Weiterbildung 4.0: Was ist Trend, was ist Hype?

Erik HaberzethErik Haberzeth ist Inhaber der Professur für Höhere Berufsbildung und Weiterbildung am ZHE der PH Zürich und lehrt in diesen Themenfeldern.

Begriffswirrwarr 4.0

Ich beobachte derzeit, wie in Gesellschaft und Wissenschaft lebhaft über die Verbreitung und den Einfluss digitaler Technologien debattiert wird. Das Thema Digitalisierung ist so omnipräsent, es nervt schon fast. Dabei ist das Anhängsel «4.0» inzwischen zur populären Phrase geworden, die – in Anlehnung an Software Updates – den relativen Neuigkeitsgrad eines Gegenstandes betonen soll. Wenn man (politische) Aufmerksamkeit gewinnen oder (vermeintlich) etwas Neues sagen will, dann geht heute ohne diesen Zusatz offenbar nichts mehr. Die Begriffsneuschöpfungen reichen von «Adoleszenz 4.0» (ja, die soll es wirklich geben!) über «Weiterbildung 4.0» bis zu «Zeitung 4.0». Beinahe täglich gesellen sich zum Begriffswirrwarr 4.0 neue Begriffe hinzu. Der Bezug zur Digitalisierung bleibt dabei meistens eher diffus.

Industrie 4.0: Agenda-Setting par excellence

Die Diskussion neigt ohne Zweifel zu Übertreibungen, vorschnellen Schlüssen und mancher Skurrilität. So wurde zum Beispiel die immer wieder zitierte Studie von Frey und Osborne, nach der 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA von Automatisierung bedroht seien, wissenschaftlich längst relativiert. Hinter mancher Diskussionsbeteilung stecken zudem handfeste wirtschaftliche Interessen. Dies wird gleich zu Beginn der aktuellen gesellschaftlichen Debatte um Digitalisierung deutlich: Hier steht der Begriff der «Industrie 4.0», der unter anderem Henning Kagermann, langjähriger Vorstandssprecher des Softwareunternehmens SAP in die Öffentlichkeit trug. Sein Aufsatz hiess: «Industrie 4.0: Mit dem Internet der Dinge auf dem Weg zur 4. industriellen Revolution». Veröffentlicht wurde er 2011 zur weltweit bedeutendsten Industriemesse «Hannover Messe».

4. industrielle Revolution
Sieht so die 4. industrielle Revolution aus?

Absurd ist dabei, dass alle bisherigen Revolutionen (Mechanisierung, Elektrifizierung, Informatisierung) im Nachhinein auf der Grundlage historischer Erfahrungen erkannt wurden. Die angeblich «vierte Revolution» wird hingegen ausgerufen, bevor sie stattgefunden hat.

Man kann jedenfalls ein äusserst erfolgreiches Agenda Setting von Industriebetrieben, Ingenieuren und IT-Experten feststellen. Aber: Deshalb von einem blossen Hype zu sprechen, wäre angesichts realer Veränderungsprozesse durch Digitalisierung und zu erwartenden zukünftigen Entwicklungen sicherlich nicht angemessen. Automatisierungs- und Digitalisierungsprozesse sind zwar sicher keine neuen Phänomene. Aber sie finden dank rasant erhöhter Speicher- und Verarbeitungskapazitäten zunehmend beschleunigt in allen gesellschaftlichen Feldern statt. Unsere Arbeits- und Lebenswelten verändern sich spürbar, so dass das Thema aktuell bleiben wird. Und wir müssen uns ihm stellen: In der Bildungswissenschaft und -Praxis.

Arbeiten 4.0 als Diskurserweiterung

Inzwischen entsteht immerhin eine Diskussion um «Arbeiten 4.0», die nach sozialen Veränderungen und Herausforderungen fragt. Andere Beschäftigungsfelder wie personenbezogene Dienstleistungen werden hier einbezogen. Dabei wird Abstand genommen von einer technologiefixierten und einer allein wirtschaftlichen Sicht auf Digitalisierung. Es geht vielmehr darum, gesellschaftliche Bedürfnisse und die Ansprüche der Beschäftigten an gute Arbeit in den Transformationsprozess miteinzubeziehen. Es stehen also Innovationen und das gesamte gesellschaftliche Wohlergehen im Fokus und nicht nur der Profit. So fragt Arbeiten 4.0 zum Beispiel nach

  • (Sicherung der) Teilhabe aller sozialer Gruppen
  • Vereinbarkeit von Beruf und Familie
  • gerechten Löhnen und sozialer Sicherheit
  • guter Arbeit
  • guter Unternehmenskultur und demokratischer Teilhabe
  • (und nicht zuletzt) Lernen und Weiterbildung im Lebenslauf
Industrie 4.0
Menschenleerer Containerhafen – wie verändert Digitalisierung die Arbeit?

