstehen wir uns im Zentrum Management und Leadership an der PH Zürich seit einigen Jahren nicht mehr nur als Kompetenzzentrum für Schulleitung, sondern als Kompetenzzentrum für Schulführung. Darin sind alle Führungspersonen und -funktionen in Bildungsorganisationen gemeint. Neben Schulleitungen unterstützen wir unter anderem auch die politische oder administrative Führung und entwickeln verschiedene Angebote für diese Personengruppen.

Und wer Lust hat als Schulpflegerin, Schulpfleger auf solche Pausengespräche und dabei auch noch an der eigenen Kommunikation zu arbeiten, am 8. Mai 2018 biete ich das nächste Kommunikationstraining an.

Niels Anderegg, Zentrumsleiter Management und Leadership, PHZH

Schülereinteilungen mit Google Fusion Tables

Was ist das nur für eine mühselige Arbeit: Über 100 Klebepunkte in vier Farben (zur Unterscheidung von Mädchen und Knaben der zwei verschiedenen Schuleinheiten) auf einer zuvor hochkopierten Karte von Urdorf liefern mir nach einiger Such- und Klebearbeit einen Überblick über die einzuteilenden Schülerinnen und Schüler. Das muss doch auch einfacher gehen?!

Im letzten Schuljahr nahm ich mir Zeit dafür, diesen Prozess zu vereinfachen. Momentan arbeite ich so:

Schnelle Übersicht per Fusion Tables

Mit Fusion Tables brauche ich für eine Übersichtskarte mit allen einzuteilenden Kindern 10 Minuten. Das Schulsekretariat schickt mir ein Excelfile mit den Namen und Adressen der Schülerinnen und Schüler. Die Daten importiere ich in eine «Fusion Table», lasse das Tool die Adressen «erkennen» und erhalte eine erste Übersicht.

Der nachfolgende Screenshot zeigt keine aktuellen Schüleradressen, sondern zufällige Adressen aus meinem Arbeitsort :

Diese Karte dient mir nun als geographische Arbeitsgrundlage für die Einteilung in die zwei verschiedenen Schuleinheiten. Ich notiere mir nun noch Einteilungsgesuche und wichtige Kommentare von Lehrpersonen zu den einzelnen Punkten und drucke die Karte dann aus.

Diese Vorgehensweise ist definitiv schneller als meine alte und bietet folgende Vorteile:

  • Ich kann auswählen, welche Schülerinnen und Schüler angezeigt werden sollen: Nur solche aus dem Schulhaus A, nur Mädchen, nur solche der Lehrerin B usw.
  • Nach der gemachten Einteilung lese ich die provisorischen Klassenlisten ein. Dann klicke ich die einzelnen Klassen durch und überprüfe, dass Kinder aus einem Quartier möglichst in das gleiche Schulhaus sowie Kinder, die einen speziell weiten Schulweg haben, in die gleiche Klasse eingeteilt sind. Dies ist mit wenigen Mausklicks möglich.
  • Sind die entsprechenden Daten vorhanden, lassen sich einfach Heatmaps erstellen um die Entwicklung der Schülerinnen- und Schülerzahlen zu visualisieren. Dies ist für die Schulraumplanung eine gute Arbeitsgrundlage.

 

 

 

 

  • Habe ich die Schülerinnen und Schüler im Excel erfasst, lassen sich mit kleinem Aufwand weitere Daten automatisiert herauslesen.

Hinweise

Da die Daten auf Google Drive gelagert sind, benutze ich von den Schülerinnen und Schüler aus Datenschutzgründen nur die Initialen. Diese lassen sich in Excel einfach per Formel herauslesen.

Leider zeigt es Kinder, die an derselben Adresse wohnen, nur als einen Punkt an. Die fehlenden Punkte müssen manuell hinzugefügt werden oder die Koordinaten werden in einem Workaround leicht verändert.

Die Vorgehensweise erfordert IT Kenntnisse (Excel, Webtools). Da wir im Schulleitungsalltag aber genügend Zeit vor dem Bildschirm verbringen, lohnt es sich jedenfalls, an der eigenen IT Kompetenz zu arbeiten.

Fazit

Mit dem Tool spare ich Zeit, die ich sinnvoller einsetzen kann als mit dem Aufkleben von Punkten. Die Nachkontrolle mit den provisorischen Klassenlisten verringert zudem geographisch ungünstige Einteilungen.

