Schulleitungsmangel in der Deutschschweiz

Schulleitungsmangel auch in der Deutschschweiz

Immer deutlicher zeigt sich, dass wir auch in der deutschsprachigen Schweiz einen Schulleitungsmangel haben. Dieser wurde aufgrund einer Welle von Pensionierungen seit Langem vorausgesagt und scheint nun einzutreffen. Niels Anderegg mit einer Analyse, woran der Mangel liegen könnte.

Präsidentinnen und Präsidenten erzählen immer häufiger, wie schwierig es ist, eine gut qualifizierte Schulleitungsperson zu finden. Zwar bewerben sich immer einige Personen auf ausgeschriebene Stellen, wenn man dann jedoch die Bewerbungen durchsieht, dann ist kaum eine Person darunter, welche für die Stelle infrage käme. Insofern muss man vielleicht nicht von einem Schulleitungsmangel sprechen, sondern eher davon, dass es zu wenige wählbare Bewerberinnen und Bewerber gibt.

Auch bei uns im Zentrum Management und Leadership an der PH Zürich beschäftigt uns der Schulleitungsmangel. In unserer Analyse sind wir auf die folgenden Punkte gekommen, welche mit dem Mangel zusammenhängen beziehungsweise Wege aus dem Mangel aufzeigen könnten.

Schulleitung als eigenständige Profession

Als um die Jahrtausendwende in der deutschsprachigen Schweiz Schulleitungen an den Volksschulen eingeführt wurden, gab es eine intensive Diskussion darüber, ob die Schulleitung in die Profession der Lehrpersonen gehört oder eine eigenständige Profession darstellt. In der deutschsprachigen Schweiz hat sich Zweites durchgesetzt. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass sie mit dem Verband der Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz (VSLCH) einen eigenen Berufsverband haben und nicht eine Sektion des Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) sind. Oder dass in einzelnen Kantonen auch Nicht-Lehrpersonen Schulleiterinnen und Schulleiter werden können, ist ein weiteres Indiz.

Ich halte diese Richtung für korrekt, denn zu unterrichten ist etwas ganz anderes, als eine Schule zu leiten. Und das meine ich nicht wertend: Es sind zwei Tätigkeiten, welche nebeneinanderstehen, viel voneinander wissen müssen, jedoch wenig miteinander zu tun haben. Als Schulleiterin oder Schulleiter muss ich unter anderem wissen, was ein guter Unterricht ist und wie ich in meiner Funktion diesen unterstützen kann. Ich muss jedoch nicht unterrichten und auch nicht der Meinung sein, dass ich dies könnte oder weiss, wie man es richtig macht. Schulleitungen sind keine Oberlehrerinnen und Oberlehrer, sondern für die Führung einer Bildungsorganisation verantwortlich. Und Lehrerinnen und Lehrer – auch Teacher Leaders – sind keine Mini-Schulleitungen, sondern beherrschen die Kunst des Unterrichtens.

Ein solches Verständnis benötigt zwei unterschiedliche Professionen und es genügt heute nicht mehr nach der Ausbildung zur Lehrerin, zum Lehrer – oder was auch immer – noch einen Weiterbildungslehrgang mit 15 ECTS-Punkten zu absolvieren, um eine Schule zu leiten. Schulleitung als eigenständige Profession braucht eine entsprechende, eigenständige Ausbildung auf Ebene eines Masters. International ist dies unterdessen in den meisten Ländern Standard und viele Schulleitungen schliessen ihre Ausbildung auf universitärem Masterniveau ab. Im deutschsprachigen Raum geht gerade Österreich diesen Weg (wir werden in einem der nächsten Blogs darüber berichten). In Deutschland und in der Schweiz sind wir nicht so weit, wobei ich denke, dass die Schweiz diesen Weg sehr bald auch geht. Mittlerweile gibt es verschiedene Zeichen, welche in diese Richtung weisen.

Von einem Tag auf den anderen: Schulleiterin, Schulleiter

Offiziell leben wir in der deutschsprachigen Schweiz immer noch das System, dass man entweder Lehrerin, Lehrer oder Schulleiterin, Schulleiter ist. Wenn man in die Schulleitung einsteigen will, dann unterrichtet man bis Mitte Juli, geht dann in die Sommerferien (oder auch nicht) und ist dann nach den Sommerferien Schulleiterin, Schulleiter. Gleichzeitig mit diesem Einstieg absolviert man noch während zwei Jahren die Schulleitungsausbildung. Dass ein solcher Wechsel und Start in eine neue Funktion viele abschreckt und andere scheitern lässt, überrascht nicht. In der Praxis ist es deshalb häufig bereits so, dass Lehrerinnen und Lehrer erste Führungsfunktionen oder -aufgaben übernehmen, die Schulleitungsausbildung absolvieren und dann schrittweise in die Schulleitung einsteigen.

