Schulpsychologischen Diensten kommt im Rahmen des Entscheids über sonderpädagogische Massnahmen eine erhebliche Bedeutung zu. Sie verfassen nach Abschluss ihrer Abklärungen einen Bericht, der seinem Aufbau nach die Ausgangslage, die empfohlenen Massnahmen (Art und Umfang) sowie die Kostenfolgen beinhaltet. Diese Berichte bilden neben anderen Dokumenten die Basis dafür, dass die Schulpflege als politisch zusammengesetzte Laienbehörde in die Lage versetzt wird, sonderpädagogische Massnahmen, die oft mit Kostenfolgen für die Gemeinde verbunden sind, durch Mehrheitsbeschluss bewilligen zu können. Was aber, wenn sich Erziehungsberechtigte nicht einverstanden erklären, dass ihr Kind durch den regional verankerten schulpsychologischen Dienst abgeklärt wird? Thomas Bucher klärt auf.
Die vierte Abteilung des Verwaltungsgerichts Zürich hatte eine solche Konstellation im Zusammenhang mit einem Schüler, der im Rahmen einer integrierten Sonderschulung in der Verantwortung der Heilpädagogischen Schule Zürich 2021/2022 die 2. Primarklasse besuchte, zu beurteilen (VB.2022.00361).
Mittels Verfügung beauftragte eine Kreisschulbehörde der Stadt Zürich den schulpsychologischen Dienst der Stadt Zürich, den Förderbedarf des Buben abzuklären. Im Zentrum stand die Frage, mit welchen sonderpädagogischen Massnahmen beziehungsweise mit welcher Form der Sonderschulung (integriert / separiert) er in seiner schulischen Entwicklung ab Beginn des Schuljahres 2022/23 bestmöglich unterstützt werden könne.
Gegen diese Verfügung führten die Eltern des Knaben Rekurs beim Bezirksrat Zürich. Dieser wies den Rekurs mittels Beschluss ab. In der Folge führten die Eltern Beschwerde beim Verwaltungsgericht und beantragten, die Verfügung der Kreisschulbehörde sei ersatzlos aufzuheben.
Unabhängig vom geschilderten Fall ist fort folgend zu klären, welche gesetzlichen Grundlagen dem Verfahren über sonderpädagogischen Massnahmen im Kanton Zürich zugrunde liegen.
Bereits aus Verfassungs- und Bundesrecht geht hervor, dass Kantone in der Pflicht stehen, Bestimmungen über sonderpädagogischen Massnahmen und Sonderschulen zu erlassen (Art. 62 Abs. 3 der Schweizerischen Bundesverfassung vom 18. April 1999 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 des Behindertengleichstellungsgesetzes vom 13. Dezember 2002).
Sonderpädagogische Massnahmen
Der Kanton Zürich kommt diesem Auftrag durch die Paragrafen 33–40 des Volksschulgesetzes vom 7. Februar 2005 (VSG, LS 412.100) nach. Handlungsleitend in der Schulpraxis sind zudem die Bestimmungen in der Verordnung über sonderpädagogische Massnahmen vom 11. Juli 2007 (VSM, LS 412.103).
§ 33 Abs. 1 VSG sieht sonderpädagogische Massnahmen für Schüler:innen mit sogenannt besonderen pädagogischen Bedürfnissen vor. Besondere pädagogische Bedürfnisse liegen dann vor, wenn die schulische Förderung des Kindes in der Regelklasse allein nicht erbracht werden kann (§ 2 Abs. 1 VSM). § 2 Abs. 2 VSM bezeichnet ausgeprägte Begabung, Leistungsschwäche, das Erlernen von Deutsch als Zweitsprache, auffällige Verhaltensweisen oder Behinderungen als besondere pädagogische Bedürfnisse.
