Durch (d)eine Hochschule navigieren: Projekte und Studiengänge erfolgreich leiten

Text von Kathrin Rutz und Tobias Zimmermann

8.30 Uhr – Drei Postfächer, drei Führungsrealitäten

Maria öffnet ihren Laptop: 47 neue E-Mails. Die Hälfte betrifft das neue Curriculum ihres Studiengangs, das nächstes Jahr eingeführt werden soll. Viele Mitarbeitende in ihrem Departement möchten mitsprechen, und Leitungspersonen aus anderen Departementen «hinterfragen es kritisch».

Danny scrollt durch Nachrichten von vier verschiedenen Instituten – jedes will das Budget seines Forschungsprojekts anders aufteilen.

Sarah liest die Absage eines wichtigen internationalen Partners: «Leider haben wir andere Prioritäten gesetzt.»

Wie werden sich die drei heute durch die Wirrungen der hochschulischen Mikropolitik navigieren?

Es ist anspruchsvoll, als Führungsperson alle Anliegen unter einen Hut zu bringen.

Marias Stakeholder-Meeting

Dr. Maria Gavrić, seit zwei Jahren Studiengangleiterin Digital Marketing, sitzt im Besprechungsraum zwei Institutsleitenden gegenüber, die Bedenken gegenüber dem neuen Curriculum äussern. «Das passt nicht zu unserer Ausrichtung», meint der eine. «Wo bleiben unsere Studieninhalte?», fragt die andere.

Früher hätte Maria argumentiert, mit Fakten und Logik gekämpft. Heute hat sie eine andere Strategie: «Was braucht ihr, um das Projekt unterstützen zu können? Welche eurer Kompetenzen könnten wir stärker einbinden?»

Die Stimmung dreht sich. Plötzlich entwickeln die beiden Ideen, wie ihre Expertise das Curriculum bereichern könnte. Eine Stunde später verlassen sie den Raum nicht mehr als Kritiker, sondern als Sparringpartner.

Weshalb hat Maria nicht auf die inhaltlichen Argumente der Institutsleitenden reagiert, sondern die Ebene gewechselt und nach ihren Bedürfnissen gefragt? Im Rahmen einer Führungsweiterbildung hatte sie erfahren, dass Widerstand oft nicht primär als Angriff zu verstehen ist, sondern als Information über unerfüllte Bedürfnisse anderer Personen. Spontan hat sie sich deshalb entschieden, Brücken zu bauen statt zu argumentieren und hat damit wertvolle Kooperationspartner gewonnen.

Dannys Budget-Dilemma

Professor Danny Cruz starrt auf die Zahlen. Sein interdisziplinäres Forschungsprojekt zur nachhaltigen Mobilität braucht 75.000 Franken mehr, aber die eingeworbenen Mittel sind ausgeschöpft. Das Projekt könnte scheitern, bevor die ersten Publikationen über Zwischenresultate erschienen sind.

Danny hat zwei Optionen: aufgeben oder kreativ werden. Er wählt Letzteres. In der Kaffeepause fällt ihm ein Gespräch mit dem Forschungsleiter eines Betriebs aus der Verkehrsindustrie ein. Was, wenn sie eine unkonventionelle Dreierkooperation eingehen – Hochschule, Industrie und Stadt? Alle Beteiligten könnten unterschiedliche Ressourcen und Kompetenzen einbringen. Allerdings müsste gewährleistet werden, dass die Hochschule die wissenschaftliche Kontrolle behält.

Der Anruf dauert 20 Minuten. Der Industriepartner ist hoch interessiert, seine Firma befindet sich jedoch in einer Restrukturierung und die Forschungsabteilung darf derzeit keine neuen Partnerschaften eingehen. Sie erörtern verschiedene Szenarien und Danny erhält drei Kontakte aus dem Netzwerk des Forschungsleiters, an die er sich wenden kann.

Sarah als Diplomatin: Steuerung ohne Macht

Sarah Weber hat ein Problem: Sie soll die Internationalisierung der Hochschule vorantreiben, ohne jedoch über Weisungsbefugnisse zu verfügen. Fünf Fachbereiche sollen das von ihr verantwortete Konzept umsetzen, welches Teil der Hochschulstrategie ist. Nach der Absage des internationalen Partners am Morgen steht sie unter Druck: Ein entscheidendes Argument für den Austausch mit den Fachbereichen fällt weg. Sie setzt auf Partizipation und fordert im anstehenden Meeting zu einem Erfahrungsaustausch «Internationale Partnerschaften – was funktioniert?» ein. Sie lässt jeden Fachbereich eigene Erfolgsgeschichten erzählen und lanciert einen Dialog über die Frage: «Was wäre, wenn wir diese Ansätze strategisch verknüpfen würden?»

Nach zögerlichem Beginn sprudeln die Ideen. Jeder Fachbereich entwickelt eigene Ansätze, die sich erstaunlich gut miteinander verknüpfen lassen und anschlussfähig zu Sarahs Rahmenkonzept sind. Am Ende der Sitzung haben alle fünf Institute nicht nur einer Zusammenarbeit zugestimmt, sondern sind begeistert von «ihren» Ideen. Mehr noch: Jeder Fachbereich wird einen weiteren potenziellen internationalen Kooperationspartner anfragen, um die durch die Absage entstandene Lücke zu füllen.

Sarah hat durch ihre laterale Führungsaufgabe gelernt, dass geschickte Kommunikation und partizipatives Vorgehen entscheidend sind: Wer alle mitreden lässt, muss geschickt moderieren und geht vielleicht anfangs einen etwas längeren Weg. Aber am Ende tragen viel mehr Personen die Entscheidung mit.

Partizipation (z.B. Gruppenarbeiten) kann in einem Entscheidungsprozess ein wichtiger Faktor sein.

Wie bringe ich all die Ansprüche unter einen Hut, ohne selbst darunter zu verschwinden?

Der Führungsalltag verläuft nicht immer so erfolgreich wie die geschilderten «Aktionen» von Maria, Danny und Sarah. Und auch die drei kämpfen wie die meisten Führungspersonen gelegentlich um einen souveränen Umgang mit den vielfältigen organisationalen und professionellen Ansprüchen, mit denen sie konfrontiert sind.

Fragen Sie sich manchmal auch, wie Sie alle Ansprüche unter einen Hut bringen, ohne unter diesem zu verschwinden? Oder kämpfen Sie darum, handlungsfähig zu bleiben, wenn wie in Marias Beispiel zahlreiche widersprüchliche Anliegen auf Sie einprasseln? Oder müssen Sie Situationen aushalten, die sich wie der Geldmangel in Dannys Projekt oder der Rückzug von Sarahs erhofftem Projektpartner nicht sofort klären lassen?

Dies sind typische und berechtigte Fragen, die sich Führungspersonen stellen.

Führungshandeln – und Selbstführung

Neben einem bewussten und reflektierten Führungshandeln ist deshalb eine sorgsame Selbstführung wichtig. Manchmal hilft es, uns bewusst zu machen, was uns persönlich wichtig ist und wo wir unsere Energie investieren. Dabei kann es auch notwendig sein, (sich) Grenzen zu setzen. Gleichzeitig ist es spannend, die eigene Entwicklung aktiv zu gestalten und in uns selbst zu investieren:

  • Entwicklung «on-the-job»: Neue Aufgaben, Funktionen und Rollen erfordern Flexibilität und eröffnen neue Wege innerhalb und ausserhalb der eigenen Organisation.
  • Weiterbildung und Networking: Kurse, Module oder qualifizierende Lehrgänge ermöglichen Kompetenzentwicklung und Networking über die Grenzen der eigenen Institution hinweg.
  • Mentoring und Coaching: Mentor:innen bieten wertvolle und oft ermutigende Unterstützung, gezieltes Feedback und helfen dabei, realistische Erwartungen zu setzen.
  • Reflexion und Prioritäten: Es lohnt sich, regelmässig zu prüfen, ob die aktuelle Tätigkeit noch mit den eigenen (Entwicklungs-)Zielen und Wünschen übereinstimmt. Allenfalls braucht es neue Strategien und selbstbewusste Entscheidungen, um auf Veränderungen zu reagieren und sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren.

Am Ende geht es darum, eine Balance zu finden, die uns erlaubt, sowohl die Anforderungen zu meistern als auch die eigene Persönlichkeit und Karriere im Blick zu behalten. Es gilt auf die eigenen Ressourcen und das persönliche Wohlbefinden zu achten, um langfristig handlungsfähig zu bleiben und Hürden mit Ausdauer und Gestaltungskraft zu nehmen.

INFOBOX

Der CAS Führen in Projekten und Studiengängen an Hochschulen greift diese Themen auf und schafft Entwicklungsmöglichkeiten
- in der eigenen Rollen-, Kontext- und Führungskompetenz,
- im Projektmanagement und im Gestalten von Entscheidungsprozessen,
- in der Angebots- und Curriculumentwicklung oder
- im geschickten Agieren in den vielfältigen Aufgaben des Bildungsmanagements.

Durch die individuelle Schwerpunktsetzung mit ergänzenden und vertiefenden Wahlmodulen, der Bearbeitung eines eigenen Projekts oder dem Mentoring wird Professionalisierung auf persönlicher und organisationaler Ebene ermöglicht.

Die meisten Module des Lehrgangs sind auch einzeln buchbar (siehe Verlinkungen in der obigen Aufzählung).

Zu den Autor:innen

Kathrin Rutz ist Supervisorin, Coach und Organisationsberaterin bso, lehrende Transaktionsanalytikerin TSTA-C/O sowie Verantwortliche Beratung und Dozentin am Zentrum Management und Leadership der PH Zürich. Zudem ist sie Co-Leiterin des Lehrgangs CAS Führen in Projekten und Studiengängen an Hochschulen.

Tobias Zimmermann ist Leiter des Zentrums für Hochschuldidaktik und -entwicklung (ZHE) und Co-Leiter eines CAS Hochschuldidaktik an der PH Zürich. Die Leistungsbeurteilung an Hochschulen und Lernpsychologie gehören zu seinen Themenschwerpunkten.

Lernen oder überspringen? Wie generative KI Lernwiderstände verstärken kann

Text: Stefanie Dernbach-Stolz und Dominic Hassler

In der (zunehmend digitalen) Bildungswelt scheint Effizienz das oberste Ziel zu sein: Inhalte werden komprimiert, Lernpfade automatisiert und ganze Fähigkeiten per «Skill Skipping» übersprungen. Warum werden beim Lernen Abkürzungen genommen? Wie entwickeln sich Lernwiderstände? Und was hat das mit generativer KI zu tun?  

Menschen neigen laut der «Cognitive Miser Theory» dazu, kognitiven Aufwand zu vermeiden (Fiske & Taylor 2013). Lernende haben das schon früher getan – etwa durch Abschreiben. Mit KI-Tools wie Chat-GPT ist das heutzutage einfacher denn je.

Heute können wir in vielen Schulzimmern und Weiterbildungskursen beobachten, dass Lernende Aufgaben direkt mit Chat-GPT lösen. Nuxoll (2024) nennt das «Skill Skipping»: Es wird ein Resultat abgegeben, aber kein Lernprozess durchlaufen. Doch Lernen entsteht nicht durch richtige Antworten, sondern durch eigenständiges Denken.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Aufgaben so zu lösen als kompetenzorientiert ausgelegt werden kann. Tatsächlich dürfte es in vielen beruflichen Situationen sinnvoll sein, Aufgaben wie bspw. das Verfassen einer E-Mail mit einem KI-Sprachmodell zu erledigen. Trotzdem ist es in einem Bildungssetting nicht zielführend das zu tun, da das Schreiben (und damit verbunden auch das Lesen) weniger effektiv erworben wird.

Eine Metapher hilft uns, dies zu verdeutlichen: Es ist allen klar, wie absurd es wäre, einen Roboter ins Fitnesscenter zu schicken, wenn man seinen Körper trainieren möchte. Weniger offensichtlich, aber genau gleich absurd sollte es sein, in Bildungskontexten eine Lernaufgabe mit Chat-GPT zu lösen. Denn Bildungsinstitutionen sind die Fitnesscenter für das Gehirn. Wenn man nicht hingeht und die grauen Zellen bei den Übungen selbst anstrengt, gibt es keinen Trainingseffekt bzw. Lernzuwachs.

Zwei Roboter trainieren im Fitnesscenter. Quelle: leonardo.ai

Betrachtet man das «Skill Skipping» aus der Perspektive des Lernwiderstandes, stellt sich die Frage, warum Lernen nicht positiv konnotiert ist. Häufig wird das Lernen in Bildungskontexten als Zumutung wahrgenommen, was Widerstände und Vermeidungsstrategien erzeugt (man denke da nur an die eigene Schulzeit zurück). Dabei ist es ein zentrales Ziel von Lehrpersonen, Dozierenden und Erwachsenenbildner:innen, gelingendes oder erfolgreiches Lernen zu ermöglichen. Entsprechend stellt sich die Frage, wie und warum Lernwiderstände entstehen. Gemäss der subjektwissenschaftlichen Lerntheorie entstehen Lernwiderstände dann, wenn die Lernenden keinen subjektiven Sinn in einer Lernsituationen erkennen können oder sich gezwungen fühlen zu lernen – ohne dass es ihnen einen persönlichen Nutzen erbringt. Dies führt dazu, dass sie sich verweigern, unmotiviert sind oder nur oberflächlich lernen (Holzkamp 1993). Dabei kann man zwischen zwei grundlegenden Lernformen unterscheiden:

(Abb. 2. Quelle: Foucault 1993)

Defensives Lernen: Bei dieser Form findet Lernen unter Druck oder Zwang statt. Die Lernenden lernen, weil sie lernen müssen, um etwa eine Prüfung zu bestehen oder um Sanktionen zu vermeiden. Bildlich überspitzt kann man dies in der Grafik (Abb. 2) sehen, die eine Gefängnisszene darstellt, bei der die Insassen einem Vortrag zu den Folgen von Alkoholismus zuhören müssen. Bei dieser Form des Lernens entstehen häufig Lernwiderstände, da das Lernen nicht aus innerem Antrieb stattfindet. Expansives Lernen: Bei dieser Form geschieht Lernen aus eigenem Interesse und zur Erweiterung der eigenen Handlungsmöglichkeiten. Dadurch wird das Lernen als sinnvoll erlebt, weil es in einem Zusammenhang mit den eigenen Zielen, Interessen und Lebenszusammenhängen steht. In solchen Fällen treten kaum Lernwiderstände auf. (Holzkamp 1993)

Die Unterscheidung dieser zwei Lernformen ist für die Erklärung von Lernwiderständen wesentlich. Dennoch lassen sich Lernwiderstände nicht allein durch das Anwenden von expansiven Lernformen auflösen.

Einerseits sind die Gründe und Ursachen für Lernwiderstände vielfältig. Dazu gehören u.a. die fehlende Relevanz des Lerngegenstandes oder der mangelnde praktische Nutzen, bestehende (Bildungs-) Erfahrungen und Einstellungen und Wertehaltungen als auch die persönliche Lebenssituation (soziale Herkunft, Alter, Familie, etc.) die dem Lernen im Wege stehen können (Faulstich/Grell 2004).

Andererseits lassen sich Prüfungen o.ä. nicht immer umgehen. Die effizienzorientierte bzw. defensive Lernperspektive betont jedoch vor allem Standardisierung, Vergleichbarkeit und Messbarkeit. Das widerspricht expansivem Lernen. Wenn Aufgaben oder Lernpfade zu weit von der Lebenswelt der Lernenden entfernt sind und nicht als bedeutsam erlebt werden, reagieren diese oft defensiv – etwa mit automatisiertem Durchklicken oder KI-Nutzung. In diesem Fall setzen die Lernenden sich nicht tiefergehend mit Inhalten auseinander und haben keine Möglichkeit, eigene Lerninteressen zu verfolgen oder eigene Fragen zu entwickeln. Dies führt dazu, dass Lernen noch stärker als fremdbestimmt erlebt wird, was noch mehr Lernwiderstände auslösen kann. Ein Teufelskreis.

Was können Lehrende tun? – Anregungen zum expansiven Lernen

KI kann selbstgesteuertes Lernen untergraben. Sinnstiftendes Lernen braucht Zeit und Subjektivität – nicht nur Technik. Zentral ist, dass Lehrende unreflektierte Anwendungen von KI erkennen und handeln. Hier einige Anregungen:

Mit den Lernenden über das Lernen sprechen. Dadurch entstehen Reflexionsräume, in denen ein Bewusstsein geschaffen werden kann, wodurch die subjektive Relevanz gestärkt wird. Das braucht Zeit für Fragen, Irritationen und Selbstverortung. Und die Lehrenden erhalten ein besseres Verständnis für den Ursprung der Lernwiderstände, was sie wiederum handlungsfähig macht. Naheliegend wäre etwa die Lernenden in Gruppen über das Bild der beiden Roboter (Sie dürfen es gerne verwenden) diskutieren zu lassen und dabei gleich Transparenz zu schaffen: «Sie können (fast) alle Aufgaben im Unterricht mit KI lösen. Wollen Sie das – und warum?». So wird das Bewusstsein für den Lernprozess gefördert.

Von der Kultur des richtigen Resultats zur Kultur des Lernprozesses. Wenn Lehrende dem richtigen Resultat eine hohe Bedeutung zumessen, bspw. indem sie nur die Lösungen der Lernenden auf Richtigkeit kontrollieren, geben sie den Lernenden unbewusst einen Anreiz, KI für all diese Aufgaben zu nutzen. Stattdessen ist es zielführender, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein richtiges, KI-generiertes Resultat für das Lernen weitestgehend wertlos ist. Der Weg zum Resultat, also der Lernprozess, ist zentral, ebenso die dabei gemachten Fehler. Aus diesen lässt es sich hervorragend Lernen. Bewertungen dokumentieren in diesem Sinne die Lernfortschritte und nicht das Resultat. Für manche Lehrende ist das ein grosser, aber essenzieller Kulturwandel.

Abb. 3
(Quelle: LinkedIn)

Verantwortung an Lernende übergeben. Viele Lehrende möchten nicht ständig mit dem Zeigefinger darauf hinweisen, dass die Lernenden keine KI für das Lösen der Aufgaben verwenden sollen. Zudem gibt es manchmal durchaus Aufgaben, bei denen KI-Unterstützung hilfreich sein kann. Folgende Idee stammt von Tobias Seidl: Aufgaben, bei denen es zur Erreichung der Lernziele wichtig ist, dass zunächst selbst nachgedacht wird, werden mit einem Warnhinweis markiert (Abb. 3). Dadurch können Lehrende sich dem traditionellen Katz-und-Maus-Spiel entziehen. Die Lernenden fühlen sich ernst genommen und die Verantwortung für ihr Lernen und den KI-Einsatz geht subtil auf sie über.

Wenn Bildungsinstitutionen als «Fitnesscenter für das Gehirn» verstanden werden, darf der «Trainings»lernprozess nicht ausgelagert oder automatisiert werden. Gerade in einer von KI geprägten Welt ist es entscheidend, dass Lernende selbst denken, reflektieren und ihre Handlungsmöglichkeiten erweitern. Lehrpersonen und Bildungsverantwortliche sind deshalb gefordert, Lernsettings so zu gestalten, dass sie expansive Lernprozesse ermöglichen, statt defensive Vermeidungsstrategien befördern.

INFOBOX

Lehrgänge

In den folgenden Lehrgängen können Sie sich vertieft mit der Gestaltung von Lernprozessen in einer von KI geprägten Welt auseinandersetzen:
- CAS Unterricht gestalten mit digitalen Medien, ab 13. Januar 2026
- CAS Weiterbildungsdesign, ab 4. Februar 2026

Module

Die folgenden Module können einzeln gebucht und als Wahlmodul in verschiedenen CAS-Lehrgängen angerechnet werden:
- Lernen und Lehren mit künstlicher Intelligenz (KI), ab 19. August 2025
- Lernen und Weiterbildungsteilnahme Erwachsener, ab 3. März 2026

Zu den Autor:innen

Stefanie Dernbach-Stolz ist Dozentin an der PH Zürich und arbeitet im Zentrum Berufs- und Erwachsenenbildung. Sie ist Leiterin des CAS Weiterbildungsdesign.

Zwischen Messgerät und Schreibblock – Labore lernwirksam gestalten

Text: Wolfgang Bührer

Beim Ausmisten fielen mir meine Protokolle des Anfängerlabors Physik aus dem Grundstudium in die Hände: handschriftlich angefertigt, Korrekturkommentare à la «das ist nicht das erwartete Ergebnis, Wiederholungsmessung»… Vor 25 Jahren hatte ich verzweifelt versucht, zu verstehen, was ich falsch gemacht hatte, und hoffte bei jedem Versuchsprotokoll aufs Neue, dass es im ersten Lauf akzeptiert wird. Gleichzeitig fragte ich mich, was ich, abgesehen von der Reproduktion schon längst bekannter Ergebnisse, auf die es scheinbar ankam, lernen soll. Willkommen Frustration – meine Begleiterin im Anfängerlabor.

Labore sind komplexe Lernumgebungen

Labore sind in den MINT-Fächern, vor allem in den Ingenieurs- und Naturwissenschaften, unverzichtbare Bestandteile der Hochschullehre. Dabei haben sich unterschiedliche Laborformen wie zum Beispiel das Mini-Labor, das Anfängerlabor, das integrierte Labor oder auch Maker Spaces (May u.a. 2023) entwickelt, um nur einige aufzuzählen. So vielfältig wie die Laborformen sind auch die Wissensanforderungen an die Studierenden im Labor: Beispielsweise muss man Messgeräte korrekt einsetzen und bedienen, einen Aufbau planen und ausführen, sauber dokumentieren, Sicherheitsvorschriften kennen und einhalten, Daten auswerten oder die Ergebnisse auf Plausibilität prüfen können. Neben diesen prozeduralen Fähigkeiten wird in der Regel zusätzlich Fachwissen zum jeweiligen Laborversuch benötigt.

Die (bei weitem nicht vollständige) Aufzählung macht deutlich, dass aufgrund der vielfältigen Wissensanforderungen die Gefahr besteht, Studierende in Laborsettings zu überfordern, zumal jede einzelne dieser Anforderungen auch ein potenzielles Lernziel sein kann. Labore als Lernumgebungen stellen Dozierende somit vor ein Dilemma: Sie sind unverzichtbar für praxisnahes Lernen, gleichzeitig aber ein Ort potenzieller kognitiver Überlastung. Wie können wir mit dieser Zwickmühle umgehen?

Ein Praxisbeispiel: Zwei meiner Studierenden aus dem 1. Semester Elektrotechnik, nennen wir sie Julia und Jens, sitzen im Labor und verzweifeln an der Bedienung und dem korrekten Ablesen des Oszilloskops, mit dem sie einen elektrischen Schwingkreis vermessen sollen. Dabei entgehen ihnen die physikalischen Zusammenhänge, die das eigentliche Lernziel gewesen sind. Ich wundere mich später über ihr mangelhaftes Protokoll. Ein Paradebeispiel für kognitive Überlastung.

Kognitive Last

Die Entdeckung der «Cognitive Load Theory» (Sweller 1988) war für mich ein Augenöffner: Ich verstand nun , warum sowohl meine eigenen Laborerfahrungen als auch die meiner Studierenden frustrierend waren. Der Ansatz gab mir Werkzeuge zur Verbesserung der Situation in die Hände. Denn die «Cognitive Load Theory» besagt, dass das Arbeitsgedächtnis grundsätzlich begrenzt ist und unterscheidet drei Formen von kognitiven Belastungen bei Lernprozessen:

  • Intrinsische kognitive Belastung: Diese ergibt sich aus der Komplexität des Lernstoffs. Hier können gezielte Reduktionen die Belastung senken.
  • Extrinsische (englisch: «extraneous») kognitive Belastung: Diese Belastung entsteht beispielsweise durch unklare Anweisungen oder durch für das eigentliche Lernziel irrelevante Informationen, welche das Arbeitsgedächtnis zusätzlich belasten. Durch sorgfältige Formulierung und Gestaltung von Materialien und Planung kann man diese reduzieren.
  • Lernbezogene kognitive Belastung: Damit ist die Belastung gemeint, die lernzielrelevant und direkt mit dem Lernprozess verknüpft ist. Diese Art kognitiver Belastung ist in Bezug auf das Lernen gewünscht.

Überträgt man diese Formen auf das Beispiel von Julia und Jens, so war die aufgrund des Versuchs gegebene intrinsische kognitive Belastung beim Umgang mit dem Messgerät so hoch, dass sie die eigentlich gewünschte lernbezogene kognitive Belastung, nämlich die Messung mit physikalischen Grundprinzipien zu verknüpfen, vermutlich aus dem Arbeitsgedächtnis verdrängt hat.

Schematische Darstellung der Cognitive Load Theory nach Sweller (1988)

Weniger ist mehr: Lernzielfokus und Entlastung

Aus diesem Gedankengang ergibt sich ein Vorgehen für die didaktische Optimierung von Laboren: Zunächst ist zu klären, was für den jeweiligen Laborversuch das Lernziel sein soll. Danach listet man alle Wissensanforderungen auf, um auf dieser Basis intrinsische und extrinsische kognitive Belastungen gezielt dort zu senken, wo sie nicht direkt lernzielrelevant sind. In manchen Fällen genügt ein schriftlicher Info-Kasten in den Versuchsunterlagen. Bei prozeduralen Themen könnten kurze Videos entlasten, und bei jeder Information in den Praktikumsunterlagen soll geprüft werden, ob sie wirklich lernzielrelevant ist – wenn nicht, streichen. Gleichzeitig darf lernzielrelevante kognitive Belastung durchaus eingefordert werden.

Im Beispiel von Julia und Jens habe ich für das nachfolgende Semester zur Senkung der kognitiven Belastung einige Kurzvideos und Übungsaufgaben zum Umgang mit dem Oszilloskop sowie zum Ablesen der Messwerte als obligatorische Pre-Lab-Vorbereitung zur Verfügung gestellt. Komplett beseitigt war das Problem damit zwar nicht, aber es kam zu keiner Fehlmessung mehr und die Frustration der Studierenden war in meiner Wahrnehmung deutlich geringer.

Teilnehmende des CAS Hochschuldidaktik MINT 24/25 im Teil Labordidaktik

In vielen aktuellen Laborsettings finden ebenfalls Entlastungen der Studierenden in so genannten «Pre-Labs» statt. Dabei bildet sich die Vielfalt der Wissensanforderungen in unterschiedlichen Methoden und Fokussen ab: Es existieren zum Beispiel theorieorientierte Pre-Labs, bei denen es um den theoretischen Hintergrund des Versuchs geht, prozedurale Pre-Labs, bei denen es um praktische Abläufe im Labor geht, oder auch schreibintensive Pre-Labs, bei denen Protokoll- und Dokumentationsfähigkeiten trainiert werden.

Neben der Vorentlastung durch Pre-Labs trägt eine gute Verteilung der Entlastungsmassnahmen dazu bei, den «cognitive load» besser zu dosieren. Agustian und Seery (2017) zum Beispiel empfehlen, fachliche und gerätespezifische Konzepte im Vorfeld bereitzustellen, prozedurale Informationen «just-in-time» im Labor verfügbar zu machen und je nach Bedarf oder Notwendigkeit Fertigkeiten isoliert zu trainieren.

Im CAS Hochschuldidaktik MINT vertiefen wir die Labordidaktik mit prämierten Praxisbeispielen von Gastdozierenden und greifen weitere hochschuldidaktische Themen wie Lernzielformulierung sowie MINT-spezifische Themen auf (siehe Infobox).

Als ich einige meiner alten Protokolle noch einmal durchblätterte, bevor sie in der Papiertonne verschwanden, änderte sich mein Bild des Anfängerpraktikums. Damals empfand ich es als überwiegend sinnlose Fleissarbeit, heute sehe ich, was ich dabei letztlich gelernt habe: Es geht darum, Labore so zu gestalten, dass die Studierenden verstehen, warum sie tun, was sie tun (sollen) und dass wir Lehrende die kognitive Belastung so steuern, dass sie so gut wie möglich auf das Lernziel fokussiert ist.

INFOBOX

CAS HOCHSCHULDIDAKTIK MINT

Lehrgang

Im CAS Hochschuldidaktik MINT lernen Sie die Grundlagen effektiver und innovativer Lehre für aktives Lernen an Hochschulen mit Schwerpunkt auf den MINT-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik).
Mehr Informationen und Anmeldung auf der Webseite
Broschüre zum CAS Hochschuldidaktik MINT

Online-Infoveranstaltung
An der Online-Infoveranstaltung zum CAS Hochschuldidaktik MINT 25/26 können Sie mit den Lehrgangsleitenden Mònica Feixas und Wolfgang Bührer ins Gespräch kommen. Sie findet am Montag, 25. August 2025, von 12–13 Uhr statt.
Jetzt anmelden

Module
Die folgenden Module aus dem CAS Hochschuldidaktik MINT 25/26 können auch einzeln gebucht werden:
- Lernziele und Methoden in MINT-Fächern, 22.–23. Januar 2026
- Leiten und Begleiten (mit einem Fokus auf MINT-Fächern), 30.–31. März 2026
- Assessment, Feedback und Evaluation in MINT-Fächern), 1.–2. Juli 2026

Zum Autor

Wolfgang Bührer bildet seit 2013 an der Abteilung Sek I der PH Zürich angehende Lehrpersonen in Physik und Physikdidaktik aus, hat mehrere Jahre an der HTWG Konstanz als Lehrbeauftragter angehende Ingenieure in Physik mitausgebildet und ist Co-Lehrgangsleiter des CAS Hochschuldidaktik MINT.

A machine in need is a friend indeed? – Zu viel Vertrauen in KIs durch Vermenschlichung

Text: Yves Furer

Wenn Dinge misslingen, neigen Menschen dazu, nichtmenschlichen Objekten wie Maschinen menschliche Eigenschaften zuzuschreiben. So scheint der Drucker persönlich etwas gegen mich zu haben, weil er immer dann nicht funktioniert, wenn ich ihn dringend brauche. In die Maschine wird ein Wille hineininterpretiert, wo keine Intention vorhanden ist. Solche Vermenschlichung oder Anthropomorphisierung hilft uns, Situationen zu bewältigen, in denen wir uns externen Faktoren ausgeliefert fühlen.

Ist mir der Drucker heute gut gesinnt oder nicht? (Bild: Adobe Stock)

Im Gegensatz zu Druckern, die weder aussehen wie Menschen noch bedeutungsvoll mit Menschen interagieren, sind moderne KI-Systeme genau dafür designt, menschlich zu wirken. Bei Chat-GPT und Co. stellt die Anthropomorphisierung ein Feature und kein Zufall dar. Der Erfolg grosser Technologiekonzerne beim Vorantreiben dieser Entwicklung wird sichtbar, indem es immer schwieriger wird, menschliche Äusserungen von KI-generierten zu unterscheiden. Im schriftlichen Dialog mit Chat-GPT-4 können offenbar viele Menschen nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob sie sich gerade mit einem Menschen oder einer Maschine unterhalten (Mei et al. 2024). Doch wirken die Antworten von KI-Chatbots nicht nur deshalb menschlich, weil sie inhaltlich passend ausfallen, sondern KI-Chatbots beantworten beispielsweise medizinische Fragen in einem Online-Forum auch empathischer als medizinisches Fachpersonal (Ayers et al. 2023).

Auffällig ist, wie scheinbar mühelos menschliche Eigenschaften auf die KI übertragen werden, indem entsprechende Begrifflichkeiten verwendet werden. Schon der Begriff künstliche Intelligenz suggeriert, dass eine Entität vorliegt, die eine menschliche Eigenschaft, nämlich Intelligenz besitzt. Doch es stellt sich die Frage, ob KIs wirklich empathisch sind oder uns Menschen nur sehr gut vorspielen, dass sie es sind. Wären KIs empathisch, müssten sie die Gefühle von Menschen erkennen, verstehen und nachempfinden können. Während das Erkennen von Emotion durchaus funktioniert und wohl auch schon kommerziell genutzt wird (Monteith et al. 2022), dürften Verstehen und insbesondere das Nachempfinden Kategorien sein, über die die KIs noch nicht verfügen.

Die KI versteht dich. Oder doch nicht? (Quelle: Adobe Stock)

Vertrauen in KI: Ein zweischneidiges Schwert

Wie sich zeigt, bleibt es nicht ohne Folgen, wenn KIs menschliche Eigenschaften zugeschrieben werden, die sie gar nicht besitzen. Anthropomorphe Elemente scheinen das Vertrauen von Menschen in KIs zu erhöhen. Leider handelt es sich beim Vertrauen um ein zweischneidiges Schwert. Ein höheres Vertrauen kann den Umgang mit neuen Technologien erleichtern oder sogar dazu führen, dass sich Personen überhaupt auf eine neue Technologie einlassen. Andererseits besteht beispielsweise die Gefahr, dass Menschen in der Interaktion mit der KI zu viele, auch private Daten von sich preisgeben (Akbulut et al. 2024). Doch auch beim Lernen mit KI-Systemen können weitere Probleme entstehen, wenn insbesondere den KI-generierten Outputs zu viel Vertrauen entgegengebracht wird.

Mehr Vertrauen = weniger nachprüfen?

Bekanntlich liegt die KI sehr häufig richtig, wenn sie mit konkreten Fragen konfrontiert wird, jedoch nicht immer. Insbesondere beim wissenschaftlichen Lernen und Arbeiten ist es essenziell, genau diese Fehler zu erkennen. Das gezielte Prüfen von Informationen stellt allerdings einen aufwändigen und anstrengenden Prozess dar. Ein zu hohes Vertrauen in KI-generierten Output könnte sowohl dazu führen, dass die Notwendigkeit, Inhalte zu prüfen, zu wenig erkannt oder Prüfungsprozesse nicht bis zum Ende durchgehalten werden, weil die Motivation dazu fehlt. Wahrscheinlich mangelt es an Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit KI-Antworten, wenn die KI nicht als Maschine oder Tool angesehen wird, sondern als quasi menschliche Partner:in oder Tutor:in. Schliesslich war die KI doch so nett, mir lange und ausführlich meine Fragen zu beantworten, mir passende Quellen zu suchen und zusammenzufassen und dann erst noch meinen Text zu korrigieren. Wer so viele Freundschaftsdienste für mich erbracht hat, hat doch mein Vertrauen verdient?

Maschinen bleiben Maschinen

Wie schon erwähnt, werden die Technologiekonzerne weiterhin mit viel Geld daran arbeiten, KIs noch menschlicher wirken zu lassen. Auf diese Entwicklung können die wenigsten direkt Einfluss nehmen. Unmittelbar beeinflussen können wahrscheinlich viele Leser:innen dieses Blogs jedoch, wie ihre Studierenden mit KI arbeiten. Selbst wenn die Studierenden KIs häufig auch ohne das Wissen der Dozierenden einsetzen, besteht trotzdem die Möglichkeit, das Lernen mit KI direkt zu thematisieren. KI-generierten Inhalten mit einer gewissen Skepsis zu begegnen, stellt dabei nur einen Ausgangspunkt dar. Dennoch erscheint es wichtig, genau diesen Ausgangspunkt herzustellen, um weitere Schritte wie Überprüfen, Auswählen, Integrieren und Kombinieren von Inhalten und damit Lernen zu ermöglichen. Und schliesslich haben wir alle die Möglichkeit, uns zu hinterfragen, welche Begriffe wir im Kontext von KIs verwenden und wie stark diese Begriffe eine Vermenschlichung implizieren. Denn Maschinen bleiben vorerst Maschinen und keine Freund:innen.

INFOBOX

WORKSHOP
Nachricht an Chat-GPT: Gib mir Feedback auf meinen Text, Montag, 14. April 2025, 12.15–13.30 Uhr, Campus PH Zürich

MODUL
Schreiben begleiten und beurteilen, ab 16. März 2026, Campus PH Zürich

LITERATUR
- Placani, Adriana (2024): Anthropomorphism in AI: hype and fallacy. In: AI and Ethics 4 (3), 691–698.
- Reinecke, Madeline G. / Ting, Fransisca / Savulescu, Julian / Singh, Ilina (2025): The Double-Edged Sword of Anthropomorphism in LLMs. In: Proceedings 114 (1), 4.

