Ich behaupte, dass jeder und jede von uns als Kind einen Traumberuf hatte: Meiner war bestimmt Astronaut, soweit ich mich erinnere. Ist es nun vorbei mit klassischen Traumberufen von Kindern? Die Zeit ist im Wandel und mit ihr verändert sich auch die Art und Weise, wie wir unsere professionelle Karriere sehen und gestalten können. Was meine Eltern sich nie hätten vorstellen können, ist für mich Alltag. Heute gibt es Antworten auf Fragen, die man früher gar nicht gestellt hatte.
Das beste Beispiel hierfür ist der sogenannte Influencer. Der «Beeinflusser» ist grundsätzlich eine Person des (mehr oder weniger) öffentlichen Interesses, die sich auf sozialen Medien selbst inszeniert, darstellt und eine beträchtliche Anzahl von Fanatikern belustigt. Doch die Frage ist: Wie ernährt man damit seine Familie?
Da die meisten Influencer sowieso noch jung sind und die Welt ganz eigen sehen, mache ich mir keine Sorgen um ihre Familien. Tatsächlich erhalten sie pro Klick und pro Person, die ihre Videos anschaut, einen Geldbatzen, der in grösseren Mengen längst für eine Familie ausreicht. Zudem gestalten Influencer ihren Inhalt auch mit gesponserten Marketingkampagnen für irgendwelche Spiele oder Energy-Drinks.
Gut für sie, oder?
Ich sehe kein Problem darin. Wenn man auf diese Weise erfolgreich werden kann, dann ist es so. Obwohl man sich dies früher nicht hätte denken können, ist es heute die Realität. Sogar auf Berufsmessen für Jugendliche ist der Beruf des Influencers gut vertreten, in fünf Jahren kann man sicher die Lehrstelle und die Berufsmatura auf diesem Fachgebiet abschliessen.
So unvorstellbar. Und doch so echt. Wie der Wunsch, ein Astronaut zu werden.
Nicholas Rilko studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutor im Schreibzentrum.
Der Duft von frisch geschnittenem Gras Vögel formieren sich nach einem eigen orchestrierten Schwarm wer ist die Dirigentin? Die Sonne durchbricht den Morgennebel taucht die Hausdächer in warmen Glanz
Das Gewitter in meinem Kopf zieht rasch weiter Ich gseh öpis, wo du nöd gsehsch! Brauchen Sie Unterstützung? Bitte, bitte bitter! Entschleunigung Sie alle buhlen um meine Aufmerksamkeit
Müde, in sich gekehrte Gesichter still alle – die Menschen dahinter vergraben hinter «20 Minuten» oder dem Smartphone da durchbrechen fröhliche Kinderstimmen diese unheimliche Stille
Links wurde meine Mutter aufgebahrt und kremiert Abschied nehmen von so vielem entsteht dadurch Platz für Neues?
Die Hausruine starrt mich aus dunklen Augen an Erinnerungen an ihre Bewohner kommen hoch Urs an der Dialysemaschine Elsbeth in der Küche David, der als Kleinkind ins Feuer fiel an seinen älteren Bruder Simon habe ich keine Erinnerung obwohl ich mit ihm in den Kindergarten ging
Hinter dem Haus ein grosser Garten mit Hühnern der Hahn fiel uns Kinder von hinten an verteidigte er sein Harem, seine ungeborenen Kinder? Einmal waren wir bei einer Schlachtung dabei mussten das Huhn auch ohne Kopf noch festhalten sonst wäre es über das Hausdach davongeflogen Habe ich das wirklich geglaubt, damals?
Petra Hänni studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutorin im Schreibzentrum.
Ich sitze im Tram Richtung Helvetia und fahre durch die Zeit. Gestalten und Gesichter huschen, Geschichten ziehen vorbei. Auf dem Bundesplatz sitzt die Klimajugend und singt.
Nächster Halt: 1989. Sonniger Wintertag, frostgetrocknet. An der Reuss zieht es. Die Füsse gefroren, eisiger Wind im Kragen. Luzern erwartet seinen neuen Bundesrat. Bunte Wimpel, Trachtenmädchen, Bratwurst vom Grill.
