Warum in die Ferne schweifen? Bildungsreisen früher – und heute

Text: Simone Heller-Andrist und Anne Bosche

Eine kleine Reise ist genug, um uns die Welt zu erneuern.

Marcel Proust
2019 organisierte die PH Zürich eine Studienreise nach Japan.

Neulich erzählte mir eine Kollegin von ihrer Reise nach Kuba: wie eindrücklich die Gastfreundschaft, wie widersprüchlich die Lebensarten, wie hindernd die Ideologie für den Alltag. Und: Ihre Familie habe die Reise mit Urlaub verwechselt: Da habe es viele Diskussionen gegeben. Reise und Urlaub: was unterscheidet die beiden Aktivitäten?

Man könnte darauf antworten, dass sie sich in ihren Zieldimensionen unterscheiden: Auf der Reise erfahren wir explorativ etwas Anderes, uns Neues. Sind neugierig auf die Vergleiche, wollen überrascht und herausgefordert sein, in den Austausch mit den Menschen und ihren Geschichten an anderen Orten kommen. Es geht um Einlassung in für uns neue Kontexte. Die Reise hat somit den transformativen Charakter, den Proust ihr zuschreibt.

Urlaub wiederum könnte zum Ziel haben, Distanz zum eigenen Kontext zu gewinnen. «Abzuschalten», sich «auszuklinken» – in dieser Entkoppelung in erster Linie Regeneration zu erfahren. Erholung, Genuss, Entspannung assoziieren wir mit dem Begriff.

Hierfür werden Heterotopien in der Ferne konzipiert. Mit Heterotopie bezeichnet Michel Foucault inszenierte Utopien an realen Orten, die alle gewohnten kulturellen Realitäten unserer eigenen Gesellschaft zugleich repräsentieren, infrage stellen und damit untergraben (Foucault 1986, S. 24). Zum Zweck, in der Distanz das Gewohnte nicht missen zu müssen, gibt es «Urlaubskolonien». Wir verbringen in der Ferne eine hürdefreie Zeit und suchen nicht die Herausforderungen, die uns oder unseren Blick auf die Welt verändern könnten. Gemäss Foucault birgt die Künstlichkeit der Heterotopie für aufmerksame Betrachter aber ebenfalls das Potenzial, das Gewohnte zu hinterfragen. So werden die Ziele Erkenntnisgewinn und Erholung oft vereint: In der Ferne suchen wir sowohl unbekannte Kulturgüter als den Genuss lokaler Kulinarik in einem langsameren Takt. Der transformative Charakter der Reise und das «in sich Ruhen» des Urlaubs werden kombiniert. Je geschützter der Rahmen allerdings, so würde man meinen, desto weniger Transformationspotenzial ist vorhanden. Um uns zu verändern, müssen wir uns aussetzen, wenn auch nur gedanklich. Ein Blick in die Geschichte des Reisens und des Urlaubs zeigt eine komplexe Verflechtung der zwei vermeintlich getrennten Prinzipien Erkenntnis und Vergnügen.

Religion, Ruhm und Ehre, Repräsentation und Exotik: Eine Geschichte der Bildungsreise

Die Kombination von Erkenntnissuche und Erholung (unter Seinesgleichen) ist das Produkt einer langen Kulturgeschichte des Reisens, allerdings oft nur privilegierten Mitgliedern – vorerst Männern – privilegierter Gesellschaften vorbehalten. Der Charakter der Bildungsreise ändert sich mit den Zeichen der Zeiten.

Aus der ritterlichen mittelalterlichen Reisetradition, die der religiösen Bildung, der Frömmigkeit durch Besuche von religiösen Stätten im «heiligen Land» bis in die Zeit des Humanismus dienten und Pilgerfahrt, Abenteuer und Erziehung kombinierten, entstand im 16. Jahrhundert die Reiseaktivität zur Erlangung von vera nobilitas – «wahrem Stand». Während die Reisen der Gelehrsamkeit (nobilitas erudita) in ritterlicher Tradition dienten, waren sie nun zusätzlich als soziale Erfahrung konzipiert. Es ging darum, die leblosen Relikte vergangener Zeiten mit den Berichten zeitgenössischer Gelehrten zu verbinden (Freller 2007, S. 10). Die Pilgerreise selbst wurde während der Entwicklung der neuen Bildungsreise als eigene Form weitergeführt.

Im 18. Jahrhundert, der Zeit des Ancien Régime, war die «Kavaliersreise» gleichzeitig Erziehungs- und Erfahrungsreise entlang gesetzter Zentren des Abendlands (Ausgangspunkt London, weisse Stadt Paris, ewige Stadt Rom, Kunst in Florenz, Rückreise über Deutschland, Handelshäfen in Amsterdam, etc.) und der Gesellschaft (europäische Herzogshöfe) als auch Portal zum Eintritt in die «berufliche Welt des Adels». Die jungen Adligen traten die mehrere Jahre dauernde Reise etwa im Alter von 20 Jahren an. Das Absolvieren der «Grand Tour» in Begleitung eines reiseerfahrenen Mentors machte einen jungen Aristokraten zum Mann von Welt, zu einem «honnête homme» (Freller 2007, S. 7). Für die Position als Mentor, der Erzieher, Reiseführer, Vaterfigur und Berater zugleich war, war oft ein Universitätsabschluss als Qualifikation Voraussetzung. Die Studienziele der Tour fokussierten auf Zivil- und Militärwissenschaften, davon insbesondere die «Kavaliersfächer» Rechtswissenschaften, Geschichte (inklusive Genealogie), Mathematik (v.a. auch Geometrie), Architektur (auch Festungswesen) und Geographie.

Bildungsreisen in der Schweiz um 1800

Aber auch im Bereich der Pädagogik waren Bildungsreisen durchaus üblich. Die Schweiz und insbesondere Zürich waren um 1800 ein Zentrum des europäischen Gelehrtennetzwerks (Grube 2017, S. 16). Es war in privilegierten Kreisen üblich, eine Bildungsreise anzutreten, um verschiedene Arten der Erziehung und Bildung kennenzulernen. Darüber hinaus blieb man über Briefkorrespondenzen in regem Austausch und debattierte über zentrale Themen der Aufklärung. Dabei galt nicht das Gebot der harmonischen Verständigung. Vielmehr erzählt die immense Schriftenproduktion von Konflikten – etwa den Zusammenhang von Schulbildung und gesellschaftlicher Sittlichkeit.

So reisten um 1800 etwa zahlreiche Pädagogen nach Yverdon. Dort hatte der berühmte Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) ein Erziehungsinstitut, in dem er sein Erziehungskonzept erprobte, das bis heute unter der Kurzformel «Kopf, Herz und Hand» bekannt ist. Damit gemeint ist eine ganzheitliche Herausbildung von Einsicht, Liebe und Berufskraft. Nur auf diese Weise – so Pestalozzis Überzeugung – können Menschen Vollendung und Sittlichkeit erreichen.

Zu den Bildungsreisenden gehörten unter anderem auch Peter Friedrich Theodor Kawerau (1789-1844) und Johann Wilhelm Mathias Henning (1783-1868) zwei deutsche Pädagogen, die sich an Pestalozzis Institut weiterbilden liessen und so zur Verbreitung seiner innovativen Ideen beitrugen. Sie diskutierten in Briefwechseln rege über dessen Ideen und reflektierten neue Erkenntnisse in Tagebüchern. Diese Dokumente geben uns Einblick in die Gedankenwelt der Gelehrten um 1800 – in Positionierungen, Argumentationen und Konfliktlinien. Und sie lassen uns durch die Reiseberichte Anteil an ihrem Leben haben. Für das vorindustrielle Europa zeugen die Berichte von einer erstaunlichen Mobilität.

Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen
Kinderzeichnung aus der Schweiz, entstanden zwischen 1940 und 1980. Signatur: NLS_521_049
(Sinnbild für die Bildungsreise)

Bildungsreise, Urlaub und Pläsier

Mit der Verbesserung der einheimischen Universitäten, Akademien und Erziehungsinstituten wie dem oben vorgestellten Institut von Pestalozzi ging ein Wandel des Bildungsideals einher – und die Bildungsreisetätigkeit in der ausgedehnten und vorstrukturierten Form kam gegen Ende des 18. Jahrhunderts zum Erliegen. Die Bildungsreise wandelte sich in eine stärker individualisierte Form des Reisens. Ab dem viktorianischen Zeitalter Englands, also im 19. bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts, begab sich die junge adlige Person zum geniesserischen Erleben in die Fremde. Vorbildfunktion hat der englische Adel mit bevorzugter Destination Italien, dem europäischen Ort der klassischen Antike. So rückt «Pläsier» in den Vordergrund: Das Bestaunen historischer Monumente, lokaler Folklore aber auch «Shopping» in Modemetropolen. Moderne touristische Elemente kommen ins Spiel.

Die Bildungsreise war in den vergangenen Jahrhunderten also Privileg der besonderen Art, vor allem zu Beginn nur für Männer «von Rang». Zahlreiche Merkmale der traditionellen Bildungsreise des 18. Jh. lassen sich aber auch in der heutigen Bildungsreise wiedererkennen. Das Format der «Auszeit» und des «Pläsiers», des Urlaubs, entwickelte sich aus den Traditionen des frühen 19. Jahrhunderts und wurde im Verlauf der Zeit auch weniger privilegierten Mitgliedern der Gesellschaft ermöglicht (ob gewerkschaftlich, gesundheitlich oder ökonomisch motiviert est disputandum).

Gesetzliche zwei Wochen Ferien pro Jahr gibt es für Schweizer:innen übrigens erst seit 1966, mindestens vier Wochen seit dem 1. Juli 1984. Die erste Ferienregelung der Schweiz stammt aus dem Jahr 1879 – Ferien für Beamte aus Gründen des Sauerstoffmangels. Arbeiter, die draussen arbeiteten, litten gemäss Argumentation nicht daran. Vorreiterin für individuelle Ferienregelungen für ihr akademisches Personal ist die ETH: Seit 1854 gibt es Regelungen für Erholung und individuelle Weiterbildung. Das Wort «Urlaub» selbst stammt aber von den Sitten des Adels ab: Den Hof eines Adligen konnte man nicht einfach so verlassen, man musste um «Urloup» (Erlaub) bitten, im Alt- oder Mittelhochdeutschen etwa gleichbedeutend mit «Erlaubnis», «Freistellung vom Dienst».

