Das reguliert sich nicht von selbst! – Was es braucht, damit selbstreguliertes Lernen an Hochschulen gelingt

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Text: Franziska Zellweger

Selbstreguliertes Lernen – Woher kommen wir?

Es war einmal die Zeit der Bologna-Reform. Vor ziemlich genau 20 Jahren hat die Universität St. Gallen mit der Umsetzung dieser Reform versucht, ein didaktisches Leitbild des «mediengestützten Selbststudiums» umzusetzen. Die Präsenzzeit des Kernstudiums wurde um 25% reduziert zugunsten von didaktischen Formaten, die verstärkt auf aktives und selbstreguliertes Lernen setzten. Es war keine Sparübung – die Bemühungen aller Akteure waren ernsthaft und für mich als Doktorandin ein kreatives Spielfeld mit Enttäuschungspotenzial.

Selbstreguliertes Lernen (SRL) hatte sich zu der Zeit in der pädagogisch-psychologischen Forschung längst als Forschungsfeld etabliert. SRL bezieht sich darauf, wie Lernende systematisch ihre Kognitionen, Motivationen, Verhaltensweisen und Affekte aktivieren und aufrechterhalten, um ihre Ziele zu erreichen wie Schunk und Greene im Handbook of Self-Regulation of Learning and Performance schreiben. Es hat sich ein zyklisches Modellverständnis etabliert (vgl. die Erläuterungen von Maria Theobald ab Min. 3, für einen Modellüberblick siehe Panadero, 2017).

Zyklisches Phasenmodell nach Zimmermann & Moylan (2009) adaptiert von Panadero (2017)

Warum ist selbstreguliertes Lernen ein hochschuldidaktisches Thema?

Warum ist SRL heute noch ein relevantes Thema, um sich in zwei Webinaren zusammen mit Jan Vermunt und Maria Theobald vertieft damit zu beschäftigen? Mir schien, dass nach der Pandemieerfahrung über hybrid, blended oder flipped Settings nachgedacht wurde, ohne im Blick zu haben, wie voraussetzungsreich diese bezüglich der Anforderungen an die Selbstregulation sind.

Die beiden Expert:innen beantworten die Frage nach der Aktualität auf unterschiedliche Weise:

Maria Theobald macht in ihrer Forschungsarbeit deutlich, dass auch auf Hochschulstufe nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Studierende in der Lage sind, ihr Lernen zielführend zu regulieren. In einer Studie zeigt sie eindrücklich auf, dass Studierende, die sich während des Semesters regelmässig begleitend zur Vorlesung mit Selbsttests und Podcasts auseinandersetzten (sog. distributed practice) an der Prüfung erfolgreicher waren.

SRL sagt Prüfungsnoten voraus, vgl. Theobald et al. (2018) und Video (ca. Min.14:20)

Jan Vermunt (ca. Min. 0:35) setzt in seiner Argumentation grundsätzlicher an und verweist auf neue Anforderungen:

Ziele von Hochschulen

Um diese Ziele zu erreichen, sei eine Abkehr von einem Lehr-Lernverständnis nötig, das Lehren als die Übertragung von Expert:innenwissen an die Lernenden versteht. Jan Vermunt betont die Bedeutung von Lernüberzeugungen der Lernenden, von Lernmotivation, Selbstregulation und Lernaktivitäten für ein vertieftes Lernen (vgl. ab Min. 5:30).

Lernmuster als Perspektive für studentisches Lernen, vgl. Vermunt & Donche (2017)

Wenn wir über Selbstregulation sprechen, sind Lernüberzeugungen, also die dahinterliegenden Vorstellungen und Motive von besonderer Bedeutung. Deshalb interessieren mich Lernkonzeptionen der Studierenden, also Unterschiede ihrer Vorstellungen davon, was Lernen ausmacht und welche Rolle sie dabei sich selber und den Dozierenden zuweisen. Jan Vermunt skizziert Learning Patterns (vgl. ab Min. 7:40) und damit verbundene Vorstellungen von Lernen:

Drei AusprägungenBeispiel Item zur Erhebung von Lernkonzeptionen
Intake of knowledge
teacher is responsible for learning
Ich mag es, wenn man mir genaue Anweisungen gibt, wie ich eine Aufgabe lösen oder einen Auftrag erledigen soll.
Construction of knowledge
agency, own responsibility
Für mich bedeutet Lernen, dass ich versuche, ein Problem aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.
Use of knowledge
shared responsibility
Lernen bedeutet für mich, Wissen und Fähigkeiten zu erwerben, die ich später in der Praxis anwenden kann.

Implikationen für die Hochschullehre

Welche Konsequenzen sind nun für die Hochschullehre zu ziehen, wenn die Fähigkeit zur Selbstregulation eine so bedeutsame Stellung einnimmt? Ich schlage vor, drei Aspekte besonders in den Blick zu nehmen.

