Entwicklung der Schulleitungstätigkeit - wohin des Weges?

Schulleitung – Wohin des Weges?

Die Entwicklung der Schulleitungstätigkeit befindet sich für Daniela Schädeli, Schulleiterin Primarschule Unterlangenegg, an einer Weggabelung: Entweder die Schulleitungen werden als schulische Führungspersonen weiter professionalisiert oder Schulleitungen werden wieder abgeschafft und ihre Tätigkeit wird auf eine oder mehrere Rollen in einem selbstorganisierten Team verteilt. Beide Szenarien findet Schädeli prüfenswert. Sie möchte nicht gewisse Möglichkeiten Vornherein ausschliessen, sondern gerade auch extreme Möglichkeiten zumindest andenken.

Ich schreibe diesen Beitrag als Ergänzung und Weiterführung der Gedanken von Niels Anderegg zum Schulleitungsmangel vom 13. 10. 2020.

Dafür schaue ich zuerst zurück in die Geschichte der Schulleitung, ordne die Schule dann in die drei Leistungssysteme unserer Gesellschaft ein, diskutiere, inwiefern Schulleitung heute ein eigenständiger Beruf ist und was all diese Ausführungen für die Zukunft der Schulleitung bedeuten könnten. Ich freue mich, wenn Sie auf diese Gedankenreise mitkommen.

«Die Ökonomisierung beeinflusste die Entwicklungen im Bildungssystem»

Lange Zeit waren die kommunalen Schulbehörden für die Führung der Schule zuständig. In den Schulen vor Ort gab es Schulvorstände, welche nach dem Prinzip von «Primus inter pares» (Erster unter Gleichen) das Kollegium administrativ entlasteten (Heinzer, 2017; Hostettler & Windlinger, 2016). In den 1990er-Jahren breitete sich ökonomisches Gedankengut in immer mehr Lebensbereiche aus. Die Ökonomisierung fand über die Lehren des New Public Management Eingang in die öffentlichen Verwaltungen und beeinflusste auch die Entwicklungen im Bildungssystem (Magno, 2013). Die Vorstellung dahinter war, die Qualität der öffentlichen Schulen durch Schulautonomie zu fördern. Die Schulautonomie sollte sich auf das Budget, den Lehrplan, die Entwicklung eines eigenständigen Schulprofils und der Reform der Schulaufsicht erstrecken (Hangartner & Svaton, 2013). Das Ziel war die „gute Schule“ zu entwickeln (Heinzer, 2016, S.116). Die Idee der Schulautonomie wurde in der Schweiz nur teilweise durch die Installation von Schulleitungen und die Neuordnung der Schulaufsicht umgesetzt.

Die neuen Führungsstrukturen auf kommunaler Ebene sahen nach dem Modell der Privatwirtschaft ein Aufsichtsorgan und ein Exekutivorgan vor (Malik, 2008). Die operative Führung der Lehrpersonen, des Alltagsgeschäfts und der Schulentwicklung verantwortete neu die Schulleitung. Um rechenschaftsfähig zu sein und die Verantwortung für die Einzelschule zu tragen, bildeten sich Schulleitungen in den Bereichen Organisation, Management und Leadership weiter (Dubs, 2005). Das Aufsichtsorgan zeichnet sich für die strategische Führung verantwortlich und wird in vielen Kantonen immer noch von kommunalen Laiengremien ausgeübt (Rothen, 2016). Die Mehrheit der deutschsprachigen Kantone ergänzten oder ersetzten die kommunale Schulbehörde zudem mit einer externen Schulevaluation (Hangartner & Svaton, 2013).

Die direkt spürbaren Veränderungen vor Ort in den Einzelschulen können auch aus dem Blickwinkel der drei Leistungssysteme der Gesellschaft betrachtet werden.

Die drei Leistungssysteme

Sie sind das wirtschaftliche System, das staatliche System und das primäre System (Dick, 2016). Die drei Systeme funktionieren mit je eigener Logik: Wettbewerb (Wirtschaft), Bürokratie (Staat) und Vertrauen (primäres System). Während die meisten von der Wirtschaft und vom Staat eine Vorstellung vorhanden ist, wird wohl das primäre System eher unbekannt sein. Darum führe ich das primäre System kurz aus.