Reisen als transformativer Akt

Auch wenn auf der Reise die Reisenden die einzige Konstante sind, kommen sie als andere zurück. Jede Reise, ob Bildungsreise oder Urlaub, hat potenziell transformativen Charakter. Die bewusste Wahrnehmung eines Anderen, anderer Möglichkeiten im Umgang mit der Welt, der Bildung, des Alltags und der Vergleich des Vertrauten mit dem Neuen, ein Abwägen des Sinns im Anderen und das Potenzial, Sinnvolles zu übernehmen, machen die Transformation aus.

Reisen ist also ein reflektierter Perspektivenwechsel in Bewegung, die Reise der performative Akt der Neugier (vgl. auch Prahl und Steinecke, S. 135). Wir begeben uns aus bekannten in unbekannte Kontexte. So bekommen wir als reflektierte Menschen die Möglichkeit, uns selbst in neuen Kontexten zu erleben: Das Heideggersche «Ins Jetzt Geworfen-Sein» ergänzt sich ums «Ins Sich-Geworfen-Sein»: Wir sind gezwungen, unsere bestehenden Grenzen zu erfahren und wenn nötig zu verschieben. In diesen Verschiebungen, die der neue Kontext uns abverlangt, entsteht das Potenzial persönlicher Veränderung.

Auf gesellschaftlicher Ebene gleichen Reisen grossen Kalibrierungen: provisorische Integrationen in der Fremde basieren auf einer Oszillation zwischen Anpassung und Distanzierung. Wir befinden uns in konstanter Vergleichsarbeit – machen Unterschiede und Gemeinsamkeiten aus und bewerten sie. Mit jeder Bildungsreise tut sich die Möglichkeit eines solchen Selbst- und Vergleichsversuchs auf.

INFOBOX

Angebot der PH Zürich
Die nächste Möglichkeit potenzieller Transformation durch Bildungsreise ist die Studienreise nach Japan im September 2025. Die Reise ist bereits ausgebucht, es wird aber eine Warteliste geführt.

Für 2027 ist eine erneute Studienreise nach Japan geplant. Interessierte dürfen sich gerne bei Mònica Feixas melden: monica.feixas@phzh.ch.

Aufruf: Das Zentrum Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich möchte weitere Bildungsreisen durchführen. Wir nehmen gerne Anregungen wie Reiseziele, Themen für Bildungsreisen, etc. dazu entgegen (via Kommentarfunktion oder per Mail an Simone Heller-Andrist: simone.heller@phzh.ch).

Sammlung Pestalozzianum
In der Sammlung des Pestalozzianums sind zahlreiche Zeitzeugen zu finden:
- Pestalozzis Vermächtnis – Zeitreisen Pestalozzianum
- Von Cholera zu Corona – Zeitreisen Pestalozzianum
- Die Briefe und Tagebücher: Willkommen – Stiftung Pestalozzianum

Mögliche Bilder aus dem Pestalozzianum – darunter auch das oben integrierte
- Schulreise bspw.: Auf der Schulreise – Stiftung Pestalozzianum

Zu den Autorinnen

Simone Heller-Andrist arbeitet am ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich als Studiengangsleiterin, Dozentin und Beraterin. Sie leitet den CAS Hochschuldidaktik Winterstart sowie den CAS Berufsfeldbezug stärken.

Anne Bosche ist Prorektorin Ausbildung an der PH Schaffhausen. Bis Mitte 2024 war sie Geschäftsführerin der Stiftung Pestalozzianum und Projektleiterin «Sammlungen Pestalozzianum»  an der PH Zürich.

(Un-)Ordnung muss sein: Zwischen Flexibilität und Systematik in der Weiterbildung

Beitrag von Markus Weil

Weiterbildung soll flexibel sein, angepasst an individuelle Bedürfnisse, zeitlich frei gestaltbar, modularisiert. Das alles sind legitime Ansprüche. Wenn sich gleichzeitig der Ruf nach Anrechenbarkeit und Zertifikaten hinzugesellt, stehen Bildungsinstitutionen vor einigen Herausforderungen. Nach innen bringt Weiterbildung eine gewisse Unordnung in die Tertiärstufe des Bildungssystems. Nach aussen bedarf es verständlicher Worte, die gleichzeitig hohe Flexibilität und eine gewisse Systematik deutlich machen.

«Ordnung ist das halbe Leben»

Schön ordentlich: Die eigene Bildungsbiografie lässt sich im schweizerischen Bildungssystem einordnen. Wo sind Sie entlanggegangen?

Quelle: SBFI 2019

Was bringt der Blick auf diese ordentliche Darstellung des Bildungssystems? Es wird unterschieden zwischen Primar-, Sekundar- und Tertiärstufe und Weiterbildung, die manchmal auch als Quartärstufe bezeichnet wird (z.B. im Strukturplan für das Bildungswesen des Deutschen Bildungsrats, 1970). Vertikal gibt es verschiedene Typen von Bildungsinstitutionen und -abschlüssen beruflicher und allgemeiner Natur. Diese Strukturierungsleistung dient der rechtlichen und administrativen Verortung, der Orientierung für den persönlichen Bildungsweg, der Vergleichbarkeit, Zugangsberechtigung bis hin zu Finanzierungsbedingungen. Die eindeutigen Fälle sind – wenn auch im historischen Wandel – meist gut verortet und systematisiert. Flexibilität im schweizerischen Bildungssystem lässt sich im Wechsel zwischen den verschiedenen horizontalen und vertikalen Einordnungen aufzeigen. In der Darstellung ist dies mit «üblicher Weg» und «möglicher Weg» gekennzeichnet. Aber Ordnung ist eben nur das halbe Leben.

«Jede Ordnung ist der erste Schritt auf dem Weg in neuerliches Chaos»

Spannend wird es bei Fragestellungen, die nicht so einfach zu beantworten sind. Wenn wir den Fokus auf das beidseitig eingezeichnete Band «Weiterbildung» in der Darstellung richten, stellen sich bereits auf den ersten Blick Fragen nach «üblichen und möglichen Wegen». Nehmen wir uns exemplarisch den Quadranten vor, der mit «Hochschulen» und «Tertiärstufe» gekennzeichnet ist. Seit der Bologna-Reform um die Jahrtausendwende wurde das europäische Hochschulsystem in Bachelor, Master und PhD/Doktorat gegliedert – in einigen Fällen zusätzlich mit Diplomen oder Abschlüssen zur Berufsbefähigung. Aber: Fachhochschulen, Pädagogische Hochschulen und Universitäten in der Schweiz bieten nicht nur diese Tertiärbildung an, sondern treten im vierfachen Leistungsauftrag (Studium, Forschung, Dienstleistung und Weiterbildung) immer auch als Weiterbildungsanbietende auf. Parallelen lassen sich in der höheren Berufsbildung oder bei Berufsfachschulen aufzeigen, die ebenfalls Weiterbildungsfunktionen wahrnehmen. Es zeichnen sich gewisse Herausforderungen ab, im Bildungssystem mehrere Funktionen abzudecken und gleichzeitig als Hochschule wahrgenommen zu werden: Die Hochschule als Weiterbildungsanbieterin.

Quelle: Adobe Stock

«Unordnung ist eine Uhr ohne Zeiger»

Haben Sie schon einmal von CAS, DAS und MAS gehört?  In Weiterbildungsprogrammen hat sich an Hochschulen diese Systematisierung von Certificate, Diploma und Master of Advanced Studies etabliert. Ausserhalb der Schweiz lösen diese Begriffe meist fragende Blicke aus. Es handelt sich nicht um ein bologna-konformes europäisches System, sondern um eine Ordnungsleistung für Weiterbildung an schweizerischen Hochschulen. CAS, DAS und MAS können nicht von anderen Bildungsstufen angeboten werden. Sie unterliegen schweizweiten Konventionen, ohne jedoch zum formalen Bildungssystem zu zählen. Sie sind und bleiben Weiterbildung. Nicht nur die Systematik lehnt sich an Bachelor, Master, PhD/Doktorat an, auch wird Workload in ECTS-(Weiterbildung-)Punkte (Europäisches System zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen) umgewandelt, welche allerdings nicht automatisch als ECTS-(Studiums)-Punkte für die Studienangebote anrechenbar sind. An Hochschulen wird in den Weiterbildungsprogrammen oftmals auf das gleiche Personal sowie auf ähnliche methodisch-didaktische und curriculare Konzepte zurückgegriffen wie in den Studiengängen, so zum Beispiel für das Verfassen von Abschlussarbeiten. Unterschiedlich zum Hochschulstudium sind Finanzierungsmechanismen, Adressat:innen und die gesamte Angebotspalette, in der CAS, DAS und MAS nur einen Bruchteil ausmachen und im Kontext von  internen Weiterbildungen, Beratungen, Tagungen, Kursen, Workshops und vielem mehr zu denken sind.

«Wer Ordnung hält, ist zu faul zum Suchen»

Es folgen vier Vorschläge, wie das systematische und institutionelle Verhältnis von Hochschulbildung und Weiterbildung gedacht werden könnte.

Quelle: Gonon/Weil 2021. Dieses Schema kam in der Publikation von Gonon/Weil 2021 zum Einsatz, wo eine internationale Verortung der schweizerischen CAS-DAS-MAS-Besonderheit vorgenommen wurde.
  1. Separat: Hochschulen fokussieren auf Bachelor-, Master- und PhD-Programme. Diese Programme sind nicht für die Weiterbildung geöffnet. Weiterbildungsprogramme werden ausserhalb von Hochschulen angeboten und angerechnet.
  2. Institutionell integriert, systematisch separat: Eine Bildungsinstitution bietet neben Hochschulausbildung auch Hochschulweiterbildung an. Beide Systeme operieren separat, Infrastruktur und Personal werden gemeinsam genutzt.
  3. Institutionell separat, systematisch integriert: Weiterbildung und Hochschulbildung können gegenseitig angerechnet werden, werden aber von unterschiedlichen Anbietenden ausgebracht.
  4. Integriert: Hochschulausbildung und Hochschuldweiterbildung sind Teil desselben Rahmens. Die Angebote sind offen für Studierende und Weiterbildungsteilnehmende.

Diese Überlegungen haben praktische Konsequenzen:

  • Wo muss der Workload absolviert werden, der zu einem ECTS-Punkt führt?
  • Wird diese Leistung für weitere Angebote angerechnet?
  • Wer bezahlt die Bildungsleistung?

Die Antwort auf diese Fragen kann je nach Modell ganz unterschiedlich ausfallen. Insofern schadet ein wenig Systemkunde auch mit Blick auf ein einzelnes Angebot nicht.