  1. Lehren und Lernen im Curriculum zur Stärkung der Selbstregulation

Jan Vermunt fordert eine Abkehr von reproduktionsorientierter Lehre und formuliert ausgehend vom an der Eindhoven University of Technology propagierten Modell des Challenge-based Learning Prinzipien zur Stärkung der Selbstregulation auf (ab Minute 37:15). Im Kern sollen anknüpfend an die Interessen der Studierenden Raum und Aufgaben gestaltet werden, die es erforderlich machen, dass Studierende ihre Lernprozesse selber regulieren. Dies soll auch in den Prüfungsformaten wertgeschätzt werden.

  1. Explizite Förderung von Lernstrategien

Die aktive Thematisierung von Lernstrategien ist an vielen Hochschulen (z.B. Uni Bern) gängige Praxis. In einem Review Artikel hat Maria Theobald die Wirksamkeit von Programmen zur Stärkung von Lernstrategien zusammengetragen und auch ein Förderprogramm untersucht, das Studierende zum täglichen Monitoring ihres Lernens anhielt, indem es nach dem Effekt verschiedener Formen von automatisiertem Feedback fragte.

Beide Forscher betonen die Bedeutung von Feedbacks. Ein zentraler Forschungsdiskurs dreht sich denn auch um die Co-Regulation durch Peers und Dozierende, also regulative Unterstützung durch andere. (Vgl. Blogbeitrag zum Onlinefeedback).

  1. Verständigung über das Lernen selbst

Ein wichtiger Schlüssel liegt in der Verständigung über das Lern- und Rollenverständnis. Über Lernen zu sprechen ist jedoch eine abstrakte Angelegenheit. Ich halte es für vielversprechend, dies in Bildern oder Metaphern zu tun, wie in diesem Blogbeitrag aufgezeigt wird. Ob Metaphern tatsächlich Lernkonzeptionen offenlegen, wird auch in der Forschung diskutiert. Eine Diskussion, ob Lernen beispielsweise mit einem Videospiel zu vergleichen sei oder eher dem Füllen einer Werkzeugkiste gleichkommt, kann der Verständigung zwischen Dozierenden und Lernenden nur zuträglich sein.

Wie erreichen wir den nächsten Level?

Die Forschung zum selbstregulierten Lernen unterstützt das Verständnis von Lernprozessen als komplexes Zusammenspiel von Kognitionen, Emotion und Motivation ausgerichtet auf ein Ziel in einem spezifischen Kontext. In der praktischen Umsetzung «innovativer» Lehrmethoden stellt dabei Selbstregulation paradoxerweise gleichzeitig die Voraussetzung, das Ziel und den Weg dar. Dabei werden die Kompetenzen der Studierenden tendenziell überschätzt. Lernsettings, die Studierende aktiv in die Verantwortung für ihr Lernen nehmen, sind auch auf Hochschulstufe keine Selbstläufer. Es stellen sich wichtige Fragen:

  • Welche Angebote sind im Studienstart sinnvoll, um Studierende in ihrem Lernen zu unterstützen?
  • In jedem Setting sind zudem die Rollen und Erwartungen explizit zu thematisieren. Was ist die Aufgabe und Rolle der Studierenden, welchen Beitrag leisten die Dozierenden?
  • Wie werden Aufgabenstellungen formuliert, um unterschiedliche Studierende in der selbstverantwortlichen Erarbeitung zu unterstützen und welche Formen der Co-Regulation sind sinnvoll?

Letztlich geht es auch um die Arbeit an unseren eigenen Bildern. Selbststudium ist nicht gleichzusetzen mit Lernenden, die alleine zu Hause an ihren Tischen sitzen und ein dickes Skript wälzen, sondern mit Studierenden, die über einen angemessenen Spielraum verfügen, um selbstverantwortlich und im Austausch mit anderen ihre Lernprozesse bewusst zu gestalten. Dazu gehört auch das Scheitern, ermutigt werden wieder aufzustehen, den nächsten Schritt zu tun, um wie in Videogames neue Levels zu erklimmen, mit Zugang zu neuen Zaubersprüchen, Vehikeln und Werkzeugen.

INFOBOX

Webinar-Reihe: Researching Higher Education

Diese Webinar-Reihe gibt Einblick in relevante Forschungsprojekte von Wissenschaftler:innen aus aller Welt und bietet Dozierenden, Leitenden, Forschenden an Schweizer Hochschulen wie auch weiteren Interessierten Raum und Fragen zur Diskussion. Neben der Präsentation von Forschungsprojekten sind die Diskussion zwischen Forschenden und Praktikern in Kleingruppen und im Plenum zentraler Bestandteil dieser Anlässe.

2021 zum Thema «Student Engagement»
2022 zum Thema «Self-regulated Learning»

Mehr Informationen zur Webinar-Reihe finden Sie hier.

Zur Autorin

Franziska Zellweger ist Professorin für Hochschuldidaktik am Zentrum für Hochschuldidaktik und -entwicklung der PH Zürich

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