Machen Sie mit bei unserem Wettbewerb: Stellen Sie eine Frage für die Diskussionsrunde an der Vernissage des Bandes «Weiterbildung an Hochschulen. Über Kurse und Lehrgänge hinaus» – und gewinnen Sie ein Exemplar des Buches!
Dort werden die Beitragsautor/-innen Katrin Kraus, Irena Sgier und Philippe Wampfler mit Tobias Zimmermann über Gegenwart und Zukunft der Weiterbildung an Hochschulen diskutieren.
Hypothesen zur aktuellen Situation
«Lebenslanges Lernen» ist in aller Munde und hat auch diesem Blog seinen Namen gegeben. Seit der Wende zum 21. Jahrhundert ist es das Leitkonzept in der Weiterbildung, wenn nicht für das gesamte Bildungswesen. Es zielt darauf, dass alle Menschen die lebenslange Perspektive ihrer Lernprozesse selber lenken. Das erfordert auch strukturelle Anpassungen des Bildungssystems bezüglich Übergängen, Zugängen, Anrechnungen, aber auch der didaktischen Gestaltung.
Tobias Zimmermann, Geri Thomann & Denise Da Rin (Herausgebende)
Angesichts der Beliebtheit des Begriffs wäre zu vermuten, dass das Konzept des lebenslangen Lernens gerade auf die Weiterbildungslandschaft grossen Einfluss ausübt. Im Widerspruch stellen die Herausgebenden von «Weiterbildung an Hochschulen» folgende Hypothesen auf:
Die Verbindung zwischen konsekutivem Studium und Weiterbildung ist vielerorts nicht gegeben.
Es sind wenige Verbindungen zwischen Weiterbildung und Beratung auszumachen.
Die meisten Weiterbildung erfolgen nach wie vor schwergewichtig in Form von Präsenzunterricht.
Leistungsnachweise orientieren sich oft an aus dem Grundstudium bekannten Formaten wie Closed-Book-Klausuren oder schriftlichen Arbeiten.
Das Weiterbildungsangebot an Hochschulen ist in den letzten 20 Jahren stark gewachsen, wobei die Grösse der Nachfrage unklar bleibt.*
Weiterbildung an Hochschulen: offene Fragen
Diese Hypothesen führten zu den zentralen Fragestellungen für «Weiterbildung an Hochschulen. Über Kurse und Lehrgänge hinaus»:
Was macht wissenschaftliche Weiterbildung gegenüber anderen Bildungsformen aus?
Wie kann der Transfer von Weiterbildungen an Hochschulen in die Berufspraxis begünstigt werden?
Welche Formate, Methoden und Medien unterstützen ein lebenslanges Lernen – von der Anerkennung bereits erworbener Kompetenzen über die Kombination von Weiterbildung und Beratung bis zum Einbezug von digitalen «Personal Learning Environments»?
Über 20 Autorinnen, Autoren und Gesprächspartner liefern im vorliegenden Band ein breites Panoptikum des aktuellen Standes und zukunftsweisender Möglichkeiten.
Wettbewerb
An der Buchvernissage möchten wir mit drei Autorinnen (siehe oben) sowohl Gegenwart als auch Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterbildung an Hochschulen diskutieren. Schlagen Sie uns spannende Fragen zu Aspekten der Weiterbildung an Hochschulen vor! Die oben formulierten Hypothesen und Fragen mögen Anregungen dazu liefern, vielleicht haben Sie aber auch ganz andere Ideen? Schreiben Sie sie einfach in die Kommentarbox zu diesem Beitrag.
Die spannendsten Fragen werden an der Vernissage gestellt, und die Fragesteller erhalten zum Dank ein Exemplar von «Weiterbildung an Hochschulen. Über Kurse und Lehrgänge hinaus».
* Verlässliche Zahlen zum Umfang des Weiterbildungsangebots und zu Teilnehmendenzahlen an Schweizer Hochschulen liegen leider keine vor, da weder in der Schweiz noch in Deutschland bis heute aufseiten der Anbieter eine nationale Statistik erhoben wird (vgl. SKBF 2014, S. 266 und Kamm et al. 2016, S. 140).
Erik Haberzeth ist Inhaber der Professur für Höhere Berufsbildung und Weiterbildung am ZHE der PH Zürich und forscht zum Thema Digitalisierung der Arbeit.
Wieder einmal wird intensiv über die Stellung des Menschen gegenüber der Maschine und in Automatisierungsprozessen diskutiert. Die Kernfrage ist: Kommt es zu einer Dequalifizierung durch digitale Technik oder gar zu einem Ersatz menschlicher Arbeit? Oder bleibt menschliches Arbeitsvermögen doch unersetzlich? Kann sinn- und identitätsstiftende, also letztlich «gute Arbeit» erhalten oder gar ausgebaut werden?
Menschliches Arbeitsvermögen und digitalisierte Arbeit
Dieser Problemkomplex ist natürlich alles andere als neu. Bereits das Cover der «Spiegel»-Ausgabe vom 1. April 1964 zeigt einen alles könnenden, vielarmigen, mit Augen, Ohren und Hirn ausgestatteten Roboter, der den kleinen und hilflosen Menschen mit seinem Fuss wegkickt (siehe Hessler, 2014). Allen damaligen und seither immer wiederkehrenden Befürchtungen zum Trotz ist uns aber die Arbeit bis heute nicht ausgegangen.
Digitalisierte Arbeit in der Automobilindustrie: Fast wie auf dem berühmten Spiegel-Cover?
Es stimmt zwar, dass sich der Schweizer Arbeitsmarkt aktuell in einer guten Ausgangslage befindet und von der Digitalisierung vermutlich profitieren wird (vgl. Mitteilung Bundesrat vom 08.11.2017). Zur Wahrheit gehört aber auch: Dem einzelnen Beschäftigten, der seinen Arbeitsplatz durch Automatisierung verliert oder dessen Beruf nicht mehr benötigt wird, ist es ein schwacher Trost, wenn die Beschäftigungslage im Allgemeinen stabil ist. Und ein Selbstläufer ist eine positive Entwicklung sicherlich nicht: Gerade eine gute Job-Qualität muss aktiv gestaltet werden. Dabei spielt Weiterbildung eine zentrale Rolle. Ihre Rolle diskutieren wir auch an der Tagung «Digitalisierung und Weiterbildung» am 25. Januar 2018 an der PH Zürich.
Schweigendes Wissen
Mit dieser Perspektive forschen wir im Kooperationsprojekt «Kompetenz 4.0» der Universität Hamburg und der PH Zürich. Die Besonderheit: Wir gehen in die Betriebe und unterhalten uns direkt mit den «normalen» Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, also mit denjenigen, die letztlich mit den digitalen Anwendungen umgehen müssen. Tatsächlich spielt die Sichtweise der Beschäftigten in der Diskussion um digitalisierte Arbeit bislang kaum eine Rolle. Meistens werden lediglich Unternehmens- oder Branchenvertreter um ihre Einschätzung gebeten, wie sich Arbeit wandelt und welche Kompetenzen wichtig werden; so gut wie nie aber die Beschäftigten selbst. Und das ist fatal, denn letztlich sind sie die Experten und Expertinnen ihrer Arbeit: Sie wissen aus einer Innensicht heraus, was es braucht, damit Arbeitsprozesse tatsächlich effizient laufen. Viele funktionierende Arbeitsprozesse beruhen nämlich auf dem «schweigenden Wissen» der Beschäftigten, das vom Standpunkt des externen Beobachters nicht einfach erkannt werden kann. Dazu gehören auch genuin menschliche Wissens- und Handlungsqualitäten wie Kreativität, Intuition und Initiative.
Bewältigung von Unplanbarem
Unsere Daten aus Logistik und Detailhandel zeigen: Ein solches menschliches Arbeitsvermögen ist unersetzlich bei der Bewältigung von Unwägbarkeiten und Unplanbarem (schon Böhle, 2005). Eigentlich müssten die technischen Systeme so gut wie alles regeln – tun sie aber nicht. Im Detailhandel beispielsweise gibt es automatische Bestellsysteme, die auf der Grundlage der Abverkaufszahlen Waren ordern. Das System ist aber nicht dazu in der Lage, Diebstahl, Defekte oder ein falsches Einscannen von Kunden zu erfassen. Zudem kann es «unberechenbare» Faktoren wie Wetter (z.B. Grillwetter!), Warenqualität oder Trends nicht hinreichend abbilden. Die Beschäftigten müssen korrigierend eingreifen. Es zeigen sich auch nicht-intendierte Effekte der Technik: So sind zum Beispiel Kunden an Selbstbedienungsgeräten ratlos oder es gibt technische Ausfälle (die Kasse blockiert, das Selbstbedienungsgerät friert ein, das WLAN fällt aus).
Von technischen Ausfällen bis zum Grillwetter: Trotz digitalen Fortschritten gilt es Unplanbares flexibel und intuitiv zu bewältigen.
Entscheidend ist nun: Solche Unwägbarkeiten sind keine Ausnahme, sondern vielmehr die Regel und fester Bestandteil des Arbeitsalltags. Sie verursachen erhebliche Probleme in den alltäglichen Arbeitsabläufen und werden von den Beschäftigten immer wieder aufgefangen. Die Fachkräfte setzen dabei Gespür und Intuition, Kreativität, Entscheidungsflexibilität und Improvisationsfähigkeit ein. Dieses Vermögen basiert auf ausgeprägter Erfahrung und – das ist wesentlich – auf Arbeitsidentifikation: Die Beschäftigten identifizieren sich prinzipiell mit ihrer Arbeit und wollen «am Ende des Tages» gute Arbeit leisten. Deshalb ergreifen sie Initiative, bringen sich mit ihren Fähigkeiten, ihrem Gespür, ihrer Motivation ein und sorgen so für reibungslose Abläufe. Das ist auch für digitalisierte Arbeit zentral.
Fazit: Weiterbildung personalorientiert denken
Für die Arbeitsgestaltung und Weiterbildung heisst das: Es sind humane Arbeitsbedingungen notwendig, die sich u.a. durch Handlungsspielräume und Aufgabenvielfalt auszeichnen. Wird menschliche Subjektivität unterbunden, kann sich auch keine Initiative mehr entfalten. Die Weiterbildung darf folglich nicht zu einer anforderungszentrierten Anpassungsqualifizierung verkommen, bei der isolierte XY-Fähigkeiten – abgeleitet aus der Technikentwicklung – geschult werden. Natürlich ist nichts gegen die Schulung spezifischer Fähigkeiten und Kenntnisse zu sagen, wenn es gleichzeitig auch um Kompetenz geht. Es gilt Kompetenz als ein «ganzheitliches» Potenzial der Problembewältigung zu fördern, wie es in unserer Studie deutlich wird: Kreativität, Initiative und Intuition auf der Basis von Erfahrung und Identifikation.
Wenn dies die Perspektive der Weiterbildung ist, müssen von Anfang an Beschäftigte eingebunden werden. Dies beginnt bereits bei der Bedarfsanalyse von technischen Entwicklungen wie auch von Weiterbildung: Es geht darum, die Beschäftigten als Expertinnen und Experten ihrer eigenen Arbeit zu begreifen und ihre Erfahrungen von funktionierender und guter Arbeit aufzunehmen. Die Beteiligung muss aber weiterreichen bis zur Gestaltung von Arbeitssituationen und Arbeitsplätzen: Was brauchen die Beschäftigten, um ihr Potenzial einbringen zu können? Es kommt darauf an, den Vorrang der Technik aufzugeben und den Beschäftigten nicht nur eine «Lückenbüsserfunktion» zuzuweisen, nämlich dann einzugreifen, wenn Unplanbares auftaucht, sondern stattdessen einen «Kompetenzentwicklungspfad» einzuschlagen.
Verärgert nimmt Lehrgangsleiterin Petra Schuler zur Kenntnis, dass ihr Zertifikatslehrgang nicht durchgeführt wird – zu wenig Teilnehmende. Nun muss sie die zehn angemeldeten Personen über die Absage des Lehrgangs informieren. Dabei hatte sie bis zuletzt gehofft, die Abteilungsleitung würde für die Durchführung des Lehrgangs grünes Licht geben, auch wenn diese stets betont hatte, dass es für die Durchführung mindestens 14 Teilnehmende brauche. Obwohl Petra Schuler nicht nachvollziehen kann, wie diese Zahl zustande kommt, findet sie, dass der Lehrgang auch mit zehn Teilnehmenden hätte durchgeführt werden müssen. Liegt sie damit aus betriebswirtschaftlicher Sicht richtig?
