Zumindest glaubte er das. Kein Tag begann, bevor die Kaffeemaschine knarrte wie ein knurrender Kater, der keine Kuschellaune hat. „Kaffee klärt den Kopf“, das pflegte Karl zu sagen. Heute allerdings klärte sich gar nichts.
Kaum war der Kaffee fertig, klingelte das Handy. Kein Klingeln, eigentlich – ein kreischendes Katastrophenkonzert. Kollegin Karin klagte. „Karl, du kennst die Kundenkorrektur nicht?“ Karl knirschte: „Klar, äh, warte kurz … äh … nein, keine Ahnung.“
Karin legte entsetzt auf. Und Karls Kaffee: schwappte, tropfte, überlief –
und irgendwann merkte Karl, dass auch er selbst überlief: „So schmeckt Anpassung“, dachte Karl. Verdünnt und unentschlossen.
Der Kaffee stand daneben, unbeachtet, und wurde langsam zu einer kalten, festen Realität: Routine, die ihre Wärme verloren hat – besonders dann, wenn er ihn beim Genuss etwas verschüttet.

(c) Flurina Kunz
„Koffein ist Charakterbildung“, murmelte er kämpferisch, während er den nächsten Krug kochte. Vielleicht würde ihn die nächste Kanne aus der Katastrophe retten. Kompromisslos. Er starrte die Kanne so lange an in der Hoffnung, sie könnte ihm die kosmische Kurzgeschichte des Lebens erzählen. Alles fängt heiß an – und endet lauwarm. „So schmeckt Kontrolle“, dachte Karl. Bitter und unbeweglich. Er kippte also den kalten Kaffee hinunter. Kein Genuss – eher ein kleiner Krampf der Kehle.
Doch Karl kannte keine Gnade. Er beschloss, sich nicht kleinkriegen zu lassen. Er kochte einen dritten Kaffee. Diesmal stellte er sich daneben, wie ein Kapitän, der das Kentern seiner Kaffeetemperatur verhindern will. Da klingelte die Tür. Paketbote. „Einmal kurz unterschreiben?“ Karl unterschrieb. Kam zurück. Er atmete tief ein und fragte sich, ob er selbst vielleicht auch schon halb in der Luft hing – in einem Zustand zwischen Antrieb und Auflösung. Der Kaffee war heute schlichtweg nicht zu geniessen.
Also setzte er eine vierte Kanne auf: Er lachte. Laut, erleichtert, fast glücklich. „Vielleicht bin ich auch nur Wasser mit Koffein – ständig im Wandel.“ Nichts bleibt heiß. Nicht der Kaffee, nicht die Karriere, nicht das Karma. Aber man kann immer wieder eine neue Kanne kochen. Und das – fand Karl – war eigentlich ganz komfortabel.
Flurina Kunz