Perspektiven der Weiterbildung

Die Frage, wie Bildung oder Weiterbildung 4.0 aussehen könnten, wird in diesem Zusammenhang aktuell. Nur liegen bislang kaum solide Beiträge vor, empirische Untersuchungen sind noch Mangelware. Meist wird sehr allgemein davon gesprochen, dass das Bildungssystem erneuert werden müsste. Wie genau und warum und in welche Richtung, das bleibt meist im Dunkeln. Wenn Vorschläge gemacht werden, dann zeigen sich eher bedenkliche Tendenzen: Es wird beispielsweise auf Einsparungen und Minimalismus gesetzt (siehe dazu z.B. Käpplinger 2016). Lange bekannte Bildungskonzepte wie selbstorganisiertes Lernen, E-Learning oder Lehrende als Lernbegleiter treten wieder als Patentlösungen in den Vordergrund. Es heisst, Bildung müsse individualisiert werden und jede/r Lernende wisse doch am besten selbst, was er oder sie benötige.

Forschung zu diesen Konzepten verweist eher auf das Gegenteil. Selbstorganisiertes Lernen ist enorm störanfällig und anspruchsvoll, besonders für eher «lernungewohnte» Gruppen. Blosses E-Learning wie zum Beispiel bei MOOCs hat enorme Abbruchquoten. Es braucht Lernbegleiter, aber eben nicht bloss den Kollegen oder die Vorgesetzte. Professionelles erwachsenenpädagogisches Personal muss über erweiterte Kompetenzen in Vermittlung wie Beratung verfügen. Mit kostensparendem Minimalismus ist den Herausforderungen der Digitalisierung nicht beizukommen.

Erik Haberzeth spricht über Industrie 4.0 und Weiterbildung
Erik Haberzeth spricht am ZHE-Jahresapéro über Industrie 4.0 und Bildung in Zeiten der Digitalisierung

Partizipativer Ansatz

Weiterbildung wird zudem teilweise als ein blosses arbeitsmarktpolitisches Instrument angesehen. Sie soll helfen, Menschen einfach in diejenigen Beschäftigungsfelder «zu verschieben», die vom technischen Fortschritt profitieren. Zugespitzt formuliert: Der Schneider soll IT-Administrator werden. Dem widerspricht die arbeitswissenschaftliche Erkenntnis, dass die Berufsrolle und die Arbeitsaufgabe für die Entwicklung von persönlicher Identität und Selbstwertgefühl eine grosse Bedeutung haben. Es geht deshalb darum, die Unersetzbarkeit menschlichen Arbeitsvermögens zu festigen. Gemeinsam mit den Beschäftigten ist zu fragen, wie Kompetenzen ausgebaut und erweiterte Aufgaben wahrgenommen werden können.

Angesichts dieser An- und Widersprüche führen wir aktuell zusammen mit der Universität Hamburg ein eigenes Forschungsprojekt «Kompetenz 4.0» durch. Wir untersuchen Kompetenzverschiebungen durch Digitalisierung im Detailhandel und in der Logistik. Dabei fragen wir auch danach, wie Weiterbildung angesichts der festgestellten Verschiebungen künftig gestaltet werden kann, um die Menschen fit für die Zeiten der Digitalisierung zu machen.

Erik Haberzeth forscht und publiziert zum Thema Weiterbildung und Kompetenz 4.0. Das Projekt «Kompetenz 4.0» wird von November 2015 bis Oktober 2018 von der PH Zürich und der Universität Hamburg durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Beauftragt mit der Durchführung des Gesamtprogramms «Innovative Ansätze zukunftsorientierter beruflicher Weiterbildung» ist das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB).

Lesetipps: 
Haberzeth, E. & Glass, E. (2016). Kompetenz 4.0. Partizipative Kompetenzanalyse als Perspektive. Journal für politische Bildung, H 12/1.

Weiterbildung 4.0: Interview mit Bernd Käpplinger.

Redaktion: ZBU, TZM

Scannen mit dem Smartphone – Caspars Toolbox

Caspar-Noetzli-sw

Beitrag von Caspar Noetzli, Dozent und Berater beim Digital Learning Center der PH Zürich.

 


Logo Caspar's Toolbox

Hinweis der Redaktion:
Dieser Beitrag ist der

erste in der Serie
«Caspars Toolbox».
Hier stellt Caspar Noetzli
zweimal jährlich eine
bewährte 
App oder ein
digitales
 Werkzeug vor,
das sich 
im Unterrichts-
alltag
 sinnvoll einsetzen
lässt.

Dokumente scannen mit dem Smartphone

Mit der App «Scanbot» stelle ich ein Tool vor, das zum persönlichen und kollektiven Wissensmanagement eingesetzt werden kann:

Die Bildqualität der Kameras in den heutigen Smartphones ist so gut, dass sie sich auch als Scanner für Dokumente einsetzen lassen. Scanner-Apps bieten deshalb Möglichkeiten, Fotos von Texten auf nützliche Weise weiterzuverarbeiten. Funktionen sind zum Beispiel:

Im folgenden Screencast zeige ich exemplarisch die Funktionsweise der App «Scanbot» auf (läuft auf Android und iOS). Ich freue mich auf Ihre Rückmeldungen und Erfahrungsberichte hier im Blog.

Link: Mobiles Scannen mit der App «Scanbot»
Screencast: Mobiles Scannen mit der App Scanbot

Links

Scanbot im Apple-Store
Scanbot in Google Play

Caspar Noetzli leitet für das ZHE zusammen mit Peter Suter den Kurs E-Didaktik. Dieser richtet sich primär an Lehrende an Hochschulen sowie der Erwachsenenbildung, ist aber auch für Lehrpersonen der Sekundarstufe 2 interessant.

E-Didaktik: Der Weg zum wirkungsvollen E-Learning

 

Verena Muheim

Beitrag von Verena Muheim, Fachspezialistin Medien und Informatik am Medien- und Didaktikzentrum MDZ und Lehrbeauftragte Pädagogik und Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Thurgau.


Katharina Burkhardtund von Katharina Burkhardt, Fachspezialistin Medien und Informatik am Medien- und Didaktikzentrum MDZ sowie Beauftragte für Marketing + Kommunikation an der Pädagogischen Hochschule Thurgau.


An Hochschulen geht ohne Lernplattformen nichts mehr. Aber führt ihr Einsatz automatisch zum Erfolg? So erzählte uns kürzlich ein Kollege – Dozent an einer Pädagogischen Hochschule, er betreibe ebenfalls viel E-Learning.
Zum Beispiel stelle er seine Materialien nur noch online zur Verfügung und spare so den Kopieraufwand. Hin und wieder stelle er auch Lehrfilme auf die Plattform. Bisher habe er sich diese jeweils gemeinsam mit den Studierenden in der Veranstaltung angesehen. Nun müssten die Studierende diese vorgängig anschauen, so habe er in der Präsenzvorlesung mehr Zeit für die Fragen der Studierenden. Allerdings sei es etwas frustrierend: Die Studierenden würden regelmässig über angeblichen Mehraufwand klagen. Sein Verhältnis zum E-Learning bezeichnet unser Kollege deshalb als zwiespältig.

Digitale Medien = E-Learning?

Aber Moment: Findet tatsächlich E-Learning statt, wenn Studierende zur Verfügung gestellte PDFs herunterladen und einige Videos anschauen? Oder provokativer gefragt: Inwiefern verbinden wir das Wort «E-Learning» überhaupt mit studentischem Lernen? Wo geht es wirklich um Lernen, wo bloss um digitale Aufbereitung von Materialien?

PLE
Alle Lernenden haben ihre persönliche Lernumgebung – analog und digtal

Digitale Medien begleiten Dozierende und Studierende im Hochschulalltag. Auf allen erdenklichen Devices wird in der Hochschule recherchiert, werden Inhalte erarbeitet und geteilt. Dabei werden nicht nur Software und Apps verwendet, die von der Hochschule angeboten werden. Die Studierenden verwenden auch weitere digitale Helfer, um ihren Studienalltag zu organisieren. Diese reichen von Wikipedia über Übersetzungsdiensten bis zu Social Media. Die Studierenden bewegen sich damit in ihrem je eigenen Personal Learning Environment (siehe dazu den Beitrag von Philippe Wampfler in diesem Blog).