Nicht-Durchführungsentscheide hinterlassen Spuren
Die Absage von Bildungsangeboten ist heikel: Kunden, die eine Absage erhalten, berücksichtigen das nächste Mal vielleicht einen anderen Anbieter. Auch für das Image und die Mund-zu-Mund-Propaganda sind nicht durchgeführte Angebote ungünstig. Dennoch müssen sich Verantwortliche von Bildungsangeboten die Frage stellen, welche Mindestzahl an Teilnehmenden für eine Durchführung notwendig ist. Es scheint offensichtlich: Sind zu wenige Anmeldungen eingegangen, so ist eine wirtschaftlich erfolgreiche Durchführung nicht möglich. Es bleibt nur, den angemeldeten Personen den Entscheid der Nicht-Durchführung mitzuteilen und zu hoffen, dass diese Kunden der Bildungsinstitution trotzdem treu bleiben. Doch wie wird die Mindestteilnehmerzahl ermittelt?
Im Schraubstock des Budgets?
Ein Budget ist unerlässlich
Jedes Bildungsangebot muss kalkuliert werden: Die durch das Angebot verursachten Kosten und die wahrscheinlichen Erlöse sind festzuhalten. Lassen sich die Kosten gewöhnlich ohne grössere Schwierigkeiten ermitteln, so basieren die Erlöse meist auf einer Schätzung. Dabei wird die Teilnahmegebühr mit der Anzahl erwarteter Teilnehmender multipliziert. Resultiert aufgrund der Kalkulation ein negatives Ergebnis, ist zu prüfen, ob man Kosten senken oder die Teilnahmegebühr erhöhen kann. Oft haben sich die Angebotspreise nach dem Markt zu richten und lassen sich nicht beliebig erhöhen. Liegt die Kursgebühr deutlich über dem Marktpreis, so ist es wahrscheinlich, dass sich potentielle Kunden bei Mitbewerbern anmelden oder aber auf die Aus- bzw. Weiterbildung verzichten.
Kosten sind nicht gleich Kosten
Grundsätzlich gilt: Sind die Erlöse aus Teilnahmegebühren höher als die Kosten des Angebots, so kann dieses gewinnbringend durchgeführt werden. Resultiert aber aus der Kalkulation mit Vollkosten für das Bildungsangebot ein Verlust, so votieren viele für eine Absage des Kursangebots.
Doch liegen sie damit richtig? Nicht unbedingt. Aus finanzieller Sicht muss ein Verlust auf Ebene der Vollkosten nicht zwingend eine Absage des Angebotes bewirken. Vielmehr gilt es die Kosten genau zu betrachten und zwischen fixen und variablen Kosten zu unterscheiden.
Variable Kosten entstehen direkt durch die Angebotsdurchführung (z.B. Fotokopien für die Teilnehmenden, Honorare für externe Dozierende). Fixe Kosten dagegen fallen unabhängig von der Durchführung an. Kann eine Bildungsinstitution z.B. ihre Räumlichkeiten nicht auslasten, so muss sie die Raumkosten tragen, auch wenn in den Räumen keine Kurse stattfinden.
Der Deckungsbeitrag gibt Auskunft
Die Unterscheidung der Kosten macht deutlich, dass aus betriebswirtschaftlicher Optik die variablen Kosten auf jeden Fall gedeckt sein müssen; d.h. die Erlöse müssen mindestens gleich hoch wie die direkt durch das Angebot verursachten Kosten sein.
Und die fixen Kosten? Die Gesamtheit der Bildungsangebote muss auch die Fixkosten der Bildungsinstitution decken; ansonsten resultiert für die Bildungsinstitution ein Verlust. Für die Fixkostendeckung werden die Deckungsbeiträge der Angebote verwendet. Als Deckungsbeitrag bezeichnet man den Überschuss, der nach Abzug der variablen Kosten von den Erlösen verbleibt.
Nicht nur grosse Gruppen rechtfertigen die Durchführung einer Weiterbildung
Der Deckungsbeitrag aller Angebote muss mindestens gleich gross sein wie die fixen Kosten der Bildungsinstitution. Daraus wird ersichtlich, dass die einzelnen Angebote unterschiedlich hohe Beiträge an die fixen Kosten beisteuern können. Erwirtschaftet ein Angebot nur einen geringen oder keinen Deckungsbeitrag, so kann dies durch die Deckungsbeiträge der anderen Angebote kompensiert werden. Aus unternehmerischer Sicht kann man folglich – unter der Annahme genügend freier Ressourcen – auch ein Angebot durchführen, dessen Erlöse nur die variablen Kosten decken bzw. die dem Angebot zugerechneten fixen Kosten nicht decken. Die ungedeckten fixen Kosten muss die Bildungsorganisation in diesem Fall durch andere Angebote erwirtschaften.
Fazit
Auch eine tiefe Teilnehmerzahl kann die Durchführung des Bildungsangebots rechtfertigen, sofern dessen Erlöse mindestens die variablen Kosten decken oder gar einen Deckungsbeitrag erzielen! Die Zahl der Anmeldungen rechtfertigt für sich genommen weder die Durchführung noch die Absage eines Angebots.
Ob im Fall von Petra Schuler eine Durchführung wirtschaftlich vertretbar gewesen wäre, lässt sich ohne die Daten der Kalkulation nicht beurteilen. Doch zeigt das Beispiel, dass die Kalkulation eines Bildungsangebots zum Aufgabengebiet der Lehrgangsleitenden gehört und nicht delegiert werden sollte. Nur so können Angebotsverantwortliche Entscheide nachvollziehen und selbst vorbereiten.
Eine Weile nichts tun, Distanz vom Alltag gewinnen, den eigenen Ideen nachgehen, sich in etwas vertiefen, sich weiterbilden und erholen – wer möchte das nicht! Das Bedürfnis nach einer Leerstelle, einer Pause im Berufsleben, die länger dauert als der Feierabend, das Wochenende oder Ferien, steckt uns allen in den Knochen. Und doch; eine Weile nichts zu tun fällt uns schwer. Ich selber könnte eher auf Fleisch, Fernsehen oder Wein verzichten als auf die Möglichkeit, meine Mails zu checken und mich meiner Arbeit zu widmen, wenn mir danach ist. Arbeit ist eben nicht nur Last, sondern auch Lust am Tätigsein. Wer Selbstbestimmung in der Arbeit erlebt, erhält dafür gute Gefühle. Wer nicht genug davon bekommt, unterschätzt die damit verbundenen Risiken. Nur ein funktionierender Ausgleich von An- und Entspannung kann langfristig vor der Selbstgefährdung retten. Dazu braucht es Selbstreflexion und … Pausen.
