Verwechslungsgefahr

Antonia Rakita
(Illustration: Elisabeth Moch)

Gerne berichte ich Ihnen an dieser Stelle weiterhin von meinen Eindrücken und Erfahrungen, nun aber nicht mehr wie gewohnt als Studentin der PH Zürich, sondern als junge Berufseinsteigerin.

Mit meinen 24 Jahren und einer Körpergrösse von 1.60 Meter kann es schon einmal passieren, dass man mich im Gewimmel der Schülerschaft als eine von ihr verwechselt. Umso peinlicher ist die Situation, wenn man sich dann gegenüber anderen Lehrerkolleginnen und Kollegen rechtfertigen muss, weshalb man die Lehrertoilette benutzt. Die Tatsache, dass mein halbes Gesicht durch eine Maske bedeckt wurde, trug anfangs nicht unbedingt dazu bei, dass man sich dieses im Team besser einprägen konnte. Mittlerweile können wir darüber lachen, womit die erste Hürde geschafft sein sollte. Um meine Arbeitskolleginnen und Kollegen in Schutz zu nehmen: Auch Auswärtige auf Schulreisen brauchen immer einen Moment, um zu realisieren, dass sie es gerade mit der Klassenlehrperson und nicht mit einer übereifrigen und erstaunlich reifen Schülerin zu tun haben. Dieser «Schülerinnen-Effekt» kommt zum guten Glück immer nur dann vor, wenn ich mit einem Haufen Jugendlicher unterwegs bin. Sollte diese Verwechslung eines Tages aufhören, werde ich vielleicht sogar ein bisschen Wehmut verspüren.

Womit ich als Berufseinsteigerin ebenfalls nicht gerechnet habe, zumindest nicht so schnell, ist, wie wenig Zeit ich brauchen werde, um mich von meinem Leben als Studentin zu verabschieden und das neue (Berufs-)Leben als Lehrerin zu verinnerlichen. Ich nehme das als gutes Zeichen dafür, dass ich mich nicht nur für den richtigen Beruf, sondern auch für die richtige Schule und somit das passende Umfeld entschieden habe. Auf dieses Gefühl vertraue ich, besonders deshalb, weil man als Berufseinsteigerin mit einer Vielzahl an Aufgaben und Pflichten beschäftigt ist, weshalb nicht immer Raum bleibt, alles im Detail zu analysieren.

Auf den Zeitpunkt, wo ich auf dieses intensive erste Jahr zurückblicken und selbst darüber staunen kann, wie viel ich gemeistert und dazugelernt habe, freue ich mich jetzt schon wie ein kleines Kind. Oder sollte ich sagen, wie eine junge Schülerin?

Antonia Rakita war Tutorin am Schreibzentrum der PH Zürich und schloss 2021 ihre Ausbildung zur Sekundarlehrerin ab. Sie unterrichtet an der Berufswahlschule Bülach. 
Der Text ist erschienen als Kolumne im Magazin für die Mitarbeitenden der PH Zürich, inside 3/2021, S. 21.

Sechsundzwanzigster Januar

Von Valérie Rust

© Foto: Valérie Rust

Es ist mein sechsundzwanzigster Januar und wohl der leichteste bisher. Die Wolken hängen nicht so tief und lassen dem Himmel Raum zum Atmen. Die tiefstehende Sonne taucht die karge Landschaft in warme Pastelltöne. Wenn ich meine Hand in ihre Strahlen halte, dann glaube ich wirklich daran – dass auch dieses Jahr dem Winter ein Frühling und dem Frühling ein Sommer folgt. Und dann schmerzt mich die Gewissheit weniger – über den Herbst nach dem Sommer und den Winter nach dem Herbst.

In meinem Zimmer ist gutes Wetter und manchmal gehe ich sogar freiwillig raus. Zwar treibt mir die Kälte auch dieses Jahr das Wasser in die Augen und das Rot in die Nasenspitze, aber es ist okay. Mein sechsundzwanzigster Januar ist okay.

