Führen in der Krise – Wie der Blick in die Theaterwelt Schulleitende bereichern kann

Daniel Rohr, Schauspieler, Regisseur und seit 2004 mit grossem Erfolg Leiter des Theaters Rigiblick, widmet sich mit Leidenschaft seinen Aufgaben. In der Corona-Krise, welche die Kunstszene mit starker Wucht traf, sind Leitungspersonen besonders gefragt, ihre Führungsaufgaben proaktiv, klar und sensibel wahrzunehmen. Wie Daniel Rohr dies gelang und welche Elemente sich in die Schule übertragen lassen, ist aus einem Zoom-Interview mit Heike Beuschlein herauszulesen.

Herr Rohr, ich war in einer Ihrer ersten Veranstaltungen nach dem Lockdown. Es berührte mich, mit welchen wertschätzenden Worten Sie sich nach der Aufführung bei Ihrem Team und einzelnen Schlüsselpersonen bedankten. Wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zu Ihrem Team?

Das Theater Rigiblick hat eine sehr sehr flache Hierarchie und ich habe das grosse Glück, dass ich keinen gewaltigen Apparat habe und dass ich sehr nahe an den Menschen bin, die hier arbeiten. Wenn man den Teamgedanken ausweitet, sind ja auch die Künstlerinnen und Künstler Teils des Teams. Weil ich mit allen in engem Kontakt bin, konnte ich diese auch schützen. Wir richteten z.B. einen Corona-Hilfsfond ein. Das Verhältnis zu allen ist sehr eng, es ist sehr familiär, es ist von einem grossen Vertrauen geprägt. Das liegt nicht nur an mir. Als Team ist man nur so stark, wie das schwächste Glied in der Kette. Ich habe das grosse Glück, dass auch meine Stellvertreterin in die gleiche Richtung geht. Wir sind immer dabei unsere menschlichen Grundsätze weiterzugeben: Humanismus, gute Werte und Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft. Das ist das, was man von aussen spürt, dass das Team sehr eng verzahnt ist und dass wir die Menschen danach gut auswählen können. Bei uns ist der Teamgedanke sehr sehr sehr gross. Und das ist gegenseitig, von einer grossen Solidarität getragen. Jeder springt jederzeit für jeden ein. Ich geniesse eine grosse Akzeptanz auch von den Jungen und lasse mich jederzeit von den Jungen inspirieren. Das ist schon ein grosses Geschenk.

Der Lockdown im März war ein Schock für viele. Die Kunstszene traf es besonders. Was waren damals Ihre ersten Massnahmen?

Ich griff als allererstes zum Hörer und rief die über hundert hier arbeitenden Künstlerinnen und Künstler an. Diese Aktion nahm vier Tage in Anspruch, denn ich rief wirklich alle an, auch die sogenannten Substituts. Ich sagte Ihnen: «Passt auf, das ist jetzt eine schwierige Situation, aber ich habe immer so von eurer Solidarität, von eurer guten Arbeit profitiert, jetzt ist es an uns, euch zu schützen». Danach rief ich unsere Mäzeninnen und Mäzenen an und sagte zu ihnen: «Jetzt ist es an euch, uns zu unterstützen». Das funktionierte gut. Wir hatten schon einen Plan für ein Benefizkonzert, für welches wir eine Eingabe beim Kanton gemacht hatten. Das schaffte Vertrauen. Es gibt immer einige Personen, die durchs Netz fallen. Uns gelang es, diese aufzufangen.

Wie konnten Sie Ihr Team, aber auch selbständige KünstlerInnen, mit denen Sie arbeiten, über die Wochen hinweg «bei der Stange halten», sie trotz grosser Unsicherheit nachhaltig motivieren?

Ich war immer in Kontakt mit allen. Ich hatte das grosse Privileg im Garten meines schönen alten Bauernhauses zu arbeiten, aber ich war fast jeden Tag in meinem Büro hier vor Ort. Dass alle an einem Strang ziehen und sich gegenseitig stützen, ist symbolisch für uns im Theater Rigiblick. Deswegen war es mir auch wichtig, das Vertrauen weiterhin aufrecht zu erhalten in dieser Zeit. Und dass alle spüren, hey, der Dani ist jetzt Papa und die Brigitta ist jetzt Mama, und die sind jetzt für uns da. Ich meine das im Sinne der Sache. Mir ist es wichtig, dass wir eine gute Stimmung haben und aus dieser guten Stimmung heraus ist man bereit, mehr zu leisten. Und dann bin ich auch bereit, mehr zu leisten. Wenn das personalisiert ist und die Menschen merken, ich bin gemeint. Dann sind die Menschen bereit, hier zu arbeiten, auch wenn sie merken, woanders verdient man 200 CHF mehr, einfach, weil es hier Spass macht.

