Den Atem anhalten – oder einen langen Atem haben?

Mit Respekt vor den Gewohnheiten der Menschen kann die aktuelle Krise optimal genutzt werden. Denn, wer wollte nicht auch schon mal als Schulleiter die hart gesottenen, analogen Lehrpersonen auf den digitalen Geschmack bringen? Jetzt sind praktisch alle dazu gezwungen. Doch was bleibt nach der Krise? Mit zwei einfachen Schritten kann eine digitale Nachhaltigkeit langfristig verankert werden. David Sigos, Schulleiter an der Primarschule Regensdorf, ist überzeugt, dass mit viel Verständnis und einer gemeinsamen Strategie der grosse digitale Schritt gelingt.

Vieles lässt sich aushalten, wenn die Aussichten gut sind. In diesem Fall: Der Normalbetrieb kann in absehbarer Zeit wieder aufgenommen werden. Endlich wieder unterrichten, wie ich es mir gewohnt bin! Doch was ist mit den positiven Erfahrungen der digitalen Lehr- und Lernformen? Warum wollen wir so stark zurück zum Gewohnten? Der Grund ist: Was wir nicht wollen, akzeptieren wir nicht. Wir wollen an unseren Gewohnheiten festhalten. 

Gewohnheiten sind der härteste Klebstoff der Welt

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Wie Schulen den Corona Tsunami zu bewältigen versuchen

In den letzten beiden Wochen hat sich Niels Anderegg über die mangelnde Sensibilität mancher Expertinnen und Experten und von verschiedenen Hochschulen und Firmen geärgert. Mit dem Entscheid des Bundesrates die Schulen zu schliessen und den Unterricht mit Fernlernen weiterzuführen, kam auf die Schulen eine riesige Welle von Aufgaben und Pflichten zu.

Von einem Tag auf den anderen mussten die Lehrerinnen und Lehrer ihren Unterricht komplett umstellen und ihn fortan mit digitalen Medien, Selbstlernaufgaben und anderen Unterrichtsmethoden gestalten. Neben didaktischen Herausforderungen waren auch Fragen der Betreuung, der Beziehungspflege und dem Umgang mit Schülerinnen und Schülern aufgetaucht, welche von ihren Eltern kaum oder nicht unterstützt werden können.

Wenn ich auf diese zwei bis drei Wochen zurückblicke, dann bin ich beeindruckt, was vielen Schulen in der so kurzen Zeit gelungen ist und habe höchsten Respekt von dem, wie die Lehrerinnen und Lehrer, Schulleitenden und viele andere Personen sich engagiert haben. Die letzten Wochen waren wieder ein lebender Beweis für die Qualität und Wichtigkeit unserer Schule und den darin engagierten Personen. Ich hoffe, dass die Gesellschaft und Politik sich in den nächsten Jahren daran erinnert und der Schule und den darin tätigen Personen die entsprechende Anerkennung gibt und Ressourcen zur Verfügung stellt.

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Schulentwicklung: In grossen Schritten vorangehen und Schülerinnen und Schüler einbeziehen

Im Bildungswesen stehen laut Dani Burg tief greifende Veränderungen an. Es gehe nicht darum, da und dort etwas zu optimieren, sondern es gehe darum, die Schule neu zu denken. Wie breit, tief und schnell Veränderungen angepackt werden sollen, beantwortet Burg.

«Ein bisschen rechts abbiegen geht nicht.»

Fritz Zaugg, Experte für Schulung, Beratung, Projektbegleitung, spricht es mit diesem Zitat an. Eine tief greifende Veränderung in einem Bereich kann nicht isoliert angegangen werden. Sie ruft nach weiteren Veränderungen in anderen Bereichen. Zum Beispiel: Wenn es eine Schule ernst meint, dass sie selbstorganisiertes Lernen entwickeln, ruft dies selbstverständlich nach Veränderungen bezüglich Rollenverständnis der Lehrpersonen, Dokumentieren des Lernens, Stundenplanung, Einrichten der Schulräume, Elternarbeit, Definieren von Lehrerinnen- und Lehrerpensen oder Beurteilen.

Im Idealfall trifft eine mutige Führung (Behörde und Schulleitung), auf Anregung einer mutigen Basis, einen Entscheid mit weitreichenden Konsequenzen. Die ersten Schritte zur Umsetzung werden innerhalb kurzer Zeit angepackt. Die Phase der Verunsicherung aller Beteiligten bezüglich Ausrichtung der Schule ist dadurch kurz. Schulangehörige, die nicht hinter der Entwicklung stehen, können eine Stelle suchen, die ihnen besser entspricht.

Für eine solche Art von Entwicklung eignet sich die Methode des Projektmanagements schlecht. Eine mutige Gemeinschaft entwickelt eine Perspektive und hält es aus, dass nicht im Voraus alle Teilschritte definiert werden können.

Entwicklungen im kleineren Rahmen

In vielen Schulen gibt es mindestens eine einflussreiche Gruppe, die sich nicht auf tief greifende Veränderungen einlässt. In solchen Situationen kann es sinnvoll sein, dass Pioniergruppen mit einer klaren Perspektive und mit Begeisterung in der Entwicklung vorangehen.

Im günstigen Fall motivieren die Leistungen der Pioniergruppen weitere Schulangehörige zum Mitmachen. Wenn tragende Kräfte aus verschiedenen Lagern starr auf ihren Positionen verharren, kann es auch zu einer Spaltung des Kollegiums kommen. Dies führt oft zu kräftezehrenden Konflikten.

Keine wesentlichen Veränderungen «von oben»

Grosse Schulen – geschweige denn kantonale Bildungssysteme – sind derart komplexe Gebilde, dass sie meines Erachtens «von oben» keine nachhaltigen Veränderungen auslösen können. Wirkliche Veränderungen passieren in der Regel nur durch Impulse aus der Basis.

Sprudelnde Ressourcen

Oft sind engagierte Lehrpersonen und Schulleitungen mit dem Alltagsbetrieb bereits ausgelastet. Für tief greifende Veränderungen fehlen ihnen die Kräfte. Dabei wird meistens die naheliegendste Ressource komplett übersehen: die engagierten Schülerinnen und Schüler. In jedem Schulhaus gibt es zahlreiche Jugendliche, die sich auf Veränderungen einlassen und bereit sind, mit Begeisterung Verantwortung zu übernehmen. Bewährt haben sich zum Beispiel diese drei Vorgehensweisen:

1. Die Schülerinnern und Schüler indirekt einbeziehen:

Schülerinnen und Schüler schaffen den Lehrpersonen Freiräume für Entwicklungen.

Diese können nur in Teams angegangen werden. Eine intensive Teamarbeit braucht grosszügige Zeitgefässe. Alle diese Gefässe in der unterrichtsfreien Zeit anzusetzen, ist nicht in jeder Gemeinde möglich.

In der Realschule (Sek C) Niederwil AG findet das Lernen in altersdurchmischten Lerngruppen statt, teilweise geleitet von einem Schüler oder einer Schülerin aus der 3. Klasse. Diese Organisationsform begünstigte entlastende Arbeitsformen im Schulhaus. Zum Beispiel: Mehrmals übernahmen die Gruppenleitungen (betreut von mir als Schulleiter) die Gestaltung einer Doppelstunde für die ganze Realschule. In dieser Zeit arbeitete das Lehrerinnen- und Lehrerteam mit dem externen Experten, Fritz Zaugg, zusammen, an den nächsten Entwicklungsschritten.

2. Die Schülerinnen und Schüler direkt einbeziehen

Wenn ich den Schülerinnen und Schülern auf Augenhöhe begegne, sind sie gerne bereit, über den Schulbetrieb nachzudenken und sich in Entwicklungen einzubringen. In bester Erinnerung bleiben mir zum Beispiel solche Sequenzen aus der Oberstufe Niederwil AG:

  • Klässlerinnen und Klässler bewerben sich um eine Gruppenleitung im nächsten Schuljahr. In der Auswahlgruppe machen 9. Klässlerinnen und Klässer mit. Die Lehrpersonen profitieren von den Erfahrungsberichten der älteren Schülerinnen und Schüler.
  • Ältere Schüler unterstützen die Lehrpersonen bei der Ausgestaltung eines altersdurchmischten Berufswahlprozesses.
  • Schülerinnen und Schüler beteiligten sich an der Entwicklung eines Lernjournals.

3. Die Schülerinnen und Schüler über den Schulbetrieb und die Entwicklungen berichten lassen

Ich werde häufig an Tagungen und Weiterbildungen eingeladen, um über Erfahrungen mit Veränderungen zu berichten. Es bewährt sich ausgezeichnet, dass Schülerinnen und Schüler aus meinen aktuellen Klassen einen wesentlichen Teil des Beitrages übernehmen.

Beispiel: Kürzlich führte eine Volksschule des Kantons Luzern eine interne Weiterbildung zum Thema «Neue Autorität» durch. Eine Schülerin und zwei Schüler aus unserer jetzigen 2. Klasse der Sek C und Sek B berichteten, wie wir in Niederlenz AG an den Themen «Unterstützungssystem», «Beziehung» und «Transparenz» arbeiten. Sie äusserten sich klar und authentisch. Nach kurzer Zeit waren wir in einem regen Austausch mit dem Kollegium.

Regelmässig erlebe ich bei solchen Veranstaltungen, dass die Worte der Schülerinnen und Schüler bei den Teilnehmenden mindestens das gleiche Gewicht haben wie die Worte der Erwachsenen. Und dass ihre Beiträge Mut machen, Entwicklungen anzugehen.

Ich wünsche Ihnen Mut und Energie, Veränderungen anzupacken.