Die verschiedenen Arten sonderpädagogischer Massnahmen werden unter § 34 Abs. 1 VSG enumeriert. Genannt werden in abschliessender Aufzählung: Integrative Förderung, Therapie, Aufnahmeunterricht, Besondere Klassen und die Sonderschulung. Definitorisch umrissen werden die Massnahmen in § 34 Abs. 2-6 VSG. Zum obligatorischen Gemeindeangebot gehören nach § 35 VSG die Integrative Förderung, Therapien, der Aufnahmeunterricht und die Sonderschulung. Zum freiwilligen Angebot gehört mit Stand heute das Führen sog. Besonderer Klassen. Bestimmungen über die Sonderschulung (integriert oder separiert) finden sich in den §§ 36 und 36a. VSG.
Standortbestimmung
Zu Beginn einer jeden in Erwägung gezogenen sonderpädagogischen Massnahme steht gemäss
§ 24 Abs. 1 VSG eine Standortbestimmung. Diese wird durch ein formalisiert stattfindendes Standortgespräch umgesetzt und es sind nach § 24 Abs. 2 VSG zwingend der Förderbedarf und die Förderziele zu thematisieren und schriftlich festzuhalten. Eine Standortbestimmung ist auf Antrag der Lehrpersonen oder des erziehungsberechtigten Elternteils vorzunehmen. Soweit nicht Alter oder andere wichtige Gründe dagegenstehen, ist das von der Massnahme betroffene Kind nach § 50 Abs. 3 VSG am Entscheid zu beteiligen. Dem Kind stehen demnach Anhörungs- und Mitspracherechte zu. Erziehungsberechtigte wiederum triff eine Mitwirkungspflicht gestützt auf § 56 Abs. 1 VSG.
Zuweisung im Konsensverfahren
Das Zuweisungsverfahren zu sonderpädagogischen Massnahmen ist, wie auch das über die Schullaufbahnentscheide, in erster Linie auf Konsens ausgerichtet und misst der Mitsprache der Erziehungsberechtigten grosses Gewicht bei (Reto Allenspach, in: Susanne Raess/Thomas Bucher/Matthias Schweizer (Hrsg.), Schulrecht des Kantons Zürich, N 3.404). Wie erwähnt, ist die Entscheidung über sonderpädagogische Massnahmen nach § 37 Abs. 1 VSG von Eltern, der Lehrperson und der Schulleitung gemeinsam zu treffen. Bei der Zuweisung zu einer Sonderschulung ist zudem die Zustimmung der Schulpflege erforderlich (§ 37 Abs. 2 VSG).
Verfahren im Falle eines Dissens
Wenn, wie im zu Beginn geschilderten Fall erwähnt, keine Einigung zwischen Eltern, der Lehrperson und der Schulleitung zustande kommt – also ein Dissens trotz Einigungsbemühungen verbleibt – oder aber Unklarheiten bestehen, ist gemäss § 38 Abs. 1 Satz 1 eine schulpsychologische Abklärung durchzuführen. Nach § 38 Abs. 1 Satz 2 «kann eine schulpsychologische Abklärung auch gegen den Willen der Eltern angeordnet werden». § 38 Abs. 3 VSG sieht zudem vor, dass weitere Fachleute beigezogen werden können, was bei logopädischen oder medizinischen sowie medizinisch-psychiatrischen Fragestellungen regelmässig der Fall ist.
Wenn nach (allenfalls auch gegen den Willen der Erziehungsberechtigten) durchgeführter schulpsychologischer Abklärung unter den Beteiligten (weiterhin) keine Einigung erzielt werden kann, entscheidet nach § 39 VSG Satz 1 die Schulpflege. Diese berücksichtigt neben allen dem Dossier beiliegenden Gutachten und Fachberichten gemäss § 39 Satz 2 VSG das Kindeswohl und die Auswirkungen auf den Schulbetrieb.
Zum Autor
Thomas Bucher arbeitet als Dozent für Schulrecht an der PH Zürich. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Schulrecht, allgemeines Verwaltungsrecht, Personalrecht und Schweizerisches Arbeitsrecht.
Redaktion: Melina Maerten
Beitragsbild: Bildarchiv PHZH