Die Kultur der Selbstoptimierung*

Peter Holzwarth

Im Internet findet man eine Karikatur von Wilcox: Eine Frau im Bikini betrachtet sich in einem großen Spiegel, neben ihr steht eine angezogene Frau. Die Bikiniträgerin fragt: Welchen Teil würdest du als erstes verändern? Die Angezogene antwortet mit verschränkten Armen: „Die Kultur“.

Es kommt zum Ausdruck, dass das eigentliche Problem nicht in der Abweichung vom Schönheitsideal liegt, sondern in den gesellschaftlichen Normen und Werten: Frauen und zunehmend auch Männer werden dazu motiviert, Selbstoptimierung in Bezug auf den eigenen Körper zu betreiben – und wie das folgende Zitat deutlich macht profitieren viele Anbieter wirtschaftlich von dieser Kultur:

„Wenn alle Frauen dieser Erde morgen früh aufwachten und sich in ihren Körpern wirklich wohl- und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen“ (Penny 2012, 9).

Diätprodukte, Fitnessprogramme, Sportgeräte, Schlankheitspillen, Selbsthilfebücher, Schlankheits-Gürtel, Plastische Chirurgie, Abnehm- und Fittness-Apps… es wird mit dem medial propagierten Bedürfnis nach einem schlankeren muskulöseren Körper extrem viel Geld verdient. In gewisser Weise wird ein Problem konstruiert, um dann auch gleich die Lösung anbieten zu können:

„Die Betrachterin/Käuferin wird dazu veranlasst, sich selbst als diejenige zu beneiden, die sie wird, wenn sie ein bestimmtes Produkt kauft. […] Das Reklamebild stiehlt ihr die positive Einschätzung ihres Selbst, ihr Selbstvertrauen, um es ihr gegen den Preis der Ware wieder anzubieten“ (Berger 1996, 127).

Historisch betrachtet, bezog sich das Schönheitsideal immer auf den Aspekt der Unerreichbarkeit. In einer Gesellschaft, in der Nahrung einen Mangel darstellt und nicht allen zugänglich ist, kann sich Körperfülle als Schönheitsideal etablieren. In einer Gesellschaft wie der unsrigen, in der sich jeder Mensch Essen in Fülle leisten kann und Dick-Sein so gut wie nichts kostet, wird Schlankheit zum raren Gut. Über das schwer Erreichbare kann Profit gemacht werden.

Ein weiteres Beispiel: Auf dem Gemälde „Sonntagsspaziergang“ von Carl Spitzweg (1841) sieht man Menschen mit Sonnenhüten und Sonnenschirmen durch ein Kornfeld spazieren. Die Darstellung entstammt einer Zeit, in der eine gebräunte Haut den niedrigen sozialen Status derer symbolisierte, die im freien unter der Sonne arbeiten mussten. Die statushöhere Bevölkerung wollte Bräunung verhindern. Heute steht Sonnenbräune für etwas Positives. Man bringt mit ihr zum Ausdruck, dass man sich Flugreisen in den Süden und Freizeitaktivitäten im Freien finanziell und zeitlich leisten kann.

Der Körper stellt einen Ort dar, an dem Status und Identität verhandelt und kommuniziert werden. Für viele Menschen ist der Körper auch ein zentraler Aspekt der Entwicklung von Selbstwertgefühl. Auch auf dem Partnermarkt spielt die Nähe zum gängigen Schönheitsideal eine große Rolle.

Neben den üblichen Schönheitsidealen werden auch immer wieder spezielle „Körper-Hypes“ etabliert. Ihre Liste ist lang: „Waschbrettbauch“/“Sixpack“ (man soll sichtbare mehrfach gewölbte Bauchmuskulatur haben), „Size Zero“ (man soll eine extrem kleine Kleidergröße haben), „Thigh Gap“ (eine Oberschenkellücke soll sichtbar sein), „Bikini Bridge“ (der Bund soll an den Hüftknochen anliegen und nicht den Bauch berühren), „Ab Crack“ (eine Spalte im Bauch soll sichtbar sein), „Bellybutton challenge“ (mit dem Arm hinter dem Rücken entlangreifend den Bauchnabel berühren können), „Collarbone challenge“ (Münzen auf dem Schlüsselbein als Beweis für Schlankheit), „DIN A 4 Body challenge“ (Eine Taille haben, die nicht breiter als ein DIN A4-Blatt ist).

Noch einmal die Frage: Welchen Teil würdest du als erstes verändern? Noch einmal die Antwort: „Die Kultur“. Wer also versucht die Kultur zu verändern?

Das „Body positive Movement“ ist eine Bewegung die einen positiven und gesunden Umgang mit dem eigenen Körper propagiert – trotz Abweichungen vom gängigen Schönheitsideal. Die Künstlerin Frances Cannon ist beispielsweise mit Zeichnungen auf Instagram aktiv. Sie propagiert Selbstakzeptanz und Selbstliebe in Bezug auf den eigenen, nicht perfekten Körper. Ihre Figuren entsprechen nicht dem gängigen Schlankheitsideal und sind oft unrasiert. Und doch lieben sie sich selbst und akzeptieren sich gegenseitig.

