Hinter der Hecke

von S.T.

«Heute möchte ich dir meinen Garten zeigen.»

Du erwiderst nichts, aber ein Lächeln schleicht sich auf dein Gesicht. Stumm blickst du mich an, streichst mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Wärme breitet sich in mir aus.

Wir stehen Hand in Hand vor dem Garten, aber eine hohe, sauber geschnittene Hecke verdeckt den Blick ins Innere. Der Strassenrand wird von einem Teppich aus saftig grünem Gras gesäumt, kunstvoll dekoriert mit bunten Blüten. Wie die Instrumente in einem Orchester fügen sich das Summen der Insekten, das Zirpen der Grillen und das Plätschern eines Brunnens zu einer wohlklingenden Symphonie zusammen.

Du schaust mich prüfend an. «Bist du sicher?», fragen deine Augen.

Ich weiche deinem Blick aus. Mein Garten ist nicht schön. Der alte Apfelbaum stützt sich mühselig gekrümmt unter seiner Last auf den Pfahl ab, die Himbeerstaude ist vertrocknet und auf dem kleinen Fleck Wiese schiesst das Unkraut weit über die Grashalme hinaus. Und dann ist da das Gartenhäuschen, überwuchert mit Efeu und gefüllt mit altem Ballast. Warum sollte dir dieser Garten gefallen? Es ist kein Garten, der zum Bleiben einlädt.

Du legst die Hand auf meine Schulter. Eine vertraute Wärme breitet sich in mir aus und bringt die Gedanken zum Schweigen. Ich nicke. Ja, ich bin bereit.

Wir treten ein. Plötzlich ist alles still, wie wenn der letzte Ton der Symphonie verklingt und niemand wagt, auch nur zu atmen. Mein Blick senkt sich auf die schräg gelegten, moosbewachsenen Gartenplatten.

«Wie schön dieser Strauch blüht!», rufst du und nimmst eine Blüte vorsichtig in die Hand, um daran zu riechen. Du legst dich auf die Wiese und lässt deine Hände durch die Halme fahren. «Komm doch zu mir.»

Ich lege mich neben dich und schliesse die Augen. Ich spüre den Rasen wie eine weiche Matratze unter mir und höre das aufgeregte Zwitschern des Vogels, der sich sein Nest im Apfelbaum gebaut hat. In diesem Moment weiss ich es: Irgendwann werde ich mich freuen, wenn ich diesen Garten betrete. Über die feinen Blüten des Unkrauts, die Anpassungsfähigkeit der Moospflanzen und die Sonnenstrahlen, die durch die schweren Äste des Apfelbaums den Garten zum Leben erwecken. Ich werde mich in meinem Garten wohlfühlen. Vielleicht. Irgendwann.

Was uns bleibt | Quai ch’ans resta | Che cosa ci rimane

PH Goes Poetry #9 Schreibwettbewerb 2025

Die Räder im Team hinter dem Schreibwettbewerb sind bereits wieder in Fahrt. Kaum ist die 8. Auflage durch, haben wir die 9. Auflage von «PH Goes Poetry» bereits auf der Überholspur platziert. Das Schreibzentrum der PH Zürich und die Partnerhochschule PH Graubünden laden euch ein, Beiträge zum aktuellen Wettbewerbsthema einzureichen:

«Was uns bleibt» | «Quai ch’ans resta» | «Che cosa ci rimane».

Die Interpretation des neuen Themas übergeben wir euch:
Vergänglichkeit … welche Spuren und Erinnerungen hinterlassen wir … was ist die Bedeutung unseres Lebens … sind unsere Taten von Dauer …?

Eine Jury aus Slam-Profis sowie Studierenden und Mitarbeitenden der beiden Hochschulen wird die besten Texte auswählen. Die Nominierten treten dann im Herbst 2025 zum Finale im «Kafi Schnauz» gegeneinander an. Dann sehen wir, wer von euch sich auf der Überholspur befindet und im Live-Voting, das aus dem Publikum besteht, zu den drei Sieger:innentexten gekürt wird. Die Texte der Nominierten werden 2026 publiziert.

  • Alle Textarten sind erlaubt.
  • Einreichungen sind auf Deutsch, Italienisch, Rätoromanisch, Französisch oder Englisch möglich – in die Texte können auch weitere Sprachen einfliessen, die Bedeutung sollte sich aus dem Kontext erschliessen.
  • Textlänge: 3000 bis 5000 Zeichen
  • Teilnahmeberechtigt sind eingeschriebene und ehemalige Studierende sowie Mitarbeitende der beiden PHs und Teilnehmende des CAS-Moduls «Literarisches Schreiben».
  • Einsendeschluss: 31. März 2025
  • Die nominierten Texte können am Finale auch von einem Slammer / einer Slammerin (und nicht von der Autorin / dem Autoren) performt werden.
  • Preisgeld: 150, 100 bzw. 50 Franken für die ersten drei Ränge.

    Einreichungen bitte an: angelicabuehler@stud.phzh.ch

Weitere Informationen zum Schreibwettbewerb und zu früheren Durchführungen im Blog des Schreibzentrums unter tiny.phzh.ch/schreibwettbewerb und tiny.phzh.ch/booklets-schreibwettbewerb.

bygone

Kim A. Moser

Is there anything as sweet to remember as a bygone holiday? And I mean really remember, with all its vivid details. The delightful local food you ate, the chilly water embracing your sun-kissed body, heated up by the gentle rays of sunshine. Floating as the waves carry you, far away into the vast ocean. Carried away by the waves of the salty water, which form a smile at the corners of your mouth. That feeling of lightness and sense of pleasure carries you further. Far, far away into the wild, wide, expansive ocean. More water than your eyes can gather, neither your brain can process, nor your lungs can’t fathom the infinity. Way too much, way too big. That feeling of weightlessness is following you into your dreams. You’ll never forget the delicious local food you nourished your belly with and all the sweets that delighted your heart, with your eyes closed and taste buds dancing in delight. The memories of meandering through foreign streets, the scent of freshly washed laundry, drying and flying in the breezy, salty wind underneath the searing heat of the divine sun and still protected by the paradisical trees from the divinity. The laundry is surrounded by pure heavenliness. This feeling stays with you even in your deepest dreams, as you lie in your bed, wrapped in freshly laundered sheets carrying the aroma of the sea of flowers, while you are being carried off into the dreamland of your treasured bygone holiday. Whether it was a holiday from last week, last month, last year, or a lifetime ago. You’ll always hold those memories close to your heart. The bygone time is inconsequential; every bit of those cherished moments will remain etched in your mind forever and you will always remember at least a fragment of your bygone holidays as if you’re reliving them all over again. As if you were forever on holiday.

Kim A. Moser ist Tutorin im Schreibzentrum und Studentin Sekundarstufe

Versprochen

Was es auch ist, du kannst immer zu mir kommen. Du kannst mir alles erzählen. Vor mir brauchst du keine Geheimnisse zu haben. Es klingt schön, dieses Versprechen. Dein Versprechen, dass du mir zuhören wirst. Das Versprechen, nicht nur zuzuhören, sondern mich verstehen zu wollen, ein Stück in meinen Schuhen zu gehen und mich zu sehen. Zu sehen, wer ich bin und wer ich sein möchte. Und mich trotzdem, oder genau deswegen, noch gleich liebevoll anzusehen und in den Arm zu nehmen. Das Versprechen, es klingt schön und ich wünschte, ich könnte dir wirklich alles erzählen.

Aber wenn du über die sprichst, hörst du mich nicht. Beschallt von Vorurteilen, hörst du nicht, was ich sagen will, aber nicht wage auszusprechen. Wenn du über die sprichst, siehst du mich nicht. Geblendet von Wut und Hass, siehst du nicht, wie ich innerlich zerrissen bin zwischen denen und dir. Wenn du über die sprichst, fühlst du nicht. Betäubt vor Angst, fühlst du nicht, dass es eigentlich um Liebe geht.

Ich wünschte, du könntest dein Versprechen halten, aber wenn du über die sprichst, dann meinst du auch mich.

Anonymous studiert an der PH Zürich.

Pripyat

Nikolaus Steinauer

I slither lazily through the street, kicking up swirling dust in my wake. The sunlight streams through a gap in the clouds, catching the dust particles alight, making them look like tiny fairies. I sigh, singing past the buildings, smelling the distinct, putrid stench of rotting wood. Paint peels and crumbles from the side of buildings. Broken bricks scatter the cracked concrete. I pass carcasses of trees in a park where life once flourished, their shrivelled-up limbs, long since leeched of water and colour, rattle as I breeze past.

I pass by the Ferris wheel. It rises into the sky with a rusty frame, and sun-faded box seats. It creaks and groans as I sing through the gaps in the thick metal arms, protesting my presence. In the absence of humans and civilisation, the Ferris wheel no longer receives regular maintenance. I suspect it will collapse and crumble within the next decade, succumbing to the rust and decay left in the catastrophic wake of the humans’ devastating error.

I blow past a library and the books, stained yellow by the sun, ruffle like fallen autumn leaves as I move, chattering and sending more dust into the otherwise stagnant air. The wooden doors in the library flap, smacking against the walls, trying to free themselves from the hinges like an enraged monster shackled in a dungeon.

A decaying abandoned hospital stands in my way. The maternity ward makes me icy with sadness. Rusting cribs are still arranged in neat rows. A baby doll lays in one with its legs sticking towards the ceiling. Everything is a frozen moment in time. I twirl towards the old school and nursery. More dolls and school shoes, left where they fell, are covered in dust and rubble. Gas masks, collected by tourists, have been piled in one classroom. There is a puppet propped up on a rickety school chair, wearing a gas mask, and positioned in the smashed frame of an old television. If you were here, you wouldn’t shiver from just my icy breeze. The cold, hollow energy in this town is enough to run claws of terror down your back.

I make my way back to the park.

It didn’t use to be like this. Before it happened, the sound of children and families playing at the park filled the air. The trill of laughing children running around the dewy, manicured grass, chasing one another, would calm me down. They would often point at me, as I danced with the leaves. I didn’t want to disturb them, so I’d be little more than a warm, gentle breeze. Now, the park is little more than a stretch of dirt. More masks litter the vicinity. There’s some graffiti on a wall left there by tourists, painted in an array of pink, yellow, and indigo. It is the only patch of colour in this entire town.

That’s when an enormous expanse of brown, just outside the town, appears before my eyes. Tree skeletons are drooping towards the poisoned earth. The disaster has long since sucked the life from the dried up, radioactive soil. Trees will not grow for many millennia.

The heat of a fire billows through me. Fury. How could they do this? To their only home. They have so little regard for their environment. Now they’ve moved on to another place which they now call home. They never stop to think, that sooner or later, they will eradicate their own species.

I spin, gaining traction, faster and faster until I form a tornado fuelled by rage and dripping with disgust. As dust churns with me, I plough through the town, screaming and wailing as I rip it apart. I tear the bricks from the buildings and tear up floorboards. Windowpanes and glass rattle and shatter as I batter past. Books and toys and shoes fly in every direction as the

Ferris wheel groans and shudders against my force. Buildings protest as they thunder to the ground. With each brick I tear apart, the rage ebbs away, little by little. But I don’t stop. I must rid this town of any memory of their rotten species. I must wipe away any evidence they once lived here. I must wipe away their definition of life. Only misery and the ghosts of their existence shall remain.

To make way for new life.

Tears stream from my tornado body, splattering the ground. I do not stop my rampage, even when the sun dips below the horizon, and the clouds gather across the sky, blanketing the town in liquid darkness.

Just as I am about to tear apart the Ferris wheel, something catches my attention. The sky opens. Clouds shift, moving aside until a sliver of the abyss beyond makes an appearance. A bright full moon stretches a finger of ghostly light onto a small patch of land not too far from the town. Pale white light glints on the violet petals of large flowers. Pink mushrooms the size of dinner plates sprout tall and proud above the evergreen grass. They are mutated plants. But they grow taller, and more powerful than ever towards the stars. The mushrooms’ silhouette against the backdrop of the clouds shall be the only reminder of the events that transpired 36 years ago. I gasp. Then everything falls silent. No more wailing or shrieking. This has become one of the few places, where you can see the future of life.

Nikolaus Steinauer studiert auf der Sekundarstufe I

Dieser eine Schritt

von Jonas Maurer

Was mache ich hier? Nur ein Schritt, eine Tür öffnen und mein Leben wird sich für immer verändern. Eben freute ich mich noch auf diesen Moment und jetzt? Wer ist diese Frau im Spiegelbild? Will sie das wirklich? Ist sie schon bereit diesen Schritt zu gehen? Dieses wunderschöne Kleid in diesem fast schon unwirklichen Entrée. Diese Ohrringe, so schöne hatte ich noch nie und doch ziehen sie mich nach unten, als wären es Bleigewichte, welche mich in die Tiefe eines Sees ziehen und mich ertrinken lassen. Ich, der Gang und diese Tür. Die Tür, die, wenn ich sie öffne, alles verändert. Falls ich sie öffne. Mein Spiegelbild schaut mich unwirklich an. Ein kurzer Moment der Entschlossenheit und dann? Schon wieder passé. Unsicherheit. Meine Hände zittern. Vor Angst, vor Aufregung oder von beidem? Ich weiss es nicht. Das kann doch nicht sein! Ich habe so lange auf diesen Moment gewartet, habe mich gefreut, fast schon in etwas reingesteigert. Ja, vielleicht ist es das. Ja, genau das muss es sein. Ich habe mich zu sehr gefreut. So einfach, und nun habe ich kalte Füsse bekommen. Ich fürchte mich davor, dass die, in jedem Augenblick gefühlte Freude, der Vorfreude nicht genügen kann. Ja, das muss es sein. Und nun nehme ich diesen Knauf in die Hand und… oder ist das nicht eine Türklinke? Ganz klar, eine Türklinke, aber das ist doch sans importance. Wichtig ist nur, dass ich jetzt die Türklinke in die Hand nehme und endlich diese Tür öffne. Diese Tür, die alles verändert. Diese Tür, die das Tor zu einer langersehnten Zukunft bedeutet. Zu meiner Zukunft! Meine Hände sind schwitzig. Ich beginne noch heftiger zu atmen als schon zuvor. Mein Herz pocht, es droht zu zerspringen. Adeline verliere die Contenance nicht! Atme tief ein, schau dir in die Augen, du kannst das. Das ist dein langersehnter Moment. Doch jetzt, sowie ich in meine Augen blicke, sehe ich Angst. Panik! Ich kann nicht! Das ist zu viel für mich! Ich kann immer noch zurück ich… kann ich das noch? Kann ich wirklich noch zurück? So weit habe ich es gebracht, so weit bin ich gekommen, so viel habe ich investiert und nun zurück? Nein ich kann nicht mehr. Ich stecke viel zu weit drin. Ich kann nicht. Ich ging zu weit. Ich kann unmöglich zurück, was würden sich die anderen denken? Adeline nimm dich zusammen und hab ein wenig Courage. Es ist nur eine Türe, nur ein Knauf, nur ein Schritt. Eigentlich nur ein kleiner Schritt, aber ein grosser Schritt für mich. Alles wird sich ändern. Meine Knie zittern. Mein Herz pocht. Mein schönes Kleid, dessen sanfter Samt mich umgibt. Ich habe schon viele schöne Kleider getragen, aber dieses übertrifft alle und genauso wird dieser Moment sein, in dem ich endlich diese Türe öffne. Das Tor zu einer neuen Welt. Zu einer Besseren. Mein Spiegelbild blickt mir in die Augen. Dieser Blick, diese Augen, ce visage. Es sieht mich entschlossen an. Diese Entschlossenheit in meinem Gegenüber. Und doch, tief in mir, spüre ich noch einmal die Unsicherheit aufkommen. Wäre ich doch nur so entschlossen, wie mein Spiegelbild. Wäre ich doch diese entschlossene Frau. In mir kämen keine Zweifel auf. Ich stünde nicht so lange vor dieser Türe. Ich ginge, ohne zu zögern durch dieses Tor. Aber vielleicht brauche ich diese Unsicherheit. Vielleicht brauche ich diese Zweifel. Vielleicht brauche ich noch diesen einen letzten Kampf gegen mich selbst. Doch wer gewinnt? Mein Spiegelbild! Dieses Spiegelbild, das mich ohne Zweifel ohne jegliche Unsicherheit ansieht. Liebend, dass ich gleich diesen Schritt gehen werde. In Erwartung, dass ich gleich dieses Tor öffne und sich mir eine neue Welt bietet. Voller Freude, dass ich diesen Schritt nun gehe. Noch immer habe ich schwitzige Hände, noch immer pocht mein Herz, noch immer zittern meine Knie. Aber nichts kann mir diese Gewissheit nehmen! Hinter dieser Türe befindet sich mein neues Leben. Ein besseres, eines, dass ich wirklich will. Noch einmal sehe ich in meine Augen. Mein Spiegelbild geht voraus, macht den ersten Schritt. Und dann, kurz vor dem Ergreifen des Knaufs, der Türklinke, drehe ich mich noch einmal um.

Jonas Maurer studiert auf der Sekundarstufe 1.

Totes Leben

von Mirya Fazili

Du fühlst seine Haut.
Die ist noch warm.
Noch.
Oh.
Kalt.
Vorbei ist seine Umarmung,
vorbei ist sein Geruch,
vorbei ist
– Er.
Sehnsüchtig bist du,
gefüllt mit Trauer,
Frust und Hass.
Warum?
Angst hast du
mit seiner Umarmung besiegt,
Unsicherheit hast du
mit seinen Küssen überwunden,
gelebt hast du
in ihm.
Weisst du noch,
wie du manchmal
seine Hand gehalten hast,  
und dachtest,
sicherer ginge es
nicht?
Unvorstellbar war seine Distanz,
unerträglich seine Abneigung
schmerzhaft war sein Zorn.
Schaust du seine Augen an,
schläft er?
Du wolltest ihn doch
so
ewig anschauen dürfen,
geniesse es.
Bald sehen seine Augen
nichts
ausser
den Holzdeckel seines neuen Zuhauses.
Ein ewiges Zuhause.
Und
dein Zuhause?
Musst du
neu suchen, finden, bilden.
Weg ist dein Boden,
weg sind deine Säulen,
weg ist dein Halt.
Oh.
Kalt.
Wo ist er hin, obwohl bei dir?
Was macht er, obwohl in deinen Armen?
Bei wem ist er, obwohl bei dir?
Weine, schreie, umarme,
– es beruhigt.
Küsse,
– es regt an.
Nun vielleicht
doch
nicht mehr.
Dein Haus,
das du in ihm erbaut hast,
hat er
zerstört.
Hat er?
Leere, Flamme, Explosion.
Gefühle.
Willst du
auch
kalt werden?
Willst du??
Du???
Umarme, küsse, rette dich.
Baue dir ein neues Haus,
mit Halt,
ein Zuhause.
Trage die Erinnerungen im Herzen,
er bleibt
da
– in dir.

Mirya Fazili ist Studentin in der Sekundarstufe an der PHZH.

Windes Liebe

Von Nadia Gsell

Es war der Wind, ganz klar der Wind, der mich lächeln liess, als ich die mit Sonnenstrahlen getränkte Allee hinunterlief. Allerorts lagen die farbigen Blätter der Bäume und Büsche auf den Strassen und Wegen. Der Wind brachte mir eine Geschichte, doch nicht nur eine Geschichte, nein, er brachte mir das Lächeln wieder. Das Lächeln, das ich vor langer Zeit verloren hatte, das Lächeln, das ich sehnlichst vermisste und das doch noch nicht gefunden werden wollte. Die Geschichte handelte von der Liebe, die der Wind auf seiner Reise gesehen, aufgesogen und mitgenommen hatte. Der Wind sammelte die Liebe auf Strassen, offenen Fenstern, Bahnhöfen und Gewässern. Ja, der Wind hatte so manche Arten von Liebe erfahren. Gewiss kann der Wind die Liebe nicht festhalten, der Wind will Liebe geben. Die Liebe geht ihren Weg durch Strassen, Gärten, Waldwege und noch so dünne Spalten. Der Wind bringt die Geschichten der Liebe, all die Momente, all die Gefühle von Geborgenheit, Zuneigung und Zufriedenheit. Die allerschönsten und stärksten Geschichten bewahrt der Wind sich für die dunklen Zeiten, die dunklen Tage und die allerdunkelsten Gemüter auf. Ja, der Wind, er spürt, wo er gebraucht wird. Ich habe den Wind gebraucht, ja, ich durfte die Geschichte von der Liebe hören. Die Liebe für die roten, für die gelben und die braunen Blätter. Liebe für den Nebel, der mir jeden Morgen im Gesicht schmeichelt. Liebe für die Kastanien, die die Wege zieren. Liebe für die dunkle, schüchterne Sonne, die zur Mittagszeit durch die Wolken blickt. Liebe für alle Töne der Farbe Orange. Ja, Liebe für den Herbst. Ja, ein Lächeln auf meinem Gesicht.

© Nadia Gsell

Nadia Gsell ist Studentin an der PH Zürich. Am Schreibwettbwerb PH Goes Poetry 2022 belegte sie den dritten Platz.

Lange Nacht der aufgeschobenen Arbeiten

Die «Lange Nacht der aufgeschobenen Arbeiten» findet dieses Jahr wieder statt – und das bereits zum sechsten Mal! Am 16. November von 18 Uhr bis Mitternacht bietet sich wieder die Gelegenheit, in der Bibliothek ewig verspätete und liegen gebliebene Arbeiten vorwärtszutreiben. Bei Fragen rund ums Schreiben beraten Mitarbeitende und Tutorinnen und Tutoren des Schreibzentrums. Das Digital Learning leiht nicht nur seine Geräte aus, es bringt auch deinen Laptop wieder in Schuss! Frisch gemixte Drinks, heisse Pizzas und schnelle Slam-Poet:innen (mit dem legendären Lukas Becker und den PH-Goes-Poetry-Preisträger:innen 2021 Peter A. Kaiser und Laura Bachmann) helfen den fleissigen Schreiberlingen, wieder in die Gänge zu kommen.

Die Sprache des Kriegs schwitzt die Angst

Im Fallen lernt die Feder fliegen, Usama Al Shahmanis zweiter Roman, erschien im Spätsommer 2020. Anlässlich der Studienwoche Migration Inland las der Autor an der PH aus seinem ersten Werk In der Fremde sprechen die Bäume arabisch und sprach anschliessend mit Erik Altorfer. Hier veröffentlichen wir Auszüge aus diesem Gespräch.

Deutsch als literarische Sprache

«Ich geniesse in der deutschen Sprache die Freiheit, ich geniesse es, nicht darüber nachdenken zu müssen, was die Folgen des Geschriebenen sein könnten. Im arabischen Kontext wirkt der Kritiker in mir sehr stark –  das macht die Räume für mich enger. Dazu kommt die Beziehung der Sprache zum Inhalt. Die deutsche Sprache ermöglicht mir, eine Distanz zum Gegenstand aufzubauen. Ich schreibe über Dinge, die mich berühren, aber durch die deutsche Sprache bildet sich eine dünne Folie zwischen mir und dem Geschehen. Und doch ist es manchmal schwierig: alles spielt in meinem Denkraum, meinem Wahrnehmungsraum und trägt aber eine andere Sprache. Oft sind die Gefühle nicht transportierbar – in einer anderen Sprache können sie nicht repräsentiert werden. […]»

Die Sprache des Krieges

«Der Krieg hat die Sprache verstümmelt, er hat sie gelähmt. Der Krieg reduziert das Vokabular einer Sprache und verändert ihre Semantik. Ich kann mit Leuten über Krieg sprechen, und sie können sich den Krieg vorstellen. Aber wenn man den Krieg erlebt hat und ein Wort im Krieg benutzt wurde – was man gesehen hat, was man hautnah gespürt hat – dann hat das Wort eine andere Farbe. Das Licht der Sätze, des Geschilderten bricht anders, die Sprache schwitzt die Angst, die man hatte. […]

Manchmal versuche ich, meine literarische Sprache von dieser Sprache des Krieges zu entfernen, aber es gelingt mir nicht immer. Ich rutsche ständig in diese unangenehme Atmosphäre. Für mich als Autor beim Schreiben und für die Leserschaft ist das unangenehm. Aber es ist die literarische Verarbeitung einer Erfahrung. Es gibt nichts Schöneres als die Literatur: diese Erfahrungen sprachlich zu bekleiden, Figuren zu schaffen und die Erfahrungen so in der Literatur zu verewigen. Das sind unsere Geschichten. Die Geschichten der Menschen. […]»

Die Flucht

«Die Flucht ist keine Wahl. Flucht ist eine Reaktion, keine Aktion. Man reagiert auf die Tatsache, dass man sein Leben retten muss. Ohne Plan, es spielen Schicksal, Vernunft und Beziehungen mit. Im Krieg ist der Zufall der Herr des Augenblicks. Es ist Zufall, dass man diese Strasse nimmt und nicht die andere. Auf der einen stirbt man, auf der anderen wird man gerettet. […]

Ich habe die Flucht nicht geplant. Ich war ein ganz normaler Doktorand und Autor und beschäftigte mich mit Literatur. Ich war einfach lebendig. Nach der Aufführung eines meiner Theaterstücke an der Universität wurden wir vom Geheimdienst gesucht, zwei Kollegen aus der Theaterproduktion wurden festgenommen. Ich musste darauf reagieren. Ich hatte die Wahl, an die Uni zu gehen und verhaftet zu werden oder zu fliehen. Ich habe mich entschieden. Ich verliess die Stadt und dann begann der ganze Prozess der Flucht. […]

Im Exil denkt man jeden Tag an die Rückkehr. Dieser Gedanke ist unabschaffbar. Es ist eine ständige Zerrissenheit. In meinen Büchern sind die Figuren zwar in der Schweiz, aber ihre Gedanken und ihr Erleben wirken so, als wären sie im Irak: eine ständige Rückkehr, eine ständige Spaltung. […]»

Akzente-Medientipps zu Usama Al Shahmanis Romanen Im Fallen lernt die Feder fliegen und In der Fremde sprechen die Bäume arabisch.