Michael Gerber, Schulleiter Schulhaus Weihermatt, Urdorf ZH

5 Fragen an Urs Tschamper, Schulleiter Primarschule Bubikon

Im heutigen Beitrag stellt Michael Gerber, Schulleiter Schulhaus Weihermatt, Urdorf ZH fünf Fragen an Urs Tschamper, Schulleiter Primarschule Bubikon.

In dieser Rubrik werden spannende Schulführungspersonen vorgestellt, die wiederum eine Kollegin/einen Kollegen interviewen und so den Stafetten-Stab weitergeben.

Was bedeutet für dich Schulführung?

Ich möchte „Ermöglicher“ sein, Entwicklungshelfer, Unterstützer, manchmal auch Beschützer: Es ist mir wichtig, meinem Schulteam Vertrauen zu geben und motivierende Rahmenbedingungen und Freiräume zu schaffen, damit die Mitarbeitenden sich entfalten können, Freude an ihrer Arbeit haben und sich laufend verbessern. Dazu mache ich Betroffene zu Beteiligten: Indem ich Betroffene fair und der Situation entsprechend angemessen in Entscheidungen einbeziehe, fördere ich das aktive Mitdenken und die Mitarbeiterzufriedenheit.

In deiner CAS Arbeit «Steuerung der Schulentwicklung durch die Schulleitung» untersuchst du erfolgreiche Vorgehensweisen einer Schulleitung im Schulentwicklungsprozess. Was muss eine Schulleitung bei der Schulentwicklung beachten?

Wichtig ist, dass ich mich als Schulleiter immer wieder (hinter-)frage: In welchem Ausmass soll ich Entwicklungsprozesse anregen, begleiten, (an-)leiten, führen oder gar durchsetzen? Welches Handeln ist förderlich, welches hinderlich oder gar kontraproduktiv? Wie viel Druck und wie viel Zug – oder „neudeutsch“ ausdrückt: Wie viel „Top-down“ und wie viel „Bottom-up“ ist in welcher Situation angemessen?

Die grosse Kunst der Schulleitung bei der Schulentwicklung ist, Wege aufzuzeigen und zu ebnen, die Lehrpersonen zum selbstständigen Handeln befähigen und sie in ihrem Tun bestätigen – ohne alles selber machen zu wollen. Hilbert Meyer beschreibt dieses Führungsmodell treffend mit den Worten: „Steuern, nicht rudern!“

Was ist für dich der zentrale Baustein einer erfolgreichen Schul- und Unterrichtsentwicklung?

Ein zentraler Baustein, wenn nicht gar der absolut wichtigste, ist die „Lehrerkooperation“. Ich fördere deshalb als Schulleiter gezielt eine angemessene Kooperation in meinem Schulteam, unter anderem indem wir weniger Schulkonferenzen und mehr Stufenkonferenzen einplanen. Ich bin überzeugt, dass dort die Zeit für pädagogische Schulentwicklung besser genutzt wird.

Du bist jetzt im 4. Jahr als Schulleiter. Wo und wie hat sich dein Schulleiterhandeln entwickelt?

Ich habe inzwischen das Vertrauen, dass Schulentwicklung ein kooperativer Prozess ist und ich nicht alles wissen, steuern oder beeinflussen kann und muss. Ich weiss besser, was ich delegieren kann, wie (und wann) ich Lehrpersonen in schwierigen Situationen unterstützen und ihnen den Rücken stärken kann oder wie (und wann) ich ihnen gezielt Arbeitslast abnehmen muss.

Und: Die Gelassenheit hat bestimmt zugenommen…

Du hast vor deiner Stelle als Schulleiter unter anderem in der Schulaufsicht im Kanton Glarus oder in der IT Abteilung einer Bank gearbeitet. Kannst du von diesen Erfahrungen für deine momentane Arbeit profitieren?

Enorm! Ich möchte diese 13 Jahre mit ausserschulischen Berufserfahrungen nicht missen und empfehle jeder Schulleitungsperson, einmal etwas Privatwirtschaftsluft zu schnuppern und nicht direkt vom Klassenzimmer ins Schulleitungsbüro zu wechseln. Ich finde es allerdings sehr schade, dass der Kanton Zürich solche Erfahrungen nicht unterstützt bzw. honoriert. Bei meiner Rückkehr in den zürcherischen Schuldienst wurden mir bei der Einstufung in die Lohnskala die sechs Jahre beim Kanton Glarus nur zur Hälfte angerechnet. Ich hätte also geradesogut sechs Jahre lang Schuhe putzen oder Zeitungen austragen statt Schulen evaluieren können…

von Michael Gerber, Schulleiter Schulhaus Weihermatt, Urdorf ZH

«Der Fall: Rückstellung eines Kindes vom Kindergarteneintritt um ein Jahr»

