Monique Honegger ist Gründerin und Leiterin des Schreibzentrums der PH Zürich und arbeitet u.a. als Beraterin und Dozentin mit Dozierenden und Studierenden.
Schreibenlernen heisst Denkenlernen
Wir sprechen selten übers Schreiben, obschon es zentraler Bestandteil unserer Tätigkeit als Expertinnen und Hochschullehrer ist. Erst ein Professor im Ruhestand bringt es in einer Keynote an der EATAW-Konferenz im Juni 2017 in London auf den Punkt:
«I worked 40 years in the academic field, we never talked about writing»
(Ronald Barnett)
Barnett wandte sich mit dieser Feststellung an Schreibexpertinnen und -experten, die täglich Studierende und Dozierende an Hochschulen in Veranstaltungen oder in Schreibzentren beim SchreibenDenkenLernen begleiten. In diesem Zusammenhang sind folgende Fragen wichtig: Wie machen wir Studierende fit im Schreiben? Wie bringen wir Studierende ins Schreiben und zum Denken? Darum drehen sich die hier vorgestellten News und Klassiker zu fünf Themen aus der EATAW–Konferenz (European Association for Teaching Academic Writing, EATAW) 2017 in London.
Eine Disziplin und ein Diskurs mit Fachleuten: SchreibenDenkenLernen
Es gibt seit rund 20 Jahren eine Gruppe von Expertinnen und Experten zum SchreibenDenkenLernen in Mitteleuropa. Nicht alle Dozierenden müssen im Schreiben selber Expert/-innen sein. Schreibförderung an Hochschulen muss nicht wiederkehrend an jeder Hochschule und in jeder einzelnen Veranstaltung neu erfunden werden: Dafür gibt es Fachleute. Vereinigungen wie EATAW und in der Schweiz das Forum wissenschaftliches Schreiben, sowie Spezialist/-innen aus Hochschulen und Schreibzentren führen den Diskurs und die Professionalisierung zu SchreibenDenkenLernen weiter. Das Wissen übers Schreibenlernen beim Studieren reicht weit über Ratgeber zum Schreiben hinaus. Es gibt Untersuchungen, Modelle und eine Scientific Community.
Schreiben lernen mit Online–Tools?
Welche Online-Tools unterstützen Studierende und Dozierende wirklich darin, den verlangten Text effizienter und lehrreicher zu schreiben und überhaupt bessere Schreibende zu werden? Der Markt ist gross. Die Angebote unüberschaubar und verlockend. Wer hätte nicht gerne den Schlüssel zur schnellen Schreibverbesserung über ein Tool, das einen gelingenden Text – vom Laborbericht, über Reflexion bis zur Bachelorarbeit – herbeizaubert. Unter Fachleuten war auch an der EATAW 2017 unbestritten, dass Digitalisierung nicht nur mehr (mitunter auch unmotiviertes) Schreiben an Hochschulen bewirkt, sondern es auch erleichtert. Insbesondere Tools, die inhaltliche Feedbackschlaufen integrieren, verbessern Schreibkompetenzen. Der Grund dafür ist, dass Studierende beim Arbeiten mit Tools und durch das Feedback (mit Peers und Dozierenden) Folgendes lernen: Ein entstehender Text braucht Feedback und stetige Anpassungen. Es gehört zur Schreibroutine, Texte – auch grobe Rohentwürfe – früh während des Schreibens anderen zu zeigen. Diese Zeigeroutine, das Überwinden der Zeigeblockade, ist Berufsschreibenden aus dem Tagesjournalismus geläufig, (angehende) Academics dagegen müssen es (wieder) lernen.
Persönliches Feedback oder Curricula?
Um Schreiben zu fördern, helfen Curricula, die in Studiengängen und Fächern SchreibenDenkenLernen systematisch mit den Inhalten verlinken. Leider fehlt in vielen Studiengängen diese Koordination, weshalb sowohl Studierende als auch Dozierende das Schreiben von Texten mitunter eher als sinnlose Pflicht- und Trockenübung denn als Lernchance erleben. Um dem entgegenzuwirken, öffnen einerseits jenseits der Curricula freiwillige Schreibberatungen oder Schreibzentren mit Peertutor/-innen Türen zur Schreibförderung. Andererseits fördert persönliches Feedback zu Arbeiten in einzelnen Lehrveranstaltungen – die Studierende auch als relevant erleben – das SchreibenDenkenLernen. Dies zeigen ältere und aktuelle Befunde mehrfach. Persönliches non-direktives Feedback hilft am meisten (EATAW 2017, Alpen-Adria Universität Klagenfurt).
Zudem wird Schreiben in Fremdsprachen immer wichtiger, angesichts der steigenden Anzahl mehrsprachiger Studierender sowie der Texte, die in Englisch zu verfassen sind (Writing in The Second or Foreign Language: EATAW 2017, Lina Larsson, Schweden).