Zum Autor

Yves Furer ist Dozent für Deutschdidaktik und Mitarbeiter des Schreibzentrums der PH Zürich.

Vom KI-Fastfood zum sinnhaften Einsatz

Text: Charlotte Axelsson

Vor Kurzem wurde ich gefragt, ob ich Angst vor den rasanten technologischen Entwicklungen habe. Meine Antwort lautete: ein klares Jein. Die Technologie selbst macht mir keine Angst – im Gegenteil, sie fasziniert mich. Ich werde zum Homo Ludens, mein Spieltrieb kennt kaum Grenzen. Was mir Sorgen bereitet, ist der Mensch, der diese Technologien nutzt, steuert oder weiterentwickelt – oft ohne sich der Verantwortung für deren Auswirkungen bewusst zu sein. Diese Sorge hat mich dazu gebracht, intensiver über Ethik in der Bildung nachzudenken, zum Beispiel am PHZH Barcamp «Assessment im Wandel – KI-basierte Ansätze für Beurteilung und Feedback» oder als Co-Herausgeberin der neuen Open-Access-Publikation «Ich, Wir & Digitalität, Ethik in der Lehre». Für mich ist klar: Eine ethisch fundierte Lehre ist der Schlüssel für einen sinnhaften Einsatz von Technologie. Ganz im Sinne des Buchtitels: «ICH steht für die persönliche Reflexion, WIR für das Miteinander und DIGITALITÄT beschreibt den kulturellen Wandel, der durch technologische Innovationen entsteht», lässt sich dieser Dreiklang auch im Dagstuhl-Dreieck (Figur 1) als technologische, gesellschaftliche, kulturelle und anwenderbezogene Perspektive beschreiben. Solche Modelle ermöglichen es auch, die eigene Lehre zu überprüfen und fehlende Perspektiven zu integrieren.

Figur 1: Dagstuhl Dreieck in «Ich, Wir & Digitalität, Ethik in der Lehre»

Bildung vermittelt nicht nur Wissen, das ist ebenfalls klar und wurde zum Beispiel durch Peter Holzwarth in «Sind Menschen die besseren Roboter? Ethische Fragen zur Digitalisierung» beschrieben, sondern auch die grundlegenden Werte einer Gesellschaft – ein essenzielles Element für deren Zusammenhalt und Funktionieren. Doch wie verändert der technologische Fortschritt unsere Zusammenarbeitsformen und das Beurteilen von Leistungen? Warum ist es besonders wichtig, im digitalen Zeitalter über Ethik zu sprechen? Im Folgenden habe ich zwei wichtige Gründe zusammengetragen, die die Wichtigkeit einer tiefgründigen Auseinandersetzung für uns Menschen unterstreichen sollen. Folgend gebe ich Einblicke in die Diskussion des Barcamps mit der Anwenderperspektive «Ethik und gesellschaftlichen Implikationen von KI im Assessment von Leistungen».

Erster Grund ist omnipräsentes Wissen: Technologien wie die Suchmaschine von Google oder Wikipedia machen Wissen allgegenwärtig und leicht zugänglich. Generative Technologien – etwa ChatGPT von OpenAI – ermöglichen es zudem, Wissen neu zu kombinieren und zu generieren. So stellt der technologische Wandel traditionelle Konzepte von Wissen und dessen Bewertung infrage und verlangt nach neuen Ansätzen. Wie überprüfen wir Leistungen, wenn man auf einen Klick ganze Hausarbeiten von einer Maschine generieren lassen kann?

Zweiter Grund sind intransparente Machtstrukturen: Unternehmen wie Google, Microsoft oder OpenAI kontrollieren zentrale Plattformen und Technologien und verfolgen in erster Linie ihre wirtschaftlichen Interessen. Dadurch entstehen gefährliche Abhängigkeiten, die Bildungseinrichtungen, Gesellschaften und sogar Staaten in ihrer Autonomie einschränken. Ein zentrales Problem ist die Intransparenz der Algorithmen: Sie steuern, welche Informationen priorisiert oder generiert werden, und beeinflussen dadurch, was wir sehen, lesen und lernen. Dies schafft eine neue Wissenshierarchie. Damit wird Wissen nicht mehr neutral verteilt, sondern von wenigen Akteuren gelenkt. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, braucht es unabhängige Alternativen und eine breite gesellschaftliche Debatte. Gerade Pädagogische Hochschulen müssen eine Vorreiterrolle übernehmen, indem sie kritische Medienkompetenz fördern und sich aktiv mit diesen ethischen Fragen auseinandersetzen.

Ethik in der Lehre – Diskussionen aus dem Barcamp 

Die Herausforderungen werden besonders deutlich, wenn man diese beiden Gründe auf konkrete Bereiche im Bildungswesen anwendet. Beim Barcamp «Assessment im Wandel – KI-basierte Ansätze für Beurteilung und Feedback» haben wir uns in einem Track mit «Ethik und gesellschaftlichen Implikationen von KI im Assessment von Leistungen» beschäftigt.

Die Diskussionen zeigten schnell, dass Bildung und vor allem Prüfungen nicht nur der Vermittlung und dem Abfragen von Wissen dienen, sondern auch kulturelle, soziale und persönliche Entwicklung umfassen. In der Diskussion haben wir uns um zwei Statements gedreht: Mensch, sei du selbst der Wandel – Technologie sollte sinnstiftend eingesetzt werden – nicht allein aus Effizienzgründen. Oder mit Play, Qualität fördern! rufen die Teilnehmenden das spielerische Konzept «Slow AI» auf, welches auf Reflexion, Neugierde und Entschleunigen setzt und eine Art Gegenbewegung zu Fastfood (KI-)Wissen darstellt.

Des Weiteren wurde die Frage, ob KI in der Lage ist, Sinn oder individuelle Werte in die Beurteilung einfliessen zu lassen, kontrovers diskutiert. Transdisziplinäres Lernen und alternative Beurteilungskulturen – weg von starren Konzepten von «richtig» und «falsch» hin zu mehr Kreativität – könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen. Hier ist Austauschen und Voneinander-Lernen gefragt. Und über eines sind sich alle einig gewesen: Traditionelle Prüfungen, die lediglich Wissen abfragen, waren noch nie und sind einfach nicht mehr haltbar.

Barcamp 2024

Fazit und Ausblick 

Zum Schluss gibt die Disziplin Ethik in der Regel wenig Antworten – Ethik bietet Denkräume. Diese «Safe Spaces» müssen wir im Bildungswesen schaffen, in denen wir erforschen, entwickeln und vermitteln können – basierend auf Werten wie Menschlichkeit, Sinnhaftigkeit und Verantwortung. Denn nur, wenn wir Technologie bewusst und reflektiert einsetzen, können wir sicherstellen, dass der Wandel menschenwürdig ist. 

Das Thema werden wir weiterdiskutieren und laden an dieser Stelle zum nächsten Barcamp «Assessment und KI: Gemeinsam praktische Formate erkunden» am 20. November 2025 ein. Wer bis dahin nicht warten kann, empfehle ich unser kleines Büchlein, darin findet man weitere Fragen und praktische Anwenderbeispiele für den eigenen Unterricht.

INFOBOX

BARCAMP «ASSESSMENT UND KI: GEMEINSAM PRAKTISCHE FORMATE ERKUNDEN»,
20. NOVEMBER 2025 AUF SCHLOSS AU

Interessieren Sie sich für diese Tagung? Gerne können Sie in diesem Formular Ihren Namen und Mailadresse hinterlassen, dann informieren wir Sie, sobald Programm und Anmeldemöglichkeit aufgeschaltet sind.

KURS (PHZH-INTERN)
Ethische Fragen zur KI: Praxisnahe Ansätze für den Unterricht
Dienstag, 8. April, 12.15–13 Uhr, Campus PH Zürich

LITERATUR
Blume, Dana & Axelsson, Charlotte. 2024: Ich, wir & Digitalität, Ethik in der Lehre.

Zur Autorin

Wie nutze ich KI für das Schreiben an der Hochschule?

Text: Maik Philipp, Alex Rickert, Yves Furer und Daniel Ammann

Positionspapier zum wissenschaftlichen Schreiben in Zeiten von künstlicher Intelligenz

Dieses Positionspapier des Schreibzentrums der PHZH setzt sich mit zentralen Herausforderungen auseinander, die sich für Hochschulen in Zeiten von künstlicher Intelligenz (KI) im Kontext des Lernens und des Verfassens schriftlicher Arbeiten ergeben.

Wie an anderen Hochschulen nutzen auch Studierende der PHZH generative KI für das Schreiben ihrer Texte. Studien aus Deutschland (Helm u. Hesse 2024), Schweden (Stöhr, Ou u. Malmström 2024), Australien (Kelly, Sullivan u. Strampel 2023) oder den USA (Dang u. Wang 2024) belegen die intensive KI-Nutzung von Studierenden. Die deutsche Studie zeigt, dass zumindest ein Teil der Studierenden KI auf eine Weise einsetzt, die problematisch erscheint – etwa zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit.

Diese Entwicklung zwingt Hochschulen, sich Fragen zur Funktion und zum Stellenwert des Schreibens zu stellen, sei es für das Lernen, das Verfassen von Leistungsnachweisen oder in Prüfungen. Das Schreibzentrum äussert sich dazu aus epistemologischer und lernbezogener Perspektive. Die Fähigkeit, im Umgang mit Texten analytisch und kritisch zu denken, gewinnt in komplexer werdenden Wissensgesellschaften zusehends an Bedeutung. Künstliche Intelligenz nimmt mündigen Personen diese Aufgabe nicht ab, sondern fordert diese ein und heraus. Das Schreibzentrum positioniert sich mit zwei Thesen zur Nutzung von KI für das Schreiben an der Hochschule, um die Notwendigkeit des reflektierten Einsatzes zu betonen. Die erste These bezieht sich auf die Systemebene der Wissenschaft, die zweite betrifft die Personenebene und die Einsatzgebiete generativer KI. Die Thesen werden exemplarisch von Vignetten flankiert.

Ist die Zukunft des Schreibens eine Kollaboration zwischen einem Menschen und künstlicher Intelligenz? (Foto: Adobe Stock)

These 1: KI ist keine verlässliche Wissensquelle, weil sie keine Expertise hat. Wissen wird von Expert:innen hergestellt und über epistemisch vertrauenswürdige Quellen verbreitet. Wissensproduktion folgt anerkannten und transparenten Regeln – es ist unklar, ob KI das tut.

Vignetten:

  • Student A übernimmt eine automatisch generierte Definition aus ChatGPT, die plausibel klingt, und sucht via Elicit eine Quelle, die dazu passt.
  • Student B sucht nach unterschiedlichen Definitionen in der Fachliteratur, die er mit Hilfe von KI-Recherchetools gefunden hat, vergleicht die Definitionen miteinander und entscheidet sich unter Angabe von Gründen für eine Variante.

In Wissensgesellschaften sind wir darauf angewiesen, dass Erkenntnisse jedweder Art auf nachvollziehbare Weise entstanden sind. Die Komplexität der Wissensherstellung bringt ein hohes Mass an Expertise und Spezialisierung mit sich. Darauf baut die Wissenschaft, indem sie erkennbare Expertise in einem Fachgebiet als Indikator dafür nutzt, dass sich andere Mitglieder der Gesellschaft auf die Aussagen verlassen können (Chinn, Barzilai u. Duncan 2021).

  • Darum beschreiben Wissenschaftler:innen ihre Methoden genau und belegen, auf welche Quellen sie sich stützen.
  • Darum gibt es Qualitätssicherungsmechanismen, indem etwa Beiträge in Fachzeitschriften von anderen Expert:innen begutachtet werden.
  • Darum lassen sich wissenschaftliche Quellen zumindest annäherungsweise daran erkennen, dass sie von fachlich qualifizierten Personen für ihre Fachcommunitys verfasst werden, um darin ihre Erkenntnisse zu verbreiten.
  • Darum ist es keineswegs trivial, auf welche Quellen sich Studierende stützen. Eine angemessene Quellenkritik und -auswahl wird zusehends wichtiger.

