Beitrag von Anita Graf, Professorin für Human Resource Management an der Fachhochschule Nordwestschweiz und selbstständige Beraterin für ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung.
Wie schätzen Sie sich ein: Können Sie sich gut selbst managen und führen oder bereitet Ihnen das regelmässig Kopfzerbrechen? Wissen Sie, wie Sie sich entlasten können – und setzen Sie dieses Wissen auch um?
Sich selbst wirkungsvoll zu führen ist in der heutigen Zeit essenziell – und anspruchsvoll. In vielen Bereichen der Arbeitswelt sind die Anforderungen an Mitarbeitende und Führungskräfte stark angestiegen, der Druck hat zugenommen. Das gilt auch für Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen. Zahlreiche Studien zeigen die Auswirkungen von Überforderung und Überlastung im Job: z.B. Demotivation, Erschöpfungszustände, psychosomatische Beschwerden. Ein gutes Selbstmanagement hilft, die Erwartungen aus Lebens- und Arbeitswelt zu bewältigen.
Wie schätzen Sie Ihre Selbstkompetenz ein?
Selbstmanagement-Kompetenz umfasst die Bereitschaft und die Fähigkeit, das eigene Leben selbstverantwortlich zu steuern. Selbstmanagement ist gelebte Selbstverantwortung.
Zurück zur Ausgangsfrage: Wie schätzen Sie Ihr eigenes Selbstmanagement ein? Die folgende Übung hilft Ihnen, Ihre Selbstmanagement-Kompetenz zu reflektieren. Die Grundlage bilden die vier Wirkungsbereiche Leistungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft, Wohlbefinden und Balance – sie sind weiter unten kurz beschrieben.
Reflexionssequenz Teil 1
Beantworten Sie die folgenden Fragen und halten Sie Ihre Ergebnisse schriftlich fest:
- Leistungsfähigkeit
Wie zeigt sich Ihre Leistungsfähigkeit im beruflichen und privaten Alltag?
Worauf beruht Ihre Leistungsfähigkeit? Welche Massnahmen/Aktivitäten gehören hierzu? Welche Einstellungen? - Leistungsbereitschaft
Wie zeigt sich Ihre Leistungsbereitschaft im beruflichen und privaten Alltag? Wie ist diese erkennbar oder sichtbar?
Worauf beruht Ihre Leistungsbereitschaft? Was motiviert Sie besonders – bei der Arbeit und im Privatleben? - Wohlbefinden
Was beeinflusst Ihr Wohlbefinden im Berufs- und Privatleben?
Hinweis: In der positiven Psychologie beruht Wohlbefinden auf 5 Faktoren: positive Gefühle, Erfolg bzw. erreichte Ziele, Engagement/Flow, Sinn, positive Beziehungen. - Balance
Was brauchen Sie, um im Alltag Balance zu leben (auf körperlicher, emotionaler, geistiger Ebene, bezogen auf die Balance der Lebensbereiche oder auf die Balance zwischen Aktivierung und Entspannung)?
Wie erkennen Sie im Alltag, dass Sie in Balance sind?
Was geschieht, wenn Sie es nicht sind?
Reflexionssequenz Teil 2
Beantworten Sie die folgenden Fragen und schätzen Sie sich auf den Skalen ein (zum späteren Überprüfen schriftlich festhalten).
- Wie hoch war in den letzten 6 Monaten im Durchschnitt Ihre Leistungsfähigkeit (10 = sehr hoch, 0 = sehr tief)? Was sind die Gründe, dass der Wert so ist wie er ist?
- Wie verläuft der Trend, wenn Sie weiter so leben, wie Sie in den letzten 6 Monaten gelebt haben – nach oben, gleichbleibend oder nach unten?
- Beantworten Sie diese beiden Fragen auch für die restlichen drei Parameter.
Wenn Sie alle vier Parameter beurteilt haben:
- Was müssten Sie konkret tun, um jeden der vier Parameter auf einem möglichst hohen Niveau zu halten bzw. diesen dahin zu bewegen?
- Welchen Gewinn/Nutzen könnten Sie dadurch für sich und Ihr Leben generieren?
- Was könnte Sie daran hindern, es nicht zu tun? Was wäre der Preis hierfür? Welchen Preis bezahlen Sie bereits heute?
- Welche Ressourcen könnten Sie aktivieren, die Sie in diesem Prozess unterstützen?
Wirkungsbereiche von Selbstmanagement
Selbstmanagement bedeutet, das eigene Leben selbstverantwortlich zu steuern, damit Leistungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft, Wohlbefinden und Balance gefördert werden und langfristig erhalten bleiben:
- Leistungsfähigkeit wird ermöglicht, wenn Menschen über die Kompetenzen verfügen, um sowohl die Herausforderungen und Ansprüche des Berufs- als auch des Privatlebens zu erfüllen. Dies setzt einerseits lebenslanges Lernen voraus (sich weiterbilden, neue Herausforderungen suchen, die Komfortzone verlassen, Neues ausprobieren, Risiken eingehen) und andererseits die Bereitschaft, der eigenen Gesundheit Sorge zu tragen (Belastungen erkennen und abbauen, Ressourcen aktivieren und im Alltag nutzen).