(Un-)«Ordnung muss sein»

Weiterbildung, die an Hochschulen stattfindet, hat das Potenzial, die Hochschule zu irritieren. Sie kann im besten Fall Hochschulen noch mehr für die Gesellschaft öffnen, indem sie Angebote für die breite Allgemeinheit zugänglich macht – mit und ohne Abschluss. Im Gegensatz zu akkreditierten und hoch reglementierten Studienprogrammen kann Weiterbildung Angebote in kompakten Formaten schnell umsetzen und eine unordentliche Dynamik zu einem späteren Zeitpunkt bei Bedarf systematisieren. Das eigene Ordnungssystem in der Schweiz mit CAS, DAS und MAS schafft dafür die notwendige Verbindlichkeit.

Wünschenswert wäre, dass zukünftige schematische Darstellungen des Bildungssystems mehr Durchlässigkeit definieren. Wo sind die Pfeile «übliche und mögliche Wege» von den Hochschulen zur Weiterbildung und umgekehrt? Im erweiterten Sinne setzen sich bereits ebenso viele Beteiligte mit Fragen zu Validierungsmöglichkeiten und Kompetenzanerkennung auseinander, wie zu curricularen Überlegungen zum Verhältnis von Praktika, Exkursionen und Selbststudium.  Ordnungsleistungen im Bildungssystem sind dabei sehr wichtig, damit wir uns auf Abschlüsse und Wege auch verlassen können. Neben der Systematisierung besteht der Anspruch nach möglichst hoher Flexibilität im Bildungssystem. Fragen zur Unordnung sind erwünscht, teils irritierend, teils innovativ. Was meinen Sie zu den vier vorgeschlagenen Modellen im Verhältnis zu Hochschul- und Weiterbildung? Muss (Un-)Ordnung sein?

INFOBOX

Publikationen zum Thema

Philipp Gonon, Markus Weil. Continuing Higher Education Between Academic and Professional Skills.

Katrin Kraus, Markus Weil. Der Leistungsbereich Weiterbildung im institutionellen Kontext: zum reflexiven Potenzial der Pandemiesituation für das organisationale Lernen von Pädagogischen Hochschulen.

Markus Weil, Balthasar Eugster. Thinking outside the box. De-structuring continuing and higher education.

Zum Autor

Markus Weil leitet die Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich. Seine Schwerpunkte sind Schnittstellen zwischen Berufsbildung, Weiterbildung und Hochschullehre.

Der folgende Beitrag, ursprünglich veröffentlicht am 14. September 2021, wurde 2021 von allen im selben Jahr publizierten Beiträgen des Lifelong Learning Blogs am meisten aufgerufen. Gerne präsentieren wir Ihnen daher den «Best of 2021» hier noch einmal:

Lernen bleibt nicht lernen

Beitrag von Dominic Hassler und Monique Honegger

Die Digitalisierung und Automatisierung prägen unser Zusammenleben, unsere Arbeitswelt sowie unsere Schulwelt. Dies verändert auch, wo und wie Lehrende auf den Lernprozess einwirken. Dies zeigen drei Beispiele und die Analyse von Lerndimensionen. Ein Katalog hilft Lehrenden zu entscheiden, ob und wie sie digitales Lernen veranstalten können.

Eine Studentin (23) teilt ihr Dokument, in dem sie ihre Seminararbeit verfasst, via Social Media. Alle mit dem Link können die entstehende Arbeit lesen und kommentieren, aber nicht bearbeiten. Was heute mitunter als Betrugsversuch verstanden wird, mag in einigen Jahren vermutlich als Good Practice gelten. Dieses Beispiel illustriert, wie die Digitalisierung unser Arbeiten und Lernen verändert.

Aber wie gehen wir Lehrpersonen und Dozierenden konkret im Unterricht mit Digitalisierung und Digitalität um? Manche Bildungsexpert:innen argumentieren, dass Lernen Lernen bleibt. Parallel dazu lassen sich neue Formen von Lehren und Lernen beobachten: Die sind anders als vor 20 Jahren, aber nicht unbedingt digital.

Drei Beispiele

Beispiel 1 – Dokumentieren

Eine Lernende (18) hält einige Arbeitsschritte mit Ihrem Smartphone auf Video fest (im Beispiel wie ein Teig bearbeitet wird), anstatt sie mit Stift und Papier zu notieren. Zu klären ist: Wo wird dieses Video abgespeichert? Wie kann es später in der eigenen Datenablage wieder gefunden werden?

Bildquelle: Adobe Stock

Beispiel 2 – Text verfassen

Eine Studentin (23) teilt ihr Dokument, via Cloud in den sozialen Medien.

Beispiel 3 – Problem lösen

Ein Lernender (20 Jahre) zieht in eine WG und will in seinem Zimmer eine Lampe montieren. Er hat dies noch nie getan. Höchstwahrscheinlich wird er nun

  • ein Video auf Youtube suchen,
  • via seine Lieblingssuchmaschine recherchieren,
  • seine Eltern oder Bekannten bitten, ihm bei der Montage zu helfen, oder
  • sich im Baumarkt beraten lassen.

Der Lernende leiht kein Buch aus der Bibliothek aus. Dies ist ihm zu umständlich, ein Buch ist möglicherweise veraltet oder bildet andere Kabel ab. Bewährte Methoden des Lehrens und Lernens bleiben (andere um Rat fragen). Aber die möglichen Lernwege haben sich erweitert.

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Bildquelle: Dominic Hassler

Digitalisierung und Digitalität beeinflussen das Lehren auf drei Dimensionen

Die Kultur von Bildung und Lernen verändert sich (Dimension A)

Träges Faktenwissen nimmt an Bedeutung ab, die Relevanz von anderen Kompetenzen nimmt zu; seien dies 21st Century Skills wie 4K (Kreativität, Kritisches Denken, Kommunikation und Kooperation) oder der Umgang mit Unsicherheit, agil und flexibel auf neue Situationen zu reagieren.

Wir finden 4K auch in der Ausbildung von Berufsfachschullehrpersonen der PHZH, die im Studienmodell 4K stattfindet oder an der aktuellen Reform der kaufmännischen Grundbildung

Bildquelle: WEF

Die fachlichen und überfachlichen Kompetenzen verändern sich (Dimension B)

Auf fachlicher Ebene müssen etwa Zeichner lernen, mit einem CAD Programm umzugehen, Mediamatikerinnen lernen InDesign und Photoshop und Kaufleute vertiefen sich in Büroapplikationen wie Excel, Word und Outlook.

Auf überfachlicher Ebene sind die zentralen Kompetenzen beispielsweise – abhängig von Kontext und Branche – Inhalte zu präsentieren, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, sich empathisch in Mitmenschen einzufühlen.

Es werden neue (digitale) Werkzeuge eingesetzt (Dimension C)

Werkzeuge sind oftmals neue Technologien, Tools oder Formate (Bring Your Own Device Geräte (Laptops), ePortfolios, Cloud, QR Codes, kleine Tools wie Padlet und grosse Tools wie Moodle). Nicht definieren lässt sich, was als «neu» gelten soll, und was schon zum alten Eisen gehört. Beisplelsweise Video ist kein neues Medium. Aber mit Sicherheit lassen sich 2021 mit der aktuellen Video-Technik manche Inhalte und Kompetenzen effektiver vermitteln als vor 30 Jahren.

Die neue Lernkultur erfahren Lehrpersonen wiederkehrend etwa alle 10 Jahre, wenn z.B. eine neue Bildungsreform das Prüfungswesen ändert. Fachliche- und überfachlichen Kompetenzen betreffen Lehrende bei der Planung des nächsten Semesters. Konkret lassen sich überfachlichen Kompetenzen stärker fokussieren, indem eine schriftliche Prüfung durch einen projektartigen Auftrag ersetzt oder ergänzt wird. In diesem Projektauftrag wird (evtl. kooperativ) ein Lernprodukt erstellt, das die erlernten fachlichen Kompetenzen sichtbar macht. Das (digitale) Werkzeug wählen Lehrende erst bei der Planung der nächsten Lektion zusammen mit der Methode. Hierbei gilt es zu klären: Eröffne ich Lernenden einen Inhalt als PDF, Video, Papier oder OneNote-Notiz? Nutze ich ein Classroom-Response-System wie Menti-Meter oder Kahoot? Sammle ich Resultate einer Gruppenaktivität auf einer physischen oder einer digitalen Pinnwand? Wie machen Lernende Notizen?

Orientierung – ein Katalog

  • Guter Unterricht ist oft technisch unspektakulär (d.h. es ist irrelevant ob digital oder analog gearbeitet oder gelernt wird).
  • Technische Probleme sind zwar mühsam, gleichzeitig sind sie authentische, praxisnahe Lerngelegenheiten.
  • Ein Mehrwert ergibt sich aus den didaktischen Überlegungen hinter dem Lernsetting und nicht aus einem Tool oder einer Methode. (vgl. Kerres 2018a oder Kerres 2018b).
  • Durch Digitalität lassen sich gewisse Aufgaben effizienter erledigen: Feedback von Lernenden digital einholen (automatische Auswertung spart 60’)
  • Unterricht vom Ende her planen ist effektiv.
  • Lehrende müssen nicht sämtliche Möglichkeiten des Digitalen nutzen.
  • Die blinden Flecken Lernender sehen Lehrende «besser» als adaptive Lernsysteme ohne persönliches Lehrerfeedback.

Bestehende Lehr- und Lernformen werden nicht überflüssig, sie werden durch Digitalisierung und Digitalität neu vernetzt (vgl. Krommer). Obschon Lernen nicht ganz Lernen bleibt, bleibt die Aufgabe von Lehrenden dieselbe: das Gestalten des Unterrichts und der Lernerlebnisse.

INFOBOX

Der CAS Unterricht gestalten mit digitalen Medien richtet sich an Lehrpersonen der Sekundarstufe II. Sie haben Erfahrungen mit digitalen Lehr- und Lernformen gesammelt und gestalten den digitalen Wandel in Ihrem Unterricht und an ihrer Institution mit? Dann sind Sie hier richtig.

Der CAS fokussiert Lernen, Lehren und Arbeiten in einer von digitaler Technik geprägten Gesellschaft. Als Teilnehmende gestalten und diskutieren Sie didaktisch erfolgreiche, digital gestützte, aber auch analoge Unterrichtssequenzen.

Zum Autorenteam

Monique Honegger ist Senior Teacher und ZFH-Professorin an der PH Zürich. Beratend, forschend, weiterbildend und bildend.