Valérie Rust ist Student*in an der PH Zürich und Textildesigner*in

Ablaufdatum für die Jugend

Seit 2009 schreiben die Tutorinnen und Tutoren des Schreibzentrums schon für das Magazin Akzente  der PH Zürich.
In der Novemberausgabe (4/2021, S. 25) denkt unsere Tutorin Laura Bachmann in der Kolumne auf der Studierendenseite übers Älterwerden, neue Verantwortungen und die Metamorphose von Leichtsinn zur Ernsthaftigkeit nach.

November-Hund

Von Peter Alexander Kaiser

©Peter A. Kaiser

Manchmal im November, wenn bleich mir der Nebel kommt, sitze ich trübe am Fenster.

Welchen Sinn macht es, frage mich, täglich neu Sinn zu behaupten? Wo doch: Rings frisst ihn die Welt – schneller als Deutsche Dogge Pizza.

Dummfug und Wirrsinn überrollen mich: Das Tier kriegt Diabetes. Der Arzt nennt es Zucker – vom Fett will nicht wissen. Gibt ihm Medikamente. Die hält es für Smarties. Geht vor den Hund, der Hund.

Menschen laufen zum falschen Gleis. Könnten gerade noch. Aber.

Kinder seh ich lachend rennen, schreien, schrammen und flennen.

Aus der Zeitung flattern faltrige Motten. Kobolde sind’s. Gespenster. Jage sie durch die Luft mit Besen. Treff ich – bloss: werden’s drei. Applaudieren eins dem andern und höhnen laut und frei.

Auf Knien – verzweifelt – raffe all die Dinge zusammen, die heruntergefallen sind. Mehr, denn je kann halten. Entgleiten mir immer neu.

Wenn nicht bald jemand, denke. Aber niemand. So klar in trüber Suppe seh gewiss.

Verstecken vielleicht? Endlos im weiten Weiss? Tauchen in die Herbstdämmerung? Ohne Zweck! Findet dich. Und dann.

Denn «wir gehen nicht unter in den Niederlagen, sondern in den Kämpfen, die wir nicht führen».

Seh’s, aber sehnt’, es nicht zu sehn. Ertrage zu tragen ohne Fragen – wozu, kann mir eh keiner sagen. Bloss: Wie lange, möcht wissen, muss noch das leichte Lichte ich missen?

Und wenn dann denk, keine Lust mehr hab, seh mich selbst: Schatten in weissen Schwaden. Moosfeuchter Finsterbaum. Hart noch, sich daran den Kopf zu stossen. Morsch genug, dereinst zu fallen.

Liegen dann im Schnee. Wie hinein in schon so manchen Frühling. Mit diesem aber zeitlos vergehn. Zwischen den ersten Blumen verwehn …

Und wenn jetzt grad so schön meinen Frieden gemacht hab, rufen sie von unten zum Essen und der Tisch ist noch nicht gedeckt und wo nicht sollte, liegt Zeug herum und es gibt unerledigte Dinge zu erledigen und schnatternd Nebensächliches zu besprechen und ursächlich Sachliches zu berechnen und alles ist und wird nun wieder: wild-wind-wirbliger Wiedersinn. Aber halt doch: Lebens-Zugewinn!

Ich bin, sage mir.

Verwundbares Tier.
Mutig durstige Lebensgier.

Klagen, aber wagen wir!

Peter Alexander Kaiser ist Autor, Sekundarlehrer und Tutor am Schreibzentrum der PH Zürich

PH Goes Poetry 5th Edition: Die Entscheidung ist gefallen

«Primus inter pares» ist nicht nur eine Bezeichnung, die in der Politik benutzt wird. Auch im Finale des Schreibwettbewerbs 2021 war es keineswegs einfach, einen Winner aus einer unglaublich gelungenen Sammlung an Siegertexten zu küren. Im diesjährigen Finale gab es nämlich gleich 5 Poet:innen, die sich einen Podestplatz sicherten.