Weder Rechtschreibung und Grammatik gezielt zu fördern noch akribisch zu korrigieren ist Aufgabe der Dozierenden. Vielmehr ist es zentral zu wissen, dass Schreibprozesse individuell geschehen, es verschiedene und ändernde Textsorten sowie diverse Schreibtraditionen gibt.
Weniger ist mehr und Freude zu haben ist mehr als erlaubt
Selber schreiben. Selber bewusst schreiben. Als Dozierende. Vielleicht auch darüber nachdenken, ob weniger nicht manchmal mehr ist. «Teachers (…) expect things, that never have been mentioned». (EATAW 2017, Ute Reimers, Universität Siegen). Indem wir Dozierenden versuchen, eigene Schreibaufgaben zu erfüllen und auch sonst viel schreiben, erleben wir, was leistbar ist. Wir werden uns bewusster, dass wir oftmals erst beim Bewerten von Studierendentexten Kriterien entwickeln. Darum empfiehlt es sich, als Dozierende selber einen inneren Dialog mit uns zu pflegen, was unser Schreiben und unsere Erwartungen an Texte angeht.
Wie wir Studierende vom Zusammenfassen an durchs eigene kritische Denken bis zur Verunsicherung oder Denkbremse (auch als emotionales Phänomen) begleiten, ist eine wiederkehrende Frage, auch an der EATAW 2017. Was hilft nun, was weniger? Wieviel Risiko darf und soll genommen werden beim Schreiben an Hochschulen? Wozu ermuntern wir Studierende? Wovor bewahren wir sie? Es gilt die Balance zu finden zwischen zu viel Scheitern und lehrreichen Scheiter-Erfahrungen. Zwar müssen Standards erfüllt werden, dennoch ist es zu vermeiden, Studierende in eine Schreibhaltung hinein zu zementieren, die sie zu denkstarren oder denkängstlichen Ausführungsschreibenden macht. Es braucht eine gewisse Unsicherheit in diesen Prozessen. Wie diese produktive Unsicherheit in gestalterischen Studiengängen erzeugt werden kann, zeigen Banzer u.a. (EATAW 2017, Universität Liechtenstein). Wo es für welche Studierendentypen zu viel der Unsicherheit sein kann und wie der Umgang damit geübt werden kann, zeigen Honegger, Beglinger und Altorfer (EATAW 2017, PH Zürich) auf. Zudem gibt es wieder neue Befunde, die belegen, dass es hilfreich ist, wenn «students enjoy writing» (EATAW 2017, Marcus Fiebig, PH Freiburg/Breisgau).
Beginnen wir als Dozierende übers Schreiben im Studium und an Hochschulen nachzudenken, wird es erst mal unangenehm und verunsichernd. Es geht uns dann wie den Studierenden:
«If you tried to doubt everything you would not get as far as doubting anything. The game of doubting itself presupposes certainty».
(Wittgenstein, on Certainty)
Tipps für Dozierende
Wie können Dozierende, die nicht Schreibexpert/-innen sind, Studierenden beim SchreibenDenkenLernen helfen?
- Geben Sie Feedback. Feedback hilft, vor allem auf Texte, die nachher noch überarbeitet werden. Lassen Sie Studierende in Feedbacks durch Fragen mitsteuern.
- Erwarten Sie Vielfalt. Sichtbare Schreibkompetenzen Studierender variieren stark. Schreib- und Denkförderung braucht individuelle Begleitung, gelernt wird am entstehenden Text.
- Fokussieren Sie auf Inhalt, Struktur und Verständlichkeit. Korrigieren Sie nicht zeitaufwändig Orthographie und Grammatik. Knappe Diagnosen reichen.
Reservieren Sie sich schon jetzt den 7. und 8. Juni 2018 für die 7. internationale Tagung des Forums wissenschaftliches Schreiben (FWS). Monique Honegger ist am ZHE auch als Kursleiterin und Beraterin tätig: Arbeiten von Studierenden begleiten und beurteilen startet zum nächsten Mal anfangs 2018. Literaturhinweise: - Honegger, M. (2011): Studierende beim Schrieben beraten und begleiten. In G. Thomann, M. Honegger & P. Suter (Hrsg.), Zwischen Dozieren und Beraten. Bern: hep. (= Band 2 unserer Reihe «Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung»; 2.Aufl. erscheint Ende 2017) - Honegger, M. (2015): Schreiben und Scham. - Honegger, M., Ammann D. & Hermann, T. (Hrsg.), Schreiben und Reflektieren. Denkspuren zwischen Lernweg und Leerlauf. (= Band 7 unserer Reihe «Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung»)
Redaktion: ZBU, TZM