Dominic Hassler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der PH Zürich und leitet den Themenbereich «Digitales Lernen» im Zentrum Berufs- und Erwachsenenbildung.

Weiter bilden!

Autor:innen: Dagmar Bach, Gabriel Flepp, Kay Hefti, Monique Honegger, Barla Projer, Alex Rickert, Yvonne Sutter, Tobias Zimmermann

Zur Verabschiedung von Geri Thomann, dem langjährigen Leiter der Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich, haben Mitarbeitende eine Reihe von Texten verfasst. Diese  – seinem innovationsfreudigen Wesen und Wirken entsprechend teils experimentellen – Texte sind online erhältlich und werden unten näher vorgestellt. 

Ende Juni 2022 geht Geri Thomann in Pension. Er hat die Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung  an der PH Zürich seit 2009 massgeblich aufgebaut, das Schreibzentrum in die Abteilung integriert und weiterentwickelt, die Integration der Weiterbildung für Berufsfachschulen eng begleitet und den Ausbau im Bereich der Höheren Berufsbildung angestossen – so auch diesen Blog, zu dem er selbst regelmässig als Autor beigetragen hat.

Herzlichen Dank! 

Die Mitarbeitenden der Abteilung danken Geri Thomann ganz herzlich für seinen grossen Einsatz, seine profunden Fachkenntnisse und seine menschlichen Qualitäten – es war toll, mit ihm zu arbeiten! Für den bevorstehenden Unruhestand wünschen wir Geri nur das Allerbeste und viele genussvolle Momente.

Festpublikation «Fliegen – balancieren – segeln – tuckern: Ein Dank an Geri Thomann»

Im Zentrum der online erhältlichen Festpublikation stehen Fragen und Themen, die Geri Thomann wichtig sind:

Dagmar Engfer visualisiert Blended Coaching meteorologisch gerahmt, 
«Strategie oder Mimikry?» fragt Barbara Getto bezüglich mediendidaktischer Innovation in der Hochschulentwicklung, 
Franziska Zellweger und Erik Haberzeth denken Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung aneinander,  Wolkenmetaphern in Bezug auf Dozierende beleuchtet Simone Heller-Andrist, dass «sie sich doch dreht» beschreibt Monique Honegger, das Schreibzentrum PH Zürich präsentiert unter der Redaktion von Alex Rickert einen bunten Hund als Textstrauss, Kathrin Rutz ergründet Lern- und Tunnelerfahrungen (Liminalität) in der Beratung, inwiefern Farbe bekennen trotz «Changing the perspektive» für Führungspersonen nötig ist, diskutiert Willie Weidinger und Tobias Zimmermann präsentiert einen Ausschnitt aus dem Jahresbericht 2040 als «research-based fiction».

Screenshot der Webseite www.2022-gerithomann.com

«Student Engagement» als Perspektive für die Studiengangsentwicklung

Februar 2020, eine leere Agenda, ein lausiger Winter am Bielersee. Zu Beginn meines halbjährigen Weiterbildungssemesters, das ich an einer kleinen Westschweizer Pädagogischen Hochschule verbringen wollte, habe ich mich in die Literatur zur Gestaltung der Studieneingangsphase von Bachelorstudiengängen vergraben. Wie könnte diese ausgestaltet werden, um der wachsenden Diversität der Studierenden zu begegnen? Dabei stiess ich auf das im deutschsprachigen Raum noch wenig diskutierte Konzept des Student Engagements.

Student Engagement – Ursprünge der Diskussion

Die Prämisse, dass das Engagement der Studierenden ein wesentlicher Prädiktor für Studienerfolg darstellt, ist Grundlage für einen umfangreichen Diskurs im US-amerikanischen Raum vor dem Hintergrund hoher Drop-out-Quoten. Student Engagement als Konzept hat nicht nur in der Forschung, sondern auch im Qualitätsmanagement hohe Aufmerksamkeit erzeugt durch die von George Kuh und seinen Mitarbeitenden ins Leben gerufene National Survey of Student Engagement. Student Engagement wird dabei definiert als «the energy and effort that students employ within their learning community, observable via any number of behavioral, cognitive or affective indicators across a continuum» (Bond et al., 2020, S. 317). Es wird als Rahmenkonstrukt verstanden für eine Reihe von Ideen, die auf Forschung über Lernerfahrungen und deren Einfluss auf das studentische Lernen beruhen.  Ausgehend davon setzte unter dem Stichwort High Impact Practices auch eine hochschuldidaktische Diskussion ein, die Praktiken ins Zentrum stellte, die empirisch nachweisbar einen hohen Einfluss aufs Lernen haben. Dazu gehören beispielsweise Seminare im ersten Studienjahr, die eine kleine Gruppe von Studierenden in einen regelmässigen Kontakt mit einer/einem Dozierenden bringen: «The highest-quality first-year experiences place a strong emphasis on critical inquiry, frequent writing, information literacy, collaborative learning, and other skills that develop students’ intellectual and practical competencies» (Kuh, 2008, S. 34ff.).

Eine sozio-kulturelle Perspektive

Ein persönliches Schlüsselerlebnis war noch im Februar 2020 die Lektüre von Ella Kahus Rahmenmodell (vgl. Abbildung 1). Ein halbes Jahr später konnte ich sie gewinnen für den Auftakt einer Webinartriologie.

Diese Arbeiten rund um die standardisierte Messung von Student Engagement wurden von Ella Kahu aus einer sozio-kulturellen Perspektive kritisiert, da diese stark das effektive Tun der Studierenden ins Zentrum stellen, das emotionale Erleben aber wenig Beachtung erfährt. Wie sie in ihrem Webinar ausführte, nimmt sie in ihrer Arbeit mit nicht-traditionellen Studierenden in Neuseeland einen sozio-kulturellen Blick ein und entwickelt das in Abbildung 1 dargestellte Rahmenmodell. Sie versteht studentisches Engagement als eine gemeinsame Verantwortung der Lernenden und der Institution. Als wichtige moderierende Konstrukte, die das Engagement der Studierenden beeinflussen, diskutiert sie die Selbstwirksamkeit, das emotionale Erleben, das Gefühl von Zugehörigkeit sowie das Wohlbefinden der Studierenden.

Abbildung 1. Rahmenmodell nach Kahu & Nelson, 2018, vgl. Video Ella Kahu ab Minute 15:00

Mein Weiterbildungssemester, aber auch meine Forschungsfragen nahmen nach vier Wochen mit dem Lockdown im März 2020 eine überraschende Wendung. Wäre es nicht wichtig zu untersuchen, wie es um das studentische Engagement auf Distanz steht?

Die Rolle von Educational Technology

Wer sich mit der Rolle von Educational Technology und studentischem Engagement auseinandersetzt, stösst früher oder später auf die systematischen Literatur Reviews von Melissa Bond. Besonders spannend ist die laufend weiterentwickelte Sammlung von Arbeiten zur Pandemie.

In einem weiteren Webinar zeigte Melissa eindrücklich auf, wie sich in der Literatur die Bedeutung gewisser Engagement Indikatoren in Flipped Learning (vgl. Abbildung 2 linke Spalte) im Vergleich zu Untersuchungen zur Pandemie (rechte Spalte) darstellt, auch wenn natürlich ein direkter Vergleich nur unter Vorbehalten möglich ist.

Abbildung 2. Top Engagement und Disengagement Indikatoren im Vergleich zweier Studien (vgl. Video Melissa Bond ab Minute 51:00)

In der Betrachtung der Engagementfaktoren fällt in der Flipped Learning Studie die hohe Bedeutung der Interaktion im Vergleich zur Pandemie auf. Im Bereich der Disengagement Faktoren ist denn auch die soziale Isolation als grosse Herausforderung während der Pandemie bemerkenswert. Darüber hinaus variiert die Häufigkeit, in welcher über Disengagement in der Literatur berichtet wird, kaum. Frustration und Verwirrung sind dabei zentrale Faktoren, die ein Engagement erschweren.

Die Ergebnisse aus unserer eigenen Forschung in der Schweizer Lehrerinnen- und Lehrerbildung im Frühlingssemester 2020, aber insbesondere auch in der Untersuchung der Erstsemesterstudierenden im Winter 20/21 zeigen in eine ähnliche Richtung. Die zugewandte und verlässliche Kommunikation der Dozierenden, der aktivierende Charakter der Lernumgebung sowie Feedback und Assessment stehen in einem deutlichen Zusammenhang mit dem Engagement. Besonders relevant scheint vor allem aber ein vertieftes Verständnis der emotionalen Dimension. Die Selbstwirksamkeit, lernbezogene Emotionen, Belastung und das Zugehörigkeitsgefühl sind Ansatzpunkte zum Verständnis des sehr heterogenen Erlebens in dieser aussergewöhnlichen Studienzeit.

Perspektiven für die Studiengangsentwicklung – Ein Zwischenfazit

In der Bewältigung der Pandemie ist vor allem die Frage im Fokus, welcher Umfang und welche Qualität Präsenzlehre künftig einnehmen soll und inwiefern Phasen des Wissenserwerbs virtualisiert werden könnten. Verhandelt wird eher die äussere Form denn die Frage, welcher Rahmen die sehr unterschiedlichen Studierenden in ihrem Engagement unterstützt. Aus meiner Sicht sollten vielmehr folgende Fragen ins Zentrum gerückt werden:

  • Wie steht es um das aktive Lernen im Sinne eines kognitiven Engagements? Was brauchen Studierende, um sich vertiefter auf Lernprozesse einzulassen? Welche Lernstrategien? Wieviel Freiraum und wie viel Struktur? Welche Form des sozialen Austauschs? Wie sind aktivierende Aufgaben zu gestalten?
  • Welche Lernkultur unterstützt das emotionale Engagement und die soziale Integration? Inwiefern müsste die Rolle der Peers stärker in den Fokus gerückt werden?

Solche Fragen können nicht ein für alle Mal unabhängig des Kontexts eines spezifischen Studiengangs geklärt werden. Anknüpfend an Kahu stehen Studierende und die Institution in einer gemeinsamen Verantwortung. Die Diskussion um studentisches Engagement ist denn auch eng verbunden mit jener der studentischen Partizipation. Im dritten Webinar plädiert Peter Felten für einen ressourcenorientierten Blick auf die Studierenden (Make higher education ready for students not students for higher education) und einen «partnerschaftlichen» Rahmen, in welchem sich Studierende engagieren können. High Impact Practices sind nicht nur wirksam, weil sie kognitiv anregend sind, sondern weil sie Studierende emotional anders in die Hochschule integrieren.

