In seinem bekannten dystopischen Roman 1984 (erschienen 1949) beschreibt Geroge Orwell einen totalitären Staat, in dem Technologien benutzt werden, um Menschen zu kontrollieren. Bekannt sind die so genannten „Televisoren“, Monitore im privaten und öffentlichen Raum, die senden und empfangen können und so mehr oder weniger flächendeckende Überwachung ermöglichen. Viele verbinden 1984 auch mit der staatlich gelenkten Kontstruktion von Geschichte durch manipulierte Fotos, Filme und Texte:
„‚Wer die Vergangenheit beherrscht‘, lautete die Parteiparole, ‚beherrscht die Zukunft; wer die Gegenwart beherrscht, beherrscht die Vergangenheit.'“ (George Orwell: „1984“, S. 34 (Übersetzung: Michael Walter, Frankfurt am Main/Berlin: Ullstein 1990))
Weniger bekannt ist der „Versificator“ mit dem man ohne menschlichen Einfluss Schlagertexte produzieren kann:
„So oft ihr Mund nicht durch Wäscheklammern verschlossen war, sang sie mit mächtiger, tiefer Altstimme:
‚Es war nur ein tiefer Traum,
Ging wie ein Apriltag vorbei-ei,
Aber sein Blick war leerer Schaum,
Brach mir das Herz entzwei-ei!‘
Das Lied wurde während der letzten Wochen von ganz London geträllert. Es war einer von zahlreichen ähnlichen Schlagern, die für die Proles von einer Unterabteilung der Fachgruppe Musik herausgegeben wurden. Der Wortlaut dieser Lieder wurde ohne jedes menschliche Zutun von einem sogenannten ‚Versificator‘ zusammengestellt.“
(George Orwell: „1984“, S. 128 (Übersetzung: Michael Walter, Frankfurt am Main/Berlin: Ullstein 1990))
Möglicherweise haben sich „Televisoren“ in der Gestalt von personalisierten Smartphones auf perfide Art verwirklicht und der „Versificator“ in Form von generativen Programmen wie ChatGPT.
Standbild aus „1984“: Verfilmung des Romans von Michael Radford (UK, 1984)
Weitere Hinweise:
„ARD / Arte: 1984 oder Schöne neue Welt im Jahr 2021, George Orwell, Aldous Huxley?“:
„George Orwell, Aldous Huxley – 1984, oder schöne neue Welt? ARTE Doku (Re-upload)“:
Immer häufiger verbinden Lehrpersonen ihre Arbeit mit Social-Media-Aktivitäten. Auf Instagram oder TikTok geben sie Einblick in ihre Arbeit und sprechen beispielsweise über Lehr-Lernmethoden, Lehrmittel, Arbeitsblätter, Klassenraumgestaltung, Umgang mit Unterrichtsstörungen oder Spiele im Klassenzimmer. Dies kann für die Produzierenden eine wichtige Reflexion darstellen, aber vor allem auch wertvolle Inspiration für andere Lehrpersonen.
Sobald Schülerinnen und Schüler ohne Einverständnis gefilmt werden oder die gefilmte Klassenzimmersituation für Werbung missbraucht wird, kann es heikel werden, wie der NDR-Dokfim «Content aus dem Klassenraum – Dürfen Lehrer Influencer sein?» zeigt.
Zielgruppe von Werbung in Social-Media-Beiträgen können andere Lehrpersonen sein, aber auch Schülerinnen und Schüler. Generell müssen Beiträge mit und ohne Schülerinnen und Schüler unterschieden werden – ebenso gefilmte Schülerinnen und Schüler mit und ohne Einverständniserklärungen.
Oft greifen die Filme auch humorvoll den Alltag von Lerhpersonen auf, in diesem Kontext kann die Produktion und Rezeption von Beiträgen auch als Coping-Strategie verstanden werden.
Kritische Stimmen könnten auf riskante bzw. ambivalente Chancen hinweisen. Auf der einen Seite Inspiration für die eigene Berufspraxis, auf der anderen Selbstoptimierungsdruck und potenziell problematische soziale Vergleiche auch im beruflichen Kontext.
Wünschenswert wäre, dass in Zukunft alle beteiligten Akteursgruppen über mehr ethisches und juristisches Bewusstsein verfügen würden (Lehrpersonen, Eltern, Schülerinnen und Schüler, Schulleitungen, Politiker:innen). Es müssen auch rechlichte Regelungen und Reglemente entwickelt und angepasst werden.
Fallbeispiele
Fallbeispiel 1: Diskurse um KI-Fotos von zukünftigen Traumberufen der Schülerinnen und Schüler
Eine Beitrag «momos.usa» auf Instagram zeigt Reaktionen von Kindern, deren Lehrerin sie mit Hilfe von KI als Erwachsenen in ihren Wunschberufen zeigt: «A teacher is inspiring the internet by using AI to transform her students into the professionals they dream of becoming. From doctors to astronauts, each image reflects their future hopes and has moved viewers with its message of support, encouragement, and belief in every child’s potential.»
