Beitrag von Alex Rickert
21st Century Skills – zu Beginn des neuen Jahrtausends kontrovers diskutiert und in aller Munde. Knapp 20 Jahre später zeichnet sich ab, dass 21st Century Skills nötiger sind denn je. Zumindest, was das Lesen und Schreiben betrifft.
Die grossen Initiativen der OECD, einzelner Staaten und Grosskonzerne zur Förderung der Skills für das 21. Jahrhundert haben gewirkt. Viele dieser Grundsätze sind heute in Lehrplänen und Curricula verankert. Inzwischen prüfen die PISA-Tests nebst den drei Hauptbereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften auch typische 21st Century Skills wie «kollaboratives Problemlösen» (PISA 2015) oder «globale Kompetenz» (PISA 2018).
Probleme lösen, Wissen organisieren
Zwei Gründe werden oft ins Feld geführt, um die Dringlichkeit solcher Kompetenzen – 21st Century Skills – zu untermauern. Erstens der Wegfall von physischen und kognitiven (z. B. kaufmännischen) Routinearbeiten auf dem Arbeitsmarkt aufgrund der Digitalisierung. Die verbleibende Arbeit erfordert die Fähigkeiten, Probleme zu lösen, Wissen zu organisieren und zu kooperieren. Der zweite Grund betrifft die enorme Menge an allzeit verfügbarer Informationen, Fakten und Meinungen. Laut der OECD sollen Schülerinnen und Schüler wie auch Studierende lernen, damit umzugehen. Sie sollen relevante und vertrauenswürdige Quellen erkennen, (multimediale) Informationen verstehen, das Gelesene für eigene Zwecke verarbeiten und die so gewonnenen Erkenntnisse in sozial vernetzten Umgebungen teilen können.
Im Kern der 21st Century Skills stehen die sogenannten 4 C’s oder zu Deutsch 4 Ks, die auf die US-amerikanische Initiative P21 zurückgehen. Die 4 Ks stehen für kritisches Denken und Problemlösen, Kommunikation, Kollaboration und Kreativität. Diese sollen gemäss der OECD junge Leute dazu befähigen, den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt mitzugestalten und davon zu profitieren.
Kritisiert wird unter anderem, dass durch die Fokussierung auf 21st Century Skills lediglich wirtschaftlich kompatible Arbeitskräfte produziert würden. Bildung habe jedoch die Aufgabe, unterschiedliche menschliche Fähigkeiten gleichermassen zu fördern. Aspekte wie Ethik, Bürgersinn, Empathie und Neugier seien zu wenig berücksichtigt. – Zumindest in neueren Modellen und Auflistungen von 21st Century Skills sind solche Gesichtspunkte jedoch häufig enthalten.
Drei Postulate für die Volks- und Hochschule
Trotz berechtigter Kritik sind 21st Century Skills fürs Lernen und Arbeiten so zentral wie nie. Die folgenden drei Postulate verdeutlichen, warum essentielle literale Kompetenzen des 21. Jahrhunderts – Recherchieren, Quellen beurteilen, Lesen, Schreiben, Veröffentlichen – auf Hochschul- und auf Volksschulstufe nicht nur gefordert, sondern auch gefördert werden sollen.
1. Die Informationsflut ist real
Durch das Internet und die sozialen Medien verfügbaren Informationen und Textformen mit teilweise widersprüchlichen und falschen Aussagen überfordern das menschliche Aufnahme- und Filtersystem. Strategien zur Kanalisierung der Informationsströme sind nötig. Nicht nur für das Studium und für den Beruf, sondern auch für das Leben als Mensch in einer modernen Gesellschaft.
2. Nicht müde werden in der Arbeitswelt
Zwar sind auch in einem hochtechnologisierten Land wie der Schweiz weiterhin Jobs gefragt, bei denen oben genannte Fähigkeiten nur am Rande zählen. Trotzdem: Der technologische Fortschritt verändert den Arbeitsmarkt. Gewisse Berufe verschwinden und andere entstehen. Die Arbeitnehmenden tun gut daran, fit zu sein für solche Veränderungen. Nicht nur, weil sie das müssen, sondern auch, weil viele das wollen. Sozialer Aufstieg geht meist einher mit Weiterbildungen, Berufswechseln oder Beförderungen. Wer also in seinem Leben zwei- bis dreimal den Beruf wechseln muss oder möchte, ist gut beraten, Kompetenzen mitzubringen, die solche Veränderungen unter dem Aspekt des Life Long Learnings ermöglichen. Und das sind nicht zuletzt 21st Century Skills.
3. Eine neue literale Perspektive öffnet Türen zu (fast) allen Wissensdomänen
Auf allen Bildungsstufen ist eine Didaktik gefragt, die Sprach-, Medien- und Informatikdidaktik kombiniert. Es braucht eine neue Perspektive auf das Lesen und Schreiben an der Hochschule und in der Schule. Lesen und Schreiben im digitalen Zeitalter müssen als eng miteinander verknüpfte Aktivitäten verstanden werden. So beinhaltet Lesen unter dieser Prämisse auch das Prüfen von Informationen und ist multimedial zu denken. Lesen, Verstehen und Verarbeiten von vielen und teilweise widersprüchlichen Informationen, die womöglich noch verlinkt sind, erfordert ganz andere Strategien und Vorgehensweisen als das Lesen eines gut strukturierten Einzeltextes. Das Schreiben eines Textes oder eines Referats auf der Basis mehrerer Quellen macht Strategien nötig, bei denen Informationen ausgewählt, neu organisiert und transformiert werden müssen. Das ist kognitiv höchst anspruchsvoll und braucht Übung. Wenn junge Menschen über solche Kompetenzen verfügen, ist viel gewonnen. Wenn sie in der Lage sind, selbstständig relevante und vertrauenswürdige Informationen zu einem spezifischen Thema zu finden, diese zu verstehen und so Wissen aufzubauen und zu kombinieren, stehen ihnen die Tore zu (fast) allen Wissensbereichen offen.
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Zum Autor
Alex Rickert leitet das Schreibzentrum der PH Zürich. Er ist Dozent für Deutschdidaktik, leitet Weiterbildungen und Workshops zu wissenschaftlichem Schreiben und Lese- und Schreibförderung und ist QUIMS-Experte im «Schreiben auf allen Schulstufen».
Redaktion: Martina Meienberg
2 Zitate und 2 Links zu diesem wichtigen Thema:
«Wenn der Computer Tätigkeiten automatisiert, dann muss sich die Schule auf die Vermittlung von Kompetenzen konzentrieren, die nicht automatisierbar sind. Er betont diesbezüglich das Nichtrationale und erwähnt explizit musisch-künstlerische Kompetenzen. Laut Haefner hat die Schule damit die Möglichkeit, mehr Unberechenbare und weniger Substituierbare auszubilden (siehe auch Kapitel 1).
Mit der Forderung nach einer Konzentration auf das Nichtautomatisierbare ist Haefner keineswegs allein – zahlreiche Autorinnen und Autoren gewichten typisch menschliche Kompetenzen wie Kreativität, Teamfähigkeit oder Sozialkompetenz sowie Kommunikationskompetenz stärker als technische Medienkompetenzen. In die gleiche Richtung zielt auch die Forderung, Spontaneität, Intuition und Querdenken auf Kosten von Fleiß, Ordnung und Auswendiglernen zu fördern (siehe Leitmedienwechsel-Reaktion 4, Kapitel 2).
Kreativität und Querdenken werden in einer digitalisierten Welt wichtiger, weil der Computer die einfachen Probleme bereits gelöst hat und damit die ungelösten Probleme komplexer werden. Diese verlangen teilweise unkonventionelle und interdisziplinäre Lösungsansätze. Zusammen mit der Globalisierung und der damit verbundenen Migration erhöht dies die Notwendigkeit, in heterogenen, multikulturellen Teams zusammenarbeiten zu können. Teamfähigkeit und Sozialkompetenz sind also gefragt.» (Döbeli 2017, S. 47)
Döbeli Honegger, Beat: Mehr als 0 und 1. Schule in einer digitalisierten Welt. hep verlag, Bern 2017
«Gleichzeitig mit den technischen Kompetenzen werden Sozial- und Selbstkompetenzen, kritisches Denken und Kreativität mit der digitalen Transformation immer wichtiger. Deshalb sollen in der Ausbildung von Kindern und Jugendlichen «soft skills» gleichwertig wie technische Kompetenzen gefördert werden (vgl. Genner, Renold/Bolli, Wehrli, Seite 8, 15, 22).» (Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen 2019, S. 83)
Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen: Aufwachsen im digitalen Zeitalter. Bern 2019. https://www.ekkj.admin.ch/fileadmin/user_upload/ekkj/02pubblikationen/Berichte/d_2019_EKKJ_Bericht_Digitalisierung.pdf
Life Skills – IPE / PHZH
https://phzh.ch/de/Dienstleistungen/internationale-bildungsentwicklung/Life-Skills/
Children should be taught “Soft Skills” – Future of Education explained by Jack Ma
https://youtu.be/GtBnwJp-mVM