Woran mache ich meine Beurteilung fest? Transparenz in der Leistungsbeurteilung an Hochschulen

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Text: Tobias Zimmermann

Wenn Sie den Begriff «Beurteilungskriterien» hören, denken Sie vermutlich zuerst an Prüfungen oder wissenschaftliche Arbeiten. Sie spielen aber auch sonst in der Hochschullehre eine wesentliche Rolle: Auch bei Übungsaufgaben geht es stets um die Frage, wie angemessen und/oder wie korrekt sie im Hinblick auf fachliche Ansprüche bearbeitet werden. Beurteilungskriterien werden in solch niederschwelligen Kontexten zwar nicht immer explizit thematisiert. Sie bilden aber implizit auch dort die Folie, auf deren Hintergrund die Bearbeitung der Aufgabe beurteilt wird.

Beurteilungskriterien als Chance zur Verständigung

Der Umgang mit Beurteilungskriterien wird von Dozierenden oft als notwendiges Übel empfunden. So können verschiedene Schwierigkeiten entstehen: Dozierende kommunizieren keine Beurteilungskriterien für eine anstehende Aufgabe oder Leistungsbeurteilung, oder sie investieren wenig Zeit dafür. Beides kann dazu führen, dass die offiziellen Beurteilungskriterien (sofern kommuniziert) oder die in der Modulbeschreibung aufgeführten Lernziele nur teilweise mit den tatsächlich angelegten (impliziten) Beurteilungskriterien übereinstimmen. Die resultierende Unberechenbarkeit von Dozierendenfeedback und/oder Leistungsbeurteilungen ist für Studierende unbefriedigend. Und für Dozierende mag es so aussehen, als würden die Studierenden zu wenig Lernaufwand betreiben.

Dabei bieten Beurteilungskriterien ein beträchtliches Potenzial für die fachliche Verständigung zwischen Dozierenden und Studierenden. Werden sie gemeinsam besprochen oder gar ausgearbeitet, reduzieren sich oben genannten Risiken. Bevor ich auf diese Chancen näher eingehe, möchte ich noch zwei wichtige Hinweise zur Gestaltung von Beurteilungskriterien geben. Sie helfen, das genannte Potenzial zu nutzen:

  • Wichtig ist, dass die Lernziele transparent gemacht werden, die den Beurteilungskriterien zugrunde liegen. Die Lernziele definieren, was die Studierenden am Ende können sollen, die Beurteilungskriterien sind bloss ein Mittel zum Erreichen dieses Ziels. Am besten sind die Lernziele auf dem Dokument mit den Beurteilungskriterien explizit aufgeführt. Im Minimum sollte das Dokument einen Verweis enthalten, wo die Lernziele zu finden sind (z.B. in der Modulbeschreibung).
  • Besonders empfehlenswert für das Formulieren von Beurteilungskriterien sind so genannte Beurteilungsraster, auf Englisch rubrics genannt. Unter dem Link finden Sie eine nähere Erläuterung dieses Instruments, das ich auch in meinem bald erscheinenden Buch zum Thema Leistungsbeurteilung (siehe Infobox am Ende) vorstellen werde.
Beurteilungsraster für einen argumentativen Text (ausgewählte Dimensionen aus Andrade 2000, S. 17, sinngem. Übers. tz) – aus Zimmermann (im Druck)

Die folgenden Verfahrensschritte führen dazu, dass die Studierenden die Beurteilungskriterien nicht nur kognitiv besser verstehen. Sie setzen sich auch verstärkt mit ihrem Sinn und Zweck auseinander, was ihre Akzeptanz der Kriterien erhöht und die Internalisierung von fachlichen Ansprüchen fördert.

Option 1: Kriterien gemeinsam besprechen

Bereits festgelegte Beurteilungskriterien mit den Studierenden eingehend zu besprechen, hat gegenüber einem reinen Bekanntgeben der Kriterien diverse Vorteile. Die dafür in der Lehrveranstaltung investierte Präsenzzeit lohnt sich nicht nur mit Blick auf das verbesserte Lernen der Studierenden. Sie führt auch zu einer langfristigen Zeitersparnis für uns Lehrende, indem die grössere Klarheit bezüglich der Beurteilungskriterien zu weniger Rückfragen der Studierenden im weiteren Lernprozess führt. Deshalb sollte für diesen Schritt mindestens eine halbe Stunde investiert werden.

Zur gemeinsamen Besprechung werden die Beurteilungskriterien auf Papier ausgeteilt oder online zur Verfügung gestellt. Die Studierenden erhalten Zeit, um sie durchzulesen. Anschliessend können sie im Plenum Verständnisfragen stellen. Es lohnt sich, ein bis zwei anregende oder gar provokative Fragen bereit zu haben, falls die Studierenden sich anfänglich nicht zu melden getrauen.

Beispiel: Beurteilungskriterien in einer Vorlesung besprechen

Hanna Felder, Professorin für Mikrobiologie, hält jährlich eine anspruchsvolle Grundlagenvorlesung. Deren Leistungsnachweis besteht in einer Posterkonferenz, wobei Poster und Konferenzteilnahme bewertet werden. Sie hat dafür ein Beurteilungsraster mit wesentlichen Anspruchsdimensionen hinsichtlich der fachlichen Kompetenzen und der Posterkonferenz erstellt. Sie teilt es jeweils in der letzten halben Stunde der dritten Vorlesungswoche aus. Die rund hundert Studierenden, die zu diesem Zeitpunkt schon in die Thematik der Vorlesung eingearbeitet sind, besprechen das Beurteilungsraster in Gruppen. Am Ende hält jede Gruppe eine bis zwei offene Fragen zum Raster fest. Diese tragen sie in einer dafür bereitstehenden Online-Umfrage auf der begleitenden Lernplattform ein. Frau Prof. Felder schaut sich die Fragen an, gruppiert sie, und beantwortet sie zu Beginn der folgenden Vorlesungsstunde. Wo nötig, stellt sie den Studierenden Rückfragen, um sich über den Hintergrund der Fragen zu verständigen. Gegen Semesterende können die Studierenden online nochmals Fragen zum Beurteilungsraster stellen, auf welche die Professorin in der letzten Vorlesung vor der Posterkonferenz eingeht.

Besprechen in Gruppen aktiviert die Studierenden

Das Beispiel zeigt eine wirksame Möglichkeit beim Besprechen von Beurteilungskriterien: Sie besteht darin, dass die Studierenden das Kriterienraster zuerst in Gruppen von ca. 4 Studierenden diskutieren. Sie können dabei ihre Fragen notieren, welche die Gruppensprecherinnen im Plenum stellen können (oder wie im Beispiel online, was sich bei grossen Studierendenzahlen lohnt). Viele Fragen können dadurch schon in Peer-Diskussionen geklärt werden, und es beteiligen sich auch Studierende an der Diskussion, die im Plenum zurückhaltend sind.

Die Fragen der Studierenden können verschiedene Aspekte betreffen, und manchmal kommen Unklarheiten des Kriterienrasters zum Vorschein. Diese Verständigung stellt eine wertvolle Lerngelegenheit für beide Seiten dar:

  • Studierende können dadurch Lücken oder Missverständnisse bezüglich der zu lernenden fachlichen Begriffe, Konzepte und Verfahrensweisen aufarbeiten. Dozierende können Lücken im Vorwissen der Studierenden erkennen und sich überlegen, wie sie darauf reagieren möchten.
  • Dozierende lernen besser zu verstehen, wo für die Studierenden entscheidende Hürden liegen. Dadurch können sie diese in ihrem künftigen Lehrhandeln lernwirksamer adressieren, etwa indem besonders schwierige Begriffe oder Konzepte vertiefter behandelt werden. Unter Umständen können auch Korrekturen in den Formulierungen der Beurteilungskriterien angezeigt sein, damit sich keine Schere zwischen expliziten und impliziten Ansprüchen öffnet.
Studierende besprechen die Beurteilungskriterien.

Option 2: Kriterien anhand von Beispielen anwenden

Als weitere Möglichkeit können wir den Studierenden Beispiele von früheren Bearbeitungen der vorliegenden Aufgabe zur Verfügung stellen und sie auffordern, die Beispiele anhand des Rasters zu beurteilen (Nicol 2010, S. 505f.; Sadler 1989). Diese Option kann gut kombiniert werden mit der oben genannten Diskussion der Beurteilungskriterien in Gruppen – die Gruppen versuchen dann, die Kriterien auf die Beispiele anzuwenden.

Bei den Beispielen früherer Aufgabenbearbeitungen kann es sich um (ggf. anonymisierte) Texte, Programmiercode, Tabellen, künstlerische Artefakte oder auch Aufzeichnungen von Vorträgen oder künstlerischen Aufführungen handeln (zu denen natürlich das Einverständnis der Aufgezeichneten eingeholt werden muss). Durch die Auseinandersetzung mit früheren Leistungen müssen die Studierenden einen Perspektivenwechsel von der Situation der beurteilten zu jener der beurteilenden Person vornehmen. Dies bedingt kognitive Umformungsprozesse, die das Verständnis der Kriterien begünstigen. Es empfiehlt sich für dieses Vorgehen in der Regel, ein gelungenes und ein nicht gelungenes Beispiel zur Verfügung zu stellen. Durch die Kontrastierung der Beispiele können die Studierenden besser herausarbeiten, woran sich das Erreichen von Lernzielen erkennen lässt bzw. welche Merkmale Anzeichen für deren Nichterfüllung sind. Auch bei diesem Vorgehen lohnt es sich, die Erfahrungen der Gruppen beim Anwenden der Kriterien auf die Beispiele sowie ihre offenen Fragen im Plenum zu besprechen.

Eine Alternative besteht darin, dass die Studierenden im Lauf des Semesters zu einer Aufgabe oder zu einem im Entstehen befindlichen Produkt ein Peer-Feedback geben. Im obigen Beispiel könnten sich z.B. Frau Felders Studierende basierend auf dem Beurteilungsraster gegenseitig Feedback zu ihren Postern geben.

Fazit: Lernwirksamkeit von Beurteilungskriterien nutzen, indem sie gemeinsam besprochen und angewendet werden

Indem wir Studierende direkter in den Prozess des Verstehens (Option 1) und Anwendens (Option 2) von Beurteilungskriterien einbeziehen, erhöhen wir ihre wahrgenommene Selbstbestimmung. Sie erleben sich dadurch sozial stärker in das Lehr- und Lernhandeln eingebunden, nehmen ihr Handeln als wirksamer wahr und erfahren mehr Autonomie in ihrem Lernprozess. Dies erhöht gemäss der Selbstbestimmungstheorie die intrinsische Motivation der Studierenden. Dadurch lernen sie stärker tiefenorientiert und somit nachhaltiger. Dieser Effekt kann noch erhöht werden, in dem die Studierenden nicht nur von den Dozierenden bereits festgelegte Kriterien interpretieren und anwenden, sondern die Kriterien ganz oder teilweise selbst entwickeln. Mögliche Vorgehensweisen dazu werden im hilfreichen Buch von Stevens und Levi (2013, S. 87-102) erläutert sowie im bald erscheinenden Buch (siehe Infobox).

INFOBOX

Der Umgang mit Beurteilungskriterien wird näher erläutert in:

Zimmermann, Tobias: Leistungsbeurteilungen an Hochschulen lernförderlich gestalten. Prüfen, Beurteilen und Rückmelden von Lernleistungen. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich. ISBN 978-3-8474-3045-2. (vorgesehenes Erscheinungsdatum: April 2024, Open Access online)

Das Buch gibt anwendungsorientierte Hinweise zur Gestaltung, Beurteilung und Rückmeldung von Prüfungen und vielen weiteren Formaten von Leistungsnachweisen. Zudem thematisiert es lernpsychologische Grundlagen für eine wirkungsvolle und valide Beurteilungspraxis.

Aktuelle Veranstaltungen zum Thema Beurteilung an Hochschulen:

Assessment und Evaluation
13.–14. Juni 2024, PH Zürich

Beyond Exams: Designing Authentic Assessment and Feedback Practices
6.2.–16.5.2024, online/PH Zürich/Pristina

Zum Autor

Tobias Zimmermann ist Leiter des Zentrums für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich und leitet einen CAS-Studiengang in Hochschuldidaktik. Seine Spezialisierungen liegen im Beurteilen und Rückmelden von Lernleistungen, der Weiterbildungsdidaktik sowie der Mediendidaktik.

Ein Hochschulschock? Einblicke in das Erleben des ersten Semesters

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Text: Albiona Hajdari

«Versuchen Sie nun bitte, Ihre eigene Metapher für Ihr erstes Semester zu finden!» Dies war die Aufforderung an Studierende, welche ihr Studium im Herbstsemester 2022 aufgenommen haben. Die Befragung erfolgte im Rahmen des Forschungsprojekts «Diversity im Engagement» der PH Zürich unter der Leitung von Franziska Zellweger. Das Projekt untersucht mittels Fokusgruppen und einer Befragung das Erleben des ersten Semesters und der dazugehörigen Anforderungen in professionsorientierten Studiengängen. Die Frage nach den Metaphern im Rahmen der Befragung erwies sich in den Ergebnissen als umfangreicher, spannender und dramatischer als angenommen. In Analogie zum Praxisschock beim Berufseinstieg könnte man fragen: Erleiden Studierende einen Hochschulschock?
Bildliche Beschreibungen des ersten Semesters als bedeutungsvolle und zugleich kritische Phase machen es möglich, dem subjektiven Erleben von Studierenden näher zu kommen. Im Folgenden werden erste Eindrücke aus dem Projekt berichtet sowie Ansätze geschildert, wie Studierende während dieses kritischen Übergangs unterstützt werden könnten.

Neue Studierende sind mit vielfältigen Anforderungen konfrontiert.

Das erste Semester als kritischer Übergang

Für den weiteren Studienverlauf und einen erfolgreichen Abschluss nimmt die Studieneingangsphase eine zentrale Bedeutung ein (Bosse & Barnat 2018). Die Forschung zum Übergang in die Hochschule unterteilt diesen Transitionsprozess in vier Phasen, in denen sich die Studierenden (1) auf ihr kommendes Studium vorbereiten, (2) einstellen, zurechtfinden, (3) anpassen versuchen sowie (4) sich im Verlauf des ersten Semesters und darüber hinaus stabilisieren (Coertjens et al. 2017).

Abbildung 1: Der «Transition Cycle» in Anlehnung an Nicholson (1990)

In diesem Prozess bewältigen Studierende vielfältige Anforderungen in unterschiedlichen Dimensionen. Dies geschieht in Abhängigkeit davon, inwiefern der Kern der von Studierenden genannten Herausforderung der eigenen Person, der Studienorganisation, den Rahmenbedingungen, den Studieninhalten oder dem sozialen Umfeld zugeschrieben wird (Trautwein & Bosse 2017; Wallis & Bosse 2020) (vgl. Abb. 1). Der Umgang mit solch kritischen Studienanforderungen sorgt bei den Studierenden häufig für Belastung oder bei erfolgreicher Bewältigung für Optimismus. Es können vier Dimensionen kritischer Studienanforderungen unterschieden werden, deren Zusammenspiel in der Realität zu sehr unterschiedlichem Erleben führt:

InhaltlichPersonalSozialOrganisatorisch
Bewältigung von fachlichen Anforderungen im Studium. Dazu gehört, die eigene Studienwahl und die dazugehörigen Erwartungen zu klären.Lernaktivitäten und -strategien entwickeln, organisieren und anwenden.Aufbau von sozialen Beziehungen im Studium mit Mitstudierenden sowie Dozierenden. Dies betreffen etwa die Kommunikation und Kooperation.Orientierung im Hochschulsystem sowie in der Organisation des jeweiligen Studienprogramms.
Beispiele:
– Bezüge zwischen Theorie und Praxis herstellen
– Wissenschaftliche Arbeitsweisen erlernen
Beispiele:
– Lernaktivitäten zeitlich sinnvoll strukturieren
– mit Leistungsdruck umgehen
Beispiele:
– im Team zusammenarbeiten
– mit dem sozialen Klima im Studiengang zurechtkommen
Beispiele:
– mit dem vorhandenen Lehrangebot zurechtkommen
– mit ungünstigen Rahmenbedingungen umgehen
Tabelle 1: Dimensionen kritischer Studienanforderungen nach Trautwein & Bosse (2017) und Jänsch & Bosse (2018)  (eigene Darstellung)

Anhand der vier Dimensionen kritischer Studienanforderungen wird deutlich, wie anstrengend und herausfordernd der Studienstart sein kann, und welche Konsequenzen dies für den weiteren Studienverlauf hat, wenn die Bewältigung dieser Anforderungen misslingt.

Metaphorische Einblicke ins erste Semester

Metaphern können helfen, komplexe Themen und Phänomene zu fassen. Es sind Bilder, mit denen wir subjektive Deutungen vornehmen, die wiederum auf unseren persönlichen Wahrnehmungen und Erlebnissen beruhen. Metaphern können schwierige Themen und Probleme beschreibbar machen. Sie schärfen die Aufmerksamkeit und ermöglichen es, die Komplexität zu bearbeiten (Thomann 2023). Ein Auszug einiger Metaphern:

Das erste Semester war…

  • …wie ein Teil eines Aufstiegs auf einen Berg, manchmal steiler und manchmal etwas mehr gerade aus, mit guten und schlechten Wetterbedingungen.
  • …wie eine Achterbahn für mich, denn die Gefühle und der Leistungsdruck gingen stetig hoch und runter.
  • …wie ein Schneesturm, denn es wimmelte nur so von Informationen, die an verschiedenen Stellen zu finden sind, aber einen Weg konnte ich immer finden.
  • …wie ein Sprung ins tiefe Wasser, denn ich musste mich von Anfang an schnell anpassen und Strategien finden, um mit allem mitzukommen.

Anhand dieser Metaphern wird deutlich, dass der Einstieg nicht als einmaliger Akt oder linearer Prozess empfunden wird, sondern über längere Zeit andauert und von einem emotionalen Auf und Ab geprägt ist. Studierende sind gefordert, die gegebenen Rahmenbedingungen der Hochschule rasch zu verstehen und sich stetig anzupassen sowie kreative Lösungen im Umgang mit Herausforderungen zu entwickeln.

Emojis sprechen lauter als Worte

Auch mithilfe von Emojis kann das Erleben, das sich nicht versprachlichen lässt, bildlich ausgedrückt werden. Insbesondere durch die alltägliche Verwendung eignen sich diese «Gesichter» für den Ausdruck des Erlebens. Im Dezember 2022 wurden fünf Fokusgruppengespräche geführt, eröffnet mit der Frage: «Wenn ihr das bisherige Studium in Emojis beschreiben müsstet, welche Emojis würdet ihr auswählen?» Die in Abbildung 3 dargestellten Emojis wurden häufig gewählt:

In der Beschreibung des ersten Semesters ist die anfängliche Informationsflut ein grosses Thema, die bei den Studierenden zu einem Augenverdrehen und Hinterfragen führt.

Der Studienstart wird auch als anstrengend empfunden und mit «Schweiss» und Müdigkeit verbunden.

Vor allem organisatorische Anforderungen sind für die Studierenden zu Beginn herausfordernd. Sie müssen zuerst lernen, sich mit ihnen besser an der Hochschule zurechtzufinden.

Aber auch die positiven Emotionen im Studium werden betont: Freude und Begeisterung für den zukünftigen Beruf werden durch ein lachendes Emoji oder mit Herzen ausgedrückt.

Abbildung 2: Häufig gewählte Emojis in den Fokusgruppen

Die Empfindungen – ausgedrückt in Emojis – variierten von Phase zu Phase im Verlauf des ganzen ersten Semesters und darüber hinaus. Die Studierenden beschreiben es als ein Auf und Ab zwischen Über- und Unterforderung. Anhand der Emojis werden die Anpassungsprozesse sowie Studienanforderungen, die in der Studieneingangsphase typisch sind, sehr deutlich. Sie ermöglichen damit einen näheren Blick in das emotional-subjektive Erleben der Studierenden.

Warum die Frage nach dem Erleben des Studienstarts wichtig ist

Die Studierenden an Hochschulen sind in den letzten Jahrzehnten diverser geworden. Dadurch gibt es auch grosse Unterschiede im Erleben des Studienstarts, denn die Wege dorthin unterscheiden sich wie auch die Hintergründe sowie Motivation der Studierenden. An den Hochschulen haben sich verschiedene Ansätze, Initiativen, Programme und Projekte etabliert, die sich etwa in der curricularen Verankerung, Dauer oder im Modus unterscheiden (siehe hierzu einen Merkmalskatalog von Angeboten der Studieneingangsphase).

Ein Blick auf die Metaphern zeigt, dass die Studierenden in der Regel keinen Hochschulschock erleiden, sie es aber mit herausfordernden Situationen organisatorischer, inhaltlicher, sozialer oder personaler Art zu tun haben. Gerade vor wenigen Wochen hat das neue Semester an den Hochschulen begonnen. Die Erstsemesterstudierenden befinden sich mittendrin und konnten bereits Eindrücke ihrer Lernumwelt sammeln. Dozierende können Studierende gezielter unterstützen, wenn sie sich mit ihrem Erleben und ihren Eindrücken auseinandersetzen. Als Anregung, wie Studierende verstärkt in der Studieneingangsphase unterstützt werden können, mögen folgende Fragen dienen:

  • Wie finde ich heraus, mit welchen Anforderungen meine Studierenden zu kämpfen haben?
  • Wie, wann und wo kann ich in der anfänglichen Informationsflut Orientierung bieten und als mögliche Ansprechperson bei Fragen sowie Unsicherheiten agieren?
  • Wie kann ich die Hochschule als neue Lernumgebung zugänglicher machen? Auf welche unterstützenden Angebote kann ich meine Studierenden aufmerksam machen?
  • Wie kann ich soziale Interaktionen zwischen meinen Studierenden inner- und ausserhalb der Veranstaltungen unterstützen?

Auch die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen im ersten Semester in metaphorischer Form könnte für den Zugang zu den Studierenden und ihrem Erleben gewinnbringend sein. Liebe Lesende, wie würden Sie sich wünschen, dass Ihre Studierenden ihr erstes Semester beschreiben – mit welcher Metapher? Ich freue mich, wenn Sie Ihren Vorschlag in den Kommentaren in Form eines Emojis oder einer Metapher mit mir teilen!

Zur Autorin

Albiona Hajdari ist studentische Mitarbeiterin am Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung (ZHE) an der PH Zürich und Masterstudentin für Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich.

Führung zwischen Generationen

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Text: Kathrin Rutz und Amanda Van Vegten

Dieser Beitrag erscheint im Lifelong Learning Blog sowie im Blog Schulführung.

Stellen Sie sich vor, Sie haben die Chance, ein Team zu führen, das sich aus mehreren Generationen zusammensetzt. Was prägt die jeweilige Generation, was bedeutet dies für die Führung? Und wie gelingt eine fruchtbare Zusammenarbeit?

Teamarbeit im Mehrgenerationenteam (Quelle: Adobe Stock)

Sie begegnen uns allgegenwärtig: Die Forderungen nach flexiblen und einsatzfreudigen Fachkräften, die Herausforderungen in der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Arbeitnehmer:innen der Generationen Y und Z, die in den letzten Berufsjahren stehenden Babyboomer und dazwischen die Generation X – mitten in der Familienphase. Da stellt sich die Frage: «Wie tickst du? Wie ticke ich?» (Engelhardt & Engelhardt 2019).

Wie Führung und Kollaboration in diversen und Mehrgenerationenteams gelingen kann, dem wenden wir uns in diesem Beitrag zu.
Wir können uns bei den Unterschiedlichkeiten aufhalten, das Gegensätzliche und Unüberwindbare zwischen den Beteiligten in den Blick nehmen und das Unüberbrückbare verstehen wollen. Wir können uns – und dazu laden wir Sie hier ein – jedoch auch dem Verbindenden und Ermöglichenden zuwenden. Also eher die Chancen eines Mehrgenerationenteams aufzeigen. Dazu folgen wir einigen Annahmen:

Einander zuhören

«The biggest communication problem is we do not listen to understand. We listen to reply.»

Stephen R. Covey

Führung und Kollaboration verstehen wir als dialogisches Geschehen. Doch wie führen wir diesen Dialog? In Dialog treten heisst primär zuhören und hinhören: Was genau erzählt mir mein Gegenüber über sich, über unser gemeinsames Projekt, die Art und Weise, wie sie/er ihren/seinen Beitrag zur Zielerreichung versteht. Es bedeutet jedoch auch, dass ich Position beziehe, deutlich mache, was mir wichtig ist. «Dialog ist die Kunst gemeinsam zu denken» (Isaacs 2011) und ermöglicht sowie fordert uns zu Perspektivenwechseln auf. Indem ich meinem Gegenüber mit Interesse für seine Motive und Beweggründe begegne und bereit bin, meine zu teilen, können wir das entdecken und entwickeln, was uns gemeinsam wichtig ist und im besten Fall so auch unsere Organisationen mutig voranbringen.

In Beziehung sein

Führung, ebenso wie Zusammenarbeit, findet in Beziehung statt und gestaltet sich also aus dem ICH + DU oder auch aus dem WIR + SIE. Wir begegnen einander je aus der eigenen Wertigkeit und den eigenen Überzeugungen. Während die Babyboomer-Generation Arbeit als Leistungserbringung versteht und eigene Bedürfnisse diesem Primat unterordnet, gewichten die Generationen Y und Z die Lebensbalancen hoch. Eine Führungsfunktion kann interessant sein, muss sich jedoch mit den Lebensbereichen neben der Arbeit vereinbaren lassen.