Ein weiterer Beitrag von «fraurhiza» (Instagram) reflektiert und kritisiert diese Form von Datennutzung:
«ChatGPT verwenden, um Fotos der Schüler/-innen hochzuladen und aus diesen neue Portraits von ihnen zu generieren? Jede Woche zeigt es mir ein neues Reel an, in dem KI für (Unterrichts-???)Zwecke genutzt wird, die ich extrem fragwürdig finde. Bisher sehe ich diese „Trends“ vor allem in den USA, aber ich habe echte Bedenken, dass sie irgendwann auch zu uns überschwappen. Gerade weil sie auf Social Media so verbreitet werden.
Fallbeispiel 2: Diskurse um die Ursache von problematischem Verhalten im Klassenzimmer
In einem Instagram-Filmbeitrag (us.teachers.trendz) kritisiert eine Protagonistin, dass viele Schülerinnen und Schüler aufgrund von Gewöhnung an medial vermittelte kurze Dopaminintervalle eine extrem kurze Aufmerksamkeitsspanne haben und apathisch und unerreichbar sind: «And they have a level of apathy that I have never seen before in my whole career.» Sie stellt auch die Frage, wer dies zu verschuldet haben könnte (Eltern, Lehrpersonen, kapitalistische Gesellschaft).
In einem weiteren Instagram-Video (lehrplan22, Original: mami.hat.recht) ist eine Mutterfigur zu sehen, die zu einem (imaginären) Kind spricht. Dem Kind wird ein Joghurt angeboten und jeder einzelne Schritt wird zur Wahl gestellt (z.B. Farbe des Joghurts, Deckel ganz aufmachen oder nur zum Teil, Farbe des Löffels, Grösse des Löffels etc.). Das Video ist mit über die ganze Laufzeit hinweg mit einem Textbalken versehen, der die Handlung in einen bestimmen Kontext stellt: «der Grund, warum die Kinder dann im Klassenzimmer spinnen»:
Es wird die Deutung nahegelegt, dass zu umfassende Wahlmöglichkeiten im Elternhaus zu problematischem Sozialverhalten im Schulkontext führen können, wo die Wahlmöglichkeiten eingeschränkt sind.
„Emoji are highly context dependent. Much like gestures that are used with speech, we need to understand emoji in the specific conversations and communities they are used in. There is no consistent relationship between emoji use and inner emotional state that can be generalised across groups of teens or other emoji users.“ (Kruk & Gawne 2025)
Die Netflix Miniserie «Adolescence» (Jack Thorne & Stephen Graham, UK 2025) besteht aus vier Folgen, die interessanterweise alle in einem «Take» aufgenommen worden sind, d.h. die Handlung wurde in einem Zug durchgefilmt, ohne Schnitte. Die Handlung basiert auf real existierenden Ereignissen.
Gleich zu Beginn wird ein 13-jähriger Junge (Jamie) festgenommen. Ihm wird zur Last gelegt, am Tod einer Mitschülerin (Katie) schuld zu sein bzw. beteiligt zu sein.
Eine Polizistin und ein Polizist ermitteln unter anderem auch im schulischen Umfeld der toten Schülerin und des verhafteten Jungen. Der Sohn des Polizisten, der auch die gleiche Schule besucht, erklärt seinem Vater im Rahmen eines vertraulichen Einzelgesprächs, dass er zentrale Aspekte im Kontext des Falls nicht beachtet bzw. nicht verstanden hat. Es geht um die so genannte «Incel»-Bewegung und um eine bestimmte Art der Emoji-basierten Kommunikation, die nur Insidern vertraut ist.
Die Incel-Bewegung (involuntary: unfreiwillig; celibate: zölibatär) ist ein medialer Zusammenschluss von Männern, die unfreiwillig zölibatär leben. Sie deuten ihren Mangel an Beziehung und Sexualität mit fehlender eigener Attraktivität und dem weiblichem Interesse an männlich aussehenden attraktiven Männern. Gemäss der Incel-Deutungsmuster haben nur attraktive Männer Zugang zu Frauen. Oft wird die Bewegung mit Hass gegen Frauen und sexuell erfolgreiche Männer assoziiert. In diesem Zusammenhang stehen auch problematische frauenfeindliche Werte, die der Influencer Andrew Tate propagiert. Auch die so genannten «Pick-up Communities», die Tricks für sexuelle Verführung entwickeln und austauschen können in diesem Kontext gedeutet werden.