Der Herr verkauft Stumpen, baut Fahrräder. Auch für die Armee. Ein entschlossener Gesell.
«Hausmänner statt Wehrmänner» steht auf einem Transparent. Am Rand des Festplatzes lungern einige Revolutionäre beim Ufer-Steg. Sie haben ihre Babys aus den Kinderwagen genommen und wiegen sie auf dem Arm, während sie Blumen verteilen. Die Kleinen, quengelig, mögen nicht mehr warten.
Gefahr droht dennoch nicht. Einige ältere Herren – Aktivdienstgeneration – haben alles im Griff. Einst haben sie an der Grenze den Hitler vertrieben. Da werden sie mit ein paar Kommunisten auch noch fertig. Mit Schimpf haben sie die Bande umzingelt und halten die Wartenden in Schach. Diese verweigern beleidigt den Streit: Die Demo hat doch noch gar nicht angefangen!
Dann bewahrheitet sich an den Rentnern, wovor diese Rüstigen selbst immer warnen: Mangelnde Verteidigungsbereitschaft lädt zu Gewalt. Berauscht durch ihren Anfangserfolg sinnen die Herren auf den Endsieg und greifen den Kessel an. Hauend und stechend gehen sie mit ihren Schirmen auf die Pazifisten los. Aus einer geplatzten Stirn strömt Blut, Kinderwägen und Väter straucheln, rückwärts treten Füsse in den Fluss, Hände mengen sich an Kragen, es wird um Stoff gerungen, an Fahnen gezerrt, die Jugend belehrt und – da sich diese nicht mal wehrt – mit Watschen bekehrt. Aber es sind zu viele: Die aufgewiegelten Massen – mindestens zwölf müssen es sein, Frauen, Kind und Kegel – verschanzen sich hinter dem Buggy. Dort können sie sich halten, hoffen auf Entsatz. Doch dann kommt die Kavallerie: Die Stadtpolizei eilt den Gerechten zu Hilfe, das gibt den Ausschlag. Endlich treibt das Banner in der Reuss: Hausmänner und Blumen gehen den Bach runter.
Und gerade jetzt, dümmster Moment, kommt JP um die Ecke: Fünfzehn Jahr, krauses Haar, liebenswerter Chaot von der Revolutionären Jugend – wie immer zu spät mit seiner riesigen roten Sowjetfahne, auf die er so stolz ist. Weil sie so gross ist. Und so rot.
Nächster Halt: Zurück in Bern. Schmierikon. Ich schlage die Zeitung auf. Alles wird dreckig jetzt. Zwei Erwachsene reden gemeinsam mehr vulgäres Zeug als fünfhundert engagierte Jugendliche. Was diese um der Sache willen hinkriegen – Selbstdisziplin –, machen jene mit Unbeherrschtheit binnen Sekunden platt. «Wer hat angefangen?» – Ernsthaft jetzt? Sind wir denn im …?! Keine Gewalt, auch nicht mit Worten. Niemanden beleidigen! Die Jugendlichen haben das in ihren Aktionstrainings geübt. Aber kann man sowas auch von Volksvertretern verlangen?
Bin ich froh, fährt das Tram weiter.
Die Stadtpolizei hat die Fahne mittlerweile konfisziert. Monate früher als in Moskau fällt die UdSSR an der Reuss. Ach JP – Revolutionär und Freund von Gandhi! Deine Ideen sind noch wirrer als dein Haar …! Auch die Kinderwagen sind inzwischen – des Platzes verwiesen – mutlos entrollt. Kampfmontur hat äusserst beruhigende Wirkung.
Stille auch auf dem Bundesplatz. Tag danach. Den Müll auf den Strassen kann man kehren. Aber bei den Erwachsenen – kommt mir vor – hilft keine Dusche. Dreck, geschleudert, bleibt kleben. Und wie reinigt man – kommt mir vor – befleckte Kinderseelen? Nichts als Schmutz. Kein Wort von Klimaschutz.