Funktionsweise und Datengrundlage generativer Large-Language-Models bleiben teils Betriebsgeheimnis, deshalb lässt sich kaum nachvollziehen, welche Quellen den KI-Outputs zugrunde liegen und wie die Aussagen zustande kommen. Stil und Textoberfläche der Outputs dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich darin inhaltlich Falsches, Fragwürdiges, Verkürztes, Tendenziöses verbirgt.

These 2: KI soll das Lernen durch Schreiben unterstützen und nicht verhindern. Schreiben ist nachweislich ein effektives Instrument für das Lernen. Dafür sollte es auch genutzt werden.

Vignetten:

  • Studentin A füttert Claude.ai mit Fragestellung, Theorie- und Ergebnisteil ihrer Bachelorarbeit und lässt den Diskussionsteil von der KI generieren.
  • Studentin B formuliert ihren Diskussionsteil selbst, indem sie die Ergebnisse auf die Fragestellung bezieht und diese mit Modellen und Studien aus dem Theorieteil abgleicht und einordnet.

KI-Tools sind auf Schnelligkeit und Aufgabenerledigung ausgerichtet. Das macht sie attraktiv. Deshalb ist wichtig, dass diese Systeme reflektiert und eigenverantwortlich genutzt werden. Dies bedeutet: Die Tools kommen dort sinnvoll zum Einsatz, wo sie das Lernen durch Schreiben unterstützen und es nicht verhindern – etwa bei der Quellenrecherche, der Datenstrukturierung, beim Generieren inhaltlicher Impulse und Ideen, für Feedback oder bei der stilistischen und orthografischen Überarbeitung. Lese- und schreibbezogenen Aktivitäten, die auf das Denken höherer Ordnung – das Anwenden, Analysieren, kritische Evaluieren und Kreieren (List u. Sun 2023; Philipp in Druck; Philipp 2022) – abzielen, sollten jedoch nicht an eine KI delegiert werden. Solche Schreibpraktiken sind kognitiv herausfordernd, aber für die Entwicklung von Fachexpertise unverzichtbar. Die Fähigkeiten zum Denken höherer Ordnung durch Lesen und Schreiben entwickeln sich in der kleinschrittigen Auseinandersetzung mit Texten. Sie führen dazu, dass tief, flexibel und kritisch über Gegenstände eines Fachs nachgedacht wird. Aufgrund ihres transformierenden Anforderungscharakters erfordern sie Genauigkeit in Analyse und Evaluation und deshalb Langsamkeit (Chen 2019).

Auch bei Arbeiten mit KI, die auf fremden Texten basieren, zum Beispiel beim automatischen Zusammenfassen, ist es notwendig, Output, Prompt und Ursprungstexte miteinander zu vergleichen. Denn häufig gilt es, unterschiedliche Texte aus mehreren Quellen im eigenen Text zu integrieren. Integrieren bedeutet, die verschiedenen Aussagen sinnvoll aufeinander zu beziehen und deren Perspektiven zu erkennen und zu kombinieren. Diese Mehrperspektivität und die qualitativen Unterschiede von Aussagen zu erfassen und nachzuvollziehen, zeichnet den Wissensaufbau und die gedankliche Eigenleistung beim Lernen und bei Prüfungen aus (Kuhn 2020). Dafür braucht es die Fähigkeit, Bezüge zwischen Themen aktiv herzustellen, insbesondere wenn Autor:innen nicht das gleiche Vokabular verwenden. Solche Verstehensleistungen verlangen ein genaues Lesen (Britt u. Rouet 2012). Dies gilt auch und insbesondere für die Nutzung KI-generierter Textangebote: Geben die Chatbots angemessen wieder, was in den verwendeten Quellen steht – und passt der Prompt überhaupt zu den Texten? Darum wird es in der Regel nötig sein, genau zu lesen und den Output anzupassen. Anders gesagt: Die Zeit, die man beim Schreiben spart, ist gut im Lesen und Überarbeiten reinvestiert.

INFOBOX

Das Angebot der PH Zürich zum Schreiben und Schreiben mit KI umfasst Weiterbildungen, Dienstleistungen und Beratungen.

MEHR ZU WISSENSCHAFTLICHEM SCHREIBEN UND SCHREIBEN MIT KI
Das Schreibzentrum der PH Zürich bietet Unterstützung beim wissenschaftlichen Schreiben und Schreiben mit KI sowie spezifische weitere Informationen zu Schreiben mit KI.

MODULE
Schreiben begleiten und beurteilen, ab 17. März, Campus PH Zürich
Wissenschaftliches Schreiben, ab 23. September, Campus PH Zürich

SCHREIBBERATUNG
Mittels Schreibberatungen für Personen und Teams hilft das Schreibzentrum der PH Zürich, Schreibkompetenzen weiterzuentwickeln und Texte zu optimieren.

LITERATUR
- Philipp, Maik. 2025 Digitales Lesen fördern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
- Philipp, Maik. 2025. Lesen digital: Komponenten und Prozesse einer sich wandelnden Kompetenz. Weinheim: Beltz Juventa.

Zu den Autoren

Alex Rickert ist Leiter des Schreibzentrums der PH Zürich und ist als Dozent in Weiterbildungsgefässen aktiv. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Textlinguistik, Schreibberatung und -didaktik.

Maik Philipp ist Professor für Deutschdidaktik an der PH Zürich. Seine Schwerpunkte sind Lese- und Schreibförderung mit Fokus auf Evidenzbasierung.

Wissenschaftliches Schreiben – KI als Ghost, Partner oder Tutor

Text: Alex Rickert

Es gibt inzwischen empirische Evidenz dafür, dass Studierende und Schüler:innen mit KI zwar qualitativ bessere Texte schreiben, dadurch aber weniger Lernen in Bezug auf den Gegenstand im Vergleich zum Schreiben ohne KI (Ju 2023; Süße u. Kobert 2023). Es fragt sich daher, inwiefern der Einsatz von KI beim Schreiben zum Zweck des Lernens sinnvoll ist. Auf welche Weise sollen generative Bots beim Schreiben von Texten zum Einsatz kommen, damit sie den Schreibprozess unterstützen und gleichzeitig das Lernen durch Schreiben fördern? Dieser Frage geht der vorliegende Beitrag nach.

KI fürs Fachlernen nutzen – aber wie?

Ausgehend von einer Heuristik nach Steinhoff (2023) wird von drei Rollen ausgegangen, die eine generative KI beim Schreiben als zusätzlicher «Aktant» nebst der schreibenden Person spielen kann. Diese Rollen sind: Ghostwriter, Writing Partner und Writing Tutor.

  • Als Ghostwriter nimmt ein Large Language Model (LLM) einer Person das Schreiben ab. Eine Person formuliert einen Prompt oder eine interaktive Sequenz von Prompts, die den Schreibauftrag enthält. Der Output der KI wird übernommen und die Person beansprucht die Autorschaft dennoch für sich. Schreibkompetenz reduziert sich auf Prompting-Kompetenz.
  • Als Writing Partner schreibt die KI zusammen mit der Person, die das LLM bewusst und zielorientiert beim Schreiben miteinbezieht, sei es stellenweise, z.B. nur beim Überarbeiten, oder während allen Phasen des Schreibens. Die KI hat die Rolle einer Ko-Autorin. Im Vergleich zur Ghostwriter-Praktik interagiert der Mensch hier dynamisch und bringt sich selbst als Autor ein. Analog zu Ghostwring-Praktiken besteh die Gefahr, Fehlinformationen zu erhalten. Um ein LLM als Writing Partner zu nutzen, bedarf es hoher Lese- und Schreibkompetenzen. Die Person muss in der Lage sein, die Schreibaktivitäten metakognitiv zu steuern und entscheiden können, welche Art von KI-Einbezug zu welchem Zeitpunkt sinnvoll ist.
  • In der Rolle als Writing Tutor unterstütz ein KI-Bot eine Person beim Schreiben, indem er der schreibenden Person als «Quasi-Lehrperson» gegenübertritt. Die Person nimmt das LLM interagierend als Lerner:in in Anspruch.
Welche Rolle nimmt die KI bei der Unterstützung beim Schreiben ein? (Quelle: Adobe Stock)

Implikationen für das wissenschaftliche Schreiben mit KI: ein Diskussionsvorschlag

Im Folgenden werden die KI-Rollen anhand von Beispielen hinsichtlich ihres Potenzials fürs Lernen durch das Schreiben beurteilt. Hierbei wird auf prototypischen Phasen des Schreibprozesses – Planen, Formulieren, Überarbeiten – eingegangen. Die Beurteilung erfolgt anhand einer Ampel-Logik, wobei rot eine kritisch anzusehende, orange und grün eingefärbte KI-Praktiken legitime, aber im Falle des Writing Partners mit Vorsicht einzusetzende Rollen darstellen. Die Begründung zu den Urteilen folgt danach.

PLANENFORMULIERENÜBERARBEITEN
Ghostwriter

– Skizze oder Inhaltsverzeichnis für einen Text generieren (strukturell und inhaltlich) und übernehmen
    – Text ausformulieren lassen auf Basis von Prompts
    – Zusammenfassungen generieren
    – Fazit formulieren
– Text inhaltlich, strukturell, stilistisch und/oder formal revidieren lassen.
Writing Partner

– eigene Ideen weiterentwickeln
– Strukturvorschläge zu definierten Inhalten generieren
– Brainstorming mit integraler Plausibilitäts- und Wahrheitsprüfung
– Hypothesen formulieren aufgrund zuvor festgelegter Variablen
– Reformulieren der Fragestellung
– einen selbst geschriebenen Abschnitt kürzen
– Formulierungs-alternativen generieren
– Text inhaltlich, strukturell, stilistisch und/oder formal revidieren lassen, dabei Überarbeitungen hervorheben lassen und die Eignung der Revisionen selbst überprüfen
Writing Tutor

– Geplante Textstruktur auf Schlüssigkeit prüfen lassen
– Feedback zur Passung der geplanten Inhalte zu einer Fragestellung evaluieren lassen
– Tipps zum Vorgehen bei der Textplanung oder zur Recherche einholen
– Textsortenspezifische Formulierungshilfen erfragen
– Tipps zum Vorgehen beim Formulieren einholen
– Verschiedene Stile aufzeigen
– Rückmeldungen zur Lesefreundlichkeit, Satzlänge und zur Wortwahl einholen
– Feedback zu aufgabenbezogenen Passung von Inhalt, Struktur, Stil und/oder Korrektheit generieren und begründen lassen
– Tipps für die Schlussredaktion einholen
– Überarbeitungsvorschläge priorisieren lassen

The good, the bad and the buddy

Zur Beurteilung der Frage, welche Rolle der KI-Anwendung in welcher Phase des Schreibens lernförderlich und legitim ist, muss zunächst geklärt werden, was epistemisches Schreiben ist oder anders gefragt: Unter welchen Bedingungen ist Schreiben förderlich für das Fachlernen?

Dieser Frage liegt eine Vielzahl von weitverzweigten Theorien und empirische Arbeiten zugrunde, die hier nur sehr verkürzt und unvollständig erläutert werden. Der Nachweis, dass (Fach-)Lernen durch Schreiben erfolgt, wurde vielfach postuliert, theoretisch modelliert sowie empirisch nachgewiesen (z. B. Meta-Analysen von van Dijk et al. 2022; Graham et al. 2020; Bangert-Drowns et al. 2004). Es existieren mehrere Modelle, die die Funktionsweise des Lernens durch Schreiben beschreiben. Das verbreitete Modell von Galbraith und Baaijen (2018) geht davon aus, dass inhaltliche Konzepte als mental verknüpfte semantische Einheiten im Langzeitgedächtnis gespeichert sind. Beim Schreiben greift die schreibende Person auf dieses Repertoire zurück. Um ihr Schreibziel zu erreichen, aktiviert sie die gespeicherten Verknüpfungen in Syntheseprozessen, überprüft diese und fügt gegebenenfalls weitere Ideen aus bereits gespeicherten semantischen Einheiten oder externen neue Quellen hinzu. Im Prozess dieser Wissensaktivierung und -transformation findet Lernen statt.

