Scuola Svizzera Bergamo

Als Schulleiterin nach Italien auswandern: «Nach fünf Tagen kam die grosse Überraschung»

Diesen Sommer hat Rita Sauter nach 12 Jahren an der Schule Hedingen ihre Sachen gepackt und ist nach Bergamo in Italien gezogen. Seit einigen Wochen leitet sie dort die älteste Schweizer Schule, die Scola Svizzera di Bergamo. Wie sich ihre Arbeit als Schulleiterin verändert und was sie in den ersten Wochen erlebt hat, erzählt sie im Interview.

Niels Anderegg: Du hast diesen Sommer als Schulleiterin von Hedingen im Kanton Zürich an die Schweizer Schule in Bergamo gewechselt. Was hat dich bewogen nach Italien zu ziehen?

Rita Sauter: An der Schule Hedingen war es mir sehr wohl und ich hatte keinen Grund, in eine andere Schule in der Schweiz zu wechseln. Als ich von der Stelle in Bergamo gehört habe, hat mich das Neue gereizt. Meine private Situation erlaubte es mir, etwas ganz anderes zu wagen. Und so packte ich meine Sachen und zog diesen Sommer nach Italien.

Niels Anderegg: Warum gibt es in Bergamo eine Schweizer Schule?

Rita Sauter: Bergamo hat die älteste Schweizerschule. Ursprünglich ist das Glarner Textilunternehmen Legler in die Region von Bergamo expandiert und hat da 1892 eine Schule für ihre Angestellten gegründet. Seither gibt es die Schweizerschule in Bergamo. Die heutige Präsidentin des Aufsichtsrates, Elena Legler, ist eine direkte Urenkelin der Schulgründer.

Niels Anderegg: Welches Profil hat die Schweizer Schule Bergamo?

Rita Sauter: Die Schweizer Schule Bergamo ist eine kleine und sehr familiäre Schule, in der die Beziehungen wichtig sind. Bereits mit 3 Jahren kann man in die Schule eintreten und dann bis zum Ende der Sekundarschule bleiben. Die Schule ist von Beginn an zweisprachig. Die Kinder lernen vor dem Kindergarten Deutsch und Italienisch. Im Kindergarten kommt dann noch Englisch dazu und wie in der Schweiz später noch das Französisch.

Von den Lehrplänen her wird nach dem Lehrplan 21 unterrichtet, wobei die Lehrpläne von Italien integriert werden, damit die Schüler:innen auch anschlussfähig in weiterführenden Schulen in Italien sind. Man kann auch sagen, dass wir das Beste aus beiden Welten nehmen. In den letzten Jahren wurde beispielsweise ein Fokus auf den Mathematikunterricht gelegt. Ein wichtiger Wert ist die Offenheit den verschiedenen Kulturen gegenüber.

Niels Anderegg: Ich stelle mir vor, dass die Führung einer Schule im Kanton Zürich deutlich anders ist als die Führung einer Schule in Italien. Welche Vorstellung hattest du vor dem Wechsel?

Rita Sauter: Ich weiss gar nicht mehr, wie meine Vorstellung war, da ich schrittweise mich dem Neuen näherte und auch noch am Nähern bin. Ich war mir bewusst, dass es anders werden wird, konnte aber noch nicht fassen, was genau. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass es eine Schule ist mit Grundbedürfnissen und Aufgaben, wie sie an jeder Schule gibt. Bewusst war mir sicher, dass es eine andere Organisation der Schule sein wird und ich vieles neu lernen muss. Und ich freute mich, dass ich weniger Vorgaben durch den Kanton haben würde. Dass die Bürokratie hier in Italien so komplex ist, dass wir für vieles eine zusätzliche Firma beauftragt haben, hat mich dann eher überrascht…

Niels Anderegg: Kannst du ein Beispiel machen?

Rita Sauter: In der Lombardei in öffentlichen Gebäuden ist es erst erlaubt nach dem 15. Oktober zu heizen. Momentan ist es aber nass und kalt in Bergamo und mein Büro fühlt sich wie ein Kühlschrank an. Die italienische Lösung dafür sind kleine Elektrogeräte. Also auch in Italien muss man als Schulleitung Grauzonen finden.

Niels Anderegg: Wie hast du dich auf den Wechsel an die Schweizer Schule Bergamo vorbereitet?

Rita Sauter: Als ich die Zusage der Stelle hatte, bin ich zweimal eine Ferienwoche nach Bergamo gekommen. Ich habe mich intensiv mit dem Schulleiter ausgetauscht und auch die Lehrpersonen und einen Teil der Schüler:innen kennengelernt. Das war eine spezielle Zeit, weil ich einerseits nicht in der Funktion war, andererseits aber wusste, dass ich da bald führen werde. So gut wie möglich habe ich mich auch eingelesen in die Unterlagen. Ich versuchte ein Bild zu bekommen, wie die Schule funktioniert.

Niels Anderegg: Vor drei Wochen ist das neue Schuljahr gestartet. Wie waren die ersten Tage für dich als neue Direttrice?

Rita Sauter: Für mich ist das Schuljahr bereits in den Sommerferien gestartet. Stufenweise hatte ich das Gefühl, in das Verständnis der Schule und die Führung hineinzukommen. Die ersten Wochen habe ich an der Schule vor allem mit dem Sekretariat zusammengearbeitet. Ich habe für mich eine Ordnung in den Unterlagen und Papieren aufgebaut, damit ich einen Überblick bekomme.

Danach hatten wir die Vorbereitungswoche mit allen Lehrer:innen und Mitarbeitenden, welche ich als sehr gewinnbringend empfand. Zusammen mit den Stufenleiterinnen haben wir uns als Einstiegsthema für «Spiel/spielerisches Lernen» entschieden, was sich auch sehr für die Teambildung eignet. Es wurde viel gelacht beim Ausprobieren von Spielformen, die die Lehrpersonen mitgebracht haben. Ich habe mich sehr wohlgefühlt in der Führung des Teams und gemerkt, dass ich auf Bekanntes zurückgreifen und meine Kompetenzen wie auch in der Schweiz nutzen konnte. Für mich war sofort das Gefühl von meinem neuen Superteam da. Das Gleiche war auch in Bezug auf den Jahresstart und die Begegnungen mit den Kindern und Eltern.

Niels Anderegg: Und dann wurdest du an einem Morgen überrascht.

Rita Sauter: Als ich am 5. Schultag in der Schule ankam, stand das Schulhaus unter Wasser und überall im Erdgeschoss war Schlamm. Der ganze Pausenplatz, drei Kindergartenräume, die Bibliothek und die Mensa waren betroffen. Ein Unwetter hatte in der Nacht gewütet und Bergamo wurde zum Katastrophengebiet erklärt. Ich weiss ehrlich nicht wie, aber irgendwie haben wir es geschafft, miteinander diese Krise zu meistern. Die Schule musste für zwei Tage geschlossen werden. Und das Team hatte sein zweites Teambuilding mit Putzen und Räumen durchlebt. Alle haben mitangepackt und gemeinsam konnten wir das Schulhaus wieder vom Wasser und Schlamm befreien.

Irgendwie schafften wir es, in einer so guten Stimmung zu bleiben, dass nach zwei Tagen eine Lehrerin und Stufenleiterin sagte: «Ich habe erst jetzt realisiert, dass etwas Schlimmes passiert ist, aber es fühlt sich nicht so an…». In Folge von diesem Einschnitt kam ich einerseits schnell in unterschiedlichsten Gebieten in die Führungsrolle, wurde konfrontiert mit verschiedensten Leuten und habe gemerkt, wie gut das Team auch aufgestellt ist. Ohne das Wissen und die Kompetenzen von allen hätten wir diese Situation nicht bewältigen können.

Niels Anderegg: Das war ein Start, wie ihn wohl niemand vorstellt.

Rita Sauter: In einem fremden Land, dessen Sprache ich noch nicht beherrsche, gleich mit einer Naturkatastrophe zu starten, das habe ich mir in den schlimmsten Träumen nicht vorstellen können. Ich bin aber immer noch hingerissen von der Solidarität, die spürbar war und weiterhin ist. Für mich und einige andere gibt der Nachgang dieser Naturkatastrophe noch viel zu tun. Beispielsweise sind wir für die Wiederinstandstellung auf Spenden angewiesen. Ein Gebiet, das für mich gänzlich neu ist.

