Text von Reto Wegmüller
Die Positionierung der Höheren Fachschulen ist in der Bildungslandschaft und insbesondere im internationalen Kontext seit geraumer Zeit unscharf. Dies führte in den vergangenen Jahren zu einem Verlust an Renommee und an Attraktivität gegenüber den Fachhochschulen. Verschiedene Akteure versuchen, dem im Rahmen der Initiative «Berufsbildung 2030» entgegenzuwirken. Zudem setzte in den vergangenen Jahren eine vermehrt wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Höheren Fachschulen ein. In diesem Zusammenhang ist auch die neuste Publikation der Pädagogischen Hochschule Zürich zu verstehen, in der unterschiedliche Akteure aus der Praxis und der Wissenschaft Beiträge zu den Herausforderungen und Perspektiven der Höheren Fachschulen beisteuern.
Aktiv positionieren als Bildungsanbieter:in
Das Kaufmännische Bildungszentrum Zug (KBZ) verfügt seit rund 30 Jahren über die Höhere Fachschule für Wirtschaft Zug (HFW Zug), an der die beiden Diplomstudiengänge «Dipl. Betriebswirtschafter/-in HF» und «Dipl. Wirtschaftsinformatiker/-in HF» angeboten werden. Die Verantwortlichen der HFW Zug hoffen darauf, dass der Bund die Weichenstellung für eine optimale Positionierung rechtzeitig vornimmt. Als Bildungsanbieter:in darf man sich aber nicht auf diese passive Rolle beschränken. Es gilt, die aktuellen Arbeitsmarktanforderungen und die Bedürfnisse der Studierenden in den Studiengängen optimal unter Berücksichtigung der geltenden Rahmenlehrpläne abzubilden. In beiden Diplomstudiengängen wurden die Rahmenlehrpläne vor kurzer Zeit überarbeitet. Eine verstärkte Arbeitsmarktorientierung ist dabei ersichtlich, insbesondere im Bereich Wirtschaftsinformatik. Bei diesem Rahmenlehrplan wurde der Wechsel von den traditionellen Fächern hin zu den Handlungskompetenzbereichen vorgenommen und somit eine stärkere Ausrichtung am beruflichen Umfeld sichergestellt. In Abgrenzung zu den Fachhochschulen legt die HFW Zug einen verstärkten Schwerpunkt auf die Praxisorientierung. Zusammen mit dem theoretischen Fachwissen sollen die Studierenden dadurch handlungskompetent und somit begehrte Fachkräfte für den Arbeitsmarkt des Wirtschaftsraums Zug werden. Dazu werden authentische Lernbezüge in den verschiedenen fachlichen und überfachlichen Kompetenzbereichen während der drei Studienjahre hergestellt, was wiederum eine bessere Zukunftsfähigkeit sicherstellen soll. Das Lernen ist dabei ein Wechselspiel zwischen Instruktion und Konstruktion in einem partnerschaftlichen Verhältnis der verschiedenen Akteure. Die selbstregulierten Aktivitäten der Studierenden werden durch anleitende und orientierende Hilfestellungen seitens der Dozierenden ergänzt. Wahlmöglichkeiten im 3. Studienjahr ermöglichen dabei eine individuelle Profilbildung. Um realitätsnahe Lernbezüge herzustellen, selbstreguliertes Lernen zu fördern, die Zusammenarbeit zu unterstützen und die Betreuung durch die Dozierenden zu erweitern, wurde am Weiterbildungszentrum des KBZ ab dem Jahr 2018 schrittweise eine Blended Learning-Strategie umgesetzt. Auch an der HFW Zug kommt das Konzept von 80 % Präsenzunterricht und 20 % asynchroner Onlinebetreuung seit 2019 zur Anwendung. Dabei soll eine optimale Verzahnung von asynchronen und synchronen Lehrsequenzen sichergestellt werden.
KV-Reform: Unterrichten in interdisziplinären Kompetenzbereichen
In den Jahren 2023 bis 2026 steht mit der Reform Kaufleute 2023 ein umfangreicher Veränderungsprozess für die drei Lernorte der beruflichen Grundbildung an. Die Ausrichtung auf die zukünftigen Arbeitsmarktanforderungen führt zu einer Ausbildung entlang der Handlungskompetenzen der angehenden Berufsleute. Für die Berufsfachschulen bedeutet dieser Paradigmenwechsel, dass künftig nicht mehr in den traditionellen Schulfächern, sondern in interdisziplinären Kompetenzbereichen unterrichtet wird.
Die ausgebildeten Kaufleute stellen die grösste Gruppe der künftigen Studierenden für den Diplomstudiengang «Dipl. Betriebswirtschafter/-in HF» dar. Es gilt deshalb, die Chancen dieser Berufsbildungsreform zu erkennen und die HF-Studiengänge rechtzeitig auf die neuen Absolventinnen und Absolventen der reformierten kaufmännischen Grundbildung auszurichten. Dabei gilt es beispielsweise zu berücksichtigen, dass diese erweiterte Kompetenzen in den Bereichen der 4K (Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und Kritisches Denken) und der digitalen Medien mitbringen werden. In der neuen Grundausbildung werden künftigen HF-Studierenden von Lehrpersonen betreut, die eine didaktische Aufbereitung der beruflichen Handlungssituationen mittels disziplinären und interdisziplinären Wissens vornehmen und die aktuellen betrieblichen Lern- und Arbeitssituationen kennen. Diesen Ball gilt es in der Höheren Fachschule für Wirtschaft aufzunehmen und gezielt auf Dozierende aus der Praxis zu setzen, die in der Lage sind, handlungskompetenz- und marktorientierten Unterricht interdisziplinär und gemeinsam mit Praxispartnern zu gestalten.
Dem Fachkräftemangel in der Schweiz entgegenwirken
Die eingangs erwähnte Publikation, herausgegeben von Bach, Haberzeth und Osbahr, erlaubt eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Höheren Fachschulen in der Schweiz als wichtigem Segment des Schweizer Bildungssystems. Es liegt nun an den Verantwortlichen in den Bildungsinstitutionen der unterschiedlichen Berufsfelder, sich den Herausforderungen zu stellen und die unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen. So soll durch eine individuelle Persönlichkeitsbildung kombiniert mit einer konsequenten Handlungskompetenzorientierung dem Fachkräftemangel in der Schweiz begegnet werden.
INFOBOX
Neuerscheinung
Der 12. Band der Reihe Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung heisst «Höhere Fachschulen in der Schweiz. Herausforderungen und Perspektiven.» und zeigt die Vielfalt der Höheren Fachschulen in der Schweiz und ihr Potenzial im Bildungsdiskurs.
Gerne stellen wir Ihnen die neue Publikation an der Buchvernissage am 23. November 2022, 17.30-19.15 Uhr, am Campus der PH Zürich vor. Anmelden
Reform Detailhandel und KV
Informationen und Angebote der PH Zürich zur Reform Detailhandel und KV finden Sie hier.
Zum Autor
Reto Wegmüller ist Rektor des Kaufmännischen Bildungszentrums Zug; davor war er Leiter des Weiterbildungszentrums und Verantwortlicher für Schul- und Qualitätsentwicklung.