Kultur der Lücke
Eine eigentliche Kultur der Auszeit kennt das Judentum mit dem Sabbat, dem noch heute heiligen Ruhetag in der jüdischen Kultur. In den zehn Geboten wird dem Volk Israel alle sieben Jahre ein Ruhejahr verordnet, in dem alle Äcker, Weiden und Weinberge brach liegen sollen, damit sich der Boden erholen kann.
Die Grundidee der Pause zur Erholung oder Neuorientierung findet sich in anderen Kontexten wieder. So gehört das Sabbatical seit Ende des 19. Jahrhunderts zum kulturellen Selbstverständnis der amerikanischen und später europäischen Hochschulen. Die Lehrpersonen werden typischerweise für ein Semester von ihren Lehrverpflichtungen entbunden, um sich in Forschungsprojekte vertiefen zu können.
Ein Sabbatical bedeutet oft nicht nur Erholungs- sondern auch Weiterbildungszeit
In Deutschland waren es aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit zunächst beschäftigungspolitische Effekte, die sich der Staat vom Ausstieg auf Zeit mit Arbeitsplatzgarantie versprach. Daraus entwickelte sich Mitte der 1980er Jahre ein Rechtsanspruch von Angestellten auf eine Auszeit.
Auch die Privatwirtschaft setzt auf die Freistellungszeit. In den 1990er Jahren wurde sie als personalpolitisches Steuerungsinstrument eingesetzt, um konjunkturelle Schwankungen auszugleichen. Möchten moderne Unternehmen heute im globalen Wettbewerb als attraktiver Arbeitgeber gelten, kommen sie nicht mehr darum herum, eine Auszeit als Gestaltungselement individueller und flexibler Arbeitsbeziehungen anzubieten.
So sind in der Schweiz Sabbaticals in grossen Unternehmen unterdessen verbreitet. Kader der Swisscom können alle 5 Jahre 2-3 Monate bei etwa halbem Lohn in das Sabbatical; ähnliches gilt für Grossbanken. Beim Bund ist der Zugang an die Lohnklasse geknüpft (Langer, 2013). Die Auszeit spielt in der freien Wirtschaft, gerade in KMU, aber immer noch eine untergeordnete Rolle und steht in Konkurrenz zu anderen Flexibilisierungsformen.
Sabbatical im schulischen Umfeld und die Intensivweiterbildung
Im Schulfeld verliefen die Erwartungen an das Sabbatical entlang dem bildungspolitischen Diskurs. Standen zunächst beschäftigungspolitische Ziele im Vordergrund, folgte in den 1970er Jahren die Vorstellung von der Lehrerbildung als einem lebenslangen Prozess. Die Freistellung bot sich dabei als Weiterbildungszeit an. Im Zuge der aufkommenden Belastungsforschung in den 1980er Jahren (Rothland, 2013) etablierte es sich dann als Strategie zur Gesundheitsprävention. Das Sabbatical wurde nun mit Begriffen wie Regenerierung, Persönlichkeitsstärkung und Motivation verknüpft (z.B. Enzmann & Kleiber, 1989).
In der Schweiz bestehen in vielen Kantonen gesetzliche Regelungen zu Auszeiten für Lehrpersonen. Im Grundsatz handelt es sich um staatlich finanzierte Weiterbildungsangebote, die mit der Idee der Auszeit verknüpft werden. Ziel einer Intensivweiterbildung (IWB) ist es, sowohl einen individuellen als auch einen institutionellen Nutzen zu generieren. «Intensivfortbildungen müssen relevant sein für den Unterricht», betont auch Beat W. Zemp, der Präsident des Lehrerdachverbands in einem Interview mit der NZZ. Damit grenzt sich die Intensivweiterbildung ab vom eher kurativen Verständnis von Sabbaticals wie auch vom Flexibilisierungsgedanken aus der Privatwirtschaft. Die IWB wird als Privileg und als Verpflichtung für die Lehrperson verstanden und soll dem Bedürfnis nach vertiefter fachlicher, methodischer, aber auch persönlicher Weiterbildung Rechnung tragen.
Wunsch und Wirklichkeit
An den Möglichkeiten sich eine Auszeit zu verschaffen, scheint es also nicht zu mangeln. Insbesondere für Lehrkräfte vereinfachen gesetzliche Regelungen den Zugang. Bei der Nachfrage zeigt sich aber, wie weit Rhetorik und Wirklichkeit auseinander klaffen. 57% der Europäer können sich ein Sabbatical grundsätzlich vorstellen, aber nur 7% halten eine Durchführung für realistisch (Zimmermann, 1999). Enge Rahmenbedingungen, finanzielle Tragbarkeit, Ängste um Arbeitsplatz- und Imageverlust sowie Karriereknick sind die Gründe, warum ein Sabbatical nicht gemacht wird.
Von den deutschen Lehrpersonen nutzen nur etwa knapp 1% das Angebot (Miethe, 2000). Bei den Zürcher Berufsfachschullehrkräften waren es in einer Befragung aus dem Jahr 2015 etwa 50 Lehrpersonen, die zulassungsberechtigt gewesen wären, aber trotzdem keine IWB in Anspruch nahmen. Sie gaben an, dass sie im Moment keine Zeit dafür hätten.
Biographische Zäsur
Wie erklärt sich diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit? Scheuen wir am Ende die arbeitsfreie Zeit, weil wir nicht wissen, was wir damit anfangen sollen? Oder graut uns einfach vor der Gewissheit, dass sich die Arbeit während Abwesenheiten nicht selbst erledigt, sondern sich an deren Rändern bloss verdichtet? Oder wissen wir einfach zu gut, dass positive Ferieneffekte nie lange anhalten? Es scheint, dass viele lieber tun, was sie müssen, um nicht zu tun, was sie wollen.
Wer schliesslich in eine IWB kommt, weiss meistens, dass es Zeit dafür ist. Zeit für eine Zäsur im Berufsleben, die oft gekoppelt ist mit privaten Veränderungen. Die Bedürfnisse, die die Lehrpersonen umtreiben, sind anfänglich häufig noch diffus. In unseren Standortbestimmungsseminaren werden diese thematisiert. Oft geht es dabei darum, wieder die Balance zu finden zwischen An- und Entspannung, zwischen Wissen vermitteln und aufnehmen, zwischen Geist und Körper, Fremdem und Eigenem, Loslassen und Neuem anpacken. Hilfreich dafür ist es, Abstand zu nehmen vom Alltag, Gewohnheiten in Frage zu stellen, Erfahrungen zu reflektieren, sich Freiräume zu gönnen und auf Menschen einzulassen, die in berufsbiographisch vergleichbarer Situation sind.