Aus dieser Perspektive werden die drei KI-Rollen wie folgt eingeschätzt:

  • Ghostwriter: Keine oder minimale Notwendigkeit der Informationstransformation eigener Wissensbestände sowie kognitiver Syntheseprozesse in Bezug auf den Lerngegenstand. KI-Anwendung ersetzt den Lernprozess oder kürzt ihn ab. Prompting-Kompetenzen ersetzen Schreibkompetenzen.
  • Writing Partner: Wissensaktivierung und -transformation ist erforderlich. Die KI-Rolle unterstützt den Lernprozess, sofern die Sinnhaftigkeit und der Zeitpunkt der KI- Anwendung metakognitiv bewusst gesteuert sind sowie die Bereitschaft und die Fähigkeit vorhanden sind, Informationen des Outputs in eigene Wissensbestände zu integrieren und damit eigenes Wissen zu transformieren.
  • Writing Tutor: Wissensaktivierung und -transformation ist erforderlich. Eigene Textproduktion steht im Mittelpunkt. Unterstützung beim (strategischen) Vorgehen durch Instruktionen und Feedback der KI. Die KI-Rolle unterstützt den Lernprozess.

Fazit: Augen auf beim Prompten! 

Die drei KI-Rollen lassen sich nicht immer klar voneinander abgrenzen. Vor allem die Übergängen zwischen der Partner- und der Tutoren-Rolle sind fliessend. Die Heuristik zu diesen KI-Rollen, die in der obigen Tabelle beispielhaft Mensch-Maschine-Interaktionen in verschiedenen Phasen des Schreibprozesses aufführt, verstehen sich als Diskussionsbeitrag, um den sinnvollen und legitimen KI-Einsatz zu planen und zu reflektieren. Das hier angelegte Ampelsystem ist nicht apodiktisch zu verstehen. Auch die Ghostwriter-Rolle kann beim Schreiben unter Umständen lernförderlich sein. Etwa dann, wenn der Output als musterhaftes Beispiel einer Textsorte oder einer Formulierung studiert und dessen Merkmale analysiert werden. Solche Analysen können dabei helfen, Wissen über Textsorten aufzubauen.

Ein absolut zentraler Aspekt bei allen Formen der KI-Anwendung in Wissenskontexten ist der zweifelhafte epistemische Status der KI-Ausgaben. LLMs garantieren aufgrund ihrer Funktionsweise keine verlässlichen Outputs können keine Verantwortung für die Richtigkeit von Informationen übernehmen. Aus diesem Grund sprechen wissenschaftliche Publikationsinstanzen – z.B. Nature – den LLMs eine Autorschaft ab. Jede KI-Ausgabe muss deshalb minutiös daraufhin überprüft werden, ob sie wahr, vollständig, verzerrt und für das eigene Vorhaben relevant und valide ist. Dabei gilt: Je höher das Ausmass an Delegation von Schreibaufgaben an die KI ist, desto höher ist die Notwendigkeit, Informationen zu prüfen. Die KI-Anwendung Ghostwriter macht die Prüfung des Outputs unausweichlich, auch für die Writing-Partner-Rolle ist sie notwendig und für die Writing-Tutor-Anwendung mindestens empfohlen. Diese Prüfverfahren setzen digitale Lesekompetenzen voraus, die als «epistemisch wachsames Lesen» (Philipp 2021; 2023) bezeichnet werden. Verkürzt gesagt, versteht man darunter Fähigkeitenbündel, um die Plausibilität von Aussagen, die Vertrauenswürdigkeit von Quellen, die Kohärenz von Aussagen oder die Entstehung und Interpretation von Daten zu evaluieren. Es sind in erster Linie diese Fähigkeiten, die für das Lernen durch Schreiben mit KI geschult werden müssen und dies mit Vorteil zusammen mit einem Menschen in der Rolle eines Reading Tutors.

INFOBOX

Das Schreibzentrum der PH Zürich bietet Module zum Schreiben an, in denen KI-Aspekte thematisiert werden:

Schreiben begleiten und beurteilen (Start: 17. März 2025)
Wissenschaftliches Schreiben (Start: 23. September 2025)


Auch für literarische Zugänge zum Schreiben finden Sie beim Schreibzentrum Angebote – z.B. das Modul Biografisches Schreiben (Start: 30. April 2025).


Einzelpersonen, Teams und Organisationen bietet das Schreibzentrum Weiterbildungen und Schreibberatungen in Form von Coachings, Kursen oder Workshops an. Kontaktieren Sie uns! schreibzentrum@phzh.ch

Zum Autor

Alex Rickert ist Leiter des Schreibzentrums und ist als Dozent in Weiterbildungsgefässen aktiv. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Textlinguistik, Schreibberatung und -didaktik.

Effiziente Beurteilung: Wertvoll für Dozierende und Studierende

Text: Tobias Zimmermann

Die Nervosität der Studierenden grenzte an Panik. Dem Professor war das nicht recht, denn mit seinem Hinweis, wie schwierig die Schlussprüfung zu seiner Vorlesung ausfallen werde, hatte er sie motivieren wollen – nicht verunsichern. So überlegte er sich, wie er sie wieder etwas beruhigen könnte und bot ihnen für die Prüfung eine Art Joker an. Dieser funktionierte ähnlich wie der Telefonjoker bei «Wer wird Millionär»: Bei der Multiple-Choice-Frage, bei der sie am unsichersten über die richtige Antwort waren, konnten die Studierenden den Namen einer Kommilitonin notieren. Wenn diese in ihrer Prüfung die richtige Antwort gab, kriegten die Joker-Verwender die Antwort ebenfalls als richtig bewertet.

Kleine Massnahme, grosse Wirkung

Bei der Auswertung der Prüfung stellte der Professor zu seiner Überraschung fest, dass der Durchschnitt der Prüfungsresultate gegenüber den Vorjahren markant angestiegen war. Und es lag nicht am Effekt des Jokers, der ja das Resultat um maximal eine richtige Antwort pro Studentin steigern konnte. Vielmehr ging die Leistungssteigerung weit darüber hinaus und zeigte sich auch in den Folgejahren.

Beim Professor handelte es sich um den bekannten Psychologen und Sachbuchautor Adam Grant, der nun natürlich wissen wollte, weshalb diese kleine Massnahme eine so grosse Wirkung hatte (die obige Episode schildert er in seinem lesenswerten Buch «Hidden Potential» ). Dabei fand er heraus: Um den Joker optimal zu nutzen, mussten die Studierenden wissen, wo die Stärken ihrer Kolleginnen und Kollegen liegen. Um das herauszufinden, begannen sie, vermehrt gemeinsam zu studieren, statt allein zu pauken. Nur so konnten sie sich das kollektive Wissen der Gruppe zunutze machen. Dadurch kamen zwei Effekte zum Tragen, welche das Lernen der Studierenden intensivierten und vertieften:

  • Intensivierung: Die Studierenden verbrachten mehr Zeit mit den zu lernenden Inhalten, weil sie neben dem «normalen» Lernen auch noch herausfinden mussten, wer sich womit besonders gut auskennt. Dies erhöhte die Time on Task, die ein zentraler Einflussfaktor für den Lernerfolg ist.
  • Vertiefung: Mindestens ein Teil der Leistungssteigerung dürfte auch dadurch entstanden sein, dass die Studierenden einander beim gemeinsamen Lernen wesentliche Aspekte gegenseitig erklärt haben. So kam der Teaching-Effekt zum Tragen: Jemandem etwas zu erklären, ist zugleich eine der wirksamsten Lernhandlungen. Als Lehrende kennen wir das aus eigener Erfahrung: Man lernt selten mehr über ein Thema, als wenn man dazu unterrichten muss.

Das Erlebnis von Adam Grant zeigt, wie Massnahmen im Umgang mit Leistungsbeurteilung, die Lehrenden nur wenig Aufwand bereiten, grosse Effekte erzielen können. Sie ist für mich symbolisch dafür, dass wir im Umgang mit Beurteilungssituationen durch umsichtiges Vorgehen ohne nennenswerten Mehraufwand mehr Lernen bewirken können – in Grants Fall durch Anreize für zusätzliches Peer Learning.

Teaching-Effekt: Sich gegenseitig Dinge zu erklären, ist besonders lernwirksam.

In diesem Zusammenhang möchte ich nachfolgend zwei Massnahmen exemplarisch herausgreifen: Das Formulieren von Feedback auf möglichst motivierende Weise und das Verwenden von mehrphasigen Leistungsnachweisen. Die beiden Massnahmen hängen insofern zusammen, als sie beide dazu beitragen, dass erteiltes Feedback tatsächlich für weiteres Lernen genutzt wird.

Motivierendes Feedback: Die Wirkung von Rückmeldungen optimieren

Oft investieren Lehrende viel in das Geben von (häufig schriftlichem) Feedback, während es ungewiss bleibt, ob die Studierenden dieses tatsächlich für ihr weiteres Lernen berücksichtigen. Das ist für die Lehrenden nicht effizient. Eine aufwandsneutrale Massnahme, um die Wirkung von Feedback zu erhöhen, besteht in der motivationsförderlichen Gestaltung. Das gilt übrigens auch für Peer Feedback oder Rückmeldungen im Arbeitskontext. Dafür sind drei Elemente zentral:

  1. Hohe Erwartungen haben und sie auch kommunizieren: Die Erwartungen der Lehrenden haben einen erheblichen Einfluss auf die Leistung der Studierenden. Der sogenannte Pygmalion-Effekt (berühmteste Studie: Rosenthal und Jacobson 1968) besagt, dass Studierende desto bessere Leistungen erbringen, je mehr Lehrende ihnen zutrauen. Um den Lernfortschritt zu maximieren, ist es daher entscheidend, dass Feedback hohe Erwartungen kommuniziert – inhaltlich fokussiert auf jeweils zwei bis drei zentrale Aspekte.  Wichtig ist, dass diese Erwartungen mit der Zuversicht verbunden sind, dass die Studierenden sie erfüllen können.
  2. Entwicklungsorientierung: Feedback sollte so gestaltet sein, dass es den Studierenden hilft, ihre eigenen Lernprozesse als etwas zu verstehen, das sie steuern können. Dabei geht es um die Förderung einer Wachstumsorientierung («Growth Mindset»), wie sie von Carol Dweck beschrieben wird. Lob für Anstrengung motiviert Studierende, sich kontinuierlich zu verbessern. (Lob für Talent, Begabung oder Intelligenz hingegen führt dazu, dass Studierende einfachere Aufgaben aussuchen, um ihre Begabung zu beweisen, und sich dadurch weniger weiterentwickeln.)
  3. Beziehungsebene stärken: Feedback ist am wirksamsten, wenn es in einem positiven, wertschätzenden Ton gegeben wird. Dies stärkt die Beziehungsebene zwischen Lehrenden und Studierenden und motiviert letztere, das Feedback konstruktiv zu nutzen. Humor und Freundlichkeit können hier ebenfalls eine Rolle spielen, um eine offene und unterstützende Lernatmosphäre zu schaffen.
Im Buch «Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten» finden sich zahlreiche Hinweise für die effiziente und lernwirksame Gestaltung von Leistungsnachweisen.

Eine wirkungsvolle Möglichkeit, diese drei Aspekte zu kombinieren, sind so genannte Rückmeldungsvideos. Mehr über das Gestalten und die Wirkung von Rückmeldungsvideos erfahren Sie im Buch «Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten»  (Kap. 8.5.3).

Screenshot eines Rückmeldungsvideos (Bild von Tobias Zimmermann)

Mehrphasige Leistungsnachweise: Mehr als Benotung

Ein weiterer effektiver Ansatz zur Verbesserung des Lernprozesses und zur Steigerung der Effizienz von Leistungsrückmeldungen ist der Einsatz von mehrphasigen Leistungsnachweisen. Hier kommen die oben beschriebenen Vorteile von motivationsförderlichen Rückmeldungen ebenfalls gut zur Geltung.