Durch den Abend begleitet haben uns die Poetry-Slam-Ikonen Joël Perrin und Lukas Becker, die dem Finale immer einen besonderen Hauch von Spannung und Spass verleihen. Zum Thema «Spiel mir das Lied» hatten sich die Finalisten und Finalistinnen an die Arbeit gemacht und ich freue mich, euch heute noch einmal die Gewinnertexte ein wenig näherzubringen.

Obwohl es vor einem Jahr nur knapp aufs Podest gereicht hat, war es dieses Jahr Peter Kaiser, der als Sieger gefeiert wurde. «Too fast to live, to young to die» wäre bei seinem Text auch ein guter Titel gewesen, denn das schnelle und aufregende Leben wurde gezeigt, und er brachte uns die Idee näher, unsere Existenz ein bisschen langsamer anzugehen und anzusehen und vielleicht auch so ein bisschen «mehr zu leben». Etwas mehr piano, bitte.

Hingegen könnte man sagen, dass das Forte von Bruce Achermann auf dem zweiten Platz sich sicherlich in der fast wörtlichen Interpretation des Themas «Spiel mir das Lied» zeigte. Das Leben und dessen Höhen und Tiefen konnte er uns in einer rhythmisch und melodischen Performance darlegen und zeigen, dass man auch in einer mässigen Sammlung die guten Platten nicht vergessen darf. Eine Leidensgeschichte, die unvollendet bleibt.

Man würde sagen, das Ende vom Podest hat die Person auf dem dritten Platz, doch hier kommt erst die Spannung auf! Den dritten Platz teilen sich nämlich Martina Meienberg, Kelly Vass und Laura Bachmann! Martina berichtet von verschiedenen Tunes, die das Leben prägen, vom Klang des Radios über die Gesänge des Ausrufers bis hin zum Corona-Blues. Impressionen und Vibes, und jede Melodie öffnet einen neuen Einblick in eine eigene Welt der Klänge.

Das Lied des Lebens, das uns die Stärke gibt, weiterzumachen und zu lieben und zu geniessen, soll gehört werden. So bringt uns Kelly Vass weg von der Party-Mucke und mehr in die Musik der Seele, so wie sie das Hier und Jetzt wahrnimmt und schätzt. Alltägliches, das ein Ensemble an Gefühlen und Impulsen auslöst und zum Erblühen bringt. Es sind die kleinen Dinge im Leben, die Verse und die Töne, die die wunderschöne Melodie ausmachen.

Wenn wir die Melodie als das Ziel betrachten, sieht Laura Bachmann sicherlich die Komposition als Weg. Wir sind geprägt von unserer Sozialisation und unseren Erfahrungen. Was Heimat ist, ist eine komplizierte Frage. Und wo man sich zu Hause fühlt, ist genauso schwierig zu beantworten. 

An diesem schönen Septemberabend wurde zudem die Vernissage der neuen Publikation des Schreibzentrums gefeiert – die Sieger:innentexte des letztjährigen Schreibwettbewerbs «Das Meer zwischen uns / The Sea between Us». Eine Zusammenarbeit mit ISEAHZ, der Universität in Zaghouan / Tunesien und SINAN. Autor:innen schrieben Deutsch, Arabisch, Französisch, Englisch und im Thurgauer Dialekt – die drei preisgekrönten Text könnt ihr hier lesen – und via QR-Codes die Videos der Performances aus Zaghouan und Zürich schauen.

Wir gratulieren den Gewinnerinnen und den Gewinnern des diesjährigen und des letztjährigen Wettbewerbs herzlich zum erfolgreichen Schreiben und zum wohlverdienten Sieg! Vielen Dank auch an alle weiteren Autor:innen, die ihre Texte eingereicht und mit Leidenschaft daran gearbeitet haben.