Während ich an diesem Text arbeite, herrscht draussen graues Oktoberwetter (2021). Die Studierenden sind mehrheitlich zurück am Campus. Ist somit alles wieder beim Alten? In der Auseinandersetzung mit dem Konzept des Student Engagements ist für mich deutlich geworden, dass wir aus institutioneller Perspektive noch viel bewusster an einem Rahmen arbeiten sollten, der das Engagement vielfältiger Studierender unterstützt. Vor Ort oder virtuell ist dabei eine nachgelagerte Frage. Engagieren wir uns doch gemeinsam für ein vertieftes Verständnis über Bedingungen, Wirkungen und Ansatzpunkte zur Stärkung studentischen Engagements. Wo setzen Sie an?

WEITERFÜHRENDE LITERATUR

Bond, M., & Bedenlier, S. (2019). Facilitating Student Engagement through Educational Technology: Towards a Conceptual Framework. Journal of Interactive Media in Education, 2019(1), 1-14.

Kahu, E. R., & Nelson, K. (2018). Student engagement in the educational interface: understanding the mechanisms of student success. Higher Education Research & Development, 37(1), 58-71.

Bovill, C., Cook-Sather, A., Felten, P., Millard, L., & Moore-Cherry, N. (2016). Addressing potential challenges in co-creating learning and teaching: overcoming resistance, navigating institutional norms and ensuring inclusivity in student–staff partnerships. Higher Education, 71(2), 195-208.

Zur Autorin

Franziska Zellweger ist Professorin für Hochschuldidaktik am Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich

Führen von Expertinnen und Experten – eine komplexe Aufgabe

Beitrag von Geri Thomann

Führungsaufgaben in Expertinnen- und Expertenorganisationen gelten allgemein als anspruchsvolle Tätigkeit. Mintzberg (1979) bezeichnet die Bedingungen und Funktionsweisen von Expertinnen- und Expertenorganisationen in ihrer schöpferischen Aufgabe als «Profi-Bürokratie». In Abgrenzung zur «Maschinen-Bürokratie» ist die «Profi-Bürokratie» gekennzeichnet durch die grosse Anzahl an Mitarbeitenden, die fachlich hoch qualifiziert sind und eine erhebliche Kontrolle über die eigene Arbeit haben.

In der Summe werden dabei jedoch häufig ambivalente und teilweise paradoxe organisationale Bedingungen für Expertenorganisationen sichtbar (Thomann & Zellweger, 2016, S. 49).

  • Expertinnen- und Expertenorganisationen zeichnen sich durch Mitarbeitende aus, die hoch qualifizierte Spezialistinnen und Spezialisten sind und in ihrem Fachbereich möglichst autonom arbeiten wollen und können. Sie verfügen folglich über eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit und ein nicht zu unterschätzendes Beharrungsvermögen. Nur mit überzeugenden Argumenten lassen sie sich in eine bestimmte Richtung bewegen. Widerstand gegen Entscheidungen von aussen ist Programm, flache Hierarchien und Konzepte des Intrapreneurships führen zu Konkurrenz, zu Machtkämpfen und zu Deregulierung – und dadurch wieder zu übergeordnetem Regulierungsbedarf.
  • Expertinnen- und Expertenorganisationen kennzeichnet, dass Expertinnen und Experten sich eher ihrer jeweiligen Berufsgruppe gegenüber verpflichtet sehen als der organisatorischen Einheit, oder der Gesamtorganisation zu der sie gehören. Karriere und Laufbahnen werden mehrheitlich in der Logik der Profession und damit weniger abhängig von der Organisation definiert. Dies schafft eine Ambivalenz zwischen inhaltlicher Profilierung in der Fachcommunity und dem organisationalen Commitment. Eine Paradoxie besteht darin, dass gerade die Reputation der einzelnen Expert:innen zentral ist für die Reputation der Gesamtorganisation (Laske et al. 2006, S. 207).
  • Inhaltliche Fachexpertise verfügt zudem traditionsgemäss über einen höheren Status als Führungs- (oder Management-)Expertise, sie repräsentiert sozusagen das «Kapital der Organisation». Führungsentscheidungen werden bei Expert:innen deshalb ambivalent bis skeptisch wahrgenommen; es ist zudem eine grundsätzliche Hierarchieaversion zu konstatieren.
  • Partizipation an Entscheidungen gehört zur organisationalen Kultur in Expertinnen- und Expertenorganisationen – gleichzeitig ist nicht selten latent eine subtile fachliche Konkurrenz allgegenwärtig.
  • In Expertinnen- und Expertenorganisationen stehen inhaltlich orientierte Aufgaben in Spannung zu Verwaltung und Management. Beide Kulturen benötigen unterschiedliche (Führungs-)Konzepte. Eine solche Spannung ist nicht einfach auflösbar, kann aber durchaus produktiv genutzt werden.
  • Zudem lassen die Anforderungen an eine zunehmende Spezialisierung auf Seiten der Expert:innen oft Organisationsstrukturen entstehen, welche nach fachlichen Profilen aufgebaut sind. Dies führt wiederum zu einem wachsenden Integrationsbedarf auf der Ebene Gesamtorganisation. Die notwendige Verknüpfung von hoch autonomen Einheiten ist anspruchsvoll.
  • Einerseits sollen sich gerade staatliche Expertinnen- und Expertenorganisationen zunehmend kostenbewusst oder sogar unternehmerisch verhalten. Andererseits kann das Spannungsfeld zwischen den Steuerungsebenen (staatliche Geldgeber, strategische Führung und operative Führung) eine Paradoxie erzeugen: Die Forderung nach unternehmerischem Handeln wird andauernd durch bürokratische Vorgaben unterlaufen.

Führungshandeln als «Covert Leadership»

Für die Leitung von Expertinnen- und Expertenorganisationen benötigen Führungspersonen nach Mintzberg (1998, S. 140-147) spezifische Fähigkeiten, welche unter dem Begriff «Covert Leadership» zusammenfasst werden. Mit Covert Leadership ist ein Verständnis von Führung gemeint, welches im konkreten Prozess der Zusammenarbeit auf der Basis von Vertrauen, Beziehungsorientierung und Respekt «aus dem Hintergrund» Einfluss nimmt.

In den letzten Jahren zeigt sich in Expertinnen- und Expertenorganisationen – gerade an Hochschulen – ein neues Führungsverständnis, welches auf dem Covert Leadership Gedanken aufbaut. Als Beispiel sei hier die laterale Führung genannt (Thomann & Zellweger 2016 oder Zellweger & Thomann 2018). Dieses Modell beruht auf flacheren und flexibleren Strukturen und der Zunahme von «Hybrid Professionals» (Kels & Kaudela-Baum 2019, S. 21), welche ihre Expertise «quer», transdisziplinär und projektbezogen aufbauen. Mit anderen Worten: Lateral Führende verfügen über keine formalen Weisungsbefugnisse, über keine disziplinarischen oder andere direkten Sanktionsmöglichkeiten. Die Geführten sind nicht zwingend aus derselben Organisationseinheit und bewegen sich oft auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen.

Führung und Expertise – ein Spannungsfeld

Das Spannungsfeld zwischen Führung und Expertise kann nicht aufgelöst werden, es kann lediglich ein für die Institution und seine Ziele förderlicher Umgang gefunden werden. Für die Führungspersonen – aber auch für die Expert:innen – können sich dabei unter anderem folgende Fragen stellen:

  • Inwiefern müssen Führungskräfte zu ihrer Legitimation über einen so genannten Berufsfeldbezug verfügen? Wie führt man Expert:innen ohne eigene Expertise im selben Fachbereich?
  • Wie wird Führungsexpertise im Vergleich zu inhaltlicher Expertise oder fachlicher Erfahrung gewichtet und bewertet, wie ist der Status von Führung in Expertenorganisationen? Wieviel inhaltliche Erfahrung oder aktuelles Fachwissen brauchen Führungskräfte, um führen zu können?
  • Inwieweit können Führungskompetenzen Fachkompetenzen ersetzt oder kompensiert werden? Wie steht es mit der Führungskompetenz als Expertise?
  • Inwieweit stimmt die Hypothese der (latenten) Konkurrenz zwischen Führungspersonen und Expert:innen? Was bedeutet das für das Führungshandeln?
  • Wie ist die Sicht der Geführten «im Sandwich» zwischen Fachexpertise und Management? Handelt es sich dabei eher um ein Spanungsfeld?
  • Wie lässt sich autonomes Handeln von Expert:innen steuern? Wie reagieren Expert:innen darauf?
  • Wie reagieren Expertinnen- und Expertenorganisationen und ihre Führungskräfte auf Krisen, wie bewältigen sie diese?
Die drei Gastgebenden des diesjährigen Kaminfeuergesprächs «Führungskräfte als Schlüsselpersonen für organisationale Resilienz» auf Schloss Au: Geri Thomann, Wiltrud Weidinger und Sylvia Kaap-Fröhlich.

Mit solchen Fragen beschäftigen sich Expert:innen aus Bildung und Gesundheit seit 2017 an den so genannten Kaminfeuergesprächen für Führungskräfte auf Schloss Au – veranstaltet von der PH Zürich in Zusammenarbeit mit dem Careum Bildungsmanagement.

INFOBOX

Die fünfte Durchführung des Kaminfeuergesprächs der PH Zürich mit dem Titel «Führungskräfte als Schlüsselpersonen für organisationale Resilienz» findet am 9. Dezember 2021 von 15.30-20.30 Uhr auf Schloss Au in Wädenswil statt.

Integriert findet dabei die Vernissage des Band 11 der Buchreihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung, «Zwischen Expertise und Führung», statt.

Zum Autor

Geri Thomann ist Leiter der Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich. Als Inhaber einer ZFH-Professur forscht und publiziert er regelmässig über Aspekte der Hochschulentwicklung und Führungsfragen.

Grenzen von Lernräumen verflüssigen

Beitrag von Cornelia Dinsleder und Ulrich Kirchgässner

Lernen findet lebenslang statt und in Räumen: Warum wurde das Lebenslange Lernen erst beginnend in den 1970er Jahren zu einer «Entdeckung», die das Aus- und Weiterbildungssystem massgeblich verändert hat? Und weshalb wurde der Raum beim Lernen so lange Zeit kaum beachtet? Dieser Beitrag beschreibt die Dimensionen Zeit und Raum von Lernen sowie zugehörige Verflüssigungs- und Entgrenzungsprozesse.

Lernen in Sardinenbüchsen?

