(anonym)
Sie fährt mit ihren wunden Händen durch die stacheligen Halme der Gräser. Im Streifgang durch das Labyrinth der grauen Ackerfliessen sah sie sich den Garten an. Scheusslich. Sie wandert durch die Gartengleise ihrer nicht mehr grünen Lunge. Die Schösslinge pieken in ihre raue hartgewordene Haut, sie schmerzt nicht. Nicht mehr. Erfolglos tasten die spiessigen Stängel ihre hornige Handfläche ab. Lilia arbeitete schon zu lange im Garten, zu oft hat sie das Unkraut aus dem Boden gezogen, zu oft die Halme beschnitten. Ihre Hände aufgeschrammt. Sich aufgeschrammt. Es tut nichts weh. Alles tut weh. Schlingende Stängel überwuchern den Acker, die von breiten Blättern überzogen sind, die sich über die Erde beugen. In ihrer Grösse überschatten sie kleine Triebe. Winzige Schösslinge, die sich erfolglos aus dem Boden kämpfen, strampelnd, nach Sonnenlicht quengelnd. Wo ist die Sonne? Lilia schiebt ihre blasse Hand an einen Trieb, er ist schon befallen. Grau und borstig. Sie lässt ihn zurück, verkümmert im Schatten seines Beetes. Der Boden ist hart. Sie greift nach ihrer kleinen Schaufel, mit dem Wunsch, den dunklen Grund zu lockern. Die Fläche ist von unzähligen mikroskopisch kleinen Steinchen besiedelt, die ihre Finger spiessen und ihr Ziel erschweren. Sie kann die Erde nicht lockern, sie ist zäh.
Früher stand Lilia mit einer Ambition im Garten. Dem Traum, in ihrem Garten, mit ihm und mit ihren Blumen aufzugehen. Ihre Saat beim Wachsen zu beobachten. Sie träumte, wie sich zarte gelbe, rosa Blüten aus ihren Knospen schälen und im Wind wippen würden. Wie sie wachsen würden. Früher goss sie behutsam ihre Saat. Sie nährte sie mit frischem Wasser. In den Träumereien würden es die Blüten aufsaugen und ihre Ärmchen zu ihr strecken. Eine Leidenschaft. Eine Illusion. Lilia liebte die Vorstellung ihres bunt bewachsenen Gartens. Nun schaudert es ihr, wenn sie in die kahle Landschaft blickt. Hart und grau. Ihre Lust vergangen, ihr Traum versickert in der dunklen Erde. Sie möchte ihre Schaufel beiseitelegen. Es kann keine Schönheit geschaffen werden, Blumen können so nicht wachsen, es verwelkt alles. Es gibt nur noch Unkraut. Kein Garten, auf dem man bauen kann und sie nicht fürs Gärtnern gebaut.
Florian geht es ähnlich. Er sehnt sich nach Sonne, ist des Schatten leid. Sein Augenschein richtet sich auf Lilia, die noch immer durch die dunklen Beete irrt. «Lilia, leg die Schaufel noch nicht weg.» Er offeriert ihr, an seinem Vorhaben teilzunehmen. Sie würden sich gemeinsam ein kleines Beet vornehmen. Einen Ort, an dem es noch Sonnenstrahlen gibt. Das kleinste Beet von allen, das am Rande steht. Dort, wo die Erde noch atmet. Lilia kann das Beet vor lauter Unkraut nicht mehr sehen. «Florian, der Garten ist zu gross, ich mag nicht.» Er nimmt sie an der Hand und zeigt ihr seinen Fund. Das Beet, an das sich die Sonnenstrahlen kurz vor Untergang schmiegen und die letzten Minuten des Tages die Erde wärmen. «Lilia schau, wir können nicht den ganzen Garten bewältigen, aber wir können im Kleinen beginnen. Nur ein schmales Stück, ein bescheidenes Eck Erde. Ein Experiment. Aber nicht bedeutungslos, nicht kärglich, weil es uns wieder Freude schenkt. Wir werden es besäen, es umsorgen. Für unsere Blumengartenseele.»
Lilia und Florian treffen sich nun ab und zu vor Sonnenuntergang bei ihrem Beet und packen an. Sie machen sich daran, das sonnige Eck zu pflegen. Sie säen einen Samen und erzählen sich Geschichten über die Pflanzen. Ein erster Trieb spriesst. Lilia nimmt ihre Hände behutsam und legt sie an den Trieb. Das feine Blatt kitzelt ihre Haut. Sie spürt es, ihr Hände werden weich. Als Florian schon weg ist, nimmt sie die Schaufel. Sorgfältig führt sie die eiserne Kante Richtung Boden. Die Erde beginnt sich langsam zu wölben, sie ist nicht mehr so hart. «Danke Florian», flüstert Lilia den Knospen zu.

Anonym studiert an der PHZH im Studiengang Primarstufe