Kaum jemand der vielen hundert Lehrpersonen, die wir bisher erlebt haben, suchen nur die Regeneration und das kultivierte Nichtstun in der IWB. Sie wollen vielmehr persönliche oder berufsbezogene Themen angehen, die über die Freistellungszeit hinaus wirksam sind. Sie wollen Neues erleben, wollen lernen und sich entwickeln – für sich und damit auch für die Schule.
Abraham Joshua Heschel, ein jüdischer Theologe des letzten Jahrhunderts, nannte den Sabbat eine Kathedrale in der Zeit: Unter der Woche sind wir beherrscht von der Arbeit. Die arbeitsfreie Zeit aber bezeichnete er als die Kunst sich selbst zu beherrschen und dabei über sich und das Alltägliche hinaus zu wachsen. Viele IWB-Teilnehmer würden dem wohl zustimmen.
Die folgenden provokativen Thesen fassen unsere meistgelesenen Beiträge kurz zusammen. Wir feiern damit das (bald) einjährige Bestehen unseres Lifelong Learning Blog und bieten Ihnen einen prägnanten Einblick in Ideen und Konzepte zum Lehren und Lernen an Hochschulen und in der Berufsbildung.
Nutzen Sie die Kommentarfunktion und diskutieren Sie mit uns über die präsentierten Ideen und Konzepte!
Der Einstieg in eine Lehrveranstaltung hat einen grossen Einfluss darauf, wie interessiert und engagiert die Studierenden mitarbeiten. Zwei Beispiele zeigen, weshalb es neben Fach- auch didaktische Kompetenz braucht, um an der Hochschule gut unterrichten zu können.
Selbststudium ist ein Konzept, das oft kritisch diskutiert wird – vor allem wenn es als billige Sparmassnahme statt aus didaktischen Gründen zum Einsatz kommt. Wir meinen: Es führt kein Weg an der Frage vorbei, wie individuelle Lernprozesse unterstützt werden können. Deshalb stellen wir das Sandwich-Prinzip vor, das sich zur Strukturierung von Selbststudiumsphasen eignet.
Wo «E-Learning» drauf steht, sind Lerninhalte oft bloss elektronisch aufbereitet. Das bewirkt aber noch nicht unbedingt bessere Lernprozesse. Vielmehr braucht es eine E-Didaktik, um effektives Lernen durch digital unterstützte Lehr-Lern-Szenarien zu fördern.
Instagram, Twitter & Co. werden oft als Ablenkungsquellen gesehen, welche die Konzentration stören. Dem setzen wir eine positive Sichtweise entgegen, auch für die Weiterbildung: Social Media ermöglichen Weiterbildungsteilnehmenden, ihr berufliches und informelles Lernen zu dokumentieren. So machen sie ihre Lernressourcen verfügbar und öffnen ihre Lernprozesse für Diskussionen.
«Warum werden PH-Studierende im Dunkeln nicht überfahren? – Sie reflektieren!» Dieser Witz aus der Kommentarspalte unseres Beitrags veranschaulicht die Ambivalenz des verordneten Reflektierens. Sinnvolle Reflexion bedeutet freilich, nicht nur zu zeigen, was man alles gelernt hat, sondern auch über Scheitern und Fehler nachzudenken. Das bedingt auch eine entsprechende Einstellung seitens der Dozierenden (siehe auch Punkt 9).
Die Digitalisierung wird oft als Begründung für erhöhten Weiterbildungsbedarf genannt. Allerdings ist Weiterbildung nicht einfach ein arbeitsmarktpolitisches Instrument. Arbeitspsychologische Erkenntnisse zeigen vielmehr, dass die Berufsrolle für die persönliche Identität zentral ist. Deshalb ist zu fragen, welche Folgen eine zunehmende Digitalisierung für arbeitende Menschen hat – und was das für die Gestaltung von Weiterbildung(en) bedeutet.
Denn Scheitern bedeutet, im Nachhinein festzustellen, dass wir nicht fähig waren, einen Misserfolg vorauszusehen und ihm vorzubeugen. Umso wichtiger ist es, Scheitererfahrungen reflexiv zu bewältigen. Wir beschreiben die wichtigsten Voraussetzungen dafür und ein bewährtes Reflexionsformat.
10) Lifelong Learning: Diesen Beitrag haben wir vergessen
Welcher Beitrag gehört Ihrer Ansicht nach unbedingt auch noch in diese Liste? Und weshalb – welche Erkenntnisse oder Erfahrungen hat er Ihnen ermöglicht? Oder welcher Beitrag müsste dringend noch geschrieben werden?
Wir freuen uns über Ihre Vorschläge in der Kommentarspalte.
Erik Haberzeth ist Inhaber der Professur für Höhere Berufsbildung und Weiterbildung am ZHE der PH Zürich und lehrt in diesen Themenfeldern.
Begriffswirrwarr 4.0
Ich beobachte derzeit, wie in Gesellschaft und Wissenschaft lebhaft über die Verbreitung und den Einfluss digitaler Technologien debattiert wird. Das Thema Digitalisierung ist so omnipräsent, es nervt schon fast. Dabei ist das Anhängsel «4.0» inzwischen zur populären Phrase geworden, die – in Anlehnung an Software Updates – den relativen Neuigkeitsgrad eines Gegenstandes betonen soll. Wenn man (politische) Aufmerksamkeit gewinnen oder (vermeintlich) etwas Neues sagen will, dann geht heute ohne diesen Zusatz offenbar nichts mehr. Die Begriffsneuschöpfungen reichen von «Adoleszenz 4.0» (ja, die soll es wirklich geben!) über «Weiterbildung 4.0» bis zu «Zeitung 4.0». Beinahe täglich gesellen sich zum Begriffswirrwarr 4.0 neue Begriffe hinzu. Der Bezug zur Digitalisierung bleibt dabei meistens eher diffus.
Industrie 4.0: Agenda-Setting par excellence
Die Diskussion neigt ohne Zweifel zu Übertreibungen, vorschnellen Schlüssen und mancher Skurrilität. So wurde zum Beispiel die immer wieder zitierte Studie von Frey und Osborne, nach der 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA von Automatisierung bedroht seien, wissenschaftlich längst relativiert. Hinter mancher Diskussionsbeteilung stecken zudem handfeste wirtschaftliche Interessen. Dies wird gleich zu Beginn der aktuellen gesellschaftlichen Debatte um Digitalisierung deutlich: Hier steht der Begriff der «Industrie 4.0», der unter anderem Henning Kagermann, langjähriger Vorstandssprecher des Softwareunternehmens SAP in die Öffentlichkeit trug. Sein Aufsatz hiess: «Industrie 4.0: Mit dem Internet der Dinge auf dem Weg zur 4. industriellen Revolution». Veröffentlicht wurde er 2011 zur weltweit bedeutendsten Industriemesse «Hannover Messe».
