Beitrag von Geri Thomann und Monique Honegger
Dynamik im Arbeitsalltag
Improvisieren ist angesagt! Denn, was und wie wir Themen auswählen oder bearbeiten, wie Lernende oder Kolleginnen und Kollegen darauf reagieren, verändert sich stets. Sei dies im Alltag als Dozierende, Beratende oder als Führungspersonen im Umgang mit einzelnen Menschen und Gruppen, sei dies als Mitarbeitende in Bildungsorganisationen wie Hochschulen. Trotz oft aufwändiger, akribischer Planung stellen wir uns im Hier und Jetzt unentwegt auf Veränderungen und Unerwartetes, auf Überraschungen ein. Dadurch ist spontanes Handeln gefragt – interpretierend, variierend oder eben improvisierend.
Improvisieren als Weg, Pläne umzusetzen
Zu improvisieren und mit Unerwartetem umzugehen, rückt möglicherweise vermehrt ins Zentrum des Handelns von Dozentinnen, Beratern und Führungspersonen, weil flexible Strukturen, flache Hierarchien, individuelle Entwicklungen und schnelle Entscheidungen in Organisationen – ebenso Hochschulen – eine zentrale Funktion zukommt. Indem wir improvisieren, verbinden wir Bekanntes mit Unerwartetem, bewegen uns zwischen verbindlichen Vorgaben und freier Idee. Hierdurch ergibt sich wiederum Unerwartetes und Neues, das mitunter schöpferisch oder irritierend wirkt.
Fehler und Risiken gehören dazu
Mit Widersprüchlichkeiten umzugehen, gehört zum täglichen Handeln. Planung stellt die eine Seite der Handlungsmünze dar, Realität die andere. Letztere fordert jeweils Improvisation, oder zumindest ein Umspielen des Planes, Plankorrekturen. Reibungslose Durchführung von Plänen ist eher die Ausnahme, weil jede Durchführung eines Plans neue Komplexität generiert. Diese Komplexität ist kein ungewollter Nebeneffekt einer geordneten oder zu ordnenden Welt. Sie ist vielmehr eine Form der Realität, die voraussetzt, mit dieser Improvisation umgehen zu können. Indem wir linear, «professionell» und nach Plan handeln, vermeiden wir vermeintlich Risiken und Fehler, für die wir uns nachher schämen müssten, obschon die durchkreuzten Pläne, die verlorene Fassung und Fehlleistungen eine Keimzelle für eine der aktuellen Situation besser entsprechenden Ordnung oder Lösung sein könnten.
Improvisieren in Organisationen und Institutionen
Organisationen entwickeln nicht selten Routinen, um Improvisation auszuschliessen, obwohl es gerade in vielen organisationalen Handlungen spontan reflektierendes Handeln braucht (Dell 2012, 123f.). Etablierte Routinen stärken zwar Organisationen in der Annahme, alles unter Kontrolle zu haben, dennoch verleiten dazu gehörende Pläne dazu, Unerwartetes auszublenden. Weick & Sutcliffe (2010) plädieren dafür, variabel mit Unerwartetem umzugehen und es nicht mit Routinen und Plänen einzudämmen (ebd. 72-76). So lassen sich neue Perspektiven gewinnen. Dies erfordert jedoch ein Streben nach Flexibilität und die Bereitschaft, Reaktionsfähigkeiten zu erweitern – mit anderen Worten: eine improvisierende Haltung bzw. Bereitschaft zu improvisieren.
Weick (1998) etwa unterscheidet für die Jazz-Improvisation vier Ebenen einer «improvisationalen Performanz»: Die Interpretation als striktes Befolgen von Plänen, das Umspielen des Plans in einer minimalen Variation, die reale Variation mit improvisierten Aktionen sowie die Improvisation, «die radikal von einem gefassten Plan abweichen kann» (Dell 2012, 136).
Selbstverständlich spielen zahlreiche Professionelle in ihrer Arbeit mit gutem Recht nach vorgegebenen «Partituren» und improvisieren nur in Notfällen. Das dürfen wir auch erwarten. Improvisation ist nur dann sinnstiftend, wenn es flexibles und innovatives Handeln braucht oder Routinen verändert und bewegt werden wollen und sollen. Und auch für Letzteres braucht es, wie im Folgenden erläutert, bestimmte Voraussetzungen.
Improvisieren ist Interagieren
Zu improvisieren bedeutet nicht, gegen Hierarchien zu stossen. Barrett (1998) nennt dies «practice of taking turn». Solche Takings können zu Beginn oder während dem Spiel vereinbart werden. Zudem müssen alle Involvierten, die «Mitspielenden», über bestimmte Kompetenzen und Charakteristika verfügen, damit Improvisieren produktiv gelingt.
Weick (2002, 67f.) beschreibt mögliche Charakteristika von Gruppen mit einer hohen Improvisationsfähigkeit – hier eine Auswahl:
- Bereitschaft, auf Planung und Probe zu verzichten – zugunsten des Handelns in «Echtzeit».
- Kompetenz zeigen können ohne Planentwürfe und vorgängige Diagnose.
- Fähigkeit, sich bei der Ausgestaltung von Situationen mit minimalen Strukturen und Rahmenbedingungen zu identifizieren oder sich damit einverstanden zu erklären.
- Offen sein, sich von Routinen abzukehren oder Routinen positiv zu nutzen.
- Vorhandensein eines reichhaltigen und bedeutungsvollen Sets an Themen, Fragmenten und Ideen, mit welchen für weiterführende Handlungswege angeknüpft werden kann.
- Empfänglich sein dafür, Relevanzen vorgängiger Erfahrungen zu erkennen, um etwas Neuartiges daraus zu machen.
- Vertrauen in Fähigkeiten, mit Ereignissen umzugehen, die nicht der Routine entsprechen.
- Geschicktheit darin, Aufmerksamkeit bei Darbietungen anderer zu zeigen und darauf aufzubauen, um die Interaktion weiterlaufen zu lassen und interessante Möglichkeiten füreinander einzurichten.
- Fähigkeit, Geschwindigkeit und Tempo zu halten, indem die anderen improvisieren.
- Im Hier und Jetzt auf die Koordination fokussiert sein (sich nicht von Erinnerungen oder Erwartungen ablenken lassen).
Braucht es Improvisationskompetenz?
Lässt sich eine spezifische Kompetenz für den Umgang mit Unvorhersehbarkeit und Mehrdeutigkeit herauskristallisieren, die man als Improvisationskompetenz bezeichnen könnte? Und was bedeutetes es, kompetent zu improvisieren? Es bedeutet, gegebene Handlungsräume permanent zu hinterfragen, offen zu sein für Mögliches und vermeintlich Unmögliches, geplante oder erwartete Spielräume zu erweitern, indem wir entsprechend handeln. Improvisation bessert nicht gescheiterte Pläne nach oder auf. Improvisation geht konstruktiv mit Unerwartetem um.
10 Jahre Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung
Das ZHE wurde 2009 mit einem kleinen Team gegründet. Es ist das heutige Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung. Im Laufe der Jahre stiessen das Schreibzentrum, das Zentrum Weiterbildung Berufsfachschulen, das Zentrum für Evaluation und die Professur Höhere Berufsbildung und Weiterbildung dazu. Seit 2018 sind wir die Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung. Wir bieten Weiterbildungen, Beratungen und Forschung für den Tertiärbereich (Hochschulen und Höhere Berufsbildung) und die Sekundarstufe II an. Als gewachsene Einheit in dynamischem Umfeld sind wir geübt in VUCA (volatility, uncertainty, complexity und ambiguity). Darum feiern wir am 14. März 2019 unser Jubiläum mit einer spannenden lecture performance von Christopher Dell zu «Improvisation – zwischen Chaos und Determinierung».
Zum Autorenteam
Geri Thomann ist Leiter der Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich. Als Inhaber einer ZFH-Professur forscht und publiziert er regelmässig über Aspekte der Hochschulentwicklung und Führungsfragen.
Am ZHE bietet Geri Thomann den Kurs «Grundlagen der Beratung» an. Dieser richtet sich primär an Lehrende an Hochschulen sowie der Erwachsenenbildung, ist aber auch für Lehrpersonen der Sekundarstufe II interessant.
Monique Honegger ist Senior Teacher und ZFH-Professorin an der PH Zürich. Beratend, forschend, weiterbildend und bildend (Gründerin des Schreibzentrums der PH Zürich, Hochschuldidaktik, Diversity_Gender, Deutschdidaktik).
Redaktion: Martina Meienberg
Let‘s do it.
Mein Vater, der als Kultur-Redaktor beim Schweizer Radio tätig war, pflegte zu sagen: „Nichts braucht mehr Vorbereitung als das Improvisieren!“ Ich würde es vielleicht eher so ausdrücken: „Zu nichts braucht man mehr fachlichen Background als zum Improvisieren!“
Der nötige fachliche Background kann auf einem bestimmten Gebiet durchaus auch in jungen Jahren schon so ausgeprägt sein, dass „Improvisieren“ möglich ist. Das sollte in der Ausbildung auch gefördert werden!
Ich war kürzlich in der Lage, die Semesterarbeit eines in der Ausbildung zum „Techniker HF Energie und Umwelt“ befindlichen Absolventen zu beurteilen. Es ging um das Erstellen eines Schulbuchs für die Unterstufe zum Thema „Nachhaltigkeit“. Der Student ging so vor, wie ich es (selbst schon Verfasser mehrerer Fachbücher) auch getan hätte: Er begann mit Enthusiasmus zu schreiben!
Bei der ersten Besprechung wurde er (wie ich im Bericht las) vom betreuenden Dozenten „zurückgepfiffen“ und angehalten, das Projekt mit den gelernten Methoden des Projektmanagements sauber zu planen … Er erstellte die geforderten „Planungs-Grundlagen“ nachträglich, was mich nicht weiter störte und ihn zwar offenbar zunächst verunsicherte, ihm aber auch nicht weiter schadete.
Als Bewerter und schulinterner Experte fragte ich mich aber (und schrieb dies auch dem Schulleiter der HF, der gleichzeitig der Betreuer der Arbeit war), ob wir den Studentinnen und Studenten bei ihren selbstständigen Arbeiten nicht ein zu enges Methodenkorsett vorgeben?
Eine Stellungnahme dazu steht noch aus, aber das wird definitiv noch zu erörtern sein.
Planungen vorzulegen müssen, ist Teil einer häufig verlangten Kompetenz. Beruflich und auch bei Arbeiten und Prozessen. Offen, prozess- und situationsadäquat sollte damit umgegangen werden, inwiefern Planungen bei der Durchführung oder Formulierung „eingehalten“ werden oder inwiefern Plaunungen – etwa bei Studierendenarbeiten – lediglich einen Arbeitsschritt darstellen, der beurteilenden Instanzen in Arbeiten von Lernenden „vorgeführt“ wird.