Es gibt eine grosse Bandbreite an Tools und Szenarien, die als E-Learning bezeichnet werden. Häufig wird damit die Ergänzung oder Entlastung von Präsenzlehre angestrebt, z.B. indem

  • mehr Zeit für den aktiven Austausch in der Präsenzveranstaltung geschaffen wird,
  • selbstständige Arbeitsphasen von zu Hause aus begleitet werden
  • mobile Geräte sinnvoll in die Lehrveranstaltung integriert werden können.

E-Learning und E-Didaktik

Was an alledem ist nun E-Learning? Die Professorin auf Video anschauen? Statt stundenlang vor einem leeren Blatt zu sitzen, rasch eine Whatsapp-Gruppe um Rat fragen?
Und wie können Lehrende sich bei der Vielzahl zur Verfügung stehender Tools in diesem Bereich fit machen?

Vielleicht hilft es, wenn wir andere Fragen stellen: Erlernen Kinder das Fairplay besser beim Fussballspielen oder beim Hockey? Oder erlernen sie faires Verhalten am ehesten, wenn sie zuhause einen Film über Fairplay anschauen und dann darüber sprechen?
Können Sie sich nicht entscheiden? Wir auch nicht. Denn: Das Medium ist nicht der Inhalt, sondern nur ein Werkzeug im Dienste des Lernens (in Umkehrung des berühmten Diktums von Marshall McLuhan). E-Tools bewirken also per se noch kein Lernen. Die Frage ist vielmehr, wie sie didaktisch eingesetzt werden.

E-Learning - leere Hörsäle?
Leert E-Learning die Hörsäle?

Im Vordergrund steht somit die didaktische Frage, was guten (Hochschul-)Unterricht ausmacht. Denn es sind konkrete Lehr-Lern-Settings, die das Lernen der Studierenden unterstützen oder behindern. Das Ziel soll die Methode bestimmen – nicht andersrum. Auch beim Einsatz von E-Learning-Elementen. Deshalb ermöglicht erst eine E-Didaktik gezieltes E-Learning.

Zwei Denkmodelle für die Praxis

Zwei Denkmodelle, die wir im CAS Hochschuldidaktik des ZHE vertiefen konnten, sind bei der Betrachtung von E-Learning und E-Didaktik hilfreich. Beide helfen zu verstehen, dass es bei E-Learning um den bewussten Einsatz digital gestützter Methoden des Lehrens und Lernens geht. Die Planung von E-Learning-Szenarien erfordert also dieselben didaktischen Überlegungen wie die Konzeption „analoger“ Szenarien:

  • Der «shift from teaching to learning» hat sich in den letzten zwanzig Jahren als Leitmotto der Hochschuldidaktik etabliert. Hochschullehre setzt damit den Fokus nicht mehr einseitig auf die passive Stoffvermittlung. Nun werden die Lernenden sowie ihre Lernwege in den Vordergrund gerückt. Dieser veränderte Blickwinkel auf Lehren und Lernen ist bei der Konzeption von analogen und digitalen Lehr-Lernszenarien gleichermassen gewinnbringend.
  • «Constructive Alignment»: Dieses Modell besagt, dass in wirkungsvollem Unterricht drei zentrale Aspekte aufeinander abgestimmt sein müssen. Die Lernziele sind im Voraus definiert, die Unterrichtsmethodik ist auf das Erreichen der Lernziele ausgerichtet und die Leistungsnachweise prüfen, ob die Lernenden sie tatsächlich erreicht haben. Auch beim Einsatz von E-Learning-Szenarien sind diese massgeblichen Elemente zu arrangieren und in ein stimmiges Verhältnis zu bringen.
Constructive Alignment
Das Constructive Alignment ist auch beim Lernen mit elektronischen Medien zentral

E-Learning bezeichnet also nach unserem Verständnis ein digital gestaltetes Lehr-Lern-Szenario. Dieses können Lernende mal mehr, mal weniger eigenständig durchlaufen.

