Heute keine Mittagspause! – Wie Medien Stress beeinflussen können

Beitrag von Peter Holzwarth

Häufig ist es mehrmals pro Tag fünf vor zwölf.

Teamsitzung am Mittag um 12 Uhr dann können die meisten. Danach ein Kurs, Mails beantworten in der Nacht. Die Überarbeitung des Konzepts ist fürs Wochenende geplant. Sport fällt aus, Ausschlafen liegt nicht drin. Das Resultat: jede Menge Stress. Und das, obschon der hohe Stresslevel in Industrieländern schon lange beklagt wird und die Ursachen keine Unbekannten sind. Stress erleben wir sowohl im Arbeitskontext als auch im privaten Bereich (Flexibilisierung, Beschleunigung, Zeitdruck, Mehrfachbelastung, Konkurrenzdruck, ungeklärte Sinnfragen). Krankmachender Stress ist zu einem zentralen, volkswirtschaftlich relevanten Problem geworden. Auch die moderne Medienkommunikation trägt ihren Teil dazu bei. Welche medialen Faktoren beeinflussen den Stress bei der Arbeit und in der Freizeit? Und wie lässt sich das eigene Medienhandeln gestalten, damit weniger belastender Stress entsteht?

Die Arbeit ist überall mit dabei

Es ist wichtig, das Phänomen Stress (vgl. Fachteam Gesundheitswissenschaften 2018, PH Zürich) umfassend in den Blick zu nehmen – nicht nur auf der individuellen Ebene, sondern auch im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen. Im Folgenden stehen die gesellschaftlichen Entwicklungen im Zusammenhang mit Medien im Fokus. Die Rolle, die Medien im Zusammenhang mit Stress spielen, sollte man sehr ernst nehmen, auch wenn einige aktuellere Publikation auf einen Diskurs verweisen, der von Dramatisierung und Sensationslust gekennzeichnet ist, z. B. «Digitale Depression» (Diefenbach & Ullrich 2016), «Digitaler Burnout» (Markowetz 2015) und «Digitale Demenz» (Spitzer 2015).

In ihrem Buch «ON-OFF. Risks and Rewards of the Anytime-Anywhere Internet» zitiert Genner eine Stressstudie aus Deutschland, in der bei den Stressquellen Informationsüberflutung und andauerndes Verbundensein an zweiter Stelle genannt werden, direkt nach Zeitdruck (Genner 2017, 94).

Stress im Alltag
Unterwegs auf Bahnhöfen zur Rushhour – die Arbeit reist selbstverständlich auf dem Handy oder dem PC mit.

Durch mobile Geräte und mobiles Internet können die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit nicht mehr so klar aufrechterhalten werden wie früher. Vorteile können darin bestehen, dass von zu Hause aus, im Zug oder in Cafés gearbeitet werden kann. Der Nachteil ist, dass eine für Regenrationsprozesse wichtige Abgrenzung nicht mehr so leicht erreicht wird. Im schlimmsten Fall beschäftigt einen die Arbeit auch am Feierabend, an Wochenenden und in den Ferien. Im wahrsten Sinne des Wortes trägt so manch eine/r die Arbeit jederzeit in Form eines mobilen Geräts mit sich in der Tasche herum.

Viele Arbeiten werden nicht zu Ende geführt

Während der Arbeit wird die Tätigkeit sehr oft durch Emails und sonstige Benachrichtigungen unterbrochen (vgl. Kullmann 2015): Arbeitnehmer fangen im Schnitt alle elf Minuten etwas Neues an, viele Arbeitsvorgänge werden nicht zu Ende geführt, weil sie von Mails, Anrufen oder Kollegen unterbrochen werden (vgl. Blog-Beitrag «Mehr Konzentration bitte!»). Kullmann drückt es so aus: «Über 50 Prozent eines Arbeitstages: wieder nur herumgewurschtelt. (…) «Mind-Wandering», wandernder Geist, nennen Psychologen das Phänomen: wenn man gedanklich nicht bei dem ist, was man gerade macht. Und es scheint, als sei der wandernde Geist kein besonders glücklicher» (Kullmann 2015, 105).

Stress durch engen Fahrplan
Im eigenen Fahrplan kommt es oft zu Verspätungen und viele angefangene Arbeiten werden nicht zu Ende geführt.

Eine weitere Ursache für Stress können medial kommunizierte Schönheitsideale und sexuelle Normen darstellen: «Porno-Stress» war der Name einer Fachtagung, die an der PH Zürich durchgeführt wurde. Es ging unter anderem um die Frage, wie Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit dem Druck umgehen, der durch Schönheitsnormen, stereotype Rollenbilder und normativ wahrgenommene sexuelle Aktivitäten in Pornofilmen entstehen kann. Hier stellen sich sowohl gesundheitsbezogene als auch ethische Fragen.

Auch in der Freizeit laufen viele Medienaktivitäten parallel zu anderen Handlungen im Hintergrund, z. B. Handynutzung während des Essens, Handynutzung während eines Gesprächs mit anderen Menschen, Handynutzung während des Fernsehens («Second Screen»). Ein potenzielles Problem bzw. ein Auslöser für Stress in der Freizeit können auch häufige soziale Vergleiche auf Social Media sein («FOMO – Fear of missing out»).

In diesem Kontext kann der Begriff «Glücksstress», den der Philosoph Wilhelm Schmid geprägt hat, eingeordnet werden (Schmid 2012, 64). Durch das Betrachten von Bildern anderer auf Social Media, die selektiv nur die schönsten Freizeit- und Urlaubsmomente zeigen, kann ein negatives Gefühl entstehen. Betrachterinnen und Betrachter, die sich im Vergleich als weniger glücklich wahrnehmen, können sich motiviert fühlen, mehr für ihr Glück tun zu müssen, was Druck und Stress erzeugen kann.

Ein kritisch-humorvoller Instagram-Beitrag bringt es folgendermassen zum Ausdruck: «Instagram: everyone is on vacation and having sex without you» (freeart.humaity, 6.5.2019).

Hinweise zum Umgang mit Stress

Der Umgang mit Stress und Belastung – nicht nur im Zusammenhang mit Medien – ist sehr individuell. Entsprechend gibt es auch nicht die eine hilfreiche Strategie. Im Folgenden sind deshalb einfach ein paar Ideen und Anregungen skizziert, die als Inspiration bzw. als eine Art Checkliste genutzt werden können.

  • Nein-Sagen üben und kultivieren
  • Nicht an alle zu erledigenden Dinge auf einmal denken
  • «Count your daily blessings»: Jeden Tag drei bis fünf Dinge notieren, die einem Freude gemacht haben oder die gelungen sind (zur Vermeidung der Fokussierung auf das Negative und Nicht-Gelungene)
  • Täglich eine Lichtdosis nehmen (Spaziergang im Licht – auch bei Wolken)
  • Positive Körpererfahrungen pflegen (Sauna, Massage, Wellness, Spaziergänge, Berührungen, Sexualität, Wannenbad etc.)
  • Urlaub bewusst gestalten (vgl. Steiner 2005), z. B. Urlaub ohne Besichtigungsdruck; Urlaub, bei dem man nicht immer neue Unterkünfte suchen muss
  • To-do-Liste führen, damit noch zu erledigende Dinge fixiert sind und einem nicht mehr durch den Kopf gehen
  • Soziale Kontakte pflegen (z. B. Mittagessen mit Arbeitskollegen statt Sandwich vor dem Computer)
  • Bewusste Abgrenzung gegenüber Störungen ermöglichen (z. B. phasenweise zu Hause arbeiten, Kopfhörer tragen, Absprachen treffen in Bezug auf Gespräche im Büro)
  • Dysfunktionale Gedanken / Glaubenssätze reflektieren und ersetzen (statt «Ich muss immer perfekt sein.» – «Ich darf auch mal Pause machen.»)
  • Erreichbarkeit bei der Arbeit besprechen und dosieren (Genner & Süess 2014; Holzwarth 2018)
  • Notizbuch neben das Bett legen (Gedanken, die einem am Einschlafen hindern, können fixiert werden.)
  • Medien effektiv zur Arbeitsorganisation nutzen (z. B. Ablagesystem, Skype, Doodle, Google Docs)
  • «E-Mail-Öffnungszeiten» praktizieren (nur zu bestimmten, definierten Zeiten E-Mails bearbeiten, um nicht immer andere Arbeit zu unterbrechen (Eggler 2016)
  • Kosten und Nutzen von Social-Media-Präsenz abwägen
  • Durch effizientes Telefonat unnötige E-Mail-Kette vermeiden
  • Betreffzeile im E-Mail für zentrale Informationen nutzen
  • Alleinsein ohne Ablenkung durch Geräte bewusst kultivieren (Turkle 2011), z. B. um das produktive Schweifen der Gedanken zu ermöglichen
INFOBOX

Spezifisch für Hochschuldozierende und Lehrpersonen der Sekundarstufe 2 empfehlen wir den Kurs Selbstmanagement für Lehrende an Berufs- und Hochschulen. Kursleiterin Anita Graf hat in unserem Blog auch schon zum Thema Selbstmanagement geschrieben.

Zum Autor

Peter Holzwarth

Peter Holzwarth ist Dozent für Medienpädagogik an der PH Zürich. Er leitet das Fachteam Medienpädagogik, arbeitet im Digital Learning (DLE) und in der Abteilung Internationale Bildungsentwicklung (IB). Ausserdem ist er Berater bei der Stelle für Personalfragen (SteP). 

Redaktion: Martina Meienberg

Lehrpersonen sind schwer zu führen – Ein Problemaufriss

Beitrag von Hans-Peter Karrer und Geri Thomann

Der Umgang mit Lehrpersonen und Dozierenden ist generell schwierig. So lautet eine gängige Klage. Denn Lehrer und Dozentinnen sind Könige und Königinnen: Kaum schliessen sie die Tür ihres Unterrichtsraums, handeln sie autonom, nur ihren eigenen Werten und den jeweiligen Lernenden verpflichtet. Auch vernimmt man: Teamarbeit ist bei Lehrpersonen und Dozierenden unbeliebt, Weisungen von oben befolgen sie nur ungern. Sie interpretieren sie nach eigenem Gutdünken oder ignorieren sie einfach. Sie reagieren aber äusserst empfindlich, wenn sie nicht bei allen Entscheiden explizit einbezogen werden, heisst es. Kurz: Führungsaufgaben in Schulen jeglicher Stufe gelten als anspruchsvolle Tätigkeit.

Führung von Lehrpersonen ist anspruchsvoll.
Lehrpersonen und Dozierende sind freiheitsliebend und handeln gerne autonom.