Mehrphasige Leistungsnachweise kombinieren formative und summative Beurteilungen (siehe Grafik). So folgt zuerst mindestens eine Phase, nach der ausschliesslich eine formative Leistungsrückmeldung erfolgt, also ein Feedback, das nur verbal Stärken und Schwächen der bisherigen Lernhandlungen oder des bisher erarbeiteten Lernprodukts rückmeldet. Wichtig ist, dass es auch Hinweise für das weitere Lernen gibt: Welche nächsten Schritte wären besonders wertvoll? Was sollte ggf. nochmals überarbeitet werden? Nach dieser formativen Rückmeldung arbeiten die Studierenden weiter und erhalten  entweder nochmals eine formative Rückmeldung oder eine abschliessende Bewertung (Prädikat oder Note).

Grafik: Mehrphasige Leistungsnachweise (Abbildung von Tobias Zimmermann)

Dieses Vorgehen hat zwei wesentliche Stärken:

  • Erhöhung der Lernwirksamkeit: Durch das kontinuierliche Feedback in den verschiedenen Phasen des Leistungsnachweises können Studierende ihre Lernprozesse besser steuern und reflektieren. Formative Beurteilungen geben ihnen die Möglichkeit, Feedback zu verarbeiten und anzuwenden, bevor eine abschliessende summative Bewertung erfolgt.
  • Fördern hochwertiger Endprodukte: Die Struktur mehrphasiger Leistungsnachweise ermutigt Studierende, qualitativ hochwertige Arbeiten abzuliefern. Da sie wissen, dass eine abschliessende summative Beurteilung erfolgt, nehmen sie das formative Feedback ernster und nutzen es gezielt zur Verbesserung ihrer Leistungen.

Zu beachten ist das Risiko von Rollenkonflikten: Bei mehrphasigen Leistungsnachweisen ist es wichtig, zwischen der fördernden Rolle und der bewertenden Rolle zu unterscheiden. Lehrende sollten bei der abschliessenden Bewertung darauf achten, nicht nur zu bewerten, ob Studierende ihre vorangehenden formativen Rückmeldungen «brav» befolgt haben. Denn Studierende können auch unabhängig von erhaltenem Feedback lernen, und manchmal finden sie sogar bessere Wege, als sie ihnen in den Rückmeldungen vorgeschlagen wurden.

Wirksameres Lernen durch effiziente Beurteilung

Als Lehrende können wir mit einfachen Massnahmen sowohl die Effizienz von Beurteilungen steigern als auch die Lernmotivation und den Lernerfolg der Studierenden. Letzteres nützt nicht nur den Studierenden, sondern reduziert indirekt auch das Auftreten von Komplikationen wie hohen Durchfallquoten, Dropouts oder Protesten gegen unfaire Beurteilungen.

Die motivationsförderliche Gestaltung von Feedback und mehrphasige Leistungsnachweise sind nur zwei von vielen einfachen Massnahmen, mit denen wir Beurteilungsanlässe wirksamer gestalten können – für Lehrende und Lernende. Eine weitere Möglichkeit besteht z.B. in einer intensiven Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden über die Kriterien der Leistungsbeurteilung (siehe Blogbeitrag «Woran mache ich meine Beurteilung fest?»).

INFOBOX

Zahlreiche weitere Anregungen finden sich im folgenden Buch, das sowohl als gedrucktes Buch käuflich als auch kostenlos im Open Access heruntergeladen werden kann:

Zimmermann, Tobias (2024). Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten. Prüfen, Beurteilen und Rückmelden von Lernleistungen. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich. ISBN 978-3-8474-3045-2

Angebote der PH Zürich

- Buchvernissage «Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten». Dienstag, 22. Oktober 2024, 16–17 Uhr, Schloss Au (im Anschluss an die Veranstaltung «Barcamp Assessment»)

- Barcamp Assessment, KI-basierte Ansätze für Beurteilung und Feedback (Kurztagung). Dienstag, 22. Oktober 2024, 8.30–15.30 Uhr, Schloss Au.

Zum Autor

Tobias Zimmermann ist Leiter des Zentrums für Hochschuldidaktik und -entwicklung (ZHE) an der PH Zürich.

Teamlernen stärken

Text: Nina-Cathrin Strauss

In Expertenorganisationen wie Hochschulen und Schulen ist die fachliche Entwicklung der Einzelnen wichtig, um kompetent zu sein und die Anforderungen der jeweiligen Aufgaben zu erfüllen. Zugleich ist das Miteinander ein wichtiges Fundament, um – wenn notwendig – zusammenzuarbeiten. Solche kooperativen Settings in Teams sind in (Hoch-)Schulen eher Regel, statt Ausnahme, wenn man die Strukturen betrachtet. Doch WIE sich die Bearbeitung von Aufgaben in Teams gestaltet und inwiefern hier individuelle Kompetenzen auch als Ressourcen für die Kolleg:innen und das Team genutzt werden oder wie gemeinsam Kompetenzen entwickelt werden, ist eine andere Frage. Nachfolgend werden zwei Faktoren aufgegriffen, die sich als wesentlich für das Teamlernen zeigen: die Aufgaben und die psychologische Sicherheit in (Hochschul)teams.

Aufgaben als Ausgangspunkt

Gemeinsame Aufgaben sind Gelegenheit für Teamlernen. Dabei ist entscheidend, inwiefern Aufgaben die Kompetenzen von verschiedenen Mitgliedern brauchen.

Wenn eine Aufgabe so angelegt ist, dass die Ziele von Teammitglied A und die Ziele von Teammitglied B beide besser erreicht sind, wenn sie kooperieren, dann spricht man von positiv interdependenten Aufgaben im Sinne eines «Better Together». Das Gegenteil wäre negative Interdependenz, also Konkurrenz in Hinblick auf die Ziele der Teammitglieder, die mit der Aufgabe verbunden sind. Ausserdem gibt es den Fall, dass beide Teammitglieder ihre Ziele unabhängig voneinander erreichen im Rahmen von Aufgaben ohne Interdependenz. Teamlernen braucht hingegen Aufgaben, die komplex genug sind und das Teilen von Wissen und Erfahrungen und die kokonstruktive Zusammenarbeit ermöglichen und einfordern (Hertel u. Hüffmeier 2019).

Teamlernen: «Better Together»

Aufgaben in Hochschulen – autonom oder miteinander?

Wenn in der Aus- und Weiterbildung Kurse und Module autonom von Fachpersonen vorbereitet und durchgeführt werden, müssen sich Gelegenheiten für das Lernen miteinander erst ergeben oder gesucht werden, wie folgendes Beispiel zeigt:

«Wir betreuen zusammen Masterarbeiten. Sie [forschungsmethodisch] eher Quali, ich Quanti [ausgerichtet]. Gut! Lernen wir voneinander, wir machen ein Projekt. Und ich finde, das ist so das Schöne und Wichtige. Wenn wir eine gemeinsame geteilte Aufgabe haben und ein Ziel und dann beide über eine gewisse Motivation verfügen, dann passiert das wie von / nicht von selbst, sondern das ist im Auftrag eigentlich wie gratis als Abfallprodukt dabei (lachen).»

Ausschnitt Gruppeninterview mit Hochschulmitarbeitenden

Doch auch die Aufgabe «Modulleitung» kann so angelegt sein, dass unterschiedliche Expertise gebraucht wird, um das Ziel gemeinsam im Sinne eines «Better Together!» zu erreichen.

Bei der Verteilung von Aufgaben liegen in der Waagschale jedoch oft die Effizienz mit Blick auf Anforderungen und Ressourcen einerseits gegenüber der Entwicklung einzelner und dem Lernen als Team andererseits – bzw. das Erledigen einer Aufgabe gegenüber der Kompetenzentwicklung, um Aufgaben auch in Zukunft erfolgreicher zu bewältigen.

  • Wann erleben Sie in ihrem Arbeitsalltag ein «Better Together»?
  • Welche Aufgaben müssen effizient erledigt werden, welche ermöglichen das Lernen im Team?
  • Wie können Sie als Führungsperson oder Teammitglied «echte» Gelegenheiten im Sinne positiv interdependenter Aufgaben für Teamlernen schaffen?

Psychologische Sicherheit als Schlüsselfaktor

Es sind nicht nur die Gelegenheiten für Teamlernen, sondern auch die Rahmenbedingungen, die eine Rolle spielen. Hier ist ein essenzielles Fundament die psychologische Sicherheit. Es ist ein Gefühl des Vertrauens innerhalb des Teams und eine positive Fehlerkultur, in der Teammitglieder sich offen äußern können, Risiken eingehen, Fragen stellen, um Unterstützung bitten und Fehler zugeben, ohne negative Konsequenzen wie Bestrafung oder Demütigung zu befürchten, wie Expertin Amy C. Edmonson hier erläutert. Auch in unseren Befragungen zeigt sich, wie wichtig psychologische Sicherheit für teambasiertes Lernen ist:

«Also am meisten lerne ich von Fehlern. Und ich erzähle auch immer sehr gerne in meinem Team und auch anderen alle Fehler, die ich gemacht habe. Weil ich denke, das ist immer so eine gute Gelegenheit für andere, nicht den gleichen Weg zu gehen, sondern mal vielleicht was anderes auszuprobieren. Und ja, also ich denke, diese Freiheit im Team dann auch die Sachen zu erzählen, wo es nicht geklappt hat, oder? Wenn ich, weiß nicht, versuche vielleicht mich an ein neues Thema anzunähern und ich finde keinen Zugang. Oder, ob ich bei einer Auswertung einen Fehler gemacht habe. […] Und auch wenn ich das Problem trotzdem vorher gelöst habe, erzähle ich das in meinem Team, denn andere könnten genau den gleichen Fehler auch machen.»

Ausschnitt Gruppeninterview mit Hochschulmitarbeitenden

Es geht also weniger um die oft gewünschte und geforderte Wertschätzung, um die Harmonie zu stärken. Psychologische Sicherheit meint eine Arbeitsumgebung, in der Teams durch das Thematisieren von Fehlern oder Scheitern innovativer, kreativer und nachweislich effektiver werden (Edmondson 2021).

Psychologische Sicherheit entwickeln

So eine Teamkultur entsteht nicht von jetzt auf gleich, sondern muss wachsen. Es gibt verschiedene Übungen und Impulse für die Weiterentwicklung psychologischer Sicherheit, wie z.B. in dieser Handreichung von Kolleg:innen der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften und der Berner Fachhochschule.

Die Rolle von Führungspersonen ist wichtig für Teamlernen.

Führungspersonen wie Teamleitungen oder Vorgesetzte sind eine wichtige Ressource, wie Prof. Dr. Mieke Koeslag hier auch in einem Webinar der PH Zürich erläutert hat.

Sie können Anreize schaffen für Teamlernen, in dem sie Aufgaben schaffen und Aufträge vergeben, die Teamlernen ermöglichen. Edmondson (2021) unterscheidet drei Bereiche:

  • Führungspersonen schaffen Voraussetzungen für eine offene Diskussion über Fehler:
    Zum Beispiel zeigen sie dem Team auf, dass Fehler nicht auf Inkompetenzen einzelner zurückzuführen sind, sondern in der Komplexität des Systems liegen.
  • Führungspersonen laden ein zur Teilnahme:
    Zum Beispiel fragen sie aktiv nach und zeigen Neugier und Interesse, ohne die Schuldfrage in den Fokus zu rücken: «Ist diese Woche alles so abgelaufen, wie ihr es euch für eure Studierenden – Schüler:innen, Weiterbildungsteilnehmenden, Kund:innen – gewünscht habt?». Dies ist eine Einladung, um über Ziele nachzudenken und auszutauschen.
  • Führungspersonen reagieren produktiv:
    Zum Beispiel antworten sie respektvoll und wertschätzend denen, die Fehler oder ihr Scheitern teilen, und eröffnen weitere Wege, um Lösungen zu suchen.

Wenngleich Amy C. Edmondson hier Leitungspersonen anspricht, wird doch deutlich, dass psychologische Sicherheit auch stark durch die Mitwirkung der Teammitglieder geprägt ist und die Entwicklung so einer Teamkultur eine gemeinsame Verantwortung ist.

