Botschaften aus der Vergangenheit

Ecole de la Roseraie, Genève 1995
Foto: © Fotostiftung Schweiz / 2014, ProLitteris Zürich

Im Zeitalter der Farbfotografie sind Schwarzweissfotos Botschaften aus der Vergangenheit oder Zeugen künstlerischen Ausdrucks. Auf Monique Jacots Fotos von Westschweizer Schulen trifft beides zu. Was hier auf den ersten Blick als dokumentarisches Foto eines Genfer Schulzimmers aus der Woche vom 3. bis 8. März 1997 erscheint, ist formal hochgradig komponiert. Wie jedes Bild stellt es mehr dar als die Summe dessen, was es abbildet. Die Wandtafel beansprucht fast die ganze Fläche und droht gar, den Bildrahmen zu sprengen. Die Tafelkanten laufen als Linien von links ins Bild und kreuzen sich in der Verlängerung ausserhalb des Bildes. In der Bildmitte aber – zwischen Tafel und Klasse – vermittelt der Lehrer den Lernstoff.

Schiefertafel und Frontalunterricht mögen von gestern sein, doch sie bleiben universale Chiffren schulischen Unterrichts. Spannung entsteht in diesem Bild etwa durch die Blickrichtungen der Kinder, des Lehrers und nicht zuletzt durch die gemalten Augen im Porträt oben rechts. Blicken diese auf das ebenfalls dunkelhäutig scheinende Kind unten, oder blinzeln sie verschmitzt in die Kamera? Die Geste des Lehrers erinnert an einen Dirigenten oder Magier. Zeigend, Obacht gebietend oder ein Längenmass andeutend, schafft er Verbindung zur Klasse. Unterrichten, so liest man immer wieder, hat mit Beziehung zu tun, Mathematik dafür mit Formeln – und Fotografie viel mit Form.

(Fundstück von Thomas Hermann aus der Zeitschrift «Akzente» 1 (2014): S. 38.)

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