Portfolio schreiben: Probleme und Lösungsansätze

Beitrag von Alex Rickert und Yves Furer

Praktische Erfahrungen und Theorie schreibend verbinden

Viele Studiengänge an Fachhochschulen sehen nebst akademischen Ausbildungsteilen auch berufsbezogene Praktika vor – etwa in Schulen, Spitälern oder in Unternehmen. Die dort gemachten Erfahrungen sollen die Studierenden schriftlich verarbeiten und auf die theoretischen Inhalte des Studiums beziehen. Studierende an Fachhochschulen müssen also nicht nur wissenschaftlich, sondern auch reflexiv schreiben lernen. Hierfür eignet sich das Schreiben eines Portfolios. Unter einem Portfolio verstehen wir einen Text, in dem Studierende praktische Erfahrungen mit theoretischen Inhalten verbinden. Das Ziel solcher Texte ist, dass sich Studierende professionell weiterentwickeln und sowohl theoretisch fundiert als auch reflektiert über Probleme aus ihrer späteren Berufspraxis nachdenken. Doch das Schreiben eines solchen Textes ist alles andere als trivial und will gelernt sein.

Portfolio schreiben
Portfolio schreiben will gelernt sein.

Was sind die drei grössten Probleme beim Schreiben des Portfolios und wie können sie gelöst werden? Das Schreibzentrum der PH Zürich entwickelte einen freiwilligen Kurs für das Schreiben von Portfolios. Der Kurs begegnet drei Problemen mit schreibdidaktischen Methoden:

Problem #1: Das Portfolio stellt keine einheitliche Textsorte dar

Jeder Teil des Portfolios erfüllt eine andere Funktion, was das Kombinieren von verschiedenen Textsorten zur Folge hat. Die Studierenden sollen eine Praxiserfahrung schildern und daraus eine Problemstellung entwickeln. Der theoretisch orientierte Teil soll hingegen eine wissenschaftliche Argumentation enthalten und im reflektierenden Teil soll diese Argumentation auf die spätere Berufspraxis bezogen werden. Da diese «vermischte» Textsorte vielen Studierenden Schwierigkeiten bereitet, bietet sich folgende didaktische Massnahme an:

Ansatz: Vermitteln von Textstrukturwissen
Die Textstruktur des Portfolios wird transparent gemacht. Es wird besprochen, welche kommunikative Funktion wissenschaftliche Argumentationen, Reflexionen und andere Textteile haben und wie diese Teile miteinander verbunden sind. Mit Hilfe dieses Förderelements sollen die Probleme bei der Verknüpfung von einzelnen Textteilen angegangen werden.

Problem #2: Im Erfahrungsteil des Portfolios werden Erlebnisse aus dem Praktikum oft bloss nacherzählt, ohne dass eine Problemstellung fokussiert würde

Es fehlt häufig eine Analyse der Problematik, die in einer präzisen Fragestellung mündet. Daraus resultiert ein wenig differenzierter Blick auf Ursachen und Implikationen der Problemstellung. Ohne Fokus aus dem Erfahrungsteil sind die Studierenden jedoch nicht in der Lage, im Theorieteil eine eigene gedankliche Struktur zu entwickeln. Ein Graphic Organizer und explizite Strategievermittlung können da Unterstützung bieten.

Ansatz a: Einsatz von Graphic Organizer
Eine exemplarisch angeleitete Analyse einer Praxissituation hilft, eine präzise Fragestellung zu formulieren. Darauf aufbauend wird ein Graphic Organizer für den ganzen Portfoliotext erstellt, um die Relationen zwischen den Textteilen zu visualisieren. Dieser Graphic Organizer fungiert als Provisorium bzw. Zwischentext und bildet dadurch ein wichtiges Bindeglied der Lese- und Schreibprozesse und  hilft dabei, Texte zu strukturieren bzw. einen Schreibplan zu erstellen.

Ansatz b: Vermittlung von Lese- und Schreibstrategien
Beim Schreiben von Portfolioeinträgen benötigt man strukturierende mentale Aktivitäten, um sowohl lese- als auch schreibbezogene Ziele zu erreichen. Hierfür bietet sich die Vermittlung von Lese- und Schreibstrategien an. Beispielsweise wird das Lesen und Strukturieren der Literatur durch ein Kodiersystem unterstützt, das mit Farben arbeitet.

Problem #3: Theoretische Inhalte werden in einer additiven Struktur präsentiert

Zitate reihen sich an Zitate, so dass der Theorieteil zu einer Zusammenfassung verkommt. Viele Studierende fügen solange theoretische Themen aneinander, bis die geforderte Seitenzahl erreicht ist. Folgende Massnahme kann gegen dieses Problem in den Blick genommen werden:

Ansatz: Studieren von exemplarischen Textmodellen
Dieses Förderelement soll Studierende für gelungene Textprodukte sensibilisieren. Dafür werden prototypisch ge- und misslungene Texte (in diesem Fall: Portfoliotexte) analysiert und miteinander verglichen. Dieses Vorgehen kann helfen, das Problem der additiv und unverbunden wiedergegebenen Theorieteile sowie der mangelnden Informationsverknüpfung zu lösen. Zudem dient es der Entwicklung einer Fragestellung.

Ganz abgesehen von diesen Fördermassnahmen erscheint uns zentral, dass bei Dozierenden ein Bewusstsein dafür entsteht, wie komplex das Schreiben eines Portfolios ist. Sowohl wissenschaftliche als auch reflexive und berichtende Schreibhandlungen sind gefordert. Indem Dozierende Studierenden schreibdidaktische Strategien explizit vermitteln, fördern sie solche Kompetenzen.

Alex Rickert und Yves Furer beraten im Schreibzentrum der PH Zürich Dozierende und wissenschaftliche Mitarbeitende beim effizienten Anweisen, Begleiten und Beurteilen von studentischem Schreiben. 

Literaturhinweise:

Mehr zu Schreiben und Reflektieren finden Sie im Band 5 unserer Reihe «Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung»:
- Hermann, Thomas & Furer,Yves (2015): «Dokumentieren – Lernen –  Bewältigen: Funktionen und sprachliche Realisationen schriftlicher Reflexion.»
- Wyss, Corinne & Ammann, Daniel (2015): «Rundum reflektieren: Von der praktischen Erfahrung zum planvollen Handeln.»

Mehr zu wissenschaftlichem Schreiben von Studierenden:
- Rickert, Alex (2017): «Themenorganisation in Seminararbeiten: Eine Analyse mit schreibdidaktischen Empfehlungen.» In: Doing Applied Linguistics: Enabling Transdisciplinary Communication. Festschrift Urs Willi, hrsg. v. Daniel Perrin und Ulla Kleinberger, 1-15 (Zusatzbeitrag). Berlin: de Gruyter.

Zu den Autoren

Alex Rickert ist Dozent an der PH Zürich und Leiter des Schreibzentrums.

 

Yves Furer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Schreibzentrum.

 

Redaktion: ZBU

Feedback: Von der Korrektur zur Selbstregulation

 

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Beitrag von Georgeta Ion

Welches sind die wichtigsten Einflussfaktoren für erfolgreiches Lehren und Lernen? Und wie können wir sie beeinflussen? Hattie (2009) verglich im Rahmen der grössten Meta-Meta-Analyse über Lehren und Lernen 138 Einflüsse auf die Leistungen der Schüler. Diese Untersuchung basiert auf Daten von 83 Millionen Schülern; mit einer durchschnittlichen Effektgröße von 0,79 (doppelt so hoch wie der Durchschnittseffekt) befindet sich Feedback in den Top 10 der 138 untersuchten Einflussgrössen.

Deshalb dürfen wir Feedback als einen der wichtigsten Aspekte des Lehr- und Lernprozesses betrachten. Aber es stellen sich weitere Fragen:

  • Sind alle Arten von Feedback gleich wirksam?
  • Was zeichnet ein gutes Feedback aus?
  • Können nur Lehrpersonen lernwirksames Feedback geben?
  • Ist nur das Erhalten von Feedback lern wirksam oder können Studierende auch etwas lernen, indem sie selbst anderen Studierenden Feedback geben?

Dies sind nur einige der Themen, die im Kurs «Feedback und Feedforward: Das Lernen steuern» behandelt werden.

Was ist Feedback und warum sprechen wir darüber?

Häufig wird Feedback definiert als Massnahme, die ein Gegenüber ergreift, um jemandem Informationen darüber zu geben, wie sie/er eine Aufgabe löst (vgl. z.B. Kluger and DeNisi, 1996). Dabei werden die Leistung, der erzielte Erfolg oder die Einstellung zum vermittelten Thema hervorgehoben.