Es umfasst die sogenannten Professionen. Typische Professionen sind Ärztinnen/Ärzte, Juristinnen/Juristen, Architektinnen/Architekten oder Journalistinnen/Journalisten. Nach (Mieg 2016) agieren  Professionelle autonom, gemeinwohlorientiert, sind Fachpersonen und haben eine gewisse Autorität. In der Literatur gibt es einen Konsens, dass Lehrpersonen als Semiprofessionelle betrachtet werden (Strittmatter, 2010; Vanderstraeten, 2007).

Hauptunterschied zu den Merkmalen der Professionen ist die eingeschränkte Autonomie, da sich Lehrpersonen ihren Arbeitgeber nicht frei aussuchen können (95 Prozent Volksschulen, 5 Prozent Privatschulen). Die eingeschränkte Autonomie gilt auch für Schulleitungen, zudem wird ihr Handlungsspielraum zwischen den vorgesetzten Schulbehörden und der Lehrfreiheit der Lehrpersonen weiter eingeschränkt. Führungskräfte gehören allgemein nicht zu den Professionen, da sie „Gute Arbeit“ nicht als Professionalität, sondern als „gute Qualität“ ansehen (Schreyögg, 2002 nach Buer, 2006).

Die Volksschule als Institution findet ihren Platz zwischen dem Leistungssystem des Staates und dem des Primären Systems, weil Schulen staatlich finanziert und gelenkt werden, aber die Lehrpersonen als Semiprofessionelle dem Primären System angehören.

Volksschule in den Leistungssystemen

Das Leistungssystem der Wirtschaft beeinflusst die Volksschule zum Beispiel über den Qualitätsdiskurs (QD) und gleichzeitig über den Umweg der kantonalen Verwaltungen durch die Einflüsse des New Public Management (NPM). New Public Management lehnt sich an wirtschaftliche Effizienz und Effektivitätsüberlegungen an und bewirkte die Teilautonomie der Volksschule und die Implementierung von Schulleitungen (SL). Die Schulleitungen befinden sich im Spannungsfeld aller drei Leistungssysteme: Als Leistungserbringende für den Kanton und die Gemeinde (Staat), als Vorgesetzte der Lehrpersonen (primäres System) und als operative Führung in ein an die Wirtschaft angelehntes Führungskonstrukt.

Nachdem ich nun die Schule in die drei Leistungssysteme eingeordnet habe, wende ich mich der Tätigkeit der Schulleitung zu.

Kann Schulleitung als eigenständiger Beruf bezeichnet werden?

In der Schweiz entscheiden die Verbände de facto, was ein Beruf ist und was nicht. Der Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz (VSLCH) hat im Jahr 2015 das Berufsleitbild Schulleitung verabschiedet. Darin stellt er einleitend fest:

Jede Profession im Bildungsbereich braucht ein Berufsleitbild. Ein Berufsleitbild gibt das Selbstverständnis einer Profession wieder (…) Schulleiterinnen und Schulleiter der Volksschule gehören einer jungen Profession an. Diese kann sich durch ein Berufsleitbild finden und profilieren – namentlich in kluger Abgrenzung zu Berufsfeldern, mit denen sie eng kooperiert: zum Lehrberuf, aber auch zu Führungsaufgaben in Verwaltung und Privatwirtschaft. (VSLCH, 2015, S.3)

Der VSLCH bezeichnet die Arbeit der Schulleitungen als junge Profession, die sich noch profilieren und abgrenzen muss. Dies ist insofern nachvollziehbar, als dass es in der Schweiz erst seit den 1990er-Jahren Schulleitungen auf der Stufe Volksschule gibt, welche zum Beispiel im Kanton Bern erst 2008 gesetzlich verankert wurden (Erziehungsdirektion des Kt. Bern, 2008).

De jure bestimmt das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), was ein in der Schweiz anerkannter Beruf ist. Für die Zulassung und Anerkennung von Lehrpersonen ist jedoch die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) zuständig (SBFI, o. J.). Weder das SBFI noch die EDK führen Schulleitung als eigenständigen Beruf auf, sondern als Zusatzbildung für Lehrpersonen (EDK, o. J.). Im Jahr 2009 hat die EDK ein Profil für die Zusatzausbildung von Schulleitungen erlassen, um gesamtschweizerisch die gleichen Qualitätsstandards einzufordern. Als Zulassungsvoraussetzung zur sogenannten „Schulleitungsausbildung“ gilt grundsätzlich das Lehrdiplom, eine fünfjährige Unterrichtserfahrung sowie eine Anstellung als Schulleitung (ebd. S.4).

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Schulleitung nach SBFI und EDK weder eine Profession noch ein Beruf. Das Berufsleitbild des VSLCH zeigt jedoch deutlich die Absicht auf die Schulleitung als eigenständigen Beruf zu etablieren. Ich schliesse mich dieser Sichtweise für den jetzigen Zeitpunkt an, sehe jedoch nicht nur einen Weg für die Zukunft der Schulleitungen.

Ein Blick in die Zukunft

Während die Volksschule das erste Mal in ihrer Geschichte eine Vorgesetztenrolle mit Personalverantwortung vor Ort implementiert hat, entwickelte sich parallel im Leistungssystem der Wirtschaft eine Strömung, welche Hierarchien abbaut. Die Bewegung setzte mit dem «Manifesto for Agile Software Development» von 2001 einen Grundstein und breitet sich seitdem über viele Arbeitsbereiche aus. Das agile, selbstorganisierte, sinnerfüllte Arbeiten ist unter der Bezeichnung «New Work» in aller Munde.

Die Basis dazu legte das Wirtschaftssystem, welches Effizienz und Leistungsorientierung einfordert und das primäre System, getrieben von intrinsischer Motivation und Vertrauenskultur. Gefühlt experimentieren viele Unternehmen und zunehmend auch Verwaltungen mit mehr Selbstverantwortung der Mitarbeitenden, weil es sich für die Organisationen, wie auch die Arbeitenden auszuzahlen scheint. Auf LinkedIn las ich letzthin einen Post von Nadja Petranovskaja, der mich nachdenklich machte.

Wenn es im «New Work» keine Führungspersonen mehr braucht, warum braucht es sie dann in Schulen? Irgendwie kommt es mir komisch vor, dass sich die Schule weg von den selbstorganisierten Kollegien hin zur Professionalisierung der Schulleitungen aufmacht, während in anderen Leistungssystemen ebendiese Funktion gerade aufgeweicht oder gar aufgelöst wird.

Welche Wege lassen sich aus den bisherigen Ausführungen skizzieren?

  1. Wenn die Schulleitung weiter professionalisiert wird, dann müsste sie erstmals de jure von der EDK als eigenständiger Beruf anerkannt werden. Dies würde eine berufsqualifizierende Ausbildung, also ein Masterstudium analog den Heilpädagoginnen und Heilpädagogen erforderlich machen, damit sich Interessierte angemessen auf die neue Tätigkeit vorbereiten könnten. Zudem wäre es wünschenswert die einst angedachte Autonomie der Einzelschulen im Bereich der finanziellen Führung und des Lehrplans auszubauen, wie es zum Beispiel in Finnland üblich ist (Domisch, 2009).
  2. Wenn Schulleitungen abgeschafft werden und sich die Kollegien wie vor 1990 wieder selbst führen, dann könnte die Ausbildung der Lehrpersonen mit Spezialisierungsmöglichkeit bereichert werden. Die Lehrpersonen würden sich dann nicht nur fürs Unterrichten, sondern eben auch für Themen wie Finanzen, Bau, Qualitätsmanagement, Schulentwicklung usw. qualifizieren. Dies würde die horizontalen Karrieremöglichkeiten von Lehrpersonen ausbauen und eine geteilte Führung ermöglichen. Dieser breite Führungsbegriff wird aktuell unter «Teacher Leadership» in nicht ganz so radikaler Form (inter-) national diskutiert.

Ich bin gespannt, welchen Weg der Beruf Schulleitung einschlagen wird. Egal wohin die Reise führt, mein grösstes Anliegen ist es, dass in allen Schulen das Lernen der Kinder unser Fokus bleibt.