Schulen und Hochschulen sind Expertenorganisationen

Das oben skizzierte Bild mag überzeichnet sein. Es ist einseitig genährt durch viele Beratungsgespräche mit Führungsverantwortlichen an Schulen, die in einem geschützten Rahmen Problemsituationen schildern. In der Literatur gelten Führungsrollen an Schulen zwar ebenfalls als komplexe Aufgabe, der Fokus verschiebt sich dabei aber weg von den «schwierigen» Lehrpersonen und Dozierenden hin zu einer anderen Betrachtungsweise: Schulen sind Expertenorganisationen. Expertenorganisationen zeichnen sich durch Mitarbeitende aus, die hoch qualifizierte Spezialisten und Spezialistinnen sind und in ihrem Fachbereich möglichst autonom arbeiten wollen. Sie verfügen folglich über eine gewisse  Durchsetzungsfähigkeit. Auch ihr Beharrungsvermögen ist nicht zu unterschätzen.  Nur mit überzeugenden Argumenten lassen sie sich in eine bestimmte Richtung bewegen. Widerstand gegen Entscheidungen von aussen ist Programm. Experten und Expertinnen sehen sich eher ihrer jeweiligen Profession verpflichtet als ihrer Organisation.  Karriere und Laufbahnen werden tendenziell in Bezug auf ihre Profession definiert. Das macht Experten und Expertinnen weniger abhängig von ihrer Institution.

Expertise ist wichtiger als Leitung

Inhaltliche Fachexpertise verfügt traditionsgemäss über einen höheren Status als Führungs- oder Managementexpertise, sie repräsentiert sozusagen das «Kapital der Organisation». Führungsentscheidungen werden bei Experten deshalb ambivalent bis skeptisch wahrgenommen. Partizipation an Entscheidungen gehört zur organisationalen Kultur in Expertenorganisationen. Gleichzeitig ist nicht selten latent eine subtile fachliche Konkurrenz allgegenwärtig.

Die Anforderungen an eine zunehmende Spezialisierung auf Seiten der Experten lassen häufig Organisationsstrukturen entstehen, welche nach fachlichen Profilen aufgebaut sind. Dies führt wiederum zu einem wachsenden Integrationsbedarf auf der gesamten Organisationsebene. Die Verknüpfungen, die notwendig sind, damit eine Organisation funktioniert, sind äusserst anspruchsvoll.

Schliesslich sollten sich auch staatliche Expertenorganisationen zunehmend kostenbewusst oder sogar unternehmerisch verhalten. Andererseits wirkt aber auch das Spannungsfeld zwischen dem staatlichen Geldgeber (meist in der Form einer Verwaltungsstruktur) und der strategischen und operativen Führung. Die Führung ist an bürokratische Vorgaben und Prozesse gebunden und damit in der Umsetzung von kostenbewussten Handeln sehr eingeschränkt Das unternehmerische Handeln wird durch bürokratische Vorgaben unterlaufen.

Lehrpersonen führen
Wer Lehrpersonen und Dozierende führt, befindet sich oft auf einem schmalen Pfad.

Führung und Expertise – ein Spannungsfeld

Das Spannungsfeld zwischen Management und Expertise kann nicht aufgelöst werden. Es kann lediglich ein Umgang gefunden werden, der für die Institution und seine Ziele förderlich ist. Für die Führungspersonen – aber auch für die Experten und Expertinnen – können sich dabei unter anderem folgende Fragen stellen:

  • Inwiefern müssen Führungskräfte in Bildungsorganisationen zu ihrer Legitimation über einen so genannten Berufsfeldbezug verfügen? Wie führt man Experten ohne eigene Expertise im selben Fachbereich?
  • Wie hoch ist der Status der Führung in Expertenorganisationen? Wie viel inhaltliche Erfahrung oder aktuelles Fachwissen brauchen Führungskräfte, um als Leitung akzeptiert zu werden?
  • Können Managementkompetenzen Fachkompetenzen ersetzen, kompensieren oder ergänzen? Wie steht es mit der Führungskompetenz als Expertise?
  • Stimmt die Hypothese der (latenten) Konkurrenz zwischen Führungspersonen und Expertinnen/Experten? Was heisst das für das Führungshandeln?
  • Wie ist die Sicht der Geführten «im Sandwich» zwischen Expertise und Management? Handelt es sich dabei um ein Dilemma oder lediglich um ein Spanungsfeld?
  • Wie lässt sich autonomes Handeln von Experten steuern? Wie reagieren Expertinnen und Experten darauf?

Eine Tagung zum Weiterdenken – anders als gewohnt

Die Abteilung für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung und das Zentrum für Management und Leadership MAL der PH Zürich gehen seit einigen Jahren mit einer etwas unkonventionellen Tagungsreihe diesen Fragen nach. Sie lädt erfahrene Führungsverantwortliche von Bildungsorganisationen jedes Jahr im Spätherbst auf die Halbinsel Au zu einer so genannten Kaminfeuertagung ein. Dort wird die Thematik nicht nur unter den Bildungsorganisationen diskutiert, sondern in einem Quervergleich mit Organisationen im Gesundheitswesen. Führungspersonen aus Betrieben im Gesundheitswesen werden ebenfalls an der Tagung teilnehmen und sich den selben Fragen stellen. Der Vergleich von Kultur und Konzepten in diesen teilweise analogen, teilweise unterschiedlichen Expertenorganisationen erlaubt dabei einen interessanten Perspektivenwechsel. Weitere Informationen zu dieser Tagung können der folgenden Box entnommen werden.

INFOBOX
Das Kaminfeuergespräch zum Thema «Bildung und Gesundheit im Vergleich: Führen in Expertenorganisationen» fand am 5. November 2019 im Tagungszentrum Schloss Au statt. Im Zentrum standen Erzählungen von Persönlichkeiten über prägende Erlebnisse in ihrer Führungstätigkeit. Ein ausführlicher Bericht über die Kurztagung 2019 finden Sie hier.
Das nächste Kaminfeuergespräch findet am 1. Dezember 2020 statt. Wir würden uns freuen, Sie dabei begrüssen zu dürfen!

Haben Sie generell Interesse an Führungsthemen? Gerne verweisen wir Sie auf folgende Angebote:

Hochschulen: CAS Führen in Projekten und Studiengängen an Hochschulen

Volksschulen: Blog Schulführung

Zum Autorenteam

Hans-Peter Karrer Hans-Peter Karrerist Mitarbeiter von Denkbar (Denkfabrik, Bildungs- und Beratungs-unternehmen und Bar). Er leitet Projekte im Mandatsverhältnis, berät Veränderungsprozesse in Organisationen, begleitet Führungspersonen und macht Teamentwicklung. 

Porträt Geri ThomannGeri Thomann ist Leiter der Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich. Als Inhaber einer ZFH-Professur forscht und publiziert er regelmässig über Aspekte der Hochschulentwicklung und Führungsfragen.

Am ZHE bietet Geri Thomann den Kurs «Grundlagen der Beratung» an. Dieser richtet sich primär an Lehrende an Hochschulen sowie der Erwachsenenbildung, ist aber auch für Lehrpersonen der Sekundarstufe II interessant.

Redaktion: Martina Meienberg

Der Effekt von Powerpoint ist bei Erwachsenen fast gleich null

Beitrag von Maik Philipp

Über das Lernen sind viele Behauptungen im Umlauf, auch an Hochschulen. Manche davon stimmen, andere nicht – und meistens ist die Realität komplexer. Gestaltet man Unterricht aufgrund falscher Annahmen über das Lernen, untergräbt man seine Wirkung. Deshalb nehmen wir in der Serie «Urban Legends» verbreitete, aber problematische Annahmen über Lehren und Lernen an Hochschulen unter die Lupe. Diesmal zum Thema Powerpoint. 

Nachteile von Powerpoint im Unterricht

Der Einsatz von Powerpoint und anderer Präsentationssoftware ist im Hochschulkontext üblich. Zwei Gründe sprechen dafür, wenn man Lernende befragt: Erstens halten Lernende den Einsatz für sinnvoll, wenn es darum geht, eine strukturierte Auseinandersetzung mit dem Lernstoff zu ermöglichen. Zweitens erlaube die Präsentationssoftware eine gesteigerte Aufmerksamkeit. Diesen Vorteilen stehen handfeste Nachteile gegenüber: ein hohes Tempo, mitunter ein zu hohes, zum sinnvollen Notieren von Inhalten und die Gefahr, abgelenkt statt gelenkt zu werden. Was sich als Frage daraus ergibt: Was ist der Mehrwert für das Lernen, wenn statt Powerpoint beispielsweise traditionellere Formen (Chalk and Talk) eingesetzt werden?

Null-Ergebnisse beim Zusatznutzen

Dieser Frage hat sich jüngst eine Metaanalyse gewidmet. Darin verfolgten die Autoren die Frage, welche Effekte sich auf das Lernen nachweisen lassen. Die Effekte auf das Lernen betrafen verschiedene, primär kognitive Leistungsmasse, also nicht die oben angesprochenen Einstellungen von Personen zum Powerpoint-Einsatz. Die empirische Basis für die Auswertungen bildeten 48 Studien, veröffentlicht im Zeitraum von 1996 bis 2017. 45 Studien stammten aus dem Hochschulkontext, womit sich die Metaanalyse also mit grosser Mehrheit mit den Effekten in der Erwachsenenbildung beschäftigte.

Für das Lernen ist der Zusatznutzen von Powerpoint minimal.

Der studienübergreifende Vergleich zeigte bezogen auf die Überlegenheit von Powerpoint gegenüber traditionelleren Formaten der Wissensvermittlung: nichts. Das Hauptergebnis ist nämlich ein Null-Ergebnis. Dies zeigte sich in statistisch nicht signifikanter Effektstärke von g = 0.07. Das bedeutet: Der Zusatznutzen von Powerpoint für das kognitive Lernen war bestenfalls minimal und hart an der Grenze des Nachweisbaren.

Personen im Schulalter profitieren eher

Dieses Resultat unterschied sich jedoch in einer einzigen spezifischen Auswertung, nämlich beim Alter. Denn in der Metaanalyse wurde geprüft, ob Personen im Schulalter anders vom Powerpoint-Einsatz in ihren Lernleistungen betroffen waren als ältere Lernende. Das war tatsächlich sehr deutlich der Fall. Zwar gab es in den über 45 Studien mit Studierenden keine Effekte (g = 0.01). Doch in den restlichen drei Untersuchungen profitierten die Schülerinnen und Schüler aus dem Schulbereich anders, nämlich deutlicher (g = 1.08). Der in seinen Befunden erstaunliche Alters- bzw. Bildungsetappenvergleich relativiert sich freilich dadurch, dass die Anzahl der Studien in den beiden Vergleichsgruppen (Schule vs. Hochschule) extrem ungleich verteilt war.

Zur Vollständigkeit sei noch erwähnt, dass abgesehen vom Altersgruppenvergleich keine weiteren Moderatoranalysen Unterschiede nachweisen konnten. Es war demnach unerheblich, in welchem Fach die Studien durchgeführt wurden. Ob es sich dabei um publizierte Studien handelte, war ebenfalls nicht relevant. Auch spielte es keine Rolle, ob es experimentelle Variationen gab und mit welchen Massen die Lerneffekte erfasst worden waren. Diese Null-Ergebnisse zu Effekten von Studienmerkmalen sind deshalb wichtig, weil solche Merkmale die Ausprägung von Effekten in der Bildungsforschung zum Teil systematisch beeinflussen.

Was denn nun: Powerpoint oder Chalk and Talk? 

Was bedeutet das metaanalytische Null-Ergebnis für die Erwachsenenbildung? Impliziert es, man sollte auf Powerpoint verzichten? Vielleicht ist es wenig hilfreich, die Frage als Dichotomie, also als logischen Ausschluss zu formulieren. Denn der bisherige Einsatz von Powerpoint hat weder gross genutzt noch geschadet. Statt also ein Entweder-Oder zu postulieren, lohnt es sich zu fragen, wie Präsentationssoftware gewinnbringend eingesetzt werden kann. Eine solche Frage betrifft einerseits die Verwendung von Animationen und Bewegtbildern, andererseits die sinnvolle Verknüpfung von mündlichen Redeanteilen und fixierten Präsentationsinhalten. Auch die Frage, wie sich das Anfertigen von Notizen mit der Präsentationssoftware steigern lässt, ist anschlussfähig. Die Metaanalyse zum Effekt von Powerpoint auf Lernergebnisse zeigt also, dass es nicht per se sinnvoll ist, auf den Technologieeinsatz allein zu vertrauen.

Und auch so lassen sich die Ergebnisse insgesamt interpretieren und für den eigenen Einsatz in der Hochschuldidaktik und in der Erwachsenenbildung nutzen: als essenzielle Frage nämlich, wie Powerpoint helfen kann, das Lernen angemessen zu unterstützen. Denn wenn sich nicht allein durch die Verwendung einer Präsentationssoftware ein Mehrwert ergibt, dann eventuell, wenn Präsentationssoftware geschickt partiell verwendet wird und ein Werkzeug unter vielen ist.

INFOBOX

Eine aktuelle Publikation der Abteilung für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Verband für Weiterbildung SVEB unter dem Titel «Digitalisierung und Lernen» (Haberzeth/Sgier 2019) beleuchtet die Herausforderungen, die Digitalisierung in der Weiterbildung bringt.

Auch ein Projekt der PH Zürich behandelt die Thematik:
Digital-Skills-Projekt «Synergien zwischen persönlichen und institutionellen Lernumgebungen für Lehrende und Lernende»

Zudem können an der PH Zürich verschiedene Kurse und Module besucht werden, die die Teilnehmenden im Umgang mit Medien im Unterricht schulen:
E-Didaktik
Webinar: E-Assessment in der Hochschule
Kompetenzorientierter Unterricht mit e-Portfolio
Überfachliche Kompetenzen mit digitalen Tools fördern

Zum Autor

Maik Philipp ist Professor für Deutschdidaktik an der PH Zürich. Seine Schwerpunkte sind Lese- und Schreibförderung mit Fokus auf Evidenzbasierung. Neuere Publikationen: «Multiple Dokumente verstehen» (2019), «Lesekompetenz bei multiplen Texten» (2018), «Lesestrategien» (2015) und «Grundlagen der effektiven Schreibdidaktik» (2018).

Redaktion: Martina Meienberg

Mehr Konzentration bitte!

Beitrag von Martina Meienberg

Nur noch schnell die Mails checken. Nur noch schnell einen Raum für die nächste Besprechung buchen, nur noch schnell einen Doodle ausfüllen, nur noch schnell ein Feedback zu einem Artikel geben und so weiter und so fort. Wer eigentlich nur schnell die Mails checken will, verliert oft Stunden, die Konzentration sowieso und vergisst darüber nicht selten, welcher Aufgabe man sich eigentlich widmen wollte. Welcher Dozent, welche Wissensarbeiterin kennt das nicht. Die Frage ist also: Wie bringen wir mehr Konzentration in den Arbeitsalltag, damit wir das tun können, was wir tun sollen?

Deep Work versus Shallow Work

Call Newport unterscheidet in seinem Buch «Konzentriert arbeiten» (vgl. Rezension im PH-Akzente von Daniel Ammann) Deep Work und Shallow Work. Unter Letzterem versteht er kognitiv anspruchslose, reproduktive Aufgaben. Tätigkeiten, die tendenziell nicht viel neuen Wert in der Welt schaffen und leicht zu kopieren sind (Newport 2017, 12). Weiter hält der Autor fest, dass viele Wissensarbeiter einen Grossteil ihres Arbeitstages mit Shallow Work verbringen, also mit oberflächlichen Angelegenheiten – selbst wenn es Anspruchsvolleres zu erledigen gäbe. Aber die Angewohnheit, häufig den Posteingang zu kontrollieren, sorgt zuverlässig dafür, dass das Oberflächliche im Vordergrund der Aufmerksamkeit bleibt. Hinzu kommt, dass ein Arbeitsalltag, der vom Maileingang repräsentiert wird, ein Bild von unserer Tätigkeit abgibt, das von Stress, Verärgerung, Frustration und Trivialitäten geprägt ist (ebd. 82f.).

Das Kontrastprogramm zu Shallow Work ist Deep Work. Der Autor und Computerwissenschaftler versteht darunter berufliche Aktivitäten, die in einem Zustand ablenkungsfreier Konzentration ausgeführt werden. Das Arbeiten in höchster Konzentration schafft u. a. neuen Wert. Laut Newport ist Deep Work nötig, um die jeweilige intellektuelle Kapazität «bis auf den letzten Tropfen auszuwringen» (ebd. 8). So stellt sich also die Frage, wie sich Shallow Work zugunsten von Deep Work an die Ränder des Arbeitsalltags verschieben lässt.

Rituale helfen bei Konzentration
Auch ein Tee-Ritual kann helfen, sich auf eine Konzentrationsphase einzulassen.

Fokus statt Ablenkung

Es ist alles andere als einfach, hochkonzentrierte Arbeitsphasen in den Alltag einzubauen, weil man damit rechnen muss, dass man den ganzen Tag mit dem Wunsch bombardiert wird, anderes zu machen als Deep Work (ebd. 99). Und wenn man es trotzdem schafft, sich in eine Sache zu vertiefen, aber von einer Kollegin oder einem Email gestört wird, wirkt sich diese Unterbrechung fatal aus. Denn nebst Konzentration braucht es eine längere unterbrechungsfreie Zeit, um produktiv zu sein – entgegen des Mythos ist Multitasking nicht möglich (vgl. Blog-Beitrag von Tobias Zimmermann). Und natürlich gibt es auch nicht den einen Weg, mit dem es gelingt, Ablenkung durch Fokus zu ersetzen. Vielmehr geht es darum, Möglichkeiten konzentrierten Arbeitens zu schaffen, die zum individuellen Arbeitsalltag passen. Newport stellt in seinem Buch verschiedene Arten von Deep Work vor. Im Folgenden skizziere ich ein paar davon als Anregung.

Ideen für Konzentrationsphasen im Alltag

  • Sich einen Arbeitstag pro Woche komplett abschotten: Dieses Experiment in einer Management-Beratungsfirma hat dazu geführt, dass die Berater mehr Freude an ihrer Arbeit hatten, dass die Kommunikation im Team besser wurde und sie mehr lernten. Auch konnten sie den Kunden ein besseres Produkt liefern (ebd. 60).
  • Täglich Zeitfenster für Deep Work reservieren: Diese Methode ist besonders für diejenigen geeignet, die sich nicht ganze Tage oder Wochen ausklinken können und ihre Tage flexibel gestalten müssen. Der Autor bezeichnet die Methode deshalb als Journalististische Philosophie (ebd. 115f.).
  • Deep Work mit einem festen Ritual verknüpfen, also z.B. zu festen Zeiten an bestimmten Orten arbeiten: Dahinter steckt der Gedanke, dass grosse kreative Köpfe wie Künstler denken, aber wie Buchhalter arbeiten (ebd. 117 ff.). Auch vom Schweizer Schriftsteller Martin Suter weiss man z. B., dass er solch feste Rituale pflegt (vgl. Interview im Tages-Anzeiger 2015).
  • Kollaboratives Deep Work: Die Idee bei dieser Art des konzentrierten Arbeitens ist, dass man sich nach einer Phase des Rückzugs mit anderen trifft, um gemeinsam an einem Problem zu arbeiten. Auf diese Weise sei es möglich, so Newport, sich gegenseitig auf eine noch höhere Ebene der Konzentration zu bringen (ebd. 133).

Manchmal braucht es grosse Gesten

Aussergewöhnliche Vorhaben, die aussergewöhnlich viel Konzentration erfordern, gelingen manchmal besser an aussergewöhnlichen Orten. Das heisst, für das Gelingen dieser Vorhaben sind manchmal ungewöhnliche Aktionen notwendig. Newport bezeichnet diese als grosse Gesten.

Als Beispiel nennt der Autor die Schriftstellerin J. K. Rowling. Als diese im Winter 2007 an den letzten Seiten des letzten Harry-Potter-Bandes arbeitete, fand sie zu Hause in ihrem Arbeitszimmer zu wenig Ruhe. Deshalb mietete sie eine Suite in einem Luxushotel in ihrer Stadt. Egal, wo man das Kapitel eines Buches schreibt, es ist harte Arbeit und erfordert höchste Konzentration. Aber, so der Autor, wenn man 1000 Dollar pro Tag für eine Hotelsuite bezahlt, nur um das Kapitel fertig zu schreiben, ist es leichter, diese Energie aufzubringen (ebd. 121f.).

Noch extremer (und fragwürdig) ist folgende grosse Geste: Ein Vortragsredner, der nur zwei Wochen Zeit hatte, um ein gesamtes Buchmanuskript zu erstellen, buchte einen Hin- und Rückflug in der Business-Klasse nach Tokio. In Japan angekommen, trank er einen Espresso und flog wieder zurück. Die gesamte Flugzeit verbrachte er schreibend und kehrte mit einem vollständigen Manuskript zurück (ebd. 124f.).

Wenigstens eine Stunde Konzentration pro Tag

Abgesehen davon, dass eine grosse Geste dieser Art ein ökologischer Unsinn ist und auch nicht für alle möglich und erschwinglich, ist sie auch nicht zwingend nötig. Gemäss Ernst Pöppel, emeritierter Professor für Medizinische Psychologie, lässt sich schon mit einer Stunde Konzentration pro Tag viel erreichen. So wurde er im Spiegel-Artikel «Dranbleiben bitte!» (2015) mit der Aussage zitiert, dass eine Firma, wenn sie täglich von 11 bis 12 Uhr nicht kommunizieren würde und die Menschen eine Stunde ohne jegliche Ablenkung arbeiten könnten, den grössten Kreativitätsschub erleben würde, den man sich überhaupt vorstellen kann. – Und was würde das erst an einer Hochschule bewirken!