Feedback

Hattie & Timperley (2007) hingegen konzentrieren sich auf das Potenzial, das Feedback für die Bewältigung zukünftiger Aufgaben mit sich bringt. Sie betrachten Feedback daher als Information, die darauf abzielt, die Kluft zu verringern zwischen dem, was jetzt ist, und dem, was sein sollte. Solches Feedback kann auf verschiedene Arten und in verschiedenen Formen erfolgen, etwa:

  • indem Studierende Einblicke in kognitive Prozesse erhalten,
  • durch das Restrukturieren von mentalen Konzepten,
  • durch das Rückmelden, ob die Studierenden richtig (oder falsch) liegen,
  • indem die Studierenden darauf hingewiesen werden, dass noch mehr Wissen bzw. Informationen für die Bewältigung einer Aufgabe nötig wären,
  • durch das Erläutern alternativer Strategien zur Lösung eines Problems oder zur Bewältigung einer Aufgabe.

Wozu ist Feedback gut?

Wie erläutert ist Feedback ein Katalysator für das Lernen. In der Hochschullehre gibt es jedoch Diskrepanzen zwischen der Wahrnehmung des Feedbacks durch Schülerinnen und Schüler und jener durch Dozierende (Boud and Molloy, 2013). Nach Ansicht der Studierenden kommt das Feedback oft zu spät, um nützlich zu sein. Zudem fehlt ihnen oft die Möglichkeit, Feedback in zukünftige Aufgaben zu integrieren. Aufgrund dieser Probleme und anderer Schwierigkeiten erleben Studierende wie Dozierende während Feedbackprozessen oft eine gewisse Frustration.

Feedback zu geben ist also keine leichte Aufgabe. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein. Das gilt auch für das Gestalten von Lehr-Lern-Settings, die Peer-Feedback ermöglichen sollen. Beides erfordert Zeit, Engagement und Wissen darüber, wo die Studierenden stehen und was sie beschäftigt. Hilfreich sind dabei zum Beispiel die folgenden sieben Prinzipien, die Nicol und Macfarlane-Dick (2006) formuliert haben. Ihnen zufolge beinhaltet gute Feedback-Praxis folgende Aspekte:

  • Sie hilft zu klären, was eine gute Leistung ist (Ziele, Kriterien, erwartete Standards);
  • Sie fördert eine angemessene Selbsteinschätzung (Reflexion) beim Lernen;
  • Sie liefert den Studierenden qualitativ hochwertige Informationen über ihr Lernen;
  • Sie unterstützt den Dialog über das Lernen zwischen Dozierenden und Studierenden sowie von Studierenden untereinander;
  • Sie fördert positive motivationale Überzeugungen und das Selbstwertgefühl der Studierenden;
  • Sie bietet Möglichkeiten, die Lücke zwischen aktueller und gewünschter Leistung zu schliessen;
  • Sie ermöglicht es Dozierenden, Informationen zu erhalten, die sie für die Gestaltung des Unterrichts nutzen können.

Selbstregulierung als Hauptziel

Hattie (2011) unterscheidet verschiedene Ebenen, die durch Feedback angesprochen werden können:

  • Aufgabenorientiertes Feedback – Wie gut ist die Aufgabe erfüllt, ist die Lösung richtig oder falsch?
  • Prozessorientiertes Feedback – Welches sind die Strategien, die verwendet werden, um die Aufgabe zu erfüllen; gibt es alternative Strategien, die verwendet werden können?
  • Feedback zur Verbesserung der Selbstregulierung – Wie können Studierende ihre Lernaktivitäten überwachen und steuern?

Feedback zur Optimierung der Selbstregulierung ist die komplexeste Ebene. Solches Feedback steht im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit des Lernprozesses (Hounsell, McCune, Hounsell, & Litjens, 2008), aber es ist weder einfach zu formulieren noch leicht zu verstehen oder umzusetzen.

Feedback: Dialogisches Lernen auf einer Lernplattform
Dialogisches Lernen mit Hilfe einer Online-Plattform ist eine Möglichkeit, eine hochwertige Feedbackschlaufe zu etablieren (Zimmermann 2014, S. 21-25).

Proaktiv statt reaktiv

Peer-Feedback scheint besonders vorteilhaft für die Selbstregulierung der Lernprozesse durch die Studierenden zu sein. Es wird von Lernenden mit gleichem Status angeboten und kann nicht nur als Gegenstück zum Feedback zur Dozierende, sondern auch als eine Art formative Bewertung und als Art des kollaborativen Lernens betrachtet werden.

Darüber hinaus zeigen aktuelle Studien an Universitäten auch, dass das proaktive Feedback, das als Feedforward bezeichnet wird (Boud & Molloy, 2013), tendenziell noch nützlicher ist. Es konzentriert sich auf zukünftige Möglichkeiten (und weniger auf vergangene Leistungen), um die Selbstregulierung der Schüler zu verbessern und den Lernprozess anzuregen.

Wie wir sehen können, ist Feedback kein einfacher, sondern ein komplexer Prozess. Sowohl Lehrende als auch Lernende stehen bei der Umsetzung vor einigen Herausforderungen. Dennoch regt Feedback den Dialog in den Klassenzimmern an, macht Interaktionen lebendiger, erhöht die Partizipation der Lernenden, sensibilisiert sie für ihr Lernen und motiviert sie, aktiv an einem Prozess teilzunehmen, in dem sie die zentrale Rolle einnehmen.

Georgeta Ion gibt am 16.3.2018 am ZHE einen Kurs zum Thema Feedback und Feedforward: Das Lernen steuern. Es gibt noch freie Plätze.

Zur Autorin

Portrait Georgeta IonProf. Dr. Georgeta Ion, Dozentin am Departement für Angewandte Pädagogik, Universitat Autonoma de Barcelona (UAB).
Übersetzt ins Deutsche durch Tobias Zimmermann.

Redaktion: TZM und ZBU

Feedback: From correction to self-regulation

 

Blogbeitrag auf Deutsch lesen

Contribution by Georgeta Ion

What are the most influential factors contributing to successful teaching and learning? Are they all in our hands? In the biggest meta-meta-analysis performed yet in education, Hattie (2009) assessed 138 influences on student achievement, based on data from 83 million students. With an average effect-size of .79 (twice the average effect of all other schooling effects), feedback is placed in the top 10 influences on achievement.

This allows us to consider feedback as one of the most important aspects of the teaching and learning process. But, we can’t help to wonder:

  • Are all types of feedback equally effective?
  • What are the characteristics of a good feedback?
  • Can only teachers give feedback that is effective for learning?
  • Is only receiving feedback beneficial for student’s learning or can students also learn when they are actively giving feedback to other students?

These are only some of the issues addressed in the course Feedback und Feedforward: Das Lernen steuern.

What is feedback and why do we talk about it?

Frequently, feedback is defined as «actions taken by an external agent to provide information regarding some aspect(s) of one’s task performance» (e.g. Kluger and DeNisi, 1996). Thus, performance, achievement, or the attitudes about the topic being taught are emphasized.

Feedback

Hattie & Timperley (2007), on the other hand, focus on the potentialities feedback implicates for the tackling of future tasks. Thus, they consider feedback to be information that aims to reduce the gap between what is now and what should or could be. Such feedback can be provided in many ways and forms such as

  • by providing students with insights into cognitive processes
  • restructuring understandings
  • confirming to students that they are (in)correct
  • indicating that more information is available or needed or
  • giving alternative strategies to solve a problem or tackle a task.

What is feedback good for?

As discussed, feedback is a catalyst for learning. However, in higher education, there are discontinuities between students’ and teachers’ perceptions of feedback (Boud and Molloy, 2013). According to students, feedback often arrives too late in order to be useful. Moreover, they often lack an opportunity to integrate feedback into future tasks. Because of these problems and other difficulties, both students and teachers often experience a certain amount of frustration during feedback processes.

Therefore, it is important to be aware that giving feedback is not an easy task. This also applies to organizing educational settings aimed at facilitating peer feedback. Both requires time and effort and a good knowledge of the students. For example, the following seven principles formulated by Nicol and Macfarlane-Dick (2006) are helpful. According to them, «good feedback practice

  • helps clarify what good performance is (goals, criteria, expected standards);
  • facilitates the development of self-assessment (reflection) in learning;
  • delivers high quality information to students about their learning;
  • encourages teacher and peer dialogue around learning;
  • encourages positive motivational beliefs and self-esteem;
  • provides opportunities to close the gap between current and desired performance;
  • provides information to teachers that can be used to help shape teaching».

Self-regulation as ultimate purpose of feedback

Hattie (2011) distinguishes different levels that can be addressed by feedback:

  • Feedback oriented to the task – how well has the task been performed; is it correct or incorrect?
  • Feedback focused on the process – what are the strategies needed to perform the task; are there alternative strategies that can be used?
  • Feedback enhancing self-regulation – how can students monitor and direct their learning activities?

Feedback aimed at enhancing self-regulation is the most complex level. It is associated to the sustainability of the learning process (Hounsell, McCune, Hounsell, & Litjens, 2008), but it is neither easy to formulate nor easily understood or implemented.

Feedback: Dialogisches Lernen auf einer Lernplattform; dialogic learning on a learning platform
Dialogic learning supported by an online platform is one way to establish a high-quality feedback loop (cf. Zimmermann, Bucher & Hurtado 2010 for an English version of the graphic).

 

From action to proactivity

Peer-feedback appears to be especially beneficial for student’s self-regulation of their learning processes. It is provided by equal status learners and can be regarded not only as the counterpart of teacher feedback, but also as a type of formative assessment, and as a way of collaborative learning.

In addition, recent studies at universities also demonstrate that the proactive feedback called feedforward (Boud & Molloy, 2013) tends to be even more useful. It focuses on future possibilities (and less on past performance) in order to enhance students’ self-regulation and to stimulate the learning process.

As we can see feedback is not a straightforward process, but a complex one. Both teachers and students face some challenges in its implementation. Nevertheless, feedback stimulates dialog in classrooms, making interactions more alive, enhancing students’ participation, making them more aware about their learning and motivating them to be an active part of a process in which they are occupying the central role.

Georgeta Ion will give a course on Feedback with the title «Feedback und Feedforward: Das Lernen steuern» at the ZHE on 16 March 2018. There are still places available.

About the Author

Portrait Georgeta IonGeorgeta Ion is currently lecturer at the Department of Applied Pedagogy of the Universitat Autònoma de Barcelona (UAB).

 

Edited by TZM and ZBU

Wettbewerb: Weiterbildung an Hochschulen

Beitrag von Tobias Zimmermann

Machen Sie mit bei unserem Wettbewerb: Stellen Sie eine Frage für die Diskussionsrunde an der Vernissage des Bandes «Weiterbildung an Hochschulen. Über Kurse und Lehrgänge hinaus» – und gewinnen Sie ein Exemplar des Buches!
Dort werden die Beitragsautor/-innen Katrin Kraus, Irena Sgier und Philippe Wampfler  mit Tobias Zimmermann über Gegenwart und Zukunft der Weiterbildung an Hochschulen diskutieren.

Hypothesen zur aktuellen Situation

«Lebenslanges Lernen» ist in aller Munde und hat auch diesem Blog seinen Namen gegeben. Seit der Wende zum 21. Jahrhundert ist es das Leitkonzept in der Weiterbildung, wenn nicht für das gesamte Bildungswesen. Es zielt darauf, dass alle Menschen die lebenslange Perspektive ihrer Lernprozesse selber lenken. Das erfordert auch strukturelle Anpassungen des Bildungssystems bezüglich Übergängen, Zugängen, Anrechnungen, aber auch der didaktischen Gestaltung.

Weiterbildung an Hochschulen: Herausgebende
Tobias Zimmermann, Geri Thomann & Denise Da Rin (Herausgebende)

Angesichts der Beliebtheit des Begriffs wäre zu vermuten, dass das Konzept des lebenslangen Lernens gerade auf die Weiterbildungslandschaft grossen Einfluss ausübt. Im Widerspruch stellen die Herausgebenden von «Weiterbildung an Hochschulen» folgende Hypothesen auf:

  • Die Verbindung zwischen konsekutivem Studium und Weiterbildung ist vielerorts nicht gegeben.
  • Es sind wenige Verbindungen zwischen Weiterbildung und Beratung auszumachen.
  • Die meisten Weiterbildung erfolgen nach wie vor schwergewichtig in Form von Präsenzunterricht.
  • Leistungsnachweise orientieren sich oft an aus dem Grundstudium bekannten Formaten wie Closed-Book-Klausuren oder schriftlichen Arbeiten.
  • Das Weiterbildungsangebot an Hochschulen ist in den letzten 20 Jahren stark gewachsen, wobei die Grösse der Nachfrage unklar bleibt.*

Weiterbildung an Hochschulen: offene Fragen

Diese Hypothesen führten zu den zentralen Fragestellungen für «Weiterbildung an Hochschulen. Über Kurse und Lehrgänge hinaus»:

  • Was macht wissenschaftliche Weiterbildung gegenüber anderen Bildungsformen aus?
  • Wie kann der Transfer von Weiterbildungen an Hochschulen in die Berufspraxis begünstigt werden?
  • Welche Formate, Methoden und Medien unterstützen ein lebenslanges Lernen – von der Anerkennung bereits erworbener Kompetenzen über die Kombination von Weiterbildung und Beratung bis zum Einbezug von digitalen «Personal Learning Environments»?

Über 20 Autorinnen, Autoren und Gesprächspartner liefern im vorliegenden Band ein breites Panoptikum des aktuellen Standes und zukunftsweisender Möglichkeiten. 

Wettbewerb

An der Buchvernissage möchten wir mit drei Autorinnen (siehe oben) sowohl Gegenwart als auch Gestaltungsmöglichkeiten der Weiterbildung an Hochschulen diskutieren. Schlagen Sie uns spannende Fragen zu Aspekten der Weiterbildung an Hochschulen vor! Die oben formulierten Hypothesen und Fragen mögen Anregungen dazu liefern, vielleicht haben Sie aber auch ganz andere Ideen? Schreiben Sie sie einfach in die Kommentarbox zu diesem Beitrag.

Die spannendsten Fragen werden an der Vernissage gestellt, und die Fragesteller erhalten zum Dank ein Exemplar von «Weiterbildung an Hochschulen. Über Kurse und Lehrgänge hinaus».

Weiterbildung an Hochschulen. Über Kurse und Lehrgänge hinaus (Hrsg. Tobias Zimmermann, Geri Thomann & Denise Da Rin). ist der siebte Band der Reihe «Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung».

Eine Rezension des Buches ist in der Zeitschrift «Die Hochschullehre» erschienen.

Weitere Blogbeiträge zum Buch:
>> Demenz oder Doping? Social Media in der Weiterbildung
>> Weiterbildung wirksam gestalten (erscheint am 27.2.2018)

Zum Autor

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Tobias Zimmermann ist Dozent für Hochschuldidaktik und leitet die ZHE-Geschäftsstelle.

 


* Verlässliche Zahlen zum Umfang des Weiterbildungsangebots und zu Teilnehmendenzahlen an Schweizer Hochschulen liegen leider keine vor, da weder in der Schweiz noch in Deutschland bis heute aufseiten der Anbieter eine nationale Statistik erhoben wird (vgl. SKBF 2014, S. 266 und Kamm et al. 2016, S. 140).

Das Semester mit Schwung abschliessen

Beitrag von Ulrike Hanke

Wie profitieren Ihre Studierenden und Sie vom Semester-Abschluss?

Fast geschafft: Das Semester neigt sich dem Ende entgegen. Ihre Studierenden und Sie steuern bereits auf die Prüfungen und Klausuren zu. Als Dozentin stelle ich mir da verschiedene Fragen:

  • Wie gestalte ich den Abschluss der Lehrveranstaltung?
  • Wie profitieren die Studierenden am meisten vom Semesterende?
  • Wie unterstütze ich meine Studierenden bei der Vorbereitung der anstehenden Klausuren oder abzugebenden Leistungsnachweise?
  • Und wie erhalte ich nützliches Feedback, um mich und meine Lehre weiterzuentwickeln?

Mit dem «Marktspaziergang», auch «Markt der Möglichkeiten» genannt (siehe Infografik) stelle ich eine Methode vor, die sich sehr gut für den Abschluss von Lehrveranstaltungen eignet und die genannten Anliegen verbindet. Der Marktspaziergang bietet die Möglichkeit, das Semester mit all seinen Lehrinhalten Revue passieren zu lassen. Dabei wiederholen und elaborieren die Studierenden die Inhalte des gesamten Semesters, können Lücken aufdecken und Fragen stellen, damit sie bestmöglich für eine Prüfung oder andere Leistungsnachweise gerüstet sind. Und Sie als Dozierende erhalten mit dem Marktspaziergang Feedback und erfahren beispielsweise, welche Themen Ihren Studierenden schwer gefallen sind oder was Ihnen bei der Planung einer nächsten Lehrveranstaltung nützlich sein kann.

Infografik Marktspaziergang
Infografik Marktspaziergang

Wie funktioniert der Marktspaziergang?

  1. Teilen Sie Ihre Studierenden in so viele Gruppen auf, wie Sie grosse Themenblöcke in Ihrer Lehrveranstaltung behandelt haben.
  2. Jede Gruppe hat die Aufgabe, einen Marktstand (Poster, selbsterklärende Präsentation auf einem Laptop oder Tablet, Pinnwand o.ä.) zu gestalten, der die zentralen Aspekte dieses Themenblockes auf den Punkt bringt.
  3. Anschliessend werden die Marktstände so hergerichtet, dass der Marktspaziergang beginnen kann. Die grundlegende Idee des Spaziergangs ist, dass sich alle Studierenden nochmals mit allen Themen beschäftigen und allfällige Fragen geklärt werden können. Dabei kann man unterschiedlich vorgehen:

Varianten

Variante 1:
Sie gehen mit Ihren Studierenden als ganze Gruppe von Stand zu Stand, wobei die jeweils für den Stand verantwortliche Gruppe ihre Ergebnisse präsentiert. Klären Sie anschliessend Fragen, bevor Sie dann gemeinsam zum nächsten Stand gehen.
Wichtig: Nur bei kleiner Gruppe zu empfehlen. Bei einer grossen Gruppe können sich nicht alle alle gleichzeitig einen Stand ansehen.

Variante 2:
Die Studierenden gehen eigenständig und jede/r im eigenen Tempo über den Markt. In diesem Fall sollten Sie den Studierenden den Auftrag geben, auf «Beutezug» zu gehen, d.h. sich zentrale Erkenntnisse zu notieren, die sie zu den jeweiligen Themen für wichtig erachten. Gleichzeitig bitten Sie die Studierenden, allfällige Fragen zu notieren. Anschliessend klären Sie mit der gesamten Gruppe die aufgetretenen Fragen.
Wichtig: Fotografieren ist nicht erlaubt! Die Studierenden sammeln dann nur, sie verarbeiten die Information nicht, was keinerlei Lerneffekt hat.

Variante 3:
Kombinieren Sie beides: D.h. zuerst gehen alle alleine stöbern; dann gehen Sie gemeinsam von Stand zu Stand.

Variante 4 (mit Variante 2 kombinierbar):
Hier gehen alle Studierenden zunächst individuell oder in kleinen Gruppen auf Beutezug. Dabei steht pro Poster abwechselnd ein/e Studierende/r aus der betreffenden Gruppe für Fragen zur Verfügung. Diese Personen werden nach einer vorgegebenen Zeit ausgetauscht, damit alle Studierenden bei allen Stände vorbeigehen können. Anschliessend machen Sie den gemeinsamen Spaziergang oder treffen sich im Plenum, um Fragen zu klären.

Mögliche Aufgaben für den Spaziergang

Um den „Beutezug“, also den Spaziergang über den Markt auszubauen und den Lerneffekt zu verstärken, können Sie den Studierenden zusätzliche Aufgaben stellen: Sie lösen entweder Aufgaben zu den jeweiligen Ständen (z.B. potentielle Klausurfragen) oder formulieren gleich selbst zu jedem Marktstand eine mögliche Prüfungsfrage. Die Prüfungsfragen der Studierenden können Sie anschliessend auf Ihrer Lernplattform zur Verfügung stellen und kommentieren, ob es eine geeignete oder eher ungeeignete Prüfungsfrage ist. Die Studierenden haben somit auch gleich eine Probeklausur; und Sie könnten tatsächlich auch Fragen davon für die Klausur nutzen, wenn Sie möchten.

Poster präsentieren
Für die Besprechung der Marktstände gibt es verschiedene Varianten.

Ergänzung durch Evaluationsmethoden

Wenn Sie zusätzlich Feedback für Ihre eigene professionelle Weiterentwicklung möchten, dann ergänzen Sie vor dem Spaziergang jeden Stand mit einem Blatt/kleinen Poster mit einem lachenden und einem weinenden Smiley (Smiley-Methode). Sie bitten die Studierenden jeweils etwas Positives (lachender Smiley) und etwas Negatives (weinender Smiley) zu dem Teil der Lehrveranstaltung aufzuschreiben, in dem dieser Themenblock behandelt wurde.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass Sie insgesamt einen zusätzlichen Stand auf dem Markt integrieren und die Studierenden dort um Feedback bitten, z.B. mit der Smiley-Methode oder durch die Methode «Kofferpacken». Malen Sie hierfür auf zwei Flipchartpapiere jeweils einen Koffer und schreiben Sie in den einen Koffer «Was Sie (also die Studierenden) mitnehmen …» und in den zweiten «Was Sie dem/der Dozierenden mitgeben …». Bitten Sie die Studierenden Ihre Überlegungen in diese Koffer zu schreiben.

Fazit

Mit dem Marktspaziergang erfüllt Ihre Abschluss-Sitzung die Funktionen, den ganzen Lernstoff zu wiederholen, Lücken aufzudecken und Ansatzpunkte zur Verbesserung der Lehre zu sammeln.

Und ein persönlicher Kommentar von mir: Diese Methode einzusetzen macht grossen Spass. Während der ganzen Sitzung herrscht ein grosses Treiben, alle sind aktiv und es kommt immer wieder zu Aha-Erlebnissen bei den Studierenden, was die Stimmung kontinuierlich steigen lässt.

Viel Spass also damit und ein gutes und halbwegs entspanntes Semesterende!

Tipps für den Einstieg in Lehrveranstaltungen gibt Ulrike Hanke im Blogbeitrag «Der Anfang macht's: Methoden für den Einstieg»

Ulrike Hanke gibt am ZHE u.a. das Modul «Gestalten von Lehr-Lernarrangements». Dieses wird sowohl im Rahmen des Kursprogramms Hochschuldidaktik vertieft als auch im Rahmen des CAS Hochschuldidaktik angeboten.

Zur Autorin

Ulrike HankeUlrike Hanke ist Dozentin und Beraterin für Hochschuldidaktik und als Kurs- und Modulleiterin für das ZHE tätig.

 

Redaktion: ZBU

Digitalisierte Arbeit: Von Initiative + Unplanbarem

Erik HaberzethErik Haberzeth ist Inhaber der Professur für Höhere Berufsbildung und Weiterbildung am ZHE der PH Zürich und forscht zum Thema Digitalisierung der Arbeit.

 

Wieder einmal wird intensiv über die Stellung des Menschen gegenüber der Maschine und in Automatisierungsprozessen diskutiert. Die Kernfrage ist: Kommt es zu einer Dequalifizierung durch digitale Technik oder gar zu einem Ersatz menschlicher Arbeit? Oder bleibt menschliches Arbeitsvermögen doch unersetzlich? Kann sinn- und identitätsstiftende, also letztlich «gute Arbeit» erhalten oder gar ausgebaut werden?

Menschliches Arbeitsvermögen und digitalisierte Arbeit

Dieser Problemkomplex ist natürlich alles andere als neu. Bereits das Cover der «Spiegel»-Ausgabe vom 1. April 1964 zeigt einen alles könnenden, vielarmigen, mit Augen, Ohren und Hirn ausgestatteten Roboter, der den kleinen und hilflosen Menschen mit seinem Fuss wegkickt (siehe Hessler, 2014). Allen damaligen und seither immer wiederkehrenden Befürchtungen zum Trotz ist uns aber die Arbeit bis heute nicht ausgegangen.

Industrieroboter
Digitalisierte Arbeit in der Automobilindustrie: Fast wie auf dem berühmten Spiegel-Cover?

Es stimmt zwar, dass sich der Schweizer Arbeitsmarkt aktuell in einer guten Ausgangslage befindet und von der Digitalisierung vermutlich profitieren wird (vgl. Mitteilung Bundesrat vom 08.11.2017). Zur Wahrheit gehört aber auch: Dem einzelnen Beschäftigten, der seinen Arbeitsplatz durch Automatisierung verliert oder dessen Beruf nicht mehr benötigt wird, ist es ein schwacher Trost, wenn die Beschäftigungslage im Allgemeinen stabil ist. Und ein Selbstläufer ist eine positive Entwicklung sicherlich nicht: Gerade eine gute Job-Qualität muss aktiv gestaltet werden. Dabei spielt Weiterbildung eine zentrale Rolle. Ihre Rolle diskutieren wir auch an der Tagung «Digitalisierung und Weiterbildung» am 25. Januar 2018 an der PH Zürich.

