Bibliothek, Mood, 2022

Führung und Leadership im Bilderbuch

Wer liest, entdeckt nicht nur Geschichten, sondern sich selbst – ein Glück, das sich entziffern lässt. In einer Zeit, in der Informationen digital rasen, bleibt Lesen der Schlüssel, um unsere komplexe Welt wirklich zu durchdringen und zu verstehen.

Bilderbücher leisten allgemein einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung sozial-emotionaler Kompetenzen. Das literarische Bilderbuch im Besonderen lädt ein, herausfordernde Geschichten zu verstehen und sich mit den Figuren und ihren Erfahrungen auseinanderzusetzen. Der Artikel von Dr. Inge Rychener «Führung und Leadership im Bilderbuch» in der aktuellen Ausgabe von #schuleverantworten zeigt, wie literarische Bilderbücher nicht nur zur emotionalen und sozialen Entwicklung beitragen, sondern auch gezielt zur Auseinandersetzung mit Führung und Leadership genutzt werden können.  Sie regen dazu an, Führungsfragen spielerisch, reflektiert und literarisch zu durchdenken und bieten somit einen innovativen Zugang zur Entwicklung von Führungskompetenzen. Im Folgenden werden interessante Aspekte aufgezeigt sowie exemplarisch ein Buch vorgestellt, die sich mit Führung und Leadership befasst.  

Das Literarische Bilderbuch – mehr als eine Kindergeschichte

Neben trivialen Bilderbüchern gibt es auch in diesem Genre Bilderbücher, die als ‘Literatur’ gelten. Literarische Bilderbücher – also keine reinen Kindergeschichten mit klarer Moral, sondern Texte, die Mehrdeutigkeit, Spannung und Reflexion zulassen – werden als Lernräume unter anderem auch für Führung und Leadership präsentiert.
Sie:

  • eröffnen neue Perspektiven – emotional, gesellschaftlich, politisch.
  •  werfen Fragen auf, ohne fertige Antworten zu liefern.
  • fordern dazu auf, selbständig zu denken und verschiedene Deutungen zuzulassen.
  • fördern Empathie, Perspektivenwechsel und Reflexionsfähigkeit.
  • zeigen Handlungsoptionen auf, ohne diese zu bewerten.

Die abstrakten Begriffe Führung und Leadership werden in manchen Literarischen Bilderbüchern aufgeschlossen, indem sie exemplarisch diese Aspekte als Leitthema aufgreifen. Beispielhaft wird hier die Analyse des Bilderbuchs Mir nach! von Brun-Cosme, Nadine & Tallec, Olivier (2012) von Dr. Inge Rychener abgebildet.

Brun-Cosme, Nadine & Tallec, Olivier (2012): Mir nach!

Zusammenfassung: Leon ist der Anführer der Dreiergruppe – gross und imposant. Max und Henri, die beiden Kleineren, folgen ihm vertrauensvoll, wenn auch etwas naiv. Hand in Hand folgen sie Leon in seinem Schatten und erzählen sich Geschichten, ohne seine Entscheidungen zu hinterfragen. Während Leon den Überblick behält, sehen die anderen hinter ihm lediglich seinen Rücken. Doch als Leon einen roten Ballon entdeckt und seine Freunde darauf hinweist, möchten sie diesen auch sehen. Also wechseln sie ihre Positionen und gehen fortan gleichberechtigt nebeneinander.

Buchcover ‘Mir nach!’ – Foto: Inge Rychener

Einbettung in das Thema ‘Führung und Leadership’: Leon wird als tumber, etwas unreflektierter Charakter dargestellt, der nicht realisiert, dass seine Gefährten hinter seinem Rücken nichts von der Umgebung mitkriegen. In der Erzählung weiss offenbar nur Leon, wohin ihr Spaziergang sie führt. Er hat eine klare Richtung, wobei seine Lenkung oft impulsiv scheint und Entscheidungen ohne Rücksprache mit seinen beiden Freunden fällt. Er hat einzig sein Ziel vor Augen und gibt die Richtung vor. Damit übernimmt er auch die gesamte Verantwortung.