Konzentration dank Flugmodus
Arbeiten im Flugmodus ist möglich, ohne abzuheben.

Eine Stunde täglich ist machbar – und wenn auch nicht über den Wolken im Flugzeug nach Tokio, so doch im Flugmodus ausserhalb des Grossraumbüros. In diesem Sinne wünsche ich mehr Konzentration und guten Flug im neuen Semester!

Der Umgang mit elektronischen Medien und insbesondere Mobilgeräten ist auch für das Lernen von Studierenden relevant. An der PH Zürich ist deshalb gerade das Digital-Skills-Projekt «Synergien zwischen persönlichen und institutionellen Lernumgebungen für Lehrende und Lernende» gestartet. Das Projekt soll aufzeigen, wie digitale Medien – auch solche, die nicht offiziell von der Hochschule zur Verfügung gestellt werden – optimal zum Lernen und Lehren eingesetzt werden können.  Fragen nach der Strukturierung von Arbeit, Konzentration und Kommunikation spielen dabei eine zentrale Rolle.
Das Projekt wird gefördert von  swissuniversities und geleitet von Tobias Zimmermann (Zentrum für Hochschuldidaktik) in Zusammenarbeit mit Carola Brunnbauer (Digital Learning) und Wolfgang Bührer (Sekundarstufe I).

Zur Autorin 

Martina Meienberg ist redaktionelle Betreuerin der Beiträge im Lifelong-Learning-Blog. Ausserdem arbeitet sie als Beraterin im Schreibzentrum und ist Dozentin für Deutschdidaktik an der PH Zürich.


Digitalisierung in der Erwachsenenbildung – Aufwertung und Herausforderung!

Beitrag Erik Haberzeth

Die Hochwelle von Aufmerksamkeit für das Thema Digitalisierung hält ungebrochen an und hat schon seit Längerem, ausgehend von der Industrie, alle anderen Branchen erfasst – natürlich auch die Bildung. In einer ersten Phase wurde das Thema überaus aufgeregt diskutiert – obschon eigentlich kaum jemand so genau wusste, worüber geredet wird und worum es geht. Jetzt geht es auch darum, das Thema Digitalisierung für die Erwachsenenbildung und ihre Institutionen zu erschliessen. Das geht oft nicht ohne anstrengende Detailarbeit. Ebenso braucht es entsprechende Studien und Projekte, um die Auswirkungen und Gestaltungsmöglichkeiten zu diskutieren.

Digitalisierung Erwachsenenbildung
In den Nachrichtensendungen des Schweizer Fernsehens sind Kameramänner und – frauen bereits durch Roboter ersetzt worden.

Unterschiedliche Betrachtungsebenen der Digitalisierung

Um das Thema Digitalisierung für die Erwachsenenbildung zu erschliessen, ist es notwendig, das Thema nicht zu eng zu betrachten. Immer noch wird Digitalisierung primär auf der Ebene des unmittelbaren Lehr-Lerngeschehens samt dazugehöriger Unterrichtsmedien diskutiert. Es geht um einzelne Tools, Erklärvideos oder die Frage nach BYOD. So wichtig diese Ebene ist, betrifft der digitale Wandel die Erwachsenenbildung doch in weitaus vielfältigerer Weise. So lassen sich im Verhältnis von Digitalisierung und Erwachsenenbildung unterschiedliche Betrachtungsebenen ausmachen (vgl. Haberzeth/Sgier 2019):

  1. Inhaltsebene
  2. Lehr-Lern-Ebene
  3. Organisationsebene
  4. Systemebene
  5. Ebene der Professionalität

Notwendig ist, diese verschiedenen Ebenen und damit verbundene Perspektiven in die Diskussion einzubeziehen, um einem Gesamtbild des professionellen erwachsenenbildnerischen Handelns unter den Bedingungen der Digitalisierung näher zu kommen.

Der Nutzen digitaler Technologien wird in der Bildung wenig reflektiert

Viel diskutiert ist das Unterrichten mit digitalen Technologien. Es geht um die Nutzung «digitaler Werkzeuge». Darin spiegelt sich ein instrumentelles Bedürfnis nach sicherer Handhabung neuer Tools und digital gestützter Methoden wider. Wenig reflektiert hingegen wird der tatsächliche Nutzen digitaler Technologien in einer didaktisch begründeten Bildungsarbeit.

Erwachsene lernen aber nicht nur mittels digitaler Technologien, sondern auch über digitale Technologien, über ihre Anwendung und ihre Wirkungen. Digitalisierung wird also auch zum Lerngegenstand selbst. An die Erwachsenenbildung als Teil des Bildungssystems wurden schon immer die unterschiedlichsten gesellschaftlich Bedürfnisse herangetragen, seit einiger Zeit vor allem die Digitalisierung. Der Stellenwert der Erwachsenenbildung hat sich dadurch noch einmal erhöht – zumindest programmatisch. Das gesamte Bildungssystem soll auf lebenslanges Lernen ausgerichtet werden. Die Erwachsenenbildung ist nun gefordert, die technologischen Umbrüche als Thema aufzunehmen und in Angebote umzusetzen. Auch hier geht es aber bislang oft mehr um einen instrumentellen Umgang denn eine kritisch-konstruktive Reflexion der Thematik.

Kaum beachtet: Digitalisierung in der Programmplanung und auf Systemebene

Weniger im Blickfeld steht die Organisationsebene der Weiterbildungsanbieter selbst. Es geht dabei um die Frage, welche Bedeutung die Digitalisierung für die internen Prozesse des Bildungsmanagements und der Programm- und Angebotsplanung hat (vgl. Meister 2008). Erstaunlicherweise gibt es zu dieser Frage wenig Erkenntnisse und damit auch zur Weiterbildung, die ein Teil der Arbeitswelt ist, die sich durch das digitale Systeme wandelt. Dabei ist offensichtlich, dass der Computer, das Internet, Datenbanken und sonstige digitale Anwendungen die Verwaltung (Online-Anmeldung, Kursmanagementsysteme, Intranet etc.), das Marketing (Internetauftritt, Social Media etc.) und die Angebotsplanung (Online-Einheiten, Digitalisierung als Thema von Kursangeboten, Selbstlernbereiche etc.) massiv verändern.

Digitalisierung Erwachsenenbildung
Welche Bedeutung hat die Digitalisierung für die internen Prozesse des Bildungsmanagements und der Programm- und Angebotsplanung?

Ebenfalls kaum betrachtet wurde bislang, wie sich der digitale Wandel auf die Strukturen der Weiterbildung auswirkt. Es stellen sich zum Beispiel Fragen nach neuen Akteuren in der Weiterbildung sowie neuen und veränderten Kooperationen. Grotlüschen (2018) legt eine erste vertiefte Analyse zu möglichen Disruptionen im Weiterbildungsmarkt durch den Eintritt von Unternehmen der Digitalwirtschaft vor. Gezeigt wird, wie es diesen Unternehmen gelingt, durch die Nutzung verschiedener Datenbestände wie Lebenslaufdaten, Daten zu Interessengebieten und beruflichen Positionen sowie aus Stellenausschreibungen sehr gezielt Weiterbildungswerbung zu schalten und Angebote zu platzieren. Die Autorin vermutet, dass diese Entwicklungen vor allem für die kommerziellen Weiterbildungsanbieter relevant sind und eventuell sogar eine wirtschaftliche Bedrohung darstellen. Ein disruptives Potenzial dieser neuen Geschäftsmodelle und Marketingstrategien scheint jedenfalls gegeben.

Weiterführende Lektüre

Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass die Erwachsenen- und Weiterbildung als Bildungsbereich im Zuge der Diskussion um die Digitalisierung weiter in ihrer Bedeutung aufgewertet, aber auch erheblich herausgefordert wird. Was das im Detail und in aller Komplexität auf den unterschiedlichen Ebenen bedeuten kann, beleuchtet eine aktuelle Publikation der Abteilung für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Verband für Weiterbildung SVEB unter dem Titel «Digitalisierung und Lernen» (Haberzeth/Sgier 2019).

INFOBOX

Auf der Website «Erwachsenenbildung» finden sich zahlreiche Informationen zur lebenslangen und lebensbreiten Bildung Erwachsener.

Kurse und Module der PH Zürich:
Wie Erwachsene lernen – ein Lektürekurs
E-Didaktik
Webinar: E-Assessment in der Hochschule
Kompetenzorientierter Unterricht mit e-Portfolio
Überfachliche Kompetenzen mit digitalen Tools fördern

In der Rubrik «Caspars Toolbox» des Lifelong-Learning-Blogs stellt Caspar Noetzli Apps und digitales Werkzeug vor.

Zum Autor

Erik Haberzeth Digitalisierung

Erik Haberzeth ist Leiter der Professur für Höhere Berufsbildung und Weiterbildung in der Abteilung für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich und forscht in mehreren Projekten zum Thema Digitalisierung.

Redaktion: Martina Meienberg

Disrupt your ideas about Hochschule(n)*

Beitrag von Ulrike Hanke

Wie würde sich ein Bildungssystem auf Hochschulstufe heute entwickeln, wenn es kein tradiertes gäbe? Angestossen durch das Buch «Disrupt yourself» von Christoph Keese, einen Artikel «Disrupt HR» von Christian Böhler und auch durch viele interessante Persönlichkeiten, denen ich in den sozialen Medien folge, beschäftige ich mich derzeit mit dieser Frage. Auch wenn ich unsicher bin, wage ich es, meine Ideen hierzu mit Ihnen zu teilen. Ein Disclaimer vorab: Meine Überlegungen, die ich hier zur Diskussion stelle, möchte ich nicht als richtig oder unumstösslich verstanden sehen. Sie sind eine Diskussionsgrundlage.

Hochschule neu denken
Gäbe es einen Treffpunkt wie den Lichthof der Universität Zürich auch in einem neu entstandenen Bildungssystem?

Gewohntes wird nicht über Bord geworfen

Unser derzeitiges Bildungssystem ist gewachsen und trägt offensichtlich starke Züge vergangener Zeiten mit anderen Voraussetzungen. Für viele scheint klar, dass dieses System in diversen Punkten nicht mehr zeitgemäss ist. Aber wie es mit gewachsenen Dingen immer ist: Sie werden selten komplett verworfen, sondern immer nur schrittweise und mit viel Mühe an neue Gegebenheiten angepasst. Denn Menschen fällt es schwer, gewachsene Dinge ganz über Bord zu werfen und sich von ihnen vollständig zu lösen.

