Ein Hochschulschock? Einblicke in das Erleben des ersten Semesters

Text: Albiona Hajdari

«Versuchen Sie nun bitte, Ihre eigene Metapher für Ihr erstes Semester zu finden!» Dies war die Aufforderung an Studierende, welche ihr Studium im Herbstsemester 2022 aufgenommen haben. Die Befragung erfolgte im Rahmen des Forschungsprojekts «Diversity im Engagement» der PH Zürich unter der Leitung von Franziska Zellweger. Das Projekt untersucht mittels Fokusgruppen und einer Befragung das Erleben des ersten Semesters und der dazugehörigen Anforderungen in professionsorientierten Studiengängen. Die Frage nach den Metaphern im Rahmen der Befragung erwies sich in den Ergebnissen als umfangreicher, spannender und dramatischer als angenommen. In Analogie zum Praxisschock beim Berufseinstieg könnte man fragen: Erleiden Studierende einen Hochschulschock?
Bildliche Beschreibungen des ersten Semesters als bedeutungsvolle und zugleich kritische Phase machen es möglich, dem subjektiven Erleben von Studierenden näher zu kommen. Im Folgenden werden erste Eindrücke aus dem Projekt berichtet sowie Ansätze geschildert, wie Studierende während dieses kritischen Übergangs unterstützt werden könnten.

Neue Studierende sind mit vielfältigen Anforderungen konfrontiert.

Das erste Semester als kritischer Übergang

Für den weiteren Studienverlauf und einen erfolgreichen Abschluss nimmt die Studieneingangsphase eine zentrale Bedeutung ein (Bosse & Barnat 2018). Die Forschung zum Übergang in die Hochschule unterteilt diesen Transitionsprozess in vier Phasen, in denen sich die Studierenden (1) auf ihr kommendes Studium vorbereiten, (2) einstellen, zurechtfinden, (3) anpassen versuchen sowie (4) sich im Verlauf des ersten Semesters und darüber hinaus stabilisieren (Coertjens et al. 2017).

Abbildung 1: Der «Transition Cycle» in Anlehnung an Nicholson (1990)

In diesem Prozess bewältigen Studierende vielfältige Anforderungen in unterschiedlichen Dimensionen. Dies geschieht in Abhängigkeit davon, inwiefern der Kern der von Studierenden genannten Herausforderung der eigenen Person, der Studienorganisation, den Rahmenbedingungen, den Studieninhalten oder dem sozialen Umfeld zugeschrieben wird (Trautwein & Bosse 2017; Wallis & Bosse 2020) (vgl. Abb. 1). Der Umgang mit solch kritischen Studienanforderungen sorgt bei den Studierenden häufig für Belastung oder bei erfolgreicher Bewältigung für Optimismus. Es können vier Dimensionen kritischer Studienanforderungen unterschieden werden, deren Zusammenspiel in der Realität zu sehr unterschiedlichem Erleben führt:

InhaltlichPersonalSozialOrganisatorisch
Bewältigung von fachlichen Anforderungen im Studium. Dazu gehört, die eigene Studienwahl und die dazugehörigen Erwartungen zu klären.Lernaktivitäten und -strategien entwickeln, organisieren und anwenden.Aufbau von sozialen Beziehungen im Studium mit Mitstudierenden sowie Dozierenden. Dies betreffen etwa die Kommunikation und Kooperation.Orientierung im Hochschulsystem sowie in der Organisation des jeweiligen Studienprogramms.
Beispiele:
– Bezüge zwischen Theorie und Praxis herstellen
– Wissenschaftliche Arbeitsweisen erlernen
Beispiele:
– Lernaktivitäten zeitlich sinnvoll strukturieren
– mit Leistungsdruck umgehen
Beispiele:
– im Team zusammenarbeiten
– mit dem sozialen Klima im Studiengang zurechtkommen
Beispiele:
– mit dem vorhandenen Lehrangebot zurechtkommen
– mit ungünstigen Rahmenbedingungen umgehen
Tabelle 1: Dimensionen kritischer Studienanforderungen nach Trautwein & Bosse (2017) und Jänsch & Bosse (2018)  (eigene Darstellung)

Anhand der vier Dimensionen kritischer Studienanforderungen wird deutlich, wie anstrengend und herausfordernd der Studienstart sein kann, und welche Konsequenzen dies für den weiteren Studienverlauf hat, wenn die Bewältigung dieser Anforderungen misslingt.

Metaphorische Einblicke ins erste Semester

Metaphern können helfen, komplexe Themen und Phänomene zu fassen. Es sind Bilder, mit denen wir subjektive Deutungen vornehmen, die wiederum auf unseren persönlichen Wahrnehmungen und Erlebnissen beruhen. Metaphern können schwierige Themen und Probleme beschreibbar machen. Sie schärfen die Aufmerksamkeit und ermöglichen es, die Komplexität zu bearbeiten (Thomann 2023). Ein Auszug einiger Metaphern:

Das erste Semester war…

  • …wie ein Teil eines Aufstiegs auf einen Berg, manchmal steiler und manchmal etwas mehr gerade aus, mit guten und schlechten Wetterbedingungen.
  • …wie eine Achterbahn für mich, denn die Gefühle und der Leistungsdruck gingen stetig hoch und runter.
  • …wie ein Schneesturm, denn es wimmelte nur so von Informationen, die an verschiedenen Stellen zu finden sind, aber einen Weg konnte ich immer finden.
  • …wie ein Sprung ins tiefe Wasser, denn ich musste mich von Anfang an schnell anpassen und Strategien finden, um mit allem mitzukommen.

Anhand dieser Metaphern wird deutlich, dass der Einstieg nicht als einmaliger Akt oder linearer Prozess empfunden wird, sondern über längere Zeit andauert und von einem emotionalen Auf und Ab geprägt ist. Studierende sind gefordert, die gegebenen Rahmenbedingungen der Hochschule rasch zu verstehen und sich stetig anzupassen sowie kreative Lösungen im Umgang mit Herausforderungen zu entwickeln.

Emojis sprechen lauter als Worte

Auch mithilfe von Emojis kann das Erleben, das sich nicht versprachlichen lässt, bildlich ausgedrückt werden. Insbesondere durch die alltägliche Verwendung eignen sich diese «Gesichter» für den Ausdruck des Erlebens. Im Dezember 2022 wurden fünf Fokusgruppengespräche geführt, eröffnet mit der Frage: «Wenn ihr das bisherige Studium in Emojis beschreiben müsstet, welche Emojis würdet ihr auswählen?» Die in Abbildung 3 dargestellten Emojis wurden häufig gewählt:

In der Beschreibung des ersten Semesters ist die anfängliche Informationsflut ein grosses Thema, die bei den Studierenden zu einem Augenverdrehen und Hinterfragen führt.

Der Studienstart wird auch als anstrengend empfunden und mit «Schweiss» und Müdigkeit verbunden.

Vor allem organisatorische Anforderungen sind für die Studierenden zu Beginn herausfordernd. Sie müssen zuerst lernen, sich mit ihnen besser an der Hochschule zurechtzufinden.

Aber auch die positiven Emotionen im Studium werden betont: Freude und Begeisterung für den zukünftigen Beruf werden durch ein lachendes Emoji oder mit Herzen ausgedrückt.

Abbildung 2: Häufig gewählte Emojis in den Fokusgruppen

Die Empfindungen – ausgedrückt in Emojis – variierten von Phase zu Phase im Verlauf des ganzen ersten Semesters und darüber hinaus. Die Studierenden beschreiben es als ein Auf und Ab zwischen Über- und Unterforderung. Anhand der Emojis werden die Anpassungsprozesse sowie Studienanforderungen, die in der Studieneingangsphase typisch sind, sehr deutlich. Sie ermöglichen damit einen näheren Blick in das emotional-subjektive Erleben der Studierenden.

Warum die Frage nach dem Erleben des Studienstarts wichtig ist

Die Studierenden an Hochschulen sind in den letzten Jahrzehnten diverser geworden. Dadurch gibt es auch grosse Unterschiede im Erleben des Studienstarts, denn die Wege dorthin unterscheiden sich wie auch die Hintergründe sowie Motivation der Studierenden. An den Hochschulen haben sich verschiedene Ansätze, Initiativen, Programme und Projekte etabliert, die sich etwa in der curricularen Verankerung, Dauer oder im Modus unterscheiden (siehe hierzu einen Merkmalskatalog von Angeboten der Studieneingangsphase).

Ein Blick auf die Metaphern zeigt, dass die Studierenden in der Regel keinen Hochschulschock erleiden, sie es aber mit herausfordernden Situationen organisatorischer, inhaltlicher, sozialer oder personaler Art zu tun haben. Gerade vor wenigen Wochen hat das neue Semester an den Hochschulen begonnen. Die Erstsemesterstudierenden befinden sich mittendrin und konnten bereits Eindrücke ihrer Lernumwelt sammeln. Dozierende können Studierende gezielter unterstützen, wenn sie sich mit ihrem Erleben und ihren Eindrücken auseinandersetzen. Als Anregung, wie Studierende verstärkt in der Studieneingangsphase unterstützt werden können, mögen folgende Fragen dienen:

  • Wie finde ich heraus, mit welchen Anforderungen meine Studierenden zu kämpfen haben?
  • Wie, wann und wo kann ich in der anfänglichen Informationsflut Orientierung bieten und als mögliche Ansprechperson bei Fragen sowie Unsicherheiten agieren?
  • Wie kann ich die Hochschule als neue Lernumgebung zugänglicher machen? Auf welche unterstützenden Angebote kann ich meine Studierenden aufmerksam machen?
  • Wie kann ich soziale Interaktionen zwischen meinen Studierenden inner- und ausserhalb der Veranstaltungen unterstützen?

Auch die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen im ersten Semester in metaphorischer Form könnte für den Zugang zu den Studierenden und ihrem Erleben gewinnbringend sein. Liebe Lesende, wie würden Sie sich wünschen, dass Ihre Studierenden ihr erstes Semester beschreiben – mit welcher Metapher? Ich freue mich, wenn Sie Ihren Vorschlag in den Kommentaren in Form eines Emojis oder einer Metapher mit mir teilen!

Zur Autorin

Albiona Hajdari ist studentische Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung (ZHE) an der PH Zürich und Masterstudentin für Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich.

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