Text: Mònica Feixas und Wolfgang Bührer
Kürzlich bei einem Gespräch teilte eine neu berufene Hochschuldozentin für Informatik eine häufige, doch besorgniserregende Erfahrung: «Meine Erstsemester lernen einfach nicht!» Als hochmotivierte, mit Fachwissen aus der Industrie bestens ausgerüstete Dozentin steckte sie viel Zeit in die Vorbereitung ihrer Lehrveranstaltungen. Bei der Überprüfung der Lernergebnisse ihrer Studierenden zeigte sich jedoch ein wenig erfolgreiches Bild. Was könnten die Ursachen für die beschriebenen Lernprobleme der Studierenden sein? Und wie liessen sich Lernmotivation und Lernerfolg der Studierenden steigern?
In einem anderen Fall stand ein Geografie-Dozent vor der Aufgabe, Engineering-Studierenden im Rahmen von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) die Ursachen der aktuellen Klimakrise zu vermitteln. Angesichts der Kombination von inhaltlicher Komplexität und gesellschaftlicher Kontroversen zum Umgang mit Klimafragen fühlte er sich didaktisch herausgefordert: Wie sollte er wissenschaftlich fundierte Informationen vermitteln und zugleich Raum für kritische Diskussionen lassen?
Dies sind zwei Beispiele weit verbreiteter Herausforderungen von Dozierenden im Bereich der MINT-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), bei denen die Komplexität der Lehrinhalte sowie das Bewusstsein für den Lernprozess und den Hintergrund der Studierenden spezifische Lehrstrategien erfordert.
Weshalb eine MINT-orientierte Hochschuldidaktik?
MINT-Fächer unterscheiden sich von anderen Studienbereichen grundsätzlich durch methodische Herangehensweisen, die stark auf Experimentieren, direkten Beobachtungen, kritischer Beweisführung, quantitativer Analyse und empirischen Belegen basieren. Dies erfordert ein solides Verständnis abstrakter und komplexer Konzepte, die z.B. technisch nutzbar gemacht werden sollen. Das spiegelt sich in den Lehr- und Lernaktivitäten wieder: MINT-Fächer greifen in der Regel auf Laborarbeiten, mathematische Problemlösungen und technologische Anwendungen zurück.
Deshalb muss die spezifische Didaktik für MINT-Disziplinen über traditionelle Lehrmethoden hinausgehen. Sie benötigt Ansätze, die nicht nur die Fähigkeit der Studierenden fördern, theoretisches Wissen in praktischen Kontexten anzuwenden, sondern auch spezifische methodische Herausforderungen dieser Fächer adressieren. Beispielsweise bieten Laborunterricht und der Flipped Classroom-Ansatz den Studierenden wertvolle praktische Erfahrungen und vertieftes Verständnis. Der Einsatz von Simulationen, Modellierungen und moderner Technologie ist ebenfalls essenziell, um komplexe Systeme zu visualisieren und empirisch zu untersuchen.
Ein besonders wirkungsvoller Ansatz ist das Challenge-based Learning (CBL). CBL fordert Studierende heraus, reale und bedeutungsvolle Probleme zu identifizieren und zu lösen. Dies fördert nicht nur ihre Problemlösungsfähigkeiten und Kreativität, sondern auch ihre Fähigkeit, interdisziplinär zu arbeiten und theoretisches Wissen in konkrete Anwendungen zu überführen. Dabei entwickeln sie auch wichtige Kompetenzen wie Teamarbeit, Kommunikation und kritisches Denken. Die beiden eingangs geschilderten Dozierenden können von solchen spezifischen MINT-didaktischen Ansätzen profitieren.
Präkonzepte und Binnendifferenzierung
Zu den meisten in der Welt beobachtbaren Phänomenen haben Studierende bereits mehr oder weniger korrekte Erklärungen, so genannte Präkonzepte. Im Gespräch mit der eingangs erwähnten Informatikdozentin, deren Erstsemestrige nicht wie von ihr erwartet lernten, zeigte sich: Bisher hatte sie die Präkonzepte ihrer Studierenden, also ihre vorwissenschaftlichen Erklärungen der unterrichteten Konzepte, kaum berücksichtigt. Diese Präkonzepte im Lehrgeschehen aufzunehmen und adäquat strategisch zu bearbeiten, erhöht die Chance auf erfolgreiche Konzeptwechsel (Duit, 1995). So könnte die Dozentin das tatsächlich vorliegende Vorwissen und existierende Präkonzepte konkret erheben und dann mit Hilfe von Konfrontations-, Umdeutungs-, oder Anknüpfungsstrategien bearbeiten, was ebenfalls mit überschaubarem Aufwand zu mehr Lernerfolg führen würde (vgl. Hopf et al. 2022).
Im Gespräch mit der Informatikdozentin identifizierten wir weitere Punkte, die im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten für eine erste Optimierung ihrer Veranstaltungen Potential boten, den Lernerfolg zu steigern. Zunächst erkannten wir, dass die Kohärenz in ihrer Lehrveranstaltung erhöht werden könnte. Dazu ist das «constructive alignment» (Biggs und Tang (2011) hilfreich, also die gegenseitige Abstimmung von Lernzielen, Lehrmethoden und Leistungsnachweisen.
