Kreative Idee als Erfolgsfaktor für Führung

Erkennen von Gelegenheiten und Kreativität als wesentliche Erfolgsfaktoren von Führung

Am 27. März 2024 fand zum Thema «Entrepreneurship» ein Web-Dialog im Rahmen vom Webjournal #schule-verantworten statt. Niels Anderegg war dabei und ihm wurde beim Zuhören bewusst, wie wichtig das Erkennen von Gelegenheiten und der kreative Umgang mit diesen Situationen für das Führen von und in Bildungsorganisationen ist.

Inhaltlich gestaltet wurde der Web-Dialog von Michaela Tscherne von der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich, welche wissenschaftliche Modelle und Erkenntnisse präsentierte. Ulrike Schleicher, Schulleiterin an einer Berufsschule in Österreich, und Stefanie de Buhr, Schulleiterin an einer Primarschule in der Schweiz, berichtete aus ihrer Praxis.

Ein wesentliches Element von Führung als Entrepreneurship ist das Erkennen und Nutzen von Gelegenheiten. Auch in unserem eigenen Forschungsprojekt, in dem wir das Führungshandeln der Schulleitungen von Schulen, die mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet sind, untersuchten, zeigte sich, dass Schulleiter:innen von pädagogisch erfolgreichen Schulen unterschiedliche Möglichkeiten finden, um das Lernen der Schüler:innen und aller an der Schule Beteiligten zu fördern. Oder um es mit Facetten erfolgreicher Schulführung zu beschreiben, die wir im Projekt ausgearbeitet haben: Schulleiter:innen «überblicken» ihre Schule, sind «aufmerksam», um einzelnen Elementen «Bedeutung [zu]geben», damit sich Schulen dem sinnhaften Zweck – in der englischen Literatur wird meist vom «moral purpose» gesprochen – entsprechend weiterentwickeln.

Stefanie de Buhr hat im Web-Dialog den aus dem Leanmanagement entlehnten Begriff des «reduce waste» benutzt. Für ihren Alltag als Schulleiterin bedeutet dies immer wieder kritisch zu schauen, was für das Kerngeschäft von Schule wirklich essenziell ist. Dies soll gestärkt und alles andere weggelassen werden. Als Führungsperson wird man, so meine Erfahrung, häufig mit Arbeit eingedeckt. Man ist nur noch am Abarbeiten von Aufträgen und Pendenzen und kommt gar nicht mehr dazu, sich zu fragen, ob dies alles wirklich notwendig ist.

Eine Schulleiterin hat mir kürzlich erzählt, dass sie, wie in der Ausbildung gelernt, ihre Pendenzen nach wichtig-unwichtig, dringend-nicht dringend sortiert. Am Ende des Arbeitstages stellt sie fest, dass sie noch nicht dazu gekommen ist, einen Blick auf die Liste zu werfen, geschweige denn, eine Pendenz abzuarbeiten.

Einen Überblick zu haben, sich nicht von dem Fluss von Arbeiten, welche einem tagtäglich zu überrollen droht, dominieren zu lassen, ist eine Grundvoraussetzung, um überhaupt wahrzunehmen, was wichtig ist und was auch weggelassen oder nur mit minimalem Aufwand erledigt werden kann. Erst auf dieser Metaebene können Gelegenheiten erkannt und pädagogisch wirksam genutzt werden.

Michaela Tscherne hat fünf Komponenten erwähnt, die für das Erkennen von Chancen relevant sind:

  • Erstens geht es um das Erkennen von Bedürfnissen. Welche Bedürfnisse haben die einzelnen Mitarbeitenden? Welche die Schule? Erst die Auseinandersetzung mit diesen Bedürfnissen führt zu einer aktiven Personalentwicklung, die den Menschen und die Organisation ernst nimmt. Viele Mitarbeitende an Schulen haben Potenziale, die von der Schule zu wenig genutzt werden. Im Zusammenhang mit Teacher Leadership wird deshalb oft vom «schlafenden Riesen» gesprochen, den Schulleitende wecken und zu Gunsten der Mitarbeitenden und der Organisation nutzen können. Tolle Beispiele dafür habe ich unter anderem an der Evangelischen Schule Neuruppin kennengelernt.

