
Foto: J.S.
Modrige Gassen. Historische Wege.
Pflasterstein begleitet meinen Schritt und Tritt.
Ich kenne diese Gegend eigentlich wie meine Westentasche. Ich bin hier oft unterwegs – auf jenen ziellosen Spaziergängen, die ich immer dann unternehme, wenn dieses vermaledeite Winterloch wieder an mir nagt.
Und jedes Mal im Spätsommer denke ich: Der war so gut – jetzt kommt sicher keins mehr.
Jedes Mal aufs Neue.
Aber dann kommt es doch.
Plötzlich: eine Abzweigung.
Ich könnte einfach weitergehen, am Comic-Laden vorbei. Oder reingehen. Aber irgendetwas zieht mich zur Seite. Diese Gasse da – war ich da schon mal?
Ohne lange zu überlegen, biege ich ab. Unbekanntes Terrain.
Ich hole mein Handy raus, checke Google Maps: Comic-Laden – check. Die Patisserie – auch da. Aber diese Gasse?
Gibt’s gar nicht.
Ich bleibe stehen, schaue mich um. Niemand. Kein Laut.
Weisse Wände. Fenster, die zu Wohnungen führen – wie überall hier in der Altstadt. Und trotzdem: Die Gasse ist nicht verzeichnet.
Ein kurzer Schauer läuft mir über den Rücken.
Diese Gasse – sie wirkt wie für mich gemacht.
Ich hebe den Blick.
Über mir: eine Malerei.
Eine bäuerliche Familie bei der Aussaat.
Verblasst, vergilbt, aber voller Leben.
Ein verstecktes Stück Kunstgeschichte.
Und als ehemaliger Kunstgeschichtestudent schlägt mein Herz schneller.
Ich analysiere die Farbnuancen, das satte Grün, die Altersspuren in Ocker und Braun.
So etwas entdeckt man nicht jeden Tag.
So etwas sollte unter Denkmalschutz stehen.
Nach einigen Minuten löse ich mich von der Szene. Mein Blick fällt ans andere Ende der Gasse – eine kleine Treppe, die zurück auf die bekannte Strasse führt.
Ich steige sie hinauf, trete hinaus aus dieser seltsamen Zwischenwelt.
Ich drehe mich noch einmal um.
Die Abzweigung?
Verschwunden.
Google Maps hatte recht.
J.S. studiert an der PH Zürich.