Dani Burg, Klassenlehrer, Realschule Niederlenz AG

Bereits im Blogbeitrag «Die Schule erstickt – Mutige Projekte zur Befreiung» vom 18.10.2018 führte Dani Burg die tief greifenden Veränderungen im Bildungswesen aus.

Quellen:

u.a: Fritz Zaugg – Schulung, Beratung, Projektbegleitung – Steffisburg

Mark Fry, Lehrer im Schulverband Reusstal AG

Literaturhinweise:

Dani Burg: «Die Schule erstickt – Mutige Projekte zur Befreiung»

Link mit Leseprobe: https://www.rex-buch.ch/Artikel/Die-Schule-erstickt-Burg-Dani/4858/

Hammer, Kaduk, Osmetz, Wüthrich: «Musterbrecher – Die Kunst das Spiel zu drehen»

Bild: zVg

Es lohnt sich, sich zu engagieren!

Am Deutschen Schulleiterkongress lernt Johannes Breitschaft, Dozent an der PH Zürich, interessante Abenteurer kennen, die von ihren Pioniertaten erzählen. Das sind der Lifestyle-Unternehmer Jochen Schweizer, der Polarforscher Arved Fuchs und der Dschungelbezwinger Rüdiger Nehberg.

Die Faszination ist beim Publikum nicht zu verbergen. Mit Leidenschaft und Humor erzählen sie von ihrem erfüllten und abenteuerlichen Leben. Keine 08/15-Biografien. Leider sind alles Männer, etwas mehr «starke Frauen» würden dem Kongress gutstehen. Dennoch: das Publikum hängt diesen Persönlichkeiten an den Lippen. Was man daraus ziehen kann? Das Erlebnis, bei den Wagnissen wenigsten ein bisschen dabei gewesen zu sein. Was ich daraus nehme: «Es lohnt sich, sich zu engagieren».

Bei Prof. Rolf Arnold geht es wieder etwas wissenschaftlicher zu und her. Er zeigt nachvollziehbare Verbindungen von Neurobiologie, Lernen und Erwachsenenbildung. Lernen ist für ihn ein selbstgesteuerter Aneignungsprozess. Didaktik sollte keine Lehr-, sondern eine Lernwissenschaft sein. Auch in meiner Ausbildung in Hochschuldidaktik ging es um den «shift from teaching to learning». Das Motto lautet: vom Lernenden her denken, was mich an die Bedingungen zu Kompetenzorientierung erinnert. Lehrpersonen müssen Bedingungen schaffen, damit etwas (Neues) entstehen kann! Die Lehrperson bietet den Kompetenzrahmen, den Kompetenznachweis muss der Lernende selber geben. Die Beziehung und die Resonanz ist der Boden. Schon Rolff hat den Satz geprägt: «wer den Unterricht verändern will, muss mehr als den Unterricht verändern». Veränderungen geschehen meist sehr langsam. Die Problematik ist dabei, dass das Überlieferte und die Erfahrung zunächst immer für richtig erachtet werden. Eine weiterführende Anregung zum Weiterdenken können einige gesammelte Zitate zum Lernen sein, die ich von Rolf Arnold gefunden habe.

Prof. Dr. Harald Görlich zeigt mir, dass wir im Modul «Selbst-, Zeit-, Gesundheitsmanagement» im Rahmen des Lehrgangs «Führen einer Bildungsorganisation» die richtigen Schwerpunkte setzen. Sein Thema ist «Stark durch Resilienz!». Was mir besonders in Erinnerung bleibt, ist die konsequente Haltung des Vertrauensvorschusses gegenüber Mitarbeitenden und die bedingungslose Einstellung, dass man als Führungsperson in jedem Menschen einen wertvollen Kern erkennen muss. Schon Anselm Grün meint «wenn ich den Menschen mag, ist er nicht so schnell zu viel für mich» oder Thomas von Aquin «ich freue mich, dass du da bist, und nicht weil du so bist».

Schulleitungen müssen neben vielem Anderen auch Meisterinnen und Meister der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen sein! Was ich wieder mitnehme: Die Befriedigung von vier Grundbedürfnissen, welche die Basis psychischer Gesundheit, unabhängig von der Quantität der Arbeit sind, nämlich:

1. Orientierung und Wirkungsmöglichkeit (Sinnerfahrung). «Wer ein Warum zu leben weiss, erträgt fast jedes Wie» (Nietzsche)

2. Anerkennung und Wertschätzung (Selbstwertbezug)

3. Soziale Bindung / Zugehörigkeit

4. Lust erleben / Unlust vermeiden.

Zwei Fragen werden mich noch weiter begleiten: Was heisst für mich gelingendes Leben? Wann mache ich einen Termin mit mir selbst, um den wirklich wichtigen Fragen nachzugehen?

Johannes Breitschaft, Dozent PH Zürich