Sieht so die 4. industrielle Revolution aus?
Absurd ist dabei, dass alle bisherigen Revolutionen (Mechanisierung, Elektrifizierung, Informatisierung) im Nachhinein auf der Grundlage historischer Erfahrungen erkannt wurden. Die angeblich «vierte Revolution» wird hingegen ausgerufen, bevor sie stattgefunden hat.
Man kann jedenfalls ein äusserst erfolgreiches Agenda Setting von Industriebetrieben, Ingenieuren und IT-Experten feststellen. Aber: Deshalb von einem blossen Hype zu sprechen, wäre angesichts realer Veränderungsprozesse durch Digitalisierung und zu erwartenden zukünftigen Entwicklungen sicherlich nicht angemessen. Automatisierungs- und Digitalisierungsprozesse sind zwar sicher keine neuen Phänomene. Aber sie finden dank rasant erhöhter Speicher- und Verarbeitungskapazitäten zunehmend beschleunigt in allen gesellschaftlichen Feldern statt. Unsere Arbeits- und Lebenswelten verändern sich spürbar, so dass das Thema aktuell bleiben wird. Und wir müssen uns ihm stellen: In der Bildungswissenschaft und -Praxis.
Arbeiten 4.0 als Diskurserweiterung
Inzwischen entsteht immerhin eine Diskussion um «Arbeiten 4.0», die nach sozialen Veränderungen und Herausforderungen fragt. Andere Beschäftigungsfelder wie personenbezogene Dienstleistungen werden hier einbezogen. Dabei wird Abstand genommen von einer technologiefixierten und einer allein wirtschaftlichen Sicht auf Digitalisierung. Es geht vielmehr darum, gesellschaftliche Bedürfnisse und die Ansprüche der Beschäftigten an gute Arbeit in den Transformationsprozess miteinzubeziehen. Es stehen also Innovationen und das gesamte gesellschaftliche Wohlergehen im Fokus und nicht nur der Profit. So fragt Arbeiten 4.0 zum Beispiel nach
(Sicherung der) Teilhabe aller sozialer Gruppen
Vereinbarkeit von Beruf und Familie
gerechten Löhnen und sozialer Sicherheit
guter Arbeit
guter Unternehmenskultur und demokratischer Teilhabe
(und nicht zuletzt) Lernen und Weiterbildung im Lebenslauf
Menschenleerer Containerhafen – wie verändert Digitalisierung die Arbeit?
Perspektiven der Weiterbildung
Die Frage, wie Bildung oder Weiterbildung 4.0 aussehen könnten, wird in diesem Zusammenhang aktuell. Nur liegen bislang kaum solide Beiträge vor, empirische Untersuchungen sind noch Mangelware. Meist wird sehr allgemein davon gesprochen, dass das Bildungssystem erneuert werden müsste. Wie genau und warum und in welche Richtung, das bleibt meist im Dunkeln. Wenn Vorschläge gemacht werden, dann zeigen sich eher bedenkliche Tendenzen: Es wird beispielsweise auf Einsparungen und Minimalismus gesetzt (siehe dazu z.B. Käpplinger 2016). Lange bekannte Bildungskonzepte wie selbstorganisiertes Lernen, E-Learning oder Lehrende als Lernbegleiter treten wieder als Patentlösungen in den Vordergrund. Es heisst, Bildung müsse individualisiert werden und jede/r Lernende wisse doch am besten selbst, was er oder sie benötige.
Forschung zu diesen Konzepten verweist eher auf das Gegenteil. Selbstorganisiertes Lernen ist enorm störanfällig und anspruchsvoll, besonders für eher «lernungewohnte» Gruppen. Blosses E-Learning wie zum Beispiel bei MOOCs hat enorme Abbruchquoten. Es braucht Lernbegleiter, aber eben nicht bloss den Kollegen oder die Vorgesetzte. Professionelles erwachsenenpädagogisches Personal muss über erweiterte Kompetenzen in Vermittlung wie Beratung verfügen. Mit kostensparendem Minimalismus ist den Herausforderungen der Digitalisierung nicht beizukommen.
Erik Haberzeth spricht am ZHE-Jahresapéro über Industrie 4.0 und Bildung in Zeiten der Digitalisierung
Partizipativer Ansatz
Weiterbildung wird zudem teilweise als ein blosses arbeitsmarktpolitisches Instrument angesehen. Sie soll helfen, Menschen einfach in diejenigen Beschäftigungsfelder «zu verschieben», die vom technischen Fortschritt profitieren. Zugespitzt formuliert: Der Schneider soll IT-Administrator werden. Dem widerspricht die arbeitswissenschaftliche Erkenntnis, dass die Berufsrolle und die Arbeitsaufgabe für die Entwicklung von persönlicher Identität und Selbstwertgefühl eine grosse Bedeutung haben. Es geht deshalb darum, die Unersetzbarkeit menschlichen Arbeitsvermögens zu festigen. Gemeinsam mit den Beschäftigten ist zu fragen, wie Kompetenzen ausgebaut und erweiterte Aufgaben wahrgenommen werden können.
Angesichts dieser An- und Widersprüche führen wir aktuell zusammen mit der Universität Hamburg ein eigenes Forschungsprojekt «Kompetenz 4.0» durch. Wir untersuchen Kompetenzverschiebungen durch Digitalisierung im Detailhandel und in der Logistik. Dabei fragen wir auch danach, wie Weiterbildung angesichts der festgestellten Verschiebungen künftig gestaltet werden kann, um die Menschen fit für die Zeiten der Digitalisierung zu machen.
Erik Haberzeth forscht und publiziert zum Thema Weiterbildung und Kompetenz 4.0. Das Projekt «Kompetenz 4.0» wird von November 2015 bis Oktober 2018 von der PH Zürich und der Universität Hamburg durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Beauftragt mit der Durchführung des Gesamtprogramms «Innovative Ansätze zukunftsorientierter beruflicher Weiterbildung» ist das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB).
Lesetipps:
Haberzeth, E. & Glass, E. (2016). Kompetenz 4.0. Partizipative Kompetenzanalyse als Perspektive. Journal für politische Bildung, H 12/1.
Weiterbildung 4.0: Interview mit Bernd Käpplinger.
