Vorurteile pflegen und festigen, die Sprache so wählen, dass Missverständnisse entstehen, Fragen zum falschen Zeitpunkt stellen, Antworten ausserhalb des Zeitfensters schicken, Prozesse sabotieren und dann bloss nichts ändern wollen. Das sind Bedingungen, damit eine Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis sicher nicht gelingt. Doch wie müssen die Voraussetzungen aussehen, damit sich Bildungsforschung und Bildungspraxis auf Augenhöhe begegnen (können) und auf beiden Seiten ein Nutzen resultiert? Michael Späth, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Allianz für Schulqualität «profilQ» mit den Antworten.
Die Weiterentwicklung der Lehrer:innenausbildung hat im Zuge der Bologna-Reform vor rund 20 Jahren mit der Pädagogischen Hochschule (PH) zu einem neuen Hochschultypus in der Bildungslandschaft Schweiz geführt. Die PH begannen damit, verschiedene Bereiche an einem Ort zu vereinen: Aus- und Weiterbildung, Forschung und Entwicklung. Die Schule rückte nun auch in den PH stärker in den Fokus der System-, Schul- und Unterrichtsforschung und -entwicklung. Obwohl daraus zahlreiche Forschungsbefunde vorliegen, welche Anregungen für die Praxis liefern, fällt gleichzeitig auf, dass sie bei den Schulen kaum Beachtung erfahren und nur selten praktisch umgesetzt werden (1).
Sind Schulen forschungsfeindlich?
Aus Sicht der Praxis gibt es zahlreiche und vielschichtige Gründe, weshalb Forschungsergebnisse in der Schule nicht wirksam werden (vgl. ebd):
- Mangelnde Praxisrelevanz: Der Wissenschaft wird vorgeworfen, dass sie die Praxis zu wenig kenne und der praktische Bezug fehle. Darüber hinaus würde die Forschung kaum die Anliegen aus der Praxis beachten und nur unzureichend zur Lösung derer Probleme beitragen.
- Abstrakte Ausdrucksform: Schulen bemängeln, dass die Forschungsberichte nicht für einen praxisorientierten Leser:innenkreis verfasst sind.
- Fehlende Anschlussfähigkeit: Forschungsbefunde werden in der Praxis nicht aufgegriffen, da das Forschungsinteresse kaum deren Erfordernisse berücksichtigt.
Wege zur Partnerschaft
Damit eine Zusammenarbeit zwischen der Praxis und der Forschung für beide Seiten sinnvoll und nützlich sein kann, braucht es geeignete Forschungsansätze und eine Klärung, unter welchen Bedingungen eine Kooperation gelingen kann:
1. Geeignete Forschungsansätze
Nützlich ist zu Beginn der Zusammenarbeit eine Passung zwischen den Ansprüchen von Praxis und Forschung. Je nach Fragestellung, Problem und Reichweite können unterschiedliche Herangehensweisen sinnvoll sein. Diese können sich stärker auf die Entwicklung und Bereitstellung von Praxistheorien oder auf eine dialogische Perspektive ausrichten.
Ein zukunftsweisendes Beispiel führt zurzeit Enikö Zala-Mezö von der PH Zürich mit ihrem Team durch. Gemeinsam mit Sekundarschulen werden mit dem Forschungsansatz «Design-Based-Research» neue Partizipationsmöglichkeiten für Schüler:innen im Unterricht und im Bereich des schulischen Lernens entwickelt. Diese sollen mitbestimmen können, wie, wann, wo und mit wem sie was lernen. Dabei werden im Projekt nicht nur die Prozesse in der Schule partnerschaftlich gestaltet, auch in der Gestaltung des Forschungsprozesses ist die Schule beteiligt, sodass die Grenzen zwischen Forschung und Praxis aufgelöst werden. Die im Forschungsprojekt entwickelten Instrumente und Prototypen sollen auch anderen Schulen eine partizipative Unterrichtsgestaltung ermöglichen.

2. Dialog & Vernetzung
Die Frage, wie der Wissenstransfer zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis gelingen kann, wurde im deutschsprachigen Raum kürzlich mehrfach prominent aufgegriffen.[1] Das Spezielle an diesen Veranstaltungen war, dass Schulleitungen gemeinsam mit Forschenden in Kontakt kamen, ihre Bedürfnisse anbrachten sowie über die Frage der Partnerschaft diskutierten.
Mit situationsadäquaten Forschungsansätzen und einem konstruktiven Austausch der beteiligten Fachpersonen aus der Forschung, der Praxis wie auch aus Verwaltungen und von Stiftungen werden Bedingungen für eine Kooperation geschaffen, die ein nutzbringendes Miteinander ermöglichen.

INFOBOX Bildungspraxis und Bildungsforschung auf Augenhöhe – so funktioniert’s: Am 15. September 2021 findet eine Tagung statt, an der am Vormittag drei Tandems aus Praxis und Forschung über ihr Vorhaben und die gelingende Zusammenarbeit berichten. Soziale und sprachliche Kompetenzen über Kinderliteratur fördern: Denise Krummenacher (Praxis) und Yvonne Dammert (PHLU) Entwicklung Lehren und Lernen sichtbar machen: Claudia Sturzenegger und Annalena Josch (Praxis) sowie Wolfgang Beywl (PH FHNW) Partizipative Schulentwicklung – Unterricht mit Schülerinnen und Schülern gestalten: Rita Sauter und Gabi Herold (Praxis) sowie Enikö Zala-Mezö (PHZH) Am Nachmittag werden Projekte, innovative Forschungsansätze, Instrumente und Good-Practice-Beispiele von gelungener Partnerschaft von Forschung und Praxis präsentiert und diskutiert: 15. September 2021, 9.30 bis 16.30 Uhr Weisser Saal, Volkshaus Zürich. Melden Sie sich hier an.
Zum Autor

Michael Späth ist Mitglied der Geschäftsleitung bei der Allianz für Schulqualität «profilQ» sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Pädagogischen Arbeitsstelle des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz. Er ist Schulischer Heilpädagoge und an einem Heilpädagogischen Zentrum im Kanton Zug tätig. Er unterrichtet in einem Teilpensum in der Orientierungsstufe und leitet dort auch ein Projekt zum Auf- und Ausbau der Fachstellen. Insbesondere die Themen ICT und unterstützende Technologien in der Bildung und Betreuung liegen ihm am Herzen. Während den vielfältigen Arbeitstagen sucht er stets die Verbindung zwischen Wissenschaftlichkeit und Praxis.
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: Profilq – © Michael Meier – Denkpinsel
Quellen und weiterführende Informationen:
[1] Fachtagung des Netzwerks empiriegestützte Schulentwicklung vom 12. und 13. Dezember 2019 in Halle (Saale), Tagung der PHLU zu Hochschulkulturen im Spannungsfeld von Wissenschaftsorientierung und Berufsbezug vom 15. November 2019, Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Bildungsforschung vom 31. August bis 2. September 2020, Tagung von profilQ zu Bildungsforschung und Bildungspraxis auf Augenhöhe vom 10. September 2020.
- Praxistransfer Schul- und Unterrichtsforschung – eine Problemskizze. Steffens, Ulrich/Heinrich, Martin/Dobbelstein, Peter in: Schreiner, Claudia/Wiesner, Christian/Breit, Simone/Dobbelstein, Peter/Heinrich, Martin/Steffens, Ulrich (Hg.): Praxistransfer Schul- und Unterrichtsentwicklung in Kooperation mit dem Netzwerk für empiriegestützte Schulentwicklung (EMSE) und dem Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck. Münster: Waxmann 2019, S. 1ff.. Zur Kurzfassung