Der Sohn interpretiert die Social-Media-Kommunikation zwischen Opfer und Angeklagtem als Beleidigung, da das Mädchen indirekt über Emojis zum Ausdruck gebracht haben soll, dass der Junge ein Incel sei und für immer Jungfrau bleiben würde. Andere Jugendliche haben dieser Aussage auf Social Media zugestimmt. In diesem Zusammenhang kann die Kommunikation als Cyber-Mobbing gedeutet werden.
Später erläutert er seinem Vater die Bedeutung von geposteten Herzen, die gemäss seiner Deutung je nach Farbe anders sei:
“-Red.
-Means love.
-Purple, horny. Yellow, I’m interested. Are you interested?
-Pink, I’m interested but not in sex.
-Orange, you’re gonna be fine. It all has a meaning, Dad. Everything has a meaning.” (Adolescence, Folge 2, 31:09)
Es stellt sich die Frage, ob hier eine Eindeutigkeit suggeriert wird, die es im realen Leben gar nicht gibt oder nur innerhalb von subkulturellen Nutzergruppen.
Das folgende Beispiel illustriert die Mehrdeutigkeit von Emojis. Für mache Nutzende ist das folgende Symbol ein „Danke“ (Beide Handflächen ein und derselben Person berühren sich) für andere ein „High Five“ (Handflächen zweier verschiedener Personen werden eineinandergeklatscht, zum Zeichen eines gemeinsamen Siegs beispielsweise).
Der TikTok-Nutzer «frechxdachs» schreibt: «Leute hab gerausgefunden dass der Emoji (Emoji mit berührenden Handflächen) ein «high five» darstellen soll. Es sterben Leute und wir geben uns die ganze Zeit «high fives»!» (Emoji mit Tränenbächen).
In einem Artikel des „The Telegraph“ mit dem Titel „The ‘sinister emojis’ used by incel teenagers“ von Tim Sigsworth wurden Emojis aus den Kontexten „Incel“, „Drugs“und „Sex“ zusammengestellt:
Auch hier stellt sich die Frage nach dem Grad der Eindeutigkeit. Es ist immer von grosser Bedeutung, den kommunikativen Kontext mitzubeachten, sowie die Tatsache, dass sich auch Bildbedeutungen kultur- und milieuspezifisch entwickeln und verändern.
Auf jeden Fall lohnt sich die Auseinandersetzung mit Emojis und ihren potenziellen Bedeutungszuschreibungen für Lehrpersonen oder angehende Lehrpersonen – auch als ein Teil von Bildkompetenz bzw. allgemeiner Medienkompetenz.
Im Internet findet man eine Karikatur von Wilcox: Eine Frau im Bikini betrachtet sich in einem großen Spiegel, neben ihr steht eine angezogene Frau. Die Bikiniträgerin fragt: Welchen Teil würdest du als erstes verändern? Die Angezogene antwortet mit verschränkten Armen: „Die Kultur“.
Es kommt zum Ausdruck, dass das eigentliche Problem nicht in der Abweichung vom Schönheitsideal liegt, sondern in den gesellschaftlichen Normen und Werten: Frauen und zunehmend auch Männer werden dazu motiviert, Selbstoptimierung in Bezug auf den eigenen Körper zu betreiben – und wie das folgende Zitat deutlich macht profitieren viele Anbieter wirtschaftlich von dieser Kultur:
„Wenn alle Frauen dieser Erde morgen früh aufwachten und sich in ihren Körpern wirklich wohl- und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen“ (Penny 2012, 9).
Diätprodukte, Fitnessprogramme, Sportgeräte, Schlankheitspillen, Selbsthilfebücher, Schlankheits-Gürtel, Plastische Chirurgie, Abnehm- und Fittness-Apps… es wird mit dem medial propagierten Bedürfnis nach einem schlankeren muskulöseren Körper extrem viel Geld verdient. In gewisser Weise wird ein Problem konstruiert, um dann auch gleich die Lösung anbieten zu können:
„Die Betrachterin/Käuferin wird dazu veranlasst, sich selbst als diejenige zu beneiden, die sie wird, wenn sie ein bestimmtes Produkt kauft. […] Das Reklamebild stiehlt ihr die positive Einschätzung ihres Selbst, ihr Selbstvertrauen, um es ihr gegen den Preis der Ware wieder anzubieten“ (Berger 1996, 127).
Historisch betrachtet, bezog sich das Schönheitsideal immer auf den Aspekt der Unerreichbarkeit. In einer Gesellschaft, in der Nahrung einen Mangel darstellt und nicht allen zugänglich ist, kann sich Körperfülle als Schönheitsideal etablieren. In einer Gesellschaft wie der unsrigen, in der sich jeder Mensch Essen in Fülle leisten kann und Dick-Sein so gut wie nichts kostet, wird Schlankheit zum raren Gut. Über das schwer Erreichbare kann Profit gemacht werden.