Und grossen Dank an das DLE für die mediale Unterstützung, an das Kafi-Schnauz-Team für die Gastfreundschaft – und an den Rektor Heinz Rhyn für die Spende und Überreichung des legendären Siegerwhiskys: PH Goes Poetry!

Für euer Mr. Write-Team

Nicholas Rilko

Freundschaft ist krass

In letzter Zeit denke ich viel über Freundschaft nach. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass ich gerade durch eine kleine Krise torkle und sehr dankbar bin für die Unterstützung, die ich auf meinem Weg erhalte. Ich staune manchmal über die Macht, die Freundschaft hat: Mir geht es ausnahmslos immer besser in Gesellschaft meiner Freundinnen. Wie krass, dass man im Laufe seines Lebens Menschen findet, die diese Wirkung auf einen haben, nicht? Wie kommt es, dass man solche Menschen um sich sammeln kann?

War es Zufall, dass genau eine meiner besten Freundinnen am ersten Tag im Gymnasium neben mir sass? Und dass wir uns eigentlich schon vorher hätten kennen sollen, weil unsere Eltern sich kannten?

War es Schicksal, dass es nicht nur mich, sondern auch eine andere Freundin aus dem Gymi ohne rationalen Grund nach Basel zog? Wollte uns das Schicksal wenigstens ein bekanntes Gesicht in dieser damals fremden Stadt bereithalten?

Und war es einfach Glück, dass da jemand war, die zuerst nur ein Hobby mit mir teilte, bevor sie zu einer nicht mehr wegdenkbaren Bereicherung meines Lebens wurde? Ein Mensch, der so oft so ähnlich und doch so anders tickt als ich?

Natürlich, definitive Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Ich als sehr unreligiöse, nicht gläubige Person kann nicht viel mit Schicksal anfangen – und tendiere eher dazu, alle grossen und kleinen Begebenheiten des Lebens als Zufälle zu sehen. Zufälle, die entweder zu etwas Neuem führen oder völlig spurlos durch unser Leben ziehen. Diese Freundschaften, sie haben wohl mit zufälligen Begegnungen begonnen und sind mit zufälligen Ereignissen tiefer geworden – und jetzt kann ich mir nicht mehr vorstellen, wie mein Leben ohne diese Aneinanderreihung von Zufällen aussehen würde. Und ich bin unglaublich dankbar dafür, dass wir gemeinsam lachen, essen, weinen, diskutieren, reisen, tanzen und einfach sein können. Wie krass, dass manche Zufälle zu solch tiefen Verbindungen führen können.

Schöne Freundschaft – schöne Zeiten © Natascha Hossli

Natascha Hossli

Grenzüberschreitung Intimsphäre

Seit 2009 schreiben die Tutorinnen und Tutoren des Schreibzentrums schon für das Magazin der PH Zürich. Heuer gibt es sogar ein Jubiläum zu feiern: In der Augustnummer von Akzente (3/2021, S. 25) ist es bereits die 50. Kolumne!

Diesmal widmet sich unsere Tutorin Janine Eberle auf der Studierendenseite den Fragen rund um die Familienplanung … und wundert sich, dass so ein persönliches Thema zum Gegenstand von Smalltalk wird.

Sommer, Sonne, Leben!

Tutor Nicolas Schmid
(Illustration: Elisabeth Moch)

Sie kennen mich nicht und ich kenne Sie nicht, aber keine Panik! In meinen nächsten Kolumnen werde ich einiges mit Ihnen aus meinem Leben teilen: Beobachtungen aus der Welt und der Menschen, Gedanken über grundlegende Fragen des Lebens, Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Studium und vieles mehr. Ich bin angehender Primarlehrer, gelernter Koch, Bildungscoach, Schreibzentrumsmitarbeitender, Musiker, Möchtegernkünstler, Sportler und Sommerliebhaber. Apropos Sommerliebhaber: 

Sommer ist doch wirklich etwas Schönes, oder nicht? Mal angenommen, es regnet nicht andauernd. Das Wetter ist warm und schön, die Tage sind hell und lang. Morgens jeweils mit Sonnenstrahlen im Gesicht aufwachen, hochmotiviert aus dem Bett springen, in der Sonne frühstücken und sich für den Tag stärken. Tagsüber keine lästige Jacke mit herumtragen, stets die Sonnenbrille auf der Nase und abends lange draussen sitzen – was will man mehr?

Wenn die Sonne scheint, dann ist die Welt ein bisschen weniger scheisse. Eigentlich ist sie dann sogar super gut – sofern man denn zumindest ein bisschen was davon hat. Aber selbst wenn wir Student:innen den ganzen Tag zu Hause am Bildschirm rumsitzen, wenn die Sonne scheint, ist man besser gelaunt, als wenn es draussen regnet. Spüre ich den Frühsommer, werde ich aktiver – Vitamin D sei Dank! –, und ist ein Schönwettertag, so will ich schöne Dinge tun – Hauptsache alles andere als lernen. Wie oft schon habe ich guten Willens meine Bücher zum Lernen mit nach draussen genommen, um abends dann festzustellen, dass sie nahezu unberührt in der Tasche liegen geblieben sind? Läuft. Und auch wenn es Momente gibt, in denen ich umfallen könnte, weil ich noch einen riesigen To-do-Berg vor mir habe, gibt es eben auch diese Momente, in denen ich sage: «Scheiss drauf, ich hab auch noch ein Leben!» Liebe Sonne, du zwingst mich dazu, öfter mal genau das zu sagen. Man muss eben Prioritäten setzen. Liebe Dozentinnen und Dozenten, könnten Sie das bitte in Ihrer Benotung berücksichtigen?

Nicolas Schmid studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutor im Schreibzentrum.
Der Text ist erschienen als «Gastspiel»-Kolumne im Magazin für die Mitarbeitenden der PH Zürich, inside 2/2021, S. 21.

Eyn thugendlehrstûck

um eynen gar wunderlichen sûndfall wie er sich zuogetragen anno Domini 1998 zuo Eton im kônigthum Ænglandia.

Eyn furmalig doctor und arg quacksalber, zum geschlecht geheißen Wakefield, publicierte eyn gewitzt lûgschrift zum zweck der buurenfângerey, in der geredet ward von eynem tyflischen vakzin, das muntere kindlein an authismen kranken ließ./ Gar vîl doctoren und grûndlich bewandert leut sahen, daſʒ diese geschicht ein lûgenmaar war und beeylten sich, das ângstlich und argwônlich volch zu beschwôren, îren kindlein das vakzin zu geben, auf daſʒ sie nicht an der Maserenseuch zugrund gehen mûssen./ Doch vîl volchsleute verwahret sich und îre bâlger fortan vor dem schûtzend vakzin und sahen in dem quacksalber Wakefield eyn klug und muotig mann, der wahr zuo înen sprach./

Eyn berufsschreyberling vom geschlechtsnamen Deer, gar verwundert ûber den unselig lûgeneyffer des furmalig doctori, entlarvte nach eyner grûndlich sucherey, daſʒ Wakefield von riichtumsgyr getrieben dîse truggeschicht gesponnen hatt./ Nicht nur ward îm eyn stattlich vermôgen von den advocaten aberglâubig edelleut gegeben, auf daſʒ er die so beschriebene lûgschrift verfasst, er besass noch dazuohin eyn patent fûr eyn anderes vakzin, das er dem volch als heilsam fûr îre zart und schuldlos kindlein pries./

Fûrderhin gebannt aus dem kreis der doctoren durch seyn gyrgetrieben lûgwerch, flûchtet

Wakefield zuo den spinnerten und argseligen leut, die der medicinisch vernûnfteley standhaft trutzen./ Umschaart von eydechsenleut, silberpapîrmûtzen, stubenhexen und judenfeynden muss Wakefield furtan seyne lûgenmaar tag um tag beschwôren, um so seyn brot zu verdienen./

Anno 2016 ward der quacksalber gesehen auf eyner vermaledeiten chrûzfâhre vor Mexico fûr ebendies volch, wie er gequâlet und ermûdet an eynem tische sass, umringt von allerley spinntisierern./

Wohl wûnscht sich der furmalige doctor Wakefield, daſʒ er sich nicht aus goldgyr um seyn ansehen und die gesellschaft bewanderter leut gebracht hätt./ Doch wie er sich versûndigt, verbannt er sich in die Hôll des stumpfsinns und der forcht wohl bis zum Jûngsten Tag.