    Ein Lehrer dieser Schule und Vater von zwei Kindern, die Leichtathletik betreiben wollten, trainierte seine Kinder selbst, da es keinen Verein gab. Daraus entstand zuerst ein Freifach, mittlerweile ist daraus ein ganzer Leichtathletik-Verein der Schule geworden. Da die Gruppe immer grösser wurde, musste der Trainer:innen-Staff vergrössert werden. Ein Fitnesstrainer aus der Stadt hat sich dem Verein angeschlossen und ist unterdessen als Sportlehrer an der Schule angestellt. Er absolviert die Ausbildung als Quereinsteiger berufsbegleitend. Dies ist einer der Gründe, warum die Evangelische Schule Neuruppin keinen Mangel an Lehrer:innen hat.
  • Zweitens geht es darum gegenüber Chancen und Risiken wachsam zu sein. Diese Wachsamkeit hilft Fehlentwicklungen zu vermeiden und die vorhandenen Ressourcen sinnvoll zu nutzen. Hier liegt für mich auch der Schlüssel, warum erfolgreiche Schulen nicht unbedingt diejenigen sind, an denen auch die höchste Belastung liegt. Die weit verbreitete Annahme, dass die besten Schulleitungen auch am meisten arbeiten, ist nach meiner Erfahrung falsch.
  • Drittens nannte Michaela Tscherne das Beobachten von Trends und Entwicklungen. Die Schule unterliegt dem gesellschaftlichen Wandel – ob sie will oder nicht. Aber auch hier gilt nicht einfach auf jeden Trend aufzuspringen, sondern – wie oben beschrieben – abzuwägen, welchen Trend man mitgeht und bei welchen man die Entwicklung abwartet und diesen allenfalls erst später aufnimmt. Die Antwort auf diese Frage hängt auch von den Bedürfnissen und Kompetenzen an der eigenen Schule ab. Manchmal ist es sinnvoll voranzugehen und die Entwicklung selbst zu beeinflussen. Manchmal lässt man besser anderen den Vortritt und lernt von deren Entwicklung.
  • Viertens geht es darum, die Kreativität und Experimentierfreude zu nutzen. Im Zeitalter der Digitalität wissen wir immer weniger, wohin die einzelnen Entwicklungen gehen und welche Auswirkungen diese auf die Gesellschaft und Schule haben. Das bedeutet, dass wir neue Lösungen finden müssen, welche wir heute noch gar nicht kennen. Kreativität und Experimentierfreude sind deshalb wesentliche Elemente von Entwicklungen. Und diese können nur gemeinschaftlich angegangen werden, da dazu die Intelligenz aller und nicht nur einiger nötig ist.
  • Fünftens: Es gehört auch die Pflege von Beziehungen und Netzwerken zum Nutzen und Erkennen von Chancen dazu. Entwicklungen brauchen heute – wie oben erwähnt – die Intelligenz vieler und diese ist nicht nur innerhalb der Organisation, sondern auch ausserhalb zu finden. Das beste Beispiel dafür ist der Mangel an Lehrer:innen. Es reicht nicht mehr, ein Stelleninserat zu schalten und auf Bewerbungen zu warten. Heute brauchen Schulen Netzwerke wie zum Beispiel eine Lehrerin, die eine andere kennt, oder Studierende, die ein Praktikum an der Schule gemacht haben und von der Kultur und der Arbeit der Schule schwärmen.

Viele weitere Elemente von Entrepreneurship sind im Web-Dialog genannt und diskutiert worden. Die fünf Elemente des Erkennens von Chancen haben mich angeregt weiterzudenken und meine Erfahrungen und mein Wissen anzureichern.

Beim Zuhören und Nachdenken ist mir auch die Nähe zwischen Entrepreneurship und Positiv Leadership bewusst geworden. Umso mehr freue ich mich auf das Symposium Personalmanagement, bei welchem ich sicher wieder den einen oder anderen Gedanken mitnehmen und für mich weiterentwickeln kann. Dies ist für mich die Art von Weiterbildung, welche ich schätze und die mich als Führungsperson und Forscher weiterbringt.

INFOBOX

#schule-verantworten ist eine gemeinsame Initiative der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich und der Pädagogischen Hochschule Zürich. Im Zentrum steht der Austausch zwischen Führungspersonen im deutschsprachigen Raum. Viermal im Jahr erscheint das Web-Journal, eine kostenlose Online-Zeitschrift für Führungspersonen. Die neuste Ausgabe, welche Ende März 2024 erschienen ist, befasst sich mit dem Thema Künstliche Intelligenz.

Zwischen den Web-Journalen finden Web-Dialoge als Online-Webinare statt, welche aktuelle Themen aufnehmen und sowohl aus der Perspektive der Wissenschaft als auch Praxis aufgreifen und in einen Dialog verwickeln. Und wer mehr zum Thema Positive Leadership erfahren will: erhält am 24. Mai 2024 im Symposium Personalmanagement Informationen dazu. Es erwartet Sie verschiedene Referate und Foren.

Zum Autor

Niels Anderegg leitet das Zentrum Management und Leadership an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Leadership for Learning, Teacher Leadership und Professionalisierung von Führungspersonen von und in Bildungsorganisationen.

Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: adobe stock

Literaturnachweis

Schratz, Michael, Markus Ammann, Niels Anderegg, Alexander Bergmann, Malte Gregorzewski, Werner Mauersberg, and Veronika Möltner. 2022. Lernseits führen. Den Facettenreichtung im Schulleben erkunden. Hannover: Friedrich Verlag.

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