Der Lehrermangel im Kanton Zürich ist aktuell wieder ein Thema. Lehrpersonen befinden sich in der angenehmen Situation, dass sich die Schulen um sie reissen. Der Markt spielt. Das Angebot ist aber viel kleiner als die Nachfrage. Für Schulleiterin Martina Arpagaus eine ungünstige Ausgangslage. Sie teilt mit uns ihre Erfahrungen:
Frische Blumen, Gratiskaffee und vielleicht sogar in der einen Hälfte des Kindergarten-Sandkastens ein Jacuzzi? Heutzutage muss man Lehrpersonen etwas Besonderes bieten, damit sie die eigene Schule als neuen Arbeitsort aussuchen. Das Zürcher Volksschulamt hat soeben den Lehrer:innenmangel bestätigt. Vor allem auf der Kindergartenstufe ist die Misere gross. Wir in unserer Schuleinheit haben 2,5 Stellen zu besetzen und so gut wie keine Bewerbungen. Das Besetzen von Stellen ist anspruchsvoll, aufwendig, gelegentlich frustrierend und bedarf Innovationen sowie neuer Ideen.
Kündigungen von Lehrpersonen nicht persönlich nehmen
Kurz vor dem Kündigungstermin wurden mir drei Kündigungen auf den Tisch gelegt. Alle drei unerwartet. Jede der Lehrperson hatte eine persönlich nachvollziehbare Begründung, zwei nannten den näheren Arbeitsweg zur neuen Stelle. Dagegen komme ich natürlich nicht an.
Es ist der Situation geschuldet, dass ausgebildete, gute Lehrkräfte gegenwärtig einem Wust von freien Stellen gegenüberstehen.
Dass die Kündigungen aber so kurz vor Ende der Frist und ohne vorgängige Andeutung auf meinem Pult landen, nehme ich in den ersten Minuten schon etwas persönlich. Nach ein paar innerlichen Zweifelrunden stürze ich mich in die Ausschreibung der Stellen, mache erste Telefonate und führe Vorstellungsgespräche. Ich gebe zu, das passiert mit der mir eigenen Zuversicht, aber schon auch mit etwas Sorge.
Frisst der Teufel zur Not Fliegen?
Man schreibt die Stellen aus und bekommt kaum Bewerbungen. Wenn sich jemand mit den geeigneten Qualifikationen bewirbt, kommt es fast automatisch zum Vorstellungsgespräch. Man wird toleranter, weil man weiss, dass man nicht wirklich die Wahl hat. Eine Kandidatin wird ein zweites Mal ins künftige Klassenzimmer geführt, weil sie es noch einmal spüren will. Unter normalen Umständen hätte sie das womöglich nicht verlangt und ich wahrscheinlich nicht gemacht. Es kam in diesem Fall zu keiner Anstellung. Ich habe mir erlaubt, auch Personen abzusagen, obwohl sie das Diplom hatten: Eine Person konnten wir uns nicht vor einer Klasse vorstellen, die andere bekam sehr schlechte Qualifikationen von ihrer Referenzperson.
Film ab für neue Kindergärtner:innen
Die Ausgangslage auf der Kindergartenstufe ist ernst, aber hoffnungsvoll. Deshalb geht mein Schulkreis nun in die Offensive und finanziert neben einer Assistenz an den Vormittagen auch ein professionelles Filmteam, um mit einem sympathischen Porträt auf unsere Schule als attraktiven Arbeitsplatz aufmerksam zu machen. Das Drehbuch schrieb ich selbst und rückte dabei alle unsere Vorzüge in den Vordergrund. Allen voran natürlich jene Kindergärtnerinnen, die bei uns bleiben. Sie priesen professionell, herzlich und authentisch die Vorteile ihres Arbeitsplatzes an. Auch unsere Lage mit viel Natur und nahe bei einem Bahnhof kam zum Tragen. Inwiefern der Film Früchte trägt, werden die nächsten Wochen zeigen.
INFOBOX Als die Arbeitskollegin von Martina Arpagaus gerade im Urlaub weilte und die Omikron-Welle über die Schule rollte, musste die Schulleiterin Prioritäten setzen. Wie ihr das gelang, erfahren Sie im letzten Beitrag.
Zur Autorin
Martina Arpagaus ist 47 Jahre alt. Nach ihrer Ausbildung als Kindergärtnerin arbeitete sie zwei Jahrzehnte als Radiojournalistin. Dann unterrichtete sie Deutsch als Zweitsprache und seit dem Sommer 2021 arbeitet sie als Schulleitung 2 in einer Zürcher Primarschule.»
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: adobe stock