Deshalb möchte ich mit meinem Gedankenexperiment auf der «grünen Wiese» beginnen.

Ein Gedankenexperiment

Ich gehe dabei von folgenden Rahmenbedingungen aus:

  • Es gibt kein Bildungssystem auf Hochschulstufe.
  • Es gibt keine Institutionen wie Hochschulen und Universitäten, die Lehre anbieten, Prüfungen abnehmen und Zertifikate verteilen.
  • Folglich sind auch Zugänge zu Positionen und Berufen nicht geregelt.

Auch unter diesen Voraussetzungen müssten junge Menschen Wege und Möglichkeiten finden, ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenleben zu leisten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie müssten also Tätigkeiten nachgehen, bei denen sie Geld verdienen. Wie würden sie Zugang zu diesen Tätigkeiten erhalten?

Ich gehe bei meinem Gedankenexperiment davon aus, dass – wie heute schon –

  • Informationen und Informationsquellen überall und für alle leicht zugänglich sind,
  • die Welt sich rasch verändert,
  • die Halbwertszeit von Wissen sehr kurz ist.

Menschen müssen sich folglich ständig weiterentwickeln, um in komplexen Situationen handlungsfähig zu bleiben.

Um in der dieser Welt einen (Arbeits-)Platz zu finden, müssen junge Menschen zu Expertinnen und Experten in einem Feld werden und müssen diesen Expert*innen-Status nachweisen. Die Aufgaben, vor der die jungen Menschen stehen, sind also folgende:

  1. Wissen im eigenen Feld erwerben
  2. Erfahrungen sammeln
  3. Expert*innen-Status nachweisen

Wie liessen sich diese Aufgaben ohne bestehendes Hochschulsystem leisten?

Aufgabe 1 : Wissen erwerben – wie geht das unter diesen Voraussetzungen?

Auf den ersten Blick scheint es unter diesen Voraussetzungen für junge Menschen leicht, neues Wissen zu bekommen: Das Internet ist voller Informationen. Doch welchen können sie trauen? Wie finden sie die «richtigen» Informationen?

Hier sehe ich einen ersten Bedarf: Die jungen Menschen werden Unterstützung darin suchen, wie sie möglichst schnell und effizient zu den richtigen Informationen kommen.

Und wie finden sie diese Unterstützung?

Vermutlich werden sie sich in der heutigen vernetzten Welt, mit vermeintlichen Expert*innen in ihrem Feld vernetzen, ihnen in den sozialen Medien etc. folgen. Auch Institutionen, die vermeintlich verlässliche Informationen zur Verfügung stellen, werden sie nutzen.

Aufgabe 2: Erfahrungen sammeln – wie geht das unter diesen Voraussetzungen?

Um Erfahrungen zu sammeln, um in einem Feld wirklich kompetent zu werden, müssen junge Menschen Expert*innen über die Schulter schauen, selbst unter Anleitung handeln und Feedback bekommen.

Es wird also einen Bedarf an praktischer Anleitung und individueller Unterstützung in Praxissituationen geben.

Die jungen Menschen müssen sich also Expert*innen suchen, die sie dabei unterstützen, erste Schritte in der Praxis zu gehen.

Aufgabe 3: Expert*innen-Status nachweisen – wie geht das unter diesen Voraussetzungen?

Um ihren eigenen Status als Expertin oder Experte nachzuweisen, werden jungen Menschen in die Öffentlichkeit gehen und eigene Arbeitsproben veröffentlichen, ihr Können darstellen müssen.

Es wird deshalb einen Bedarf an (virtuellen) «Orten» geben, wo junge Menschen sich und ihre Arbeit präsentieren können, wo sie von potenziellen Arbeit- oder Auftraggeber*innen wahrgenommen werden. Damit jedoch potenzielle Arbeit- oder Auftraggeber auch von der Qualität der Arbeitsproben überzeugt werden können, benötigen alle Menschen Unterstützung aus einer Community/einem Expert*innen-Netzwerk, die bzw. das sich selbst Qualitätskriterien setzt, diese veröffentlicht und auf deren Einhaltung achtet.

Vermutlich werden sich also in verschiedenen Feldern Communities und Netzwerke etablieren, die nach aussen glaubhaft vertreten, dass ihre Mitglieder Qualität gewährleisten.

Hochschule Studierende
Junge Menschen müssten in einem neuen Bildungssystem Möglichkeiten finden, etwas zum gesellschaftlichen Zusammenleben beizutragen.

Wo besteht also ein Bedarf?

Aus den obigen Annahmen und Überlegungen ergibt sich ein Bedarf an

  • verlässlichen Informationen,
  • persönlicher Unterstützung beim Sammeln von Erfahrungen, und
  • Communities, die den Status von Expert*innen bescheinigen.

Bildungsinstitutionen der Zukunft

Ausgehend von diesen Überlegungen, nehme ich an, dass Plattformen und Portale entstehen würden, die gegen ein Entgelt, vermutlich über eine Mitgliedschaft, Informationen verschiedener Felder systematisch und verlässlich, sowie ständig aktualisiert zur Verfügung stellen. Dies deckt den Bedarf, dass Informationen jederzeit und überall schnell abrufbar, verlässlich und aktuell sein sollen.

Des Weiteren wird es Unternehmen und Expert*innen geben, die jungen Menschen Einblicke in konkrete Praxisfelder geben und ihnen Personen an die Seite stellen, die sie beim ersten Agieren in der Praxis unterstützen. Stellt sich hier die Frage, die ich derzeit überhaupt nicht beantworten kann, wie dies finanziert wird. Werden gar die Menschen, die diese Unterstützung und diese Einblicke in die Praxis möchten, selbst bezahlen müssen? Oder übernehmen Unternehmen diese Aufgabe, um sich ihren eigenen Nachwuchs zu sichern?

Und als drittens werden sich aus meiner Sicht Communities/Netzwerke etablieren (diese gibt es mehr oder weniger stark institutionalisiert bereits heute), die in ihrer Funktion mittelalterlichen Zünften ähneln und deren Mitglieder sich gegenseitig die Qualität ihrer Arbeit bescheinigen.

Ausblick: Und die Hochschuldidaktik?

Auch die Hochschuldidaktik muss sich anpassen. Gerade in diesem Bereich ist der Bedarf an verlässlichen Informationen gross. Es werden Netzwerke aufgebaut, deren Mitglieder voneinander profitieren und sich gegenseitig ihre Qualität garantieren. Ohne komplett disruptiv zu sein, gibt es bereits Schritte in diese Richtung.

  • Ein Blog wie dieser des ZHE der PH Zürich möchte verlässliche Informationen bieten (weitere Hochschuldidaktik-Blogs betreiben z.B. die Universität Kiel, die PH Luzern oder Personen wie Gabi Reinmann oder Martin Lehner).
  • Auch die Seite www.hochschuldidaktik-online.de, deren Verantwortliche die Autorin dieses Beitrags ist, hat den Anspruch, gebündelt verlässliche Informationen rund um die Hochschullehre zur Verfügung zu stellen. Dort gibt es auch einen Newsletter und einen Blog.
  • Ein weiteres Portal für Hochschuldidaktik betreiben die TU Darmstadt und e-teaching.org.
  • Zu erwähnen sind natürlich auch klassische Communities wie z.B. DGHD (Deutsche Gesellschaft für Hochschuldidkaktik) im deutschsprachigen Raum, EARLI SIG 04 (Higher Education im europäischen Raum) oder ICED.

Communities von Menschen mit einem Interesse an der Hochschullehre und Hochschuldidaktik gibt es ebenfalls bereits, z.B:

Ein spannendes Beispiel ist der Mitgliederbereich von Connie Malamed, die Unterstützung im Bereich des Lehrens und Lernens (Instructional Design) bietet.

Expertinnen und Experten der Hochschuldidaktik tauschen sich ausserdem über Twitter aus und sind auch über LinkedIn vielfach vernetzt.

Diese Beispiele dienen mir als erste Evidenzen dafür, dass die Entwicklung tatsächlich in diese Richtung gehen könnte. Sehen wir mal, wie schnell. Und nun bin ich gespannt auf Ihre Reaktionen.

*Dieser Beitrag repräsentiert die persönliche Meinung der Autorin.

Zur Autorin

Ulrike Hanke ist Dozentin und Beraterin für Hochschuldidaktik und als Kurs- und Modulleiterin für das ZHE tätig. Weitere Informationen zu Ulrike Hankes Tätigkeit finden Sie hier: www.hanke-teachertraining.de

Zeigt her eure Texte! Wie effektiv ist Peer-Feedback?

Beitrag von Maik Philipp

Schreiben an Hochschulen ist mitunter ein mühsames Geschäft. Davon zeugt die pure Existenz von Schreibberatungen und Schreibzentren landauf, landab. Studierende haben notorisch Schwierigkeiten damit, ihre schriftlichen Leistungsnachweise und Abschlussarbeiten in eine zielangemessene, kohärente und hochschuladäquate Form zu überführen. Spezifische Angebote wie Schreibcoachings, Kurse zum wissenschaftlichen Schreiben und weitere propädeutische Lernangebote nehmen dies auf – auch das Schreibzentrum der PH Zürich, welches u. a. auf Peer-Feedback von studentischen Tutorinnen und Tutoren setzt. Aber wie effektiv ist das?

Peerfeedback
Texte zeigen, bevor sie fertig sind: Schreibzentren setzen häufig auf das formative Peer-Feedback.

Formatives Peer-Feedback eine logistisch leichte Standortbestimmung

Ein häufig anzutreffendes Element der Schreibdidaktik im Hochschulbereich bildet das formative Peer-Feedback. Formativ sind Rückmeldungen dann, wenn Texte, die noch am Entstehen sind, eingebracht werden können, um sie zu optimieren. Von Peers spricht man, wenn nicht institutionell hierarchisch übergeordnete Personen wie Dozierende Feedbacks geben, sondern statusgleiche Mitstudierende, darunter auch Tutorinnen und Tutoren.

Zwei Gründe sprechen für den Rückgriff auf Peers, wie es Huisman und KollegInnen benennen: Erstens wird anderen Studierenden generell zugestanden, sinnvolle Einschätzungen zu geben, auch wenn sie Texte anders beurteilen als Hochschullehrpersonen. Zweitens ist ihr Feedback logistisch einfacher einzuholen, sei es in der schieren Menge, sei es auch in zeitlicher Nähe – Peers stehen damit als Ressource leichter zur Verfügung als wissenschaftliches Hochschulpersonal.

Was sagt die Forschung?