Eine verantwortungsvolle Führungskultur heisst aber nicht, in bester Absicht nach vorne zu preschen, sondern sich bewusst zu sein, dass Entscheide Auswirkungen auf alle Beteiligten haben. Auch wenn wir Leon nicht unterstellen wollen, dass er selbstsüchtig und machthungrig ist, vergisst er zunächst doch, dass es wichtig ist, auf die Sorgen und Wünsche von anderen zu hören. Führung bedeutet nicht nur, die Richtung vorzugeben, sondern auch zuzuhören, Fragen zu stellen und andere ernst zu nehmen.

Max’ Frage «Darf ich mal nach vorne?» scheint Leon nachdenklich zu machen. Er zögert zwar, ist dann aber einverstanden. In einem ersten Schritt haben Max und Leon nun aber lediglich die Rollen getauscht. Max führt nun und geniesst seine neu erlangte Macht. Henri, der Kleinste, der nun ganz hinten geht, langweilt sich, weil Leon ihm keine Geschichten erzählt. Nun möchte er auch mal vorangehen. Zunächst geniesst auch er seine Führungsrolle, bis er merkt, dass er überfordert ist. Max, Leon und Henri lernen, dass sie sicher und unbesorgt vorankommen, wenn sie alle drei nebeneinander gehen. Leon hat die Gefahren unter Kontrolle (Steuerung), Max erzählt Geschichten und Henri singt (Empowerment). Dass das Empowerment doppelt vertreten ist, dürfte vielleicht Zufall sein?

Im Buch wird aufgezeigt, dass eine gelungene Führung nicht von einer Person, respektive von einem Objekt ausgehen kann, sondern vom Zusammenspiel der gesamten Gruppe abhängt. Echte Führungskultur bedeutet daher auch, die Bedürfnisse von anderen zu berücksichtigen und bei Bedarf den Kurs zu ändern. Eine gute Führungskraft führt nicht nur, sondern versteht es auch, gemeinsam neue Wege zu suchen. Nebenbei wird im Buch auch die Verantwortung der ‘Geführten’ angesprochen: Demokratie bedeutet nicht blinde Gefolgschaft, sondern das bewusste Übernehmen von Mitverantwortung.

Interessierte können den gesamten Artikel in der aktuellen Ausgabe  #schuleverantworten nachlesen.

INFOBOX:

#schuleverantworten ist ein Projekt der PH Niederösterreich und der PH Zürich. Die angebotenen Web-Dialoge und Web-Journale sollen Ideen, Dialoge und Erfahrungen bieten, Impulse geben und zum Diskurs an und um Führungsverantwortung in der Schulwelt anregen. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem Thema Ich lese, also bin ich. Interessierte können zudem zur Vertiefung am Mittwoch, 2. Juli 2025 von 16.30-18.00 Uhr den dazugehörige Web-Dialog besuchen. Anmeldungen können unter folgendem Link gemacht werden.

Zu den Autorinnen:

Dr. Inge Rychener ist seit 2005 Dozentin am Institut Unterstrass a. d. PH Zürich im Fachbereich Deutsch für die Eingangsstufe und seit 2015 zusätzlich Leiterin der Abteilung Weiterbildung und Dienstleistungen. Sie hat die Leitung diverser Weiterbildungen zum Thema ‚Das Bilderbuch im Unterricht‘ und ‚DaZ‘. Mit-glied des Netzwerks Bilderbuchforschung. Publikationen zum Thema ‚Bilderbuch‘, ‚Erzählen‘, ‚Vorlesen‘ und DaZ.

Jasmin Kolb hat pädagogische Psychologie an der Universität Fribourg studiert und arbeitet im Zentrum Management und Leadership als wissenschaftliche Assistentin. Sie beschäftigt sich vor allem mit wissenschaftlichen Evaluationen und der Weiterentwicklung der Schulleitungsausbildung.

Stefanie Michel-Loher

Stefanie Michel-Loher arbeitet seit 2022 im Zentrum Management und Leadership an der PH Zürich. Sie ist Gesamtstudiengangsleiterin des DAS Schulleitung und arbeitet im O.K. des Symposiums Personalmanagement mit.

Redaktion: Jasmin Kolb
Titelbild: Grafik PHZH

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