Das Verbindende in Bezug auf den gemeinsamen Auftrag – und dieser steht im Fokus von Arbeitsbeziehungen – zu finden erfordert Offenheit und Interesse, dem Gegenüber tatsächlich zu begegnen.  Die Fragen ‹Wie siehst du das?› und ‹Was ist dir dabei wichtig?› oder auch ‹Wie erklärst du dir das?› fordert das Gegenüber auf, eigene Werte, Erwartungen und mentale Modelle zu benennen. Gleichzeitig bin ich aufgefordert, meine Ambitionen und meine Position anzubieten, um das gegenseitige Verständnis für die jeweilig andere Sichtweise zu ermöglichen und damit eine Grundlage für das kooperative Handeln auf ein Ziel hin zu schaffen. Menschen treten in eine Organisation ein, weil sie die Dienstleistung, das Produkt oder das Unternehmen selbst interessiert. Das In-Beziehung-Sein schafft Commitment und Loyalität, was zentral ist, um Mitarbeitende im Unternehmen zu halten. Wenn Menschen die Organisation verlassen, verabschieden sie sich von Kolleg:innen und Vorgesetzten, von Projekten und Aufgaben – auch dies gilt es sorgfältig zu gestalten.

Verantwortung gemeinsam tragen

Während die Babyboomer-Generation mit der Hierarchie im Unternehmen vertraut ist und diese weitgehend akzeptiert, wünschen sich die jüngeren Generationen Mitsprache und Beteiligung. Für die Führung und Zusammenarbeit sind deshalb folgende Fragen wichtig:

  • Wie schaffen wir gestalterische Freiräume für eine stimmige und sinnvolle Zusammenarbeit für die Sache und im Sinne der Unternehmung?
  • Wie gelingt ein ‹kollegiales› Miteinander selbst dann, wenn hierarchische Strukturen vorgegeben sind?
  • Wie gelingt es Teams in Richtung geteilter Führung und Verantwortung weiterzuentwickeln?
  • Wie wäre es mit genug «Zeit» und Ergebnisoffenheit sowie aufrichtigem Interesse beziehungs- und personenorientierter zusammenzuarbeiten, ohne den Unternehmenszweck, die Aufgaben und Ziele aus den Augen zu verlieren?
  • Was verändert sich, wenn unsere Kennzahlen statt nur der schwarzen (ökonomischen) Zahlen auch die Zeit, in der sich ein:e Kolleg:in durch uns gesehen und unterstützt gefühlt hat, berücksichtigen?
  • Wie nutze ich meinen Handlungsspielraum und teile Entscheidungsbefugnisse und Verantwortung sinnvoll und personenbezogen? Wann ist dies nicht zielführend?

Was von all dem ist für Sie das Wichtigste?
Lassen Sie uns das gemeinsam am Kaminfeuergespräch (siehe Infobox unten) explorieren.

INFOBOX

Kaminfeuergespräch 2023
Führen im demografischen Wandel – Führung und Kollaboration zwischen Generationen

Am 31. Oktober 2023 findet auf Schloss Au von 15.15–20.30 (inkl. Abendessen) die Kurztagung «Kaminfeuergespräch» zum Thema Führen in Mehrgenerationenteams statt. Gäste aus Bildung und Gesundheit werden, unter Einbezug des Publikums, ins Gespräch kommen.

Zu den Autorinnen

Kathrin Rutz ist Supervisorin, Coach und Organisationsberaterin bso, lehrende Transaktionsanalytikerin TSTA-O sowie Verantwortliche Beratung und Dozentin am Zentrum Management und Leadership der PH Zürich. Zudem ist sie Co-Leiterin des Lehrgangs CAS Führen in Projekten und Studiengängen an Hochschulen.

Amanda Van Vegten ist Leiterin der Fachstelle Qualitätsmanagement & Patientensicherheit in Co-Leitung am USZ, Dozentin an der UZH und ETHZ sowie zertifizierte Focusing-Begleiterin und engagiert in verschiedenen Expertengremien zu Themen der Kultur, Human Factors, Resilienz und Safety Management.

Promoting Authentic Assessment in the Age of Artificial Intelligence

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Text: Mònica Feixas

In the actual context of higher education, the emergence of artificial intelligence (AI) tools introduces a multitude of challenges to conventional assessment practices. While we are witnessing that certain teaching and learning activities may eventually be performed by AI to a relatively good standard, we cannot fully rely on the generated content because it can exhibit deficiencies in accuracy, comprehending context, coping with intricate analysis or being ethical. For rigorous scholarly pursuits, it is necessary to empower students to critically discern and interpret data, to identify bias and ensure fairness, and to make choices aligned with human values, that is: to form evaluative judgements (EJ). This blog is about practices that foster EJ within the context of authentic assessment tasks, answering questions such as: What precisely constitutes an authentic assessment task? What practices promote EJ in the context of authentic assessment tasks? How can we effectively leverage tools like ChatGPT to facilitate the development of evaluative judgement?

Can artificial intelligence give you a realistic assessment of your work? (Image source: Adobe Stock)

Authentic Assessment Tasks in Higher Education: a Response to traditional Assessments

Authentic assessment tasks have emerged as a meaningful response to address the limitations of conventional assessment methods in higher education (Clegg & Bryan 2006). They require students to perform as professionals within the actual social and physical contexts of a specific field, demanding the demonstration of skills and knowledge reflective of real-world scenarios.  

Authentic assessment aims to replicate the tasks and performance standards typically found in the world of work and has been found to have a positive impact on student learning, autonomy, motivation, self-regulation and metacognition; abilities highly related to employability.

(Villarroel et al. 2018)

Different displays of knowledge and performance can be encouraged based on the selected assessment formats employed to assess students’ learning:

Figure 1: Continuum from traditional to authentic assessment approaches (own elaboration)

While traditional assessment formats focus on the demonstration of Knowing (e.g. through factual tests or MCQs) or Knowing How (context-based tests, MCQs, problem solving), authentic assessment also emphasize Showing How (performance based, objective school observations, problem-based learning, scenarios, portfolios) and Showing Doing (performance based tasks, work/professional experience, patient care, pupils’ teaching) (Sambell & McDowell 1998)

Designing authentic tasks can be done by following the five-dimensional framework from Gulikers, Bastiaens and Kirschner (2004) (reproduced in Figure 2) with pertinent questions in relation to each dimension. Another alternativ is Sambell’s guide. In both cases, effective assessments work in tandem with teaching and learning activities to help students develop long-term approaches to learning.

Figure 2: Framework for designing authentic assessment (adapted from Gulikers, Bastiaens and Kirschner 2004

Examples of authentic assessment tasks can be found in Jon Mueller’s Authentic Assessment Toolbox, or Kay Sambell and Sally Brown.

Evaluative Judgement: a crucial Skill in the Age of AI 

Following Villarroel et al. (2018), authentic assessments should include at least three components: 

  • Realism, to engage students with problems or important questions relevant to everyday life; 
  • Cognitively challenging tasks that prompt students to develop and use higher levels of thinking to use knowledge, process information, make connections and rebuild information to complete a task (rather than low-level recall or reproduction of facts); 
  • Opportunities to develop Evaluative Judgement and enhance the self-regulation of their own learning. 

Evaluative judgement is the capability to make decisions about the quality of work of oneself and others.

Tai et al. (2018)

In the age of AI, supporting students navigate the fake news world, veracity of data and reflect the work being presented by ChatGPT or other artificial intelligence tools is crucial. It is only possible if students develop a deep understanding of topics and of quality and help them assess quality of a product or performance. EJ is all about engaging with grading criteria, improving the capacity to appreciate the features of «quality» or excellence in complex outputs and developing the ability to provide, seek and act upon feedback. 

EJ is additionally a skill that interacts with self-regulated learning. When students develop an understanding of quality, they are better able to apply feedback, and become less reliant on external sources of feedback. Students who can self-regulate and judge their own work can be more autonomous in their learning. It is suggested that students with these attributes may make a smoother transition into the workforce (Tai et al. 2018)

EJ is also relevant from a perspective of inclusive education. A Delphi Study with 10 international experts on authentic and inclusive assessment showed that activities which develop EJ include discussions of quality with their students, listen to students’ perspectives and have the potential to be more inclusive by ensuring that all students have a shared understanding of standards and criteria (Feixas & Zimmermann 2023).

Practices supporting the Development of Students’ evaluative Judgement

In order to apply EJ we have to consider its two key components: the contextual understanding of the quality of work, and the judgement (and articulation thereof) of specific instances of work. This can be applied to the work or performance of both self and others.   

Research suggest the following practices to developing the EJ components (Bouwer et al. 2018; Tai et al. 2018; Sridharan & Boud 2019):

  1. Exemplars:  
  • Students receive various examples of expected standards for evaluating their own and others’ performance, including progress notes, reports, learning goals, reflection sheets, and intervention strategies. They are provided alongside grading criteria, and can be used for  review, or students can discuss exemplar assignments in groups. 
  • Video-feedback, like «live marking» screencasts, can also be utilized to demonstrate different levels of work quality. See the three examples by Dr. Nigel Frances (University of Swansea):  
  1. Assessment criteria and rubrics: 
  • Checklists, templates, or rubrics are provided to help students reflect on their achievement of competencies. 
  • Students engage with criteria by discussing the meaning and distinguishing features of work at each level of the rubric. 
  • Involving students in translating generic grade descriptors into assignment-specific grading criteria, and involving students in designing own rubrics with ChatGPT enhances their understanding. 
  1. Peer-review and feedback: 
  • Students engage in providing feedback on their peers’ work-in-progress based on the grading criteria, focusing on elements where they can offer valuable insights, such as i.e. argument strength in the case of a ChatGPT-text. 
  1. Self-appraisal or self-assessment:  
  • Students appraise their own work against grading criteria to show their development of EJ.  
  • They submit cover sheets where they self-assess their work before assessment and receive feedback about it. Such feedforward supports improvement from one task to another (Sadler, Reimann & Sambell 2022).   
  • This higher-level thinking process involves reflection, identifying potential improvements, and working towards integration in an ongoing manner. 

A fictitious Example of an Authentic Assessment Task in an Educational Psychology Course and the Use of ChatGPT to enhance Evaluative Judgement Practices

Task-Title: Inclusive Education Initiatives – An Educational Psychology Project for Social Impact 

In this group task, students design an inclusive education initiative that not only addresses educational psychology principles but also seeks to foster diversity, equity, and inclusion in educational settings. The goal is to create a project that promotes an inclusive learning environment, where every pupil thrives academically and socially. Rubrics, self-and peer-assessment options, exemplars, and feedback are practices deployed to strengthen their evaluative judgement skills.  

Part 1: Identifying the Need

Students conduct research on challenges in marginalized communities‘ access to quality education. They are allowed to use AI-tools after their initial research to broaden their understanding of the educational psychology concepts related to the identified communities. AI can assist, for example, in providing new data, visualisations, translating information from other languages, condensing content summaries or responding questions. Students’ critical analysis and ethical review of the generated content is crucial in interpreting results and making summaries or recommendations. The teacher afterwards provides feedback to the groups to improve the needs assessment. 

Part 2: Project Design

Based on their research, students develop evidence-based inclusive education initiatives. ChatGPT can be utilized to help students with intervention strategies, best practices, and approaches used in similar contexts. A possible prompt is: «Identify evidence-based interventions that have demonstrated success in narrowing the education gap among underserved populations.» Peer-assessment is encouraged to critically evaluate their different project designs and identify differences between versions of ChatGPT. Groups include improvements done after peer-feedback. 

Part 3: Social Impact Assessment

Students describe the potential social impact of their initiatives and self-evaluate it with a rubric containing criteria about how the project can contribute to breaking down barriers, promoting social cohesion, and enhancing educational opportunities for the targeted group. 

Part 4: Stakeholder Engagement

Students present their projects to stakeholders and utilize feedback to enhance their engagement strategies, ensuring buy-in and long-term sustainability. After the presentation and before the final submission, teacher offers exemplars based on successful projects in similar contexts. 

Final Reflection:

Students utilize a rubric to self-assess their projects, reflecting on strengths, limitations, and ethical considerations. The final project is submitted alongside an individual reflection highlighting aspects of the use of EJ. Final feedback is provided by the teacher to foster growth and improvement.

INFOBOX

Empowering academics to promote Evaluative Judgement – three training opportunities:

We want to empower teachers to design authentic assessment practices to better create work-ready graduates, who are able to operate independently in rapidly evolving, technologically-enabled environments and to promote EJ as means to judge the quality of work through standards.
At ZHE, we offer a half-day course online on Authentic Assessment and Evaluative Judgement: «How to judge the quality of my own work and that of others, including ChatGPT? Evaluative Judgement in the context of authentic assessment tasks». 27th September 2023, 13–17h, online.

From February to May 2024, the PH Zürich offers a one-time course: «Beyond Exams: Designing Authentic Assessment and Feedback Practices». The 1.5 ECTS module takes place in the context of the international project «PEER-Net» of the Department Projects in Education (PH Zürich). The course is taught in a team-teaching format by experts in assessment and feedback of the Faculty of Education of the University of Pristina in Kosovo and the ZHE. The participation in this module includes a reciprocal visit (Swiss scholars to Kosovo and the colleagues of Kosovo to Zurich), classroom visits and discussion with students.