Familie Meier, mit Wohnsitz im Kanton Zürich, erhält von der Schulverwaltung die Klassenzuteilung für ihre jüngste Tochter Lea, die am 15. Juli 2014 geboren wurde und zum Zeitpunkt des Kindergarteneintritts, am 20. August 2018, unlängst das vierte Altersjahr vollendet haben wird. Nach Ansicht der Eltern ist Lea noch nicht reif für den Eintritt in den Kindergarten und sie erklären bei der Schulverwaltung übereinstimmend, dass sie ihre Tochter wegen Entwicklungsrückständen noch nicht im Kindergarten sähen und darum ersuchen, Lea um ein Jahr vom Kindergarteneintritt zurückzustellen. Die Schulverwaltungsleiterin erklärt der Familie, dass Kinder, die das vierte Altersjahr erreicht haben bis zum Stichtag, was bei Lea der Fall sei, grundsätzlich regulär einzuschulen seien. Familie Meier möchte sich damit nicht abfinden. Wie gestaltet sich die Zürcher Rechtslage?

Kinder, die das vierte Altersjahr vollendet haben, treten grundsätzlich auf Beginn des nächsten Schuljahres in den Kindergarten ein. Mit Inkraftsetzung des HarmoS-Konkordats am 1. August 2009 verschiebt sich der Stichtag jährlich um zwei Wochen nach hinten, bis schliesslich ab Schuljahresbeginn 2020/21 der 31. Juli als Stichtag gelten wird.

Auf Schuljahresbeginn 2018/19 werden Kinder eingeschult, die zwischen dem 1. Juli 2013 und dem 15. Juli 2014 geboren wurden oder im Vorjahr rückgestellt wurden. Stichtag ist der 15. Juli 2018.

§ 5 Abs. 1 VSG (Volksschulgesetz vom 7. Februar 2006) sieht vor, Kinder gestützt auf ihr Geburtsdatum – bei Vollendung des vierten Altersjahrs unter Berücksichtigung des Stichtags – regulär einzuschulen. Abweichungen vom Grundsatz bedürfen damit einer hinreichenden Begründung. Nach § 3 VSV (Volksschulverordnung vom 28. Juni 2006) kann die Schulpflege dann vom Grundsatz der regulären Einschulung abweichen und die Rückstellung um ein Jahr anordnen, wenn erstens der Entwicklungsstand des Kindes dies als angezeigt erscheinen lässt und zweitens den zu erwartenden Schwierigkeiten bei regulärer Einschulung nicht mit sonderpädagogischen Massnahmen begegnet werden kann.

In formeller Hinsicht müssen die Eltern ein begründetes Rückstellungsgesuch fristgerecht bei der Schulverwaltung einreichen. Nach § 34 Abs. 2 VSV wird die Schulpflege jeweils bis Ende April die Rückstellung anordnen oder aber das Gesuch abweisen.

Blosse Wünsche oder Einschätzungen der Eltern stellen keine hinreichende Entscheidungsgrundlage für die Schulpflege dar. Werden Fachpersonen beigezogen oder werden weitere Abklärungen vorgenommen bzw. angeordnet, wie dies § 34 Abs. 3 VSV vorsieht, muss die Abklärung soweit sachlich fundiert sein, dass die Schulpflege gestützt darauf über den Rückstellungsantrag befinden kann.

Massgebendes Kriterium für den Rückstellungsentscheid bildet der individuelle Entwicklungsstand des Kindes. Liegt ein kinderärztlicher, schul- oder kinderpsychologischer Bericht vor, der Bezug nimmt auf den individuellen Entwicklungsrückstand des Kindes und liegt kumulativ dazu eine Einschätzung vor, ob den Schwierigkeiten des Kindes bei regulärer Einschulung mittels sonderpädagogischer Massnahmen hinreichend begegnet werden kann, wird die Schulpflege in die Lage versetzt, unter Würdigung des individuell-konkreten Einzelfalls und in Ausübung des sogenannten Einzelfallermessens per Mehrheitsbeschluss die Rückstellung anzuordnen oder aber das Gesuch der Eltern abzuweisen.

Den Eltern von Lea steht somit kein durchsetzbarer Anspruch auf Rückstellung ihres Kindes zu.

Thomas Bucher (MLaw), Dozent für Schulrecht, PH Zürich