«Wer hat angefangen?» – Echt jetzt?!
In Luzern sitze ich inzwischen neben JP auf dem Posten. Der Polizist vor uns hat Zeit.
Ich bin eigentlich nur als Übersetzer dabei. Weil JP den Ton nie trifft: Dauernd deuten die Beamten seine Leidenschaft als Trotz.
«Nur mal am Rande: Wie züchtet man eigentlich einen Camenisch?»
Gekommen sind wir wegen der Fahne. Nicht, dass mir an der das Geringste liegt. Die Sowjetunion ist so gut wie Geschichte. Wegdemonstriert von Menschen. Die haben sich versammelt. Friedlich. Trotz Verbot. Das finde ich alles gut so.
Aber um die Meinungsfreiheit sorg ich mich. Und um JP («Denn sie wissen nicht, was sie …»): Der trifft vielleicht den Ton nicht immer, aber er ist da. Lebt und denkt. Vielleicht auch oft krude und verkehrt, aber stets mit seinem eigenen Kopf, der Tropf.
Und plötzlich wird es ernst. Für die Klimaschützer. Für JP. Der Polizist will ihn nicht mehr gehen lassen, kriegt er ihn schon endlich zu fassen. Für die freie Meinung wird nun die Rechnung präsentiert. Nicht noch erst lange rumlamentiert. Ritalin in Vollmontur, das kostet eben. Diese Pille wird nicht umsonst gegeben!
Wenn alles Watschen nicht hilft und nicht die Polizei, dann ist noch lange nichts vorbei. Bleibt noch die Schweizer Wunderwaffe: Gerichtsvollzug, Betreibungsamt. Würgegriff der anderen Art – Luft abdrücken durch Pfänden.
Das funktioniert: Kindheit beendet. Leben verbaut. Und Ruhe ist. Nächster Halt: Amtshausgasse. – Echt jetzt …?
Peter A. Kaiser studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutor im Schreibzentrum.
Seit der Corona-Zeit geniesst unsere Katze besonders viel Streicheleinheiten und bedankt sich für diese zusätzliche Aufmerksamkeit in Form von nächtlichen Beuten, die sie stolz auf dem Teppich vor meinem Bett platziert. Mehrmals pro Woche werde ich von jämmerlichem Gepiepe geweckt. Dieses eine Mal war es wohl eine widerspenstige Maus, die sich mit allen Mitteln gewehrt hatte. Auch wenn von diesem kleinen Nager am nächsten Morgen jede Spur fehlte, hatte er im Gesicht und Fell unserer Katze böse Bisswunden hinterlassen. Ich möchte gar nicht ins Detail gehen, aber es war kein schöner Anblick und musste vom Tierarzt untersucht werden.
Nun war ich also mit meiner Katze auf dem Beifahrersitz auf dem Weg zu diesem Termin. Obwohl die Strassen seit dem Lockdown ziemlich leer waren, hatten sich heute anscheinend besonders viele Leute dazu entschlossen, mit dem Auto zur Arbeit zu gehen. Als wäre dieser unerwartete Stau noch nicht genug, sass in diesem grauen Opel vor mir noch ein Sonntagsfahrer. An jedem Lichtsignal bremste er schon viel zu früh ab, liess jeden Fussgänger über die Strasse und fuhr maximal 40 km/h. Seit dem Lockdown war ich mir so stressige Situationen einfach nicht mehr gewohnt.
Erschöpft liess ich mich im Wartezimmer des Tierarztes in einen Stuhl sinken. Bald streckte die Praxisassistentin ihren Kopf zur Tür hinein, um mich freundlich aufzurufen. Ihr Lächeln fror aber sofort ein: «Oh, Sie sind das!» Sie war diese lahme Schnecke, die mir vorher auch noch den Parkplatz vor der Nase weggeschnappt hatte. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie unangenehm und eisig die Stimmung während der ganzen Untersuchung war. Aber hey, meine Katze ist wieder fit und geht fleissig auf nächtliche Jagd. Was man für seine Vierbeiner nicht alles in Kauf nimmt …
Corinne Zahnd studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutorin im Schreibzentrum.