In the context of our CAS Hochschuldidaktik, the module «Assessment und Evaluation» offers a comprehensive exploration of these subjects. 26th October to 7th December, PH Zürich. Enrol now!

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ChatGPT und KI im Bildungswesen – Disruption, Revolution oder hatten wir alles schon?

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Text: Barbara Getto und Selina Valdivia Rojas

Mischt KI (Künstliche Intelligenz) jetzt das Bildungswesen auf? Zumindest hat es zurzeit den Anschein, als ob sich mit der neuen Technologie ChatGPT eine erdbebengleiche Erschütterung durch die Bildungslandschaft zieht. Zu Recht? (Zu) oft schon hatten wir die Hoffnung – oder Befürchtung –, das Aufkommen einer neuen Technologie würde die Bildung grundsätzlich verändern. Zeit für eine Einordnung. Gerade weil es sich um ein teilweise so schwer greifbares Thema handelt und die Implikationen so tiefgreifend scheinen, ist der Diskurs darüber so wichtig. Uns interessiert hier insbesondere die Frage, was die neue Technologie für die Hochschulbildung bedeutet.

Beginnen wir mit einer begrifflichen Einordnung.

«Schreibt wie ein Mensch»

Was ist denn eigentlich eine «Künstliche Intelligenz» (KI)? Eine KI ist nichts anderes als ein menschgemachtes statistisches Modell. Jeder KI liegt eine Auswahl von Daten sogenannten Trainingsdaten zu Grunde. Anhand dieser Trainingsdaten und einem Input berechnet der Sprachgenerator das statistisch wahrscheinlichste nächste Wort, damit den statistisch wahrscheinlichsten nächsten Satz und somit einen statistisch wahrscheinlichen Text. Eine KI ist höchstens so gut wie ihre Trainingsdaten. Ein Beispiel: Wenn eine KI mit Daten bzw. Texten trainiert wird, in denen auf das Wort «ich» oft das Wort «bin» folgt, wird diese KI Texte produzieren, in denen «bin» oft auf «ich» folgt. Dieses Konzept ist nicht neu; Autokorrektur, die mehr oder weniger sinnvoll korrigiert, findet sich seit einigen Jahren auf jedem Smartphone.

Ein Student spricht mit einer KI. (Quelle: Adobe Stock)

Was ist denn so neu an ChatGPT? GPT steht für «Generative Pre-trained Transformer», also generativ vortrainierter Transformator. Diese Sprach-KI wurde mit Textdaten aus dem Internet mit insgesamt etwa 500 Milliarden Wörtern (das wäre fast 20’000 Mal die gesamte Brockhaus Ausgabe)  darauf trainiert, selbst Texte zu generieren – und zwar möglichst menschenähnliche. ChatGPT nutzt einen sogenannten Transformer, ein neuronales Netzwerk, das 2017 von KI-Spezialistinnen und -Spezialisten sowie Programmierer:innen bei Google entwickelt wurde. Bisher gelang es keinem Chatbot, derart menschenähnliche Texte zu produzieren. Wörter werden in Tokens zerlegt. Die Zerlegung in Tokens basiert auch auf der Semantik eines Wortes und nicht nur vor allem auf der Syntax wie bei bisherigen «autocomplete» Systemen. Die Texte sind auf einem sprachlich sehr hohen Niveau und beeindrucken mit perfekter Grammatik. ChatGPT kann darüber hinaus sein Register anpassen und wie bestimmte Personen schreiben. Das lädt zu interessanten Spielereien ein, so kann man zum Beispiel ChatGPT Gedichte über die Digitalisierung im Stil von Goethe verfassen lassen (Stichworte: Shakespeare, 1. Jahr Bachelorstudentin, Kind).

Goethe hat keine Gedichte über die Digitalisierung geschrieben; ist das also neu, was ChatGPT produziert?  Es sind keine genuin neuen Texte, die hier entstehen. Ein Text von ChatGPT ist eher vergleichbar mit einem Mosaik aus 1’000’000 Teilen, die immer wieder neu zusammengesetzt werden. Allein die Menge der Trainingsdaten erweckt den Anschein, dass ChatGPT neue Sachen produziert. Die Konversation mit dem Chat-Roboter beeindruckt.

Ist die aktuelle Aufregung angebracht?

Das Aufkommen neuer digitaler Technologien ist nichts Neues und das Potenzial von KI-basierten Tools und Diensten für die Bildung ist (eigentlich) bekannt. Warum also die Vielzahl an Beiträgen, Diskussionsrunden, verunsicherte Lehrpersonen, Hochschulen, die mit Verboten reagieren, etc.?

Hier zeichnet sich ein bekanntes Reaktionsmuster im Kontext der Digitalisierung ab, das auch im Bildungsbereich sichtbar wird: Neuen Technologien wird (positiv oder negativ) eine enorme Wirkung zugeschrieben. Diese emotionalen Reaktionen variieren naturgemäss zwischen Euphorie und Angst. So wird ChatGPT eine enorme Zerstörungskraft vorhergesagt und mit starken Bildern untermalt: «ChatGPT kommt wie ein Erdbeben über uns», oder: «Die zermalmende Macht des KI-Konformismus – ChatGPT ist eine trojanische Bombe». Auf der anderen Seite wird Fortschritt und Verbesserung prophezeit: «ChatGPT und Schule: Hausaufgaben werden sich grundlegend ändern» oder gar «ChatGPT kann zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen».

Ob sich diese Hoffnungen und Befürchtungen bewahrheiten, werden wir sehen. «Abwarten» möchten wir hier sehr bewusst nicht empfehlen. Ein massentaugliches dialogbasiertes KI-System wie ChatGPT demonstriert einer breiten Öffentlichkeit, was KI alles kann. Damit eröffnet sich auch die Chance (und die Notwendigkeit!) über die Implikationen, Risiken und Potenziale zu sprechen.

Was bedeutet ChatGPT für die Hochschulbildung?

Die Stimmung an den Hochschulen schwankt entsprechend zwischen Begeisterung über die Leistungsfähigkeit der KI-Bots, der Verwunderung über die neuen Möglichkeiten bis zur Sorge um eine Plagiatsmaschine. Innerhalb von weniger als einem Jahr seit der Veröffentlichung hat der mit künstlicher Intelligenz gesteuerte KI-Bot die Wissenschaft aufgeschreckt. Wie also damit umgehen? Was heisst das für die Wissenschaft? Was heisst das für die Lehre? Wie sollen wir mit Prüfungen umgehen?

Dozent:innen sowie Lehrer:innen sind besorgt. Mit ChatGPT verfasste Texte lassen sich nicht mehr als Plagiate erkennen. Wie soll zukünftig Eigen- von Fremdleistung unterschieden werden?  Einige Hochschulen haben bereits mit Verboten reagiert. Aber ist das wirklich die Lösung?

Schliesslich sollen die Hochschulen die Absolventen ja auf die Digitalisierung verschiedenster Bereiche der Gesellschaft vorbereiten und sie nicht künstlich behindern. Die KI-Textgenerierung aber hat ein Schlaglicht auf die mangelnde Digitalisierung der Hochschulbildung geworfen. KI zwingt Hochschulen zu Veränderungen: Schriftliche Arbeiten werden anders aussehen, als wir sie jetzt kennen.

In vielen Studiengängen ist das Schreiben-Können ein basales Bildungsziel – wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung und Ausprägung je nach Fachdisziplin.

ChatGPT trifft damit in zumindest eines der Herzen der akademischen Welt. Die Fähigkeit, gut zu schreiben, die eigenen Ideen klar und prägnant zu formulieren, ist bislang ein zentrales Ziel vieler Studiengänge. Schreiben dient, so die bisher verbreitete Auffassung, nicht nur dazu, die eigenen Gedanken anderen gegenüber schriftlich auszudrücken, sondern auch das eigene Denken zu schärfen und Verständnis für komplexe Sachverhalte zu entwickeln. Schreibend eignen wir uns Themen auf eine ganz andere Art und Weise an, als wir das lesend tun (Gabi Reinmann 2023). Werden Schreibaufträge an ChatGPT delegiert, besteht die Gefahr, dass die Schreibfähigkeit ganzer Generationen verkümmert oder sich gar nicht erst ausbildet.

Was also tun? Ein Zwischenfazit

Im aktuellen Diskurs über die Implikationen für die Hochschulbildung konzentrierte sich das Gros der Stimmen schnell auf das Thema Prüfungen: Einigermassen vorhersehbar galt die erste Sorge den Täuschungsmöglichkeiten bei schriftlichen Leistungen, die ohne Aufsicht erbracht werden und demnach relativ einfach an ChatGPT delegiert werden könnten. Diese pauschale Befürchtung aber erscheint ebenso unangemessen wie die Hoffnung auf immer bessere werdende KI-gestützte Systeme, mit denen sich nicht-erlaubte KI-Nutzung aufdecken lässt. Gegen Misstrauen, Kontrolle und daraus resultierende Ängste hilft nur der Versuch, die neuen KI-Systeme mit wissenschaftlichem Blick und Verantwortung zu explorieren und offen darüber zu sprechen – gerade in der Lehre.

Statt sich gegenseitig darin zu überbieten, mit dem Einsatz von Chatbots die Gestaltung von Lehre effizienter und/oder origineller zu machen, könnten wir die aktuelle Aufregung über ChatGPT auch als Anlass nehmen, unsere Prüfungskultur und/oder den Sinn von Massenuniversitäten in Frage zu stellen (Gabi Reinmann 2023).

Wer ein selbstbestimmtes Leben führen will, muss ein Verständnis für das Digitale haben. Er oder sie muss verstehen, dass es um Vernetzung und um Software, die Daten verarbeitet, geht. KI verspricht Entlastung von Routine- und Standardaufgaben auch in der Lehre: So können Lehrpersonen ChatGPT nutzen, um wiederkehrende Anfragen von Studierenden zu beantworten und Essays zu bewerten, Anregungen geben lassen für Formulierungen und für Standardtexte sowie Fälle/Fallbeispiele. Zentral ist, mit den Studierenden über die Technologie und ihre Implikationen zu sprechen. Sie zu informieren und vor allem mit ihnen zu diskutieren (z.B. Was ist kritisch, was ist vorteilhaft, was sind ihre Erfahrungen?). Was ist am Text gut gelöst, was nicht, was stimmt nicht? (Z.B.: Wie erkenne ich, dass Quellen nicht stimmen?)

Klar könnten Hochschulen auch versuchen, mit Verboten zu reagieren. Zielführender wäre es unserer Ansicht nach, sich mit dem ChatGPT zu befassen und in den Diskurs mit Lehrenden und Lernenden einzusteigen. Eine Aufgabe von Bildungseinrichtungen ist doch, Studierende zu befähigen, sich mit digitalen Medien auseinanderzusetzen. Akteure und Akteurinnen an Hochschulen sind aufgerufen, die Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Entwicklung von Bildungsorganisationen zu erkennen und sie strategisch weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch, dass sie die Implikationen der Veränderungen verstehen und eine verantwortungsvolle Haltung hinsichtlich kultureller und ethischer Fragen des Digitalen entwickeln.

Die Abschlussworte stammen von ChatGPT. Wir haben sie gebeten, ein Gedicht zur Digitalisierung im Stil von Goethe zu verfassen.

Das Netz, es spinnt sich um die Welt,
Und durch die Schranken dringt es schnell.
Doch was ist mit dem Menschen selbst,
Der immer mehr im Netz verfällt?

ChatGPT (Mai 2023)
INFOBOX

CAS Bildungsmanagement im Digitalen
Im CAS Bildungsmanagement im Digitalen entwickeln und vertiefen Führungskräfte ihre Kompetenzen im Management von Bildungseinrichtungen im Kontext des Digitalen. Dies betrifft die Entwicklung von Strategien für die Digitalisierung, die operative Planung und Umsetzung entsprechender Projekte und Angebote sowie die kulturelle Begleitung des organisationalen Wandels.

Infoveranstaltung
Am Dienstag, 20. Juni 2023 findet von 17 bis 18 Uhr eine Informationsveranstaltung zum CAS Bildungsmanagement im Digitalen statt. Jetzt anmelden

Zu den Autorinnen

Barbara Getto ist Professorin für Medienbildung mit dem Schwerpunkt Hochschul- und Erwachsenenbildung an der PH Zürich. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich Bildung und Digitalisierung. Gemeinsam mit Gabriel Flepp leitet sie den CAS Bildungsmanagement im Digitalen.

Selina Valdivia Rojas ist Studentin im Bachelor-Studiengang Primar an der PH Zürich, wo sie auch als studentische Mitarbeiterin tätig ist. Sie interessiert sich für Wörter, Zahlen und Menschen und ist sehr gespannt darauf, wie wir in zwanzig Jahren schreiben, denken und leben.

