Peter Holzwarth
“Die andern fragen sich in der Lebensmitte eher, was aus ihren einstigen Plänen, die sie in jungen Jahren geschmiedet haben, geworden ist, und hadern mit der Vergänglichkeit, weil sich mit ihr die Möglichkeitsfenster langsam, aber sicher zu schliessen beginnen.” (Bleisch 2024, S. 45)
„Mit der Stimme der Kraniche hallte in mir die traurige Botschaft wider, daß dieses Leben für jeden Menschen nur einmalig ist, es kein weiteres gibt, und daß man alles, was man genießen kann, nur auf Erden genießt. Es vergeht schnell, und es bietet sich uns bis in alle Ewigkeit keine andere Gelegenheit.” (Nikos Kazantzakis: Alexis Sorbas)
«To kick the bucket» oder «Den Löffel abgeben» – beide Redewendungen beziehen sich auf den Tod. Bucketlists oder Löffellisten enthalten Dinge, die ein Mensch vor dem Tod noch erleben oder lernen will. Solche Listen können nach Lebensbereichen strukturiert werden, zum Beispiel Reisen, Beziehungen & Familie, Sport & Fitness, Finanzen, Beruf & Karriere, Erlebnisse & Abendteuer, Soziales Engagement, Fähigkeiten & Skills (vgl. Mara Pairan: https://www.marapairan.de/ideen-fuer-deine-bucketlist/)
Welche Chancen und Risiken sind mit dem Erstellen solcher Listen potenziell verbunden?
Eine Bucketlist könnte im negativen Sinn wie eine To-do-Liste aus der Arbeitswelt gehandhabt werden. Wichtige Lebensziele sollten jedoch nicht in einer Haltung des Abarbeiten-Müssens angegangen werden. Eine Liste mit Lebenszielen sollte nicht Stress erzeugen und ein Gefühl von Torschlusspanik. Der Philosoph Wilhelm Schmid spricht in ähnlichen Zusammenhängen von «Glücksstress» (2012, S. 64).
Ein weiteres mögliches Missverständnis könnte darin bestehen, dass möglichst viele spektakuläre und prestigeträchtige Erlebnisse aneinandergereiht werden sollten, zum Beispiel der Hubschrauberflug, das Wochenende in Dubai, die Übernachtung in einem Luxushotel, die Wüstendurchquerung oder der Fallschirmsprung.
Eine Löffelliste kann singuläre Erlebnisse enthalten, die abgehakt werden können, aber auch prozessorientierte Aspekte wie eine Sprache lernen, Zeichnen lernen, sich selbst besser kennen lernen, eine Entspannungsmethode lernen und regelmässig im Alltag anwenden.
Im positiven Sinn kann eine Löffelliste einem Menschen helfen wichtige Lebensziele im Blick zu behalten, auch kann sie Antworten liefern auf Fragen wie «Was ist mir wichtig im Leben?», «Was möchte ich (noch) erleben und mit wem?» oder «Was soll nach meinem Tod bleiben?».
Eine Lebenszielliste könnte im besten Fall helfen zu vermeiden, dass man wichtige Aspekte immer nach hinten verschiebt («Wenn ich mal nicht mehr arbeite und Zeit habe.», «Wenn die Kinder aus dem Haus sind.», «Wenn mal die Schulden abgezahlt sind.») und am Ende keine Zeit mehr bleibt oder gesundheitliche Einschränkungen einen Strich durch die Rechnung machen. Die Psychologin Alexandra Freund (2020) nennt dieses Phänomen den «bucket list effect».
Ist die Liste einmal erstellt können folgende Reflexionsfragen hilfreich sein:
- Möchte ich es in erster Linie für mich oder geht es vor allem um die Anerkennung und Bewunderung anderer?
- Wie ist die Balance von Einzelaktivitäten und prozessbezogenen Aspekten?
- In welchem Verhältnis stehen Ziele, die auf die Einzelperson bezogen sind zu Dingen, die andere Menschen involvieren?
- Wie wichtig sind mir Lebensziele, die damit zu tun haben, etwas über den Tod hinaus zu hinterlassen (z. B. ein Buch schreiben, eine Stiftung gründen, einem anderen Menschen Kompetenzen auf den Weg mitgeben, ein Kind haben, eine NGO im Testament bedenken?)
- Welche Ziele kann ich eigenständig und mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umsetzen, welche sind ausserhalb meines Einflussbereichs oder nur bedingt beeinflussbar?
Eine gut reflektierte Lebenszielliste kann unter Umständen helfen, ein erfülltes Leben zu führen, so dass am Ende des Lebens am Totenbett weniger Lebensentscheidungen bereut werden müssen (vgl. «5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen», Ware 2013; Bleisch 2024).
Literatur:
Bleisch, Barbara. 2024. Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre. München: Hanser.
Freund, Alexandra. 2020. “The bucket list effect. Why leisure goals are often deferred until retirement.” In: American Psychologist 75 (4), 499-510.
Schmid, Wilhelm. 2012. Unglücklich sein. Eine Ermutigung. Berlin: Insel.
Ware, Bronnie. 2013. 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen. Einsichten, die Ihr Leben verändern werden. München: Goldmann Verlag (Arkana).