Daneben hat jetzt der Alltag begonnen, wie beispielsweise die Elternabende. Viele Eltern suchen das Gespräch mit mir, und ich habe einen hohen Anspruch an meine offene Türe. Für mich ist dies die Grundlage für die Vertrauensbasis, mit der ich arbeiten möchte. Gleichzeitig nimmt es viel Zeit ein und mit der für mich noch fremden Sprache auch viel Energie. Ich muss immer wieder schauen, wie ich mich zwischendurch ausklinken kann, damit ich in Ruhe und mit genügend Zeit mich den strategischen und administrativen Aufgaben widmen kann. Eine Balance, die zurzeit noch schwierig ist. Was mir aber wie in der Schweiz sehr Freude macht, sind die Begegnungen und Beziehungen, die entstehen. Ich bin dankbar für all die offenen Begegnungen und fühle mich sehr willkommen.

Niels Anderegg: Welche Unterschiede zwischen der Führung einer Schule im Kanton Zürich und der Führung einer Schweizer Schule in Italien siehst du heute?

Rita Sauter: Hedingen ist eine Schule mit sehr flachen Hierarchien. Umso erstaunter war ich, dass Lehrpersonen hier in Italien in meinem Büro sich erst gesetzt haben, wenn ich ihnen die Erlaubnis dazu gegeben habe. Auch haben sie mich immer wieder per Sie angesprochen. Die Bedeutung der Funktion Schulleitung scheint eine andere zu sein und wir nähern uns an.

Niels Anderegg: Du bist ja nun auch nicht mehr Schulleiterin, sondern Direktorin.

Rita Sauter: Ja, als Schulleiterin wird man hier in Italien Direttrice genannt. Und dies im wörtlichen Sinn. So wurde ich beispielsweise einmal in der Stadt von einem Vater mit «Buongiorno Direttrice» angesprochen. Das ist mir in Hedingen nie passiert.

Niels Anderegg: Welchen Herausforderungen bist du sonst noch begegnet?

Rita Sauter: Herausforderungen gibt es genug. Einerseits sind wir eine Nonprofit-Privatschule. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, aber müssen unsere Kosten über Schulgelder und Spenden abdecken. Dies weckt bei verschiedenen Akteuren unterschiedliche Erwartungen, welche wir erfüllen müssen. Andererseits ist es eine Schule, die zwischen oder verbindend zwischen mehreren Kulturen steht. So gibt es Italienische und schweizerische Lehrpersonen, die andere Anstellungsbedingungen, Ausbildungen und Erfahrungen haben. Oder es gibt Eltern, die das Schweizerische an der Schule wollen und gleichzeitig Eltern das Italienische gewohnt sind und als normal anschauen. Elterngespräche beispielsweise sind in Italien ganz anders organisiert und am Elternabend kam der Wunsch auf, diese so zu führen. Und wie bei allem sehe ich in verschiedenen Varianten viele Vorteile und auch Nachteile. Das wird in nächster Zeit die Kunst sein, aus den verschiedenen Kulturen das Beste herauszunehmen und die Schule entsprechend zu gestalten und zu führen.

Niels Anderegg: Da sind wir gespannt. Wir haben ja das Glück, dass du den Blog-Leser:innen in ein paar Monaten wiederum von deinen Erfahrungen berichten und wir dich ein Jahr begleiten dürfen.

INFOBOX

educationsuisse ist der Dachverband der 17 vom Bund anerkannten Schweizerschulen im Ausland. In 10 Ländern auf 3 Kontinenten bieten diese Schulen eine hochwertige Ausbildung nach Schweizer Lehrplan. Dabei vermitteln sie nicht nur Wissen, sondern auch Schweizer Werte und stärken die internationale Vernetzung der Schweiz. Neben der hohen Bildungsqualität fördert educationsuisse aktiv den Austausch und die Vernetzung zwischen den Schweizerschulen im Ausland.

Darüber hinaus berät und unterstützt educationsuisse junge Auslandschweizer:innen und Absolvent:innen von Schweizerschulen im Ausland zum Thema Ausbildung in der Schweiz.
So tragen die Schweizerschulen Schweizer Bildungsqualität, Kultur und Verbundenheit in die Welt hinaus.

Zu den Autor:innen

Rita Sauter war während 12 Jahren Schulleiterin an der Schule Hedingen. Seit dem 1. August leitet sie die Schweizer Schule in Bergamo. Sie ist ausgebildete Primarlehrerin, Heilpädagogin und Schulleiterin.

Niels Anderegg leitet das Zentrum Management und Leadership an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Leadership for Learning, Teacher Leadership und Professionalisierung von Führungspersonen von und in Bildungsorganisationen.

Rita Sauter und Niels Anderegg leben seit vielen Jahren als Paar zusammen.

Redaktion: Jasmin Kolb
Fotos: Rita Sauter, Scuola Svizzera

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert