Furiosa

Von Lisa Thwaini

Furiosa wartet. An ihrer Pose erkennt man, dass sie noch lebt (wäre sie tot, läge sie auf dem Rücken, ihre acht Beine sauber über der Brust verschränkt). Ihr Pseudofell schimmert bläulich. Auf ihrem Hinterleib hat sie eine kahle Stelle, die sich langsam, aber stetig ausdehnt – ein Zeichen, dass sie sich bald häuten könnte.

Furiosa ist nicht meine erste Spinne, aber bisher die Einzige, die ich hinter Glas halte. Meine früheren Spinnen sind immer von selbst zu mir gekommen, meistens im Herbst, wenn es draussen kühl wurde. Manche haben jahrelang in meinem Kinderzimmer gelebt, sie zu töten war verboten.

Furiosa ist um einiges grösser als die Zimmermänner, Winkel- und Kreuzspinnen aus dem Garten, sie gehört zur Familie der Vogelspinnen. Sie ist gross genug, damit ich jedes ihrer äusseren Körperteile mit meinen Primatenaugen erkennen kann: die Giftklauen, die kleinen Füsschen, die Spinnwarze, die acht winzigen, fast blinden Äuglein.

Furiosa und ich sind beide kohlenstoffbasierte Lebewesen, Zentren des Erlebens. Wir müssen essen und trinken und wir sterben irgendwann. Damit enden jedoch unsere Gemeinsamkeiten. Was uns vor allem unterscheidet: Vogelspinnen sind zutiefst solitär. Während Äffchen wie ich die Welt als soziales Gefüge erfahren, unterscheidet Furiosa nicht zwischen einer Heuschrecke und einer Artgenossin. Sie tastet sich durch ihr Terrarium und schlägt ihre Klauen in alles, was sich zu abrupt bewegt.

Furiosa «wartet» nicht, sie dämmert. Sie braucht fast nichts, jede Woche eine Grille und ein bisschen Wasser. Sie ist nie einsam, sie langweilt sich nicht, sie lernt nicht, sie kennt kein Ich und Du. Sie dämmert und lauert und harrt aus – und das seit 350 Millionen Jahren (ihre Art natürlich, nicht sie selbst).

Sie hätte wohl nichts dagegen, dass ich sie Freundin nenne, es wäre ihr komplett egal.

Furiosa (c) Lisa Thwaini

Lisa Thwaini ist Tutorin am Schreibzentrum.

Aller Anfang … ist leicht

Im besten Fall läuft es so: Der erste Satz zieht uns über die Schwelle und hinter uns fällt die Tür zu. Nicht umsonst heisst es, der erste Satz sei der wichtigste überhaupt, von ihm hänge das Schicksal des Textes ab. Aus dem gleichen Grund wird sprichwörtlich behauptet, anfangen sei schwierig.

Ich muss widersprechen. Aller Anfang ist leicht. Alle Türen stehen offen. Vor uns liegt ein Feld der unbegrenzten Möglichkeiten. Wer eine packend Geschichte erzählen will, hat die wirklichen Hürden und Hindernisse alle noch vor sich.

Schwer fällt am ersten Satz höchstens die Entscheidung. Die Last unendlich vieler Optionen kann einen lahmlegen. Aber wir können auch einfach alle Varianten notieren, die uns einfallen, und später entscheiden, womit wir am besten beginnen. 

Um dem Geheimnis des Anfangs auf die Spur zu kommen, sammle ich schon seit vielen Jahren erste Sätze. Offenbar bin ich da nicht der Einzige (und sicher nicht der Erste). In seinem Buch «Jemand musste Josef K. verleumdet haben …»: Erste Sätze der Weltliteratur und was sie uns verraten (C.H. Beck, 2020) unternimmt auch der Germanist Peter-André Alt den Versuch, etwas Ordnung ins Chaos der Romananfänge zu bringen.

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Zu guter Letzt
Sogar ein bisschen Statistik ist dabei ganz aufschlussreich. Über 8000 Wörter machen die 250 zitierten Anfangssätze aus. Die häufigsten semantischen Begriffe (und Substantive) sind dabei:
Zeit und Jahr (je 16), Mensch und Buch (15), Welt und Geschichte (14). Das reicht zwar noch nicht für ein Rezept, ist aber immerhin schon ein Anfang.

Da fehlen mir die Worte

In Gullivers Reisen* wird an einer Akademie eine Debatte darüber geführt, wie man die Sprache verbessern könnte. Ein Professor schlägt vor, «die Rede zu verkürzen, indem man alle vielsilbigen Wörter so zurechtstutzt, dass nur noch eine Silbe übrig bleibt». Ferner könne man alle Verben und Partizipien künftig weglassen, «weil alle vorstellbaren Dinge der Wirklichkeit ja ohnehin nur Substantiva seien». Der Satiriker Jonathan Swift hat sich also vor dreihundert Jahren schon Gedanken über «Einfache Sprache» gemacht.

Dinge statt Worte

Ein anderes Projekt ging noch einen Schritt weiter und bezweckte gleich sämtliche Wörter abzuschaffen: Da es sich bei Wörtern lediglich um «Namen für die Dinge» handle, könne man stattdessen ja einfach die Dinge mit sich tragen, die man benötigt, «um Sachen auszudrücken, über die man sich jeweils unterhalten wolle.»

Nun können wir vielleicht ohne Wörter, aber bestimmt nicht ohne Begriffe auskommen. Beispiele für Kommunikation jenseits der artikulierten oder geschriebenen Wortsprache stellt Andrea Weller-Essers in einem kleinen Band aus dem Duden Verlag vor.

*Jonathan Swift. Gullivers Reisen. Aus dem Englischen übersetzt von Christa Schuenke. Nachwort von Dieter Mehl. Zürich: Manesse, 2017.

Wie zitiere ich keine Quelle? (Q&A #17)

Wie muss ich das im Literaturverzeichnis angeben? – Immer wieder erreichen uns Anfragen von verzweifelten Schreiberinnen und Schreibern, die korrekt zitieren möchten, aber über keine genaue Quellenangabe verfügen. Meistens hilft da auch das Chicago Manual nicht weiter, denn es ist – wie der Duden für die Rechtschreibung – lediglich eine formale Richtlinie zur Aufbereitung verfügbarer Publikationsinformationen. Ohne Angabe von Autor:innen, Titel oder Erscheinungsjahr lässt ich eine Quelle kaum so bezeichnen, dass andere sie ebenfalls konsultieren oder die übernommenen Aussagen überprüfen können (und darum geht es letztlich beim bibliografischen Nachweis). 

Würden wir ein Medikament schlucken, dessen Herkunft ungewiss ist und über dessen Inhaltsstoffe und Wirkungen keine Angaben gemacht werden, weil die Packungsbeilage fehlt? Wahrscheinlich ist das Haltbarkeitsdatum schon lange abgelaufen. In einer wissenschaftlichen Arbeit oder einem Leistungsnachweis geht es zwar nicht um Leben und Tod, aber im Umgang mit Zitaten und Quellen ist trotzdem höchste Sorgfalt gefragt.

Werk ohne Autor? Zitat ohne Quelle? …

Wegweiser und Steckbriefe

Die Webadresse einer Internetseite genügt als Quellenangabe nicht, weil die blosse Bezeichnung einer Fundstelle im Netz nichts über die Urheberschaft aussagt, geschweige denn über die Qualität des Inhalts. Bei einem Buch genügt es ja auch nicht, einfach dessen Bibliothekssignatur oder die Buchhandlung zu nennen, wo man es entdeckt hat.

Ein Filmbeispiel auf YouTube, ein heruntergeladenes PDF oder ein Foto aus einem Blogbeitrag mag als Dokument nützlich sein, aber für einen zitierfähigen Eintrag im Literaturverzeichnis braucht es Hinweise darauf, wer für den Inhalt verantwortlich ist oder wie aktuell er ist, damit Leser:innen sich dieses Werk beschaffen und allfällige Zitate im Originalkontext nachschlagen können. 

Also was tun? Hier ein paar Ratschläge: 

  • Filtern Sie Ihre Treffer. Wichtig ist nicht alles, was Sie gefunden haben, sondern in erster Linie das, was Sie auch verwenden können. Prüfen Sie deshalb Inhalt und Glaubwürdigkeit einer Quelle und achten Sie von Beginn an darauf, ob die nötigen Angaben für einen bibliografischen Hinweis überhaupt vorhanden sind. Bei fehlenden oder unvollständigen Quelleninformation können die Regeln des Chicago Manual ebenso wenig angewendet werden wie die Duden-Rechtschreibung bei einem Wort, das Ihnen nicht einfällt. 
  • Wenn Sie absolut nicht auf Ihr Fundstück verzichten wollen, weil es zur Illustration dient oder als Beschreibung eines Sachverhalts einfach optimal passt, dann bauen Sie alles, was Sie an Angaben haben, in Ihren Fliesstext (oder eine Fussnotenanmerkung) ein. – Setzen Sie Ihre Leserinnen und Leser genau ins Bild. Sie dürfen dabei Ihre Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Materials durchaus zum Ausdruck bringen (Einem angeblich auf den griechischen Philosophen Platon zurückgehenden Ausspruch zufolge ist …; oder: Laut Duden (Band 12: Zitate und Aussprüche) geht die Redewendung von der «Unfähigkeit zu trauern» auf die Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich zurück, die 1967 …). Eine Quellenangabe im Literaturverzeichnis ist kaum sinnvoll, wenn die Herkunft des Zitats nicht aus einer fachlich relevanten Publikation stammt.
  • Recherchieren Sie weiter und suchen Sie in verfügbaren und zitierfähigen wissenschaftlichen Publikationen (Fachartikeln, Büchern, Online-Zeitschriften) nach ähnlichen Aussagen und Belegen, um Ihre Argumentation glaubwürdig abzustützen. Wenden Sie sich unter Umständen an die Rechercheberatung der Bibliothek. Einschlägige Datenbanken und Bibliothekskataloge führen schneller zum Ziel als eine Google-Abfrage, bei der Sie womöglich auf dem attraktiven Blog eines Jugendlichen landen, der sich wortreich zum Thema Unterricht äussert, aber ausser persönlicher Erfahrung keine Quellen anführt. Das darf man zur Einstimmung und Auflockerung ebenso zitieren wie die Erziehungsratschläge der Grossmutter, aber als relevanter Beitrag zur wissenschaftlichen Aufbereitung Ihres Themas reicht es nicht aus.

Auf den Zitierseiten und dem «Zitierkompass» im Studierendenportal (nur mit Login) oder im öffentlich zugänglichen «A–Z des wissenschaftlichen Schreibens» finden Sie zahlreiche Beispiele, an denen Sie sich orientieren können. Gestalten Sie Ihre Angaben nach diesen Vorbildern.

[Beitrag aktualisiert 24.12.2023]

Wo kommt der Punkt? (Q&A #16)

Zitieren soll man auf den Punkt genau. Aber wo kommt der Punkt, wenn ich Informationen aus fremden Quellen in meinen eigenen Text integriere, sei es als wörtliche Wiedergabe oder in eigenen Worten? – Hier greift weniger das wissenschaftliche Zitiermanual, sondern vielmehr die grammatische Satzlogik und der gesunde Menschenverstand.
Wenn in einer schriftlichen Arbeit zitiert wird, besteht ein typischer Satz oft aus drei Teilen:
a) Man beginnt mit einer kurzen Anmoderation, in der das folgende Zitat oder die Paraphrase angekündigt wird,
b) dann kommt das ‹übernommene fremde Gedankengut›, und
c) ganz am Schluss folgt die Angabe der Quelle in Form eines Kurzbelegs. Erst jetzt ist der Punkt fällig. 

Beispiele
In Heike Kämpfs Beitrag über die Philosophin und Theoretikerin der Gender Studies Judith Butler sind alle drei Elemente in einem Satz zu finden: Anmoderation, Zitat und Kurzbeleg (Kämpf 2006, 246–247):

Insofern hat das Schreiben auch einen zentralen politischen Nutzen, den Butler wiederholt hervorhebt: «Das Verfassen von Texten kann», so Butler, «ein Weg sein, das neu zu gestalten, was als die Welt gilt» (Butler 1997, 44).

Dies gilt auch im folgenden Fall (Palmier 2009, 154), in dem paraphrasierend zitiert wird: 

Hickethier weist darauf hin, dass die Bedeutung der Filmerzählung dort, wo sie sich der sprachlichen Darstellbarkeit verweigert, schnell als nicht existent angenommen wird. Dabei liege gerade hier das wesentliche narrative Element des Audiovisuellen (vgl. Hickethier 2007, 104). 

Punkt am Schluss

In studentischen Arbeiten, aber auch in der Fachliteratur trifft man gelegentlich trotzdem auf einen eingeklammerten Quellenverweis nach dem Schlusspunkt. Dies führt jedoch dazu, dass der Kurzbeleg gleichsam zwischen zwei grammatischen Sätzen «schwebt». Da wir üblicherweise in ganzen Sätzen schreiben, ist diese Praxis nicht empfehlenswert. (Einzige Ausnahme bildet das eingerückte Blockzitat, denn hier fallen die Anführungszeichen zur Kennzeichnung des Zitats weg und der Kurzbeleg wird quasi als Anmerkung erst nach dem Schlusspunkt der zitierten Passage angefügt.)

Ebenso wie ein Frage- oder Ausrufezeichen kennzeichnet der Punkt das Ende eines Satzes. Nur wenn es sich bei diesem ganzen Satz um ein Zitat handelt, folgt (nach Duden) das schliessende Anführungszeichen nach der Interpunktion.

In seinen Studien zur Autobioraphie weist Günter Niggl (2012, 41) darauf hin, dass Memoiren heute zu einer Unterart der Berufsautobiografie geworden sind: «Darum werden gern auch Erinnerungen von Künstlern und Gelehrten, wenn sie weniger die eigene Person als vielmehr ihre Karriere, ihre Berufswelt, ihre Zeit und ihre Gesellschaft schildern, Memoiren genannt.»

Das gilt sogar, wenn das Zitat unterbrochen wird, wie im folgenden Beispiel:

Memoiren werden heute von Autobiografien nicht mehr klar abgegrenzt, sondern zunehmend als Variante der Berufsbiografie betrachtet. «Darum werden gern auch Erinnerungen von Künstlern und Gelehrten», so Niggl in seinen Studien zur Autobioraphie (Niggl 2012, 41), «wenn sie weniger die eigene Person als vielmehr ihre Karriere, ihre Berufswelt, ihre Zeit und ihre Gesellschaft schildern, Memoiren genannt.»


Unter der Rubrik «A–Z» entsteht im Studiweb ein Nachschlagewerk zu Spezialfällen und häufigen Fragen rund ums Zitieren: Was soll kursiv und was in eckige Klammern gesetzt werden? Wie sehen die Angaben zu einem Lehrmittel aus? Was bedeutet eigentlich «graue» Literatur? Muss ich alle 15 Autorenangaben aufführen? Braucht es bei einem Blockzitat Anführungszeichen? Wie zitiere ich aus dem Volksschulgesetz oder einem Modulskript der PH Zürich? Was bedeutet et al. und wo wird die Abkürzung ebd. verwendet? Darf ich auch Fussnoten setzen, wenn ich nach dem Autor-Jahr-System arbeite?