Roger Federer versetzte die Sportwelt kürzlich in Staunen und Begeisterung. Er gewann den Grand-Slam-Final der Australian Open in Melbourne und holte sich seinen 18. Major-Titel. Dass er sich damit als erfolgreichsten Tennisspieler der Geschichte bestätigte, ist dabei nicht alleine ausschlaggebend für die Begeisterungsstürme auf sozialen und anderen Medien. Roger Federer gelang dieser Major-Sieg nach fast fünf Jahren Durststrecke, kaum zurück aus seiner längsten Verletzungspause. Mit 35 ist er zudem der zweitälteste Grand-Slam-Gewinner der Profiära. Wie schafft er das bloss, so nahe dem Rentenalter im Spitzentennis noch so motiviert zu sein? Woher holt er sich die Kraft, um sich nochmals zurück zu kämpfen? Wie schaffen das Menschen überhaupt, bis zum Ende der Berufskarriere motiviert und engagiert zu bleiben?
Goldener Käfig
Routine und Erfahrung sind bei Roger Federer sicher entscheidende Faktoren für seinen erneuten Erfolg. Nach seiner Verletzungspause waren es aber vor allem Motivation und Leidenschaft für den Sport, die ihn dazu antrieben weiterzumachen. Zuvor hat er sich zurückgezogen, seinen Aufbau sorgfältig geplant, sich die Zeit genommen, die er brauchte. Er kam fit, mental frisch und mit weniger Druck denn je aus seiner Auszeit zurück. Sich eine Auszeit nehmen, auftanken und neu ausrichten sind bewährte Strategien, die auch im stressigen Berufsalltag neuen Aufwind schenken. Denn obwohl sich Routine und Erfahrung mit den Jahren mehren, scheint sich die Motivation manchmal zu verabschieden.
Roger Federer ist mental und körperlich frisch aus der Auszeit zurück.
Insbesondere gegen Ende der Berufstätigkeit können sich Ermüdungserscheinungen einstellen. Der berufliche Alltag ist anstrengend, bis zum Ende absehbar und bietet kaum Perspektiven. Dies obwohl die Arbeit vielleicht grundsätzlich zufrieden stellt, sinnvoll ist und Gestaltungsfreiheit gibt. Es gebe einem das Gefühl, in einem goldenen Käfig zu sitzen, sagte mir kürzlich ein befreundeter Berufsfachschullehrer.
Damit ändert sich die Zeitorientierung: Man denkt nicht mehr in Jahren nach der Geburt, sondern überlegt, wie viele Jahren noch bleiben. Die Wissenschaft spricht von einer eigenständigen, herausfordernden Lebensphase (siehe dazu z.B. Interviews mit der Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello).
Pubertät 2.0
In keiner anderen Lebensphase ist man so stark eingespannt und trägt in unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen so viel Verantwortung für andere wie in diesen Jahren. Dadurch fühlt man sich oft fremdgesteuert und die knappe Zeit reicht nicht mehr für sich selber. Eine Studie in über 80 Ländern zeigte auf, dass die Lebenszufriedenheitskurve für dieses Alter sogar die tiefsten Werte ausweist. Gewisse Fragen rücken in den Vordergrund: „Was mache ich noch mit dem Rest meines Lebens? War es das jetzt wirklich? Kommt noch was?“
Sich mit der eigenen Situation auseinander zu setzen und Erreichtes zu bilanzieren, drängt sich an diesem Punkt fast auf. Dabei geht es letztendlich um eine Justierung der Identität, bei der die bisherigen Bemühungen wieder mit den eigenen Bedürfnissen und ursprünglichen Lebensplänen in Relation gesetzt werden müssen. Selbstverantwortlich und proaktiv diese Lebensphase zu bewältigen hat sich dabei als erfolgversprechend erwiesen:
Den Prozess aktiv steuern statt Opfer der Umstände zu werden und
sich eigene Vorstellungen von der Zukunft schmieden und Strategien zur Umsetzung entwickeln.
Auch die Professionalitätsforschung geht davon aus, dass wichtige Kompetenzen des Lehrberufs erst im Verlauf der Berufskarriere entwickelt werden: in der aktiven Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen.
Standortbestimmung 2.0
Sich eine Auszeit nehmen, aus dem Alltag heraustreten, die eigene Situation hinterfragen, eigene Bedürfnisse erkennen, sich neue Ziele setzen und nächste Entwicklungsschritte planen. Man kann sich gut vorstellen, dass sich dies auch Roger Federer während seiner Verletzungspause zum Ziel gemacht hat. Kurz innehalten für eine Standortbestimmung lohnt sich allerdings schon vor einer Verletzung, bevor einen das Burnout dazu zwingt. Zur Regeneration und Neuausrichtung.
In der Lebensmitte können Herausforderungen in Beruf, Beziehung, Familie und die schwindenden körperlichen Ressourcen auslaugen.
Die dreitägige Standortbestimmung im Rahmen des Begleitprogramms zur Intensivweiterbildung (IWB) bietet eine Möglichkeit dazu. Etwa zehn bis zwanzig Lehrpersonen gehen auf Distanz zu Schule und Alltag und setzen sich mit der persönlichen Situation auseinander. Die Themen und Motive sind dabei so verschieden wie die Teilnehmenden selbst:
Gesundheitsprävention
Berufliche Weiterentwicklung oder Weiterbildungen
Verwirklichung von persönlichen Projekten
Anregungen und Impulse für die Zukunft
Meist sehen die Teilnehmenden dies als Chance für eine Entwicklung, von der sie in den kommenden Berufsjahren profitieren können.
Endlichkeit geniessen
In der Standortbestimmung werden wissenschaftliche Erkenntnisse und die Erfahrungen der PHZH mit bald 800 IWB-Absolventen diskutiert. Es wird Rückschau gehalten auf das bisherige Berufsleben, Einzelgespräche mit Laufbahnberatern geführt, die Gruppe vielfältig als Ressource genutzt, Einzel- und Gruppenarbeiten präsentiert und sich immer wieder auch informell ausgetauscht. Methodisch ist es am Zürcher Ressourcen Modell (ZRM) angelehnt, das zum Beispiel effektiv hilft mit Stress umzugehen oder unangenehme Pflichten leichter anzugehen, seinen wirklichen Bedürfnissen näher zu kommen oder ein gesünderes Leben zu führen (Überblick Wirkungsstudien hier).
Federer sagte im Interview nach seinem Sieg, dass ihm die Auszeit nicht nur geholfen habe zu regenerieren, sie habe auch seine Sicht der Dinge beeinflusst. Nach der Rückkehr sei er motivierter und spielfreudiger denn je gewesen. Je mehr der Endlichkeit der Karriere bewusst, desto mehr geniesst er sie. Wie wärs wenn wir das auch tun würden?
Die dreitägige Standortbestimmung im Toggenburg bildet den ersten Teil des Begleitprogramms der PHZH zur Intensivweiterbildung IWB. Sie ist auch für interessierte Lehrpersonen offen, die keine IWB absolvieren.
Der öffentliche Infoanlass zur IWBfindet am 16. März von 17:30 bis 19:00 an der PHZH statt.
Die IWB ist ein begleiteter Weiterbildungsurlaub, ausgerichtet an ihren individuellen Lernbedürfnissen und gleichzeitig dem Leistungsauftrag der Schule verpflichtet.
>>Blogbeitrag zur IWB von René Schneebeli
Beitrag von Philippe Wampfler, Gymnasiallehrer, Hochschuldozent und Experte für Lernen mit Neuen Medien.
Lernende erleben sich als wichtigeren Teil einer Lehrveranstaltung, wenn sie dazu aufgefordert werden, sie mit Social Media zu begleiten. Sie haben den Eindruck, ihre Bedürfnisse und Meinungen spielten eine grössere Rolle, wenn sie sie im Web 2.0 ausdrücken können. Eine Studie der Universität Hong Kong belegt dies etwa im Hinblick auf die Begleitung von Vorlesungen durch Blogs.
Aufgeblähte Ängste
Technisch ist z.B. eine Blogbegleitung problemlos umsetzbar. Dennoch ist der Einsatz von Social Media zu Lernzwecken an Hochschulen im deutschen Sprachraum noch immer selten – auch in der Weiterbildung. Der Diskurs um Social Media ist nicht zuletzt auch von wenig fundierten Ängsten und Polemiken geprägt, vergleiche die Debatten um «Digitale Demenz» und oder «Digital Detox». Wieso eigentlich?
Social Media: Digitale Demenz oder Doping fürs Hirn?
Menschen lernen seit jeher in Netzwerken. Gut sichtbar ist das am Arbeitsplatz, wo sich Gemeinschaften (Communities of Practice) unter den Fachkräften bilden. Diese bewältigen ähnliche Aufgaben und lernen deshalb intensiv informell. Lehrpersonen sind dafür ein gutes Beispiel – viele Methoden und Kompetenzen entwickeln sie im engen Austausch mit anderen.
Social Media als Fugenkitt
Diese oft unbewussten und unsichtbaren Lernprozesse sind eine zentrale Ressource für die Weiterbildung, weil sie langfristig wirksam und mit hoher Motivation verbunden sind. Social Media sind ihr Medium: Sie schaffen Lernumgebungen, die aus einem Mix aus Unterhaltung und Arbeit, privater und beruflicher Kommunikation, engen und losen Beziehungen bestehen. Die Lehrerin, die über Facebook über ihre Unterrichtsideen berichtet, erhält Feedback von anderen Lehrkräften, aber vielleicht auch von einer Erziehungwissenschaftlerin oder einem Sozialarbeiter. Kann sie an einer Weiterbildungsveranstaltung über ihre Lernaktivitäten auf Facebook sprechen, so vernetzen sich bei diesem Profil unter Umständen andere Teilnehmende. Der Austausch bleibt dadurch auf informeller Ebene erhalten und kann sich intensivieren, wenn Lerngelegenheiten auftauchen.
Aus der Perspektive der Lernenden in Weiterbildungen ist die Vorstellung einer persönlichen Lernumgebung (Personal Learning Environment) bedeutsam. Sie betont die Bedeutung der Individualisierung des Lernprozesses, der auch bei der Vernetzung eine Rolle spielt: Lernende dokumentieren ihre Lernprozesse im Austausch mit Fachpersonen und anderen Lernenden in selbstgestrickten Umgebungen. Social Media sind hier ein wichtiges Hilfsmittel, weil die von (Hoch-)Schulen angebotenen Lernmanagement-Systeme in ihrem geschlossenen Setting immer davon ausgehen, dass Lerngruppen homogen sind und langfristig bestehen bleiben. Gerade die Weiterbildung ist mit dieser Idee nicht kompatibel, denn Teilnehmende gehören zu vielen verschiedenen Lerngruppen. Sie brauchen Social Media, um einen Kitt zwischen verschiedenen geschlossenen Systemen herstellen zu können. So können sie Materialien und Beziehungen im richtigen Moment aktualisieren können.
Positive Erfahrungen sind nötig
Die Vorstellung, Schnittstellen in der Weiterbildung mit Social Media zu verknüpfen, ist nicht neu. Um aber eine angelsächsische Lockerheit im Umgang mit digitalen Medien auch im deutschen Sprachraum zu etablieren, braucht es viele positive Erfahrungen in einem professionellen Kontext. Das ist deshalb wichtig, weil nur experimentierfreudige Lehrende und Lernende innovative und sinnvolle PLEs aufbauen. Zu empfehlen ist ein Weg, auf dem kaum wahrnehmbare Stufen erklimmt werden können – hin zu offener, personalisierbarer digitaler Arbeit.
Mindmap-Darstellung einer PLE
Wenn möglich soll die Wahl der Tools und Formate den Lernenden überlassen werden. Dozierende regen einen Austausch über informelle und berufliche Lernprozesse an und bieten Angebote zur Verknüpfung unter den Lernenden an. Hilfreich ist dabei immer der Blick hin zu gut vernetzten Communities, die sich regelmässig austauschen. Wertvoll ist auch der Kontakt zu Fachleuten aus dem eigenen Bereich, die Social Media bewusst für ihre Persönlichen Lernumgebungen nutzen. Neue Lernerfahrungen mit Social Media sollen in der Weiterbildung systematisch angeregt, gewürdigt und reflektiert werden. Gerade weil es einen starken Diskurs gibt, der kritische Aspekte aufbläht, müssen erste Schritte unterstützt und begleitet werden.
Nicht nur Lern- sondern auch Marketing-Instrument
Wie eingangs betont, können Social Media Weiterbildungsteilnehmende dazu ermuntern, ihr berufliches und informelles Lernen in einem Blog und mit anderen Social-Media-Tools zu dokumentieren. So machen sie ihre Lernressourcen verfügbar und öffnen ihre Lernprozesse für Diskussionen. Eine solche kommunikative Offenheit ist für Institutionen, die sie unterstützen, kein Verlust, sondern ein wirksames Marketing-Instrument in ihrer Zielgruppe.