Zwischen Technologie und Menschlichkeit

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Text: Dominic Hassler und Monique Honegger

Wenn wir als Bildungsfachleute Curricula und Unterricht im Kontext von KI weiterentwickeln, sollten uns die Stärken und Schwächen von Künstlicher Intelligenz (KI) und von Menschen bewusst sein. Tools wie etwa ChatGPT erzeugen Texte, die solchen von Menschen gleichen. Allerdings produzieren sie Texte auf andere Weise. Vorliegender Beitrag ergründet, u.a. mit Bezug auf Ausführungen von Floridi (2014), worin dieser Unterschied besteht. Abschliessend identifizieren wir Fragen für professionelles Handeln zwischen Technologie und Menschlichkeit.  

Wir bauen keine Roboter, die wie ein Mensch Hemden bügeln und falten. (Quelle: Youtube)
Stattdessen bauen wir eine Kleiderfaltmaschine.
(Quelle: Facebook)

Menschen bauen Maschinen nicht mit dem Ziel, dass die Maschinen Aufgaben auf dieselbe Weise lösen wie Menschen. Andernfalls müsste ein Roboter am Spülbecken stehen und das Geschirr mit Schwamm oder Bürste reinigen. Stattdessen bauen wir einen Geschirrspüler (Luciano Floridi, 2014). Das Ingenieurwesen nennt dies «Enveloping» (dt.: umhüllen). Der Geschirrspüler fungiert als Hülle für die Maschine, die unser Geschirr reinigt. In dieser Hülle erledigt die Maschine ihren Job effizient und effektiv. Entsprechend ist eine Autobaustrasse eine grossformatige Hülle für Maschinen, die Autos zusammenbauen. Solche Umgebungen sind für Maschinen gemacht, nicht für Menschen. 

Diese «Hülle» ist nicht für Menschen gemacht. Rätsel: Wo ist der Mensch?
(Quelle: Adobe Stock)

Ähnlich verhält sich der Transfer von menschlichem Schreiben und einem Tool wie ChatGPT. Wenn ein Mensch einen Text verfasst, erfordert dies Intelligenz sowie für eine angemessene Performance als Erwachsener rund 20’000 Stunden Übung (vgl. Linnemann 2014, S. 27, Kellogg 2008, S. 4). Schreibt hingegen ChatGPT einen Text, braucht es beträchtlich Speicher und Rechenpower.  

Zahlreiche Prozesse unserer Welt sind automatisiert dank Maschinen, also in Envelopes gehüllt. Jeden Tag werden mehr Daten gesammelt, gibt es mehr Geräte, die miteinander kommunizieren, Tools, Satelliten, Dokumente, RFID, IoT – in einem Wort: mehr Enveloping. Darum kann es manchmal so aussehen, als ob Maschinen zunehmend «intelligenter» und Menschen «dümmer» werden. 

Beziehung zwischen Menschen und Technik

Stellen wir uns ein Menschen-Paar mit zwei unterschiedlichen Charakteren vor. Die eine Person ist fleissig, unflexibel und stur. Die andere Person ist faul, anpassungsfähig und nachgiebig. Ihre Beziehung funktioniert, weil sich die faule Person der fleissigen Person anpasst. Derzeit hüllen wir als Teil eines Paars (Mensch-Technik) immer grössere Teile unserer Umgebung in smarte ICTs. Mitunter prägen diese Technologien unsere physische und konzeptionelle Umwelt. Schliesslich ist KI die arbeitssame, aber unflexible Paarhälfte, während Menschen intelligent, aber faul sind. Es passt sich demnach der faule Part an, wenn eine Trennung keine Option ist (vgl. Luciano Floridi 2014, S. 150). Mensch und Maschine als gleichwertiges Paar auf Augenhöhe zu denken, entspricht einer Handlungslogik. Es gibt jedoch auch eine Sehnsuchts- und Angstlogik, respektive eine emotionale Interpretation, die medial weit verbreitet ist: diese geht von einer Dominanz des anderen Paarteils aus.

Mediale Omnipräsenz von «allgemeiner künstlicher Intelligenz»

In Filmen und Literatur und finden sich mächtige «allgemeine künstliche Intelligenz» als fiktionaler Alltag: von Olimpia im Sandmann (ETA Hoffmann) bis zu HAL 9000 in A Space Odyssey oder Skynet in Terminator. Gleichzeitig warnen und warnten Persönlichkeiten wie Stephen Hawking oder Elon Musk davor, dass eine künstliche Intelligenz sich irgendwann über die Menschheit erheben könnte. Ingenieur:innen von Microsoft verkündeten kürzlich, «Experimente mit ChatGPT 4.0 hätten einen Funken von allgemeiner KI gezeigt». Daraus liesse sich folgern, dass die Menschheit auf dem Weg ist, eine mächtige «allgemeine KI» zu entwickeln und aktuelle Schreibroboter wie ChatGPT der nächste Schritt auf diesem Weg sind. Ist diese Folgerung gerechtfertigt? Oder wir können auch anders fragen: Haben KI wie ChatGPT heute oder morgen das Potenzial etwas Bedeutungsvolles zu kreieren? 

Tippende Affen und unendlich viele Daten

Theoretisch kann KI etwas Neues oder Innovatives kreieren, wie das Infinite Monkey Theorem zeigt. Stellen wir uns eine unendliche Anzahl von Affen vor, die auf Schreibmaschinen tippen. Irgendwann verfasst ein Affe per Zufall Goethes Faust. Allerdings versteckt sich der Faust-Text in Galaxien von zusammenhangslosen Zeichen und Texten. Die tippenden Affen realisieren nicht, wenn ein für die menschliche Kultur bedeutsames Werk erschaffen wird. Kurz: Es gibt viel Produziertes, aber den produzierenden Affen entgeht der kulturelle, intellektuelle oder diskursive Wert des jeweiligen Textes. 

Bild einer papierüberquellenden Galaxis (Annäherung).
(Quelle: Adobe Stock)

Die schreibende Affenhorde lässt sich mit ChatGPT vergleichen: ChatGPT beherrscht die Syntax unserer Sprache fast perfekt. Daher entstehen keine Texte mit Schreibfehlern auf der Textoberfläche (Grammatik, Orthografie) und ChatGPT arbeitet etwas weniger zufällig als die unendlich vielen Affen. Gleichwohl müsste ChatGPT unzählige sinnfreie Wortkombinationen verfassen, um zufällig ein Kulturgut wie Faust zu kreieren. Aufgrund des Mooreschen Gesetzes (alle ca. 18 Monate verdoppelt sich die Leistung neuer Computerchips) können KIs bereits heute nahezu unendlich viele Texte kreieren. 

KI versteht jedoch nicht, was sie schreibt. Sie kombiniert aufgrund statistischer Werter, welche Worte zueinanderpassen. Etwas Bedeutungsvolles schafft sie per Zufall, ohne es zu merken. Diese Unbewusstheit der KI schmälert keineswegs ihr enormes Leistungspotenzial. Nützlich ist, dass KI auf Knopfdruck in riesigen Datenmengen weitere Worte und Begriffe findet, die zu einer Suchanfrage passen und daraus Text produziert. Die Resultate erinnern an Texte, welche fleissig sammelnde Lernende für die Schule verfassen. Nebenbei: oftmals ist es unabdingbar, solchen Lernenden zu feedbacken, dass ihr Text einen Fokus, eine diskursive Position sowie eine Verknüpfung der dargestellten Inhalte benötigt. 

Die Existenz solcher KIs wirft Fragen auf für die Bildungswelt, insbesondere für Schreibaktivitäten. Sinkt etwa die Motivation dafür, weil KI schreiben kann (PHSZ)? Oder erhöht sich die Performanz beim Schreiben dank KI-Unterstützung? Dies ist nicht nur eine Frage von Sprachunterricht, bekanntlich findet Lernen nicht ohne Sprache statt. Ebensowenig funktioniert eigenständiges Denken ohne Sprache (Honegger/De Vito/Bach 2020). Umgang mit KI betrifft Denkförderung und Sprachförderung.

Es folgt eine Auswahl von weiterführenden Fragen für den Unterricht und das Lernen in allen Fächern:

A) Lehrende

  1. Wie integriere ich als Lehrende KI-Tools sinnvoll in den Unterricht (→ Beispiel)?  
  1. Wie gestalte ich motivierende Schreibaufgaben und baue die Leistungsfähigkeit von KI in Lernprozesse ein? 
  1. Wie begleite ich einzelne Lernende mit oder dank KI effektiv? 
  1. Was bedeuten Lösungsansätze wie «mehr mündlich» oder «mehr prozessorientierte Lernbegleitung» (siehe bspw. PHSZ) konkret für meinen Unterricht? Gezieltes wirksames Feedback und wirkungsvolle Reflexion. Dies impliziert eine Änderung in methodischen Settings (vgl. Hassler/Honegger 2022

B) Schulleitungen und Schulteams 

  1. Wie nutzen wir KI-Tools im Unterricht als Werkzeug und gewährleisten dabei den Datenschutz? → eine Möglichkeit
  1. Welche Richtlinien und Freiräume brauchen wir für den Einsatz von KI im Unterricht und an Prüfungen (inklusive Projektarbeiten)?

C) Prüfungen

  1. Welche Rahmenbedingungen gelten für Prüfungen und Projektarbeiten?  
  1. Inwiefern sind Inhalte und Kompetenzen anzupassen? (Siehe bspw. Müller/Winkler 2020 für eine Einordnung des Grammatikunterricht)  

D) Weiter- und Ausbildung von Lehrenden 

  1. Inwiefern sind aktuellen Kompetenzbeschreibungen und -modelle anzupassen (Kröger 2021)? 
  1. Welche Kulturkompetenzen (Schreib- oder Lesekompetenzen u.a.) brauchen Menschen in Zukunft?  
  1. Welche Inhalte sollen vermittelt, welche Kompetenzen trainieren werden? 

Lehren und Lernen in einer von digitaler Technik geprägten Welt ist Balancieren zwischen faul und schlau:  Die Beziehung zwischen Mensch und Technik steuern.

INFOBOX

Angebote
Mehr über die Chancen und Herausforderungen von KI und anderen aufkommenden Bildungstechnologien wie VR oder Learning Analytics erfahren Sie im Modul Emerging Learning Technologies am 25.8. und 15.9.2023 am Campus PH Zürich.

Prägnante Aufgabenstellungen für Lernende effizient formulieren
Blitzkurs online, 25.5.2023, 17.30–19 Uhr

Podcast
Hören Sie mehr zum Thema ChatGPT und KI im Gespräch zwischen Rocco Custer (FHNW) und Dominic Hassler (PHZH) im Podcast #12 «Resonanzraum Bildung – ChatGPT, Chancen und Risiken in der Berufs- und Hochschulbildung».

Zu den Autor:innen

Monique Honegger ist Senior Teacher, ZFH-Professorin an der PH Zürich. Beratend, entwickelnd, weiterbildend und bildend. 

Auf dem Rollenkarussell: Bewusst und besonnen Rollen wechseln

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Text: Simone Heller-Andrist

Zum Einstieg in den Tag nehme ich an der Teamsitzung teil. Danach folgt ein Telefonat mit einer Weiterbildungsteilnehmerin: Ich begleite sie in ihrem Praxisprojekt, welches sie gemeinsam mit ihrem Praxispartner durchführt. Nach dem Mittagessen steht eine Fachberatung an, bevor ich eine Informationsveranstaltung zu meinem Studiengang leite, für welche ich eine Informationslandschaft auf dem online-Whiteboard gestaltet habe. Ich agiere im Wechsel zwischen Teamkollegin, Fachexpertin, Beraterin, Leitungsperson – ich beurteile, begleite, unterstütze, vertrete und gestalte.

Die Rolle, so die sozialpsychologische Definition nach Mirjam Kalt, ist ein Bündel von Verhaltensweisen, für die wir uns als Antwort auf Erwartungen in einem bestimmten Kontext entscheiden (2010, S. 239). Unsere Rollengestaltung ist idealerweise das Resultat aus erwarteter Verhaltensweise, dem Role-Giving unseres Gegenübers, und dem, wie wir die Rolle ausfüllen möchten, dem Role-Taking (vgl. dazu Weil 2020). Unablässig, jeden Tag von morgens bis abends, werden mir also Rollen gegeben, die ich aktiv ausfülle. Sie sind mir alle bekannt, manche schon länger, einige, wie bspw. diejenige der online-Architektin, etwas weniger lang. Die Rollen sind alle gleichzeitig da. Ich wechsle sie situativ, teils in schneller Abfolge, und finde meinen Platz.

Das Bild der Auswahl und des Platznehmens in einem dynamischen Umfeld lässt sich mit Fahrten auf einem Karussell vergleichen. Dieses dreht sich unablässig, während wir unseren Platz wählen. Die Platzwahl – oder eben das Einnehmen einer Rolle – erfolgt nicht zufällig und lässt die anderen Plätze oder Rollen nicht verschwinden. Ganz im Gegenteil: sie sind alle zeitgleich da – machen Wechsel möglich und ein Rollenbewusstsein nötig.