Schweigendes Wissen

Mit dieser Perspektive forschen wir im Kooperationsprojekt  «Kompetenz 4.0» der Universität Hamburg und der PH Zürich. Die Besonderheit: Wir gehen in die Betriebe und unterhalten uns direkt mit den «normalen» Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, also mit denjenigen, die letztlich mit den digitalen Anwendungen umgehen müssen. Tatsächlich spielt die Sichtweise der Beschäftigten in der Diskussion um digitalisierte Arbeit bislang kaum eine Rolle. Meistens werden lediglich Unternehmens- oder Branchenvertreter um ihre Einschätzung gebeten, wie sich Arbeit wandelt und welche Kompetenzen wichtig werden; so gut wie nie aber die Beschäftigten selbst. Und das ist fatal, denn letztlich sind sie die Experten und Expertinnen ihrer Arbeit: Sie wissen aus einer Innensicht heraus, was es braucht, damit Arbeitsprozesse tatsächlich effizient laufen. Viele funktionierende Arbeitsprozesse beruhen nämlich auf dem «schweigenden Wissen» der Beschäftigten, das vom Standpunkt des externen Beobachters nicht einfach erkannt werden kann. Dazu gehören auch genuin menschliche Wissens- und Handlungsqualitäten wie Kreativität, Intuition und Initiative.

Bewältigung von Unplanbarem

Unsere Daten aus Logistik und Detailhandel zeigen: Ein solches menschliches Arbeitsvermögen ist unersetzlich bei der Bewältigung von Unwägbarkeiten und Unplanbarem (schon Böhle, 2005). Eigentlich müssten die technischen Systeme so gut wie alles regeln – tun sie aber nicht. Im Detailhandel beispielsweise gibt es automatische Bestellsysteme, die auf der Grundlage der Abverkaufszahlen Waren ordern. Das System ist aber nicht dazu in der Lage, Diebstahl, Defekte oder ein falsches Einscannen von Kunden zu erfassen. Zudem kann es «unberechenbare» Faktoren wie Wetter (z.B. Grillwetter!), Warenqualität oder Trends nicht hinreichend abbilden. Die Beschäftigten müssen korrigierend eingreifen. Es zeigen sich auch nicht-intendierte Effekte der Technik: So sind zum Beispiel Kunden an Selbstbedienungsgeräten ratlos oder es gibt technische Ausfälle (die Kasse blockiert, das Selbstbedienungsgerät friert ein, das WLAN fällt aus).

Digitalisierte Arbeit: Unplanbares im Detailhandel
Von technischen Ausfällen bis zum Grillwetter: Trotz digitalen Fortschritten gilt es Unplanbares flexibel und intuitiv zu bewältigen.

Entscheidend ist nun: Solche Unwägbarkeiten sind keine Ausnahme, sondern vielmehr die Regel und fester Bestandteil des Arbeitsalltags. Sie verursachen erhebliche Probleme in den alltäglichen Arbeitsabläufen und werden von den Beschäftigten immer wieder aufgefangen. Die Fachkräfte setzen dabei Gespür und Intuition, Kreativität, Entscheidungsflexibilität und Improvisationsfähigkeit ein. Dieses Vermögen basiert auf ausgeprägter Erfahrung und – das ist wesentlich – auf Arbeitsidentifikation: Die Beschäftigten identifizieren sich prinzipiell mit ihrer Arbeit und wollen «am Ende des Tages» gute Arbeit leisten. Deshalb ergreifen sie Initiative, bringen sich mit ihren Fähigkeiten, ihrem Gespür, ihrer Motivation ein und sorgen so für reibungslose Abläufe. Das ist auch für digitalisierte Arbeit zentral.

Fazit: Weiterbildung personalorientiert denken

Für die Arbeitsgestaltung und Weiterbildung heisst das: Es sind humane Arbeitsbedingungen notwendig, die sich u.a. durch Handlungsspielräume und Aufgabenvielfalt auszeichnen. Wird menschliche Subjektivität unterbunden, kann sich auch keine Initiative mehr entfalten. Die Weiterbildung darf folglich nicht zu einer anforderungszentrierten Anpassungsqualifizierung verkommen, bei der isolierte XY-Fähigkeiten – abgeleitet aus der Technikentwicklung – geschult werden. Natürlich ist nichts gegen die Schulung spezifischer Fähigkeiten und Kenntnisse zu sagen, wenn es gleichzeitig auch um Kompetenz geht. Es gilt Kompetenz als ein «ganzheitliches» Potenzial der Problembewältigung zu fördern, wie es in unserer Studie deutlich wird: Kreativität, Initiative und Intuition auf der Basis von Erfahrung und Identifikation.

Wenn dies die Perspektive der Weiterbildung ist, müssen von Anfang an Beschäftigte eingebunden werden. Dies beginnt bereits bei der Bedarfsanalyse von technischen Entwicklungen wie auch von Weiterbildung: Es geht darum, die Beschäftigten als Expertinnen und Experten ihrer eigenen Arbeit zu begreifen und ihre Erfahrungen von funktionierender und guter Arbeit aufzunehmen. Die Beteiligung muss aber weiterreichen bis zur Gestaltung von Arbeitssituationen und Arbeitsplätzen: Was brauchen die Beschäftigten, um ihr Potenzial einbringen zu können? Es kommt darauf an, den Vorrang der Technik aufzugeben und den Beschäftigten nicht nur eine «Lückenbüsserfunktion» zuzuweisen, nämlich dann einzugreifen, wenn Unplanbares auftaucht, sondern stattdessen einen «Kompetenzentwicklungspfad» einzuschlagen.

Haben Sie Interesse daran, Fragen von Digitalisierung, Weiterbildung und der Gestaltung von digitalem Lehren und Lernen weiterzudenken und zu diskutieren? Das können Sie an der Tagung «Digitalisierung und Weiterbildung» am 25. Januar 2018 an der PH Zürich. 

Erik Haberzeth bloggte bereits zum Thema «Weiterbildung 4.0: Was ist Trend, was ist Hype?».

Redaktion: ZBU

Backchannel: Dialog mit TodaysMeet

Caspar-Noetzli-sw

Beitrag von Caspar Noetzli, Dozent und Berater beim Digital Learning Center der PH Zürich.

Logo Caspar's Toolbox

 

In der Serie «Caspars Toolbox» stellt Caspar Noetzli zweimal jährlich eine bewährte App oder ein digitales Werkzeug vor, das sich im Unterrichtsalltag sinnvoll einsetzen lässt.

Leider hat der TodaysMeet-Service per Oktober 2018 seinen Dienst eingestellt. Als alternatives Tool zum Gestalten eines Backchannels empfehlen wir ein Padlet in der Darstellungsoption «Stream» zu benutzen.

Twitterwalls als Backchannel

An Tagungen und Konferenzen werden sogenannte Twitterwalls zur Förderung des Austausches zwischen den Teilnehmenden, den Referierenden und den Veranstaltern eingesetzt. Unter einem vorgängig festgelegten Hashtag (z.B. #gmw17) teilen die Konferenzbesucher ihre Eindrücke, Fragen und Rückmeldungen via Twitter. Die gesammelten Nachrichten (Tweets) können dann in Form einer Twitterwall mit einem Beamer für alle sichtbar gemacht werden und vermitteln so ein aktuelles Stimmungsbild. Auch Personen, welche gar nicht an der Tagung anwesend sind können diesen «Backchannel» verfolgen und sich an der Diskussion beteiligen. Ein Nachteil bei Twitterwalls ist jedoch, dass nur Personen mit einem Konto bei Twitter eigene Beiträge schreiben können.

«TodaysMeet» als Alternative in Lehrveranstaltungen

Das Online-Tool «TodaysMeet» bietet die Möglichkeit, eine «Twitterwall ohne Twitter» zu erstellen. An der Diskussion in einem TodaysMeet-Raum können sich alle beteiligen, die den Link kennen. Eine Anmeldung ist über Computer und Mobilgeräte ganz ohne Konto möglich.