Sie schaut mich an. Ich schaue nach unten, beschämt. Dazwischen liegen 200 Kilometer, eine Grenze und zwei Computer. Kurz zuvor hatte ich ihr gesagt, was passiert war. Sie wusste es schon, ahnte es zumindest. Ich wusste, dass sie es wusste. Sie redet auf mich ein, weint, ist wütend. Enttäuschung und Trauer treffen mich, als wäre sie ganz nah. Ich? Ich weiss nicht, was ich fühlen soll. Fühle viel, denke wenig. Hätte ich nur gewusst, was ich will. Gesagt, was ich will. Fünf Tage zuvor wollte sie zu mir kommen. Wir würden darüber reden, hatten wir gesagt. Das war der Plan. Doch an der Grenze wurde sie zurückgeschickt. Kein Schweizer Pass, kein Wohnsitz, mich besuchen sei kein legitimer Grund. Also umkehren einsteigen und zurückfahren. Sie schon wieder in Freiburg, ich, immer noch in Zürich.
In Zürich: Dachterrasse, Wein, Sommerabend, noch mehr Wein, Küsse. Scheisse. Fuck. Zu weit, zu nah, zu spät. Eigentlich, eigentlich, aber eigentlich ist sie alles, was ich will, alles, was ich je wollte, alles, was ich mir erträumen konnte und mehr. Wenn ich sie anschaue, wenn ich bei ihr bin, wenn sie da ist, dann geht’s mir gut, dann fühl ich mich wohl. Bei ihr bin ich angekommen und mit ihr neu geboren. Aber ich rede nicht über Probleme, ich rede nicht über Bedürfnisse und Wünsche. Weil es mir doch gut geht, gut gehen sollte, weil ich glücklich bin, glücklich sein sollte.
Doch was weiss ich schon über die Liebe? Über Verlangen? Über Treue? Nichts. Absolut nichts. Und trotzdem liebe ich, verlange ich, vertraue ich. Wir haben uns verloren, haben uns gefunden und verlieren uns erneut. Jetzt stehen wir da zwischen Zärtlichkeit und Angst.
Hätte ich nur gewusst, was ich will. Gesagt, was ich will. Was, wenn ich nicht weiss, was ich will?
Angelica Bühler studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutorin im Schreibzentrum.
Seit fünf Wochen klingelt mein Wecker fünf Tage in der Woche um fünf Uhr. Zu Beginn ging ich davon aus, dass ich mich daran gewöhnen würde. Jeden Morgen redete ich mir ein, dass sich mein Körper einfach noch an den neuen Schlafrhythmus gewöhnen müsse. Mit der Zeit würde alles besser werden. Es wurde nicht besser. Noch immer sträubt sich am Morgen jede Faser meines Körpers dagegen, aus dem Bett zu steigen und den in diesen Momenten nahezu unerträglich scheinenden Weg ins Badezimmer anzutreten. Dass mit Routine und Übung alles einfacher wird, ist eine der Lebenslügen, die ich mir immer wieder erzähle: Wenn ich genug trainiere, werde ich mit meinem Velo bald ganz entspannt die Berge hochfahren können. Wenn ich mir den Samstagmorgen immer fix zum Putzen einplane, werde ich mich mit der Zeit gar nicht mehr über das Putzen nerven. Wenn ich mich immer gesund ernähre, werde ich mich irgendwann gar nicht mehr nach Burger und Pommes sehnen.