Von der Schreyberin und Zeychnerin Lisa Thwaini zuo Zurichen anno Domini 2021

  • Diese frühneuzeitlich anmutende Moralerzählung basiert auf der Geschichte des britischen Arztes Andrew Wakefield, der durch seine als Schwindel entlarvte Studie zu einem angeblichen Zusammenhang der MMS-Impfung und Autismus zweifelhafte Berühmtheit erlangte. Wakefield gilt als zentrale Figur in verschwörungstheoretischen Kreisen, weil er die längst widerlegten Ergebnisse seiner Impfstudie nach wie vor propagiert. Anscheinend sei Wakefield aber nicht besonders glücklich darüber, sein Dasein unter Verschwörungstheoretiker*innen zu fristen, die er im Grunde verachten würde. So zumindest spekulierte ein Journalist, der Wakefield 2016 auf einer Kreuzfahrt für Verschwörungstheoretiker*innen begegnete. Wakefields Engagement erkläre sich wohl weniger aus (pseudowissenschaftlicher) Überzeugung als aus einem Mangel an anderen Verdienstmöglichkeiten, zumal er nach seiner Überführung mit einem Berufsverbot belegt wurde. So gesehen könnte Wakefield nicht einmal mehr als charismatischer Spinner durchgehen, sondern erschiene einfach als Typ, dessen finanzielles Kalkül nicht aufgegangen ist. Mehr Entzauberung geht kaum. Mehr Verzauberung aber auch nicht, weil sich aus dieser Vorlage eine nahezu märchenhafte Geschichte über Schuld und Sühne spinnen lässt, die in ihrer Rundheit wie aus der Zeit gefallen wirkt.

Lisa Thwaini studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutorin im Schreibzentrum.

Pickel sind nicht schön

Ich habe einen Pickel auf meiner Nas,
der ist so gross, das macht keinen Spass.
So kann ich mich nicht zeigen!
Ich brüll ihn an, doch wie unerhört … er tut nichts dergleichen.

Ich merk, so werd ich den nicht los.
Überleg mir einen Plan, schliesslich bin ich ja Philosoph.
Ich hab’s! Ich gib diesem Kerl einfach ein anderes Gesicht!
«Das ist Florian aus meinem Dorf. Bitte verzeiht ihm seine Macken,
      er kommt aus der Unterschicht.»

So geht mein Leben aus dem Affekt weiter,
an meiner Seite mein Alter Ego und dieser ganze Eiter.
Ich habe mich langsam an dieses Ding gewöhnt,
find es heimlich toll, wie es meine Nase krönt.

Doch es wird zum furchtbaren Polyp, ich glaub, ich habe
        zu viel dran rumgedrückt,
Es hat sich entzündet, es pocht und macht mich verrückt.
Es ist mir über den Kopf gewachsen, ich sehe gar nix.
Doch es bleibt Teil von mir, es steht direkt auf meinem Nasenspitz.

Zu viel Ekelhaftes gegessen, jetzt habe ich diesen Ausdruck
        im Gesicht.
Flüstere diesem faulen, feigen Eiter ins Ohr: «Erbrich dich, und
        du erblickst das Licht!»
Und endlich erlöst mich die schamerfüllte Offenbarung:
Es gibt keinen Erguss, es bleibt nur die Erfahrung.

© David Sucari

David Sucari studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutor im Schreibzentrum.