Umgang mit der digitalen Vielfalt: Mediendidaktisches Tranining

Der Einsatz von digitalen Medien ist für viele Lehrende nicht selbstverständlich. Herausfordernd sind die enorme Schnelllebigkeit und grosse Fülle an Technologien. Diese können zu Verunsicherungen führen. Lehrende sind auch in dieser Hinsicht gezwungen, Vielfalt zu meistern (vgl. den jüngst erschienen Beitrag zum Thema von Kerstin Mayrberger).

Aus diesen Gründen bieten die HTWG Konstanz und die PHTG im Raum Kreuzlingen-Konstanz seit einigen Jahren eine mediendidaktische Weiterbildung an. Das Mediendidaktische Training (MDT) greift den Umgang mit digitalen Möglichkeiten des Lehrens und Lernens auf und wird in Kooperation beider Hochschulen durchgeführt. Dieses Training spricht in erster Linie in der Hochschullehre tätige Personen an, ist aber grundsätzlich für alle Interessierten offen.  Im Herbst 2016 wird das MDT in überarbeiteter Form angeboten.

Das neue MDT zielt darauf, die didaktische Verknüpfung von Inhalt, Auftrag, Tätigkeit und zur Verfügung stehender Technik zu diskutieren, zu erarbeiten und zu erfahren. Die oben erwähnten Denkmodelle des «Constructive Alignment» und des «shift from teaching to learning» spielen dabei eine zentrale Rolle.

Verena Muheim besucht den CAS Hochschuldidaktik «Winterstart» 2016 am ZHE. Sie und Katharina Burkhardt arbeiten am Medien- und Didaktikzentrum MDZ der PHTG. Die beiden Autorinnen haben kürzlich das Mediendidaktische Training (MDT) der PHTG und der HTWG Konstanz überarbeitet.
 
Lesetipp:
- John Biggs (2013): Constructive Alignment in University Teaching.
- Kerstin Mayrberger: Lehren mit digitalen Medien – divers und lernendenorientiert.

Das ZHE bietet einen Kurs «E-Didaktik» an, in Kooperation mit dem Digital Learning Center der PH Zürich. Dieser richtet sich primär an Lehrende an Hochschulen sowie der Erwachsenenbildung, ist aber auch für Lehrpersonen der Sekundarstufe II interessant. Siehe auch die Rubrik «Caspars Toolbox» in diesem Blog.

Demenz oder Doping? Social Media in der Weiterbildung

Ph_Wampfler_sw

Beitrag von Philippe Wampfler, Gymnasiallehrer, Hochschuldozent und Experte für Lernen mit Neuen Medien.


Lernende erleben sich als wichtigeren Teil einer Lehrveranstaltung, wenn sie dazu aufgefordert werden, sie mit Social Media zu begleiten. Sie haben den Eindruck, ihre Bedürfnisse und Meinungen spielten eine grössere Rolle, wenn sie sie im Web 2.0 ausdrücken können.  Eine Studie der Universität Hong Kong belegt dies etwa im Hinblick auf die Begleitung von Vorlesungen durch Blogs.

Aufgeblähte Ängste

Technisch ist z.B. eine Blogbegleitung problemlos umsetzbar. Dennoch ist der Einsatz von Social Media zu Lernzwecken an Hochschulen im deutschen Sprachraum noch immer selten – auch in der Weiterbildung. Der Diskurs um Social Media ist nicht zuletzt auch von wenig fundierten Ängsten und Polemiken geprägt, vergleiche die Debatten um «Digitale Demenz» und oder «Digital Detox». Wieso eigentlich?

Social Media
Social Media: Digitale Demenz oder Doping fürs Hirn?

Menschen lernen seit jeher in Netzwerken. Gut sichtbar ist das am Arbeitsplatz, wo sich Gemeinschaften (Communities of Practice) unter den Fachkräften bilden. Diese bewältigen ähnliche Aufgaben und lernen deshalb intensiv informell. Lehrpersonen sind dafür ein gutes Beispiel – viele Methoden und Kompetenzen entwickeln sie im engen Austausch mit anderen.

Social Media als Fugenkitt

Diese oft unbewussten und unsichtbaren Lernprozesse sind eine zentrale Ressource für die Weiterbildung, weil sie langfristig wirksam und mit hoher Motivation verbunden sind. Social Media sind ihr Medium: Sie schaffen Lernumgebungen, die aus einem Mix aus Unterhaltung und Arbeit, privater und beruflicher Kommunikation, engen und losen Beziehungen bestehen. Die Lehrerin, die über Facebook über ihre Unterrichtsideen berichtet, erhält Feedback von anderen Lehrkräften, aber vielleicht auch von einer Erziehungwissenschaftlerin oder einem Sozialarbeiter. Kann sie an einer Weiterbildungsveranstaltung über ihre Lernaktivitäten auf Facebook sprechen, so vernetzen sich bei diesem Profil unter Umständen andere Teilnehmende. Der Austausch bleibt dadurch auf informeller Ebene erhalten und kann sich intensivieren, wenn Lerngelegenheiten auftauchen.

Aus der Perspektive der Lernenden in Weiterbildungen ist die Vorstellung einer persönlichen Lernumgebung (Personal Learning Environment) bedeutsam. Sie betont die Bedeutung der Individualisierung des Lernprozesses, der auch bei der Vernetzung eine Rolle spielt: Lernende dokumentieren ihre Lernprozesse im Austausch mit Fachpersonen und anderen Lernenden in selbstgestrickten Umgebungen. Social Media sind hier ein wichtiges Hilfsmittel, weil die von (Hoch-)Schulen angebotenen Lernmanagement-Systeme in ihrem geschlossenen Setting immer davon ausgehen, dass Lerngruppen homogen sind und langfristig bestehen bleiben. Gerade die Weiterbildung ist mit dieser Idee nicht kompatibel, denn Teilnehmende gehören zu vielen verschiedenen Lerngruppen. Sie brauchen Social Media, um einen Kitt zwischen verschiedenen geschlossenen Systemen herstellen zu können. So können sie Materialien und Beziehungen im richtigen Moment aktualisieren können.

Positive Erfahrungen sind nötig

Die Vorstellung, Schnittstellen in der Weiterbildung mit Social Media zu verknüpfen, ist nicht neu. Um aber eine angelsächsische Lockerheit im Umgang mit digitalen Medien auch im deutschen Sprachraum zu etablieren, braucht es viele positive Erfahrungen in einem professionellen Kontext. Das ist deshalb wichtig, weil nur experimentierfreudige Lehrende und Lernende innovative und sinnvolle PLEs aufbauen. Zu empfehlen ist ein Weg, auf dem kaum wahrnehmbare Stufen erklimmt werden können – hin zu offener, personalisierbarer digitaler Arbeit.

PLE: Beispiel für ein Personal Learning Environment
Mindmap-Darstellung einer PLE

Wenn möglich soll die Wahl der Tools und Formate den Lernenden überlassen werden. Dozierende regen einen Austausch über informelle und berufliche Lernprozesse an und bieten Angebote zur Verknüpfung unter den Lernenden an. Hilfreich ist dabei immer der Blick hin zu gut vernetzten Communities, die sich regelmässig austauschen.  Wertvoll ist auch der Kontakt zu Fachleuten aus dem eigenen Bereich, die Social Media bewusst für ihre Persönlichen Lernumgebungen nutzen. Neue Lernerfahrungen mit Social Media sollen in der Weiterbildung systematisch angeregt, gewürdigt und reflektiert werden. Gerade weil es einen starken Diskurs gibt, der kritische Aspekte aufbläht, müssen erste Schritte unterstützt und begleitet werden.

Nicht nur Lern- sondern auch Marketing-Instrument

Wie eingangs betont, können Social Media Weiterbildungsteilnehmende dazu ermuntern, ihr berufliches und informelles Lernen in einem Blog und mit anderen Social-Media-Tools zu dokumentieren. So machen sie ihre Lernressourcen verfügbar und öffnen ihre Lernprozesse für Diskussionen. Eine solche kommunikative Offenheit ist für Institutionen, die sie unterstützen, kein Verlust, sondern ein wirksames Marketing-Instrument in ihrer Zielgruppe.

Philippe Wampfler verfasste einen Beitrag «Social Media in der Weiterbildung» für unser Buch «Weiterbildung an Hochschulen. Über Kurse und Lehrgänge hinaus» (Hrsg. T. Zimmermann, G. Thomann & D. Da Rin). 

Eine Rezension des Buches ist in der Zeitschrift «Die Hochschullehre» erschienen.

>> Blogbeitrag Weiterbildung wirksam gestalten

In Wampflers Blog «Schule und Social Media» finden sich viele spannende Gedanken zu Neuen Medien und Lernen.
LINKEDIN
Share
INSTAGRAM