Solche TodaysMeet-Räume sind rasch erstellt. Sie tragen wie beschrieben an Tagungen und Konferenzen, aber z.B. auch an internen Retraiten, Schulungen und Lehrveranstaltungen zur Erhöhung der Interaktion zwischen den Teilnehmenden bei. Überall dort, wo viele Personen sich über ein Thema verständigen und/oder wo ein Austausch über mehrere Stunden oder Tage dauert,  können solche Backchannels mit Gewinn eingesetzt werden. Diskussionen, Fragen, Anmerkungen, neue Themen – alle können sich über diesen Kanal einbringen. An einzelnen Hochschulen werden «Backchannels» bereits zu allen Lehrveranstaltungen angeboten.

TodaysMeet bietet eine sehr einfache und niederschwellige Lösung an, um einen Backchannel für die eigene Lehrveranstaltung zu realisieren. Im ScreenCast zeige ich, wie sich ein TodaysMeet-Raum einrichten und betreiben lässt und wie Inhalte für spätere Auswertungen archiviert werden können:

Screencast TodaysMeet
Screencast: TodaysMeet – ein einfacher «Backchannel» für Ihre Veranstaltung

Wir freuen uns über Kommentare, Fragen und Erfahrungsberichte hier im Blog oder direkt auf diesem Backchannel auf TodaysMeet.

Link

Website: TodaysMeet

Caspar Noetzli leitet für das ZHE zusammen mit Carola Brunnbauer den Kurs E-Didaktik. Dieser richtet sich primär an Lehrende an Hochschulen sowie der Erwachsenenbildung, ist aber auch für Lehrpersonen der Sekundarstufe 2 interessant.

Redaktion: ZBU

Weiterbildung managen: Wie viel ist genug?

Daniel BrodmannBeitrag von Daniel Brodmann, Dozent für Rechnungswesen und Betriebswirtschaftslehre; Modulleiter im Lehrgang CAS Führen in Projekten und Studiengängen an Hochschulen.

 

Zu wenig Anmeldungen – und jetzt?

Verärgert nimmt Lehrgangsleiterin Petra Schuler zur Kenntnis, dass ihr Zertifikatslehrgang nicht durchgeführt wird – zu wenig Teilnehmende. Nun muss sie die zehn angemeldeten Personen über die Absage des Lehrgangs informieren. Dabei hatte sie bis zuletzt gehofft, die Abteilungsleitung würde für die Durchführung des Lehrgangs grünes Licht geben, auch wenn diese stets betont hatte, dass es für die Durchführung mindestens 14 Teilnehmende brauche. Obwohl Petra Schuler nicht nachvollziehen kann, wie diese Zahl zustande kommt, findet sie, dass der Lehrgang auch mit zehn Teilnehmenden hätte durchgeführt werden müssen. Liegt sie damit aus betriebswirtschaftlicher Sicht richtig?

Nicht-Durchführungsentscheide hinterlassen Spuren

Die Absage von Bildungsangeboten ist heikel: Kunden, die eine Absage erhalten, berücksichtigen das nächste Mal vielleicht einen anderen Anbieter. Auch für das Image und die Mund-zu-Mund-Propaganda sind nicht durchgeführte Angebote ungünstig. Dennoch müssen sich Verantwortliche von Bildungsangeboten die Frage stellen, welche Mindestzahl an Teilnehmenden für eine Durchführung notwendig ist. Es scheint offensichtlich: Sind zu wenige Anmeldungen eingegangen, so ist eine wirtschaftlich erfolgreiche Durchführung nicht möglich. Es bleibt nur, den angemeldeten Personen den Entscheid der Nicht-Durchführung mitzuteilen und zu hoffen, dass diese Kunden der Bildungsinstitution trotzdem treu bleiben. Doch wie wird die Mindestteilnehmerzahl ermittelt?

Anmeldungen: Entscheiden sie alleine über die Durchführung?
Im Schraubstock des Budgets?

Ein Budget ist unerlässlich

Jedes Bildungsangebot muss kalkuliert werden: Die durch das Angebot verursachten Kosten und die wahrscheinlichen Erlöse sind festzuhalten. Lassen sich die Kosten gewöhnlich ohne grössere Schwierigkeiten ermitteln, so basieren die Erlöse meist auf einer Schätzung. Dabei wird die Teilnahmegebühr mit der Anzahl erwarteter Teilnehmender multipliziert. Resultiert aufgrund der Kalkulation ein negatives Ergebnis, ist zu prüfen, ob man Kosten senken oder die Teilnahmegebühr erhöhen kann. Oft haben sich die Angebotspreise nach dem Markt zu richten und lassen sich nicht beliebig erhöhen. Liegt die Kursgebühr deutlich über dem Marktpreis, so ist es wahrscheinlich, dass sich potentielle Kunden bei Mitbewerbern anmelden oder aber auf die Aus- bzw. Weiterbildung verzichten.

Kosten sind nicht gleich Kosten

Grundsätzlich gilt: Sind die Erlöse aus Teilnahmegebühren höher als die Kosten des Angebots, so kann dieses gewinnbringend durchgeführt werden. Resultiert aber aus der Kalkulation mit Vollkosten für das Bildungsangebot ein Verlust, so votieren viele für eine Absage des Kursangebots.

Doch liegen sie damit richtig? Nicht unbedingt. Aus finanzieller Sicht muss ein Verlust auf Ebene der Vollkosten nicht zwingend eine Absage des Angebotes bewirken. Vielmehr gilt es die Kosten genau zu betrachten und zwischen fixen und variablen Kosten zu unterscheiden.

Variable Kosten entstehen direkt durch die Angebotsdurchführung (z.B. Fotokopien für die Teilnehmenden, Honorare für externe Dozierende). Fixe Kosten dagegen fallen unabhängig von der Durchführung an. Kann eine Bildungsinstitution z.B. ihre Räumlichkeiten nicht auslasten, so muss sie die Raumkosten tragen, auch wenn in den Räumen keine Kurse stattfinden.

Der Deckungsbeitrag gibt Auskunft

Die Unterscheidung der Kosten macht deutlich, dass aus betriebswirtschaftlicher Optik die variablen Kosten auf jeden Fall gedeckt sein müssen; d.h. die Erlöse müssen mindestens gleich hoch wie die direkt durch das Angebot verursachten Kosten sein.

Und die fixen Kosten? Die Gesamtheit der Bildungsangebote muss auch die Fixkosten der Bildungsinstitution decken; ansonsten resultiert für die Bildungsinstitution ein Verlust. Für die Fixkostendeckung werden die Deckungsbeiträge der Angebote verwendet. Als Deckungsbeitrag bezeichnet man den Überschuss, der nach Abzug der variablen Kosten von den Erlösen verbleibt.

Grossgruppe
Nicht nur grosse Gruppen rechtfertigen die Durchführung einer Weiterbildung

Der Deckungsbeitrag aller Angebote muss mindestens gleich gross sein wie die fixen Kosten der Bildungsinstitution. Daraus wird ersichtlich, dass die einzelnen Angebote unterschiedlich hohe Beiträge an die fixen Kosten beisteuern können. Erwirtschaftet ein Angebot nur einen geringen oder keinen Deckungsbeitrag, so kann dies durch die Deckungsbeiträge der anderen Angebote kompensiert werden. Aus unternehmerischer Sicht kann man folglich – unter der Annahme genügend freier Ressourcen – auch ein Angebot durchführen, dessen Erlöse nur die variablen Kosten decken bzw. die dem Angebot zugerechneten fixen Kosten nicht decken. Die ungedeckten fixen Kosten muss die Bildungsorganisation in diesem Fall durch andere Angebote erwirtschaften.

Fazit

Auch eine tiefe Teilnehmerzahl kann die Durchführung des Bildungsangebots rechtfertigen, sofern dessen Erlöse mindestens die variablen Kosten decken oder gar einen Deckungsbeitrag erzielen! Die Zahl der Anmeldungen rechtfertigt für sich genommen weder die Durchführung noch die Absage eines Angebots.

Ob im Fall von Petra Schuler eine Durchführung wirtschaftlich vertretbar gewesen wäre, lässt sich ohne die Daten der Kalkulation nicht beurteilen. Doch zeigt das Beispiel, dass die Kalkulation eines Bildungsangebots zum Aufgabengebiet der Lehrgangsleitenden gehört und nicht delegiert werden sollte. Nur so können Angebotsverantwortliche Entscheide nachvollziehen und selbst vorbereiten.

Das Modul «Planen, Positionieren und Kalkulieren von Bildungsangeboten» von Daniel Brodmann findet am 9. + 10. März 2018 zum nächsten Mal statt.

