Mittelstufe, Schule Lindberg, Winterthur, 2023

Erweitertes Lernangebot «FESTLAND» mit Flying teacher vor Ort

Ein Alternative zur Schulinsel

Die Primarschule Schachen Winterthur (Schweiz) möchte mit dem Projekt «Festland» die Inklusion aller Schüler:innen und die professionelle Unterstützung der Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen stärken. Ziel des Projekts ist es, tragfähige Klassenteams zu fördern, eine starke Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen aufzubauen sowie die Sozial- und Fachkompetenzen der Schüler:innen durch spezielle Zusatzangebote zu entwickeln. Die Grundhaltung der Schulleitung ist dabei, dass alle Kinder in der Stammklasse unterrichtet werden und keine Trennung oder Auslagerung stattfindet.

Ausgangslage

In einem längeren Prozess «auf dem Weg zu einer inklusiven Schulgemeinschaft» mit dem ganzen Schulteam und in enger Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Zürich entstanden drei Leitsätze, welche als das «Credo Team Schachen» bezeichnet werden: 1. Alle Kinder bleiben in unserer Schule. 2. Keine Lehrperson wird alleine gelassen. 3. Wir haben die Ressourcen, die wir haben. Um diesen Leitsätzen gerecht zu werden, braucht die Schule ein erweitertes Lernangebot in Situationen, die sowohl für Schüler:innen wie Lehrpersonen herausfordernd sind. Dieses soll so niederschwellig und kurzfristig sein, wie möglich. Gerade in schwierigen Situationen wird eine hohe Professionalität und pädagogisches Geschick benötigt.

Die Schulkonferenz sprach sich aus diversen Gründen gegen eine «Schulinsel» aus. Der Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (2025) beschreibt in einem Positionspapier vom Februar 2022 eine Schulinsel und deren Funktion wie folgt:

«Die Schulinsel ist eine Möglichkeit, welche allen Beteiligten bei Bedarf rasch und niederschwellig Entlastung bringen kann, deeskalierend wirkt und keine Stigmatisierung zur Folge hat. Sie steht allen Kindern offen. […] Die Schulinsel wird insbesondere von Schüler:innen besucht, die den Unterricht stören. Dabei ist der Besuch einer Schulinsel eine kurzfristige Massnahme. Sie erweitert die Handlungsoptionen und ermöglicht schnelles Reagieren bei schwierigen Situationen, vor allem entlastet sie alle Beteiligten sofort. Auf der Schulinsel können sich die Kinder in einem geschützten Rahmen beruhigen und später mit etwas zeitlichem Abstand ihr Verhalten reflektieren und dabei geeignete Verhaltensoptionen für die Zukunft erarbeiten.»

An der Schule Schachen wird die Einrichtung einer Schulinselkritisch gesehen. Statt dessen soll jedes Kind in seiner Klasse bleiben, wo es sich sicher und zugehörig fühlt. Das Kollegium der Schule hat daher nach Möglichkeiten gesucht, die Tragfähigkeit der Klassen zu stärken und die Beziehung der Lehrpersonen zu ihren Schüler:innen zu festigen, ohne dass es eine Schulinsel gibt. Hieraus resultiert der Begriff «Festland». Offene Schulzimmertüren als Zeichen von Transparenz und Vertrauen, ein ehrlicher Umgang mit Fehlern und Problemen, eine allgemeine stärkenorientierte Haltung aller gegenüber sollen dabei helfen, im Schulhaus Schwierigkeiten gemeinsam zu tragen.

Die Schule Schachen macht sich auf den Weg zu einer «inklusiven Schulgemeinschaft»

Bis anhin waren sämtliche Zusatzressourcen, ausgenommen einige Schulassistenzstunden, in den Klassen gebunden. Die Teamteachingstunden im Unterrichtsteam werden sehr geschätzt und als effektivste Lernzeit eingestuft. Je kleiner ein Unterrichtsteam ist, desto tragfähiger wird es erlebt. Das Schulhaus verfügt über sehr engen Schulraum. Jedes Zimmer und jede Nische ist konstant belegt oder doppelt genutzt. Aufgrund der hohen Diversität der Schüler:innen sind die Lehrpersonen immer wiederüber einen gewissen Zeitraum oder in gewissen Situationen mit einzelnen sehr herausgefordert. In diesen Situationen muss kurzfristig Unterstützung organisiert werden, oft mit nichtausgebildetem Personal oder in hektischen Hauruckübungen. Es kam vor, dass Kinder notfallmässig zur Hauswartung, Schulleitung oder in andere Klassen gebracht wurden.

Zusammenfassend wurde die Situation als wenig befriedigend erachtet, gewünscht wurden neue Lösungen, die es ermöglichen, dass jede Schülerin und jeder Schüler der eigenen Klasse bleiben kann und die Lehrpersonen gleichzeitig so weit wie möglich entlastet werden. Aufgrund einer Initiative der Stadt Winterthur, die Personalressourcen für innovative Projekte zur Verfügung stellt, konnte die Schule das Projekt Festland starten.