Aber noch immer läuft mir beim Anblick von Fast-Food-Buden das Wasser im Mund zusammen, noch immer verspüre ich beim Polieren der Wasserhähne keine Begeisterung, noch immer brennen meine Muskeln, wenn ich einen Pass hochfahre und noch immer verfluche ich meinen Wecker jeden Morgen aufs Neue. Viele der wichtigen Dinge im Leben werden wohl immer schmerzhaft und anstrengend bleiben, egal wie sehr ich mich um Routine bemühe. Und da frage ich mich manchmal schon, warum ich mir diese Plagerei eigentlich antue. Doch dann sehe ich, wie die Sonne hinter dem Säntis aufgeht und sich im Zürichsee spiegelt, oder ich ertappe mich dabei, wie ich im streifenfrei-polierten Spiegel selbstverliebt meine Radlerwaden bewundere. Und plötzlich erscheint mir die Welt doch nicht mehr so ungerecht. Zumindest so lange, bis um fünf Uhr der Wecker läutet.
Peter Fäh studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutor im Schreibzentrum.
Abgesehen von der globalen Pandemie, die uns immer noch beschäftigt, passiert aktuell auch noch ziemlich viel anderes auf diesem Planeten. Klimaerwärmung beispielsweise. Flüchtlingskrisen. Frauenstreiks.
Und: Rassismus und Diskriminierung. Jetzt, hier, überall.
«I can’t breathe.»
Auch ich bin Teil eines Systems, das Weisse in so vielen Situationen bevorzugt. Ein System, das Schwarze und People of Colour, Asiat*innen oder Angehörige indigener Völker ausgrenzt, diskriminiert, mit misstrauischem Blick taxiert, zu Minderheiten macht. Auch ich bin Teil des Problems, wenn ich mich nicht aktiv dagegen ausspreche und aktiv dagegen vorgehe. Denn schlussendlich ist Stillschweigen bei Ungerechtigkeiten auch immer eine Form der Zustimmung.
«I can’t breathe.»
Ich weiss nicht, wo wir anfangen sollen bei diesem Missstand, der unsere Gesellschaft seit Jahrhunderten wie ein Parasit befällt. Wie wir endlich begreifen können, dass keiner und keine besser ist als das Gegenüber. Dass jeder Glaube und jede Herkunft Berechtigung hat, anerkannt werden sollte, und dennoch absolut nichts über einen Menschen aussagt.
Es braucht aber jetzt eine Veränderung, dringend.
Ich für meinen Teil beginne mit der Sprache. Sie steht uns allen zur freien Verfügung und wir haben es selber in der Hand, welche Worte wir verwenden, ob wir «rassistische Witze» tolerieren, ob wir uns bei Diskussionen über «die Ausländer, die immer …» beteiligen, ob wir stillschweigend zuhören oder ob wir endlich damit anfangen, uns dagegen auszusprechen, und Partei ergreifen für jene, die es leid sind, den Kampf ständig alleine auszufechten.
Lasst uns gemeinsam kämpfen.
Denn, egal ob Held oder einfach nur Nachbarin:
Wir alle sind Menschen.
Ronja Stamm studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutorin im Schreibzentrum.
Wie Nicholas vor zwei Wochen beschäftigen mich Helden. Eine neue Wohnung wie Natascha hätt ich auch, die staubt seit Mai wegen Corona ohne Möbel vor sich hin. Aber das ist die kleinere Geschichte. Wenngleich «Staub zu Staub»: Da wär ich beim Thema.
Neulich abends vor dem Fernseher hat mich das Entsetzen gepackt. Ist mir bewusst geworden: Viele Junge heute kennen Clint Eastwood nicht mehr. Jedenfalls nicht in Poncho und mit Hut. Das wäre zu verkraften, aber was soll ich ihnen dann mit Brando kommen, Dean oder Hopper? Ganz zu schweigen vom Rainer Werner oder den Ganzgrossen hinter der Kamera?
Auch das wär zu verkraften – was ist schon Film? Dürrenmatt dann vielleicht? Auch nicht? Dutschke oder King? Dylan oder wenigstens Jagger? «Cassius Clay» am Ende oder – hallo, wir sind in Zürich! – Roger Berbig? Alles Fehlanzeige!
Ich sinniere zurück in meine Jugend und erinnere mich: Im riesigen Dschungel der Welt habe ich mir einst meinen Weg gebahnt, meinen Verstand als Machete: Habe Helden erwogen und wieder gefällt. Neue erwählt und durch andere ersetzt. Glauben gezüchtet und gejätet. Mal hoffend, meist hadernd bin ich auf der Suche nach Autorität zwar nicht fündig, aber allmählich selbst eine geworden.