Vom Rollenstrauss zum Rollenkarussell

Das Bild des Rollenkarussells knüpft an Geri Thomanns Bild des Rollenstrausses an. Man stelle sich dabei nicht einfach das traditionelle Karussell vor, in welchem man abwechslungsweise mit dem Pferd, dem Feuerwehrwagen, dem Schwan oder der Vespa unterwegs ist. Man stelle sich eher jene Bahn vor, die an drei Armen zusätzlich drehende Kabinen mit sich führt: Mit viel Schwung und hohem Tempo zeigt sich der stete Rollenwechsel. Auch wenn wir den privaten Bereich ausblenden und auf unsere Tätigkeit an der Hochschule fokussieren, gestaltet es sich als anspruchsvoll, Rollenklarheit zu bewahren. Es empfiehlt sich dabei, den Übergängen zwischen den Fahrten und vor der eigentlichen Platzwahl besondere Aufmerksamkeit zu schenken und sich darauf zu besinnen, dass es eine grosse Bereicherung und ein Ausweis für einen Reichtum an Kompetenzen ist, in so vielen Rollen unterwegs zu sein.

In Geri Thomanns Darstellung des Rollenstrausses von Lehrenden an Hochschulen – hier übernommen und erweitert fürs Karussell – werden die Erwartungen der Studierenden an die Dozierenden als Pfeile dargestellt. Die Erwartungen führen nicht nur zur Wahl der Rolle, sondern auch zu einer Entscheidung dazu, wie die Rolle ausgefüllt wird:

Abb. 1: Rollenkarussell, basierend auf dem Rollenstrauss nach Geri Thomann (2019) und ergänzt um die Rollen der Regisseurin, des Architekten etc., die insbesondere der digitalen Organisationsform geschuldet sind.

Zu Thomanns Rollenstrauss sind zahlreiche weitere Rollen dazugekommen: So hat die digitale Organisation Lehrende zu Architektinnen gemacht, die mit Konferenztools Räume bauen und mit digitalen Lernlandschaften bespielen. Sie produzieren Lernvideos und fungieren darin manchmal in der Regie, manchmal als Darsteller. Während Thomann konstatiert, dass sich die Rolle von Dozierenden schwerpunktmässig von Inhaltsvermittelnden zu Begleitenden im Lernprozess verschiebt, erleben wir heute die Erweiterung zu Lehrenden als Navigierenden und Orientierung Vermittelnden, in einem Studium, dessen Räume und Landschaften zu grossen Teilen digital gebaut sind. Diese werden von den Studierenden auch asynchron, also in Abwesenheit der Lehrenden, genutzt.

Bezugsfelder und Rollen

Mirjam Kalts Definition der Rolle weist uns darauf hin, dass wir für Rollenklarheit zuerst einmal Kontextklarheit benötigen. Folgendes Modell von Scherrer et al. definiert drei Bezugsfelder, in welchen sich Dozierende bewegen und in welchen Rollenerwartungen an sie gerichtet werden. Nehmen wir bspw. eine Dozentin Fachdidaktik Englisch Zielstufe Sek I an der Pädagogischen Hochschule: Sie braucht fachwissenschaftliche und fachdidaktische Kompetenzen in Englisch, die sie aufgrund institutioneller Rahmenvorgaben wie Curriculum und gemäss definierten Prozessen auf ihre Lehre zuschneidet (organisationale Kompetenzen) und mit den aktuellen Anforderungen des Berufsfelds an die künftigen Lehrpersonen Sek I in ihrem Fachbereich abstimmt (berufsfeldbezogene Kompetenzen):

Abb. 2: Kompetenzbereiche in Modell nach Scherrer et al. als Bezugsfelder für die Rollengestaltung (Scherrer, Heller-Andrist, Suter & Fischer, 2020)

Die Kompetenzbereiche als Bezugsfelder implizieren ein jeweiliges Gegenüber, welches Erwartungen an die Rollengestaltung im jeweiligen Feld hat, und dessen erwartetes Verhalten wir in der Rollengestaltung mit unseren Gestaltungsvorstellungen abgleichen. Die Fachdidaktikerin sieht sich also je nach Bezugsfeld anderen Personengruppen gegenüber: in ihrer Lehre den Studierenden oder dem Fachkollegium, in der Organisation bspw. einem Team, im Berufsfeld ihren Praxispartner:innen:

Abb. 3: Bezugsfelder und zugehörige Gegenüber, die Rollenerwartungen an Dozierende richten (Heller-Andrist auf der Basis von Scherrer, Heller-Andrist, Suter & Fischer, 2020)

Während die Rollen von Dozierenden in oben abgebildetem Rollenkarussell umfassend, wenn auch nicht abschliessend, aufgeführt sind, sind die Rollen im organisationalen Kontext in mannigfaltigen Modellen zugänglich. Dazu gehören bspw. die Rollen im Team (vgl. z.B. Teamrollen nach Belbin), diejenigen gegenüber einer vorgesetzten Person, gegenüber verschiedenen weiteren Stellen, die Erwartungen äussern wie bspw. die Verwaltung mit Prozessen und institutionellen Vorgaben. Die Rollengestaltung gegenüber unseren Partnern und Partnerinnen im Berufsfeld ist insofern komplex, als sie stark zielabhängig, und insbesondere im Kontext der Weiterbildung abhängig vom Lerngegenstand ist.

Expert:innen im Austausch

Um Aus- und Weiterbildungsangebote wissenschaftlich fundiert auf die Bedürfnisse der Berufspraxis auszurichten, um praxisrelevante Forschung zu betreiben und um die Studierenden adäquat auf ihre künftige Berufspraxis vorzubereiten, ist der Bezug zum Berufsfeld unablässig. Die Rollengestaltung in der Zusammenarbeit mit dem Berufsfeld kann dabei durch Muster in der eigenen Berufsbiografie, also bspw. die eigene oder die aus einer Aussenperspektive wahrgenommene Dozierendenrolle in der Ausbildung von Lehrpersonen, geprägt sein. Hatte ich in der Ausbildung der jetzigen Praxispartner:innen eine leitende und beurteilende Rolle inne, war ich die Inhaltsexpertin und mein Gegenüber ein:e Lernende:r, so stehen wir uns nun in anderen Rollen gegenüber.

Umso wichtiger ist die Rollenklärung in der Zusammenarbeit mit meinen Praxispartner:innen. Führt man bspw. ein gemeinsames Projekt durch, gehen beide Seiten in die jeweilige Expertenrolle: Die Hochschulangehörigen agieren als Expertinnen und Experten der Wissenschaftspraxis, also der Praktiken an der Hochschule, und bringen ihre Expertise ins Projekt ein. Die Partner:innen der Berufspraxis hingegen sind Experten der Berufspraxis. So können die jeweils anderen Praxen zum Lerngegenstand der einzelnen Beteiligten werden, ein Austausch auf dieser Basis erfolgen und Projektprodukte mit beiden Praxen abgestimmt werden. Die Rollengestaltung in einer solchen Zusammenarbeit könnte folgendermassen abgebildet werden:

Abb. 5: Rollengestaltung als Expert:innen in der Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Berufsfeld (Heller-Andrist auf der Basis von Scherrer, Heller-Andrist, Suter & Fischer, 2020)

Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist abhängig von der Rollengestaltung der beteiligten Personen. Überlegungen dazu, wie ich eine Rolle einnehmen möchte, eine besonnene Erwartungs- und Rollenklärung sowie die zugehörige Rollenverhandlung sind dabei zentral.

Das Rollenkarussell dreht auch im CAS-Studiengang zur Stärkung des Berufsfeldbezugs

Im CAS-Studiengang «Den Berufsfeldbezug stärken!» befassen sich die Teilnehmenden intensiv mit ihren Rollen an der Hochschule: Abgestimmt auf ihre jeweiligen Aufgaben an der Hochschule, beispielsweise in der Lehre (Rollen in der Lehre), bearbeiten sie konkrete Fragestellungen zusammen mit Partnerinnen und Partnern im Berufsfeld (Rollen in der Berufspraxis). Dies erfolgt gerahmt durch die organisationalen Bedingungen, in Absprache mit den direkten Vorgesetzten bzgl. der Laufbahnmöglichkeiten an der eigenen Institution (Rollen in der Organisation).

Der CAS beruht auf einer Kooperation von elf Pädagogischen Hochschulen (Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik HfH, PH Bern, PH Fachhochschule Nordwestschweiz, PH Graubünden, PH Luzern, PH St. Gallen, PH Schaffhausen, PH Schwyz, PH Thurgau, PH Zug, PH Zürich). Während im Studiengang der Austausch mit Teilnehmenden anderer Hochschulen zentral ist, findet er auch an verschiedenen Durchführungsorten statt: Reisend und kreisend – so dreht das Rollenkarussell im und um den CAS-Studiengang «Den Berufsfeldbezug stärken!».

INFOBOX

CAS Berufsfeldbezug stärken
Der CAS-Studiengang startet erneut im September 2023, alle Informationen dazu finden Sie auf unserer Webseite. Bei Interesse am CAS sind Sie herzlich eingeladen zu den online Informationsveranstaltungen vom Donnerstag, 20. April, oder Dienstag, 16. Mai 2023, jeweils von 17–18 Uhr. An den Veranstaltungen geben ehemalige Teilnehmende des CAS Einblick in ihre Projektarbeiten im Berufsfeld.

Zur Autorin

Simone Heller

Simone Heller-Andrist arbeitet am ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich als Projektleiterin für Entwicklungs- und Weiterbildungsangebote im Hochschulbereich. Sie leitet den CAS Hochschuldidaktik «Winterstart» sowie den CAS «Den Berufsfeldbezug stärken!».

Kreatives Schreiben und Life Skills

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Text: Peter Holzwarth

«Wenn du deine Rolle in der Welt besser verstehen willst, dann schreib. Versuche deine Seele ins Schreiben zu legen, auch wenn niemand es liest, oder, was schlimmer ist, jemand es liest, obwohl du es nicht wolltest. Der einfache Akt des Schreibens hilft uns, Gedanken zu ordnen und klar zu sehen, was uns umgibt. Ein Stück Papier und ein Kugelschreiber können Wunder bewirken – Schmerzen heilen, Träume in Erfüllung gehen lassen, verlorene Hoffnung wiederbringen.
Im Wort liegt Kraft.»

(Paolo Coelho 2007, S. 52)

«Ohne zu schreiben, kann man nicht denken; jedenfalls nicht in anspruchsvoller, anschlussfähiger Weise.»

(Niklas Luhmann 1992, S. 53)

«Schreiben heißt: sich selber lesen.»

(Max Frisch [1950] 1985, S. 19)

Der folgende Beitrag zeigt verschiedene Möglichkeiten auf, kreatives Schreiben mit der Entwicklung von Lebenskompetenzen zu verbinden.

Das Konzept Life Skills wurde von der World Health Organisation (WHO) eingeführt. Life Skills werden folgendermassen definiert:

«Life skills are abilities for adaptive behaviour that enable individuals to deal effectively with the demands and challenges of everyday life» (World Health Organisation 1997, S. 1).

Es werden zehn zentrale Skills definiert: Decision-making (Fertigkeit, Entscheidungen zu treffen), Problem-solving (Problemlösefertigkeit), Creative thinking (kreatives Denken), Critical thinking (kritisches Denken), Effective communication (Kommunikationsfertigkeit), Interpersonal relationship skills (Beziehungsfähigkeit), Self-awareness (Selbstwahrnehmung), Empathy (Empathie/Einfühlungsvermögen), Coping with emotions (Gefühlsbewältigung) und Coping with stress (Fähigkeit zur Stressbewältigung).

Über kreative Schreibprozesse können Life Skills angeeignet und weiterentwickelt werden. Im Folgenden ein paar Beispielszenarien:

  • Ein Teenager wird sich seiner ambivalenten Gefühle bewusst, indem er ihnen in Form eines kleinen Gedichts ästhetische Gestalt verleiht. (Self-awareness, Coping with emotions, Coping with stress)
  • Eine junge Lehrerin hat sich angewöhnt, jeden Tag drei Dinge aufzuschreiben, die gut gelaufen sind bzw. die ihr Freude bereitet haben (vgl. Beitrag «Ehemalige Tutorin Antonia Rakita im inside 2/2022» im SchreibBLOGzentrum). (Coping with stress, Coping with emotions)
  • Eine Schülerin schreibt einen kurzen Text aus der Perspektive einer Figur in einem Spielfilm. (Empathy)
  • Ein Heranwachsender verfasst einen Liebesbrief an sich selbst, in dem er all das würdigt und zum Ausdruck bringt, was er an sich mag. (Self-awareness)
  • Eine Schülerin lernt das Prinzip der Wiederholung von Textstellen kennen und empfindet Selbstwirksamkeit in Bezug auf das entstandene eigene Gedicht.
  • Eine Weiterbildungsteilnehmerin entdeckt eine spannende ästhetische Interaktion zwischen einem selbstgemachten Foto und einem selbstgeschriebenen Text.