- Leistungsbereitschaft zeigt sich darin, dass Menschen sich für etwas engagieren – für ein Ziel, eine Sache, eine Person, ein Anliegen, eine Organisation. Sie identifizieren sich mit der Tätigkeit, die sie ausüben oder mit dem Unternehmen, für das sie arbeiten. Identifikation geschieht da, wo die Lebensgestaltung mit den eigenen Bedürfnissen und Werten übereinstimmt, sie ist die Basis für Begeisterung und Passion. Eine sehr hohe Leistungsbereitschaft kann allerdings zu Selbstausbeutung führen.
- Wohlbefinden wird durch fünf Faktoren beeinflusst, die sich gegenseitig ergänzen und bedingen. Wohlbefinden entsteht, wenn Menschen ein positives Gefühl haben (z. B. Freude, Inspiration, Stolz, Ausgeglichenheit), Ziele erreichen konnten bzw. Erfolg haben, Engagement im Sinne von Flow-Erlebnissen verspüren, Sinn erfahren (z. B. einen Beitrag leisten können, der als sinnvoll erachtet wird) und positive Beziehungen leben.
- Balance zeigt sich darin, dass Menschen in folgenden Bereichen für Ausgewogenheit sorgen: Balance zwischen Aktivierung/Anspannung und Entspannung/Regeneration, Balance auf körperlicher Ebene (z.B. ausreichend Schlaf, regelmässig Bewegung), auf emotionaler Ebene (z.B. innere Gelassenheit entwickeln) und auf geistiger Ebene (z.B. ausgewogener Wechsel zwischen Konzentration/Fokus und mentaler Entspannung/Loslassen) sowie Balance der verschiedenen Lebensbereiche (Life Domain Balance).
Ein lebenslanger und dynamischer Prozess
Ich setze die Reflexionsübung häufig in Selbstmanagement-Seminaren und Coachings ein, wo sie als Orientierungsrahmen dient. Je nach Ergebnis rüttelt diese kleine Übung auf oder kann unangenehme Gefühle hervorrufen, z.B. wenn sich vorhandene «Baustellen» zeigen. Dabei ist Selbstmanagement ein lebenslanger und vor allem dynamischer Prozess, der immer wieder Phasen der Selbstreflektion und der Selbstentwicklung erfordert. Die Grundlage bildet die Bereitschaft, das eigene Leben selbstverantwortlich zu steuern und zu gestalten. Selbstmanagement hat mit klaren Entscheidungen zu tun, auch mit Verzichten-Können oder Verzichten-Müssen. Letzteres fällt besonders Fachleuten wie Hochschuldozierenden und -forschenden oft schwer, was zum Phänomen der interessierten Selbstgefährdung führen kann.
Es zeigt sich in Seminaren und Coachings immer wieder, dass Menschen eigentlich genau wissen, welche Bereiche es zu verändern gilt: Die eigentliche Hürde liegt im Schritt vom Wissen zum Tun. Denn oft entscheidet man nicht alleine – wie bei der Frage, als Familienvater Teilzeit zu arbeiten. Oder die Entscheidungen führen zu Konflikten, beispielsweise wenn Mitarbeitende keine zusätzlichen Aufgaben übernehmen möchten. Manchmal erzeugen Entscheidungen Ängste, zum Beispiel den Arbeitsplatz zu verlieren. Und vielleicht bestehen Konflikte zwischen Bedürfnissen und Zielen, die abzuwägen sind – wie finanzielle Sicherheit versus mehr Freiraum. Häufig ist es notwendig, auf der neurobiologischen Ebene die entsprechenden neuronalen Vernetzungen erst zu bilden, etwa beim Schaffen neuer Automatismen (der Schritt vom Wissen zur Handlungsroutine). Coachings und Beratungen zum Selbstmanagement können beim Umsetzen und Angehen helfen.
Packen Sie es an!
Anita Graf leitet Anfang Mai einen Kurs zum Thema Selbstmanagement für Hochschuldozierende am ZHE. Anmeldungen sind noch bis am 04.April möglich. Lesetipp: Anita Graf (2017): Sich selbst wirkungsvoll führen. Kernkompetenz der Zukunft. Zeitschrift für Führung + Organisation, 02/2017 (86. Jg.), Seite 68–75. Anita Graf (2012): Selbstmanagement-Kompetenz in Unternehmen nachhaltig sichern: Leistung, Wohlbefinden und Balance als Herausforderung.
Redaktion: ZBU