Welche Lernumgebungen sind in der Hochschullehre anzutreffen? Teilweise wird hier eine gewisse Einfallslosigkeit deutlich, die sich unter anderem in der gleichförmigen Ausgestaltung von Lehrräumen zeigt. Teils kann dies durch prestigeträchtige architektonische Würfe verschleiert werden. Lernen wird immer noch in Input-Output-Relationen gedacht, was exemplarisch an Hörsälen aufgezeigt werden kann, die nach wie vor Lernen in Sardinenbüchsen verfrachten. Aber auch Seminarräume sind selten abwechslungsreich eingerichtet – mögliche Veränderungen eines eingerichteten Raumes werden eher verhindert. Das kann dazu führen, dass Tische aneinandergeschraubt sind und damit unverrückbare Gegebenheiten bilden (so erlebt an einer Hochschule).

Warum gibt es kein «Aufbegehren», keine Bewegung, die die Widersprüchlichkeit der von starrer räumlicher Strukturierung und einem durch Individualisierung geprägten Lernverständnis thematisiert und anfängt das Zusammenspiel von Lernen und Raum hochschuldidaktisch zu gestalten? Warum schweigen Pädagogen, Pädagoginnen und Didaktiker:innen? Diese «lähmende Stille» wollen wir aufbrechen, indem wir anfangen, «besondere Räume» an Hochschulen aufzusuchen, die eine eigene Kultur ausstrahlen oder zum Programm gemacht haben. Wir wollen die «Zementierung» pädagogischer Verhältnisse in einschränkenden räumlichen Bedingungen aufbrechen. Es gilt, diese Bastion von in «Stein gemauerten Gewissheiten» abzutragen und nicht nur die Schule der Zukunft, sondern auch die Hochschule der Zukunft auf bewegliche, unterschiedliche und vielfältige Lernprozesse hinzugestalten.

Individualisierung von Lebensläufen

Der Begriff Lebenslanges Lernen hat die Qualität eines Hendiadyoins: Lernen vollzieht sich lebenslang und das ganze Leben ist ein Lernprozess. Dieses Lernverständnis ist aber noch relativ jung und es hat sich insbesondere seit den 1970er Jahren entwickelt. Davor war der Lebenslauf als ein Hintereinander von Schul-, Arbeits- und der Ruhestandsphase strukturiert. Mit Beginn der Berufstätigkeit hatte man/frau ausgelernt. Während Kindern mehr oder weniger Neugier und Lernbereitschaft zugesprochen wurde, schienen Erwachsene über einen Wissens- und Erfahrungsvorrat zu verfügen, mit dem sie für das berufliche Handeln oder auch die Kindererziehung ausreichend ausgestattet waren.

Dieses Biografieverständnis hat sich verändert. Der Soziologe Ulrich Beck beschreibt in den 1980er Jahren die Individualisierung von Lebensläufen und eine Pluralisierung der Lebenswelten als zentrale Kennzeichen von Biografien (Beck, 1986). Lebensverläufe sind demnach weniger einheitlich und kaum vorhersagbar. Parallel dazu hat sich das Verständnis von Lernen verändert: Es ist nicht mehr auf Kindheit und Jugend beschränkt, sondern findet lebenslang statt – ob bewusst und geplant, ob nebenbei oder auch nicht beabsichtigt – und manchmal auch «nicht ganz freiwillig».

Erweiterungs- und «Verflüssigungsprozess» des Lernverständnisses

Natürlich fand lebenslanges Lernen auch schon vor 100 Jahren statt, jedoch war es weder im Blick der Pädagogik noch lag es im Auftrag von Institutionen, Lernen über die Kindheit hinaus durch entsprechende Angebote zu begleiten: Heute stehen vielfältige zertifizierte Angebote bereit, die den Wert der Arbeitnehmer:innen (human ressources) bzw. ihre «employability» steigern. Lernen wird von der ökonomisch gesteuerten «Gesellschaftsmitte» in «Besitz genommen», Weiterlernen gilt als ein zentraler Auftrag an jede Person – ob jung oder alt. Wer nicht mehr lernen möchte, muss sich auf Vorwürfe oder Wettbewerbsnachteile am Arbeitsmarkt gefasst machen. Dies ist eine problematische Seite der an sich erfreulichen Entwicklung, das ganze Leben als Lernprozess zu verstehen. Eine weitere problematische Seite ist die zunehmende Anforderung einer dauernden Verfügbarkeit: morgens, mittags, abends, nachts, Montag bis Sonntag und jederzeit. Dieser Anspruch wurde durch die technischen Entwicklungen der Digitalisierung verstärkt und die Corona-Pandemie wirkt in diesem Prozess wie ein zusätzlicher Verstärker.

Der Erweiterungs- und «Verflüssigungsprozess» (in Anlehnung an Kurt Lewin) des Lernverständnisses wurde massgeblich durch den Diskurs um das lebenslange Lernen ausgelöst. Eine nur auf die zeitliche Dimension ausgerichtete Perspektive auf lebenslanges Lernen greift jedoch zu kurz: Er bezieht sich auch auf die Dimensionen Raum und Inhalt. Die vielfältigen Erweiterungen der inhaltlichen Lerndimensionen können an dieser Stelle nicht dargestellt werden. Verkürzt lässt sich jedoch sagen, dass eine Ausrichtung des Lernens auf Kompetenzen stattgefunden hat– nicht zuletzt aufgrund eines überbordenden Informations- und Wissensangebotes. In diesem Zusammenhang werden die Selbstorganisation, Selbststeuerung und Reflexion, aber auch Selektionsprozesse bezogen auf das eigene Lernen als zentral verstanden.

Formelle und informelle Lernräume

Die dritte Dimension neben Zeit und Inhalt bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen Lernen und Raum. Die Ausdrucksweise «Der Raum als dritter Pädagoge» aus der Reggio-Pädagogik wird aktuell gerne als Begründung herangezogen, um auf die Bedeutung des Raumes als Rahmung für Lernprozesse insbesondere in der Schule hinzuweisen. Auch in der Erwachsenenbildung, beispielsweise in Bildungshäusern, werden besondere Räume genutzt, um Lernprozesse anzustossen und zu unterstützen. Exemplarisch zeigen wir ein Bild, welches eine Fortbildungsgruppe zum Thema Lernraumentwicklung auf dem Gelände des Klosters Chiemsee im Freien zeigt. Lernen ist nicht an dafür intendierte Räume gebunden: Die Einbettung des Lernens im Grünen kann als unterstützender Faktor gesehen werden. Neben formellen Räumen werden auch zunehmend informelle Räume genutzt.

Bild: Eric Sidoroff

Am 11. Mai 2021 stellen wir im Rahmen eines kostenlosen Webinars der PHZH Räume als bewusst gestaltete Lernumgebung an verschiedenen Hochschulen vor.

INFOBOX

Welche Rolle spielen Räume beim Lehren und Lernen – für Dozierende, für Studierende?

In der dreiteiligen Veranstaltungsreihe «Raum fürs Lernen» wird «Raum» für Reflexion, Verständigung und den Austausch mit den Teilnehmenden und verschiedenen Gästen geschaffen.

Wie Räume an Hochschulen als bewusst gestaltete Lernumgebungen aussehen könnten, ist Thema der Veranstaltung am 11. Mai 2021.

Der Abschluss der Serie erfolgt durch die dritte Veranstaltung mit dem Fokus «Wie sehen die Räume fürs Lernen in Zukunft aus?» am 15. Juni 2021.
Alle Informationen und Anmeldungen finden Sie hier.

Zum Autorenteam

Cornelia Dinsleder leitet das Projekt «Learning Environment Applications» (LEA) an der Schnittstelle zwischen Lernen und Raum am Institut für Professions- und Unterrichtsforschung an der PH Luzern.
Sie promovierte an der Universität Basel zur Kooperation unter Lehrerinnen und Lehrern und arbeitete an der PH FHNW in Projekten zur Lern- und Schulraumentwicklung (z.B. PULS).

Ulrich Kirchgässner ist Dozent für Erziehungswissenschaft an der Professur für Unterrichtsentwicklung und Unterrichtsforschung, Institut Primarstufe, Pädagogische Hochschule FHNW. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Lern- und Schulraumentwicklung, Hochschuldidaktik und Gruppenpädagogik.

Tragen Lehrpreise zur Hochschulentwicklung bei?

Beitrag von Franziska Zellweger, Mònica Feixas, Gabriel Flepp, Simone Heller-Andrist

In den vergangenen Jahren haben viele Universitäten und Hochschulen weltweit Auszeichnungen für hervorragende Leistungen in der Hochschullehre eingeführt (Gibbs 2008; Turner & Gosling 2012), um exzellente Dozentinnen und Dozenten anzuerkennen und zu würdigen, den Wert der Lehre als akademische Tätigkeit zu fördern und wertvolle Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen – so auch die Pädagogische Hochschule Zürich.

Lehrpreise
Die akademische Tätigkeit wird an vielen Hochschulen mit Preisen gewürdigt.

Häufig werden Einzelpersonen oder Teams beispielsweise mit Barzahlungen, Plaketten oder einer Reduktion des Lehrdeputats belohnt. Die von Studierenden nominierten Dozierenden werden von einem Komitee anhand bestimmter Kriterien für herausragende Leistungen beurteilt (Beispiel: Kriterien der Hochschule Darmstadt). In Deutschland gibt es derzeit mehr als 100 Lehrpreise. Darunter ist der Ars-Legendi-Preis für herausragende Leistungen in der Hochschullehre besonders renommiert.

Was können Lehrpreise bewirken?

Es gibt nur wenige empirische Studien zur Wirkung von Lehrpreisen (Gibbs 2008). In einer Online-Befragung, an der sich hauptsächlich Partner des europäischen Projekts European Forum for Enhanced Collaboration in Teaching (EFFECT) beteiligten, gaben die Teilnehmenden (n=78) Auskunft über die Ziele und wahrgenommenen Wirkungen von Lehrpreisen (Efimenko et al. 2018):

Wichtigste Ziele von LehrpreisenNachgelagerte Ziele von Lehrpreisen
Motivation des akademischen Personals für eine qualitativ hochwertige LehreVerbesserung der Zufriedenheit von Studierenden
Förderung von Innovationen in Lehr- und LernaktivitätenDifferenzierung der akademischen Profile
Verbesserung der institutionellen Anerkennung und des Bewusstseins für die Verbesserung von Lehr- und LernprozessenFörderung kompetitiven Haltung unter den Akademikern bezüglich der Lehre
Förderung der Anerkennung der Bedeutung von Lehre im Verhältnis zu ForschungsaktivitätenEinstellung über Peer-Reviews und Anregung der Zusammenarbeit in pädagogischen Fragen
 Entwicklung neuer Programme und Kurse
Die Motivation des akademischen Personals gilt als eines der wichtigsten Ziele von Lehrpreisen.