Ein weiteres Beispiel: Auf dem Gemälde „Sonntagsspaziergang“ von Carl Spitzweg (1841) sieht man Menschen mit Sonnenhüten und Sonnenschirmen durch ein Kornfeld spazieren. Die Darstellung entstammt einer Zeit, in der eine gebräunte Haut den niedrigen sozialen Status derer symbolisierte, die im freien unter der Sonne arbeiten mussten. Die statushöhere Bevölkerung wollte Bräunung verhindern. Heute steht Sonnenbräune für etwas Positives. Man bringt mit ihr zum Ausdruck, dass man sich Flugreisen in den Süden und Freizeitaktivitäten im Freien finanziell und zeitlich leisten kann.
Der Körper stellt einen Ort dar, an dem Status und Identität verhandelt und kommuniziert werden. Für viele Menschen ist der Körper auch ein zentraler Aspekt der Entwicklung von Selbstwertgefühl. Auch auf dem Partnermarkt spielt die Nähe zum gängigen Schönheitsideal eine große Rolle.
Neben den üblichen Schönheitsidealen werden auch immer wieder spezielle „Körper-Hypes“ etabliert. Ihre Liste ist lang: „Waschbrettbauch“/“Sixpack“ (man soll sichtbare mehrfach gewölbte Bauchmuskulatur haben), „Size Zero“ (man soll eine extrem kleine Kleidergröße haben), „Thigh Gap“ (eine Oberschenkellücke soll sichtbar sein), „Bikini Bridge“ (der Bund soll an den Hüftknochen anliegen und nicht den Bauch berühren), „Ab Crack“ (eine Spalte im Bauch soll sichtbar sein), „Bellybutton challenge“ (mit dem Arm hinter dem Rücken entlangreifend den Bauchnabel berühren können), „Collarbone challenge“ (Münzen auf dem Schlüsselbein als Beweis für Schlankheit), „DIN A 4 Body challenge“ (Eine Taille haben, die nicht breiter als ein DIN A4-Blatt ist).
Noch einmal die Frage: Welchen Teil würdest du als erstes verändern? Noch einmal die Antwort: „Die Kultur“. Wer also versucht die Kultur zu verändern?
Das „Body positive Movement“ ist eine Bewegung die einen positiven und gesunden Umgang mit dem eigenen Körper propagiert – trotz Abweichungen vom gängigen Schönheitsideal. Die Künstlerin Frances Cannon ist beispielsweise mit Zeichnungen auf Instagram aktiv. Sie propagiert Selbstakzeptanz und Selbstliebe in Bezug auf den eigenen, nicht perfekten Körper. Ihre Figuren entsprechen nicht dem gängigen Schlankheitsideal und sind oft unrasiert. Und doch lieben sie sich selbst und akzeptieren sich gegenseitig.
Wird hier ein wichtiger gesellschaftlicher Beitrag geleistet oder geht es letztendlich nur um weitere Umsatzmaximierung? Eine ähnliche Debatte wurde bereits in den 90er-Jahren im Zusammenhang mit Oliviero Toscanis Skandalfotos für Benetton geführt.
In einer Zeit, in der bereits Kinder genau wissen, was an ihrem Körper defizitär ist und geädert werden müsste, hat die US-amerikanische Fotografin Wendy Ewald ein Projekt entwickelt: „The Best Part of Me“ (https://youtu.be/XiYXGhce1X4?si=HKlF4zZRZ6fyFXul). Kinder und Jugendliche fotografieren ihren Lieblingskörperteil und schreiben einen lyrischen Text dazu, der ihre Selbstwertschätzung zum Ausdruck bringt.
Projektideen wie diese können uns der Utopie von Laurie Penny einen Schritt näher bringen: Menschen, die sich wohl fühlen in ihren Körpern. In Anbetracht der Tatsache, dass die Kultur der Selbstoptimierung viel menschliches Leid produziert (auch Essstörungen und Körperselbstwahrnehmungsstörungen) wäre es der Umsatzrückgang in der Beauty-Industrie wohl wert. Politiker, Pädagogen, Werbetreibende, Journalisten, Eltern, Models, Künstler und Fotografen sind gefragt aber, auch jede einzelne Frau und jeder einzelne Mensch.
*Hinweis: der Beitrag erschien 2018 im Tagesspiegel, Berlin und 2020 in einem Lehrmittel:
Holzwarth, Peter. 2020. Schönheitswahn und Profit: Die Kultur der Selbstoptimierung. In: Klartext. Arbeitsheft. Differenzierte Ausgabe. Baden-Württemberg. Braunschweig: Westermann, S. 13-15
Literatur:
Berger, John 1996. Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt. Hamburg: Fischer.