Beschreibung des erweiterten Lernangebotes «Festland»

Die Schule Schachen hat sich durch das Projekt «Festland» zum Ziel gesetzt, die Inklusion aller Schüler:innen und die professionelle Unterstützung der Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen zu stärken. Mit dem erweiterten Lernangebot «Festland» möchte die Schule tragfähige Klassenteams fördern, eine starke Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen aufbauen sowie Sozial- und Fachkompetenzen der Kinder durch spezielle Zusatzangebote entwickeln. Die Grundhaltung der Schulleitung ist dabei, dass alle Kinder in der Stammklasse unterrichtet werden und keine Trennung oder Auslagerung stattfindet. Das Angebot sieht vor, dass sogenannte «Festland-Lehrpersonen» (Festland-LPs) in den Blockzeiten – das heisst während jeder Morgenstunde in der Woche – vor Ort sind, um niederschwellig Unterstützung zu leisten. Diese Festland-LPs sind reguläre Lehrkräfte der Schule mit zusätzlichen Teamteaching-Stunden in der eigenen Klasse.

Ihr Einsatz reicht von der Unterstützung im eigenen Klassenraum, über Notfallbetreuungen oder Unterrichtsübernahme in anderen Klassen, bis hin zur Durchführung von erweiterten Lernangeboten, die fachliche und überfachliche Kompetenzen der Kinder fördern. Dabei liegt die Verantwortung für Notfallsituationen primär bei der hilfesuchenden Klassenlehrperson, während die Festland-LP bei Bedarf nach dem Bedürfnis der Klassenlehrperson einspringt. Die zuständige Festland-LP kann über den schuleigenen Teamskanal gerufen werden. Die Organisation dieses Systems basiert auf einer offenen Kommunikation zwischen Lehrpersonen und Festland-LPs sowie der flexiblen Handhabung von Ressourcen.

Ein zentraler Aspekt ist die Förderung einer professionellen Feedbackkultur, die zu einer kontinuierlichen Weiterentwicklung des Unterrichts beiträgt. Die Festland-LPs sollen sich in ihrer Rolle anerkannt fühlen, während die Klassenlehrpersonen gestärkt und in ihrer Verantwortung unterstützt werden. Übergreifend wird eine konstruktive Fehlerkultur gelebt, die Transparenz, Vertrauen und Zusammenarbeit in den Fokus stellt. Seit dem laufenden Schuljahr 2024/2025 wird das Projekt Festland an der Schule getestet. Die bisher einzige Herausforderung stellt die Stundenplanerstellung dar. Es ist ein organisatorisches Meisterwerk, die Festland-LPs auf die Woche so zu verteilen, dass alle Stunden abgedeckt sind. Dies gelang bis auf zwei Lektionen.

Abbildung 1: Ein Musterstundenplan vom Projekt «Festland» | eigene Darstellung

Ausblick

Das Projekt wurde zu Beginn des laufenden Schuljahres gestartet. Das Angebot wird genutzt, die ersten Rückmeldungen aus dem Team sind positiv. Eine umfassende Evaluation steht derzeit noch aus. Es wird bereits über mögliche weitere entlastende Massnahmen nachgedacht, zum Beispiel über zusätzliche Angebote, wie einen «Ich-brauch-mal-Ruhe»-Raum oder die Einführung von einem zusätzlichen «Festland» mit den anwesenden Schulassistenzen, um das Konzept weiter auszubauen und zu ergänzen. Beispielsweise kann der Stundenplan mit Schulassistenzen so ergänzt werden, dass in jeder Stunde eine Assistenz für die ganze Schule zur Verfügung stehen würde.

INFOBOX

#schuleverantworten ist ein Projekt der PH Niederösterreich und der PH Zürich. Die angebotenen Web-Dialoge und Web-Journale sollen Ideen, Dialoge und Erfahrungen bieten, Impulse geben und zum Diskurs an und um Führungsverantwortung in der Schulwelt anregen. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem Thema Diversität in Gesellschaft und Schule. Zur Vertiefung kann der dazugehörigen Web-Dialog am 8. April 2025 von 14:30 – 16:00 Uhr besucht werden. Das Programm sowie die Anmeldung finden Sie über folgenden Link.

Zu den Autor:innen

Katharina Johner

Katharina Johner ist seit 2017 in einer Co-Leitung in der Schule Schachen tätig. Sie unterrichtete davor viele Jahre als Primarlehrerin. Daneben arbeitet sie seit 20 Jahren freiberuflich in der Eltern-/Erwachsenenbildung und als systemische Paar- und Familienberaterin in Winterthur.

Prof. Dr. Frank Brückel arbeitet an der Pädagogischen Hochschule Zürich im Zentrum Schule und Entwicklung. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Entwicklung von wissenschaftsbasierten Weiterbildungen und Beratungsdienstleistungen für Schulen. Sein besonderes Interesse gilt dabei der Frage, wie eine Zusammenarbeit zwischen Schulen, Behörden und Hochschulen die anstehenden Entwicklungen im Bildungswesen erleichtert.

Redaktion: Jasmin Kolb
Titelbild: PHZH Grafik

Literaturverzeichnis:

Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (2025). Positionspapier Schulinseln Integration von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten.

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