Es scheint jedoch eine erhebliche Kluft zwischen der Bedeutung dieser Ziele und der tatsächlichen Wirkung der Lehrpreise zu geben (Efimenkto et al. 2018, 103). Besonders weit auseinander klaffen Ziel und Wirkung bezüglich der beiden Aspekte, Dozierende für qualitativ hochwertige Lehre zu motivieren sowie sie zu Innovation in der Lehre zu ermutigen. Das lässt aufhorchen.

Im Rahmen der Tagung Lehrpreise an Hochschulen an der Universität Zürich sprachen sich Expertinnen und Experten für zukunftsgerichtete Verfahren aus. Diese sollten – anstatt retrospektiv ausgerichteter Preise für die Leistung einzelner – die institutionelle Entwicklung anstossen. Diese Ansätze tragen dem breiten Konsens im hochschulpolitischen Diskurs Rechnung, dass die Qualität der Lehre durch das Zusammenspiel aller an einem bestimmten Lehrangebot beteiligten Personen gefördert werden soll. Entsprechend sollten solche Preise nicht nur auf etwas Neues, erstmals Erdachtes, fokussieren, sondern auch auf nachhaltige, kontextgerechte Ansätze.

Ambivalente Erfahrungen mit «traditionellen» Lehrpreisen

Die Pädagogische Hochschule Zürich hat in der Vergangenheit ambivalente Erfahrungen mit der traditionellen Umsetzung von Lehrpreisen gemacht. Obwohl die Preisträgerinnen und Preisträger von der Anerkennung und Sichtbarkeit des Preises profitierten und die Umsetzung des Preises zu einer breiten Diskussion über die Qualität der Lehre beigetragen hat, gab es auch Schwierigkeiten. Das Label «Best Teaching», die Unteilbarkeit und die uneingeschränkte Verwendung des Preisgeldes führten zu Akzeptanz­problemen.

Der neue «Förderpreis der Lehre» ist deshalb zukunftsgerichtet und fördert vielversprechende Ideen zum Lehren und Lernen. Er unterstützt die Umsetzung von bis zu drei Projekten mit je 10’000 Franken.

Lehrpreis
Der neue Förderpreis der Lehre ist an der PH Zürich 2019 zum ersten Mal verliehen worden.

Schon früh wurde entschieden, dass nicht nur die Dozierenden, sondern auch die Studierenden und das Verwaltungspersonal Projekte vorschlagen können. Daher stand die erstmalige Auszeichnung 2019 unter dem Motto «Zusammenwirken» und förderte gemeinsame Projekte zwischen Forschenden, Lehrenden, Praxispartnern, Studierenden und Verwaltungsmitarbeitenden.

Innovation findet am Rande von Strukturen statt

Das Antragsverfahren für den Förderpreis der Lehre gestaltete sich in der ersten Vergabe zweistufig:

  • In einem ersten Schritt war eine kurze Skizze einer Projektidee notwendig. Ende Juni 2019 wurde die unerwartet hohe Zahl von 39 Projektvorschlägen eingereicht.
  • Danach wurden die Initiantinnen und Initianten der 15 überzeugendsten Projektvorschläge in einem zweiten Schritt eingeladen, eine knappe Projektplanung einzureichen. Im Oktober wählte eine Jury schliesslich drei Gewinnerprojekte.

Bei der Umsetzung dieser Neukonzeption standen folgende Fragen im Vordergrund:

  1. Wie gelingt es den Ideenreichtum sichtbar zu machen?
    Für die Jury war es beeindruckend, die Breite der Ideen und Vorschläge zur Förderung des Lehrens und Lernens zu sehen, aber sie konnte nur drei Projekte auszeichnen. Deshalb wurden die Projektideen der 15 Finalisten-Teams veröffentlicht.
  2. Was sind ideale Rahmenbedingungen für eine freie Projektumsetzung, die gleichzeitig sicherstellen, dass die Projekterfahrungen zu einem institutionellen Lernprozess beitragen?
    Ein neuer Prozess war erforderlich, um die Gewinnerteams bei der Projektumsetzung zu unterstützen. Zwischen dem Rektor, den Verantwortlichen für den Förderpreis und den Gewinnerteams wurde eine Vereinbarung unterzeichnet, in der die Rollen und Verantwortlichkeiten, aber auch der Freiraum (z. B. die Strukturierung des Projekts und die Verwendung der Gelder) explizit benannt sind.

Bei den eingereichten Projekten war auffällig, dass Innovation am Rande der bestehenden Strukturen stattfindet. So wurde z. B. ein neues Modul vorgeschlagen, das aktuell (noch) nicht vorgesehen ist. Die institutionelle Unterstützung der Leitenden war in diesem Punkt, wie auch im gesamten Prozess, besonders bedeutend.

Fazit und offene Fragen

Wir sind überzeugt, dass ein prospektiver Lehrpreis etwas zur Förderung der Lehrentwicklung beiträgt, wenn das Verfahren auf drei Ebenen wirksam ist:

  1. Es trägt zur Sichtbarkeit der individuellen Kompetenzen bei.
  2. Es regt den Wissenstransfer zwischen Einzelpersonen und Teams an: Es geht nicht um den Austausch von Best Practice, die oft kontextgebunden ist, sondern um die Unterstützung der Zusammenarbeit für eine «next practice».
  3. Es fördert das Capacity Building: Um kollaboratives Lernen auf institutioneller Ebene zu kapitalisieren, müssen angemessene Strukturen, Prozesse und eine entsprechende Kultur vorhanden sein.

Folglich werden wir die Auswirkungen mit Fokus auf diesen Ebenen beobachten. Dabei interessieren uns folgende Fragen:

  • Inwieweit regt der Förderpreis sinnvolle Diskurse über die Qualität des Lehrens und Lernens an?
  • Wie nachhaltig sind die geförderten Projekte, Leitideen und Diskursräume?
  • Inwieweit gibt der Förderpreis Impulse zur Verbesserung der Strukturen und Möglichkeiten für innovatives Lehren und Lernen in der Hochschule?

Wir freuen uns über ein konstruktiv-kritisches Mitdenken unserer Leserinnen und Leser!

Autorenteam

Franziska Zellweger ist Professorin für Hochschuldidaktik am ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich und ist seit 2012 in die Ausgestaltung von Lehrpreisverfahren an der PH Zürich involviert. 

 

Mònica Feixas am ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich als Leiterin des CAS Hochschuldidaktik. Sie ist an internationalen Netzwerk- und Forschungsprojekten beteiligt und hat Erfahrungen als Gutachterin für Innovationsfonds und Lehrpreise an verschiedenen Universitäten. 

 

Gabriel Flepp DigitalisierungGabriel Flepp ist als wissenschaftlicher Assistent am ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich an vielen Projekten beteiligt, unter anderem beim Förderpreis der Lehre an der PH Zürich. 

 

Simone Heller

Simone Heller-Andrist arbeitet am ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich als Projektleiterin für Entwicklungs- und Weiterbildungsangebote im Hochschulbereich. Sie leitet den CAS Hochschuldidaktik «Winterstart» und zeichnet verantwortlich für den Förderpreis der Lehre an der PH Zürich.

Digitalisierung in der Erwachsenenbildung – do it yourself?

Beitrag von Gabriel Flepp

Die Digitalisierung ist in der Erwachsenenbildung angekommen. Dafür gibt es verschiedene Gründe, u. a.  steht ein Generationenwechsel der Kundschaft bevor. So haben Kundinnen und Kunden, die mit digitalen Medien aufgewachsen sind, entsprechende Forderungen an den Unterricht. Also stellt sich die Frage, wie sich Erwachsenenbildnerinnen und -bildner auf die Digitalisierung vorbereiten bzw. wie fit sie sich auf diesem Gebiet schon fühlen.

Nicht gut auf Digitalisierung vorbereitet – und doch kompetent?

Ein Grossteil der befragten Erwachsenenbildner fühlt sich in der eigenen Aus- und Weiterbildung nicht gut auf die Digitalisierung vorbereitet (vgl. Grafik 1). Dennoch geben 70 Prozent der Befragten an, die notwendigen Kompetenzen zu besitzen, um digitale Technologien systematisch nutzen zu können (vgl. Grafik 2). Diese ersten Anhaltspunkte gehen aus einer Befragung zur Digitalisierung hervor, die vom SVEB und der PH Zürich durchgeführt wurde.

Grafik Digitalisierung
Grafik 1: Viele Erwachsenenbildner fühlen sich nicht gut auf die Digitalisierung vorbereitet.
Grafik Digitalisierung
Grafik 2: Eine Mehrheit der Erwachsenenbildner fühlt sich kompetent genug, um digitale Technologien systematisch zu nutzen.

Diese Ergebnisse legen die Hypothese nahe, dass sich Erwachsenenbildnerinnen und -bilder ihre medienpädagogischen Kompetenzen informell aneignen. Informelles Lernen heisst Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz oder in der Familie stattfindet. Es ist nicht strukturiert und führt üblicherweise nicht zu einer Zertifizierung.

Wie die Befragten tatsächlich zu ihren medienpädagogischen Kompetenzen gekommen sind, und was sie unter einem systematischen Einsatz von digitalen Technologien verstehen, lässt sich aus den quantitativen Ergebnissen nicht ableiten. Auch kann der systematische Einsatz von Lehrperson zu Lehrperson sehr variieren. Während es für die einen genügt, eine Powerpoint-Präsentation zu zeigen, beginnen andere schon, über Unterricht mit Virtual-Reality-Brillen nachzudenken.

Interviews zur Digitalisierung in der Erwachsenenbildung

Um die Aneignung medienpädagogischer Kompetenzen genauer zu betrachten, führe ich im Rahmen meiner Masterarbeit Interviews mit Inhaber/-innen des eidgenössischen Fachausweises Ausbilder/-in. Bei diesen Interviews geht es in einem ersten Schritt darum, herauszufinden, welche digitalen Technologien die befragten Erwachsenenbildnerinnen und -bildner in ihrem Arbeitsalltag anwenden und zu welchem Zweck sie dies tun. Möglich sind hier Einsatzgebiete wie Unterricht, Evaluationen, Prüfungen, selbstorganisiertes Lernen oder Beratungen.      