Im Informatik- oder Mathematikunterricht ist es beispielsweise ineffizient, Zeit mit Problemen zu verbringen, die die Studierenden bereits verstanden haben. Stattdessen sollten sie spezifische Schwierigkeiten identifizieren und die relevanten Konzepte oder Prinzipien benennen. Zudem sollten die Studierenden ihren Programmier- oder Problemlöseprozess klar artikulieren. Weiterhin könnte man der Heterogenität ihrer Studierendenschaft mit an das jeweilige Vorbildungslevel angepassten binnendifferenzierten Aufgaben gut begegnen.
Denk- und Entscheidungsprozesse bewusst machen
Herausforderungen wie die Klimakrise lassen sich als hochkomplexe Probleme verstehen (Cross und Congreve 2022 sprechen von «super-wicked problems»). Die Lehrherausforderungen hängen mit der fachlichen und ethischen Komplexität sowie der moralischen Kontroversität zusammen. Im Umgang mit dieser hohen Komplexität wenden Dozierende gelegentlich einen instrumentalen Lehransatz an, vermitteln also Expertenwissen und/oder versuchen, nachhaltiges Verhalten zu fördern. Für solche gesellschaftlich dringlichen und kontroversen Themen ohne eindeutige Lösung gibt es allerdings keine einfachen Vermittlungsstrategien. Deshalb ist ein instrumentales, auf einzelne Aspekte gerichtetes Vorgehen oft weniger lernwirksam als ein transformativer Ansatz. Ein solcher befähigt Studierende, als kreative und kritische Denker:innen zu agieren, die in der Lage sind, auf die vielschichtigen Herausforderungen unserer Zeit innovativ und reflektiert zu reagieren.
Der in der Einleitung geschilderte Geographie-Dozent kann deshalb von Ansätzen wie der Fallarbeit oder dem Challenge-based Learning profitieren. Diese Methoden zielen darauf ab, alternative Handlungswege zu erwägen sowie Denk- und Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen. Auf diese Weise befähigen sie zur Bearbeitung hochkomplexer Probleme. Fachdidaktische Fallarbeit und «Challenge» bedeuten im Kern, über grosse Erzählungen und kleine Geschichten nachzudenken (Pettig und Ohl 2023). Sie sind Unterrichtsalternativen, die Handlungsroutinen durch Verlangsamung und Erkundung aufbrechen.
Diese Ansätze ermöglichen, implizite Denk- und Entscheidungsprozesse bewusst zu machen. Somit werden sie für Anpassungen verfügbar. So wird ein Raum für Resonanz und Dialog eröffnet und die Zusammenarbeit gefördert. Auf diese Weise können grosse Ideen identifiziert, durchdachte Fragen gestellt und Herausforderungen erkannt und gelöst werden. Das Ziel der fachdidaktischen Fallarbeit ist somit die Entwicklung einer «reflexiven Haltung», wie es Schmidt und Wittek (2021) nennen.
Neues Angebot: Hochschuldidaktisches Zertifikat mit MINT-Fokus
Um die MINT-spezifischen Bildungsherausforderungen besser zu adressieren, bieten wir einen neuen CAS-Lehrgang «Hochschuldidaktik MINT» an. Neben Strategien und Methoden zielt dieser Lehrgang darauf ab, MINT-Dozierenden ein profundes Verständnis für die spezifischen Elemente des Designs von Lehr- und Lernprozessen zu vermitteln.
Mit einer Teilnahme an unserem CAS gewinnen die oben genannten Kolleg:innen aus Informatik und Geografie nicht nur tiefgreifende Einblicke in didaktische Fragestellungen. Sie erhalten auch die Gelegenheit, durch wissenschaftsbasierte Methoden ihr Verständnis von Lehren und Lernen individuell und nachhaltig zu erweitern. So können sie ihre didaktischen Fähigkeiten weiterentwickeln und noch lernwirksamer unterrichten.
INFOBOX
Online-Informationsveranstaltungen zum CAS Hochschuldidaktik MINT
Informieren Sie sich über den CAS Hochschuldidaktik MINT und kommen Sie mit den Lehrgangsleitenden Mònica Feixas und Wolfgang Bührer ins Gespräch:
- Infoveranstaltung 1 (12–13 Uhr): 27.6.2024
- Infoveranstaltung 2 (12–13 Uhr): 16.9.2024
Weitere Details und Anmeldeinformationen finden Sie auf unserer Webseite und in unserer Broschüre.
Die folgenden Module aus dem CAS Hochschuldidaktik MINT können auch einzeln gebucht werden:
- Lernziele und Methoden in MINT-Fächern
- Leiten und Begleiten (mit einem Fokus auf MINT-Fächern)
- Assessment, Feedback und Evaluation in MINT-Fächern
Zu den Autor:innen
Mònica Feixas ist Dozentin am Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich und Co-Leiterin des CAS Hochschuldidaktik MINT. Ihre Spezialisierungen liegen im Bereich der Lehrevaluation und in der Förderung des Scholarship of Teaching and Learning (SoTL).
Wolfgang Bührer bildet seit 2013 an der Abteilung Sek I der PH Zürich angehende Lehrpersonen in Physik und Physikdidaktik aus und ist Co-Leiter des CAS Hochschuldidaktik MINT.