Sie schaffen und erschaffen immer wieder neue Rollen, neue Szenarien. Auch Schulen müssen in dieser Zeit kreative Lösungen finden, ihre Performance gestalten und dabei alle Beteiligten mitnehmen. Was von dem, wie Sie im Theater Rigiblick diese Problemsituation gestaltet und gemeistert haben, könnte auch für eine Schule wichtig sein?

Es gibt ein Gesetz in der der Physik, das überall gilt: Die Energie, die ich reinstecke, die kommt auch wieder raus. Da glaube ich felsenfest daran. Ich glaube, wenn ich als Lehrerin oder Lehrer bereit bin, viel in die Kinder, in die Schule, in die Ausbildung zu stecken und wenn ich interessiert an dem bin, was ich mache, dann kommt von den Kindern, den Jugendlichen so viel mehr zurück und dann geht man gerne. Und man hat ja auch immer Gleichgesinnte, mit denen man gemeinsam entwickeln kann. Und es ist ja dann auch spannender, den Beruf auszuüben. Antonio Gramcsci, Gründer der italienischen kommunistischen Partei sagte «Pessimismus der Intelligenz, Optimismus der Tat», das habe ich mir während der Corona-Phase gesagt: Wir befürchten das Schlimmste, aber wir machen das Beste daraus.

Was geben Sie aus Ihrer persönlichen Sicht als Führungsperson Schulleitenden mit auf den Weg?

Ich glaube, das Zuhören ist wichtiger als das Erzählen. Es ist vermessen, dass ich etwas mitgeben kann. Aber ich stelle mir vor, dass man ausgleichen können muss. Da sind unterschiedliche Menschen, da sind unterschiedliche Ansätze. Da muss man viel vermitteln. Aber das ist hier auch der Fall. Kürzlich fragten wir uns in einer Sitzung: Was machen wir mit Corona? Da sass das ganze Team zusammen. Allen stand ein Slot von 3 oder 4 Minuten zur Verfügung. Sie konnten einbringen, wie sie damit umzugehen gedenken. Es kamen super Inputs. Und dann kann ich immer noch sagen, das nehmen wir, das nehmen wir nicht.

Zur Autorin

Heike Beuschlein setzt sich als Dozentin und Beraterin in unterschiedlichen Kontexten mit Fragen zur Schulführung, Schulentwicklung und Kommunikation auseinander. Sie ist Lehrgangsleiterin des CAS Führen einer Bildungsorganisation (Schulleitungsausbildung), leitet den DAS Schulführung Advanced und organisiert im Tandem jährlich eine Studienreise für Führungspersonen.

Redaktion: Jörg Berger

Titelbild: zVg

Die Schäli-Elf – Teil 3/4

In unserer vierteiligen Serie zur Fussball-WM gibt Beat Schäli, Rektor der Schule Walchwil Einblick in seine Führungsphilosophie. In den ersten beiden Teilen wurde die Fehlerkultur im Tor und die Verteidigungspositionen «Vorbild – Ziele – Expertenrat – Regeln» vorgestellt. Hier folgen Akteure im Mittelfeld:

Sie haben einen Teil verpasst? Lesen Sie gleich hier nach und erfahren Sie mehr über die Parallelen von Fussballtrainern und Schulleitern. Die Schäli-Elf – Teil 1/4 und 2/4

Mittelfeld: Enthusiasmus – Mensch – Teamgeist – Timing

„Ich esse Fussball, ich schlafe Fussball, ich atme Fussball. Ich bin nicht verrückt, nur leidenschaftlich.“

Thierry Henry

Man kann sowohl Einfluss in die Offensive, wie auch in die Defensive ausüben. Enthusiasmus, Mensch, Teamgeist und Timing bilden in der Schäli-Elf diese Schaltzentrale.

 Enthusiasmus: Es sind doch genau die Dinge, welche ich mit Begeisterung ausübe, welche schlussendlich zu Fortschritten führen. Schon von Kindesbeinen an begegnet man dieser untrüglichen Regel. Sei es beim Erlernen einer Sportart oder der ersten Fremdsprache in der Schule.

Und deswegen ist es eminent wichtig, dass die Führungsperson mit diesem Feuer in sich voranschreitet und andere mitziehen und motivieren kann. Klopp und Guardiola leben von diesen Emotionen, wo sie bei Löw und vor allem Hitzfeld eher versteckt zur Geltung kommen. Wenn man Jürgen Klopp während eines Spiels an der Aussenlinie beobachtet, sein Haareraufen bei einer missglückten Aktion, die gelösten Luftsprünge bei einem Tor, merkt man, dass das System von Klopp Hand in Hand mit Enthusiasmus geht.

Ich muss vom Sinn meiner Arbeit überzeugt sein, sonst kann ich nicht motivieren. Wenn ich das nicht mehr kann, muss ich einen Ort, eine Beschäftigung finden, wo ich das wieder kann. Oder in den Worten von Guardiola: „Wenn ich sehe, dass die Augen meiner Spieler nicht mehr glänzen, ist es Zeit für mich, zu gehen.“

 Mensch: Er steht im Mittelpunkt. Immer und überall. Führungskräfte benötigen Menschen. Denn erfolgreiche Chefs verbindet sicher eines: Es gab Menschen, die ihnen folgten. Es gab Menschen, die hinter ihnen standen und somit „Ja“ zu ihnen sagten und sich eine Verbesserung ihrer Leistungen und somit ihrer Lebensqualität versprachen. Deshalb anerkannte man sie als Führungskräfte.

Was mir an der Pädagogik gefällt, ist, dass man es immer mit Menschen zu tun hat. Sei es mit den Kindern, den Lehrpersonen, den Eltern oder auch mit beratenden und bestimmenden Gremien. Was alle vier Trainer erwähnen ist die Zeit. Die Zeit für Herzlichkeit und echtes Interesse. Kontakt, Herzlichkeit und Wärme sind im Umgang mit Menschen unverzichtbar.

Die Aufgabe der Führung ist es Menschen zu befähigen, gemeinsam Leistungen zu erbringen, ihre Stärken wirkungsvoll und ihre Schwächen unwesentlich zu machen. Jeder Mensch hat seine einzigartigen Eigenschaften, die ihn von anderen unterscheiden. Als Schulleiter kann ich, wenn ich mir den jeweiligen Stärken der einzelnen Lehrpersonen bewusst bin, ungeahnte Leistungen freisetzen.

Gerade in der Führung ist es wichtig, dass man sich der menschlichen Wechselwirkung bewusst ist. Guardiola betont, dass wir in unserem Job, und das gilt sowohl für die Trainergilde, als auch für Schulleitungen, einerseits über den Spielern bzw. Lehrpersonen stehen, andererseits auch unter ihnen, weil wir von ihnen abhängig sind.

 Teamgeist: Im Zentrum jedes Trainers bzw. Schulleiters Tätigkeit steht das Team. Die Zusammensetzung der Mannschaft bzw. des Lehrer/innenteams, ihre Leistungsbereitschaft und die Stimmung sind die entscheidenden Faktoren, welche über Niederlage oder hoffentlich eben Sieg bzw. Schulqualität entscheiden.  Wer als Trainer oder Schulleiter sein Team nicht hinter sich hat, ist verloren.

Guardiola, Hitzfeld, Klopp und Löw verbindet, dass es ihnen immer wieder gelungen ist, das Team hinter sich zu bringen. Ihnen ist bewusst, dass man Grosses nur gemeinsam erreichen kann. Dieses Gefühl des gemeinsamen Erfolges ist unbezahlbar. Deswegen dürfen oder sogar besser gesagt sollen solche Momente auch gefeiert werden. In der Schule gibt es immer wieder Anlässe, welche sich dazu eignen.

Timing: Es gilt einen wohlüberlegten Start und dann auch den richtigen Abgang zu finden. Hier gibt es keine Zeitvorgaben.

Pep Guardiola war immer der Ansicht, dass alles damit beginnt, dass man nach dem Ausschau hält, was man wirklich mag. So etwas zu finden ist das Wesentliche, das allem anderen zugrunde liegt. So wurde er von Spaniens Torhüterlegende Zubizaretta  nach seiner ersten, erfolgreichen Trainersaison bei Barcelona bei einem Abendessen daran erinnert, dass sein Job mit einem Verfallsdatum versehen war.

Der Bestseller-Autor Bernhard Moestl zitiert in einem Buch einen unbekannten Verfasser: „Es ist besser, als stur kritisiert zu werden und seine Vorstellungen verwirklicht zu haben, als von anderen für Rücksicht und Einsicht gelobt zu werden, aber auf halbem Wege einen bequemen Kompromiss eingegangen zu sein.“

Beat Schäli, Rektor Schule Walchwil ZG

Im nächsten und letzten Teil werden die beiden Sturmspitzen vorgestellt. Verpassen Sie nichts und folgen Sie dem Blog Schulführung!

Und hier gehts zur kompletten Forschungsarbeit: Die Schäli-Elf