Penny, Laurie. 2012. Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus. Hamburg: Nautilus.
Der Spielfilm „Ich bin dein Mensch“ (Maria Schrader, Deutschland, 2021) stellt die Frage nach einem möglichen Leben mit humanoiden Robotern als Lebenspartner in der nahen Zukunft.
Der komplette Film zum Anschauen auf YouTube
Alma, eine alleinstehende Wissenschaftlerin in Berlin bekommt den Auftrag, drei Wochen mit einem auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Prototypen zusammenzuleben und ein Gutachten zu schreiben, das bei der Entscheidung über die Markteinführung aus ethischer Perspektive mithelfen soll.
Der Film lädt dazu ein über das Menschsein allgemein nachzudenken und über die Frage, ob wir es begrüssen würden, in einer Welt zu leben, in der Beziehungen zu Maschinen Normalität geworden sind.
Am Ende kommt Alma in ihrem Bericht zu folgender Einschätzung:
„Die Geschichte der Menschheit ist voll von vermeintlichen Verbesserungen, deren schwerwiegende Folgen sich erst Jahre, Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte später ins Bewusstsein drängen. Nach den Erfahrungen, die ich mit einem humanoiden Roboter namens Tom gemacht habe, kann ich mit aller Klarheit sagen, dass es sich hier beim Roboter der den Ehemann oder die Ehefrau ersetzen soll, um eine solche vermeintliche Verbesserung handelt. Ohne Zweifel kann einer auf die eigenen Vorlieben angepasster humanoider Roboter einen Partner nicht nur ersetzen, er scheint sogar der bessere Partner zu sein. Er erfüllt unsere Sehnsüchte, er befriedigt unser Verlangen und eliminiert das Gefühl alleine zu sein. Er macht uns glücklich. Und was kann schon schlecht daran sein, glücklich zu sein. (…)
Doch ist der Mensch wirklich gemacht für eine Befriedigung seiner Bedürfnisse, die per Bestellung zu haben ist? Sind nicht gerade die unerfüllte Sehnsucht, die Fantasie und das ewige Streben nach Glück die Quelle dessen, was uns zu Menschen macht? Wenn wir die Humanoiden als Ehepartner zulassen, schaffen wir eine Gesellschaft von Abhängigen, satt und müde von der permanenten Erfüllung ihrer Bedürfnisse und der abrufbaren Bestätigung ihrer eigenen Person. Was wäre dann noch der Antrieb sich mit herkömmlichen Individuen zu konfrontieren, sich selbst hinterfragen zu müssen, Konflikte auszuhalten sich zu verändern? Es stehe zu befürchten, dass jeder, der länger mit einem Humanoiden gelebt hat, unfähig sein wird zum normalen menschlichen Kontakt. Von der Zulassung Humanoider als Lebenspartner rate ich mit großer Entschiedenheit ab.“
Weitere Themen im Film:
Umgang mit verpassten Chancen im Leben (z. B. Mutterschaft)
Umgang mit dem Alleinsein im Alter aufgrund von Kinderlosigkeit
Umgang mit Einsamkeit aufgrund von Unattraktivität
Betreuung von Eltern, die an Demenz erkrankt sind
Umgang mit Misserfolg in wissenschaftlichen Kontexten
kulturelle Bedeutung von „Fail-Videos“ im Leben von Menschen
Bedeutung von Lyrik und Kunst in der Geschichte der Menschheit
Ambivalenz im Spannungsfeld von kontrollierbarer Wunscherfüllung und Lust an unkontrollierbarer Wunscherfüllung
Ist die partielle Unerreichbarkeit und Unverfügbarkeit von Wunscherfüllung und Glück programmierbar?
Kann man selbst Publikum für seine eigene Performance sein? Zählt ein Roboter als Publikum?
Müssten humaniode Roboter früher oder später menschenähnliche Rechte und Pflichten bekommen?
Wie würde sich die Menschheit reproduzieren, wenn Menschen nur noch mit humanoiden Robotern Sex haben?
Kann man sich in einen humanoiden Roboter verlieben?
Am 16.12.2024 war der bekannte Schweizer Schriftsteller Peter Stamm zu Gast an der Pädagogischen Hochschule Zürich, eingeladen von der Fachgruppe Didaktiken Sprachen.
Seine Gesprächspartner waren Dorothee Hesse-Hoerstrup, Dozentin für Deutsch und Kinderbuchautorin, sowie Stefan Schröter, ebenfalls Dozent für Deutsch und von 2020 bis 2023 Jurymitglied des Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreises. Moderiert wurde der Anlass von Saskia Waibel, Dozentin für Deutsch und Bereichsleiterin Deutsch/Deutsch als Zweitsprache.