Lernprozesse können auf mehreren Ebenen stattfinden:

  • Sich selbst besser kennen lernen (Selbstreflexion, Inneres Erleben durch Schreiben nach Aussen bringen und es dann mit Abstand betrachten können (Veräusserung und Resubjektivierung))
  • Phänomene der Welt besser deuten können (sich über Schreibprozesse einem Gegenstand annähern und schreibend verstehen)
  • Literarische Aspekte kennen lernen (z. B. das ästhetische Prinzip der Wiederholung, das Prinzip der kreativen Aneignung von Vorlagen im Sinne eines Remakes)
  • Stolz empfinden in Bezug auf das eigene Produkt (Selbstwirksamkeit, den Mut haben, den eigenen Text einem Publikum zu präsentieren, Anerkennung von anderen bekommen, sich selbst wertschätzen können)
  • Über Kritik und Feedback lernen und sich weiterentwickeln (z. B. Kritik und Feedback von anderen können helfen, den eigenen Text aus einer neuen Perspektive zu sehen (z. B. andere Lesarten), sich der eigenen Leserlenkungspotenziale bewusst zu werden und den eigenen Text noch besser zu machen)
  • Zusammenhänge von Denken, Fühlen und Schreiben ausloten (vgl. Eingangszitat von Niklas Luhmann oben)

Im Folgenden werden ausgewählte Projektideen aus dem Buch «Life Skills mit Medien» (Holzwarth 2022) vorgestellt:

Fotogedicht «Vergnügungen»

Ein Remake zum Gedicht «Vergnügungen» von Bertolt Brecht wird produziert und mit einem Foto kombiniert (Leis 2019, S. 130 u. 131; Holzwarth & Maurer 2014).

Brecht zählt in seinem sprachlich sehr einfachen Gedicht alltägliche Dinge auf, die Vergnügen bereiten können, wie z. B. der erste Blick aus dem Fenster am Morgen oder das Wiederfinden eines alten Buchs. Das Verfassen eines Remakes hilft den Schreibenden, sich ihrer «Alltagsschätze» bewusst zu werden: Man braucht nicht auf das große Glück zu warten, weil der Alltag bereits sehr viele kleine Reichtümer enthält. Man muss sie nur entdecken und bewusst machen.

«VERGNÜGUNGEN

Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen
Das wiedergefundene Buch
Begeisterte Gesichter
Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten
Die Zeitung
Der Hund
Die Dialektik
Duschen, Schwimmen
Alte Musik
Bequeme Schuhe
Begreifen
Neue Musik
Schreiben, Pflanzen
Reisen
Singen
Freundlich sein»

(Bertold Brecht, Suhrkamp Verlag 1990, S. 1022)
Abbildung 1: «Vergnügung» (Schulprojekt)

Fotogedicht «Rondell»

«Poesie macht einem die schwierigen Zeiten erträglicher.
Und Poesie macht die schönen Seiten noch schöner und strahlender.»

Heinz Rhyn, Pädagogische Hochschule Zürich, «PH Goes Poetry», 23.9.2021 (Übertragen aus dem Berndeutschen)

Die Gedichtform «Rondell» lebt von bestimmten Wiederholungen. Die Zeilen 1, 4 und 7 sind identisch und Zeile 2 ist gleich wie Zeile 8.

Ein Gedicht kann 8 Zeilen lang sein oder mehrere Strophen von 8 Zeilen hintereinander haben. Die folgende Darstellung visualisiert die Wiederholungsstruktur des «Rondells»:

Abbildung 2: Struktur «Rondell»

Was mein Leben reicher macht

«Beim Schwimmen im kühlen Badsee untertauchen und das eigene Herz schlagen hören.
Anita Chasiotis, Osnabrück»

(Lechner 2012, S. 63)

«Was mein Leben reicher macht» ist der Titel eines Buches, in dem Beiträge von Lesenden aus einer Kolumne der Zeit zusammengetragen wurden (Lechner 2012). In Anlehnung an diese Serie werden die Teilnehmenden gebeten aufzuschreiben, was ihr Leben reicher macht und den Text mit einem Bild zu kombinieren. Es muss sich dabei nicht um eine exakte Visualisierung des Geschriebenen handeln. Auch abstrakte Bilder können eine Rolle spielen. Weitere Projektideen zum kreativen Schreiben, sowie Ideen für Fotografie, Videoproduktion und Medienreflexion sind in Holzwarth 2022 zu finden.

INFOBOX

Schreibmodule
Unter dem Motto «Dem eigenen Schreiben auf der Spur» bieten Prof. Dr. Daniel Ammann, Erik Altorfer und Dr. Martina Meienberg zwei Module zum literarischen Schreiben an, die separat oder kombiniert gebucht werden können.

Das erste Modul «Biografisches Schreiben – das Leben erzählen» bietet Anfänger:innen wie Fortgeschrittenen Gelegenheit, sich im Schreiben mit Erlebnissen, Erinnerungen und persönlichen Lebenserfahrungen zu beschäftigen, um daraus eigene Prosatexte und Geschichten entstehen zu lassen.

Das zweite Modul «Literarisches Schreiben – Wege zum eigenen Schreibprojekt» widmet sich dem fiktionalen Schreiben und vermittelt Methoden des realistischen und fantastischen Erzählens.

In beiden Modulen erhalten Sie in Präsenzveranstaltungen und individuellen Coachings Anregungen und Impulse zum literarischen Schreiben und lernen Techniken der kreativen Textarbeit kennen.
Beide Module sind für den CAS Beraten im Bildungsbereich anrechenbar und sind mit je 1 ECTS dotiert.
Das erste Modul startet am 26. April 2023. Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung!

Workshop
Workshop des Schreibzentrums zum Thema:
Kreatives Schreiben leicht gemacht: Das motivierende Prinzip «Remake»,
Peter Holzwarth, Mi. 3. Mai 2023, 17.30–19 Uhr

Zum Autor

Peter Holzwarth ist Dozent für Medienpädagogik an der PH Zürich. Er leitet das Fachteam Medienpädagogik, arbeitet im Schreibzentrum und im Digital Learning (DLE). Ausserdem ist er Berater bei der Stelle für Personalfragen (SteP). 

Das reguliert sich nicht von selbst! – Was es braucht, damit selbstreguliertes Lernen an Hochschulen gelingt

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Text: Franziska Zellweger

Selbstreguliertes Lernen – Woher kommen wir?

Es war einmal die Zeit der Bologna-Reform. Vor ziemlich genau 20 Jahren hat die Universität St. Gallen mit der Umsetzung dieser Reform versucht, ein didaktisches Leitbild des «mediengestützten Selbststudiums» umzusetzen. Die Präsenzzeit des Kernstudiums wurde um 25% reduziert zugunsten von didaktischen Formaten, die verstärkt auf aktives und selbstreguliertes Lernen setzten. Es war keine Sparübung – die Bemühungen aller Akteure waren ernsthaft und für mich als Doktorandin ein kreatives Spielfeld mit Enttäuschungspotenzial.

Selbstreguliertes Lernen (SRL) hatte sich zu der Zeit in der pädagogisch-psychologischen Forschung längst als Forschungsfeld etabliert. SRL bezieht sich darauf, wie Lernende systematisch ihre Kognitionen, Motivationen, Verhaltensweisen und Affekte aktivieren und aufrechterhalten, um ihre Ziele zu erreichen wie Schunk und Greene im Handbook of Self-Regulation of Learning and Performance schreiben. Es hat sich ein zyklisches Modellverständnis etabliert (vgl. die Erläuterungen von Maria Theobald ab Min. 3, für einen Modellüberblick siehe Panadero, 2017).

Zyklisches Phasenmodell nach Zimmermann & Moylan (2009) adaptiert von Panadero (2017)

Warum ist selbstreguliertes Lernen ein hochschuldidaktisches Thema?

Warum ist SRL heute noch ein relevantes Thema, um sich in zwei Webinaren zusammen mit Jan Vermunt und Maria Theobald vertieft damit zu beschäftigen? Mir schien, dass nach der Pandemieerfahrung über hybrid, blended oder flipped Settings nachgedacht wurde, ohne im Blick zu haben, wie voraussetzungsreich diese bezüglich der Anforderungen an die Selbstregulation sind.

Die beiden Expert:innen beantworten die Frage nach der Aktualität auf unterschiedliche Weise:

Maria Theobald macht in ihrer Forschungsarbeit deutlich, dass auch auf Hochschulstufe nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Studierende in der Lage sind, ihr Lernen zielführend zu regulieren. In einer Studie zeigt sie eindrücklich auf, dass Studierende, die sich während des Semesters regelmässig begleitend zur Vorlesung mit Selbsttests und Podcasts auseinandersetzten (sog. distributed practice) an der Prüfung erfolgreicher waren.

SRL sagt Prüfungsnoten voraus, vgl. Theobald et al. (2018) und Video (ca. Min.14:20)

Jan Vermunt (ca. Min. 0:35) setzt in seiner Argumentation grundsätzlicher an und verweist auf neue Anforderungen:

Ziele von Hochschulen

Um diese Ziele zu erreichen, sei eine Abkehr von einem Lehr-Lernverständnis nötig, das Lehren als die Übertragung von Expert:innenwissen an die Lernenden versteht. Jan Vermunt betont die Bedeutung von Lernüberzeugungen der Lernenden, von Lernmotivation, Selbstregulation und Lernaktivitäten für ein vertieftes Lernen (vgl. ab Min. 5:30).

Lernmuster als Perspektive für studentisches Lernen, vgl. Vermunt & Donche (2017)

Wenn wir über Selbstregulation sprechen, sind Lernüberzeugungen, also die dahinterliegenden Vorstellungen und Motive von besonderer Bedeutung. Deshalb interessieren mich Lernkonzeptionen der Studierenden, also Unterschiede ihrer Vorstellungen davon, was Lernen ausmacht und welche Rolle sie dabei sich selber und den Dozierenden zuweisen. Jan Vermunt skizziert Learning Patterns (vgl. ab Min. 7:40) und damit verbundene Vorstellungen von Lernen:

Drei AusprägungenBeispiel Item zur Erhebung von Lernkonzeptionen
Intake of knowledge
teacher is responsible for learning
Ich mag es, wenn man mir genaue Anweisungen gibt, wie ich eine Aufgabe lösen oder einen Auftrag erledigen soll.
Construction of knowledge
agency, own responsibility
Für mich bedeutet Lernen, dass ich versuche, ein Problem aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.
Use of knowledge
shared responsibility
Lernen bedeutet für mich, Wissen und Fähigkeiten zu erwerben, die ich später in der Praxis anwenden kann.

Implikationen für die Hochschullehre

Welche Konsequenzen sind nun für die Hochschullehre zu ziehen, wenn die Fähigkeit zur Selbstregulation eine so bedeutsame Stellung einnimmt? Ich schlage vor, drei Aspekte besonders in den Blick zu nehmen.

  1. Lehren und Lernen im Curriculum zur Stärkung der Selbstregulation

Jan Vermunt fordert eine Abkehr von reproduktionsorientierter Lehre und formuliert ausgehend vom an der Eindhoven University of Technology propagierten Modell des Challenge-based Learning Prinzipien zur Stärkung der Selbstregulation auf (ab Minute 37:15). Im Kern sollen anknüpfend an die Interessen der Studierenden Raum und Aufgaben gestaltet werden, die es erforderlich machen, dass Studierende ihre Lernprozesse selber regulieren. Dies soll auch in den Prüfungsformaten wertgeschätzt werden.

  1. Explizite Förderung von Lernstrategien

Die aktive Thematisierung von Lernstrategien ist an vielen Hochschulen (z.B. Uni Bern) gängige Praxis. In einem Review Artikel hat Maria Theobald die Wirksamkeit von Programmen zur Stärkung von Lernstrategien zusammengetragen und auch ein Förderprogramm untersucht, das Studierende zum täglichen Monitoring ihres Lernens anhielt, indem es nach dem Effekt verschiedener Formen von automatisiertem Feedback fragte.

Beide Forscher betonen die Bedeutung von Feedbacks. Ein zentraler Forschungsdiskurs dreht sich denn auch um die Co-Regulation durch Peers und Dozierende, also regulative Unterstützung durch andere. (Vgl. Blogbeitrag zum Onlinefeedback).

  1. Verständigung über das Lernen selbst

Ein wichtiger Schlüssel liegt in der Verständigung über das Lern- und Rollenverständnis. Über Lernen zu sprechen ist jedoch eine abstrakte Angelegenheit. Ich halte es für vielversprechend, dies in Bildern oder Metaphern zu tun, wie in diesem Blogbeitrag aufgezeigt wird. Ob Metaphern tatsächlich Lernkonzeptionen offenlegen, wird auch in der Forschung diskutiert. Eine Diskussion, ob Lernen beispielsweise mit einem Videospiel zu vergleichen sei oder eher dem Füllen einer Werkzeugkiste gleichkommt, kann der Verständigung zwischen Dozierenden und Lernenden nur zuträglich sein.

Wie erreichen wir den nächsten Level?