Wenn sich mehr gut qualifizierte und ausgebildete Personen auf Schulleitungsstellen bewerben sollen, dann müssen wir früher investieren und Personen langfristig in ihrer Laufbahn begleiten. In Schottland ist dies beispielsweise eine Selbstverständlichkeit. Ein Schulleiter erzählte uns, dass er immer bei den jüngeren Lehrerinnen und Lehrer schaut, welche allenfalls für eine Führungsfunktion infrage kommt und diese dann fördert. So übernimmt eine Lehrerin ein Projekt, ein Lehrer leitet eine Arbeitsgruppe. Parallel dazu erhalten sie die für diese Aufgabe nötige Ausbildung und damit Werkzeuge, damit sie die Führungsfunktion gut ausfüllen können.

Mit der Zeit zeigt sich, welche Personen für welche Aufgaben geeignet sind. Mögliche Kandidatinnen und Kandidaten für eine Schulleitung werden dann zu Stufenleitungen oder Ähnlichem ernannt und steigen damit auch in die Schulleitungsausbildung ein. Schrittweise werden die Personen so an die Führungsaufgabe herangeführt und können erste Erfahrungen machen. Dies bedingt jedoch ein modularer Aufbau der Ausbildung und ein entsprechendes Verständnis der Schulbehörden und der Kantone.

Dass wir uns im Zentrum Management und Leadership momentan stark um das Thema Teacher Leadership beschäftigen, hat auch damit zu tun. Teacher Leadership kann -muss aber nicht – ein erster Schritt in Richtung Schulleitung sein. Momentan sind wir daran für die Teacher Leaders Ausbildungsmodule zu entwickeln, welche ihnen das nötige Rüstzeug für ihre Aufgabe geben und gleichzeitig mit der Schulleitungsausbildung kompatibel sind und angerechnet werden können. Wir hoffen im Sommer 2021 damit starten zu können.

Warum auch Bänkerinnen Schulleiterinnen werden können

Wenn Schulleitung eine eigene Profession ist und auch Führungspersonen aus anderen Branchen Schulleiterinnen und Schulleiter werden können, dann sollte man diese Chance nutzen. Eine Bänkerin bringt zwar deutlich anderes Wissen und Kompetenzen mit als eine Primarlehrerin, aber warum sollen nicht beide gute Schulleiterinnen werden? Ich bin überzeugt, dass es sich sehr lohnt, auch in die Ausbildung von Personen ohne Lehrdiplom zu investieren. Der Gewinn, den QUEST-Lehrpersonen in die Klassenzimmer und Schulhäuser gebracht haben, kann auch durch quereinsteigende Schulleiterinnen und -leiter kommen. Wichtig ist, dass sie sorgfältig auf das neue Tätigkeitsfeld, auf die Kultur und Spezialitäten des Bildungswesens eingeführt werden, um dann ihr Wissen und Können auch entsprechend adaptieren zu können.

Auch hier sind wir als Zentrum momentan am Entwickeln und hoffen, dass wir im Sommer 2021 einen Lehrgang für Führungspersonen ohne Lehrdiplom anbieten können. Diesen sollen Führungspersonen aus nicht Bildungsorganisationen absolvieren können, ihre Eignung abklären und sich dann allenfalls auf eine Schulleitungsstelle bewerben. Dieser neue Lehrgang soll nicht die Schulleitungsausbildung ersetzen, sondern eine Heranführung und Eignungsabklärung für Quereinsteigende sein. Dies in der Hoffnung, dass die Schulpflege dann einfacher auch Personen ohne Lehrdiplom anstellen kann. Oder wie es eine Schulpräsidentin einmal ausgedrückt hat: «Wie soll ich wissen, ob der sich bewerbende Gärtner als Schulleiter eignet?».

Wer eignet sich als Schulleiterin, Schulleiter?

Damit sind wir beim nächsten und vorerst letzten Punkt: der Frage nach der Eignung. Im Kanton Zürich entscheidet momentan die Schulpflege darüber, ob eine Person sich als Schulleiterin, als Schulleiter eignet. Wenn jemand durch eine Schulpflege angestellt ist – und studierfähig ist – hat die Person das Recht, in die Schulleitungsausbildung aufgenommen zu werden. Während der Ausbildung findet eine intensive Auseinandersetzung mit den einzelnen Personen und deren Fähigkeiten und Kompetenzen statt. Eine formelle Eignungsabklärung, wie sie beispielsweise die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer kennt, gibt es jedoch nicht.

Hier scheint mir ein Mangel zu bestehen, wobei ich die Lösung noch nicht kenne. Wir sind momentan daran, eine Auslegeordnung zu machen und zu schauen, welche Lösungen es für dieses Problem geben könnte. Unter anderem möchten wir eine Untersuchung bei den Schulpflegen durchführen, um mehr über deren Praxis bei der Auswahl von Schulleitungen zu erfahren und zu verstehen, wie diese ausgestaltet werden. Persönlich kann ich mir vorstellen, dass eine Lösung ein Kompetenzmodell ist, entlang dem in diskursiven Prozessen immer wieder die Stärken und Entwicklungsfelder von Führungspersonen herausgearbeitet werden.

Weiterdenken

Gut 20 Jahre nach der Einführung von Schulleitungen an den Volksschulen in der deutschsprachigen Schweiz scheint mir eine gute Zeit zu sein, um wieder einmal grundsätzlich über die Profession der Führungspersonen von und in Bildungsorganisationen nachzudenken und miteinander zu diskutieren. Der Schulleitungsmangel kann ein guter Anlass dafür sein, damit Politik, Praxis und Wissenschaft in einen Dialog treten, um gemeinsam – jeder in und nach seiner Art – die Profession weiter zu entwickeln. In diesem Sinne ist dieser Einblick in meine Gedanken und unsere Entwicklungen gedacht und ich freue mich, wenn der Beitrag Reaktionen und Diskussionen auslöst.

Infobox: Das Zentrum Management und Leadership an der Pädagogische Hochschule Zürich ist für die Aus- und Weiterbildung, Beratung und Dienstleistungen von Führungspersonen in Bildungsorganisationen verantwortlich und forscht auch in diesem Bereich. Die Schulleitungsausbildung, der CAS Führen einer Bildungsorganisation, aber auch der MAS-Studiengang Bildungsmanagement sind Teil eines umfassenden, spezifischen Angebots für Führungspersonen.

Zum Autor

Niels Anderegg leitet das Zentrum Management und Leadership an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Er lehrt und forscht im Bereich Pädagogische Schulführung und Professionalisierung von Führungspersonen von und in Bildungsorganisation. Zusammen mit Nina-Cathrin Strauss ist er Herausgeber des Buchs «Teacher Leadership – Schule gemeinschaftlich führen», welches im November im hep-Verlag erscheint. Zusammen mit Anne Köker gibt er zudem das Heft «Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrer» der Zeitschrift «Lernende Schule» heraus, welches im Juni 2021 erscheint.

Redaktion: Melina Maerten

Titelbild: zVg

Ein Gedanke zu „Schulleitungsmangel auch in der Deutschschweiz“

  1. Lieber Niels

    Ein toller Artikel und es steckt wahrhaft eine Menge drin. Auch ich fordere seit Längerem schon, dass der Beruf Schulleiter*in eine Professionalisierung benötigt, im Sinne von frühzeitiger Förderung aus dem Schulpersonal heraus. Wenn man Berufskollegen fördert und fordert, ihnen Funktionen überträgt, die zu ihnen passen und wo sie sich engagieren wollen, dann betreibt man schon Personalentwicklung. Und die ist auch eine der wichtigen Aufgaben der SL. LP und SL müssen eng zusammen arbeiten und transparent, damit Bildung in der Schule gelingen kann. Es geht darum Schnittflächen zu erzeugen, damit beide nicht nebeneinander herlaufen und sich nur selten begegnen. Da sind wir dann schon tief in der Struktur drin. Per se finde ich es deshalb sehr gut, wenn sie aus dem bestehenden Lehrpersonen-Team kommen, denn dann stimmt die Basis für die gemeinsame Arbeit. Die Möglichkeit mit der Tätigkeit die SL-Ausbildung noch zu machen finde ich wirklich gut. Vergleicht man dies mit anderen deutschsprachigen Ländern, dann ist es bereits eine moderne und professionelle Lösung. So hat man doch die Möglichkeit an und in seinen Aufgaben zu wachsen.
    Bedenken habe ich beim „Gärtner“ oder „Bänker“ als möglichen SL. Darf man dabei nicht vergessen, dass man von Amts wegen einen Auftrag hat und der setzt bestimmte Kompetenzen voraus. Können sie dem gerecht werden? Wie lange dauert die Ausbildung dann? Gibt es eine gesellschaftliche Akzeptanz?

    Aber der Beruf verlangt noch viel mehr, auch auf anderen Ebenen. Es gibt viel zu organisieren im Schulalltag, immer mit Blick auf das Schulrecht, auf strategische Ziele und deren Umsetzbarkeit usw. (hier wird es deutlich amtlich…)
    Schulentwicklung zu betreiben erfordert sehr viel Übersicht und auch Umsicht in den komplexen Strukturen einer Schule. Kann ein „Fachfremder“ das leisten?
    Dass man Möglichkeiten anbieten sollte in Mangelzeiten, ist wichtig und richtig. Aber ich kenne auch SL, die eine deutliche Tendenz haben ihre Position alleine auszusitzen und Potentiale im Team nicht wahrzunehmen. Das ist für beide schrecklich und führt meist zum bitteren Ende.
    Müssen wir nicht auch hier den Hebel ansetzen, um einen Mangel zu beheben?
    Ich selbst mache beste Erfahrungen mit einer Öffnung und der Aufforderung zu partizipieren und sich zu engagieren.
    Diese Position SL verlangt den Menschen viel ab, persönlich und professionell, aber wir dürfen und müssen auch den „Elfenbeinturm“ verlassen und aktiv Ressourcen aus dem Team holen.

    So habe ich also den Denkhut schon auf und danke dir für einen inspirierenden Artikel! Top!

    Herzliche Grüsse, Susanne

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