  • Wie sicher fühlen sie sich als Teammitglied, Erfahrungen mit Fehlern oder Grenzen aus ihrem Arbeitsalltag mit dem Team zu teilen? Was denken Sie, wie geht es ihren Kolleg:innen damit?
  • Wie reagieren Sie auf Erfahrungsberichte von anderen, die von Scheitern handeln?
  • Wie sicher sind sie in ihrem Team, Risiken einzugehen?
  • Was müsste passieren, dass sie und ihre Teammitglieder sich sicherer fühlen? Was können Sie und andere in ihrem Team dazu beitragen?
INFOBOX

Projekt «Teams als Lernorte» der PH Zürich
Im Projekt «Teams als Lernorte» geht ein Team der PH Zürich in Kooperation mit Kolleg:innen der Hochschule Luzern und der Fachhochschule Nordwestschweiz dem Phänomen Teamlernen in Hochschulteams nach. Verschiedene Daten werden genutzt, um mehr darüber zu erfahren, wie Teammitglieder voneinander und miteinander lernen. Daraus werden Massnahmen für den Hochschulkontext abgeleitet.

Podcast
Zuletzt erschienen ist die Folge «Schul- und Hochschulteams als Lernorte» der Podcast-Reihe «Resonanzraum Bildung».

In Erarbeitung ist zudem eine Handreichung zur Entwicklung von Teamlernen.

Zur Autorin

Nina-Cathrin Strauss ist Mitarbeiterin im Projekt «Teams als Lernorte» und Dozentin im Zentrum Management und Leadership der PH Zürich. Sie befasst sich mit Führung in Bildungsorganisationen und der Professionalisierung von Führungspersonen und ist u.a. Studiengangsleiterin im DAS Schulleitung und Themenverantwortliche für Teacher Leadership.

Gezielte Hochschuldidaktik für MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik)

Text: Mònica Feixas und Wolfgang Bührer

Kürzlich bei einem Gespräch teilte eine neu berufene Hochschuldozentin für Informatik eine häufige, doch besorgniserregende Erfahrung: «Meine Erstsemester lernen einfach nicht!» Als hochmotivierte, mit Fachwissen aus der Industrie bestens ausgerüstete Dozentin steckte sie viel Zeit in die Vorbereitung ihrer Lehrveranstaltungen. Bei der Überprüfung der Lernergebnisse ihrer Studierenden zeigte sich jedoch ein wenig erfolgreiches Bild. Was könnten die Ursachen für die beschriebenen Lernprobleme der Studierenden sein? Und wie liessen sich Lernmotivation und Lernerfolg der Studierenden steigern?

In einem anderen Fall stand ein Geografie-Dozent vor der Aufgabe, Engineering-Studierenden im Rahmen von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) die Ursachen der aktuellen Klimakrise zu vermitteln. Angesichts der Kombination von inhaltlicher Komplexität und gesellschaftlicher Kontroversen zum Umgang mit Klimafragen fühlte er sich didaktisch herausgefordert: Wie sollte er wissenschaftlich fundierte Informationen vermitteln und zugleich Raum für kritische Diskussionen lassen?

Dies sind zwei Beispiele weit verbreiteter Herausforderungen von Dozierenden im Bereich der MINT-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), bei denen die Komplexität der Lehrinhalte sowie das Bewusstsein für den Lernprozess und den Hintergrund der Studierenden spezifische Lehrstrategien erfordert.

Weshalb eine MINT-orientierte Hochschuldidaktik?

MINT-Fächer unterscheiden sich von anderen Studienbereichen grundsätzlich durch methodische Herangehensweisen, die stark auf Experimentieren, direkten Beobachtungen, kritischer Beweisführung, quantitativer Analyse und empirischen Belegen basieren. Dies erfordert ein solides Verständnis abstrakter und komplexer Konzepte, die z.B. technisch nutzbar gemacht werden sollen. Das spiegelt sich in den Lehr- und Lernaktivitäten wieder: MINT-Fächer greifen in der Regel auf Laborarbeiten, mathematische Problemlösungen und technologische Anwendungen zurück.

Drei Personen beim Lösen einer Technikaufgabe
MINT-Fächer greifen oft auf direkte Beobachtung als Methode zurück.

Deshalb muss die spezifische Didaktik für MINT-Disziplinen über traditionelle Lehrmethoden hinausgehen. Sie benötigt Ansätze, die nicht nur die Fähigkeit der Studierenden fördern, theoretisches Wissen in praktischen Kontexten anzuwenden, sondern auch spezifische methodische Herausforderungen dieser Fächer adressieren. Beispielsweise bieten Laborunterricht und der Flipped Classroom-Ansatz den Studierenden wertvolle praktische Erfahrungen und vertieftes Verständnis. Der Einsatz von Simulationen, Modellierungen und moderner Technologie ist ebenfalls essenziell, um komplexe Systeme zu visualisieren und empirisch zu untersuchen.

Ein besonders wirkungsvoller Ansatz ist das Challenge-based Learning (CBL). CBL fordert Studierende heraus, reale und bedeutungsvolle Probleme zu identifizieren und zu lösen. Dies fördert nicht nur ihre Problemlösungsfähigkeiten und Kreativität, sondern auch ihre Fähigkeit, interdisziplinär zu arbeiten und theoretisches Wissen in konkrete Anwendungen zu überführen. Dabei entwickeln sie auch wichtige Kompetenzen wie Teamarbeit, Kommunikation und kritisches Denken. Die beiden eingangs geschilderten Dozierenden können von solchen spezifischen MINT-didaktischen Ansätzen profitieren.

Präkonzepte und Binnendifferenzierung

Zu den meisten in der Welt beobachtbaren Phänomenen haben Studierende bereits mehr oder weniger korrekte Erklärungen, so genannte Präkonzepte. Im Gespräch mit der eingangs erwähnten Informatikdozentin, deren Erstsemestrige nicht wie von ihr erwartet lernten, zeigte sich: Bisher hatte sie die Präkonzepte ihrer Studierenden, also ihre vorwissenschaftlichen Erklärungen der unterrichteten Konzepte, kaum berücksichtigt. Diese Präkonzepte im Lehrgeschehen aufzunehmen und adäquat strategisch zu bearbeiten, erhöht die Chance auf erfolgreiche Konzeptwechsel (Duit, 1995). So könnte die Dozentin das tatsächlich vorliegende Vorwissen und existierende Präkonzepte konkret erheben und dann mit Hilfe von Konfrontations-, Umdeutungs-, oder Anknüpfungsstrategien bearbeiten, was ebenfalls mit überschaubarem Aufwand zu mehr Lernerfolg führen würde  (vgl. Hopf et al. 2022).

Im Gespräch mit der Informatikdozentin identifizierten wir weitere Punkte, die im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten für eine erste Optimierung ihrer Veranstaltungen Potential boten, den Lernerfolg zu steigern. Zunächst erkannten wir, dass die Kohärenz in ihrer Lehrveranstaltung erhöht werden könnte. Dazu ist das «constructive alignment» (Biggs und Tang (2011) hilfreich, also die gegenseitige Abstimmung von Lernzielen, Lehrmethoden und Leistungsnachweisen.

Im Informatik- oder Mathematikunterricht ist es beispielsweise ineffizient, Zeit mit Problemen zu verbringen, die die Studierenden bereits verstanden haben. Stattdessen sollten sie spezifische Schwierigkeiten identifizieren und die relevanten Konzepte oder Prinzipien benennen. Zudem sollten die Studierenden ihren Programmier- oder Problemlöseprozess klar artikulieren. Weiterhin könnte man der Heterogenität ihrer Studierendenschaft mit an das jeweilige Vorbildungslevel angepassten binnendifferenzierten Aufgaben gut begegnen.

Denk- und Entscheidungsprozesse bewusst machen

Herausforderungen wie die Klimakrise lassen sich als hochkomplexe Probleme verstehen (Cross und Congreve 2022 sprechen von «super-wicked problems»). Die Lehrherausforderungen hängen mit der fachlichen und ethischen Komplexität sowie der moralischen Kontroversität zusammen. Im Umgang mit dieser hohen Komplexität wenden Dozierende gelegentlich einen instrumentalen Lehransatz an, vermitteln also Expertenwissen und/oder versuchen, nachhaltiges Verhalten zu fördern. Für solche gesellschaftlich dringlichen und kontroversen Themen ohne eindeutige Lösung gibt es allerdings keine einfachen Vermittlungsstrategien. Deshalb ist ein instrumentales, auf einzelne Aspekte gerichtetes Vorgehen oft weniger lernwirksam als ein transformativer Ansatz. Ein solcher befähigt Studierende, als kreative und kritische Denker:innen zu agieren, die in der Lage sind, auf die vielschichtigen Herausforderungen unserer Zeit innovativ und reflektiert zu reagieren.

Bild von Studierenden im BNE-Unterricht
Studierende im BNE-Unterricht

Der in der Einleitung geschilderte Geographie-Dozent kann deshalb von Ansätzen wie der Fallarbeit oder dem Challenge-based Learning profitieren. Diese Methoden zielen darauf ab, alternative Handlungswege zu erwägen sowie Denk- und Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen. Auf diese Weise befähigen sie zur Bearbeitung hochkomplexer Probleme. Fachdidaktische Fallarbeit und «Challenge» bedeuten im Kern, über grosse Erzählungen und kleine Geschichten nachzudenken (Pettig und Ohl 2023). Sie sind Unterrichtsalternativen, die Handlungsroutinen durch Verlangsamung und Erkundung aufbrechen.

Diese Ansätze ermöglichen, implizite Denk- und Entscheidungsprozesse bewusst zu machen. Somit werden sie für Anpassungen verfügbar. So wird ein Raum für Resonanz und Dialog eröffnet und die Zusammenarbeit gefördert. Auf diese Weise können grosse Ideen identifiziert, durchdachte Fragen gestellt und Herausforderungen erkannt und gelöst werden. Das Ziel der fachdidaktischen Fallarbeit ist somit die Entwicklung einer «reflexiven Haltung», wie es Schmidt und Wittek (2021) nennen.

Neues Angebot: Hochschuldidaktisches Zertifikat mit MINT-Fokus

Um die MINT-spezifischen Bildungsherausforderungen besser zu adressieren, bieten wir einen neuen CAS-Lehrgang «Hochschuldidaktik MINT» an. Neben Strategien und Methoden zielt dieser Lehrgang darauf ab, MINT-Dozierenden ein profundes Verständnis für die spezifischen Elemente des Designs von Lehr- und Lernprozessen zu vermitteln.

Mit einer Teilnahme an unserem CAS gewinnen die oben genannten Kolleg:innen aus Informatik und Geografie nicht nur tiefgreifende Einblicke in didaktische Fragestellungen. Sie erhalten auch die Gelegenheit, durch wissenschaftsbasierte Methoden ihr Verständnis von Lehren und Lernen individuell und nachhaltig zu erweitern. So können sie ihre didaktischen Fähigkeiten weiterentwickeln und noch lernwirksamer unterrichten.


INFOBOX

Online-Informationsveranstaltungen zum CAS Hochschuldidaktik MINT

Informieren Sie sich über den CAS Hochschuldidaktik MINT und kommen Sie mit den Lehrgangsleitenden Mònica Feixas und Wolfgang Bührer ins Gespräch:

- Infoveranstaltung 1 (12–13 Uhr): 27.6.2024
- Infoveranstaltung 2 (12–13 Uhr): 16.9.2024

Weitere Details und Anmeldeinformationen finden Sie auf unserer Webseite und in unserer Broschüre.

Die folgenden Module aus dem CAS Hochschuldidaktik MINT können auch einzeln gebucht werden:
- Lernziele und Methoden in MINT-Fächern
- Leiten und Begleiten (mit einem Fokus auf MINT-Fächern)
- Assessment, Feedback und Evaluation in MINT-Fächern

Zu den Autor:innen

Mònica Feixas

Mònica Feixas ist Dozentin am Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich und Co-Leiterin des CAS Hochschuldidaktik MINT. Ihre Spezialisierungen liegen im Bereich der Lehrevaluation und in der Förderung des Scholarship of Teaching and Learning (SoTL).

Wolfgang Bührer

Wolfgang Bührer bildet seit 2013 an der Abteilung Sek I der PH Zürich angehende Lehrpersonen in Physik und Physikdidaktik aus und ist Co-Leiter des CAS Hochschuldidaktik MINT.

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