Es kann als einzelner Kurs besucht werden, ist aber auch Teil des Lehrgangs CAS Führen in Projekten und Studiengängen an Hochschulen.

Redaktion: TZM

Ich berate. Dozieren Sie noch?

Monique HoneggerMonique Honegger ist Gründerin und Leiterin des Schreibzentrums der PH Zürich und arbeitet u.a. als Beraterin und Dozentin mit Dozierenden und Studierenden.


 

Lehrtätigkeiten haben mit Beraten zu tun. Dozieren bedeutet nicht, Wissen in Individuen abzufüllen – im Sinne des Nürnberger Trichters. Dozieren bedeutet, dass wir Studierende auf ihren Lernwegen begleiten und gegebenenfalls beraten. Nur so findet nachhaltiges Lernen statt, das über oberflächlichen Wissenserwerb hinausgeht. Darum lautet meine Antwort auf «Ich berate. Dozieren Sie noch?» folgendermassen: «Beraten und Dozieren spielen eng zusammen. Wir wirken als Dozierende zwischen Beraten und Dozieren

Dozierende beraten gern – Studierende dagegen…

Beraten und Dozieren gehören zusammen. Dozierende, die bewusst beraten, äussern sich weitgehend positiv. Sie schätzen es zu beraten: «Schön ist es, unmittelbar zu sehen, wie ein Lernender vorwärts kommt», so Dozent und Berater Peter Suter im Interview mit Dominique Eigenmann. Nervig sei es dagegen, wenn das Gegenüber regrediere und er als Dozent erlebe, dass er den Rucksack des zu beratenden Gegenübers tragen müsse. Eigenmann fragt weiter: «Erleben Dozierende beim Beraten auch, dass Lernende vorwärts eilen und man als Berater nicht mehr nachkommt?» Hierzu lachen und schweigen die befragten beratenden Dozierenden.

Interview Beraten Dozieren
Interview von Journalist Dominique Eigenmann mit Geri Thomann, Monique Honegger und Peter Suter, Herausgebende von «Zwischen Beraten und Dozieren».

Geri Thomann betont weiter im Interview, dass Freiwilligkeit beim Beraten zentral sei. Als Berater erlebt er Freiraum, wenn Klienten freiwillig kommen. Mitunter ist es jedoch – so Thomann – professioneller, wenn er neben der beratenden Funktion auch eine leitende einnimmt. Als Dozierende in klassischen obligatorischen, ECTS-geladenen Settings können wir nicht beraten, ohne zu leiten. Leiten bedeutet, Studierende anzuleiten und in Lernprozessen verbindliche Eckpunkte vorzugeben. Beraten wir hingegen ohne zu leiten, überlassen wir die Steuerungsfunktion denjenigen, die wir beraten.

Meistens wirken wir Dozierende – anders als freie Beratende – in Doppel- oder Dreifachfunktion: Wir beraten, (beg)leiten und beurteilen. Studierende ihrerseits nehmen die unterschiedlichen Funktionen der Dozierenden nicht immer wahr. Zwischen Ratschlag und Vorgabe zu unterscheiden fällt ihnen schwer: «Es ist nett, so toll beraten zu werden; was wirklich gilt, weiss ich nachher aber immer noch nicht.»

Einige Lernende wollen Beratung – andere die Lösung

Beraten ist eine Frage des Timings und Contractings. Manche Studierende wollen die Beratung und andere wollen die Lösung. Wir als Dozierende geben ihnen, was für ihren Lernprozess im Moment und in unser Lernkonzept passt. Es gehört zum Beraten, Lernenden an gewissen Lernstellen Vorgaben und Lösungen zu verweigern. Umgekehrt braucht es Fixpunkte: Etwa zum Start eines Arbeitsprozesses benötigen Studierende nicht nur offene Beratung, sie sind ebenso auf Leitplanken angewiesen. Es gilt fortlaufend innerhalb von Begleitprozessen zu klären, wann bewertungsrelevante Vorgaben gegeben werden und wann offen mitgedacht wird.

Ein Beispiel für den mitunter verwirrenden Stereoeffekt von Beraten-Begleiten sind «Leitfäden zur Erstellung» einer Bachelorarbeit. Neben formalen und inhaltlichen Vorgaben enthält ein solcher Leitfaden oft beratende Tipps, wie der komplexe Denk- und Schreibprozess angegangen wird. Studierende wie auch Dozierende sind jedoch teilweise überfordert mit seitenlangen gut gemeinten Handreichungen, die sowohl vorgeben als auch beraten. Damit diese Papiere mit Gewinn gelesen werden, lohnt es sich, schriftlich zwischen Beratung und leitendem Vorschreiben zu unterscheiden (zwei gute Büchlein in diesem Zusammenhang: Ammann & Hermann 2017 sowie Buff Keller & Jörissen 2015).

Wenn wir als Dozierende nur beraten, sind Fragen ein zentraler Ausgangspunkt: «Ich muss die Teilnehmenden in eine Situation bringen, in der Fragen auftauchen» (Peter Suter). Beraten meint, gegenüber, voneinander oder von sich selber lernen zu lassen; dabei als Dozierende mitzudenken und zu lernen. Oder umgekehrt formuliert: Antworten auf Fragen geben, die nicht gestellt werden, ist keine Beratung.

Grenzen und Zeiten von Beraten

Beraten wir als Dozierende nur und dozieren nicht, im Sinne von Zeigen einer Fachkompetenz, kann dies gerade im Tertiärbereich irritieren. Studierende schätzen manchmal nichtinstruierende und nichtreferierende Dozierende als weniger kompetent ein. Ähnlich wie beim unbegründeten und wenig lernorientierten Einsatz von Gruppenarbeiten, riskieren wir mit beratenden Einsätzen als Dozierende ratlos und zu prozessorientiert zu wirken. Um dies zu vermeiden, brauchen wir ein Beratungskonzept, Rollenklärung und die Geschichten der Lernenden.

 

https://www.youtube.com/watch?v=iU5YiDitutQ

Schlussspurt oder irgendwann ist mit der Beratung Schluss

Master- und Bachelorarbeiten zu beraten (beraten, begleiten, beurteilen) ist derjenige Prozess, den Dozierende häufig nennen, wenn sie sich selber als Beratende bezeichnen. Inhaltlich regen solche Begleitprozesse auch Dozierende an. Doch dies ändert häufig blitzartig, wenn sie vom Beraten zum Beurteilen wechseln müssen. Dies erleben Dozierende oft als unangenehm. Der Rollenwechsel muss geübt und den Studierenden angekündigt werden. Wir sollen uns nicht grämen, wenn wir letztendlich nach einem so anregenden Prozess eine produktorientierte Note setzen: «Es ist eben trotzdem professionell, nach einem Beratungsprozess bei Arbeiten in der beurteilenden Rolle zu erwachen» (Geri Thomann).

Gerade beim Finish vor Prüfungen oder von Arbeiten reagieren Studierende schockiert, dass plötzlich mit der Beratung Schluss ist. Wird der Wechsel angekündigt, erleben Studierende es positiver, lehrreich und fühlen sich zur Eigenständigkeit aufgefordert. Nach der Beurteilung gibt es nochmals Raum für Feedback, das abschliessend beratend auf neue Fragen der Studierenden eingeht und nach vorne blickt.

Zwischen Beraten und DozierenIn der zweiten überarbeiteten Auflage erscheint am 6. Oktober 2017 im hep Verlag «Zwischen Dozieren und Beraten». Neben Instrumenten zur Beratungsprofessionalisierung im Lern-Lehralltag bietet der Band Goodpractice-Beispiele aus diversen Hochschulen, einen Überblick zu Beratung/Begleitung von Gruppenprozessen und zu Schreiben im Zusammenhang von Begleiten/Beraten.

Monique Honegger ist am ZHE auch als Kursleiterin und Beraterin tätig: Arbeiten von Studierenden begleiten und beurteilen startet zum nächsten Mal anfangs 2018. 

Redaktion: ZBU, TZM

Leistungsnachweise: Prüfungen am Ende?

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Beitrag von Tobias Zimmermann, Dozent für Hochschuldidaktik und Leiter der ZHE-Geschäftsstelle.

 


Logo Urban Legend

Über das Lernen sind viele Behauptungen im Umlauf, auch an Hochschulen. Manche davon stimmen, andere nicht – und meistens ist die Realität komplexer. Gestaltet man Unterricht aufgrund falscher Annahmen über das Lernen, untergräbt man seine Wirkung. Deshalb nehmen wir in der Serie «Urban Legends» verbreitete, aber problematische Annahmen über Lehren und Lernen an Hochschulen unter die Lupe. 

 

Urban Legend:

«Leistungsnachweise gehören ans Ende einer Lehrveranstaltung, eines Studienjahres oder eines ganzen Lehrgangs. Schliesslich kennen die Studierenden ja erst dann den ganzen Stoff und haben genug Zeit zum Üben gehabt!»

Bei dieser verbreiteten Annahme spielt die Tradition eine wichtige Rolle, denn die meisten Lehrenden sind es sich aus ihrer Schul- und Studienzeit gewöhnt, dass Prüfungen den Abschluss einer bestimmten Lerneinheit darstellen. Dies widerspiegelt sich auch in vielen Curricula und Prüfungsordnungen, die Leistungsnachweise primär am Ende von Lehrveranstaltungen, Modulen oder Studiengängen vorsehen. Diese Tradition ist allerdings problematisch. Dies zeigt der folgende Blick auf die Ziele von Leistungsnachweisen und auf die Wirkung von Leistungsrückmeldungen. Er führt am Ende zu einer Revision der angeführten Urban Legend.

Weshalb wird geprüft?

Leistungsnachweise dienen nicht alle dem gleichen Zweck. Dies hat auch einen Einfluss auf den Zeitpunkt, an dem sie idealerweise erfolgen:

  • Soll abgeschätzt werden, wie geeignet jemand für ein Studium, eine Ausbildung etc. ist bzw. wie gut diese Person abschneiden dürfte?
    ⇒ Prognose, Eignungsdiagnostik (vor einer Lernphase, Schulstufe, einem Studiuim etc.)
  • Soll festgestellt werden, was die Studierenden in einem bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Fachgebiet gelernt haben?
    ⇒ Lernstandsdiagnose (während einer Lernphase, Schulstufe, eines Studiums etc.)
  • Soll eine Aussage gemacht werden, ob und wie gut jemand ein bestimmtes Studium, eine Schulstufe, Ausbildung etc. absolviert hat?
    ⇒ Qualifikation/Selektion (zum Abschluss einer Lernphase, Schulstufe, eines Studiums)

Selbstverständlich schliessen sich diese unterschiedlichen Ziele nicht grundsätzlich aus, z.B. sollen Qualifikationen auch einen prognostischen Wert haben. Dennoch steht bei den meisten Prüfungen/Leistungsnachweisen mehr oder minder deutlich einer dieser Zwecke im Vordergrund.

Leistungsnachweise im Hochschulalltag

Am häufigsten kommen im Hochschulalltag – entsprechend dem Mythos – Leistungsnachweise am Ende von Lehrveranstaltungen und Modulen vor. Durch sie wird darüber befunden, ob Lernende die Veranstaltung bestanden haben oder nicht. Dieser Zeitpunkt legt eigentlich nahe, dass es sich um Qualifikationen handelt. Die Leistungsnachweise sind in der Regel auch mehr oder weniger selektiv – dies ist stark abhängig von fachlichen und hochschulspezifischen Kulturen.

Wann sollen Leistungsnachweise erfolgen?
Wann sollen Leistungsnachweise erfolgen?

Der didaktische Sinn dieser Leistungsnachweise liegt allerdings primär in der Lernstandsdiagnose: Haben die Studierenden gelernt, was sie lernen sollten? Was können sie schon gut, worin können sie sich noch verbessern? Auch für die Lehrenden gibt das Abschneiden der Studierenden in Leistungsnachweisen ein wertvolles Feedback: Was haben die Studierenden gut verstanden? Wo waren der Unterricht, die Unterlagen, das didaktische Szenario nicht optimal und behinderten das Lernen?

Feedback erhalten UND umsetzen

Dienen Leistungsnachweise der Lernstandsdiagnose, ist es entscheidend

  1. dass die Studierenden erfahren, was sie bereits gut können und wo ihr Verbesserungspotenzial liegt, und
  2. dass sie ihr künftiges Lernen auch tatsächlich gemäss diesen Erkenntnissen gestalten.

Es geht hier also um das Feedback bzw. die Leistungsrückmeldung und eine darauf aufbauende Handlungssteuerung durch die Lernenden. Feedback kann durch Lehrpersonen, aber auch durch Mitstudierende/Peers oder in Form einer Selbsteinschätzung erfolgen.

Gerade an Hochschulen, wo die Studierenden oft mit jeder Veranstaltung wieder neue Dozierende haben, ist es deshalb problematisch, wenn Lernstandsdiagnosen primär am Semester- oder Jahresende erfolgen. Denn zu diesem Zeitpunkt interessiert die Studierenden in der Regel nur noch, ob sie die Veranstaltung bestanden haben – zumal sie im folgenden Semester, bei neuen Dozierenden und neuen Veranstaltungsthemen, wenig Möglichkeiten haben, etwaige Erkenntnisse aus den Leistungsrückmeldungen umzusetzen.

Erschwerend kommt ein psychologisches Moment hinzu: Wenn Lernende Noten oder Prädikate wie «bestanden/nicht bestanden» erhalten, interessieren sie sich deutlich weniger für zugleich erhaltenes inhaltliches Feedback. Beispielsweise lautet der Gedanke angesicht einer genügenden Note «uff, ich habe bestanden», und das unter erheblichem Aufwand verfasste schriftliche Feedback der Dozentin wird in erster Linie als Beleg einer seriösen Bewertung überflogen (vgl. Gibbs & Simpson 2004). Vertieft betrachtet oder zur Steuerung künftigen Lernens herangezogen wird es in diesem Fall aber kaum.

Formative Leistungsnachweise: Lernwirksamer als Abschlussprüfungen

Wenn Leistungsnachweise nicht zu einer unwirksamen «Abprüferei» verkommen sollen, dürfen sie nicht nur am Ende von Lehrveranstaltungen etc. durchgeführt werden. Vielmehr sollen während eines Lernprozesses verschiedene, auch kleinere Formen von Leistungsnachweisen erfolgen, anhand derer Dozierende oder Mitstudierende ein Feedback zum Lernstand geben können. Man spricht dabei von formativen Leistungsnachweisen, weil sie das weitere Lernen formen bzw. den Studierenden helfen sollen, ihr künftiges Lernen zu steuern. Auch Selbsteinschätzungen und Selbstreflexionen der Studierenden können hier wertvoll sein.

Leistungsnachweise - Portfolio
Bei formativen Leistungsnachweisen ist das Feedback zentral

Wenn das Feedback nicht oder zumindest nicht immer mit Noten oder Prädikaten gekoppelt ist, dürfte es umso wirksamer sein. Denn dadurch steht der Umgang mit dem fachlichen Inhalt im Zentrum und nicht der Leistungsvergleich mit anderen Studierenden oder die Frage des (Nicht-)Genügens.

Urban Legend revisited

Die Urban Legend muss also differenziert werden:

Leistungsnachweise mit dem Ziel, das Lernen der Studierenden zu unterstützen, erfolgen idealerweise während einer Lehrveranstaltung. Wesentlich ist, dass die Studierenden anschliessend von den Lehrenden und/oder Mitstudierenden Feedback zu ihrem Leistungsstand erhalten. Darauf basierend können sie ihr weiteres Lernen steuern.
Leistungsnachweise am Ende einer Lernphase sind allenfalls dann sinnvoll, wenn sie eine qualifizierende Funktion haben, also eine Aussage darüber machen, wie gut eine Person ein Studium/eine Studienphase abgeschlossen hat. Kleinteilig am Ende einzelner Lehrveranstaltungen platziert, bleibt das lernförderliche Potential von Leistungsnachweisen hingegen ungenutzt.

Tobias Zimmermann leitet unseren CAS Hochschuldidaktik «Winterstart», der im Januar 2018 zum nächsten Mal startet. Er hat verschiedentlich zum Thema Leistungsnachweise publiziert - Auswahl:

- Zimmermann, T. (2014): Durchführen von lernzielorientierten Leistungsnachweisen. In Kompetenzorientierte Hochschullehre.
- Zimmermann, T. (2010). Online-Diskussionen als elektronische Leistungsnachweise.  In E-Assessment. Einsatzszenarien und Erfahrungen an Hochschulen.

Feedback ist zentral für die Steuerung des Lernens. Aktuell bietet das ZHE den Kurs «Feedback und Feedforward: Das Lernen steuern» mit einer international renommierten Expertin zum Thema an.
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