Die Suche hat mich geformt. Meine Aussenkanten definieren Menschen: Ich bin verletzt wie Hopper oder Saint Phalle, lebenshungrig wie Dean, wünsche mir den Scharfsinn von Dürrenmatt oder Beauvoir, den Mut von Ali, messe mich an der Aufrichtigkeit eines Dylan. Und gefalle mir ab und an ganz gern ein wenig bockig. Wie Eastwood.
Aber: Clint Eastwood …? – Wer war das noch gleich? – Wie könnt ich das je erklären …
Ich bin dann haltlos schlafen gegangen und habe von einem alten Freund geträumt. Wir sassen in einem Café und ich erzählte ihm von meinem Leben.
Arno Gadola war einst «kleiner» Pfleger der Psychiatrie, aber mit grosser Vision: Aus eigener Kraft schuf er in Bern die Organisation Pro Vita 24. Dieser Spitexdienst betreut psychisch Kranke zu Hause und sichert ihnen so Freiheit und Würde. Daneben hat sich Arno sehr für Kunst interessiert und ausgestellt. Auch mich. Nur wenige Wochen nach seinem grossen Fest, dem zehnten Jubiläum seiner Firma, hat er mir von seiner Diagnose erzählt. Er starb nach langer Krankheit. Arno widme ich den folgenden Text, der am nächsten Morgen entstand.
Verblassen
Ich habe bedeutende Menschen gekannt. Du kennst sie nicht, ihre Namen standen nicht in der Zeitung. Aber sie haben die Welt geschaufelt mit grossen Kellen und ich kam mir wichtig vor, sie zu kennen.
Sie sind gestorben und es blieb mir nichts von ihnen als Erinnern. Bleicher, mit jedem Versuch zu erzählen. Unnütz an dem Ort, wo die Welt nun dreht. Milliarden neuer Geschichten jede Sekunde spülen sie hinweg in dem Strom der Zeit, in das Meer des Vergessens.
Hilflos schaue ich zu, wie diese Menschen verschwinden. Und mit jedem ein Teil von mir. Meine eigne Bedeutung verblasst: Weniger und weniger habe ich zu erzählen. Bald bin ich nichts mehr. Und dann bin ich nicht mehr.
Und es wird an Dir sein zu sagen: Ich habe bedeutende Menschen gekannt.
Peter A. Kaiser studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutor im Schreibzentrum.
Corona-Zeit war und ist Gammellook-Zeit. Und auch ein bisschen Räumen-wir-später-auf-Zeit. Zumindest bei mir. Die perfekte Zeit also, um seine neuen Nachbarn kennenzulernen – oder?
Mein Freund und ich haben nämlich inmitten dieser komischen Zeit beschlossen, nach Zürich zu ziehen. In die Wohnung neben meiner besten Freundin – und über den erwähnten neuen Nachbarn. Diese neuen Nachbarn haben ein Zügelunternehmen. Und weil wir vor allem anfangs nicht so Fan waren von der Idee, unseren gesamten Haushalt wegen Social Distancing ganz alleine zu zügeln, haben wir beschlossen, ebendiese Nachbarn doch mal anzufragen, was denn das Für-uns-Zügeln so kosten würde. Nach einem etwas verwirrenden Telefonat warteten wir auf die Terminbestätigung für eine Besichtigung unseres «Hausstandes» per Mail. Als diese nach drei Tagen noch immer nicht kam, hatten wir uns schon vorgenommen, nochmal zu schreiben – als es an der Türe klingelte. Mitten in der Corona-Gammel-Zeit. Ich also ohne BH, im alten Trainer, mit zwei grossen, nicht-überschminkten Pickeln im Gesicht und mit einer nicht gerade perfekt aufgeräumten Wohnung. Nach kurzem Hin und Her beschlossen wir, die fremden Klingler reinzulassen und stellten mit leichtem Schreck fest, dass unsere neuen Nachbarn vor uns standen – und gerne mal die Wohnung anschauen würden, so um eine realistische Offerte erstellen zu können. Sie seien eben auf dem Heimweg gerade bei uns vorbeigefahren, da habe es sich halt angeboten, spontan vorbeizukommen. Sie hätten sich vor zehn Minuten per Mail angemeldet.
Details erspare ich euch, aber lasst euch gesagt sein, dass eine weitere Auswirkung von Corona seither darin besteht, dass wir uns unseren neuen Nachbarn nicht mit einem kleinen Essenskorb, unserem schönsten Outfit und bestem Lächeln vorstellen konnten. Aber naja, immerhin kennen sie uns jetzt schon in einem realistischeren Setting – ich geniesse es jedenfalls, mich auch in der ersten Woche völlig okay zu fühlen, wenn ich meinen Nachbarn auf dem Weg in die Waschküche im Trainer und mit Strubbelhaaren begegne.
Natascha Hossli studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutorin im Schreibzentrum.
Soweit mir bekannt ist, geht es bei der Heldengeschichte um die Reise der Hauptfigur. Vor allem zu Beginn wird sie durch eine weise Gestalt geführt, die ihr wichtige Tipps und Tricks auf den Weg mitgibt. Mithilfe von verschiedenen Prüfungen und Bewährungsproben wird ihr Charakter getestet. Zum Abschluss macht sich die Hauptfigur auf den Weg nach Hause, mit gereifter Persönlichkeit.
Ein Beispiel: Aline hatte noch nie selber eingekauft. Doch plötzlich war alles anders. An diesem Tag wurde sie losgeschickt. Ihr Vater zeigte ihr auf Google Maps den Standort der nächsten Migrosfiliale und sagte ihr, was sie da einkaufen solle. Zudem teilte er ihr auch die wichtige Information mit, dass sie für das «Wägeli» einen «Zweifränkler» braucht.
Aline machte sich also auf den Weg in die Migros. Im Tram wurde ihr Billett kontrolliert und am Marktplatz wurde sie von Mormonen in ein längeres Gespräch über ihren Glauben verwickelt. Obwohl sie sich nicht sicher war, ob das Geld dafür reiche, kaufte sie noch die Gassenzeitung, weil sie das eine gute Sache fand. Sie musste noch ein Stück laufen. Dann stand sie endlich in der Migros. Die letzte Hürde war dann aber der Fakt, dass der Bio-Senf ausverkauft war. Aline musste entscheiden, dass der normale Senf auch genügte. Danach begab sie sich auf den Heimweg.
Per Definition eine Heldengeschichte, oder?
Vielleicht hier noch ein weiteres Beispiel: Noctis war der Prinz von «Insomnia». Er hatte die «Kronenstadt» noch nie verlassen. Als er sich dann erstmals auf den Weg machte, um seine Verlobte, das Orakel Lunafreya, zu heiraten, verstarb sein Vater in einem brutalen Kampf.
Der beste Freund seines Vaters, Cor, zeigte Noctis, wie er als neuer König die immer stärker werdende Dunkelheit besiegen könne. Dazu musste er die Geister seiner Urahnen sammeln und zudem den Segen der sechs Gottheiten des Planeten Eos erkämpfen. Noctis machte sich also mit seinen besten Freunden Ignis, Gladiolus und Prompto auf den Weg, um die Dunkelheit zu besiegen.
Leider kenne ich das Ende der zweiten Geschichte selber noch nicht, ich bin noch mitten drin!
Wenn man beide Geschichten betrachtet, sind die Handlungsstrukturen dieselben: Beides sind Heldengeschichten. Und somit sind Aline und Noctis eine Heldin und ein Held. Sie gehen ins Unbekannte, bewähren sich und kehren verändert zurück.
Werde wie Aline und Noctis: Mach dich auf und werde auf deine Art eine Heldin oder ein Held!
Nicholas Rilko studiert an der PH Zürich und arbeitet als Tutor im Schreibzentrum.