Unterschiedliche Kampagnen von Firmen haben sich in der letzten Zeit dafür eingesetzt, Schönheitsideale und Geschlechterstereotype zu kritisieren und zu durchbrechen. (z.B. Dove-Film „Evolution“ https://youtu.be/iYhCn0jf46U und„Onslaught“ https://youtu.be/9zKfF40jeCA „Always #LikeAGirl – Unstoppable“ https://youtu.be/VhB3l1gCz2E)

Wird hier ein wichtiger gesellschaftlicher Beitrag geleistet oder geht es letztendlich nur um weitere Umsatzmaximierung? Eine ähnliche Debatte wurde bereits in den 90er-Jahren im Zusammenhang mit Oliviero Toscanis Skandalfotos für Benetton geführt.

In einer Zeit, in der bereits Kinder genau wissen, was an ihrem Körper defizitär ist und geädert werden müsste, hat die US-amerikanische Fotografin Wendy Ewald ein Projekt entwickelt: „The Best Part of Me“ (https://youtu.be/XiYXGhce1X4?si=HKlF4zZRZ6fyFXul). Kinder und Jugendliche fotografieren ihren Lieblingskörperteil und schreiben einen lyrischen Text dazu, der ihre Selbstwertschätzung zum Ausdruck bringt.

Projektideen wie diese können uns der Utopie von Laurie Penny einen Schritt näher bringen: Menschen, die sich wohl fühlen in ihren Körpern. In Anbetracht der Tatsache, dass die Kultur der Selbstoptimierung viel menschliches Leid produziert (auch Essstörungen und Körperselbstwahrnehmungsstörungen) wäre es der Umsatzrückgang in der Beauty-Industrie wohl wert. Politiker, Pädagogen, Werbetreibende, Journalisten, Eltern, Models, Künstler und Fotografen sind gefragt aber, auch jede einzelne Frau und jeder einzelne Mensch.

*Hinweis: der Beitrag erschien 2018 im Tagesspiegel, Berlin und 2020 in einem Lehrmittel:

Holzwarth, Peter. 2020. Schönheitswahn und Profit: Die Kultur der Selbstoptimierung. In: Klartext. Arbeitsheft. Differenzierte Ausgabe. Baden-Württemberg. Braunschweig: Westermann, S. 13-15

Literatur:

Berger, John 1996. Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt. Hamburg: Fischer.

Penny, Laurie. 2012. Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus. Hamburg: Nautilus.

Links Karikatur von Wilcox:

https://static.attn.com/sites/default/files/unnamed%20%282%29.jpg

https://www.attn.com/stories/159/how-our-diet-obsessed-marketing-culture-fueled-my-eating-disorder

Weiter Links zum Thema:

Alles für die Schönheit (1/3) – Perfektion dank Spritze und Skalpell

https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/alles-fuer-die-schoenheit-13—perfektion-dank-spritze-und-skalpell?urn=urn%3Asrf%3Avideo%3A8762015e-b6b8-48bb-8ff5-1962c4d91db2

Alles für die Schönheit (2/3) – Perfektion dank Spritze und Skalpell

https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/alles-fuer-die-schoenheit-23—perfektion-dank-spritze-und-skalpell?urn=urn:srf:video:b3d97648-2c1c-4820-9bef-fb7b0247b975

Alles für die Schönheit (3/3) – Perfektion dank Spritze und Skalpell

https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/alles-fuer-die-schoenheit-33—perfektion-dank-spritze-und-skalpell?urn=urn:srf:video:6b659e34-2cff-4567-b4f1-3f567db6d5a9

Anti-Aging für Kids – ein gefährlicher Trend (SRF-Tagesschau vom 20.8.2024)

https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/anti-aging-fuer-kids—ein-gefaehrlicher-trend?urn=urn:srf:video:2e48113f-25f4-4621-875e-e180172b1cda

Gefahr durch Tiktok: Jugendliche im Kosmetikrausch

https://www.srf.ch/play/tv/kassensturz/video/gefahr-durch-tiktok-jugendliche-im-kosmetikrausch?urn=urn:srf:video:a319a268-163b-4ef3-81be-d0de49e54dec

Generation TikTok – Teenie-Idol Younes geht neue Wege

https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/generation-tiktok—teenie-idol-younes-geht-neue-wege?urn=urn:srf:video:5f36b60d-21eb-4806-9f55-398a5f79a509

Generation «Selfie»

https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/generation-selfie?urn=urn:srf:video:faf0b602-ac99-4324-bded-47260cfc7cc4

Botox, Brust-OP und Nasenkorrektur – Wie weit gehen wir für Schönheit?

https://www.srf.ch/play/tv/mona-mittendrin/video/botox-brust-op-und-nasenkorrektur—wie-weit-gehen-wir-fuer-schoenheit?urn=urn:srf:video:44ea77c1-1e87-474d-9ddd-1db98b57ac75

Holzwarth, Peter. 2004. „Medienbild, Körperbild und Wahrnehmung.“ In: LUB@M 2004. Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik. Ausgabe 6/2004 (Themenschwerpunkt: Medienkritik). http://www.ph-ludwigsburg.de/fileadmin/subsites/1b-mpxx-t-01/user_files/Online-Magazin/Ausgabe6/Holzwarth6.pdf

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