Doch bringt formatives Peer-Feedback tatsächlich den erhofften Mehrwert? Dieser Frage ging eine Metaanalyse eines vierköpfigen Forschungsteams nach. Im Zentrum des Erkenntnisinteresses stand leider nur bei einer kleinen Anzahl von Studien, welche Art von formativem Feedback am effektivsten ist. Die Anzahl der Studien und die Zahl von untersuchten Personen ist gering, was eine Limitation in puncto Generalisierbarkeit der Ergebnisse darstellt. Und doch liefert die Metaanalyse wichtige Erkenntnisse, die im nachstehenden Diagramm gebündelt sind:

Die Metaanalyse fokussierte auf drei Teilfragen, die im Balkendiagramm durchnummeriert sind. Für jede Teilfrage weist das Diagramm zudem aus, wie hoch die Effektstärke (ES) war. Je höher dieser Wert ist, desto stärker war der Zuwachs in den Schreibleistungen. Die Ergebnisse – mit einer Ausnahme waren sie alle statistisch abgesichert grösser als ein Nulleffekt, also statistisch signifikant – lauten im Einzelnen:

Metaanlyse Peer-Feedback
Die Effektstärken resultieren aus dieser Metaanalyse.
  1. Bei der Vergleichsgruppe war Peer-Feedback deutlich effektiver, als wenn es überhaupt keine Rückmeldung gab (ES = 0,91). Auch gegenüber puren Selbsteinschätzungen waren Rückmeldungen fremder Personen überlegen (ES = 0,33). Selbst wenn im Vergleich von Peer-Feedback und Rückmeldungen von Hochschullehrpersonen die Effektstärke deutlich für die Peers spricht (ES = 0,46), waren die Befunde in den Primärstudien zu heterogen, um letztlich eindeutig interpretierbar zu sein. Immerhin aber verweisen die Ergebnisse darauf, Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich über die entstehenden Texte auszutauschen.
  2. Eine zweite Frage lautete, welcher inhaltlicher Art besonders wirksames Feedback ist. Damit ist hier gemeint, dass das Feedback quantitativ sein kann, indem es numerische Kategorien oder Rangreihungen von Texten betraf, oder aber qualitativ, d. h. verbale Kommentare umfasste. Ein rein quantitatives, im Übrigen nur selten untersuchtes Feedback, entfaltet positive Wirkung (ES =0,32). Etwas effektiver war das rein qualitative Feedback (ES = 0,48). Die höchste Effektivität hatte eine Kombination aus nummerischen und verbalen Rückmeldungen (ES = 1,39). In den drei Studien mit dieser Kombination gab es zudem Rückmeldungen von mindestens drei Personen. Das Feedback war anonym und die Nutzung der Kriterien erfolgte angeleitet. Gut möglich, dass hier diverse Merkmale für die ausgesprochen hohe Effektstärke verantwortlich waren. Die Ergebnisse zeigen insgesamt jedoch, dass quantitative und qualitative Rückmeldungen wirksam sind, aber vor allem in ihrer sinnvollen Verquickung alle Vorteile konsequent ausnutzen.
  3. Mit demselben Studienpool wie bei der Art des Peer-Feedbacks wurde noch ausgewertet, ob die Anzahl der rückmeldenden Peers von Belang ist. Die Höhe der Effektstärken spricht deutlich dafür, da es fast dreimal so effektiv war, sich von mehreren Personen Feedback geben zu lassen (ES = 1,00), statt sich auf ein solitäres Feedback zu verlassen (ES = 0,37). Dies unterstützt die Annahme, dass mehr Feedback einen Mehrwert hat.

Fazit: Feedback? Feedback!

Schreiben im Hochschulkontext kann nachweislich mithilfe von Peer-Feedback unterstützt werden. Dies hat die Metanalyse von Bart Huisman und Team illustriert – zwar auf noch dünner empirischer Basis, aber dafür doch mit ermutigender Richtungsanzeige. Demnach lohnt es sich, auf formative Rückmeldungen von mehreren Personen zu setzen und dabei sowohl fixe (nummerisch zuordenbare) Kriterien bzw. Rangreihungsverfahren als auch offene (verbale) Feedback-Optionen zu nutzen. Oder anders: Die Usancen und Grundmechanismen des wissenschaftlichen Review-Verfahrens entfalten ihre positiven Effekte offenkundig bereits im Studium.

INFOBOX
Das Schreibzentrum der PH Zürich bietet u.a.

Textcoachings,
professionelle Begleitung von Schreib- und Publikationsprojekten,
Workshops und
externe Weiterbildungen.

Spezifisch für Hochschuldozierende und Lehrpersonen der Sekundarstufe 2 ist der Weiterbildungskurs Arbeiten von Studierenden begleiten und beurteilen.

Zum Autor

Maik Philipp ist Professor für Deutschdidaktik an der PH Zürich. Seine Schwerpunkte sind Lese- und Schreibförderung mit Fokus auf Evidenzbasierung. Neuere Publikationen: «Multiple Dokumente verstehen» (2019), «Lesekompetenz bei multiplen Texten» (2018), «Lesestrategien» (2015) und «Grundlagen der effektiven Schreibdidaktik» (2018).

Redaktion: Martina Meienberg

Komplex + unsicher = Bauch – oder wie man die richtige Entscheidung trifft

Beitrag von Yves Furer

Was haben Fussballspielen und Dozieren gemeinsam? Beides ist Handeln in komplexen Situationen. Das heisst, es geht oft darum, in kürzester Zeit die richtige Entscheidung zu treffen. Wie gelingt das ohne physikalische Formeln und pädagogisch-psychologische Modelle? Antworten gibt’s in den folgenden Ausführungen.

Da sein, wo der Ball ist

Damit Fussballspieler erfolgreich sind, müssen sie u.a. da stehen bzw. hinlaufen, wo der Ball ist. Möchte ein Fussballer systematisch bestimmen, wohin der Ball kommt, müsste er dafür (bei längeren, hohen Pässen) physikalische Faktoren wie Gravitation, Geschwindigkeit, Luftwiderstand und Rotation des Balles, die eigene Geschwindigkeit usw. beachten. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Fussballer nicht weiss bzw. messen kann, wie schnell der Ball ist, der auf ihn zufliegt. Er kann all diese Faktoren im besten Fall abschätzen. Trotzdem muss er schnell entscheiden, wohin er wie schnell läuft, um den Ball zu erreichen.

Dozierende wiederum stehen beispielsweise vor der Aufgabe, während des Unterrichts zu merken, ob und welche Studierenden verstanden haben, was sie ihnen vermittelt haben. Auch in dieser Situation ist eine Vielzahl von Faktoren beteiligt, die miteinander interagierenden: Komplexität des Themas, Vorwissen und Interesse der Studierenden, gewählte Instruktionsmethode, Tageszeit usw. Genauso wie den Fussballern stehen den Dozierenden keine Messwerte zur Verfügung, sondern sie können bestenfalls abschätzen, was ihre Studierenden z. B. schon an Vorwissen mitbringen. Trotzdem müssen auch sie schnell eine Entscheidung treffen, wie sie ihren Unterricht weiter gestalten: ein Thema nochmals erklären, zum nächsten Thema gehen etc.

Für Formeln und Modelle bleibt keine Zeit

Beide Probleme lassen sich auf eine komplexe und abstrakte Weise darstellen: physikalische Formeln im Fussball oder pädagogisch-psychologische Modelle im Unterricht. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern diese Formeln bzw. Modelle den Fussballern oder Dozierenden in den beschriebenen Situationen helfen, die richtige Entscheidung zu treffen. So darf zumindest vermutet werden, dass Fussballer kaum in der Lage sind, während eines Spiels Gleichungen zu lösen, um im richtigen Moment an den Ball zukommen. Trotzdem zeigen sie Wochenende für Wochenende, dass sie es können:

Fussballer treffen häufig die richtige Entscheidung
Fussballer treffen oft in kürzester Zeit die richtige Entscheidung («Who Ate all the Pies?» 2013).

Welche Rolle spielt Intuition bei der richtigen Entscheidung?

Handelt es sich nun bei dieser Fähigkeit um reine, blinde Intuition oder Talent (siehe Blogbeitrag «Übung macht den Meister – oder doch nicht?» von Daniel Ammann)? Weder noch. Zumindest behauptet das Gerd Gigerenzer (2017), der ehemalige Direktor des Max-Plank-Instituts für Bildungsforschung. Er geht davon aus, dass Fussballer in solchen Situationen (wenn auch unbewusst) eine einfache Faustregel anwenden. Diese erlaubt es ihnen, mittels eines robusten Kriteriums die richtige Entscheidung zu treffen. Diese Faustregel könnte für das Fussball-Beispiel wie folgt lauten: Laufe so schnell, dass dein Blickwinkel zum Ball immer derselbe bleibt. Die folgende Abbildung illustriert das Konzept dieser sogenannten «Blick-Heuristik» (wobei hier der Ball gefangen und nicht mit dem Fuss getreten wird).

Das Konzept der «Blick-Heuristik» (Gigerenzer und Gaissmaier 2006) hilft z. B. im Ballsport, die richtige Entscheidung zu treffen.
Das Konzept der «Blick-Heuristik» (Gigerenzer und Gaissmaier 2006) hilft z. B. im Ballsport, die richtige Entscheidung zu treffen.

Mentale Abkürzungen helfen bei der Entscheidung

Solche Faustregeln, Heuristiken, sind mentale Abkürzungen: Anstatt zu versuchen, alle Faktoren eines Vorganges zu erfassen, beschränkt man sich auf wenige, relevante Informationen. Gemäss Gigerenzer (2017) ist es eine Fiktion, dass eine Person in der Lage ist, alle für eine Entscheidung relevanten Informationen zu finden. Und selbst wenn eine Person alle Informationen zur Verfügung hätte, bräuchte sie alle Zeit der Welt, um alle Informationen gegeneinander abzuwägen und dann daraus Schlüsse zu ziehen. Diese wiederum könnten die Grundlage für eine Entscheidung sein. Entscheidungen beim Fussball oder Unterrichten so zu fällen, führt nicht zum Ziel und bringt schon gar keine Tore: Der Ball wäre schon lange weg, die Studierenden nach Hause gegangen.

Heuristiken in der Lehre?

Als Alternative schlägt Gigerenzer (2017) deshalb vor, bestimmte Hinweise (cues) als Entscheidungsgrundlage zu nutzen und andere zu ignorieren. Es wird also bewusst auf Informationen verzichtet, die eigentlich verfügbar wären, die aber den Entscheidungsprozess verkomplizieren. Doch ist ein solches Vorgehen nicht gefährlich, da «blinde Flecken» nicht nur in Kauf, sondern aktiv produziert werden?

Empirisch zeigt sich, dass in vielen Fällen Heuristiken komplexen Entscheidungsprozessen überlegen sind. Beispielsweise überleben dank Heuristiken mehr Herznotfall-Patienten (Marewski & Gigerenzer 2012), es wird mehr Geld am Aktienmarkt erwirtschaftet (DeMiguel et al. 2006) oder ein beschädigtes Flugzeug (Gigerenzer 2017) sicher gelandet.

Ob auch Dozierende von Entscheidungen profitieren, die sie mittels Heuristiken getroffen haben, ist eine noch ungeklärte Frage. Wahrscheinlich nutzen viele Dozierende unbewusst Heuristiken, um Entscheidungen im Zusammenhang mit ihrer Lehre zu treffen. Wenn sie beispielsweise Abschlussarbeiten mit Hilfe eines Rasters beurteilen, dürfte bei einigen Dozierenden die Note bereits feststehen, wenn sie beginnen, Kreuze und Punkte im Raster zu verteilen. Wie solche heuristischen Entscheidungen zustande kommen, diskutiert man allerdings kaum, da sie selten bewusst wahrgenommen werden. Schenkt man ihnen dennoch Aufmerksamkeit, besteht die Gefahr, dass ihr Potential übersehen wird, da es sich um vermeintlich unprofessionelle «Bauchentscheidungen» handelt.

Fazit

Selbstverständlich bringen Heuristiken eine Reihe von Problemen mit sich. Beispielsweise ist es entscheidend, die richtigen Hinweise als Grundlage für eine Entscheidung auszuwählen. Nur weil ein Student in der ersten Reihe gähnt, ist das zwar ein salienter (auffälliger) Hinweis, aber nicht unbedingt eine gute Basis für die Bewertung des eigenen Unterrichts. Trotzdem, oder gerade deswegen, ist es lohnenswert, sich die Grundlagen, auf denen man Entscheidungen trifft, bewusst zu machen und sie gegebenenfalls zu hinterfragen.

INFOBOX
Yves Furer arbeitet im Schreibzentrum der PH Zürich. Neben Schreibberatungen und Workshops für Studierende und Mitarbeitende der PH Zürich bietet das Schreibzentrum
- externe Weiterbildungen, - Textcoachings, - professionelle Begleitung von Schreib- und Publikationsprojekten.

Kontakt: schreibberatung@phzh.ch

Das Schreibzentrum der PH Zürich begleitet Studierende und Dozierende beim Planen, Verfassen und Überarbeiten von Texten.
Neben Lehrgängen in der Aus- und Weiterbildung bietet das Schreibzentrum Workshops, individuelle Coachings sowie massgeschneiderte Kurse für Gruppen an.

Angebote für Studierende im Studiweb

Workshops und Impulse des Lernforums (Digital Learning, Schreibzentrum, Bibliothek)

Während des Semesters bietet das Schreibzentrum offene Sprechstunden im LAA-F014 an: Montag bis Freitag, jeweils von 12.15 bis 13.45 Uhr.


Zum Autor

Yves Furer ist Dozent für Deutschdidaktik und Mitarbeiter des  Schreibzentrums der PH Zürich. Er berät Studierende und Mitarbeitende im Bereich Literalität und leitet Weiterbildungen und Projekte zum Thema Literalität in der Volksschule. Ausserdem ist er QUIMS-Experte im Schwerpunkt «Beurteilen und Fördern, mit Fokus auf Sprache». Aktuell arbeitet er an einer Promotion zum Thema «Kognitive Prozesse bei der Textbeurteilung». 

Redaktion: Martina Meienberg

Übung macht den Meister – oder doch nicht?

Beitrag von Daniel Ammann

Wenn wir uns auf einen Operationstisch legen oder in ein Flugzeug steigen, vertrauen wir uns lieber einer Chirurgin oder einem Piloten mit viel Erfahrung an. Übung macht den Meister und die Meisterin. Darauf verlassen wir uns. Schliesslich haben wir den Film Sully (Clint Eastwood 2016) gesehen und wissen aus den Spitalserien, dass Anfängerinnen und Anfänger Fehler machen.

Nach einer Kollision mit Wildgänsen landet der erfahrene Pilot Chesley Sullenberger auf dem Hudson River und rettet Crew und Passagieren das Leben.

Wie die Expertiseforschung allerdings zeigt, lässt sich Meisterschaft nicht einfach in Übungsstunden und Berufsjahren messen. Um sich kontinuierlich zu steigern und effizient dazuzulernen, muss man auch über das richtige Üben Bescheid wissen. Wer nur Routinen abspult und gar nicht bei der Sache ist, macht ab einer gewissen Kompetenzstufe keine Fortschritte mehr – oder büsst sogar Fertigkeiten ein. So haben Leistungstests gezeigt, dass «Ärzte, die seit 20 oder 30 Jahren praktizieren, schlechter abschneiden als jene, die erst vor zwei oder drei Jahren ihre Ausbildung beendet haben» (Ericsson u. Pool 2016, 48).

Talent wird überbewertet

Universalgenie Benjamin Franklin hat es im Schachspiel zwar auf ein beachtliches Niveau gebracht und gegen die Besten seiner Zeit gespielt. Aber trotz fleissigem Üben wurde er irgendwann nicht mehr besser. In Top: Die neue Wissenschaft vom bewussten Lernen erklären Psychologe K. Anders Ericsson und Wissenschaftsredaktor Robert Pool, warum das so ist. Sie ziehen Bilanz und räumen dabei mit ein paar hartnäckigen Mythen auf.

Expertise
Die Leistungen von Ausnahmetalenten gründen nicht allein auf Begabung.

Unter Beschuss gerät vor allem die Vorstellung, herausragende Leistungen seien auf ein angeborenes Talent zurückzuführen. Ericsson hat zahlreiche Ausnahmetalente unter die Lupe genommen und festgestellt, dass deren Höchstleistungen nicht auf Begabung gründeten, sondern die Folge von unnachgiebigem und jahrelangem Training waren. Selbst Mozart wurde die Gabe nicht einfach in die Wiege gelegt. Als der Wunderknabe sein Publikum in verzücktes Erstaunen versetzte, hatte er bei seinem Vater bereits eine lange und disziplinierte Schulung absolviert.

Aber nicht nur Talent und Inspiration, auch Wissen, Berufserfahrung und Übung werden mitunter überschätzt. Entscheidend sei, so Ericsson und Pool, «was zu tun man in der Lage ist, nicht, was man weiss – auch wenn man bestimmte Dinge wissen muss, um seine Aufgabe zu erfüllen.» Obgleich Wissen in vielen traditionellen Ausbildungsgängen grossgeschrieben wird, ist es nicht mit Fähigkeit gleichzusetzen. Laut den Autoren liegt darin «einer der wesentlichen Unterschiede zwischen traditionellen Wegen zur Expertise und der Methode des bewussten Lernens» (Ericsson u. Pool 2016, 188).

Mit 10’000 Übungsstunden zur Expertise?

K. Anders Ericsson, Ralf Krampe und Clemens Tesch-Römer haben bereits 1993 in einem Artikel in der Psychological Review Forschungsergebnisse zur Rolle des bewussten Lernens vorgelegt. In Anlehnung daran macht 15 Jahre später Malcolm Gladwell in seinem Buch Überflieger: Warum manche Menschen erfolgreich sind – und andere nicht die sogenannte «10’000-Stunden-Regel» populär. Zur gleichen Zeit doppelt Geoff Colvin mit seinem provokativen Titel nach: Talent wird überschätzt: Welche Erfolgsfaktoren wirklich zählen.

Auf den ersten Blick fühlen sich die verbissenen Kämpfer durch die angebliche Erfolgsregel bestätigt. Man muss lediglich 10’000 Stunden üben, um es an die Leistungsspitze zu schaffen. Das mutet wie ein Gesetz an, vor dem alle gleich sind. So schön diese Faustregel mit dem einfachen Wirkungszusammenhang klingt, so einseitig stellt sie die Tatsachen dar. Reines Üben reicht zur Erlangung von Expertise nämlich keineswegs aus. Entscheidend sind die Begleitumstände. Dazu gehören professionelle Anleitung und Feedback ebenso wie Achtsamkeit, Motivation und Durchhaltewillen.

Auf das Lehrgerüst kommt es an

Intensives und regelmässiges Training legt den Grundstein für künftige Könnerschaft. Wie Meisterklassen in der Musik oder Sportausbildungen zeigen, kommt es im Wesentlichen auf die Übungsmethode und das passende Lehrgerüst (siehe Kasten) an. Ähnlich wie bei der von Wood, Bruner und Ross (1976) vorgestellten Methode des Scaffolding wird das Lernziel in eine Abfolge von Teilaufgaben zerlegt und der gesamte Prozess kontrolliert. Der entscheidende Unterschied beim bewussten Lernen besteht jedoch «in der besonderen Bedeutung, die bei jedem der Schritte der notwendigen mentalen Repräsentationen beigemessen wird, und der Sorgfalt, mit der darauf geachtet wird, dass der Schüler oder Student die entsprechenden Repräsentationen entwickelt hat, ehe er den nächsten Schritt in Angriff nimmt» (Ericsson u. Pool 2016, 341).

Im deutschen Diskurs dominiert der englische Ausdruck «Scaffolding». Die Metapher aus der antiken Baukunst wird meist etwas unscharf mit «Baugerüst» übersetzt. Der deutsche Fachbegriff lautet allerdings «Lehrgerüst» und bezeichnet in der Baukunst ein Bogengerüst. Laut Pierer's Universal-Lexikon von 1860 handelt es sich hierbei um «die hölzerne Unterstützung, welche als Lehre (hier gleichbedeutend mit Form) für die auszuführende Wölbung dient und auf ihrem, der Leibung eines Bogens oder Gewölbes entsprechend geformten Rücken, die Rippen, Kappen u. Wangen desselben während deren Ausführung sicher trägt, bis der Schlussstein durch gleichgewichtige gegenseitige Spannung die Unterstützung überflüssig macht». 

Auf ihrem Weg nach oben brauchen die Lernenden kompetente Begleiterinnen und Begleiter, die ihnen mit zielführendem Feedback wichtige Impulse zur Verbesserung geben. Wer keinen Coach und keine Mentorin an der Seite hat, kann sich an Benjamin Franklin oder Jack London ein Beispiel nehmen. Anhand von Vorbildern haben sich die beiden Autodidakten die Schriftstellerei durch die Analyse von Texten, ein Aufbauprogramm und konsequentes Üben quasi im Alleingang beigebracht.

Fazit

Worauf es beim gezielten Üben und beim bewussten Lernen ankommt, lässt sich an folgenden sieben K-Stichworten festmachen.

Kompetenzorientierung. Expertise beschränkt sich nicht auf Wissen. Bei der Methode des bewussten Lernens liegt der Fokus auf der tatsächlichen Leistung, auf dem Können, auch wenn man dazu ein bestimmtes Wissen benötigt. 

Komplexität reduzieren. Das zu Erlernende bzw. der Weg zum angestrebten Ziel wird in eine Reihe klar definierter Teilschritte zerlegt.

Komfortzone verlassen. Gezieltes Üben unterscheidet sich von planlosem Wiederholen. Es geht darum, sich neue Fähigkeiten anzueignen und steten Druck auf den Fortschritt auszuüben.

Konzentration. Fokussiertes Training stellt den nächsten Lernschritt in den Mittelpunkt. Dazu gehört auch, dass man beim Üben auf die Inhalte und Abläufe konzentriert bleibt.

Kontrolle. Ergebnisse und Fortschritte werden laufend überprüft und analysiert. Gezieltes Feedback hilft den Lernenden, in die «Zone der nächsten Entwicklung» (Wygotski) vorzurücken.

Korrektur. Hat man erst einmal erkannt, wo etwas noch nicht funktioniert oder was den Fortschritt blockiert, werden Vorgaben und Abläufe angepasst.

Konsequenz. Dranbleiben, denn intensives und regelmässiges Üben bildet die Voraussetzung für Erfolg und Expertise.

Schreiben ist ebenfalls ein Gebiet, bei dem gezieltes Üben und bewusstes Lernen eine wesentliche Rolle spielen. Am Schreibzentrum der PH Zürich können sowohl Dozierende als auch Studierende zu verschiedenen Aspekten des Schreibens Beratung erhalten.

Für Hochschuldozierende bietet das ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und Entwicklung zudem den Kurs Arbeiten von Studierenden begleiten und beurteilen an.

Zum Autor

Daniel Ammann ist Dozent für Medienbildung, Mitarbeiter des Schreibzentrums der PH Zürich, Redaktor («Akzente», «Zeitschrift Schreiben») und Betreuer von Masterarbeiten Sek I. 

21st Century Skills – Kompetenzen für die Berufswelt von morgen

Beitrag von Alex Rickert

21st Century Skills – zu Beginn des neuen Jahrtausends kontrovers diskutiert und in aller Munde. Knapp 20 Jahre später zeichnet sich ab, dass 21st Century Skills nötiger sind denn je. Zumindest, was das Lesen und Schreiben betrifft.

Für die Berufswelt von morgen braucht es globale Kompetenzen.

Die grossen Initiativen der OECD, einzelner Staaten und Grosskonzerne zur Förderung der Skills für das 21. Jahrhundert haben gewirkt. Viele dieser Grundsätze sind heute in Lehrplänen und Curricula verankert. Inzwischen prüfen die PISA-Tests nebst den drei Hauptbereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften auch typische 21st Century Skills wie «kollaboratives Problemlösen» (PISA 2015) oder «globale Kompetenz» (PISA 2018).

Probleme lösen, Wissen organisieren

Zwei Gründe werden oft ins Feld geführt, um die Dringlichkeit solcher Kompetenzen – 21st Century Skills – zu untermauern. Erstens der Wegfall von physischen und kognitiven (z. B. kaufmännischen) Routinearbeiten auf dem Arbeitsmarkt aufgrund der Digitalisierung. Die verbleibende Arbeit erfordert die Fähigkeiten, Probleme zu lösen, Wissen zu organisieren und zu kooperieren. Der zweite Grund betrifft die enorme Menge an allzeit verfügbarer Informationen, Fakten und Meinungen. Laut der OECD sollen Schülerinnen und Schüler wie auch Studierende lernen, damit umzugehen. Sie sollen relevante und vertrauenswürdige Quellen erkennen, (multimediale) Informationen verstehen, das Gelesene für eigene Zwecke verarbeiten und die so gewonnenen Erkenntnisse in sozial vernetzten Umgebungen teilen können.

Im Kern der 21st Century Skills stehen die sogenannten 4 C’s oder zu Deutsch 4 Ks, die auf die US-amerikanische Initiative P21 zurückgehen. Die 4 Ks stehen für kritisches Denken und Problemlösen, Kommunikation, Kollaboration und Kreativität. Diese sollen gemäss der OECD junge Leute dazu befähigen, den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt mitzugestalten und davon zu profitieren.

Kritisiert wird unter anderem, dass durch die Fokussierung auf 21st Century Skills lediglich wirtschaftlich kompatible Arbeitskräfte produziert würden. Bildung habe jedoch die Aufgabe, unterschiedliche menschliche Fähigkeiten gleichermassen zu fördern. Aspekte wie Ethik, Bürgersinn, Empathie und Neugier seien zu wenig berücksichtigt. – Zumindest in neueren Modellen und Auflistungen von 21st Century Skills sind solche Gesichtspunkte jedoch häufig enthalten.

Drei Postulate für die Volks- und Hochschule

Trotz berechtigter Kritik sind 21st Century Skills fürs Lernen und Arbeiten so zentral wie nie. Die folgenden drei Postulate verdeutlichen, warum essentielle literale Kompetenzen des 21. Jahrhunderts – Recherchieren, Quellen beurteilen, Lesen, Schreiben, Veröffentlichen – auf Hochschul- und auf Volksschulstufe nicht nur gefordert, sondern auch gefördert werden sollen.

1. Die Informationsflut ist real

Durch das Internet und die sozialen Medien verfügbaren Informationen und Textformen mit teilweise widersprüchlichen und falschen Aussagen überfordern das menschliche Aufnahme- und Filtersystem. Strategien zur Kanalisierung der Informationsströme sind nötig. Nicht nur für das Studium und für den Beruf, sondern auch für das Leben als Mensch in einer modernen Gesellschaft.  

2. Nicht müde werden in der Arbeitswelt

Zwar sind auch in einem hochtechnologisierten Land wie der Schweiz weiterhin Jobs gefragt, bei denen oben genannte Fähigkeiten nur am Rande zählen. Trotzdem: Der technologische Fortschritt verändert den Arbeitsmarkt. Gewisse Berufe verschwinden und andere entstehen. Die Arbeitnehmenden tun gut daran, fit zu sein für solche Veränderungen. Nicht nur, weil sie das müssen, sondern auch, weil viele das wollen. Sozialer Aufstieg geht meist einher mit Weiterbildungen, Berufswechseln oder Beförderungen. Wer also in seinem Leben zwei- bis dreimal den Beruf wechseln muss oder möchte, ist gut beraten, Kompetenzen mitzubringen, die solche Veränderungen unter dem Aspekt des Life Long Learnings ermöglichen. Und das sind nicht zuletzt 21st Century Skills.

3. Eine neue literale Perspektive öffnet Türen zu (fast) allen Wissensdomänen

21st Century Skills
Beim Lesen und Schreiben sind neue Blickwinkel und Strategien gefragt.

Auf allen Bildungsstufen ist eine Didaktik gefragt, die Sprach-, Medien- und Informatikdidaktik kombiniert. Es braucht eine neue Perspektive auf das Lesen und Schreiben an der Hochschule und in der Schule. Lesen und Schreiben im digitalen Zeitalter müssen als eng miteinander verknüpfte Aktivitäten verstanden werden. So beinhaltet Lesen unter dieser Prämisse auch das Prüfen von Informationen und ist multimedial zu denken. Lesen, Verstehen und Verarbeiten von vielen und teilweise widersprüchlichen Informationen, die womöglich noch verlinkt sind, erfordert ganz andere Strategien und Vorgehensweisen als das Lesen eines gut strukturierten Einzeltextes. Das Schreiben eines Textes oder eines Referats auf der Basis mehrerer Quellen macht Strategien nötig, bei denen Informationen ausgewählt, neu organisiert und transformiert werden müssen. Das ist kognitiv höchst anspruchsvoll und braucht Übung. Wenn junge Menschen über solche Kompetenzen verfügen, ist viel gewonnen. Wenn sie in der Lage sind, selbstständig relevante und vertrauenswürdige Informationen zu einem spezifischen Thema zu finden, diese zu verstehen und so Wissen aufzubauen und zu kombinieren, stehen ihnen die Tore zu (fast) allen Wissensbereichen offen.

INFOBOX

Vertiefungsarbeit intensiv, am Stück, über Mittag – ein Kursangebot des Schreibzentrums

Worum geht es? Wir unterstützen Sie dabei, einen besseren Theorieteil Ihrer Vertiefungsarbeit zu verfassen. Besuchen Sie unseren kostenlosen Intensivkurs zu Semesterbeginn. In wenigen Wochen führen Sie Tutorinnen und Tutoren in Kleingruppen durch zentrale Stationen des Schreibens eines Theorieteils, sodass Sie am Ende des Kurses mit voller Kraft ins Verfassen Ihrer Vertiefungsarbeit starten. Wir nehmen uns Zeit für Ihre individuellen Anliegen: In Kleingruppen können Sie Ihre Fragen stellen und erhalten nach dem Kurs ein für Sie kostenloses Feedback im Rahmen eines 30-minütigen Gesprächs. 

Was sind die Teilnahmebedingungen? Um erfolgreich teilnehmen zu können, gibt es neben einer regelmässigen Teilnahme an den Veranstaltungen zwei Voraussetzungen: 1) Sie haben bereits ein Thema für Ihre Vertiefungsarbeit und haben mit der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema begonnen. Das heisst: Sie haben erste Texte gelesen und eine ungefähre Vorstellung Ihrer Fragestellung. 2) Sie sind bereit, an kurzen schriftlichen Befragungen teilzunehmen, die wir für die Kursentwicklung durchführen.

Wann findet der Kurs statt und wie umfangreich ist er? Der Kurs findet in mehrfacher Ausführung jeweils von 12.15 bis 13.45 Uhr statt. Es sind insgesamt sechs Sitzungen in den ersten drei Wochen des Herbstsemesters. Das bedeutet: Es gibt zwei Sitzungen pro Woche. Die genauen Termine für die Sitzungen stehen noch nicht fest. 

Wie kann ich teilnehmen? Haben wir Ihr Interesse geweckt? Dann melden Sie sich bitte bis zum 23. August 2019 per E-Mail an schreibzentrum@phzh.ch, um in unsere Mailingliste aufgenommen zu werden. Falls es mehr interessierte Studierende als Plätze (jeweils 5 Personen pro Kurs) gibt, entscheidet das Los über die Teilnahme. Wir kontaktieren Sie am 30. August per Mail, wenn Sie einen Platz im Kurs haben. Anschliessend bleibt Ihnen eine Woche, um sich verbindlich für den Kurs anzumelden. 

Zum Autor

Alex Rickert leitet das Schreibzentrum der PH Zürich. Er ist Dozent für Deutschdidaktik, leitet Weiterbildungen und Workshops zu wissenschaftlichem Schreiben und Lese- und Schreibförderung und ist QUIMS-Experte im «Schreiben auf allen Schulstufen».

Redaktion: Martina Meienberg

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