In einem zweiten Schritt werden die Ausbildnerinnen und Ausbildner gefragt, wie sie zu ihren medienpädagogischen Kompetenzen kommen. Diese können in der Regel formal, nicht-formal oder informell beispielsweise über Kolleginnen und Kollegen, Videos oder Bücher etc. angeeignet werden. Besonders spannend sind Antworten zur eigenen Motivation, Unterstützung und zu allfälligen Schwierigkeiten.

Schliesslich werden sie zur Bedeutung medienpädagogischer Kompetenzen in der Zukunft der Erwachsenenbildung befragt. Gegenstand dieser Fragen sind eine Selbsteischätzung bezüglich Zukunft sowie eigene Bestrebungen, sich darauf vorzubereiten.

Erste Ergebnisse aus den Interviews

Erste Ergebnisse dieser Analyse zeigen, dass es individuelle Ansichten davon gibt, welche medienpädagogischen Kompetenzen in der Erwachsenenbildung und bei der Gestaltung von mediengestütztem Unterricht überhaupt gefragt sind. So hebt eine befragte Person, bezogen auf den (digitalisierten) Unterricht, beispielsweise hervor, dass man bei der Planung von Unterricht mit digitalen Medien unbedingt die Perspektive der Lernenden, welche zum Teil auch sehr individuell sein können, einnehmen solle und sagt sinngemäss: «Wie kann ich den Unterricht optimal für das Zielpublikum gestalten? Ich denke, das ist künftig im Zusammenhang mit Digitalisierung die grosse Herausforderung.»

Bezüglich der Aneignung medienpädagogischer Kompetenzen lässt sich, auch mangels Alternativen, eine Tendenz zum informellen Lernen ausmachen. Eine befragte Person gibt an, dass sie schon immer in der digitalen Welt zu Hause gewesen sei, sich mit IT-Heftchen weiterbilde und bei neuen Dingen immer versuche, den Transfer in die Erwachsenenbildung zu machen.

Digitalisierung findet zu Hause statt
Digitalisierung selbst gemacht: Viele Erwachsenenbildner bilden sich informell weiter.

Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalisierung im Unterricht zeigt sich auch immer wieder, dass der stärkste Antrieb für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht die Eigenmotivation ist. Wer dem Thema positiv gegenüber steht und motiviert ist, setzt sich auch mehr damit auseinander und setzt dementsprechend mehr Medien im Unterricht ein und umgekehrt.

Fazit

Fest steht: Digitalisierung ist aus dem Unterricht in der Erwachsenenbildung nicht mehr wegzudenken. Bisherige Untersuchungen zu diesem Thema zeigen erstens Tendenzen, wonach medienpädagogische Kompetenzen von Erwachsenenbildnerinnen und -bildnern in erster Linie informell angeeignet werden.       
Als weitere Schlussfolgerung lässt sich (mit Vorsicht) auch behaupten, dass Personen, die in der Erwachsenenbildung tätig sind, verschiedene Vorstellungen davon haben, was es bedeutet, genügend kompetent zu sein, um digitale Technologien beim Unterrichten systematisch zu nutzen.

Wird die Zukunft der Erwachsenenbildung digitaler? Wenn man den Einschätzungen einer befragten Person glauben möchte, ja. So soll es in zehn Jahren möglich sein, sich mit einer Virtual-Reality-Brille virtuell in einen Kursraum zu setzen und zu lernen. Dies würde dann wiederum zur Frage führen, wie man mit dem, gerade in der Erwachsenenbildung hochgeschätzten, direkten sozialen Austausch umgeht.

INFOBOX

Aktuelle Publikation zum Thema: Digitalisierung und Lernen. Gestaltungsperspektiven für das professionelle Handeln in der Erwachsenenbildung und Weiterbildung. Herausgegeben von Erik Haberzeth (PH Zürich) und Irena Sgier (SVEB).

Die Vernissage zum Buch findet am 26. Juni 2019 an der PH Zürich statt – wir freuen uns über Anmeldungen!

Zum Autor

Gabriel Flepp DigitalisierungGabriel Flepp ist wissenschaftlicher Assistent am ZHE und verfasst derzeit seine Masterarbeit in Erziehungswissenschaft zum Thema «Aneignung medienpädagogischer Kompetenzen und medienpädagogische Professionalisierung von Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildnern». 

Redaktion: Martina Meienberg

Eine Lehrveranstaltung effizient planen – geht das?

Beitrag von Ulrike Hanke

Meine nächste Lehrveranstaltung steht an. Auf dem Seminarfahrplan steht die Feldtheorie von Kurt Lewin. Die Studierenden haben bereits einen Fall bekommen und sollten einen kurzen Text über die Feldtheorie als Vorbereitung lesen. Wie soll ich nun im Seminar vorgehen? Als Erstes Begrüssung und Wiederholung einiger Aspekte der letzten Sitzung – das ist klar. Das sind ungefähr 15 Minuten. Und dann? Ich könnte mit den Studierenden Fachbegriffe der Feldtheorie klären – mit einem Glückstopf? Oder der Strukturlegetechnik? Das braucht jedoch viel Zeit. Soll ich die Studierenden also lieber gleich in Gruppen den Fall bearbeiten lassen? Oder soll ich das Lösen des Falls demonstrieren? Oder noch eine Idee: Fallarbeit mit der Send-a-Problem-Methode, macht doch immer so viel Spass… Oh je! So viele Möglichkeiten!

Wer eine Lehrveranstaltung plant, muss sich entscheiden.

Qual der Wahl

Geht es Ihnen auch so? Können Sie sich manchmal auch nicht entscheiden, wie Sie Ihre Lehrveranstaltung gestalten wollen? Gratulation! Das bedeutet, dass Sie bereits über ein breites hochschuldidaktisches Wissen verfügen. – Nur macht es das Planen nicht unbedingt leichter: Wer, wie im obigen Beispiel, zwischen der Send-a-Problem-Methode, der Strukturlegetechnik, dem Glückstopf und Modeling entscheiden kann, hat auch die Qual der Wahl.

Was also tun? In der Regel reicht es schon, wenn wir uns als Dozierende nochmal deutlich machen, welche Kompetenzen die Studierenden in der Lehrveranstaltung erwerben bzw. welche Lernziele sie erreichen sollen. Im ersten Moment erscheint das wie zusätzlicher Arbeitsaufwand. Aber alle Dozierenden, die diese Erfahrung einmal gemacht haben, wissen, dass sich dieser Aufwand später auszahlt. Denn erst, wenn man weiss, wo man mit seiner Lehrveranstaltung hin will, kann man den Weg dorthin planen.

Lehrveranstaltung in drei Schritten planen

Beim Planen einer Lehrveranstaltung lohnt es sich deshalb, in folgenden drei Schritten vorzugehen:

Lehrveranstaltung in drei Schritten planen
Grafik: Vorgehen beim Planen einer Lehrveranstaltung
  • Der erste Schritt ist für das effiziente Planen der bedeutsamste (siehe auch Grafik). Als Leitfrage dient hier: Was sollen meine Studierenden am Ende der Sitzung tun können? Es ist die Frage nach den zu erreichenden Lernzielen. Dabei ist es zu empfehlen, möglichst klare Sätze zu formulieren, die jeweils beobachtbares Verhalten beschreiben, z. B: Die Studierenden können die Begriffe Valenz und Aufforderungscharakter erklären. Oder: Die Studierenden begründen die Lösung eines Falls mit den Erkenntnissen der Feldtheorie. Beim Formulieren von Lernzielen sind die verschiedenen Taxonomien sehr nützlich (vgl. auch Bachmann 2018a und Bachmann 2018b) oder die Kompetenzfacetten-Tabelle(Macke et al. 2016). Diese Hilfsmittel geben Hinweise darauf, in welchen Bereichen und auf welchen Ebenen Ziele angestrebt werden können. Ausserdem gehören zu allen Taxonomien und zur Kompetenzfacetten-Tabelle Listen mit Verben, die das Formulieren von Zielen erleichtern können.
  • Der zweite Schritt – Voraussetzungen klären – ist vor allem beim Planen der gesamten Veranstaltungsreihe wichtig. Hier geht es darum, sich zu vergegenwärtigen, wer die Studierenden sind (interne Voraussetzungen) und welche Rahmenbedingungen (externe Voraussetzungen) man für die Lehrveranstaltung vorfindet. Ein paar Ideen finden sich in der Grafik (Schritt 2).
  • Erst beim dritten Schritt geht es um das konkrete methodische Planen. Dies wird Ihnen jetzt deutlich leichter fallen, denn Sie wissen, wo Sie starten (Voraussetzungen) und wo Sie hin wollen (Ziel). Als Hilfestellung für die Grobstruktur des Weges finden Sie in der Grafik (Schritt 3) einen Ablauf nach dem MOMBI-Prinzip (Hanke 2018 und Hanke & Winandy 2014).

Fazit

Eigentlich ist dieses Vorgehen – zunächst den Startpunkt, dann das Ziel zu bestimmen und sich erst danach Gedanken über den Weg zu machen ­– vollkommen logisch. Aber im Lehralltag ist es nicht das intuitive Vorgehen. Die meisten Dozierenden starten eher gleich mit dem Weg. Das scheint effizienter. Das Formulieren von Lernzielen ist schliesslich, wenn man es noch nicht so oft gemacht hat, auch keine leichte Aufgabe. Dennoch ist dieses vielleicht sperrig erscheinende Vorgehen auf längere Frist gesehen deutlich effizienter. Sie werden Zeit sparen!

Im folgenden Buch finden Sie einen Leitfaden, um Lehrveranstaltungen systematisch zu planen und durchzuführen:
Macke, G., Hanke, U., Viehmann-Schweizer, P. & Raether, W. (2016): Kompetenzorientierte Hochschuldidaktik. Lehren, Vortragen, Prüfen, Beraten. 3., überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz. https://www.beltz.de/fachmedien/paedagogik/buecher/produkt_produktdetails/33236-kompetenzorientierte_hochschuldidaktik.html

Der folgende Online-Kurs führt Sie Schritt für Schritt durch den Prozess des effizienten Planens von Lehrveranstaltungen: https://www.udemy.com/crashkurs-lehrveranstaltungsplanung-hochschuldidaktik/?couponCode=CRSH_PHZH_0319

Zur Autorin

Ulrike HankeUlrike Hanke ist Dozentin und Beraterin für Hochschuldidaktik und als Kurs- und Modulleiterin für das ZHE tätig. Weitere Informationen zu Ulrike Hankes Tätigkeit finden Sie hier: www.hanke-teachertraining.de

 

Redaktion: Martina Meienberg

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