Zur Autorin

Daniela Schädeli

Daniela Schädeli ist Schulleiterin der Primarschule Unterlangenegg/BE. Sie hat Bildungsmanagement und Erziehungswissenschaften studiert und schreibt aktuell am Kompetenzzentrum für Public Management der Uni Bern ihre Dissertation. Im Februar 2021 erscheint ihr Buch «Traumberuf Schulleitung. Auf Denkreise durch den Berufseinstieg».

Redaktion: Melina Maerten

Titelbild: keywest3 auf pixabay.com

Grafik: Daniela Schädeli

Bild im Lauftext: newwork.wondercards.world

Literatur:

Dick, M. (2016). Professionsentwicklung als Forschungs- und Handlungsfeld. In M. Dick, W. Marotzki, & H. Mieg (Hrsg.), Handbuch Professionsentwicklung (S. 9–24). Verlag Julius Klinkhardt.

Domisch, R. (2009). Keine Mythen, sondern fundierte Schulreformen: Die Lernerfolge finnischer Schüler aus der Perspektive des Finnischen Zentralamts für Unterrichtswesen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 12(4), 617–632. https://doi.org/10.1007/s11618-009-0100-4

Dubs, R. (2005). Die Führung einer Schule. Leadership und Management. Franz Steiner Verlag.

EDK Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. (o. J.). EDK-anerkannte Zertifikate. EDK Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. Abgerufen 16. August 2019, von http://www.edk.ch/dyn/13840.php

EDK Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. (2009). Profil für Zusatzausbildungen Schulleitung. EDK Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. https://edudoc.ch/record/35587/files/Prof_Zus_Schulleitung_d.pdf

Erziehungsdirektion des Kantons Bern. (2008). REVOS 08. Organisation und Schulführung. Umsetzungshilfe für Gemeinden. https://www.erz.be.ch/erz/de/index/kindergarten_volksschule/kindergarten_volksschule/schulkommissionenundgemeinden/schulkommissionen/dokumente.assetref/dam/documents/ERZ/AKVB/de/09_Schulleitungen_Lehrpersonen/sl_lp_informationsplattform_sl_organisation_und_schulf%C3%BChrung_d.pdf

Hangartner, J., & Svaton, C. J. (2013). From autonomy to quality management: NPM impacts on school governance in Switzerland. Journal of Educational Administration and History, 45:4, 354–369.

Heinzer, M. (2017). Schulsteuerung in der Gemeinde. Wie politische Kommissionen Schule führen. Verlag Julius Klinkhardt.

Hostettler, U., & Windlinger, R. (2016). Schulleitung—Profession und Forschung. In H. Hofmann, P. Hellmüller, & U. Hostettler (Hrsg.), Eine Schule leiten. Grundlagen und Praxis. (S. S.12-24). hep verlag ag.

Magno, C. S. (2013). Comparative perspectives on international Leadership. Policy, Preparation, and Practice. Routlege.

Malik, F. (2008). Die richtige Corporate Governance. Mit wirksamer Unternehmensaufsicht Komplexität meistern. Campus Verlag.

Mieg, H. A. (2016). Profession: Begriff, Merkmale, gesellschaftliche Bedeutung. In M. Dick, W. Marotzki, & H. Mieg (Hrsg.), Handbuch Professionsentwicklung (S. 27–40). Verlag Julius Klinkhardt.

Schädeli, D. (2020). «Einfach irgendwie funktionieren». Fallstudien zum Berufseinstieg von Schulleitungen im Kanton Bern. [Masterarbeit]. Universität Freiburg (CH).

Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI. (o. J.). Reglementierte Berufe und Merkblätter. Schweizerische Eidgenossenschaft. Abgerufen 16. August 2019, von https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/bildung/diploma/anerkennungsverfahren-bei-niederlassung/reglementierte-berufe.html

Strittmatter, A. (2010). Führen als Vertrag. Mentale Modelle und erprobte Instrumente für die Leitung von Schulen und anderen Organisationen. Schulverlag plus.

Vanderstraeten, R. (2007). Quasi-Professionalität. In N. Ricken (Hrsg.), Über die Verachtung der Pädagogik. Analysen—Materialien—Perspektiven. (S. 275–291). VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz VSLCH. (2015). Berufsleitbild Schulleitung. https://www.vslch.ch/index.php/beruf-schulleiterin/berufsbild

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