Peter Stamm las unter anderem aus seinem Kinderbuch „Otto von Irgendwas“ und fesselte das Publikum sogleich.
Im Gespräch mit dem Autor ging es unter anderem um intertextuelle Bezüge zwischen seinen Werken und um die Frage, ob in seinen Kinderbüchern bestimmte Werte vermittelt werden sollen. Auch das Thema Text-Bildverhältnis wurde berührt.
Der Dokumentarfilm Buy Now! The Shopping Conspiracy thematisiert mediale Beeinflussungsstategien für Produktkäufe, das Prinzip der Profitmaximierung, den Überfluss von Waren, geplante Obsoleszenz (Geräte werden so gebaut, dass sie nach einer bestimmten Zeit neu gekauft werden müssen) , absichtliche Verhinderung von Reparaturen, den Umgang mit Müll,der die Umwelt verschmutzt, Kleidermüll und Medienschrottprobleme in Ländern wie Ghana und eine mögliche Verantwortung der Firmen für den ganzen Zyklus bis zur Entsorgung.
Es kommen Personen zu Wort, die bei Firmen wie Adidas und Amazon für Gewinnmaximierung zuständig waren, ebenso weitere Aktivistinnen und Aktivisten. KI-generierte Filmsequenzen von müllverstopften Städten wie Paris oder Sydney wechseln sich mit dokumentarischen Sequenzen ab, in denen vermüllte Strände in Ghana zu sehen sind oder Arbeiterinnen und Arbeiter, die unter prekären Gesundheitsverhältnissen unseren Elektroschrott auschlachten.
Zu Anlässen wie „Black Friday“ oder „Weihnachten“ lohnt es sich, über den Sinn des eigenen Kaufens nachzudenken und sich über die Auswirkungen zu informieren.
Trailer zum Film:
SRF Kids News: Wie der Schnäppchenwahn unserer Umwelt schadet
„Die andern fragen sich in der Lebensmitte eher, was aus ihren einstigen Plänen, die sie in jungen Jahren geschmiedet haben, geworden ist, und hadern mit der Vergänglichkeit, weil sich mit ihr die Möglichkeitsfenster langsam, aber sicher zu schliessen beginnen.“ (Bleisch 2024, S. 45)
„Mit der Stimme der Kraniche hallte in mir die traurige Botschaft wider, daß dieses Leben für jeden Menschen nur einmalig ist, es kein weiteres gibt, und daß man alles, was man genießen kann, nur auf Erden genießt. Es vergeht schnell, und es bietet sich uns bis in alle Ewigkeit keine andere Gelegenheit.“ (Nikos Kazantzakis: Alexis Sorbas)
«To kick the bucket» oder «Den Löffel abgeben» – beide Redewendungen beziehen sich auf den Tod. Bucketlists oder Löffellisten enthalten Dinge, die ein Mensch vor dem Tod noch erleben oder lernen will. Solche Listen können nach Lebensbereichen strukturiert werden, zum Beispiel Reisen, Beziehungen & Familie, Sport & Fitness, Finanzen, Beruf & Karriere, Erlebnisse & Abendteuer, Soziales Engagement, Fähigkeiten & Skills (vgl. Mara Pairan: https://www.marapairan.de/ideen-fuer-deine-bucketlist/)
Welche Chancen und Risiken sind mit dem Erstellen solcher Listen potenziell verbunden?
Eine Bucketlist könnte im negativen Sinn wie eine To-do-Liste aus der Arbeitswelt gehandhabt werden. Wichtige Lebensziele sollten jedoch nicht in einer Haltung des Abarbeiten-Müssens angegangen werden. Eine Liste mit Lebenszielen sollte nicht Stress erzeugen und ein Gefühl von Torschlusspanik. Der Philosoph Wilhelm Schmid spricht in ähnlichen Zusammenhängen von «Glücksstress» (2012, S. 64).
Ein weiteres mögliches Missverständnis könnte darin bestehen, dass möglichst viele spektakuläre und prestigeträchtige Erlebnisse aneinandergereiht werden sollten, zum Beispiel der Hubschrauberflug, das Wochenende in Dubai, die Übernachtung in einem Luxushotel, die Wüstendurchquerung oder der Fallschirmsprung.
Eine Löffelliste kann singuläre Erlebnisse enthalten, die abgehakt werden können, aber auch prozessorientierte Aspekte wie eine Sprache lernen, Zeichnen lernen, sich selbst besser kennen lernen, eine Entspannungsmethode lernen und regelmässig im Alltag anwenden.
Im positiven Sinn kann eine Löffelliste einem Menschen helfen wichtige Lebensziele im Blick zu behalten, auch kann sie Antworten liefern auf Fragen wie «Was ist mir wichtig im Leben?», «Was möchte ich (noch) erleben und mit wem?» oder «Was soll nach meinem Tod bleiben?».
Eine Lebenszielliste könnte im besten Fall helfen zu vermeiden, dass man wichtige Aspekte immer nach hinten verschiebt («Wenn ich mal nicht mehr arbeite und Zeit habe.», «Wenn die Kinder aus dem Haus sind.», «Wenn mal die Schulden abgezahlt sind.») und am Ende keine Zeit mehr bleibt oder gesundheitliche Einschränkungen einen Strich durch die Rechnung machen. Die Psychologin Alexandra Freund (2020) nennt dieses Phänomen den «bucket list effect».
Ist die Liste einmal erstellt können folgende Reflexionsfragen hilfreich sein:
Möchte ich es in erster Linie für mich oder geht es vor allem um die Anerkennung und Bewunderung anderer?
Wie ist die Balance von Einzelaktivitäten und prozessbezogenen Aspekten?
In welchem Verhältnis stehen Ziele, die auf die Einzelperson bezogen sind zu Dingen, die andere Menschen involvieren?
Wie wichtig sind mir Lebensziele, die damit zu tun haben, etwas über den Tod hinaus zu hinterlassen (z. B. ein Buch schreiben, eine Stiftung gründen, einem anderen Menschen Kompetenzen auf den Weg mitgeben, ein Kind haben, eine NGO im Testament bedenken?)
Welche Ziele kann ich eigenständig und mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umsetzen, welche sind ausserhalb meines Einflussbereichs oder nur bedingt beeinflussbar?
Eine gut reflektierte Lebenszielliste kann unter Umständen helfen, ein erfülltes Leben zu führen, so dass am Ende des Lebens am Totenbett weniger Lebensentscheidungen bereut werden müssen (vgl. «5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen», Ware 2013; Bleisch 2024).
Literatur:
Bleisch, Barbara. 2024. Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre. München: Hanser.
Freund, Alexandra. 2020. “The bucket list effect. Why leisure goals are often deferred until retirement.” In: American Psychologist 75 (4), 499-510.
Schmid, Wilhelm. 2012. Unglücklich sein. Eine Ermutigung. Berlin: Insel.
Ware, Bronnie. 2013. 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen. Einsichten, die Ihr Leben verändern werden. München: Goldmann Verlag (Arkana).
In den letzten Jahren hat das schwedische Schulsystem eine intensive Phase der Digitalisierung erlebt. Doch in jüngster Zeit zeichnet sich eine Gegenbewegung ab, die verstärkt auf analoge Lehrmethoden setzt (s. Links unten). Die folgenden Thesen beziehen sich auf diese Debatte, die in ähnlicher weise in verschiedenen Ländern geführt wird.
Mit den Begriffen «Digitalisierung» und «Schule» wird sehr viel Unterschiedliches assoziiert (z. B. digitale Geräte im Unterricht nutzen, Schülerinnen und Schüler für das digitale geprägte Leben kompetent machen, individualisierte Lernprozesse ermöglichen, Lerndaten sammeln und verarbeiten, mit Programmen wie Zoom oder Teams online unterrichten, Arbeitsblätter digital abgeben statt als Kopie, Texte auf Monitoren vs. Texte auf Papier lesen, digitale Schuladministration, Tech-Firmen, die in die Schule wollen, um später von Käuferinnen und Käufer zu profitieren, totale digitale Überwachung von Schülerinnen und Schülern (vgl. China), Digitalisierung als weitere Belastung für Lehrpersonen, Digitalisierung als Entlastung für Lehrpersonen, Ablenkung durch schulfachfremde Funktionen auf digitalen Geräten, KI in der Schule, Verlust von kritisch-reflexiven Kompetenzen durch KI/ChatGPT, Untergrabung der elterlichen Medienerziehung durch schulischen Zwang zum mobilen Gerät, …). Je nach Assoziation können die Argumente sehr unterschiedlich ausfallen. Bei unterschiedlichen Bezügen können leicht Missverstöndnisse entstehen. Es ist daher sinnvoll bei einer Debatte die Bezüge transparent zu machen.
Hinter politischen Entscheidungen in Bezug auf «Digitalisierung» und «Schule» können neben dem Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern immer auch noch andere Motive stehen (z. B. bestimmte Berufsbranchen fördern, Bildungsinstitutionen öffnen für die Interessen der IT-Wirtschaft (vgl. Niesyto 2021), Kosten einsparen, Personalmangel ausgleichen, Regierungen, die in ihrer Amtszeit das Schulsystem sichtbar prägen wollen).
Medien wurden schon oft zum Sündenbock gemacht, wenn gesellschaftliche Probleme auftreten. Der Fokus auf Geräte an sich ist leichter als konkrete schulische Lernsetting in den Blick zu nehmen.
Bildschirmzeit: Bei der Diskussion um Bildschirmzeiten sollte immer auch die Reflexion von Bildschirminhalten und Nutzungskontexten mitgedacht werden. „Welcher Mensch schaut mit wem in welchem Kontext wie lange welche Inhalte und welche Bedeutungen werden dabei konstruiert?” (vgl. Holzwarth & Lieger 2024, S. 74).
Medienkompetenzvermittlung/Medienkompetenzerwerb muss nicht nur bedeuten digitale Geräte zu benutzen (vgl. im Kontext Informatik: «Informatik ohne Strom»: https://ilearnit.ch/de/stromlos.html).
In der Schule über Medienerfahrungen und menschliche Werte im Kontext von Medien, Digitalisierung und KI zu reden ist eine Aktivität, die sich ohne digitale Geräte und ohne Internet vollziehen kann.
Es kommt auf die Balance von digitalen und analogen Lernszenarien an.
Die Nutzung von digitalen Geräten allein ist noch kein Garant für modernen innovativen Unterricht. Auch mit digitalen Tools kann sehr traditionell unterrichtet werden.
Naturerfahrung und die Nutzung von medialen Geräten sollten nicht in einer Entweder-Oder-Logik diskutiert werden. Ein Spaziergang im Wald kann beispielsweise mit digitalen Fotokameras dokumentiert werden, z. B. eine Kollage mit Fotos von verschiedenen Baumrinden, eine Fotoserie mit unterschiedlichen Blattformen oder Makro-Aufnahmen von Moosen und Flechten).
Es kommt auf die konkrete didaktische Einbettung und Kontextualisierung von digitalen Hilfsmitteln an, nicht nur auf das Gerät an sich.
Der direkte erfahrungsbasierte Vergleich von digitalen und analogen Techniken kann für Schülerinnen und Schülerhilfreich sein (z. B. Bild mit Farben auf Papier malen vs. Bild auf dem Tablet malen).
Gegen digitale Geräte in der Schule sein muss nicht heissen, dass man auch gegen Medienkompetenzvermittlung/Medienkompetenzerwerb ist.
Es wird aktuell viel darüber diskutiert, wie Handys und Tablets im Schulischen Kontext genutzt werden können, es wird aber zu wenig oder gar nicht diskutiert, wie Schülerinnen und Schüler mit medialer Ablenkung umgehen lernen können (Selbstregulation, Exekutive Funktionen: Fokus auf eine Aufgabe, ohne sich ablenken zu lassen).
Es muss klar unterschieden werden: die Mediennutzung der Schülerinnen und Schüler im Schulkontext und der Umgang mit privaten Handys im Umfeld der Schule.
Es macht einen Unterschied, ob jemand gegen digitale Geräte an sich ist oder gegen digitale Geräte in einer bestimmten Altersgruppe.
Eine intensive Nutzung von digitalen Geräten in der Freizeit ist kein Argument gegen Thematisierung von digitalen Phänomenen oder Nutzung digitaler Geräte im Kontext von Lernen und Bildung. Gerade bei einer intensiven Freizeitnutzung ist die Thematisierung in der Schule wichtig. Nicht alle Familien können dies leisten.
Ein sinnvoller Umgang mit KI/ChatGPT kann auch über Experimentieren mit ChatGPT gelernt werden (z. B. selbst ein Gedicht schreiben vs. Chat GPT ein Gedicht schreiben lassen und dann Produkte und Lernprozesse vergleichen).
Ein problematischer Umgang mit KI/ChatGPT kann dazu führen, dass Nutzende sich auf das Erstellen von Prompts beschränken und gar nicht mehr selbst schreiben. Damit könnten wichtige Lernprozesse verloren gehen, beispielsweise die Fähigkeit, KI-generierte Ergebnisse aufgrund eigener Schreiberfahrungen kritisch zu bewerten, das kritische Denken und der Erkenntnisgewinn, der durch das eigene Schreiben entsteht.
Empirische Studien zum Lernerfolg mit und ohne digitale Geräte sind nicht immer eindeutig (vgl. Middendorf 2024). Es spielen sehr viele Einflussfaktoren eine Rolle und diese lassen sich in Forschungskontexten nicht immer sauber kontrollieren.
Schulisches Lernen muss auf die Gegenwart und die Zukunft ausgerichtet sein. Es stellt sich nicht die Frage ob, sondern wie junge Menschen auf eine zunehmend medial und digital geprägte Gesellschaft vorbereitet werden sollen.
Literatur und Links:
Holzwarth, Peter & Lieger, Catherine. 2024. „Medienkompetenz und Spielkompetenz für die «Generation lebensunfähig»“. merz | medien + erziehung 2024/5. München: kopaed, S. 69-75.