In den letzten beiden Wochen hat sich Niels Anderegg über die mangelnde Sensibilität mancher Expertinnen und Experten und von verschiedenen Hochschulen und Firmen geärgert. Mit dem Entscheid des Bundesrates die Schulen zu schliessen und den Unterricht mit Fernlernen weiterzuführen, kam auf die Schulen eine riesige Welle von Aufgaben und Pflichten zu.
Von einem Tag auf den anderen mussten die Lehrerinnen und Lehrer ihren
Unterricht komplett umstellen und ihn fortan mit digitalen Medien,
Selbstlernaufgaben und anderen Unterrichtsmethoden gestalten. Neben
didaktischen Herausforderungen waren auch Fragen der Betreuung, der
Beziehungspflege und dem Umgang mit Schülerinnen und Schülern aufgetaucht,
welche von ihren Eltern kaum oder nicht unterstützt werden können.
Wenn ich auf diese zwei bis drei Wochen zurückblicke, dann bin ich
beeindruckt, was vielen Schulen in der so kurzen Zeit gelungen ist und habe
höchsten Respekt von dem, wie die Lehrerinnen und Lehrer, Schulleitenden und
viele andere Personen sich engagiert haben. Die letzten Wochen waren wieder ein
lebender Beweis für die Qualität und Wichtigkeit unserer Schule und den darin
engagierten Personen. Ich hoffe, dass die Gesellschaft und Politik sich in den
nächsten Jahren daran erinnert und der Schule und den darin tätigen Personen
die entsprechende Anerkennung gibt und Ressourcen zur Verfügung stellt.
Im ersten Blogbeitrag «Schulqualität – Alles ist relativ?!» haben sich Hansjürg Brauchli undNina-Cathrin Strauss dem Begriff angenähert und gezeigt, dass vieles zum Thema Qualität nicht so klar ist, wie man meinen könnte. Qualität – und auch Schulqualität – ist abhängig von der Perspektive derjenigen, die sich damit beschäftigen. So können Merkmale und Kriterien diskutiert und ausgehandelt werden.
Im Kern geht es darum, in Schulen gemeinsam zu definieren, welche Bereiche oder Kriterien von Qualität in den Fokus genommen werden sollen. So kann ein gemeinschaftliches Verständnis von Schulqualität entwickelt werden – und ein erster, wichtiger Schritt im Bemühen um ihre Sicherung und Entwicklung ist gemacht.
Durch ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten – idealerweise über möglichst viele Systemebenen hinweg von den Lehrpersonen über die Schulleitung bis zur vorgesetzten Behörde – geschieht im Alltag eine Fokussierung auf die vereinbarten Aspekte von Schulqualität. Im Sinne von Peter Senge (1990) werden damit die mentalen Modelle einer Schule als lernender Organisation sichtbar und dienen als Grundlage für die weitere Entwicklung.
Realitätscheck:
Das Bauchgefühl mit Daten ergänzen
Eine Liftfahrt mit zwei Studierenden kann inspirierend sein. Bei Niels Anderegg hat der Dialog zwischen den beiden die Frage zum Professionsverständnis aufgeworfen.
Zu einer Zeit, als die PH noch geöffnet war und man noch gemeinsam Lift
fahren konnte, durfte ich einen Dialog zwischen zwei Studierenden mitanhören. Wir
standen zu zweit im Lift, da schlüpft im letzten Moment noch eine Studentin mit
hinein. Und schon ging die Fahrt los. Die beiden Studierenden schienen sich zu
kennen. «Chunsch au is Bastle?», fragte der Student die Studentin. Diese
bedauerte: «Nei, ich han Turne». Schon waren wir angekommen und die Studentin und
ich mussten aussteigen, während der Student noch weiter hoch zu den Werkräumen fuhr.
Mein Sohn, der, wie er es nennt, an einer «richtigen» Hochschule studiert
und den Tag nicht mit «Mandalamalen und Zahlentanzen» verbringt, hätte seine
Freude an diesem Dialog. Er würde sich in seinen Vorurteilen gegenüber der PH
und den PH-Studierenden bestätigt fühlen. Mich lässt der Dialog ratlos zurück.
Meine Ratlosigkeit hat mit dem hinter dem «Chunsch cho bastle» stehende
Professionsverständnis zu tun. Welches Bild hat der Student von seinem Beruf,
wenn es in seiner Ausbildung nicht um die Auseinandersetzung mit Fragen der
Didaktik und Methodik in einem wesentlichen und gleichzeitig schwierig zu
unterrichtendem Fach wie dem Werken geht? Und welches Bild seines Berufes und
seiner Ausbildung vermittelt er damit gegen aussen? Kein Wunder geistern
unterschiedlichste Witze über PH-Studierende umher und steht der Werkunterricht
politisch immer wieder mal auf der Kippe. Wenn wir so über unsere Profession
sprechen, dann müssen wir uns nicht wundern.
Das jugendliche Alter des Students erklärt und verzeiht vieles und dass
es auch um eine gewisse Coolness gegenüber der Studentin ging, ist mir aus
meiner eigenen Studienzeit nicht ganz unbekannt.
Zum Thema Fernlernen gibts eine Telefon-Hotline für Lehrpersonen und Schulleitungen der Deutschschweiz – 043 305 50 00.
Montag – Freitag: 9 – 11 Uhr und 16 – 18 Uhr
Montag – Donnerstag: zusätzlich 19.30 – 21.30 Uhr
Diese Hotline wird betrieben von Fachpersonen aus verschiedenen Kantonen und Organisationen und besteht voraussichtlich bis Ende März 2020.
Bitte bereiten Sie sich auf das Gespräch vor (je präziser die Fragestellung ist, umso einfacher für das Beratungsteam).
Vielen Dank, Gebert Rüf Stiftung, für die Unterstützung!
Zur Autorin
Rahel Tschopp ist Zentrumsleiterin für Medienbildung und Informatik an der PH Zürich. In Projektleitungen, Prozessbegleitungen, Fachberatungen und Schulentwicklung im Bereich Medien/ICT kennt sie sich aus.
Eine Schule zu leiten, gilt
vielerorts als einsame Verantwortung, die von den Schulleiterinnen und
Schuleitern häufig als belastend wahrgenommen wird. Die Herausforderungen, mit
denen sich Personen an der Spitze von Schulen konfrontiert sehen, nehmen in den
letzten Jahren stark zu. Umso dringender braucht es ein starkes Beratungs- und
Unterstützungsnetz, heisst es laut dem österreichischen Bildungsforscher Prof.
Dr. Stefan Brauckmann. Jörg Berger hat ihn interviewt.
Wie nehmen Schulleiterinnen
und Schulleiter ihre Aufgabe aktuell wahr?
Momentan sind die Zuschreibungen, was Schulleiterinnen und Schulleiter zu
tun haben, sehr normativ und die Rollen werden immer weiter ausdifferenziert.
Man hat mittlerweile den Eindruck, alles sei zur Führungsaufgabe geworden, von
dem Umgang mit Daten bis zur Personalführung und zum Beschwerdemanagement. Viele
Schulleiterinnen und Schulleiter zeigen aktuell Überforderungstendenzen, wie aus
Belastungs- und Beanspruchungsstudien klar hervorgeht. Diese Aufgaben können
auch aus objektiver Sichtweise nicht mehr von einer Person allein bewältigt
werden, zumal diese Personen auch nicht für die Vielzahl an Rollen vorbereitet
worden sind.
Sollte man gerade bei dieser
Vorbereitung ansetzen?
Ein Schulbehördenmitglied berichtet wie folgt: «Unsere Schulleitung beschränkt den Kontakt mit unserer Behörde auf ein Minimum und sie versucht, wenn immer möglich uns von der Schule fernzuhalten. Sie begründet dies damit, dass die Schulleitung die Profis seien und es folglich ihre Schule sei. Dies hat in jüngster Vergangenheit zu Konflikten zwischen Schulbehörde und Schulleitung geführt.» Barbara Kummer, Präsidentin Schulpflege Andelfingen, setzt im Gesprächmit Daniel Brodmann auf die Zusammenarbeit.
Wer führt die Schule?
Schulleiterinnen und Schulleiter nehmen als Führungspersonen
eine wichtige Funktion im Schulsystem ein. Sie bringen eine
Professionalisierung mit und kennen ihre Schule und das «Schulbusiness» besser
als die Schulbehörde. Denn die Schulpflege ist kein Fachgremium, sondern besteht
in der Regel aus Laien, welche in einem anderen wirtschaftlichen Umfeld tätig
sind. Dennoch sind die Schulleitung als auch die Schulbehörde mit der Führung
der Schule beauftragt.
Die
Schulbehörde fällt die strategischen Entscheide und die Schulleitung setzt
diese operativ um. Mit anderen Worten sind Schulleiterinnen und Schulleiter verantwortlich
für die operative schulische Ebene mit einem oder mehreren Schulhäusern, für
Lehrpersonenteams und für Schülerinnen und Schüler. Die Schulpflege plant die
finanziellen, personellen sowie räumlichen Ressourcen und beaufsichtigt die
Schule.
Zweifelsohne stehen die strategische und die operative
Führungsebene in einer engen Wechselbeziehung zueinander. So muss auch die
Schulleitung im Interesse realistischer, sinnvoller und umsetzbarer
Zielsetzungen und zum Wohle der Schule strategisch denken und strategische
Prozesse unterstützen.
Der Gewinn digitaler Entwicklung für Schulleitende und Lehrpersonen und wie Schulleitende diesen Prozess unterstützen können; Darüber hat Heike Beuschlein mit Marc Weder, Leiter des Bereichs «Digitale Bildung und Forschung» bei Microsoft, gesprochen.
Durch
Daten das Bauchgefühl sinnvoll stützen
Die erste Aufgabe am Morgen ist ein zehnminütiger Datencheck. So sieht Marc Weder, Microsoft Verantwortlicher für die Bildungskunden in der Schweiz und in Liechtenstein, die moderne Schulführung.
Während in den Anfängen seiner Aufgabe der Fokus in den
Schulen auf der Awareness der digitalen Medien lag und sich in den darauffolgenden
Jahren auf die Sinnhaftigkeit der Digitalisierung verschob, wird sich seiner
Meinung nach zukünftig der Blickwinkel auf eine sinnvolle Nutzung der Daten fokussieren.
Das ist zum Beispiel durch ein «Business Intelligence Cockpit» möglich. Intuitive Entscheidung der Schulleitenden sollen
durch gezielte Daten verschiedener Kenngrössen wie beispielsweise über
Abwesenheiten, Notenentwicklung und Prüfungskollisionen untermauert werden.
Personalführung und Personalentscheidungen basieren in
zunehmendem Masse auf gesammelten Daten und ermöglichen so, dem Profil der
Schule, den Erfordernissen des Unterrichts und den Bedürfnissen der
Lehrpersonen entsprechend strategisch zu handeln. Was zunächst sehr
mathematisch und wenig menschlich klingt, kann dem Schulleitenden jedoch helfen,
professionell zu handeln.
Lehrpersonen
ermutigen
Marc Weder unterstützt mit seinem zehnköpfigen Team
Kindergärten, Schulen und Hochschulen auf ihrem Weg in die Digitalisierung. Für
ihn ist der erste Schritt, Lehrpersonen für eine zunehmende Digitalisierung zu
motivieren, das vorbildhafte Verhalten der Schulleitung. Nur Schulleitungen,
die selbst ihre Hemmschwelle überwinden und ein offenes Lernverhalten für
digitale Medien zeigen, können Lehrpersonen vorleben, dass es nicht nur erlaubt,
sondern absolut akzeptabel und manchmal wichtig ist, Fehler zu machen.
Nach Tätigkeiten in verschiedenen Branchen ist Andrea
Hugelshofer letztes Jahr zur Schule «zurückgekehrt» – und eine Motivation
dahinter war auch, dass ihr die gesellschaftliche Bedeutung der Schule sehr
wichtig ist. In der Zeit des Stellenwechsels stiess sie auf das Buch «Purpose Driven
Organizations» von Franziska Fink und Michael Moeller.
Die beiden blicken in ihrem Buch zunächst auf die heutige komplexe (Wirtschafts-)Welt und die aus ihrer Sicht notwendige Agilität von Organisationen. Sinn oder «Purpose», wie sie es nennen, wird bei ihnen zum wichtigsten Faktor, um Komplexität zu reduzieren und sowohl der Organisation wie auch den Mitarbeitenden zu ermöglichen, sich weiterzuentwickeln.
5 Prinzipien sinnorientierter Organisationen
Dominanter Purpose: Mit «purpose» ist ein
übergeordneter Beitrag einer Organisation an die Gesellschaft gemeint, der
handlungsleitend wirkt. Fink und Moeller beschreiben, wie man zu einem dominanten
Purpose finden kann – in einer Variante auch den «Why-Prozess» nach Simon Sinek. Es liegt
nahe, dass die Schule einen relevanten Beitrag an die gesellschaftliche
Entwicklung leistet. In diesem Sinne könnte eine Purpose-Orientierung ein guter
Leitstern für die Schulentwicklung sein.
Kodifizierte Selbstorganisation: Hinter diesem
sperrigen Begriff steht das Verständnis, dass Sinnorientierung den einzelnen Mitarbeitenden
Spielraum geben muss, um eigenständig zu handeln. Gleichzeitig sind Ablauf,
Entscheidungsregeln und Rahmenbedingungen der Entscheidungen klar geregelt (=
kodifiziert). Die Autoren geben in diesem Zusammenhang viele Hinweise auf agile
Praktiken der Zusammenarbeit.
Ganzheitliche Partnerschaft: Nicht nur
Organisationen sollen ihren Sinn verfolgen, sondern die einzelnen
Mitarbeitenden sollen innerhalb der Organisation ihre eigene Persönlichkeit
einbringen können. Selbstentfaltung ist erwünscht – bei Lehrpersonen ein
wichtiger Teil, um authentisch und lebendig unterrichten zu können (siehe auch
Selbstbestimmung bei Deci & Ryan.
Superflexible Vertrauenskultur: Vertrauen ist hier
der Ausdruck eines Menschenbildes. Beziehungen sollen auf Augenhöhe
stattfinden. Superflexibilität drückt sich darin aus, dass Lernen und Agilität
vor Effizienz und Perfektion stehen sollen (Beispiel: Suchen Sie nach Lösungen
für Situationen, die «good enough» sind und «safe enough to try», um sie dann
in Anpassungsprozessen laufend zu verbessern). Dieses «iterative» Denken, etwas
ausprobieren, Wirkung überprüfen mit den Betroffenen, Anpassungen machen – das scheint
mir auch in vielen Schulsituationen relevant.
Co-Evolution mit dem Ökosystem: Jede
Organisation und die Schule ganz besonders, steht in intensiver Relation zu
ihrer Umwelt, zu Eltern, der Gemeinde, dem Kanton. «Purpose Driven
Organizations» messen ihrem Umfeld und der Kopplung mit ihm grosse Bedeutung
bei.
Im zweiten Teil des Buches werden Praxisbeispiele vorgestellt. Der dritte Teil beinhaltet eine umfangreiche Sammlung an Methoden und Tools, welche insbesondere Holocracy-Ansätze spiegeln.
Franziska Fink ist Journalistin und Philosophin, Michael
Moeller ist Betriebswirtschafter. Beide sind tätig in der systemischen Organisationsberatung.
Insbesondere den journalistischen Hintergrund von Franziska Fink merkt man: Das
Buch ist gut strukturiert und die beschriebenen Tools und Methoden sind auf
kompakte Art verständlich dargestellt – die Methodenübersicht im dritten Teil
des Buches werde ich sicher immer wieder hervornehmen.
Für mich liegen viele Bezüge zur Schule sehr auf der Hand – ich wünsche mir die Schule als «Purpose Driven Organization»! Gleichzeitig geschieht von den erwähnten Themen im Buch sicher schon einiges im Schulumfeld und da kann das ein oder andere Kapitel vielleicht auch wirken wie «alter Wein in neuen Schläuchen».
Zur Autorin
Andrea Hugelshofer ist Dozentin im Zentrum Management und Leadership an der PH Zürich. Sie beschäftigt sich als Beraterin und Dozentin mit Themen rund um Personalentwicklung, den Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit sowie dem Umgang mit Konflikten. Insbesondere verantwortet sie spezifische Weiterbildungsangebote für Mitglieder von Schulbehörden.
Redaktion: Melina Maerten
Quelle und Bilder: Lernmedienshop, Caio Resende von pexels.com
In der Rubrik «5 Fragen an …» interviewt Schulleiterin Regina
Stadler den Schulleiter Eckart Störmer und reicht damit den Stafetten-Stab
weiter. Störmer leitet eine Tagessonderschule für Schüler mit Schwierigkeiten
im sozial-emotionalen Bereich.
Elternzusammenarbeit
ist an eurer Schule ein sehr gewichtiges Thema. Gibt es ein Geheimrezept im
Umgang mit Eltern?
Das glaube ich nicht. Es gibt viele Schulen,
die eine ausgesprochen gute Beziehung zu den Eltern haben. Leider nicht alle. Wenn
du ein Rezept hören möchtest: Man sollte grundsätzlich davon ausgehen, dass die
Anliegen der Eltern aus ihrer Sicht absolut berechtigt sind, auch wenn sie uns
merkwürdig oder sogar unverschämt erscheinen. Was man loslassen muss, ist die
Vorstellung von richtig und falsch.
Wenn eine aufgeregte Mutter zu mir kommt und
mir Vorwürfe macht, dann bringt es nichts, diese zu widerlegen. Ich kann ihr zuerst
sagen, dass es toll ist, dass sie mit ihrem Anliegen sofort zu mir gekommen ist
und dass ich das besonders schätze, weil man sicher eine Lösung zusammenfindet.
Dann muss die Mutter mir mitteilen können, was sie stört, ohne dass ich sofort
sage, dass das aber anders war. Meine Sicht stelle ich zurück. «Oje, Sie haben
gedacht, ich hätte absichtlich …», «Das tut mir leid, dann verstehe ich ihren
Ärger.» Mein Standpunkt kommt erst, wenn sie sich verstanden fühlt. Empathie
eben. Das Entscheidende passiert in der Beziehung.
Das zweite grosse Thema ist die Musik. Warum ist sie bei euch so wichtig?