Die Forschung zum selbstregulierten Lernen unterstützt das Verständnis von Lernprozessen als komplexes Zusammenspiel von Kognitionen, Emotion und Motivation ausgerichtet auf ein Ziel in einem spezifischen Kontext. In der praktischen Umsetzung «innovativer» Lehrmethoden stellt dabei Selbstregulation paradoxerweise gleichzeitig die Voraussetzung, das Ziel und den Weg dar. Dabei werden die Kompetenzen der Studierenden tendenziell überschätzt. Lernsettings, die Studierende aktiv in die Verantwortung für ihr Lernen nehmen, sind auch auf Hochschulstufe keine Selbstläufer. Es stellen sich wichtige Fragen:

  • Welche Angebote sind im Studienstart sinnvoll, um Studierende in ihrem Lernen zu unterstützen?
  • In jedem Setting sind zudem die Rollen und Erwartungen explizit zu thematisieren. Was ist die Aufgabe und Rolle der Studierenden, welchen Beitrag leisten die Dozierenden?
  • Wie werden Aufgabenstellungen formuliert, um unterschiedliche Studierende in der selbstverantwortlichen Erarbeitung zu unterstützen und welche Formen der Co-Regulation sind sinnvoll?

Letztlich geht es auch um die Arbeit an unseren eigenen Bildern. Selbststudium ist nicht gleichzusetzen mit Lernenden, die alleine zu Hause an ihren Tischen sitzen und ein dickes Skript wälzen, sondern mit Studierenden, die über einen angemessenen Spielraum verfügen, um selbstverantwortlich und im Austausch mit anderen ihre Lernprozesse bewusst zu gestalten. Dazu gehört auch das Scheitern, ermutigt werden wieder aufzustehen, den nächsten Schritt zu tun, um wie in Videogames neue Levels zu erklimmen, mit Zugang zu neuen Zaubersprüchen, Vehikeln und Werkzeugen.

INFOBOX

Webinar-Reihe: Researching Higher Education

Diese Webinar-Reihe gibt Einblick in relevante Forschungsprojekte von Wissenschaftler:innen aus aller Welt und bietet Dozierenden, Leitenden, Forschenden an Schweizer Hochschulen wie auch weiteren Interessierten Raum und Fragen zur Diskussion. Neben der Präsentation von Forschungsprojekten sind die Diskussion zwischen Forschenden und Praktikern in Kleingruppen und im Plenum zentraler Bestandteil dieser Anlässe.

2021 zum Thema «Student Engagement»
2022 zum Thema «Self-regulated Learning»

Mehr Informationen zur Webinar-Reihe finden Sie hier.

Zur Autorin

Franziska Zellweger ist Professorin für Hochschuldidaktik am Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich

Gelassen und mutig entscheiden

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Text: Dagmar Engfer

Der Blogbeitrag «Entscheidungsprozesse an Hochschulen: Entscheiden lassen – Entscheide steuern – Entscheide bewirken» thematisierte die Beratungstätigkeit mit lateral Führenden. Diese Führungspersonen stellten u.a. in Landkarten der Macht dar, wie Entscheidungsprozesse funktionieren. Jetzt wenden wir uns der Frage zu, wie Führungspersonen Entscheidungsprozesse erleben. Wir ergründen diese mit Prof. Dr. Christine Böckelmann, Direktorin der Hochschule Luzern – Wirtschaft und Prof. Dr. Matthias Briner, Leiter Zentrum für Ausbildung und Studiengangleiter MSc Angewandte Psychologie, FHNW.

Kein Tag ohne Entscheiden

Führungspersonen an Hochschulen fällen täglich Entscheide auf verschiedenen Ebenen, mit kurz- bis langfristiger Tragweite und auf unterschiedlichen Flughöhen. Die Folgen von Entscheidungen lassen sich, so Böckelmann, oft nur schwer abschätzen, da die Sachlage oft mehrdeutig und die Prognosen entsprechend unsicher sind. Das Risiko von Fehlentscheidungen ist gross und Entscheidungsprozesse können sich hinziehen; Betroffene müssen Unsicherheiten oft lange aushalten.

Entscheidungen sind oft schwierig, jedoch notwendig. (Bildquelle: Adobe Stock)

Sollen Mitarbeitende in Entscheidungsprozesse einbezogen werden? 

Führungspersonen in Expert:innenorganisationen sind oft mit der Erwartung der Mitarbeitenden konfrontiert, ihre Expertise einzubringen. Darin sieht Briner sowohl eine Herausforderung als auch eine attraktive Chance.

Böckelmann regt an, zwischen der Partizipation am Entscheidungsprozess selbst und dem Fällen des Entscheides zu unterscheiden. Diese Differenzierung kann helfen, die Frage des Einbezugs von Mitarbeitenden sinnvoll zu klären.

Entscheide an Hochschulen gestalten sich dann besonders anspruchsvoll, wenn divergierende Erwartungen berücksichtigt werden müssen und verschiedene Organisationseinheiten oder gar die gesamte Organisation betroffen ist, wie etwa bei strategischen oder strukturellen Weiterentwicklungen einer Hochschule.

Böckelmann betont: «Kollektive Entscheidungen sehe ich vor allem in überschaubaren Arbeitsteams und Gremien. Betrifft die Entscheidung eine grössere bzw. komplexe Organisation als Ganzes, kann es bei kollektiver Beschlussfassung zu einer Mehrheitsentscheidung kommen, welche die Anliegen und Bedürfnisse kleinerer Einheiten kaum berücksichtigt und möglicherweise auch den strategischen Zielen der Organisation widerspricht.»

Vom Unterwegs in Partizipation bis zum Mitdenken von Risiko

Briner unterstreicht ebenfalls die Relevanz der Gesamtorganisation. Die Breite der Abstützung ist je nach Grösse der Tragweite einer Entscheidung unterschiedlich. Es bereichere Entscheide, wenn die Perspektivenvielfalt verschiedener Involvierter berücksichtigt werde. Nötig dafür sei, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Gleichzeitig erhöht sich dadurch die Komplexität, Prozesse werden schwerfälliger und es wird anspruchsvoller, die gewünschten gemeinsamen Ziele zu verfolgen. Ein mögliches Vorgehen in solchen Situationen ist, in grösseren Gremien Stimmungsbilder abzuholen, nach Mehrheitsbildern zu suchen, Interessen zu erfragen und daraus eine Auslegeordnung als Entscheidungsgrundlage zu erstellen. Es lohnt sich, die Opportunitätskosten abzuwägen und sich zum Beispiel zu fragen: «Was passiert, wenn…?», «Wie sieht es mit der Balance zwischen Aufwand und Ertrag aus?». Entsprechend gehört zu Entscheiden grösserer Tragweite ein Abwägen von Chancen und Risiken.

Betreffen Entscheidungen die Arbeitssituation Mitarbeitender substanziell, sollte Partizipation am Prozess der Entscheidungsfindung eine Selbstverständlichkeit sein, so Böckelmann. Voraussetzung dafür ist, zu Beginn zu definieren, welche Fragen partizipativ bearbeitet werden und was aufgrund von Vorgaben oder Zielen der Gesamtorganisation nicht verhandelbar ist. Pseudopartizipation frustriert alle Beteiligten.

Entscheiden unter Zeitdruck

Noch ein Blick auf Nicht-Entscheide und Entscheide, die in Eile gefällt werden (müssen).

In Expert:innenorganisationen gehört der wissenschaftliche Diskurs zum Alltag. Das damit verbundene Vorgehen wirkt mitunter in Entscheidungsprozessen jedoch hemmend. So wäre es manchmal besser abzuwarten und noch nicht zu entscheiden, merkt Briner an. Doch geht dies nicht in jedem Fall. Im Nachhinein hätten es wohl alle besser gewusst. Beide Vorgehensweisen – Abwarten oder schnell Entscheiden und allenfalls einen Fehlentscheid in Kauf nehmen – haben ihren Preis. Ein Entscheid ist selten 100% richtig. Er lässt sich nur fällen aus der aktuellen Situation und mit Blick auf die bekannten und antizipierten Bedingungen. Zentral ist darum eine offene Fehlerkultur: allfällige Fehler offenlegen, daraus lernen und weitergehen. Deshalb ist Vertrauen für Briner eine relevante Basis, um tragfähige Entscheide zu fällen.

Zum Umgang mit schnellen Entscheiden meint Böckelmann: «Müssen Entscheidungen von grösserer Reichweite in Eile getroffen werden, dann ist in der Organisationsentwicklung vermutlich etwas schiefgelaufen oder wir haben es mit einer akuten Krisensituation zu tun.
In Krisensituationen müssen Führungspersonen unter Umständen schnell entscheiden können. Je nachdem ist dann eine Partizipation nicht möglich, oder sie muss sich z.B. auf eine kleine Gruppe beschränken, die stellvertretend für verschiedene Gruppen von Fachpersonen als «Sounding-Board» zur Verfügung steht. Liegt keine Krisensituation vor, dann dürfte es sich lohnen, darüber nachzudenken, warum man in eine Situation geraten ist, in der eine Entscheidung von grosser Reichweite eilt. Möglicherweise lassen sich Prozesse so verändern, damit dies – hoffentlich – ein Ausnahmefall bleibt.»

Briner teilt Böckelmanns Ansicht, dass Entscheide in Eile eher direktiver werden. Dennoch sei es zentral, mit jemandem zu reflektieren und einen Schritt zurückzutreten. Wenn ein Entscheid noch nicht reif ist, könne es wichtig sein, Zeit zu gewinnen.

Es hilft zudem, einen Entscheid in sinnvolle, bewältigbare Portionen zu segmentieren und damit eine zeitliche Staffelung herbeizuführen. Eine weitere Strategie ist, den Entscheid in einem grösseren Ganzen zu verorten und vielleicht zu relativieren – dies ermöglicht eine einigermassen zuversichtliche Gelassenheit.

Gelungene Entscheidungsprozesse sind nicht immer logisch 

Abschliessend wenden wir uns der Frage zu, was für Entscheidungsprozesse typisch ist und wie sie gelingen können.  

Böckelmann meint dazu: «Charakteristisch scheint mir, dass Entscheidungsprozesse in der Regel nicht so ‹wohl-sortiert› und in logisch strukturierten Schritten ablaufen, wie man sich das zu Beginn vorgestellt oder geplant hat. Dies liegt unter anderem daran, dass Organisationen von unterschiedlichen Rationalitäten geprägt sind. Je nach Rolle und Funktion, die jemand hat, werden Dinge unterschiedlich gewichtet und bewertet. Man hat je eigene Interessen, Denk- und Sichtweisen sowie entsprechend unterschiedliche Problemwahrnehmungen. Damit wird der Prozess selbst durch verschiedene Perspektiven mitgesteuert.» Auch Briner erlebt sich oftmals in einer Vermittlungsposition. Für ihn ist zudem charakteristisch, dass Entscheide einen «vorbereiteten Acker» benötigen.

Konkrete Tipps für Projektleitende und Studiengangleitende

Welche Haltung und Handlungskompetenzen brauchen Projektleitende und Studiengangleitende, um Entscheidungsprozesse mitzugestalten, vorwärtszubringen oder zielführend zu unterstützen?

  • Prozesse vorausschauend planen mittels einem ausgereiften Projektmanagement.
  • Offenheit und Toleranz für unterschiedliche Positionen; diese wahrnehmen und würdigen, selbst wenn nicht alles berücksichtigt werden kann. Somit auch über den eigenen Schatten springen können und Ideen anderer annehmen.
  • Kommunikatives und diplomatisches Geschick sowie strategische Zusammenhänge verstehen, um mit unterschiedlichsten Stakeholdern zu verhandeln.
  • Ein gutes Mass an Frustrationstoleranz, um Zusatzschlaufen und ungeplante Interventionen von Vorgesetzten «auszuhalten», und sich davon verabschieden, es allen recht machen zu wollen.
  • Geduld, Bescheidenheit und Gelassenheit.
  • Mut, mit bedachtem Risiko etwas wagen.

«Entscheide erfordern auch Mut; Mut, etwas zu tun.», bilanziert Briner: «Begeisterte Gelassenheit – gelassene Begeisterung»

INFOBOX

Der CAS Führen in Projekten und Studiengängen an Hochschulen ermöglicht massgeschneidert und laufbahnbezogen rollenspezifische Kompetenzen in Führung, Management und Planung zu entwickeln. Er richtet sich an Verantwortliche in Projekten, Studiengängen und Querschnittsfunktionen in Aus- und Weiterbildung an Fachhochschulen, Universitäten, Pädagogischen Hochschulen, höheren Fachschulen sowie weiteren Bildungsinstitutionen. Die nächste Durchführung startet am 28. März 2023. Wir freuen uns auf Ihre Anmeldung!

Zur Autorin

Dagmar Engfer ist Coach, Organisations-beraterin, Teamentwicklerin und Führungs- und Laufbahnberaterin BSO, stellvertretende Leiterin sowie Verantwortliche Beratung und Dozentin am Zentrum Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich. Zudem ist sie Co-Leiterin des Lehrgangs CAS Führen in Projekten und Studiengängen an Hochschulen.

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