Eine gemeinsame kompetenzorientierte Beurteilungspraxis im Schulteam stellt für Schulen eine Herausforderung dar. Um dieser zu begegnen, haben sich einige Schulen mit einem Lernentwicklungsportfolio auf den Weg gemacht. Christine Eckhardt begleitet Schulen und Lehrpersonen bei dieser Aufgabe und führt das Potenzial von Lernentwicklungsportfolios nachfolgend aus.
Eine Beurteilungspraxis nach dem Lehrplan 21 fokussiert einerseits auf Kompetenzen und damit auf die Stärken der Lernenden. Andererseits rückt sie die formative Beurteilung ins Zentrum, bei welcher beurteilt wird, um die Schüler:innen in ihrem Lernen bestmöglich zu fördern. Beidem kann das Lernentwicklungsportfolio gerecht werden. Ergänzend dazu kann es auch den Anspruch einer gemeinsamen Beurteilungspraxis im Schulteam über die Stufen hinweg vom Kindergarten bis zur Sekundarschule abdecken.
Was sind Portfolios?
Nach der Broschüre der Bildungsdirektion Kanton Zürich (2021, 4) ist ein Portfolio «eine Sammlung von Originalarbeiten, die unter aktiver Beteiligung der Schüler:innen zustande gekommen ist und Wesentliches über ihr Wissen und ihre Kompetenzen sowie ihre Lernprozesse aussagt. Neben den Originaldokumenten bilden die Selbstreflexion, die Beurteilungskriterien sowie die Rückmeldungen, Kommentare und Stellungnahmen anderer Personen (zum Beispiel der Lehrpersonen oderder Eltern) die wichtigsten Elemente eines Portfolios». Diese Definition gilt übergreifend für verschiedene Portfoliotypen, zum Beispiel Lernentwicklungsportfolios, Talentportfolios, Kurs- und Fachportfolios, Sprachenportfolios und Berufswahlportfolios.
Was sind speziell Lernentwicklungsportfolios?
Bei einem Lernentwicklungsportfolio werden Lernbelege aus verschiedenen Fächern gesammelt. Diese sind Beweise, die zeigen, wie der Lernstand der Schüler:in ist und welche Lernentwicklung stattgefunden hat. In einem Portfoliogespräch zwischen Lernenden und Lehrpersonen, eventuell auch mit den Eltern, werden ausgehend von diesen Lernbelegen zusammen die Ziele für die nächste Lernentwicklung festgelegt.
Positive Auswirkungen von Lernentwicklungsportfolios
Mit seinen individuellen Lernzielen erleben alle Kinder und Jugendlichen, dass sie Fortschritte machen, weil diese im Lernentwicklungsportfolio sichtbar gemacht und reflektiert werden. Dies wiederum stärkt die Selbstwirksamkeit der Schüler:innen. Sie erleben: Ich kann was bewirken, ich kann was schaffen, was wiederum einen positiven Einfluss auf ihre Lernmotivation und ihr Lernverhalten hat. Vor allem für leistungsschwächere Kinder und Jugendliche ist dieses Kompetenzerleben durch die Arbeit mit Lernentwicklungsportfolios sehr bedeutsam, da sie häufig durch dauerhaft schlechte Zeugnisnoten von einem Jahr zum anderen eine Art Stagnation in ihrem Lernen vermittelt bekommen, obwohl sie sich weiterentwickeln.
Der wissenschaftlich begleitete Schulversuch an der Anne-Frank-Schule Bargteheide belegt dieses Potenzial von Lernentwicklungsportfolios sehr eindrücklich. Die Lernenden dort gaben an, dass dadurch sowohl ihre Motivation als auch ihre Selbstreflexionskompetenz und ihr Verantwortungsbewusstsein für das eigene Lernen positiv beeinflusst wurden. Die Befürchtungen, dass durch die individuelle Stärkenorientierung beim Lernentwicklungsportfolio unrealistische Vorstellungen bezüglich des Lernstandes entstehen, bestätigten sich hier nicht. Die Noten führten weder bei Eltern noch bei Lernenden zu Überraschungen, vielmehr war der Lernstand in diesen Portfolios transparent. Eltern wie auch Lernende schätzten die Fokussierung auf die individuellen Stärken und Kompetenzen und deren Transparenz mithilfe des Lernentwicklungsportfolios.
INFOBOX Vertiefungsideen - Wie Schule ohne Zeugnisse funktionieren kann - Portfolio – Ein Video zur dialogischen Form der Leistungsbeurteilung Ideen zur Arbeit mit Portfolios werden neben anderen Elementen einer lernförderlichen und vielseitigen kompetenzorientierten Beurteilungspraxis in der Weiterbildung «Tangram – kompetenzorientiert beurteilen», Version Premium und Version Light, sowie in der Weiterbildung «Potenzial von Portfolios als Lern- und Beurteilungsmöglichkeit» angeboten. Besuchen Sie auch die Informationsveranstaltung am Donnerstag, 11. April 2024.
Zur Autorin

Christine Eckhardt, Primar- und Sekundarlehrperson, ist als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich vermehrt auch in der Aus- und Weiterbildung tätig. Sie leitet unter anderem die Weiterbildungsangebote «Tangram – Beurteilung, Version Premium / Light», «Potenzial von Portfolios als Lern- und Beurteilungsmöglichkeit» sowie das Schulleiterwahlmodul «Kompetenzorientierte Beurteilungspraxis als Team stärken».
Redaktion: Melina Maerten
Titelbild: pixabay
Literaturnachweis
Kunze, Lisa. 2022. Dialogbasierte Leitungsbeurteilung mit Portfolios. Theoretische Grundlagen, praktische Umsetzungsmöglichkeiten und empirische Befunde. Waxmann: Münster und New York.
Kanton Zürich Bildungsdirektion Fachstelle für Schulbeurteilung Kanton. 2021/2022. Jahresbericht Schuljahr 2021/2022. Zürich. https://www.zh.ch/de/bildung/informationen-fuer-schulen/schulqualitaet-informationen-fuer-schulen/schulqualitaet-volksschule/printmedien-der-fsb.html.
Kanton Zürich Bildungsdirektion Volksschulamt. 2021. Portfolio in der Schule. Anregungen für Schulleitungen und Lehrpersonen. Zürich. Portfolio in der Schule (zh.ch)
Winter, Felix. 2012. «Das Portfolio vom Mehrwert her planen». In Portfolio macht Schule. Unterrichts- und Schulentwicklung mit Portfolio, hrsg. v. Gerd Bräuer, Martin Keller und Felix Winter, 41-64. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer.